Textdaten
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Titel: Ein „Zeitroman“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 140
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[140] Ein „Zeitroman“. Obschon wir regelmäßige Besprechungen neuer Literaturerscheinungen nicht zu den Aufgaben unseres Blattes rechnen dürfen, wissen wir doch aus Erfahrung, daß unsere Leser sich gern auf größere Werke derjenigen Schriftsteller hingewiesen sehen, die ihnen in der Gartenlaube wiederholt Erquickliches geboten haben. Ein kürzlich unter dem Titel „Unfehlbar“ erschienener vierbändiger Roman unseres langjährigen geschätzten Mitarbeiters Max Ring verdient eine solche Erwähnung in ganz besonderem Grade.

Der beliebte Autor schildert uns hier zwar Kämpfe der hinter uns liegenden Periode von der Abwerfung der Fremdherrschaft bis zu den sogenannten Kölner Wirren des Jahres 1837, aber es umfaßt diese Zeit bekanntlich die erste Phase, die erste noch unklare Gährung jener großen Bewegung der Gegensätze, die allmählich zu unserem heutigen „Culturkampfe“ sich zugespitzt hat. Unter dem Namen „Unfehlbar“ ist also nicht das gegenwärtige Papstthum des vaticanischen Concils zu verstehen, Ring will damit vielmehr die Anfänge des verzweifelten Widerstandes bezeichnen, mit dem die anmaßende, herrschsüchtige, schroff ausschließliche Orthodoxie jeder Confession und Kirche den humanen Regungen und versöhnlichen Forderungen des modernen Bewußtseins und einer neu in den Gemüthern aufkeimenden Bildung sich entgegengestellt hat. Namentlich an dem starren und entwickelungslosen Elemente der beiden ältesten Confessionen, am orthodoxen Judenthume und dem katholischen Ultramontanismus ist dieser Grundzug unduldsamer Verknöcherung in wahrhaft ergreifender Weise und mit einer Schärfe aufgewiesen, wie es bis jetzt kaum jemals geschehen ist. Die Schilderung der Verhältnisse beruht hier bis in die kleinsten Details auf eingehendem Studium, auf feiner und tiefer Beobachtung des Lebens; wir haben es nicht mit einem Darsteller zu thun, der seinen Stoff mühsam aus Büchern geholt; was Ring hier schildert, das hat er noch selber gesehen und im Innersten der eigenen Seele durchlebt und erfahren. Abgesehen von diesem culturgeschichtlichen Werthe der Schilderung ist aber der Roman auch als solcher anziehend durch fesselnde Handlung, dichterisch sich steigernde Entfaltung und vortreffliche Charakterzeichnung, ein durchweg dramatisch lebendiges, unterhaltendes und eindrucksvolles Ganzes, dessen Wirkung freilich bei manchen Lesern wohl hin und wieder beeinträchtigt wird durch zu große Breite der Malerei bei nebensächlichen Punkten. Solche einzelne Stellen werden wohl zuweilen überschlagen werden, aber Niemand wird deshalb das Buch aus der Hand legen, ohne es mit genußreicher Spannung bis zu Ende gelesen zu haben.