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Nischen eines ungeheuren Granitfelsens untergebrachten Heiligtümern; dieser Felsklotz bildet den eigentlichen Berggipfel, der durch Weißtünchen und durch den Aufsatz eines mit den üblichen Augenpaaren bemalten Thoran zum Schait gestempelt wurde, und über diesem Thoran erhebt sich der stets die Schlußspitze buddhistischer Kultusstätten bildende Sonnenschirm als Endpunkt einer Pyramide, die aus elf die buddhistischen Himmel darstellenden Holzscheiben zusammengefügt ist. Dieser Felsbau ist auf allen drei Seiten von Tempeln, Priesterwohnungen und kleinen Schaityas umgeben, so daß er als Mittelpunkt der ganzen Anlage erscheint; aber nur der Thoran ragt über die Umfassungsmauer hinaus, und dieser Aufsatz mit den allsehenden Augen ist das einzige, was man aus der Ferne von den Geheimnissen sehen kann, die dieser Gipfel umschließt.

Die in den Felsblock gehauenen Nischen sind nun sowohl durch die darin sitzend dargestellten Bronzefiguren, wie durch die davor heruntergelassenen Vorhänge aus eisernen Ketten, die äußere Umrahmung und den sonstigen Ausputz gleich interessant. Während aber die Heiligenbilder die verschiedenen auf Erden erschienenen Buddhas darstellen, sind als plastische Verzierung der äußeren Nischenränder Figuren aus dem brahminischen Legendenkreise angebracht, vorwiegend der elefantenköpfige Weisheitsgott Ganesch, die Inkarnationsformen Schiwas, der Göttervogel Garuda und geringelte Schlangen. Diese sind als Reliefs auf den Nischenumrahmungen in Goldblech getrieben oder in Stein gehauen und zeigen bereits deutlich die an dieser Stätte gleichzeitig stattfindende Gottheitsverehrung in den Kultusformen sowohl des Buddhismus wie des Brahminentums.

Der zur Schaitya umgewandelte Gipfelfelsen des Swajambunath-Berges mit dem Thoran-Turme;
links verbeugt sich ein opfernder Newari vor einem Buddha-Bildnis.

Auf meinem Bilde des vor dem Gipfelfelsen liegenden Tortsch streut gerade ein Newari eine Portion Reis als Opfergabe in eine der beiden darin angebrachten Nischen, indem er dabei den Kettenvorhang ein wenig in die Höhe hebt und das Opfer hineinschiebt und so machte es dieser Mann bei sämtlichen Nischen; von diesen sind die beiden sich rechts anschließenden auf dem nächsten Bilde dargestellt, das ich zu meinen allerbemerkenswertesten Photographien zähle. Nachdem nämlich der Newari den Buddhastatuen seine Spenden an Reis, Erbsen und Nüssen in den Schoß gelegt hatte, die dann von den Tempelpriestern heimlich eingesammelt und als Nahrungsmittel verwendet werden sollten, geschah, als er kaum den Rücken gewendet hatte, etwas höchst Überraschendes, das aber völlig zu dem märchenhaften Charakter des ganzen Landes und besonders dieses Ortes paßte.

Diebische Affen stehlen die hinter den Kettenvorhängen niedergelegten Opfergaben.

Zwischen einer hinter dem Felstempel stehenden, auf Seite 305 abgebildeten Gruppe Schaityas wuchs ein Bo-Baum empor, dessen Samenkorn zwischen das Gemäuer einer solchen gefallen sein mochte, da seine Wurzeln dasselbe gewaltsam auseinander gesprengt hatten. In dem Geäste dieses Bo-Baumes hatte lautlos eine Affenherde gesessen, die, wohl von einigen neugierigen Spießgesellen herbeigelockt, in behutsamen Sprüngen herbeikam, als die Spender der Opfergaben außer Sicht waren. Unbekümmert um mich und meine vor den Nischen stehende Maschine machten sich die Tiere, unter denen sehr

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Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/385&oldid=- (Version vom 4.7.2018)