Durch Indien ins verschlossene Land Nepal/Die Mysterien des Swajambunath-Gipfels

Das Tibeterdorf Buddhnath Durch Indien ins verschlossene Land Nepal
von Kurt Boeck
Ein Ausflug zum höchsten Berge der Erde
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[301]

Thoranspitze auf dem Schait-Felsen.

Vierundzwanzigstes Kapitel.
Die Mysterien des Swajambunath-Gipfels.

Ich pries mich glücklich, daß mein erbärmliches Befinden sich schnell besserte und mir erlaubte, den für die Völker- und Kultusvermischung in Nepal überaus charakteristischen Swajambunathberg zu besuchen. Es wäre ein unerträglicher Schmerz für mich gewesen, wenn es am Ende meiner Gnadenzeit geheißen hätte: Bezahle gefälligsst deine Rechnung, du mußt fort von hier, Sahib, deine Uhr ist abgelaufen! ohne daß ich die Wunder und Mysterien kennen gelernt hätte, die diesen Berggipfel seit grauen Zeiten zum Wallfahrtsziel sowohl für buddhistische wie brahminische Newaris gemacht haben. Der Weg zu diesem Berge führt an dem Richtplatz vorüber, der seit der Regierungszeit Jan Bahadurs nicht mehr sehr lebhaft in Anspruch genommen wird; aber vor derselben waren hier nicht nur barbarische Todesstrafen, sondern auch furchtbare Verstümmelungen an der Tagesordnung, und der Ort soll früher mit gebleichten Gebeinen geradezu übersät gewesen sein, da es Sitte ist, die Überreste der Hingerichteten als Fraß für Geier und Raubtiere liegen zu lassen. Gehörten die Verurteilten besseren Volksklassen an, so pflegten sie dem Scharfrichter ihre eigenen haarscharfen Schwerter zu übergeben, damit er an ihnen nicht, wie es häufig geschah, mit stumpfen Kukrimessern ein qualvolles Gemetzel vollführe. Weiber und Mitglieder der Brahmanenkaste durften hier jedoch nie öffentlich hingerichtet werden; erstere hielt man durch Abschneiden von Nase und Ohren und Verjagen aus dem Lande, die Brahmanen, deren Blut niemals vergossen werden darf, durch Abrasieren des Haarschopfes, woran ihre Seele nach dem Ableben zu Indras[WS 1] Himmel emporgezogen werden soll, für genugsam bestraft. Mit dem früher in Nepal häufig verhängten Ausreißen der Zunge wurde hier, auch noch nach der Abschaffung dieser Maßregel durch Jan Bahadur, ein Verleumder bestraft, der von den Bauerfrauen für ihre Kinder [302] Lösegelder erpreßt hatte, indem er vorgab, der genannte Premierminister habe ihn mit dem Einfangen hübscher Kinder beauftragt, um sie bei einer Cholera-Epidemie der Todesgöttin Kali zu opfern; dieser Verbrecher wurde vom Richtplatz weg unter Ausrufen der an ihm vollzogenen Sühne durch die Stadt und dann durch alle Dörfer geführt, wo er gefrevelt hatte.

Der Aufstieg zum Gipfel des Swajambunathberges wird durch eine absichtlich aus sehr ungleich hohen Stufen hergestellte Treppe aus Steinen und Felsblöcken außerordentlich erschwert, um den Wallfahrer in eine möglichst bußfertige Stimmung zu versetzen. Ist der Pilgrim dann auf der Höhe der steilen Stiege angelangt, so versperrt ihm ein stattlicher Steinsockel das Weiterschreiten, der einem fast zwei Meter langen vergoldeten „Vajra“ aus Bronze zum Lager dient. Dies sinnbildliche, in Tibet Tortsch, in Sikhim Dordsch[WS 2] genannte Zeichen des Buddhismus und der Allgewalt der Lamas soll ein Bündel Blitze darstellen, das Buddha bei einem Streite mit dem Himmelsgotte Indra diesem aus der Hand gerissen haben soll. Als winziges Bronzegerät wird der Tortsch von den Lamas fast beständig, jedenfalls aber bei Opfern, Beschwörungen, Gottesurteilen, Eheschließungen und anderen Kultushandlungen in der geballten linken Hand getragen, während die rechte eine Glocke oder den zum Vertreiben der Geister dienenden Donnerkeildolch regiert. In bildlichen Darstellungen wird er häufig nur durch ein Zeichen in Form einer liegenden Acht angedeutet.

Riesiger Tortsch vor den vergitterten Nischen; rechts ein opfernder Newari-Mann.

Rechts und links von diesem Dharm-Datu-Mandal[WS 3] genannten Wahrzeichen des Lamaismus halten zwei steinerne Leogryphen die Wacht vor den in den [303] Nischen eines ungeheuren Granitfelsens untergebrachten Heiligtümern; dieser Felsklotz bildet den eigentlichen Berggipfel, der durch Weißtünchen und durch den Aufsatz eines mit den üblichen Augenpaaren bemalten Thoran zum Schait gestempelt wurde, und über diesem Thoran erhebt sich der stets die Schlußspitze buddhistischer Kultusstätten bildende Sonnenschirm als Endpunkt einer Pyramide, die aus elf die buddhistischen Himmel darstellenden Holzscheiben zusammengefügt ist. Dieser Felsbau ist auf allen drei Seiten von Tempeln, Priesterwohnungen und kleinen Schaityas umgeben, so daß er als Mittelpunkt der ganzen Anlage erscheint; aber nur der Thoran ragt über die Umfassungsmauer hinaus, und dieser Aufsatz mit den allsehenden Augen ist das einzige, was man aus der Ferne von den Geheimnissen sehen kann, die dieser Gipfel umschließt.

Die in den Felsblock gehauenen Nischen sind nun sowohl durch die darin sitzend dargestellten Bronzefiguren, wie durch die davor heruntergelassenen Vorhänge aus eisernen Ketten, die äußere Umrahmung und den sonstigen Ausputz gleich interessant. Während aber die Heiligenbilder die verschiedenen auf Erden erschienenen Buddhas darstellen, sind als plastische Verzierung der äußeren Nischenränder Figuren aus dem brahminischen Legendenkreise angebracht, vorwiegend der elefantenköpfige Weisheitsgott Ganesch, die Inkarnationsformen Schiwas, der Göttervogel Garuda und geringelte Schlangen. Diese sind als Reliefs auf den Nischenumrahmungen in Goldblech getrieben oder in Stein gehauen und zeigen bereits deutlich die an dieser Stätte gleichzeitig stattfindende Gottheitsverehrung in den Kultusformen sowohl des Buddhismus wie des Brahminentums.

Der zur Schaitya umgewandelte Gipfelfelsen des Swajambunath-Berges mit dem Thoran-Turme;
links verbeugt sich ein opfernder Newari vor einem Buddha-Bildnis.

Auf meinem Bilde des vor dem Gipfelfelsen liegenden Tortsch streut gerade ein Newari eine Portion Reis als Opfergabe in eine der beiden darin angebrachten Nischen, indem er dabei den Kettenvorhang ein wenig in die Höhe hebt und das Opfer hineinschiebt und so machte es dieser Mann bei sämtlichen Nischen; von diesen sind die beiden sich rechts anschließenden auf dem nächsten Bilde dargestellt, das ich zu meinen allerbemerkenswertesten Photographien zähle. Nachdem nämlich der Newari den Buddhastatuen seine Spenden an Reis, Erbsen und Nüssen in den Schoß gelegt hatte, die dann von den Tempelpriestern heimlich eingesammelt und als Nahrungsmittel verwendet werden sollten, geschah, als er kaum den Rücken gewendet hatte, etwas höchst Überraschendes, das aber völlig zu dem märchenhaften Charakter des ganzen Landes und besonders dieses Ortes paßte.

Diebische Affen stehlen die hinter den Kettenvorhängen niedergelegten Opfergaben.

Zwischen einer hinter dem Felstempel stehenden, auf Seite 305 abgebildeten Gruppe Schaityas wuchs ein Bo-Baum empor, dessen Samenkorn zwischen das Gemäuer einer solchen gefallen sein mochte, da seine Wurzeln dasselbe gewaltsam auseinander gesprengt hatten. In dem Geäste dieses Bo-Baumes hatte lautlos eine Affenherde gesessen, die, wohl von einigen neugierigen Spießgesellen herbeigelockt, in behutsamen Sprüngen herbeikam, als die Spender der Opfergaben außer Sicht waren. Unbekümmert um mich und meine vor den Nischen stehende Maschine machten sich die Tiere, unter denen sehr [304] stattliche Burschen waren, mit bemerkbarer Gier daran, den Rand der Nischen zu erklettern und die Kettenvorhänge beiseite zu schieben. Mit ihren langen Armen holten sie dann durch die aufgezerrte Offnung von den Opfergaben soviel wie möglich heraus und hoben hierauf mit vereinten Anstrengungen den schweren, klirrenden Vorhang noch weiter empor, bis ein kleines Äffchen, das bisher auf dem Rücken seiner Mutter gekauert hatte, hindurchschlüpfen und den Rest der in die Nische hineingeopferten Nüsse und Hülsenfrüchte wieder herauswerfen konnte; wohlweislich ließ der kleine Affe einige verkümmerte und nicht ganz reife Stücke an der Opferstätte zurück und zwängte sich dann wieder auf dem gleichen Wege ins Freie.

Mannshohe Tempellampe aus Bronze. 1/17.

Ich beging nun die Torheit, dem Affenrudel ein paar Brosamen zuzuwerfen, die ich in der Tasche fand, und die ihnen zu munden schienen; dann schritt ich, nichts ahnend, um die Schaitya herum, um die hinter ihr stehenden Tempel, Glockenstühle und Steinsäulen aufzunehmen. Auf der höchsten dieser Säulen stand ein radschlagender Bronzepfau als Abbild des Reittieres des brahminischen Kriegsgottes Kartikeja, und ebenso fielen mir in und vor den Tempeln Lampen von ein bis zwei Meter Höhe auf, in deren Ölschale beständig ein Baumwollendocht brannte und an deren hinterem Rande sich ein Ganeschbild befand. Die Affen folgten mir jedoch auf Schritt und Tritt und hinderten mich an jeder weiteren Aufnahme, denn als ich unter das Dunkeltuch und auf die Einstellscheibe sehen wollte, blickte von draußen ein neugieriger Affe durch das Objektivglas in den Apparat, an dessen Stativbeinen er in die Höhe geturnt war, und wo immer ich die Kamera auch aufftellte, diente sie sofort einigen Vierhändern als willkommenes Klettergerüst.

Natürlich war es mir auch nicht möglich, in dieser gefräßigen Gesellschaft mein Frühstück einzunehmen. Ich lief deshalb mit meinem Proviantkorb aus dem Tempelbezirk auf einen anstoßenden Bergrücken, und erst als ich glaubte, mich genügend weit von der gierigen Bande weggeflüchtet zu haben, und als ich keinen einzigen Affen mehr erblickte, entnahm ich meinem Korbe ein hartgesottenes Ei, das ich auseinanderschnitt, um es mir zu Gemüte zu führen; doch noch ehe ich die eine Hälfte aus der Schale gehoben hatte, nahm ein kleines schwarzes Händchen, das an einem langen, dünnen, behaarten Arm über meine Schulter in das Ei langte, das halbe harte Eigelb aus dem Eiweiß heraus, während gleichzeitig ein anderer Affe die zweite Eihälfte, die ich neben mich gelegt hatte, ergriff und mit ihr davonrannte. Weniger belustigt als ergrimmt wollte ich dem listigen Affen, trotz seiner Heiligkeit, mit einem Knüppel ein paar wuchtige Hiebe verabreichen, doch war er bereits mit seiner Beute in den Tempelhof zurückgeeilt; nie bin ich verdrießlicher über Darwins Lehre gewesen, und nie [305] habe ich sie für anfechtbarer gehalten als angesichts der sozialistischen Begierden dieser Vierhänder.

Links Thoran, rechts Tempel der Pockengöttin; eine der Schaityas ist von Baumwurzeln zersprengt.

Es war für diesen Tag tatsächlich weder an ein ruhiges Frühstück noch an Photographieren zu denken, und ich zog es deshalb vor, meine sieben Sachen zusammen zu packen, wobei es aber nicht ohne einen lebhaften Ziehkampf um das schwarzsamtne Einstelltuch abging, das einem der größten Affen ganz besonders zu gefallen schien, da er es bereits als Schurz um seinen Körper gewickelt hatte. Ich war wirklich in einer ganz seltsamen Lage. Meine Wächter waren, in der Gewißheit, daß ich auf dem von einer Mauer umzogenen Berggipfel keinerlei Aufnahmen machen konnte, die die Sicherheit des Landes zu gefährden geeignet waren, am Fuße der an den Gipfel führenden steilen Treppe zurückgeblieben; sie konnten also die abscheulichen Tiere nicht verscheuchen, gegen [306] die ich keine Gewaltmaßregeln anwenden durfte. Anderseits schienen die Pilger und Tempeldiener meine Auseinandersetzung mit den boshaften Bestien für eine höchst unterhaltende Theatervorstellung zu betrachten, in die sie weder eingreifen durften noch wollten.

Tempel der Pockengöttin auf dem Swajambunath-Gipfel.
Der Pfau aus Bronze auf der vor dem Tempel stehenden Säule ist gegen die aus dem Gipfelfelsen gebildete, rechts zu denkene Scheitya gewendet, an deren unterem Rande der Verfasser lehnt und die heiligen Affen füttert. Oberhalb der Glocke (links) ein Lingam und Joni-Idol. Das Kind des Tempelwächters bangt vor dem photographischen Apparat und verbirgt sein Gesicht.

Es blieb mir nichts übrig, als am nächsten Tage auf den Swajambunath-Berg zurückzukehren, um die beabsichtigte Aufnahme dieses Teiles der Tempelanlagen mit jener Pfausäule zu machen; ich wollte mir gerade diese nicht entgehen lassen, weil ich dort hinten einen Tempel mit zwei Stockwerken im Newaristil bemerkt hatte, der zwar einer brahminischen Gottheit, der Pockengöttin,[WS 4] geweiht war, in dessen Mauer aber ein Fries von lamaistischen Gebetsmühlen untergebracht war; es ist dies derselbe Tempel, der hinter den um den Bo-Baum gruppierten kleinen Schaityas sichtbar ist. Bei diesem zweiten Besuch hatte ich mich mit einem Beutel voll gerösteter Erbsen versehen, mit deren Hilfe es mir gelang, die Affen an Plätze zu locken, wo sie mir bei meiner Arbeit nicht hinderlich waren. Freilich beging ich bei der Anfertigung dieses Bildes unwissentlich ein arges Versehen, indem ich mich, um zugleich mit den meine Erbsen knabbernden Affen auf die Photographie zu kommen, neben einem prachtvoll aus Bronze gearbeiteten Leogryphen auf eine Art von Geländer niedergelassen hatte, das diesen Tempelteil säumte. Erst durch das betrübte Schelten eines Tempeldieners wurde mir klar, daß die auf dem Geländer angebrachten Verzierungen Messingnäpfe waren, die am buddhistischen Neujahrsfest, das in Nepal jedoch wie in Tibet erst bei Frühlingsanfang gefeiert wird, zu Illuminationszwecken dienen, aber wie alles, was zum Tempel gehört, mit größter Ehrerbietung behandelt werden müssen und jedenfalls nicht als Stützpunkte eines Sitzenden dienen dürfen.

Buddha-Steinbild auf dem Swajambunath-Berge,
dahinter das Kloster; rechts kleine Scheityas und eine „Kuta“-Pyramide. Die Affen warten darauf, sich die Opfergaben anzueignen.

Die genannten Beispiele zeigen wohl zur Genüge, wie innig sich die beiden indischen Kulte in ihren Erscheinungsformen an dieser Stätte durchdrungen haben, denn auch gegenüber dem Tempel der Pockengöttin stehen brahminische Lingam- und Yoni-Idole in rührender Eintracht neben buddhistischen Schaityas. Besonders merkwürdig erscheint das im Vordergrund stehende pyramidenförmige Kuta genannte Gebilde, das ein Mittelding zwischen dem Lingam und der Schaitya ist und beinahe auf den Gedanken kommen läßt, daß selbst die Pyramiden der Ägypter, die ja so vieles mit den Indiern gemein, um nicht zu sagen von ihnen entlehnt haben, nicht nur staunenswerte Grabdenkmäler, sondern stilisierte Lingams ungeheuerster Größe vorstellen sollen; wie nahe der Phallusdienst in Ägypten dem Lingamkultus der Indier verwandt ist, wird wohl mancher Leser bereits bemerkt haben. Auch bei der Aufnahme einer aus Stein gemeißelten Buddhafigur, die hart neben dem Tor eines Tempels mit brahminischen Idolen steht und die angesichts dieser schier grenzenlosen religiösen Duldsamkeit durch ihr stilles Lächeln die Torheit des religiösen Fanatismus anzudeuten scheint, konnte ich einige Affen beobachten, die ein paar mit Körben voll Opferspenden beladenen Newarimädchen nicht von der Seite wichen, um nach vollzogenem Opfer sofort bei der Hand zu sein; ein besonders [307] tückisches Tier dieser Bande schlich sich hinter einen Mann, der eben einige Früchte als Opfer in den Schoß des Steinbuddha gelegt hatte, und stahl ihm, als er sich einen Augenblick nach mir umwendete, nicht nur die geopferten Bananen weg, sondern schlug ihn obendrein mit der Hand auf den Kopf, so daß dem armen Menschen sein kleiner schwarzer Turban über die Augen und Ohren rutschte und schließlich zu Boden fiel.

Garudafigur aus Bronze. ⅔.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Indra: vergleiche Indra
  2. WS: Vajra, Tortsch, Dordsch: vergleiche Vajra/Dorje
  3. WS: Dharm-Datu-Mandal: vergleiche Dharmadhatu und Tehsil (Mandal)
  4. WS: Pockengöttin: Ajima, vergleiche Hariti