Der Abschiedsbrief des letzten mittelalterlichen Pfarrers von Dresden

Dresdens Straßen und Plätze Der Abschiedsbrief des letzten mittelalterlichen Pfarrers von Dresden (1892) von Otto Richter
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896)
Merkwürdige Häuser
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Der Abschiedsbrief
des letzten mittelalterlichen Pfarrers von Dresden.
(Mit Nachbildung.)

Die Zeitgenossen eines großen Mannes, die mit ihm, sei es als Freund oder als Gegner, in Beziehung standen, sind für immer mit ihrem Andenken verknüpft und bleiben der Nachwelt merkwürdig, auch wenn sie an sich nicht bedeutend waren.

Als die Wittenberger Hammerschläge Doktor Martin Luthers ein neues Zeitalter ankündigten, wirkte als Pfarrer in Dresden D. Petrus Eyssenberg. Er war zu Halle geboren, hatte in Leipzig studirt, war dann an der dortigen Universität Professor der Theologie gewesen und im Jahre 1512 als Pfarrer nach Dresden berufen worden. Ein streitbarer und wohl auch etwas eigennütziger Herr, der seinem Amte an Einfluß und Vortheilen nie das geringste vergab, hatte er mit dem Rathe der Stadt manchen Strauß auszufechten: wegen der von ihm erbauten Queckbornkapelle, die dem Brückenamte die Einkünfte entzog, wegen des Bierschanks, den er zum Schaden der Bürger in der Pfarre hinter der Kreuzkirche betrieb, wegen der Gerichtsbarkeit im Pfarrlehndorfe Poppitz, die der Rath gern an sich gerissen hätte, wegen Wuchers mit Kirchengeldern, Erbschleicherei seiner Kapläne und mancher andern Mißstände. Bei den Bürgern erfreute er sich daher geringer Beliebtheit. Im Jahre 1521 wurden ihm einmal die Fenster eingeworfen, und als man 1529 die jetzt im Stadtmuseum aufgehängten zehn Bilder mit Darstellungen der zehn Gebote für den Rathhaussaal malen ließ, durfte der Künstler auf der Darstellung des sechsten Gebots das Wappen des Pfarrers anbringen – gewiß eine deutliche Sprache! Weil aber D. Eyssenberg fest an den Lehren und Gebräuchen der alten Kirche hing und eifrig gegen Luther wirkte, genoß er die Gunst des altgläubigen Herzogs Georg und durfte diesem wohlmeinenden und frommen, aber die Zeichen der Zeit nicht erkennenden Fürsten vor seinem Tode am 17. April 1539 das Abendmahl und die letzte Oelung reichen.

Mit Georgs Tode trat ein gewaltiger Umschwung ein. Sein Nachfolger Herzog Heinrich war Lutheraner und erließ am 3. Juni 1539 auch für Dresden das Verbot der katholischen Gebräuche. Die Kirchenreformation vollzog sich hier wie im ganzen Lande in aller Ruhe, da die Bürger mit wenigen Ausnahmen im Stillen längst Anhänger der bisher streng verbotenen Lehre gewesen waren. Sehr duldsam zeigten sich die neuen Lutheraner freilich auch nicht: denen, die an den alten Gebräuchen festhielten, ließ der Rath sagen, sie sollten sich „packen“.

Der Pfarrer Eyssenberg schwankte anfangs, ob er sich nicht doch dem Zuge der Zeit anschließen solle, denn es kam ihn schwer an, das Pfarrhaus, das er 27 Jahre lang bewohnt hatte, räumen zu müssen. Schließlich aber entschied er sich ablehnend, indem er erklärte, daß er die Lutherischen Gebräuche nicht kenne und namentlich nicht wisse, wie man allen den Kelch reichen solle. Seine Stelle erhielt Johann Cellarius, der bereits am 27. Juni eingewiesen ward. Er selbst wurde mit einem Ruhegehalt entlassen und ist lange nachher in hohem Alter in Bautzen gestorben.

Aus diesen Tagen der Entscheidung stammt ein Brief Eyssenbergs, der merkwürdig genug ist, um hier im Wortlaute und in getreuer Nachbildung der eigenartigen

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Brief des Pfarrers D. Peter Eyssenberg an den Bürgermeister Gregor Biener
vom Juni 1539.

[14] Schriftzüge mitgetheilt zu werden. Ein Vetter von ihm, Hans Krause aus Halle, wollte Bürger in Dresden werden, und der Bürgermeister Gregor Biener hatte sich bereit erklärt, statt der gewöhnlichen, 59 Groschen betragenden Bürgerrechtsgebühr vom Pfarrer zwei große Brotteller und zwei Schenkkannen von Zinn anzunehmen, deren Werth dieser auf fast das Dreifache angiebt. Eyssenberg schreibt nun dem Bürgermeister einen Brief, worin er die Sache so wendet, als ob er der Stadt ein Abschiedsgeschenk mache und diese um seiner ihr erzeigten guten Dienste willen dem Vetter die Gebühr erlassen möge. Um Aufsehen und Gerede zu vermeiden, sende er die Kannen und Teller („Becken“) nicht aufs Rathhaus, sondern dem Bürgermeister in die Wohnung. Er habe auch noch einige lederne Feuereimer bei sich, die er aufs Rathhaus schicken wolle. Man sieht, er ist bereits mit dem Aufräumen zum bevorstehenden Abzuge beschäftigt. Die Vereidigung Krauses zum Bürger erfolgte am 7. Juni, um diesen Tag herum muß der Brief geschrieben sein.

Zu der Mittheilung Eyssenbergs, er habe die fraglichen Geschirre dem Rathe bereits testamentarisch vermacht gehabt, schreibt der Stadtschreiber Dr. Heußler die Bemerkung hinzu, nach seiner Aussage habe er auch noch einen Becher, den ihm der Rath (1513 bei seiner Doktorpromotion) geschenkt hatte, diesem im Testament wieder zugedacht. Der Brief lautet:

„Ersamer weiser Er burgermeister und gefatter. Unser gisterichen abrede nach ubersende ich hie die 2 groß bratteler, vor welche ich Caspar, Kangisser seligen hab geben 1 ß[WS 1]40 gr. und die zwu groß schenckkannen, dorvor ich 3 fl. geben. Wil ich alßo Eim Erbarn Radt zcur lettze zcu er (!) vorehrung, wie es sust yn meym testament vorordent, schencken und geben. Bit derwegen wolt meyn vettern Hans Krawsen von Halle der pflicht, ßo er zcu seym burgerrecht geben sal, umb meyner viler ertzeigten dinste und was ich noch Eim Erbaren Radt zcu ehren und gefallen zcu thun vormagt, queitten und loß lassen. Ich hab noch ein antzal ledderner eymer, mocht ich auch uffs rathauß schicken. Hab kannen und beccken zcu euch yn ewer hauß wollen schicken, umb gesperre und mancherley rede zcu meyden, ir wert sie ewer diener mit der tzeith wol auffs rathauß schicken. Goth befholen, des meyn handtschrifft
pfarher zcu Dresden doctor 
Ewer gevatter.“ 

[Bemerkung Heußlers:] Hat nach eyn becher, so ime der rath geschenckt, dem rath im testament bescheyden, wy er saget.

Der Briefschreiber verräth keinerlei Bitterkeit gegen die Stadt, die er verlassen muß, im Gegentheil erklärt er auch künftig sein Mögliches dem Rathe zu Ehre und Gefallen thun zu wollen. Er blickt dem Unvermeidlichen fest ins Auge und nimmt mit einem „Gott befohlen!“ Abschied, einfach, kräftig, ohne Klage. Es ist wie ein Gruß des scheidenden Mittelalters an das in eine neue Zeit eintretende Dresden.

Dr. O. Richter. 

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Zeichen nicht exakt lesbar