Ein Abend am Rhein
Ein Abend am Rhein.
Seit einem Jahrhundert und länger noch haben Maler und Dichter die Schönheiten und den Zauber des Rheinthals geschildert und gepriesen, und in der That übt eine große Strecke desselben einen Zauber auf den Besucher, ja selbst auf den empfänglichen Anwohner aus, wie kaum ein anderer Landstrich unseres Vaterlandes. Großartigere Gegenden giebt es viele, höhere Berge, schroffere Felsen, wilderes Wasser, schönere Wälder, üppigere Fluren; kaum aber dürften sich anderswo alle die Reize der Landschaft, der durch Geschichte und Sage berühmten Oertlichkeit, einer eigenthümlichen Landescultur und selbst des Klimas so vereinigt finden, wie im Flußthal unseres deutschesten Stromes.
Von Mainz hinab bis Bonn bieten die Ufer, zwischen denen
[717]der grüne Strom seine mächtige Wassermasse dahinwälzt, eine reiche Abwechselung von malerischen Ansichten in ununterbrochener Folge, freundliches lachendes Gelände, wie im Rheingau, dann schroffe Felsenschluchten und waldbekrönte Höhen, von deren Ausläufen Burgen und Burgruinen herabblicken, am Ufer alterthümliche Städtchen und Dörfer, von Obstgärten umgeben, dann das elegante Coblenz, von seinen gewaltigen Felsenvesten überragt; weiter der flache, von ferneren Höhenzügen umgebene Thalkessel um das anmuthige Neuwied, dann wieder, das abwechselnd bald engere, bald breitere Thal mit gelegentlichen Einsichten in die abzweigenden Seitenthäler und Schluchten, und endlich das von allen Seiten, von nahe und ferne immer ein vollkommenes Bild gebende Siebengebirge, eine Berggruppe von so harmonischer Form, wie sie außerhalb Italiens sich nicht wiederfindet.
Aber nicht nur diese allgemeine landschaftliche Schönheit ist es, welche dem Rheinthal seinen Reiz verleiht, man muß sich auf das Einzelne einlassen, um den ganzen Zauber zu empfinden. Man muß am Ufer wandern, um die Theile des großen Panoramas als abgeschlossene Bilder zu betrachten, man muß in die Seitenthäler eindringen, die theils von der Industrie belebt sind, theils enge und steile Wald- und Felsenschluchten bilden, wo nur das Rauschen des Baches, der Gesang der Vögel und vielleicht der Schrei des Hähers oder der Weihe die Stille unterbricht. Vor Allem muß man die alten Städtchen durchstreifen mit ihren altersbraunen wunderlichen Häusern, ihren verfallenden, von Weinreben überrankten Mauern, ihren oft prachtvollen alten Kirchen. Alles das redet und zeugt von alten Zeiten, erzählt Geschichte, erinnert an so manche Sage und hat einen unvergleichlichen Charakter der Heimlichkeit und Traulichkeit. Bei alledem aber herrscht auch ein lustiges Lebens darin, zwar ein Klein- und Stillleben, aber rege und rührig, umgänglich und leichtlebig; denn es wohnt da ein Volk, welches schon in der Wiege mit Wein getränkt wird und bei dem unter allen Lebensereignissen und Lebenslagen der edle Traubensaft seine erheiternde Wirkung ausübt, selbst wenn er nach schlechten Sommern nicht gerade edel ist.
Aber dieses echte rheinländische Volk und Leben darf man nicht mehr an der großen Straße des Stromes suchen. Da verkehrt der Fremde und zieht in Schaaren hinauf und herunter und an seiner Straße wird Alles umgewandelt und erneut. Da werden die alten Stadtmauern und die alten wackeligen Giebelhäuser niedergerissen und weiße Gasthöfe erstehen an ihrer Stelle, da werden die Ruinen wieder ausgebaut und verputzt, da ersetzen elegante Veranden und Balcons die alten traulichen Weinlauben und der Hôtelverkehr mit allen seinen Comforts und neuesten [718] Raffinements ist an die Stelle der gemüthlichen Kneipe getreten. Da hat die poetische Romantik des Rheinlandes längst ein Ende gefunden; was von ihr geblieben, ist nur noch eine falsche Maske, und wer dort den Rhein unserer Dichter und Maler von vor fünfundzwanzig oder dreißig Jahren suchen wollte, würde sich sehr enttäuscht finden.
Jenes alte romantische gemüthliche Leben am Rhein, wovon so viele Lieder singen, festzuhalten, hat sich der Maler unseres heutigen Bildes, Christian Böttcher, als Hauptaufgabe seiner Kunst gestellt. Den Lesern der Gartenlaube ist Böttcher ein alter wohlbekannter Freund; denn Sie haben bereits im Jahre 1861 eingehende Mittheilungen über den Lebensgang dieses bedeutenden Künstlers veröffentlicht und auch sonst wiederholt hervorragende Bilder von ihm zur Anschauung gebracht. Wenn Böttcher, dessen wohlgetroffenes Portrait diesen Zeilen beigegeben ist, auch vielfach andere Stoffe behandelt hat, so kehrt er in seinen bedeutendsten Werken immer wieder zu rheinischem Lande und rheinischem Leben zurück; wir brauchen nur an sein Bild zu erinnern, wo das lustige Volk von Malern und Studenten vor dem Wirthshause hoch oben über dem kleinen Städtchen in der Weinlaube zecht, wo auf Treppe und Vorplatz Land- und Stadtvolk verkehrt und den Pfad von der Stadt herauf der unvermeidliche Tourist auf dem gemietheten Esel mit dem Treiberjungen herangezogen kommt, – oder an das treffliche Nachtbild, wo eine Gesellschaft junger Männer und Frauen im Mond- und Kerzenlichte um die Maiweinbowle versammelt ist, während die Stammgäste der Kneipe theils politisirend am Tische sitzen, theils schon den Weg nach dem Städtchen hinab einschlagen, über welchem hin der Blick auf den breiten Spiegel des Rheins fällt, den der Mondschein in Silber verwandelt, – oder jenes, wo dem wandermüden ferienreisenden Studenten, der behaglich in der Laube angesichts der herrlichen Fernsicht ausruht, das allerliebste Wirthsmädchen die willkommene Flasche bringt.
In dem gegenwärtigen Bilde führt uns Böttcher in das Innere einer kleinen Rheinstadt, auf den Markt. Einen solchen Marktplatz freilich, wie ihn der Künstler vor Augen stellt, dürfte man kaum mehr finden, auch in dem verschollensten Rheinstädtchen nicht, aber es gab einst dergleichen und alle diese alterthümlichen Baulichkeiten, die Giebelhäuser, das gothische Rathhaus, der Marktbrunnen mit dem Kaiserstandbilde sind oder waren vorhanden, wenn auch nicht auf so engem Raume zusammengestellt. Im Uebrigen ist das Bild aber ganz aus der Wirklichkeit und Gegenwart. Es ist Abend, die Sonne steht schon tief, der Marktplatz liegt im Schatten und da sammelt sich um den Brunnen Alles, was da zu schaffen und auch nicht zu schaffen hat. Weiber und Mädchen füllen ihre Krüge und Kannen, Vorübergehende, Nachbarn treten hinzu, Gespräch entspinnt sich. Der stramme Jäger, welcher mit Hasen und Hühnern heimkehrt, plaudert mit den beiden hübschen Mädchen; die kleine Blonde, welche sich auf die Schulter der dunkeln Freundin lehnt, ist nicht ohne naive Koketterie. Geschäftiger läßt sich eine kräftige Magd den gefüllten Zuber auf den Kopf heben, eine Andere trägt in schlanker Bewegung die schweren Holzkannen fort. Da ist der Leinführer, welcher seine ermüdeten Pferde tränkt, schwatzende Lehrjungen und sonst noch müßige oder geschäftige Personen.
Das Alles gruppirt sich um das Becken des Brunnens, aber rings umher ist noch eine ganze Menge von Gruppen und Personen. Vom Rheine kommt der Fischer, die gefangenen Salmen in der Hand, die Ruder auf der Schulter, begleitet von seinem Knaben und dem Haushündchen, welches ihm entgegengelaufen. Vor dem Hause an der Ecke mit dem Kramlädchen sitzt die Großmutter mit dem Enkel, emsig Aepfelschnitzel schneidend; der Junge sitzt, an die Hauswand gelehnt, das eingeschlafene Kleinste zwischen seinen Beinen wahrend, während er seine Lection lernt, und das halberwachsene älteste Mädchen steht auf der Schwelle des Hauses und bereitet ein Körbchen voll Früchte und Trauben zum Verkaufe an die zu erwartenden Fremden, denn fern durch die Straße hinab sieht man die Landestelle des Dampfschiffes, welches eben angekommen ist und auch hieher eine Anzahl von Touristen abliefern wird. Ein kräftiges Winzermädchen trägt einen Korb Trauben die Straße hinab dem Schiffe zu. Rechts in der Ecke des Marktes vor dem Wirthshause sitzt im Abendsonnenscheine eine kleine Gesellschaft beim Schoppen, auch der Maler des Bildes ist darunter und einige seiner guten Freunde. Durch die Gasse hinab aber und über den Rhein fällt unser Blick auf die Rüdesheimer Weinberge und die Ruine der Burg Ehrenfels, und so dürften wir etwa auf dem Marktplatze von Bingen uns befinden, auf welchen auch einige der Baulichkeiten deuten, aber allerdings in einer durch die Phantasie des Künstlers etwas umgestalteten Welt.
Der Maler soll die Natur nicht blos „abschreiben“, er soll sie in ihrer charakteristischen und schönsten Gestalt erfassen, poetisch gestalten und so uns wiedergeben, er soll die Poesie seines eigenen Gemüthes in die gegebenen Stoffe hineinlegen, dann sehen wir mit ihm, was er zuerst mit schärferem Auge und wärmerer Empfindung gesehen hat. In solcher Weise schafft Böttcher seine Genrebilder. Er bildet die Natur nach, aber er sieht in derselben vor Allem das Anmuthige und Schöne; man wird ihm nicht nachweisen können, daß er seine Figuren idealisire, über ihre nothwendigen und gegebenen Bedingungen hinaushebe; die Schönheit der Darstellung liegt in der Wahl des Stoffes, der Gegenstände, der Charaktere, in ihrer Zusammenstellung und Beziehung zu einander. Trefflich durchgeführt im Einzelnen, wie alle seine Werke, ist dieses neueste größere Werk des Meisters auch in der Farbe und Haltung trefflich, von vollkommener einheitlicher und klarer Wirkung.
In allen den zahlreichen Werken Böttcher’s spricht sich immer ein großer Schönheitssinn aus, ein Sinn für das Anmuthige und Edle der Erscheinung, er ist nie trivial, wenn auch manchmal humoristisch und spaßhaft in der Wahl seiner Gegenstände. Von seinen größeren Werken sind außer den schon oben angeführten noch zu nennen: „Eine Heuernte“, „Ein Abend im Schwarzwalde“ und die „Heimkehr vom Schulfeste“; seine kleineren Bilder aus dem engeren Kreise des Familienlebens und besonders aus dem Kinderleben sind sehr zahlreich; besonders glücklich ist Böttcher in der bald anmuthigen, bald schalkhaften Darstellung der Kinder und ihres Treibens und Wesens, wie denn den Lesern der Gartenlaube seine reizende Zeichnung „Schlage ’mal her“ gewiß noch in guter Erinnerung ist; ein guter Beobachter des Charakteristischen der Erscheinung ist Böttcher auch ein trefflicher Bildnißmaler und hat sich häufig als solcher bewährt.