Dresdens Straßen und Plätze

Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896) Todtenschau Dresdens Straßen und Plätze (1892) von Otto Richter
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896)
Der Abschiedsbrief des letzten mittelalterlichen Pfarrers von Dresden
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[2]
Dresdens Straßen und Plätze.
Vortrag, am 27. Januar 1892 gehalten
von
Dr. Otto Richter.


Es ist noch nicht lange her, daß die wissenschaftliche Forschung neben der Völker- und Staatengeschichte auch die Geschichte der einzelnen Städte und Ortschaften in den Bereich ihrer Thätigkeit gezogen hat. Bis auf die neuere Zeit war die Pflege der Ortsgeschichte fast ausschließlich Sache wohlmeinender aber ungeschulter Lokalpatrioten, die sie zumeist in der Art der alten Chronikenschreiber behandelten, indem sie sich auf eine Zusammenstellung der äußern Ereignisse beschränkten, ohne Verfassung und Recht, Kultur und Sitte gebührend zu berücksichtigen. Trotz aller Mängel aber erfreuen sich die alten Chroniken von der Zeit her, wo sie die einzigen Quellen waren, aus denen der Bürger Belehrung über die Vorzeit seiner Stadt schöpfen konnte, beim Volke auch jetzt noch eines großen Ansehens. „Die Chronik“, wie man schlechthin sagt, wird noch vielfach als eine Art Protokoll betrachtet, in welchem jedes Zeitalter genaue Kunde von sich niedergelegt habe. Diese Anschauung ist leider eine irrige. Die Chroniken, wie wir sie für die meisten unserer Städte besitzen, sind gewöhnliche, nachträglich zusammengestellte Bücher, in denen sich die ganze Harmlosigkeit der in früheren Jahrhunderten üblichen Geschichtsbetrachtung und -Behandlung widerspiegelt. Nicht blos daß die Chronikenschreiber oft die wichtigsten Urkunden, die sich ihnen als Quellen darboten, unbeachtet gelassen, nicht blos daß sie ganz unbeglaubigte und unwahrscheinliche mündliche Ueberlieferungen für Thatsachen genommen, haben sie es nicht selten sogar für unbedenklich gehalten, leere Zeiträume mit den Erzeugnissen ihrer eignen Phantasie auszufüllen! Natürlich ist unter diesen Umständen die Glaubwürdigkeit solcher Chroniken um so geringer, je weiter die erzählten Ereignisse in der Vergangenheit zurück liegen.

Die frühesten chronikalischen Nachrichten über unser Dresden stammen erst aus dem 16. Jahrhundert. Was in so später und so wenig zur Vertiefung in die Vergangenheit angelegter Zeit niedergeschrieben ist, müßte uns schon verdächtig erscheinen, auch wenn es nicht mit den auf anderm Wege zu ermittelnden Thatsachen in Widerspruch stände. Welch weitgehendes Mißtrauen hier am Platze ist, dafür einen einzigen Beleg: die im Jahre 1679 erschienene, in mancher Hinsicht treffliche Chronik von Antonius Weck nimmt an, daß die Burg Dresden bereits im Jahre 808 von Karl dem Großen angelegt worden sei; sie beruft sich dafür auf den mittelalterlichen Geschichtsschreiber Regino und weiß die betreffende Stelle wörtlich anzuführen. In Wirklichkeit aber findet sich von einer Erwähnung Dresdens in Reginos ganzem Werke nicht eine Spur! – Wie nun sollen wir denn zu der gewünschten Kenntniß von den Anfängen unserer Stadt gelangen, wenn eine Gründungsurkunde, wenn Berichte von Zeitgenossen nicht vorhanden sind? Gewiß, an schriftlichen Zeugnissen fehlt es gänzlich, aber es giebt einen Augenzeugen, einen stummen zwar, der sich jedoch zum Sprechen bewegen läßt, wenn man sich liebevoll mit ihm beschäftigt und ihm persönlich nahe tritt: dieser Zeuge ist unsere Stadt selbst!

Schon ihr Name bietet einen willkommenen Anknüpfungspunkt. Es lohnt nicht, näher auf die verschiedenartigen Deutungsversuche einzugehen, die man in früherer Zeit mit ihm angestellt hat, sie können bei dem heutigen Stande der Wissenschaft nur noch scherzhaft behandelt werden. So nimmt ein älterer Schriftsteller fälschlich an, daß der römische Feldherr Drusus Germanicus auf seinen Kriegszügen bis in unsere Gegend gekommen sei und hier eine monumentale Trophäe, ein Siegesdenkmal, errichtet habe: da soll nun der Name Dresden aus tropaea Drusi zusammengezogen sein! Ein anderer leitet ihn ab von den großen Teichen die um die Stadt herum lagen, den sogenannten drei Seen, und giebt deshalb dem Namen die auch heute nicht ganz ungewöhnliche Form „Dräsen“. In Wirklichkeit ist, wie Sie wissen, das Wort weder lateinischen noch deutschen, sondern slawischen Ursprungs. Aber auch die bis in die neuesten Chroniken fortgeschleppte Ableitung von einem slawischen Worte trasi, das „Fähre“ bedeuten soll, ist gänzlich haltlos, da es ein solches Wort in den slawischen Sprachen einfach gar nicht giebt. Vielmehr ist Dresden nach der Ansicht Sprachkundiger aus dem altslawischen Worte drezga, d. h. Wald, mit der zur Bezeichnung von Einwohnernamen dienenden Endung -jan gebildet, wie sie in der heutigen niederlausitzischen Form Drezdzany noch erkennbar ist, und bedeutet also: die Waldleute. Diese Deutung steht durchaus im Einklange mit den örtlichen Verhältnissen: die Dresdner Haide reichte ehemals bis dicht an den Ort heran und selbst das linke Elbufer war noch spät nicht weit oberhalb und unterhalb der Brücke bewaldet, erst im 15. Jahrhundert wurde die Gegend des heutigen Theaterplatzes aus Haideland in einen kurfürstlichen Schloßgarten umgewandelt.

Der Name also beweist uns, daß Dresden, wie fast alle Ortschaften unseres Elbthalkessels, ursprünglich eine slawische Ansiedelung gewesen ist. Einwandernde Sorben sollen während der Völkerwanderung die germanischen Bewohner dieser Gegend verdrängt und sich in Dörfern hier niedergelassen haben. Diese slawische Bevölkerung wurde im 10. Jahrhundert vom König Heinrich unterworfen und durch die von ihm ins Land [3] gezogenen deutschen Ansiedler dem Christenthum und allmählich auch dem Deutschthum zugeführt. Eine solche Wandlung hat auch das sorbische Dorf Dresden durchzumachen gehabt. Ich sage das Dorf, denn an eine Stadt Dresden ist in jener Zeit noch nicht zu denken. Der Sage nach soll die Stadt von dem auf dem rechten Elbufer liegenden Dorfe aus gegründet worden sein. Damit geht die Sage sicher zu weit, aber soviel dürfte daran Wahres sein, daß das rechtselbische Dresden das ursprüngliche Dorf gewesen ist. Von da aus mögen dann einzelne Einwohner auf das linke Elbufer übergesiedelt sein, ohne aus dem Verbande des rechtselbischen Dorfes auszuscheiden. So bildeten die Ansiedelungen auf beiden Ufern ein einziges Gemeinwesen mit gemeinschaftlichem Namen. Noch im 14. Jahrhundert wird in Urkunden auch die Vorstadt um die Frauenkirche herum als Altendresden bezeichnet, während sich dieser Name bald nachher auf den rechtselbischen Ort einschränkte. Vielleicht ist der Dorftheil auf unserer Seite nicht vor dem 10. Jahrhundert entstanden, nachdem bereits das Christenthum hier Wurzel gefaßt hatte, vielleicht hat sogar erst die Erbauung einer Kirche, der Frauenkirche, zu Ansiedelungen da herum den Anlaß gegeben.

Für die Zeit der Erbauung dieser Kirche giebt uns einen gewissen Anhalt der Name eines Dorfes, Poppitz, das sich an der Stelle befand, wo noch heute in der Wilsdruffer Vorstadt ein Platz als „Poppitz“ bezeichnet wird. Dieses Dorf war dem Dresdner Pfarrer bis zur Reformation zinspflichtig und gerichtsunterthan, auch besaß die Pfarre hier ihre Aecker. Der Name Poppitz ist vom slawischen pop, Priester, abzuleiten und bedeutet also die Priesterleute, die Pfarrleute, oder freier ausgedrückt: Pfaffenhof. Wenn dieses dem Pfarrer zu seinem Einkommen zugewiesene Dorf in slawischer Sprache benannt wurde, so geht daraus hervor, daß die Ausstattung der Pfarre bereits zu einer Zeit erfolgte, wo die Bevölkerung dieser Gegend noch ganz überwiegend slawisch war, also wohl nicht sehr lange nach der Eroberung des Landes, vielleicht im 10. oder 11. Jahrhundert. Ein so hohes Alter werden wir also auch der Frauenkirche zuschreiben dürfen.

Bei alledem handelt es sich immer nur um ein Dorf Dresden, bestehend aus zwei Hälften rechts und links der Elbe. Wie aber ist daraus eine Stadt geworden? Nun, aus dem Dorfe Dresden ist die Stadt Dresden eigentlich gar nicht entstanden, sondern neben dem Dorfe. Die alten Stadtmauern bildeten annähernd ein Fünfeck, an dessen Ecken die fünf Stadtthore standen, nämlich am Ende der Schloßgasse, Frauengasse, Kreuzgasse, Seegasse und Wilsdruffer Gasse. Die ganze alte Dorfanlage an der Elbe mit der Frauenkirche lag somit außerhalb der Stadtmauern; diese Lage der städtischen Pfarrkirche ist nur erklärlich, wenn man annimmt, daß sie bereits vor der Gründung der Stadt bestanden hat und daß die Bodenverhältnisse es verhindert haben, sie und ihre Umgebung in die Mauern mit einzuschließen. Noch im 14. Jahrhundert befand sich vor dem Frauenthore ein nur theilweise ausgetrockneter See; wahrscheinlich lag die ganze Fläche viel tiefer als jetzt und war häufigen Ueberschwemmungen ausgesetzt.

Schon ein flüchtiger Blick auf den Grundriß der Stadt, dessen Kenntniß ich ja wohl bei Ihnen voraussetzen darf, giebt einige Aufklärung über die Art ihrer Entstehung. Dieser Grundriß ist von jeher derselbe gewesen, wie er sich in der innern Altstadt noch heute darstellt: in der Mitte der Markt, von ihm nach Norden und Süden je zwei, nach Osten und Westen je drei Gassen rechtwinklig auslaufend, außerdem einige auf die Nord–Süd–Linie rechtwinklig aufstoßende Seitengassen. Eine Stadt von solcher Regelmäßigkeit der Anlage kann nicht, wie manche andere, aus einem Dorfe erwachsen sein, das sich etwa durch das Hinzutreten neuer Ansiedler allmählich erweiterte durch seine Lage und die Zahl seiner Bewohner eine Bedeutung für Handel und Verkehr gewann, einen Markt einrichtete, Marktrecht und Stadtrecht vom Landesherrn erhielt und sich mit Mauern umgab. Dresden ist vielmehr nach einem vorher festgestellten Plane begründet, in welchem das ursprüngliche Dorf keinen Platz fand. Doch ging dessen Name auf die Stadt mit über und diese wurde im Gegensatze zu dem alten Dorfe als Neudresden bezeichnet.

Die Urheber einer solchen planmäßigen Stadtgründung können nur die Markgrafen gewesen sein, die das Land hier im Besitz hatten und denen allein die Mittel zu einem solchen Unternehmen zu Gebote standen. Sie hatten ja den Vortheil davon, wenn sich ihr Land mit Menschen füllte und wüster Boden urbar gemacht wurde, denn von den Ländereien, die sie vergaben, erhielten sie nun Zins, während sie ihnen bisher nichts eingebracht hatten. Wie der Gründer, so waren auch die herbeigezogenen Ansiedler Deutsche; war doch die Stadt nachher mit Magdeburgischem, also deutschem Rechte bewidmet, was unbedingt eine deutsche Bürgerschaft voraussetzte. Dresden ist somit, trotz seines slawischen Namens, eine rein deutsche Stadtgründung.

Auf die Wahl des Platzes war es gewiß nicht ohne Einfluß, daß er nach mehreren Seiten hin schon einen natürlichen Schutz in den erwähnten Teichen oder Seen besaß, die sich, ursprünglich vielleicht einen ununterbrochenen Gürtel bildend, von der Gegend des jetzigen Postplatzes bei der Marienstraße und Waisenhausstraße herum bis zur Moritzstraße hin zogen und wovon sich bis in unser Jahrhundert als Reste der [4] sogenannte See bei der jetzigen Straße „Am See“ und der Jüdenteich auf dem heutigen Georgplatze erhalten hatten. Bestimmend für die Anlage der Stadt an dieser Stelle war aber wohl die Absicht, hier einen Knotenpunkt für den sich anbahnenden Handelsverkehr zwischen dem Westen und Osten zu schaffen, der hier seinen Uebergang über die Elbe nehmen sollte, eine Absicht, die gänzlich fehlschlug, da dieser Verkehr den bequemeren Weg durch das weiter nördlich beginnende Tiefland einschlug. Wahrscheinlich verband damals eine Fähre – nur nicht trasi genannt! – die beiden Dorfhälften. Denn die Annahme, daß die Elbbrücke schon vor der Stadt oder wenigstens vor der Burg Dresden bestanden habe, muß als ausgeschlossen gelten. Der Einwohnerschaft eines armseligen Dorfes wäre es allein doch unmöglich gewesen, mit ihren geringen Hilfsmitteln ein solches Bauwerk, das nicht selten der Beschädigung oder gar der Zerstörung durch Wasserfluthen und Eisgang ausgesetzt war, im Stande zu erhalten, und ebensowenig ließ sich diese bauliche Unterhaltung von fernher bewerkstelligen. Die Brücke muß also später oder frühestens gleichzeitig mit der Stadt gebaut worden sein, und zwar gewiß zunächst von Holz. Als dann die Gemahlin Heinrichs des Erlauchten ein angebliches Stück vom Kreuze Christi mitgebracht hatte und durch Ausstellung dieser wunderthätigen Reliquie in der Nikolaikapelle, der späteren Kreuzkirche, ein lebhaftes Zuströmen der Gläubigen aus der ganzen Umgegend stattfand, mußte die Kirche ein großes Interesse daran haben, daß dieser einträgliche Verkehr nicht durch die leicht möglichen Beschädigungen der hölzernen Brücke unterbrochen werde, und so hat vielleicht die Kirche aus ihren reichen Opferpfennigen für Erbauung und Unterhaltung einer steinernen Brücke gesorgt, womit sich der spätere enge Zusammenhang des Kreuzkirchenvermögens mit der Brücke im sogenannten Brückenamte wohl am ungezwungensten erklären würde. Ich möchte hierbei dem vielverbreiteten Irrthume entgegentreten, als ob die Brücke von den Burggrafen von Dohna erbaut worden sei. Der Zoll, den diese übrigens nicht auf der Brücke, sondern an ihrem Ende in Altendresden erheben ließen, ist nur fälschlich als Brückenzoll bezeichnet worden; er war in Wirklichkeit ein Straßenzoll für Benutzung der Straße von Dresden nach Königsbrück, auf welcher ihnen, und zwar erst seit dem 15. Jahrhundert, als Besitzern der Herrschaft Königsbrück das Geleitsrecht zustand. Von einer Mitwirkung der Dohnaischen Grafen bei dem Baue oder der Unterhaltung der Brücke ist niemals die Rede gewesen.

Als den ältesten bebauten Theil der Stadt bezeichnet die Sage den Taschenberg. Man wird dies als richtig zugeben können. Denn sicher ist zuerst die markgräfliche Burg erbaut worden, ungefähr an der Stelle des westlichen Flügels des jetzigen Schlosses. Von hier aus wurde die Anlage der Stadt geleitet, etwa in folgender Weise. Zunächst legten die markgräflichen Beamten den Stadtplan fest, indem sie die Straßen absteckten und die Befestigungslinie bestimmten. Den Kaufleuten und Handwerkern, die sich hier niederlassen wollten, wurden gewisse Vortheile, insbesondere Steuerfreiheit auf längere Zeit, in Aussicht gestellt und dies im Lande ausgerufen. Die neuen Ansiedler erhielten zur Errichtung ihrer Wohnstätten Bauplätze in den abgesteckten Straßen angewiesen, und zwar unentgeltlich und nur gegen einen ganz geringen an den Markgrafen als bisherigen Eigenthümer des Grund und Bodens zu zahlenden Zins, den sogenannten Worf- oder Gatterzins, der später an den Rath überging und von diesem zum Geschoß geschlagen wurde. Diesen ersten Ansiedlern mußte natürlich die Burg als Schutz dienen, so lange die Stadtbefestigung noch nicht durchgeführt war.

Das Dorf Dresden hatte schon Jahrhunderte hindurch bestanden, ehe sein Name in Urkunden zum ersten Male genannt wird. Dies geschieht im Jahre 1206, wo Markgraf Dietrich einen Grenzstreit zwischen dem Meißner Bischof und den Burggrafen von Dohna hier schlichtet. Es ist nicht anzunehmen, daß der Markgraf eine solche Verhandlung zwischen zwei mächtigen Nachbarn, die doch ein angemessenes äußeres Auftreten des Schiedsrichters erforderte, in dem einfachen Dorfe Dresden abgehalten hätte, wenn er nicht bereits eine Burg hier besaß. Zehn Jahre später, in einer Urkunde von 1216, wird Dresden ausdrücklich als Stadt bezeichnet. Trotz der Seltenheit schriftlicher Zeugnisse aus jener Zeit wäre es andrerseits zu verwundern, wenn eine Burg und Stadt von der Bedeutung, daß sie schon von dem nächsten Markgrafen zur dauernden Residenz erwählt wurde, nicht bereits früher einmal erwähnt worden wäre, wenn sie früher überhaupt bestanden hätte. Man wird deshalb kaum fehlgehen, wenn man annimmt, daß die Burg Dresden nicht lange vor 1206 und die Stadt erst um 1216 vollendet und daß sonach Markgraf Dietrich der Bedrängte, der zuerst hier urkundet, als ihr Erbauer zu betrachten sei.

Lassen Sie uns nun zunächst einen Blick auf das Aeußere der so entstandenen Stadt werfen! Die anfänglichen Befestigungen waren gewiß von der einfachsten Art: eine Mauer von mäßiger Höhe, davor ein Graben, der aus dem umliegenden Seengürtel mit Wasser gespeist wurde. Immerhin war eine solche Stadtbefestigung ein gewaltiges Werk, das sich erst innerhalb vieler Jahrzehnte und unter den größten Opfern seiten des Landesherrn und der Bürgerschaft [5] zu Stande bringen ließ und das dann im Verlauf der Jahrhunderte fortwährender Arbeit bedurfte, wenn es den Fortschritten der Kriegführung gewachsen bleiben sollte. Eine gründliche Verstärkung der Stadtmauern und Vertiefung des Grabens erfolgte im 14. Jahrhundert, im 15. wurde ringsherum eine vorgeschobene Befestigung mit einer zweiten Mauer, der sogenannte Zwinger, angelegt und die Ringmauer durch zahlreiche Thürme, mindestens 13, verstärkt, im 16. Jahrhundert erfuhren die Festungswerke wieder einen vollständigen Umbau, indem die Stadtmauer ganz niedergelegt und an ihrer Stelle ein System mächtiger Steinwälle mit Basteien und Schanzen aufgeführt wurde, wie es dann im Wesentlichen bis in unser Jahrhundert hinein bestehen geblieben ist. Eine starke Festung war Dresden schon frühzeitig. Weder die Hussiten im 15. noch die Schweden im 17. Jahrhundert haben auch nur den Versuch gemacht, sie zu belagern, und die Beschießungen der Stadt durch Kurfürst Johann Friedrich im Jahre 1547 und durch Friedrich den Großen im Jahre 1760 haben sie nicht zur Uebergabe zu zwingen vermocht. Mit Gewalt ist unsere Stadt nur ein einziges Mal genommen worden, als sie wohl noch ihre ursprüngliche schwächere Befestigung hatte, nämlich im Jahre 1315 durch die Brandenburger, die das Wilsdruffer Thor erstürmten und die thüringische Mannschaft Markgraf Friedrichs des Freidigen aus der Stadt hinausschlugen. Die stärksten Theile der Befestigung bildeten die fünf Stadtthore, jedes mit einem thurmartigen Thorhause, in welchem der Thorwächter wohnte, überbaut, von wo aus eine Zugbrücke über den Stadtgraben führte.

So mag die Umfassung der Stadt, die Mauer mit ihren Zinnen und Thürmen, Thoren, Brücken und Bollwerken, im Mittelalter immerhin ein malerisches Aussehen gehabt haben, wogegen es ihr im Innern noch sehr an hervorragenden Bauwerken mit hohen Giebeln und Thürmen fehlte.

Begeben wir uns nun durch eins der Stadtthore geraden Wegs in den Mittelpunkt der Stadt, auf den Markt, so sind wir überrascht von den bedeutenden Größenverhältnissen des Platzes, wie sie in diesen Abmessungen selbst in den uralten großen Reichsstädten selten vorzukommen pflegen. Mußte man doch bei der Anlage von Städten überall darauf bedacht sein, den Raum zu sparen und die Verkehrswege auf das nothwendigste Maß einzuschränken, um nicht die Ringmauer eine zu große Ausdehnung gewinnen zu lassen und ihre Vertheidigung dadurch zu erschweren. Wenn der Markgraf hier trotzdem einen so großen Marktplatz hatte anlegen lassen, so kann dies nur in der Absicht geschehen sein, die Stadt zum Mittelpunkt eines bedeutenden Handelsverkehrs zu machen, ihr also eine Rolle zuzuweisen, die sie in der Folge nicht zu spielen vermocht hat. Der Markt mußte in jener Zeit noch größer erscheinen als jetzt, da die ihn umgebenden Häuser damals durchgängig viel niedriger waren. Freilich boten sich dem freien Ueberblick auch mancherlei Hindernisse. Vor den Häusern zwischen Schössergassen- und Schloßgassen-Ecke stand frei auf dem Markte das Kaufhaus, in welchem die werthvollen Waaren, namentlich Stoffe und Pelzwerk, zum Verkauf ausgelegt waren und das später, als die Stadt aus der Verwaltung eines markgräflichen Vogtes in die eines eignen Stadtraths überging, zugleich als Rathhaus dienen mußte. Um das Kauf- und Rathhaus herum lagerten sich Lauben, Bänke und Buden zum Feilhalten von allerhand Waaren, davor standen die Schranken des Stadtgerichts, das seine Sitzungen noch auf freiem Markte abhielt, daneben der Pranger zur Vollstreckung der Leibesstrafen, sowie an den Ecken mehrere Laufbrunnen. Die Benennung dieses Platzes als Markt, oder, wie man oft auch sagte, „Ring“ ist so alt wie die Stadt selbst. Das Wort Markt bezeichnet sowohl den Handelsverkehr als den Handelsplatz. Beide waren das erste Erforderniß einer Stadt; denn erst der freie Verkehr auf dem Markte, das ihn regelnde Marktrecht und das daraus sich entwickelnde Stadtrecht machten den Ort zur Stadt. Der Verkehrsraum der Stadt bestand aus dem Markte und den Gassen, und wie diese dann zur Unterscheidung einzelne Namen beigelegt erhielten, so gebrauchte man auch für einzelne Theile des Marktes gewisse Benennungen. Der Platz vor den am Rathhause befindlichen Schuhbänken hieß der Schuhmarkt, die Gegend am Eingange der Badergasse, wo der Holzhandel stattfand, die Holzecke und in späterer Zeit der Fischmarkt, die Ecke an der jetzigen Löwenapotheke, wo die Vogelhändler saßen, die Vogelecke u. s. w.

Wenn wir nun den einzelnen Straßen und ihren Namen nachgehen, so wäre es ganz verfehlt zu glauben, daß man bei der Gründung der Stadt solche Namen, wie es jetzt geschieht, amtlich bestimmt habe, etwa gar so, daß der markgräfliche Vogt einen Maler mit dem Farbentopfe herumschickte, um an den Eckhäusern die Namen fein säuberlich weiß auf blau anzumalen! Solche Straßenschilder sind überall erst eine Erfindung der Neuzeit und hier im Jahre 1803 eingeführt worden. Ebenso gehört, mit wenigen Ausnahmen, die Bezeichnung der innenstädtischen Verkehrswege als „Straßen“ statt „Gassen“ erst unserm Jahrhundert an. In älterer Zeit verstand man unter Straßen fast nur das, was wir jetzt Landstraßen nennen. Warum man die Straße für etwas Vornehmeres hält als die Gasse, ist mir immer unerfindlich gewesen, es müßte denn sein, weil sie fremdländischer Herkunft, vom lateinischen strata [6] abgeleitet, ist! Die Straßennamen sind in älterer Zeit ebenso wie die Familiennamen überhaupt nicht festgesetzt worden, sondern aus dem Bedürfnisse nach genaueren Unterscheidungen ganz allmählich erwachsen. So sprach man ursprünglich etwa von „Hans dem Fleischer, der da wohnt unten nach dem See zu“, oder „in der Gasse, die nach dem See führt“, und erst nach und nach kürzer „Hans Fleischer in der Seegasse“, oder ein „Niclas mit dem Barte“ wohnte „unter den Webern“ oder „in der Gasse, da die Weber sitzen“, und erst später sagte man kurz „Niclas Bart in der Webergasse“. Auf diese Weise hat man sich in den alten Städten Jahrhunderte lang ohne feststehende Gassennamen beholfen, z. B. in Straßburg bis ins 13. Jahrhundert. In Dresden erscheinen die ersten Gassennamen urkundlich im Jahre 1324, also etwa ein Jahrhundert nach der muthmaßlichen Erbauung der Stadt, und in dieselbe Zeit fällt ungefähr auch die Entstehung der Familiennamen. Die Gassennamen wurden immer von den nächstliegenden Beziehungen abgeleitet: von einem in der Richtung der Gasse gelegenen Orte oder Gewässer, von der Flur, auf der sie angelegt worden, von angrenzenden Kirchen, Klöstern und andern Gebäuden, von den in der Gasse vorwiegend wohnenden Einwohnerklassen oder von dort angesessenen hervorragenden Familien.

Die alten Häuserlisten nach der Eintheilung in Stadtviertel beginnen jederzeit mit der Seegasse. Auf die Beziehung dieser Gasse zu den vor der Stadt liegenden kleinen Seen habe ich schon hingewiesen. Dicht an den Seen selbst lagen auch noch vorstädtische Gassen, genannt die „Gassen hinter dem alten und neuen See“. Davon sind noch Theile übrig in der Gasse Am See, d. i. dem neuen oder Untersee, und in der Gasse am alten oder Obersee, der Oberseergasse. Es ist erfreulich, daß gerade diese Namen, welche auf die Beschaffenheit der Gegend noch vor der Gründung der Stadt hinweisen, trotz gegentheiliger Bestrebungen bis heute aufrecht erhalten worden sind. Die Seegasse ist auch eine von den beiden, die zu allererst, bereits 1324, erwähnt werden. Die andere ist die Kundigengasse, so benannt nach einem darin angesessenen Adelsgeschlechte, den Kundigen, die mehrere Güter in der Umgegend, z. B. Wildberg und Helfenberg, besaßen. Schon in der Reformationszeit war, wie die verderbten Formen „Konigengasse“ und „Konigsgasse“ beweisen, der Ursprung des Namens beim Volke in Vergessenheit gerathen und man vertauschte ihn seitdem mit der nichtssagenden Benennung „Breitegasse“.

Die gleiche Bewandtniß hat es mit der Zahnsgasse, die ihren Namen einer hervorragenden Bürgerfamilie Zahn verdankt. Sie bietet ein ergötzliches Beispiel, mit welcher Kritiklosigkeit man früher bei solchen Erklärungen verfuhr. Der sonst so verständige Chronist Hasche meint nämlich, die Zahnsgasse heiße eigentlich „Sanisgasse“, zusammengezogen aus „Sanitätsgasse", hergeleitet von dem Sanitätshause, das dort unten an der Stadtmauer seinen Platz hatte (es ist das jetzige Schröersche Eckhaus an der Wallstraße). Nun hieß erstens dieses Haus, das in Pestzeiten das Krankenpflegpersonal beherbergte, nicht Sanitätshaus, sondern Pestilenzhaus, und zweitens ist es erst im Jahre 1574 eingerichtet worden, während die Zahnsgasse genau in dieser Namensform schon im Jahre 1396 genannt wird. So geht es, wenn man derartige Erklärungen auf bloße Vermuthungen statt auf Nachforschungen in den Archiven begründet!

Wir kommen zur kleinen und großen Webergasse, welche den Stadttheil bezeichnen, wo im Mittelalter vorwiegend die damals hier noch sehr zahlreichen Wollen- und Leineweber wohnten; das Leineweber-Innungshaus hat sich bis auf die neuere Zeit dort befunden. Seitdem der Rath um das Jahr 1500 an der Ecke der großen Webergasse und des Marktes ein kupfernes Scheffelmaß als Normalmaß für den Marktverkehr aufgehängt hatte, begann der Volksmund die große Webergasse auch als Scheffelgasse zu bezeichnen, ein Name, der schon binnen einem Jahrzehnt den älteren ganz verdrängte. Was die Wilsdruffer Gasse betrifft, so liegt es auf der Hand, daß ihr Name zunächst mit dem Wilsdruffer Thore zusammenhängt, von wo aus der Weg nach dem Nachbarorte Wilsdruff, ursprünglich Wilandsdorf, führte. Man nannte sie im Mittelalter kurz die „Wilische Gasse“. Die Schloßgasse hieß bis ins 16. Jahrhundert „Elbgasse“ nach dem sie am Nordende abschließenden Elbthore. Der Name der großen und kleinen Brüdergasse schreibt sich von dem an ihrem Ausgange gelegenen, im 13. Jahrhundert begründeten Kloster der Franziskaner oder Minderbrüder (fratres minores) her, von dessen Kirche die Grundmauern noch in der heutigen Sophienkirche erhalten sind.

Einige Schwierigkeit bietet die Erklärung des Namens Taschenberg. Er war ein ziemlich weit verbreiteter; so gab es im Mittelalter in Schlesien mehrere Dörfer dieses Namens, ferner in Breslau einen Taschenberg vor dem Taschenthore, zu welchem die Taschenbergische Gasse oder Taschengasse führte, ebenso in Brieg, auch vor der Stadt Bautzen und bei der Burg Dohna lag ein Taschenberg. An seine Ableitung vom Handwerk der Täschner ist nicht zu denken: eine Gasse der Täschner würde auch schon im Mittelalter Täschnergasse, nicht Taschengasse geheißen haben, und überdies waren doch Täschner auf den Dörfern, die den Namen tragen, gar nicht vorhanden. Man wird daher annehmen müssen, daß unter einem Taschenberg [7] eine bestimmte Art von Bodenerhebung zu verstehen ist; in der That giebt es ein in der Schriftsprache fast gar nicht auftretendes volksthümliches Wort Tasche, das eine Erhöhung mit einseitigem Abfall bedeutet, und noch heute nennt man in manchen Gegenden Norddeutschlands ein an ein größeres Haus angelehntes Gebäude mit einhängigem Dache eine Tasche. Ein Taschenberg ist somit eine Bodenerhebung mit einseitiger Abdachung, in unserm Falle wohl nach der Elbe zu.

Wir verlassen nun die westliche Hälfte der Stadt, die vorwiegend von den wohlhabenden Bevölkerungsklassen bewohnt war, und begeben uns über die Schloßstraße herüber in die minder bevorzugte Osthälfte mit ihren enger zusammengedrängten Gassen und kleineren Häusern und Höfen. Durch die Sporergasse, die, anfangs ein namenloses Gäßchen, ihren Namen erst im 16. Jahrhundert von einigen dort arbeitenden Sporern oder Schlossern erhielt, gelangen wir ins Judenviertel. Es ist dies die Gegend der unteren Schössergasse und Galeriestraße. Hier wohnten die Juden, deren Zahl sich im Mittelalter auf höchstens 10 bis 20 Familien belief, zwar auf diese beiden Gassen beschränkt, aber nicht allein, sondern mit Christen zusammen, weshalb ihre Gassen nicht wie anderwärts durch Thore oder Ketten abgeschlossen waren. Am unteren Ende der beiden Gassen stand die Synagoge, verbunden mit einem Brauhause. Nach der Ausplünderung und Vertreibung der Juden im Jahre 1430 ward dieses sehr umfangreiche Gehöfte vom Rathe erworben und seitdem als Zeughaus, Gewandhaus, Getreidespeicher und Brauhaus benutzt. Der Platz, an dem es stand, führt davon noch heute den Namen Jüdenhof. Die beiden benachbarten Gassen, in denen die Juden wohnten, hießen die große und die kleine Judengasse. Die große Judengasse wird seit dem 16. Jahrhundert Schössergasse genannt. Dieser Name ist zurückzuführen auf den in der Gasse ansässigen Ambrosius Erich, der unter den Kurfürsten Moritz und August lange Zeit das Amt eines Schössers d. h. Geschoßeinnehmers und Amtmanns für den Dresdner Landbezirk bekleidete. Die kleine Judengasse hieß ursprünglich Windische Gasse und war offenbar in der ältesten Zeit von Einwohnern wendischer Herkunft besetzt gewesen, die ebenso wie die Juden in der Stadt nur geduldet waren und sich, gezwungen oder freiwillig, eng zusammenschlossen. Die Anwesenheit zahlreicher Wenden in der Stadt oder wenigstens in der Umgegend noch im 16. Jahrhundert ergiebt sich auch daraus, daß man alljährlich zu dem großen Johannis-Ablaßfeste einen wendischen Prediger nach Dresden holen ließ. Diese windische oder kleine Judengasse hieß dann drei Jahrhunderte lang meist die große Frauengasse, bis man 1861 diesen Namen zur Vermeidung von Verwechselungen mit der eigentlichen Frauengasse in Galeriestraße, nach der im Stallgebäude damals befindlichen Gemäldegalerie, umwandelte. Daß die Frauenstraße, ursprünglich „Unser lieben Frauen Gasse“ genannt, ihren Namen der nahegelegenen, der Jungfrau Maria geweihten Kirche verdankt, bedarf keines näheren Nachweises. Ihre Fortsetzung nach der Schloßstraße hin, die Rosmaringasse, wird wahrscheinlich deshalb so benannt sein, weil man dort Rosmarinzweige für die Kirchgänger feilhielt, die nach alter, in manchen Gegenden noch jetzt nicht ausgestorbener Sitte sich oder die Gräber ihrer Lieben damit schmückten.

Von der Frauengasse bis zur Kreuzgasse, also zwischen den beiden nach den Kirchen benannten Gassen, dehnt sich nun ein Viertel aus, dessen enge, ehemals unreinliche und zum Theil sogar verrufene Gassen unsere Vorfahren gewiß nicht, wie wir die sie jetzt durchschneidende König Johann-Straße, zu Spaziergängen benutzt haben. Da ist zunächst die Kuttelgasse, wo der Kuttelhof seine Wohlgerüche verbreitete, bis er im Jahre 1473 hinaus vor das Wilsdruffer Thor an den Mühlgraben verlegt ward. Diese Gasse heißt dann seit dem 16. Jahrhundert die Schustergasse, seit 1861, vermeintlich vornehmer, Schuhmachergasse; sie hat für den Alterthumsfreund insofern etwas Anheimelndes, als sie wohl die einzige der innern Stadt ist, in welcher von Alters her noch ein bestimmtes Gewerbe eine beherrschende Stellung einnimmt, denn noch heute befindet sich hier fast in jedem Hause die Wohnung und der Laden eines Schuhmachers.

Das Viertel auf der Ostseite des Marktes, in das wir von hier aus gelangen, bis hinüber zur Kreuzgasse, hatte im Mittelalter für seine Gäßchen keine besonderen Namen, sondern wurde nur im Ganzen als das Loch bezeichnet, offenbar weil seine Bodenfläche etwas tiefer lag als der Markt; wie ja auch in Leipzig die Südhälfte des Marktes das Loch hieß. Erst im 16. Jahrhundert wurden den einzelnen Gassen dieser Gegend Namen beigelegt und die Bezeichnung Loch schränkte sich seitdem auf eine einzige Gasse ein; diese „Lochgasse“ ist erst in unserm Jahrhundert, nach der dort befindlichen öffentlichen städtischen Badeanstalt, der Rathsbaderei, in Badergasse umgetauft und neuerdings in die König Johann-Straße umgewandelt worden. Die übrigen Gassen des Lochs sind die große und kleine Büttelgasse oder Frohngasse, so benannt nach der dort befindlichen Büttelei oder Frohnfeste, die Weißegasse, die Schwarzegasse oder kleine Frohngasse und die Kirchgasse, auch Nasengasse genannt, von einer im 16. und 17. Jahrhundert dort ansässigen Bäckerfamilie Nase; nach deren Verschwinden wußte sich das Volk den Namen nicht mehr zu erklären [8] und nannte die Gasse Nassegasse, eine Bezeichnung, die wohl zu manchen Zeiten auch nicht ganz unzutreffend war. Neben der Kreuzgasse bleiben schließlich noch die Schulgasse, die Pfarrgasse und die Schreibergasse übrig, deren Namen alle auch mit der benachbarten Kreuzkirche und Kreuzschule zusammenhängen. Die älteren Kreuzschüler, die dem Schulmeister als Gehilfen oder Schulgesellen dienten, wurden hier und auch anderwärts bis ins 16. Jahrhundert Schreiber genannt; vielleicht darf man aus dem Namen Schreibergasse sogar den Schluß ziehen, daß sich in der ältesten Zeit die Kreuzschule oder wenigstens ein Wohnhaus für die Schreiber dort befunden habe.

Nach diesem Rundgange durch die innere Stadt bitte ich Sie, mir hinaus in die außerhalb der Mauern um die Stadt herum gelagerten vorstädtischen Gassen zu folgen. Solche Vorstadtgassen gab es, auch abgesehen von denen, die ursprünglich Dörfer und älter als die Stadt selbst waren, wohl schon seit deren Gründung. Die Bewirthschaftung der Bürgeräcker und der damals noch häufigen Weingärten erforderte doch von Anfang an die Anlegung von Scheunen und Wirthschaftshöfen vor der Stadt, mit denen naturgemäß die Wohnstätten der Wirthschaftsleute sich verbanden. Diese Vorstädte waren aber im Mittelalter nicht von dauerndem Bestande, denn in Kriegszeiten wurden sie beim Herannahen eines Feindes aufgegeben und der Sicherheit der Stadt wegen von den Bürgern selbst zerstört. Nur nothgedrungen ließen sich auch Handwerker draußen nieder, namentlich die, welche, wie die Müller und Gerber, zu ihrem Gewerbebetriebe der Wasserkraft bedurften. So lange es irgend anging, suchte die wachsende Bevölkerung noch innerhalb der schützenden Stadtmauern Unterkunft, und die Stadt ist daher im 16. und 17. Jahrhundert mehr in die Höhe als in die Breite gewachsen. Nach dem 30 jährigen Kriege aber wurde allmählich der Bevölkerungszuwachs aus der überfüllten Stadt hinausgedrängt und es ließen sich Handwerker in größerer Zahl draußen nieder, wie auch andrerseits die Nähe der Stadt auf die besitzlose Landbevölkerung ihre Anziehungskraft auszuüben begann. Ein wesentlich verändertes Aussehen erhielten die ärmlichen Vorstädte, als im 17. Jahrhundert Mitglieder des Fürstenhauses und des Adels auf dem noch reichlich vorhandenen Raume prächtige Wohngebäude mit großen Lustgärten anlegten. In unserm Jahrhundert aber sind schließlich auch diese bei dem schnellen Steigen des Grundwerthes größtentheils wieder zerstückelt und zur Anlegung von Straßenzügen benutzt worden, und das Zeitalter des Dampfes hat die Vorstädte zum Schauplatz einer geräuschvollen Großindustrie gemacht.

Nach der Erbauung der Stadt konnte natürlich das draußen um die Frauenkirche herum liegende Dorf Dresden kein selbständiges Dasein mehr führen, zumal da die Kirche selbst den Bürgern als Pfarrkirche diente: der kleine Ort trat zur Stadt in das Abhängigkeitsverhältniß einer Vorstadt. Man bezeichnete sie als die Häuser „auf der Brücke“ und „an der Elbe“ und theilte sie in eine Ober- und Niedergemeinde, beide unzweifelhaft hauptsächlich von Fischern bewohnt. Ein Ueberrest der ursprünglichen Dorfeigenschaft dieser Fischergemeinde waren noch im 16. Jahrhundert die dem Landesherrn zu leistenden Jagddienste, zu denen auch das Städtchen Altendresden auf dem rechten Elbufer verpflichtet war, das ja ursprünglich mit der Fischergemeinde zusammen ein Dorf gebildet hatte. Mindestens schon im 14. Jahrhundert bauten sich neben den Fischern die Töpfer an, die wegen der Feuergefährlichkeit ihres Gewerbes in der Stadt nicht geduldet wurden. Die Benennungen Fischergasse und {SperrSchrift|Töpfergasse}} wurden jedoch erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts üblich. Haben wir in der Fischergasse, der jetzigen Brühl’schen Gasse, den Kern des ursprünglichen slawischen Dorfes Dresden zu suchen, so treten uns ganz in der Nähe, jenseit der Frauenkirche, auch die Spuren einer uralten deutschen Ansiedelung entgegen. Es ist die Rampische Gasse und die sich daran anschließende Pillnitzer Straße, früher äußere Rampische Gasse genannt. Die Rampische Gasse führt diesen stark abgekürzten Namen bereits seit 500 Jahren, daneben kommt aber auch noch im Anfange des 15. Jahrhunderts die vollständigere Form „Rampoldische Gasse“ vor. Der Name hat natürlich nicht das geringste mit einer „Rampe“ zu thun, sondern rührt von einem Dorfe Ranvoltiz her, das als Lehnsbesitz des Maternihospitals im Anfange des 14. Jahrhunderts urkundlich erwähnt wird und zweifellos in der Richtung dieser Gasse vor der Stadt lag. Ranvoltiz ist zusammengesetzt aus dem deutschen Personennamen Ramfold und der slawischen Endung icy, eine Ortsnamenbildung, wie sie auf unserm Boden, wo einst zwei Sprachen um die Herrschaft rangen, wiederholt vorkommt, z. B. auch beim Dorfe Arntiz, ursprünglich Arnoltiz. Ranvoltiz bedeutet die „Leute des Ramfold“ oder, freier übersetzt, Ramfoldsheim. Die Art der Namengebung beweist, daß die Niederlassung des Deutschen Ramfold ebenso wie die Gründung von Poppitz zu einer Zeit erfolgte, wo die Bevölkerung hier noch überwiegend slawisch war. Wir kennen von jenem Ramfold leider nichts als den Namen, aber wir werden ihn uns gern als eine streitbare und kraftvolle Persönlichkeit vorstellen, denn nur solche Männer konnten es unternehmen, sich in dem eben erst niedergeworfenen feindlichen Lande zu friedlicher Thätigkeit niederzulassen. Was ist nun, fragen wir, aus dem [9] Dorfe des Ramfold, dieses ersten uns bekannten deutschen Ansiedlers in unserer Gegend, geworden? Ranvoltiz wird, auch in der Form Ramaltiz, nur in den Jahren 1310 bis 1316 genannt, dann verschwindet es aus den Urkunden. Dagegen erscheint ein halbes Jahrhundert später, um 1370, die platea Ramtiz, Ramtizgasse oder Rampoldische Gasse und als ihre äußere Fortsetzung die via Ramticz, die Rampische Straße. Nun bietet sich gerade in jener Zeit durchaus kein Anhalt, welcher das vollständige Verschwinden eines so nahe an der Stadt gelegenen und ihr gehörigen Dorfes erklären würde. Man muß daher annehmen, daß das Dorf gar nicht verschwunden, sondern bei der Ausbreitung der Vorstadt in diese hineingewachsen ist. So ist im 14. Jahrhundert aus der villa Ranvoltiz die via Ramtiz, aus dem Dorfe eine bloße Vorstadtgasse, die äußere Rampische Gasse, geworden.

Noch zwei andere Vorstadtgassen auf dieser Stadtseite werden schon im 14. Jahrhundert erwähnt, die Ziegelgasse, bekanntlich nach den an ihrem Ausgange gelegenen Ziegeleien so genannt, und die Pirnaische Gasse, von der der innere Theil seit 1859 den Namen Landhausstraße führt.

Diese ganze Gegend vor dem Elb- und Frauenthore, die bei der Gründung der Stadt außerhalb der Mauern geblieben war, wurde später doch noch zur Stadt gezogen, als sich das Bedürfniß geltend machte, die Festungswerke bis an die Elbe hinauszuschieben und mehr Raum für die Bebauung zu gewinnen. In den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts nämlich ließ Herzog Georg die Elbvorstadt durch einen starken Wall an die Stadt anschließen. Freilich blieben beide noch getrennt durch die alte Stadtmauer, die sich vom Schlosse herüber zum Jüdenhofe, von da nach dem Ausgange der Frauengasse und weiter nach dem Ende der Kreuzgasse hinzog. Aber bei dem vom Kurfürsten Moritz ausgeführten vollständigen Umbau der Festungswerke ward dieses Stück der Stadtmauer niedergelegt, der Stadtgraben eingeebnet und damit die vollständige Vereinigung dieser „Neustadt an der Elbe“, wie sie damals kurze Zeit genannt wurde, herbeigeführt. Auf dem durch die Einebnung des Grabens gewonnenen Raume entstand nun um das Jahr 1550 der zweite große Platz Dresdens, der Neumarkt, auch Frauenmarkt genannt, und mehrere neue Straßen: zunächst von der Brücke her die neue Elbgasse, die gleichzeitig auch die Namen Brückenstraße, untere Moritzstraße oder Gasse am Stalle führte, bis sie zur Zeit Augusts des Starken in Augustusstraße umgetauft ward; weiter entstand damals die große Fischergasse, seit 1840 Münzgasse genannt, ferner die große und kleine Schießgasse, bei dem dort befindlichen Schießhause der Armbrustschützen, sodann die Moritzstraße, so benannt dem Kurfürsten Moritz zu Ehren, der sie im Jahre 1548 selbst anlegen ließ und die gewonnenen Bauplätze meist seinen Adeligen und Hofbeamten schenkte; sie hieß daher auch die Herren- oder Junkergasse, beim Volke aber spottweise die Bettelgasse.

Endlich gehört auch die Friesengasse jener Zeit an. Von ihr erzählt der Chronist Hasche, sie habe ihren Namen daher, daß dem Herzog Georg, als er die Stellung eines kaiserlichen Gubernators von Friesland aufgab, eine Anzahl treue Friesen hierher gefolgt und von ihm an dieser Stelle angesiedelt worden seien. Wenn mir nicht etwa der Beweis erbracht wird, daß die Bewohner der Friesengasse heute noch plattdeutsch sprechen, bedaure ich, die rührende Geschichte von den treuen Friesen als eine Sage verwerfen zu müssen, die ein paar Jahrhunderte später lediglich aus dem Namen der Gasse zurechtgemacht worden ist. Die Friesengasse ist vielmehr, wie aus den Akten hervorgeht, erst mit der Moritzstraße entstanden und verdankt ihren Namen einem kurfürstlichen Fourier Franz Friese, der ein Stück Hinterland der Moritzstraße an sich brachte und es in den Jahren 1556 bis 1570 theils als Baustellen verkaufte, theils selbst mit Häusern besetzte; nach ihm hieß die Gasse ursprünglich „Friesens Gäßlein“. Der treue Friese entpuppt sich somit als ein prosaischer Bauspekulant.

Dem Umstande, daß diese ganze Gegend um die Frauenkirche herum erst nachträglich an die Stadt angegliedert worden ist, verdanken wir den Besitz eines zweiten großen Marktplatzes. Wäre das alte Dorf gleich bei der Gründung der Stadt mit in die Mauern aufgenommen worden, so würde hier vermuthlich ein Viertel von engen und unregelmäßigen Gäßchen im Stile der Fischergasse entstanden sein. So aber hat die Einebnung des breiten Stadtgrabens und die Freilegung des Jüdenhofes von der Stadtmauer, sowie die spätere Hinzunahme des Frauenkirchhofs die Herstellung des stattlichen Neumarktes ermöglicht. Diese spätere, im ursprünglichen Stadtplane nicht vorgesehene Entstehung und die seitliche Lage des Platzes hat freilich zur Folge gehabt, daß er dem städtischen Verkehr immer etwas entrückt geblieben ist. Daran wäre auch wenig geändert worden, wenn man, wie es Kurfürst Christian im Jahre 1591 beabsichtigte, das Rathhaus auf den Neumarkt versetzt hätte. Der Rath machte damals geltend, daß dadurch der Bürgerschaft in der alten Stadt die Nahrung entzogen und diese „fast öde“ werden würde, eine Befürchtung, die sicher grundlos war. Wenn doch noch einmal, wie es geplant ist, unser Rathhaus vom Altmarkte wegverlegt wird, so wird nicht der Verkehr, sondern nur die historische Bedeutung des Platzes Einbuße erleiden.

Die übrigen Vorstädte bieten nach der geschichtlichen [10] Seite nicht viel Bemerkenswerthes, und ich möchte mich daher mit der Hervorhebung weniger Einzelheiten begnügen. Von wesentlichem Einfluß auf die Lage und Entwicklung der älteren vorstädtischen Gassen waren die Gewässer, welche die Umgebung der Stadt durchzogen, theils Seen oder Teiche, theils die Kaitzbach und der Weißeritzmühlgraben. Zu den Seen, von denen die größeren, der Ober- und Untersee, bereits früher erwähnt wurden, gehörte auch der Jüdenteich. Sein Name mag wohl daher rühren, daß im Mittelalter die Juden vielleicht ihren Begräbnißplatz hier gehabt haben. Der Jüdenteich wurde erst Ende der 1840er Jahre zugeschüttet und in einen Platz umgewandelt, der seit 1871 Georgplatz heißt. Die angrenzende Bürgerwiese war in früherer Zeit dazu bestimmt, den Heubedarf für die städtischen Marstallpferde zu liefern. Sie war wohl ursprünglich auch mit Wasser bedeckt; noch in unserm Jahrhundert lag sie viel tiefer als das sie umgebende Land, war auch mit einer Mauer eingefriedigt. Es ist ein großer Gewinn für die Verschönerung unserer Stadt gewesen, daß dieses Stück öffentlicher Besitz nicht, wie der größte Theil des durch die Niederlegung der Festungswerke gewonnenen Landes, zu Baustellen vergeudet, sondern in Anlagen umgewandelt worden ist, die die Stadt mit dem Großen Garten, einer der kostbarsten Schöpfungen unseres Fürstenhauses, in unmittelbare Verbindung bringen. So wurde an dieser Stelle der feste und breite Gürtel, zu dem die Vorstädte allmählich sich ausgewachsen hatten, durchbrochen und die freie Natur bis dicht an das Herz der Stadt herangeführt.

Eine Anzahl kleinere Teiche befanden sich auf der Westseite, in der späteren Wilsdruffer Vorstadt. Der letzte Rest davon war die Entenpfütze auf dem jetzigen Freiberger Platze. Im Mittelalter aber zogen sich von da an noch eine Anzahl solcher „Pfützen“, wie man sie nannte, über die ganze städtische Viehweide herüber, über den jetzigen Schützenplatz hinweg, dem der Name Viehweide noch bis zum Jahre 1851 geblieben war, bis an die Elbe herab. Hier unten an der Elbe, etwa in der Gegend des kleinen Ostrageheges, hatte in alter Zeit ein von wenigen Fischern bewohntes Dörfchen, Fischersdorf mit Namen, gelegen, dessen Bewohner es aber bereits im 13. oder 14. Jahrhundert, vielleicht der Ueberschwemmungsgefahr wegen, aufgegeben und sich landeinwärts am anderen Ende der städtischen Viehweide angebaut hatten, wo ihnen der Fischreichthum der erwähnten Teiche ebenfalls auskömmliche Nahrung bot. Der Name Fischersdorf wurde hierbei auf die neue Ansiedelung übertragen. Als mit der fortschreitenden Bebauung jener Vorstadtgegend die Teiche allmählich verschwanden, gingen die Fischersdorfer Einwohner von der Fischerei zum bloßen Fischhandel über und haben diesen bis auf die neuere Zeit betrieben; auch behielt der eigentliche Kern ihrer Gemeinde den Namen Fischersdorf, bis er im Jahre 1855 in Fischhofplatz umgetauft ward. Dieses Fischersdorf ward mit dem dicht daneben liegenden Dorfe Poppitz im Jahre 1550 der Stadt Dresden einverleibt, ebenso auch das jenseits der Elbe liegende Städtchen Altendresden. Diesem haben wir noch einige Worte zu widmen.

Altendresden war in seiner Entwicklung durch die gegenüberliegende Stadt sehr beeinträchtigt worden und bis zum Anfange des 15. Jahrhunderts ein armseliges Dorf geblieben. Markgraf Wilhelm I. suchte es zu heben, indem er es im Jahre 1403 zur Stadt machte und ein Augustinerkloster drüben stiftete, aber der Erfolg hiervon war gering. Es blieb ein unbedeutender Ort, der bei der Einverleibung in die Stadt Dresden nicht viel zu verlieren hatte, aber auch wenig gewann, weil der Rath zu Dresden ihn seitdem auch nur als Vorstadt behandelte. Nachdem Altendresden 1685 fast vollständig niedergebrannt war, wurde es durch die Fürsorge Augusts des Starken in größerem Stile wieder aufgebaut und erhielt durch ihn den Namen Neustadt bei Dresden. Im Gegensatze hierzu wurde das bisherige Neudresden, die Residenz, als Altstadt bezeichnet, es fand also geradezu eine Namenvertauschung statt. Damals erst wurde die Hauptstraße und die Königstraße angelegt und zwar in Größenverhältnissen, die dem geringen Verkehr im Orte nicht entfernt entsprachen und jenen neuen Straßen einen Anstrich der Langweiligkeit verliehen, den sich die Königstraße bis auf den heutigen Tag bewahrt hat. In älterer Zeit hatte das Städtchen nur die wenigen vom Markte ausgehenden Gassen aufzuweisen gehabt: die Badergasse, jetzt Blockhausgäßchen, die Meißnische Gasse, den Kohlmarkt, im Mittelalter Verkaufsplatz für die vielgebrauchten Holzkohlen, jetzt Körnerstraße genannt, die Rhänitzgasse, die Breitegasse, jetzt Kasernenstraße, und die Klostergasse, sowie einige Verbindungsgäßchen. Den vorderen Theil der Hauptstraße nahm bis zum Brande die Kirche mit dem sie umgebenden Kirchhofe ein, das kleine Rathhaus stand, wie eine der schönen Canalettoschen Ansichten es zeigt, rechts vom Eingange in die Hauptstraße. Die lebhafte Entwicklung der Neustadt seit dem vorigen Jahrhundert hat die ursprüngliche Anlage fast unverändert fortbestehen lassen und in einer bloßen Angliederung neuer Straßen und ganzer Stadttheile bestanden. Diese im Einzelnen durchzusprechen müssen wir uns hier versagen.

Endlich ist noch der Friedrichstadt jenseits der Weißeritz zu gedenken, die im Jahre 1670 vom Kurfürsten Johann Georg II. planmäßig angelegt und dazu bestimmt ward, der damals emporkommenden [11] Industrie eine nahe an der Residenz gelegene Stätte zu bieten und dadurch deren Erwerbsverhältnisse zu fördern. So wenig aber einst der Gründer Dresdens dieses zu einer großen Handelsstadt hatte machen können, so wenig ward die Friedrichstadt ein lebhafter Industrieort. Sie blieb trotz ihrer auf größere Verhältnisse berechneten Anlage ein bescheidenes Landstädtchen, in das erst lange nach seiner Vereinigung mit der Hauptstadt die großstädtische „Civilisation“ ihren Einzug gehalten hat.

So haben wir die Gründung, Entwicklung und allmähliche Ausbreitung unsrer Stadt in ihren Hauptzügen kennen gelernt. Lassen Sie uns zum Schluß noch einen Blick auf das Aeußere der Straßen werfen, wie es im Laufe der Jahrhunderte sich verändert hat. Von dem Aussehen der Straßen im Mittelalter und noch im 15. Jahrhundert können wir uns ungefähr einen Begriff machen, wenn wir uns das Bild eines Bergstädtchens wie etwa Altenberg vor Augen halten, nur müssen wir es uns fast noch ärmlicher und namentlich unsauberer ausmalen: in ungepflasterten, von offenen Gossen, Schutthaufen und Holzstößen verengerten Gassen meist einstöckige, mit dem Giebel nach vorn gewendete Häuser von Holz oder Fachwerk, mit Schindeln gedeckt; dazwischen nur wenige Steinbauten, wie das Schloß, die Kreuzkirche, das Rathhaus und eine Anzahl Häuser vornehmer Bürger. War aber doch selbst das Rathhaus noch um die Mitte des 15. Jahrhunderts zum Theil mit Schindeln gedeckt! Es ist kaum ein Verlust für uns, daß aus dieser Zeit nicht ein einziges Bauwerk auf uns gekommen ist, außer etwa die Fundamente einzelner Theile des Schlosses und die Gewölbe im Innern des Georgenthores. Das mittelalterliche Dresden ist theils durch den großen Brand von 1491, theils durch die Bauthätigkeit der Landesherren vom 16. bis zum 18. Jahrhundert gründlich weggewischt worden.

Mit Erfolg nahm zuerst Herzog Georg die Verschönerung seiner Residenz in die Hand. Im Jahre 1533 berichtet der bekannte Hofprediger Cochläus, die Stadt Dresden habe an Gebäuden und Befestigungen solche Fortschritte gemacht, daß, wer sie seit 30 Jahren nicht gesehen, sie nicht wiedererkennen werde; man baue hier jetzt Häuser, die in manchen Städten und auf dem Lande für herrliche Schlösser gelten würden. Leider sind aus dieser ersten Blüthezeit des Dresdner Bauwesens auch nur einige spärliche Reste erhalten: als einziges Beispiel spätgothischen Stils der Erker an dem Eckhause der Wilsdruffer- und Schloßstraße, ferner als Denkmale der Früherenaissance das Georgenthor, freilich nur noch stückweise, und der Runderker mit dem niedlichen Fries tanzender Knaben an dem Schmidtschen Hause Ecke der Frauenstraße und des Neumarktes.

Auf die Zeit Georgs folgte unmittelbar eine zweite Verschönerungsperiode unter den Kurfürsten Moritz, August und Christian. Große Bauten wurden unter Moritz am Schlosse ausgeführt, das damals die Gestalt erhielt, wie die beiden Höfe sie großentheils jetzt noch zeigen, während die prächtigen Außenfassaden durch den Schloßbrand von 1701 zerstört worden sind. Kurfürst August errichtete das gewaltige Zeughaus, Christian I. das Stallgebäude mit dem Stallhofe, einen großartigen Prachtbau, von dessen Aeußerem die wiederholten Umbauten auch nur weniges übrig gelassen haben; doch bietet der Hof mit seinen Arkaden und den mit Weinlaub bewachsenen Giebeln noch heute eins der prächtigsten alterthümlichen Architekturbilder in unserer Stadt. Fast alle Privathäuser erhalten in jener Zeit Giebelaufsätze, zum Theil mit Figuren geschmückt, eine Bauart, die den Anblick der Straßen ungemein reich und lebendig gestaltet gegenüber der später allgemein werdenden Geradlinigkeit der Dächer. Von diesen Dachgiebeln sind auch nicht mehr viele vorhanden, einige am Altmarkte und hinter der Kreuzkirche. Die meisten Häuserfassaden waren überdies durch Erker belebt, aber nicht mehr runde und thurmartige, sondern rechteckige; auch von ihnen haben sich manche erhalten, hauptsächlich wohl, weil ihre Beseitigung ohne den Abbruch der ganzen Schauseite nicht ausführbar war. Einen recht freundlichen Eindruck machen die Hausthüren in Gestalt kleiner niedriger Rundbogenportale mit Muschelnischen und Sitzplätzen, deren noch etwa ein Dutzend die ursprüngliche Form bewahrt haben, das hübscheste davon an dem in diesen Tagen abgebrochenen Eckhause der Schloßstraße und des Taschenberges.

Diese kunstreiche Bauweise des 16. Jahrhunderts hat das 17. nicht fortzuführen verstanden; selbst eine der besten Schöpfungen jener späteren Zeit, die zierliche Fassade des Schönrockschen Hauses in der Wilsdrufferstraße, stellt insofern einen Rückgang dar, als ihre Verzierungen nicht im Charakter des Steins, sondern mehr des gepreßten Leders gehalten sind. Die Holzarchitektur, die vielen norddeutschen Städten ein so gemüthliches Gepräge giebt, ist in Dresden nie heimisch gewesen. Zwar waren hier auch hölzerne Häuser vorhanden, aber es waren dies durchgängig ärmliche Hütten, die alles bildnerischen Schmuckes entbehrten. Holzhäuser mit überhängenden Stockwerken kamen hier nur vereinzelt in den Vorstädten vor, wie solche z. B. in der Kanalgasse noch zu sehen sind, in der inneren Stadt hat man sie nie geduldet; auf den bekannten Tzschimmerschen Straßenansichten aus dem Jahre 1678 findet sich nicht ein einziges abgebildet. Die Billigkeit des Steinmaterials ermöglichte den Wohlhabenden hier schon zeitig den Steinbau, und seit dem 16. Jahrhundert haben die Landesfürsten und die Stadtbehörde alles gethan, um selbst die ärmsten Bürger zur Beseitigung [12] der feuergefährlichen hölzernen Häuser zu veranlassen. Die letzten verschwanden doch erst durch das Eingreifen Augusts des Starken, der überhaupt für die bauliche Gestaltung unserer Stadt eine neue Zeit herbeiführte und geradezu ihr zweiter Gründer geworden ist. Was unter der Anregung dieses in hohem Grade kunstverständigen Fürsten von einheimischen und fremden Kräften ersten Ranges geleistet ward, das genügte, um das Dresden seiner Zeit Paris zur Seite zu stellen! Ich brauche sie nicht aufzuzählen, die Bauten jener phantasiereichen und kunstfrohen Barockzeit; wir sind so glücklich, die herrlichsten davon noch vor Augen zu sehen: Pöppelmanns Zwinger, Bährs Frauenkirche, Chiaveris Hofkirche, und daneben noch gar manche prächtige Wohngebäude mit ihren zierlich geschmückten Fassaden, ihren luftigen Treppenhäusern, ihren reizenden Brunnenanlagen. Diese Schöpfungen sind es hauptsächlich, was Dresden als seinen besonderen Antheil an der Fortentwicklung der Kunst in die Wagschale zu werfen hat. Ihnen vor allem verdankt unsere Stadt den Weltruf ihrer Schönheit, und wenn man ihr den erhalten will, sollte man jene Schöpfungen nicht blos anstaunen, sondern ihren geistigen Inhalt lebendig zu erfassen und für die Weiterentwicklung unserer Stadt fruchtbar zu machen suchen. Das rechte Verständniß für solche Aufgaben kann aber nur hervorgehen aus liebevoller Beschäftigung mit der Vorzeit, mit der heimischen Geschichte. Sie weckt und stärkt zugleich die Liebe zur Heimat, aus der Gemeinsinn und Opferfreudigkeit im engern Kreise erwächst, die aber auch der feste Grund ist, worauf die Vaterlandsliebe ihre Tempel baut. Wenn wir daher heute eine Stunde bei der Vorzeit unserer Vaterstadt verweilt haben, so ist dies gewiß nicht unwerth des festlichen Tages, an dem sich unser Volk zu innigen Wünschen vereint für das theure Vaterland und sein kaiserliches Haupt!