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Autor: Wilhelm Jordan
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Titel: Epische Briefe - VI. Iran und Firdusi
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, 8, S. 111–112, 138–139
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[111]
Epische Briefe.
Von Wilhelm Jordan.
VI. Iran und Firdusi.


Dieser Brief soll mit Umrißstrichen zeichnen, wie sich die mitgebrachte Göttersage der Arier in Iran ausgebildet hat zu einer der edelsten Religionen; wie diese Religion ihre Bekenner groß gezogen hat zur weltbeherrschenden Nation, und wie fast drei Jahrtausende nach Beginn dieser Geschichte in einem Enkelstamme der alte Liederschatz zum schönen Kunstepos gediehen ist.

In früheren Erd-Epochen war Iran ein Meer, umgrenzt von einem weiten Kranze felsiger Inseln. Erhebungen verwandelten diesen Inselkranz in ein zusammenhängendes Gebirge, nach außen schroff, nach innen allmählich abfallend und ein Binnenmeer, ähnlich dem Caspischen, einschließend. Ferneres Schwellen der dortigen Haut unseres Planeten ließ dieses Meer zusammenschrumpfen zu einigen Seen und legte die große Mittelmulde trocken als felsige Salzwüste.

Vom Meeresniveau steigt das Land im Demawend, dem Gipfel des Elbrus, bis zur Höhe des Montblanc. Diese Höhenunterschiede und die Sonnengewalt jener Breiten bedingen die schroffsten Contraste. Von schneebedeckten Terrassen gelangt man rasch hinab in blühende Thäler. Die nördlichen Hochländer, oft heimgesucht von Wolkenbrüchen und Erdbeben, erleiden harte Winter und wochenlang verschneien die Felder und Weiden. An den Flüssen aber, dem Kur, dem Araxes, in den Thälern von Schiras, im Rosengarten Irans, der Landschaft Persis, gedeihen zwischen Myrthen- und Orangenhainen die üppigsten Obst-, Blumen- und Fruchtgärten. An den südlichen Küsten erreicht der Pflanzenwuchs eine fast tropische Fülle, und die Dattelpalme trägt reichliche Frucht. Wie aber dort der Schnee, so droht hier und besonders in den einwärts gerichteten Thälern glühender Flugsand die Aecker zu verwehen. Denn Iran ist ein umgekehrtes Aegypten: dort liegt das Land mitten in der Wüste, hier die Wüste mitten im Lande. Vom Mai bis in den September trübt keine Wolke das tiefe Blau des Himmels. Seine Durchsichtigkeit giebt der Landschaft ein scharfes Gepräge und energisch absetzende Farben, dadurch dem Auge des Menschen eine staunenswerthe Sehkraft, seiner geistigen Auffassung große Bestimmtheit und Klarheit.

In dieses Land der schroffsten Gegensätze von Tag und Nacht, Gluth und Frost, Fruchtboden und Wüste, dem Menschen günstiger und feindlicher Natur, brachten die Arier dieselbe Göttersage mit, welche im Stromgebiete des Indus auch die ihrer indischen Vettern gewesen war: die Anschauung aller Erscheinungen als Kampf zwischen den Mächten des Lichts und der Finsterniß. In den Gangesländern, wo die unerschöpfliche Zeugungskraft der Natur der Zerstörung spottet und alles Gestorbene rasch verwandelt in neues Leben, verblaßte die Vorstellung von zwei feindlichen Götterparteien, und bald verschwammen ihre Gestalten zu Traumgeburten der einigen Weltseele. In Iran bestätigte jeder Blick die Scheidung der Götter in zwei feindliche Heerlager. So wurde diese Lehre hier zum Grundsteine eines systematisch ausgeführten Religionsgebäudes.

Die indischen Arier fanden am Ganges eine neue Heimath, in welcher es sich bei Weitem leichter leben ließ als in der alten; die nach Iran ausgewanderten hatten ihr Dasein hier weit größeren Schwierigkeiten abzuringen als bisher. So sollten sie beweisen, daß Hindernisse, so lange sie nicht ganz unüberwindlich sind, als Mächte des Segens wirken, weil der Kampf mit ihnen Erzeuger der Kraft ist. Hier bekam der Mensch sein Leben nicht geschenkt, sondern nur bezahlt als Arbeitslohn. So vergeudete er es nicht wie eine unverdiente Erbschaft, sondern verwaltete es wie ein sauer erworbenes Vermögen, von dem er die Zinsen geniesen darf, das Capital aber unversehrt, ja vermehrt seiner Nachkommenschaft überliefern muß.

Im östlichen Iran, in Baktrien und Sogdiana, wo zuerst unter tüchtigen Stammfürsten ein geordnetes Culturleben aufgeblüht war, im Innern voll Arbeit gegen die Wüste und den Winter, nach außen voll Kampf gegen räuberische Nomadenstämme, trat, ungefähr ein Jahrtausend vor Christi Geburt, ein Weiser auf, der die zwiespältige Naturreligion in ein philosophisch-poetisches System brachte, Zarathustra oder Zerduscht, von den Abendländern Zoroaster genannt. Er ordnete die Schaaren der guten und bösen Geister zu zwei Reichen unter zwei obersten Herrschern, Ahuramazda (Ormuzd), das ist der Herr der großen Gaben, und Agramainyus, ein Name, den wir im Deutschen noch mit denselben wenig veränderten Worten wiedergeben können; denn aus agra ist durch eine sehr gewöhnliche Versetzung unser arg geworden, und mainyus ist „der meinende“, Agramainyus also der Arges meinende, sinnende, später abgekürzt in Ahriman. Beide befehligen Heerschaaren ihnen ähnlicher, nach Rangstufen abgetheilter Geister, Ahriman die Dews oder Divs, und Ormuzd zunächst die Amschaspands. Der Name dieser letzteren, in der Ursprache anesha çpenta,[1] das ist die heiligen Unsterblichen, verräth, daß die ursprüngliche Vorstellung keine andere gewesen ist, als die germanische von den besten Helden, welche Wodan als Einherier in Walhall um sich schaart.

Die Erde in ein Paradies zu verwandeln, war im strengen Wortsinne die von dieser Religion gestellte Lebensaufgabe der iranischen Völker. Denn Paradies (pairidaëza, das ist Umrahmung des Körpers, ungefähr unser „Leibgehege“) ist ein iranisches Wort und bedeutet eine Umfriedigung, innerhalb deren die Natur durch Kunst zur höchsten Schönheit, Fruchtbarkeit und Mannigfaltigkeit des Lebens gesteigert ist. Solche Parke anzulegen strebte Jeder nach seinen Mitteln, vor Allen die Könige. Welches Naturgefühl in diesem lebte, beweist ein hübscher Zug, den Herodot von Xerxes erzählt. Als dieser in Lydien eine besonders schön gewachsene Platane fand, stiftete er dem Baume zur Belohnung einen goldenen Schmuck und einen ständigen Wachtposten.

[112] Im Vendidad, einem erhaltenen Abschnitte des Zend Avesta, zeichnet eine der ältesten Sagen das Muster eines solchen Paradieses. Ich setze sie abgekürzt hierher, weil sie ähnlich wiederkehrt in unserer germanischen Göttersage vom „Garten der Mitte“, den die Himmelsgötter für das Menschengeschlecht den Frostriesen und dem Gefolge Surtur's, des mit Gluth versengenden, entrissen haben und vertheidigen halfen; vom letzten Kampfe mit den Unheilmächten unter Loki’s Führung, dem Wolfe und der Mittgartschlange, vom Untergange der Welt in der Götterdämmerung und von ihrer verklärten Erneuerung. Zugleich bin ich sicher, daß der Leser keines Fingerzeiges bedürfen werde, um zu erkennen, was auch sonst noch Alles in dieser Sage schon deutlich vorgebildet liegt.

Während Jima Khsaëta herrschte, gab es weder Kälte noch übermäßige Hitze, weder Alter noch Tod, weder Haß noch Neid. Väter und Söhne hatten gleichmäßig das Aussehen fünfzehnjähriger Jünglinge. Zu einer Versammlung der besten Menschen kam auch Ahuramazda und sprach zu Jima: „Du sollst die belebte Schöpfung schützen vor den Uebeln des Winters, vor dem Schnee in zu großer Fülle. Mache eine Umfriedigung mit vier Winkeln zur Wohnung für die größesten, besten und schönsten Männer und Frauen. Ebendahin bringe den Samen aller Arten von Vieh, welches auf Erden das beste, größeste und schönste ist. Da lasse nisten die besten der Vögel; da sammele das Wasser in einem Becken von zehntausend Schritt in’s Geviert. Dahin bringe den Samen aller Arten von Bäumen, Speisefrüchten und Gewächsen, welche die schönsten, süßesten und wohlriechendsten sind. Alles dies mache paarweise und unversiechbar.“ Und Jima machte den Umkreis, richtete Wohnungen ein und brachte zusammen die besten und schönsten Männer und Frauen, Thiere und Pflanzen. Nicht war dort Zank und Verdruß, nicht Abneigung und Feindschaft, keine Bettler, keine Klage, keine Armuth noch Krankheit, keine unschön übermäßige Gestalt, kein zu lang gewachsener Zahn, kein Mal des Agramainyus am Körper der Menschen noch an dem immerdar goldfarbenen Orte, dessen Speise niemals versiechte. Diese Menschen führten das schönste Leben und hielten für einen Tag, was ein Jahr ist.

Aber Jima ward übermüthig, sandte sein Bildniß umher zu den Völkern und verlangte göttliche Verehrung. Da wich von ihm der Glanz Gottes. Die Großen empörten sich; Agramainyus brach in Schlangengestalt in sein Paradies ein und drohte schon zu triumphiren. Doch Ahuramazda erbarmte sich und offenbarte durch Zarathustra das „Wort des Lebens“, Zend Avesta, nach dessen Lehren die Menschen das Paradies nun allmählich herstellen können. Aber auch der Böse verdoppelt seine Anstrengungen, und so wird das Menschengeschlecht noch unendliche Plagen und Schrecknisse zu überstehen haben. Verheert von Hungersnoth und Pest wird die Erde zittern, wie das Schaf vor dem Wolfe. Aber endlich ersteht aus dem Geschlechte Zarathustra’s ein Siegesheld, der Sosiosch. Er tritt auf die „Brücke der Vergeltung“ Tshimavat, die vom höchsten Berge Hara berezaiti in die Wohnungen der guten Götter führt, und hält da Gericht über die auferstehenden Todten. Die Gerechten dürfen sogleich trinken vom Safte des Lebensbaumes und in’s Reich der Seligen eingehen, die Ungerechten aber müssen erst geläutert werden in einem Feuerstrome. Dann wird die Erde frei von allem Unreinen, und fortan ist auf Erden nur Eine Lebensweise, Ein Staat und Eine Sprache der glücklichen Menschen.

Bis dahin waltet nun das Böse fort als Winterfrost und versengende Sonnengluth, Mißwachs, Krankheit und schädliches Gethier, im Menschen als Trägheit, Lüge, Laster und schwächende Sünde, die das Leben erst nachträglich mit dem Keime des Todes behaftet hat. Aber Ormuzd hält es in Schranken, und in diesem Kampfe ist der Mensch der Mitstreiter der guten Götter.

Zwar haben die Priester auch aus Zaroaster’s einfachen Grundlehren ein unendliches Ceremoniell von Reinigungsvorschriften herausgeklügelt; aber den Kern der Sittenlehre bilden die gesundesten Forderungen, und mit aller unserer Wissenschaft würde es uns schwer fallen, bessere Ideale aufzustellen.

Nicht seine ganze Natur soll der Mensch vernichten durch finstere Bußübungen, sondern nur ihre Verunreinigung abthun. Es ist heilige Pflicht, gut zu essen und zu trinken, den Leib durch Uebung zu stärken und sich seiner Kraft und Gesundheit zu freuen. Nicht mit feigen Opfern bestechen, sondern offen bekriegen soll man die bösen Geister, in sich selbst durch Sauberkeit, Andacht und gute Handlungen, in der Natur durch schaffende Thätigkeit. Die Arbeit selbst wird Gottesdienst. Mit dem Fruchtbaume, mit dem wogenden Saatfelde wächst das Gesetz Ahuramazda’s. Wann das Getreide aufkeimt, dann bekommen die bösen Daëwa vor Aerger den Husten; wann es in Halme schießt, dann weinen sie, und wann sich die Aehre füllt, dann ergreifen sie die Flucht. Die Erde ist nicht, wie den Indiern, das Exil der sich selbst quälenden Gottheit, sondern die schöne Tochter Ahuramazda’s. In Liebe soll der Mensch ihr dienen, indem er sie bepflanzt, wo sie öde liegt, tränkt, wo sie dürstet, entwässert, wo sie zu feucht ist. Dafür dankt sie mit Reichthum und zahlreich blühender Nachkommenschaft. Sie ist traurig, wo sie unangebaut bleibt, und fühlt sich beglückt, wo ein reiner Mann sein Haus errichtet, ein lauteres Herdfeuer lodern läßt, schmuckes Vieh weidet und mit seiner Frau viele schöne Kinder heranzieht.

Solche Sprüche voll tiefster Innigkeit zwischen Mensch und Natur sind Denkmale eines tüchtigen und glücklichen Volkslebens. Auf der wenig trostvollen Wanderung durch die unendliche Trümmerwüste der Geschichte mit ihren Zeugnissen ewigen Vernichtungskampfes und eifriger Selbstverbitterung des Daseins thut es wohl, einen Augenblick auszuruhen auf einer dieser so seltenen als erquicklichen Oasen.

So stellte den Iraniern die Religion ein praktisches Ideal auf und in diesem das höchste Gebot, das der Zucht, der Veredelung des Menschen im Laufe der Geschlechter. Die Prüfung „nach ihren Früchten“ besteht keine Religion glänzender. Denn die Geschichte lehrt, wie dieser Glaube zu Thaten geworden ist. Selbst jenes ferne Zukunftsideal der Vereinigung aller Völker zu einem Volke hat er in beträchtlicher Annäherung verwirklicht in einem Weltreiche von ungeheurer Ausdehnung und straffer Einheit. Ja, er hat die unverwüstliche Kraft erzeugt, vermöge deren dieses Weltreich, während es in Trümmern lag, der Mutterboden wurde für die bisher gewaltigste Begebenheit der Menschengeschichte und vermöge deren es dann nach zweimaliger Vernichtung zum zweiten und dritten Male wieder auferstanden ist.

Davon, und von der Dichtung, welche das dritte persische Reich als unverwelkliche Blüthe getrieben, soll die zweite Hälfte dieses Briefes handeln.

[138] Mit der Befreiung der Meder vom Joche der Assyrer beginnt die Selbstständigkeit Irans. Dann gewannen die Hegemonie die Perser unter dem großen Khurusch, dem Kyros der Griechen, einem Manne von unvergleichlicher Thatkraft, hoher Besonnenheit und menschlicher Milde. Auf dem Gipfel des Glanzes befand sich das persische Reich unter Darjawusch, dem Sohn des Wahstaspa, dem Darius Hystaspes der Griechen. Ihm gehorchten die Völker vom Himalaya und Indusdelta bis zu den Küsten Europas, vom Aralsee und Kaukasus bis zur Südgrenze Aegyptens. Ein Netz vortrefflicher Kunststraßen verband alle Theile des ungeheuern Reichs; eine Reitpost von angestaunter Geschwindigkeit beförderte die Nachrichten zwischen den äußersten Grenzen und den Hauptstädten Susa, Ekbatana und Babylon. Der Ackerbau blühte; das Forstwesen war musterhaft geordnet; ein Münzsystem galt vom Hellespont bis zum Indus und in vollständiger Sicherheit zogen die Handelskarawanen von Kaschmir bis nach Cyrene und Nubien.

Als Alexander der Große mit der Kraft des vereinigten Griechenlands unter macedonischer Disciplin dieses Reich in wenigen furchtbaren Schlägen zerschmettert hatte, da wurde es durch eben diesen politischen Untergang die Geburtsstätte einer noch viel gewaltigeren geistigen Weltmacht. Denn es bildete nun den Schmelztiegel, in welchem die Lehren Zoroaster's von den Reichen des Lichts und der Finsterniß und vom Heiland des jüngsten Tages, dem Sosiosch, die Vergöttlichung des Menschen in der griechischen Kunst und die Gedanken eines Sokrates und Platon ineinander schmolzen, um sich endlich in der Berührung mit dem Jehovadienst und den politischen Messiashoffnungen der Juden zu entzünden zu der neuen Religion, die fast zwei Jahrtausende hindurch wirksamer als jede andere die Schicksale der Erde bestimmen sollte.

Nach mehr als fünfhundertjähriger Fremdherrschaft, erst der Griechen, dann der Parther, wurde das persische Reich hergestellt von Ardschir Babekan, dem Sohne Sassan's. Seinen Nachfolgern, den Sassaniden, gelang es, die Religion Zoroaster's neu zu beleben, und um die Mitte des sechsten Jahrhunderts hatte Persien, unter Khosru Anuschirwan, hohe Blüthe und fast denselben Umfang wie unter dem ersten Darius wiedergewonnen.

In derselben Nacht aber – erzählt die arabische Sage – in der Muhamed geboren wurde, erlosch das tausendjährige heilige Feuer der Parsen und zu Ktesiphon zerstörte ein Erdstoß den Palast der Sassaniden. In der Mitte des siebenten Jahrhunderts war ganz Iran Provinz des Khalifenreichs. Mit der Schärfe des Schwerts wurden die Feueranbeter bekehrt, ihre Heiligthümer zerstört, ihre religiösen Urkunden vernichtet. Doch die Verfolgung veranlaßte zahlreiche Auswanderung bis nach Indien, wo sich in Surate und Guzerate Parsencolonien auch heutigen Tags noch zur Religion Zoroaster's bekennen. Ihnen verdanken wir die unschätzbare Erhaltung eines Theiles des Zend Avesta.

In den Hochgebirgen Baktriens, der Geburtsstätte der Lehre Zoroaster's, ward auch das persische Reich zum dritten Mal wiedergeboren. Unter Jakub, dem Sohn des Leis, riß die Gegend sich los vom Khalifenreich. Seine Nachfolger, die Soffariden, behielten zwar den Islam als Staatsreligion, suchten und fanden aber eine Stütze ihrer Selbstständigkeit im altpersischen Nationalgefühl, das sie durch Pflege der einheimischen Sprache und Heldensage zu beleben wußten. Kurz vor Beginn des gegenwärtigen Jahrtausends bestieg den Thron Mahmud der Erste von Gasna, der sich vom Sohne eines Sclaven zum gewaltigen Herrscher emporgeschwungen. Seine Eroberungen in Indien übertrafen bei weitem diejenigen Alexander's des Großen. Mit diesem, dem begeisterten Verehrer Homer's, theilte er eine Eigenschaft, welche gekrönten Siegeshelden gewöhnlich versagt ist. Er fand an der Poesie nicht nur Vergnügen, sondern wußte sie auch zu schätzen als eine Macht, nicht minder wirksam zur Begründung und Befestigung der Reiche, als das Schwert und die Kunst des Heerführers. Er zog viele Dichter in seine Nähe, und es war seine gewöhnliche Abendunterhaltung, sie vor versammeltem Hofe als Rhapsoden auftreten zu lassen. Seinem Eifer und seiner Allmacht gelang es, den ganzen Schatz der Vorzeitsagen zusammen zu bringen. Ihre Gestaltung zu einem Ganzen übertrug er dem Dichter Abul Kasem Mansur, dessen Lied von Rustem und Isfendiar ihn so sehr entzückte, daß er ihm den Namen „der Paradiesische“, Firdusi, beilegte.

Sobald Firdusi einen Gesang beendigt, trug er ihn dem Sultan vor, und dieser befahl, ihm für jedes Verspaar ein Goldstück zu zahlen. Der Dichter war aber so unpraktisch, die Eincassirung dieses recht anständigen Ehrensoldes aufzuschieben bis zur Vollendung seines ganzen Werkes. Im einundsiebenzigsten Lebensjahre, nach fünfunddreißigjähriger Arbeit, schloß er seine große Dichtung, das Schahnameh oder Königsbuch, mit folgenden Zeilen:

Ich habe, der dies Buch hervorgebracht,
Die Welt von meinem Ruhme voll gemacht.
Wer immer Geist hat, Glauben und Verstand,
Von dem werd' Ich mit Lob und Preis genannt.
Ich, der die Saat des Wortes ausgesät.
Ich sterbe nicht, wenn auch mein Leib vergeht.[2]

Das Werk zählte sechszigtausend Verspaare, hatte also mehr als den vierfachen Umfang von Ilias und Odyssee zusammen. Der Sultan ermäßigte die schuldigen sechszigtausend Goldstücke auf so viel, als (vermuthlich in Silber) ein Elephant tragen könne. Aber dem Schatzmeister war auch das noch viel zu viel, und er wußte eine fernere Reduction auf sechszigtausend kleine Silbermünzen durchzusetzen. Firdusi befand sich im Bade, als die Sendung ankam. Er vertheilte den Bettel an den Badewärter und den Schenkwirth, bei welchem er ein Glas Bier getrunken, entfloh nach Bagdad und verbreitete eine Satire gegen Mahmud, welche folgendermaßen schloß:

„O König, was Du als Erinnerung von Dir in der Welt zurücklassen wirst, das ist die Huldigung, welche Ich Dir dargebracht. Die Gebäude der Menschen sinken in Trümmer durch Sonnenbrand und Regen. Spurlos aber werden die Jahrhunderte hingehen über dem unermeßlichen Bau, den Ich aufgeführt. Fünfunddreißig Jahre habe ich in Noth und Mühsal gelebt, um Persien neu zu beleben durch dieses persische Werk. Wäre der König nicht geizig, er gäbe mir einen Platz neben seinem Throne. Aber da sein Stamm ohne Adel ist, öffnete er seinen Schatz, um den meinigen zu bezahlen mit – einem Glase Bier.“

Anfangs wüthend und erpicht, den Dichter zu verfolgen, dachte Mahmud doch groß genug, um schließlich zu verzeihen, ja, zu bereuen; dies freilich zu spät. Als hochbetagter Greis durfte Firdusi in seine Vaterstadt Tus zurückkehren und endlich sollte ihm sogar Wort gehalten werden. Mit glänzendem Aufzuge sendete Mahmud die schuldige Summe. Im Stadtthore aber begegneten die Königsboten dem ärmlichen Leichenzuge Firdusi's. Seine nicht minder stolze Tochter verschmähte das Geld; doch ward es verwendet zum Bau der Wasserleitung, für welche der Dichter den Ertrag seines Werkes von jeher bestimmt hatte.

Seiner Schöpfung ist der Stempel ihrer Entstehungsweise deutlich aufgeprägt. Sie würde noch größer sein, wenn sie – kleiner wäre. Nicht eine anschauliche, in der Haupthandlung einer Hauptperson gipfelnde künstlerische Idee, sondern ein Fürstenauftrag hat ihre Umgrenzung bestimmt, richtiger gesagt, ihre Grenzenlosigkeit verschuldet. Die Gesammtheit der Sagen vom Beginne des iranischen Volkes bis zur Schwelle der Gegenwart zu einem Ganzen geordnet, hatte Mahmud verlangt, und den Dichter obendrein zur Breite verführt, durch die nach der Verszahl versprochene Belohnung. So begegnen wir hier der widerspruchsvollen Erscheinung, daß das persische Epos auch mit seiner dritten und höchsten, der Kunstgestalt, auf der zweiten Stufe stehen geblieben ist als eine Liederchronik, in der nur das Volk und seine Dynastieen die Einheit des Helden, nur seine Geschichte die Einheit der Handlung vertritt. Dennoch aber hat [139] Firdusi nicht nur durch die hohe Anschaulichkeit der Erzählung, die Bilderpracht der Sprache und den Wohllaut des Verses die einzelnen Lieder, sondern auch die ganze Sammlung zum Kunstwerk zu erheben verstanden durch das einzige Mittel, welches der kunstwidrige Auftrag gestattete: Einen und denselben Grundgedanken läßt er gleichmäßig hell als Thema hervorleuchten aus jeder der vielen Erzählungen, in denen uns Jahrtausende und ganze Reihen von Königen und Geschlechtern vorüberziehen. Wie das ganze Schiff sich emporbaut auf dem einen Kielbalken, so ist der tragende und verbindende Pfeiler des Schahnameh der Kampf des Lichtreichs mit dem Reiche der Finsterniß. Die Helden Irans sind die Vorkämpfer der guten Götter, ihre Zöglinge und Verwandten; die Turanier sind die Streiter und Günstlinge Ahriman's und seiner bösen Geister, ja, deren Verleiblichung; wie z. B. dem Sohak, als er sich dem Bösen ergeben hat, von dessen Kuß aus beiden Schultern Schlangen hervorwachsen, die er mit Menschenhirn füttern muß. Auch hier also haben wir wieder die Gegenstellung der Kuruinge und Pandu des Mahabharata, der Wölsunge und Nibelunge des germanischen Epos.

Keine Dichtung, und am wenigsten ein Epos, kann man anders als aus ihr selbst wahrhaft kennen lernen. Ein Auszug des Inhalts bleibt immer ein dürftiger Behelf, ein farbloser Schattenriß. Von Firdusi's kolossalischem Werke würde für diese Blätter auch der allergedrängteste viel zu lang ausfallen. Glücklicher Weise ist er in diesem Falle auch überflüssig; denn sein Schahnameh ist auch unser. Wir besitzen das Werk des „Paradiesischen“ in einer deutschen Nachbildung, die sowohl durch ihren Gegenstand, als durch die hohe Vortrefflichkeit ihrer Ausführung eines Platzes würdig ist neben den besten Originalschöpfungen unserer besten Dichter. Sie ist von Friedrich v. Schack und hat für uns nicht verloren, sondern gewonnen durch ihre Beschränkung auf eine wohlverbundene Auswahl der schönsten Erzählungen.

Aber das persische Epos ist unser auch in einem zweiten und tieferen Sinne. Nach dem Zeugnisse der vergleichenden Sprachkunde sind aus den Hochländern an den Quellen des Dschihun, mit den Persern zugleich und ursprünglich mit ihnen vereinigt, auch unsere Vorfahren herabgestiegen. In jenen Saken und Massageten, bei deren Bekämpfung der große Cyrus den Tod fand, hat Jakob Grimm aus guten Gründen die Stammväter der Germanen zu erkennen geglaubt. Zahlreich sind denn auch die Anklänge zwischen der persischen und germanischen Sage. So weisen unverkennbar auf ein gemeinsames Urbild zurück unser Sigfrid und der gefeite Isfendiar, der nur mit dem Pfeile von einem Zweige der Schicksalsulme erlegt werden kann, gerade wie Balder, der in unserem Helden vermenschlichte Gott, nur durch einen Mistelzweig tödtbar ist. Ferner erzählt unser altes Lied von Hildebrant und Hadubrant, selbst in Einzelnem zusammentreffend, ganz die Geschichte vom Kampfe Rustem's mit seinem Sohne Sohrab, wenn auch, nach meiner Ueberzeugung, zu anderem Ausgange gemodelt. Und noch ein Größestes hat nur die iranische Sage mit der unsrigen gemein: daß die Liebe zwischen Mann und Weib nicht wie von der späteren romantischen Poesie als höchste Lust und Gefühlswonne des Einzelnen und um ihrer selbst willen gefeiert wird, sondern das Recht der Darstellung nur erhält für edle Frucht, als Ursprungsquelle höchster Menschenkraft, als Erzeugerin herrlicher Helden. So wird in einer überaus anmuthigen Episode des Schahnameh die Jugendliebe des Sal und der Rudabe zwar mit kräftigen Farben gemalt, aber über der sinnlichen Gluth der Schilderung wallet dennoch die edelste Keuschheit; denn ihr Dienst ist lediglich der, aus der Höhe der auflodernden Entstehungsflamme die wunderbare Größe des bevorstehenden Sohnes Rustem ahnen zu lassen. So dürfen wir in der That in den Stoffen Firdusi's zugleich älteste Denkmale unserer eigenen Urzeit begrüßen.

  1. Mashya und mesha ist unser „Mensch“ und bedeutet sterblich, amesha, sanskrit amartya, griechisch άμβροτος, lateinisch immortalis, unsterblich, und çpentas ist das lateinische sanctus, littauisch swentas, heilig.
  2. Uebersetzt von F. v. Schack.