Die letzten Augenblicke der Girondisten
[664] Die letzten Augenblicke der Girondisten. (Zu dem Piloty’schen Bilde auf Seite 656 und 657.) Es war am 31. Mai 1793. Mit Tagesanbruch hörte man in Paris die Sturmglocke läuten, und auf dem Pont-Neuf donnerte von Minute zu Minute die Alarmkanone. Siebenunddreißig den Jacobinern ergebene Bürgersectionen vereinigten sich mit 40,000 bewaffneten Sansculotten der Vorstädte und zogen vor dem Palais des Nationalconvents auf. Das Volk stand wieder in Waffen; gegen wen erhob es sich jetzt? Das Königreich war ja bereits gestürzt, der König auf dem Schaffot gerichtet, der Adel theils in den Gefängnissen ermordet, theils über die Landesgrenze geflüchtet. – An jenem Tage spaltete sich die Revolution, um, wie Saturn, ihre eigenen Kinder zu verschlingen: die Jacobiner eröffneten gegen die Girondisten den Kampf.
Wie rasch wechselten die Rollen der Parteien in diesen blutigen Jahren! Noch in der ersten gesetzgebenden Versammlung Frankreichs, die über Erwartung zu dem monarchischen Principe hinneigte, machten die Girondisten, eine Gruppe von Abgeordneten, deren Führer man in dem Departement der Gironde gewählt hatte, die Linke aus. Sie waren es, welche durch ihre feurige Beredsamkeit die erlöschende Begeisterung für eine Umgestaltung der Gesellschaft wieder anfachten. Ihre Führer Brissot, Vergniaud und Andere predigten sowohl im Parlamente, wie in den berühmten Abendgesellschaften der Madame Roland als Apostel der republikanischen Idee und waren die Erzieher der zukünftigen Jacobiner Robespierre und Danton. Aber schon am 21. September 1792, als der Nationalconvent zusammentrat, wurden sie durch die radicalere Jacobinerpartei aus ihrer Stellung verdrängt und bildeten, da die monarchische Partei vollständig geschwunden war, die äußerste Rechte des neuen gesetzgebenden Körpers, welche von ihren Gegnern reactionärer Umtriebe beschuldigt wurde. Sie wußten dem Drängen der Bergpartei keinen wirksamen Widerstand entgegenzusetzen, stimmten gegen ihre innere Ueberzeugung für den Tod des Königs und besiegelten damit ihr eigenes Schicksal.
Als die Sitzung des Nationalconvents vom 31. Mai 1793 eröffnet wurde, drängten sich in den Saal bewaffnete Deputationen des von den Jacobinern aufgehetzten Pariser Pöbels und verlangten die Versetzung von 42 Abgeordneten der Gironde in den Anklagezustand wegen Verraths an Frankreich und der Republik, wegen angeblicher Verschwörung mit dem gerichteten König und dem verrätherischen General Dumouriez. Drei Tage lang, bis zum 2. Juni, dauerte der parlamentarische Kampf und endete mit dem Siege der Jacobiner. Der Verhaftungsbefehl gegen die verdächtigen Girondisten wurde erlassen, wiewohl ihr eigentliches Verbrechen gegen die neue Ordnung der Dinge nur darin bestand, „daß ihr Republikanismus für das Loos des Königs und der Emigranten Thränen hatte“.
Die Mehrzahl der Geächteten floh in die Departements und sammelte dort eine Armee, um Frankreich von dem Terrorismus der Hauptstadt zu befreien. Wenige nur, unter ihnen Vergniaud, die Seele der Partei, blieben in Paris, wo sie mit Hausarrest belegt wurden. Die späteren, theilweise von den flüchtige Girondisten verursachten Erhebungen gegen die Pariser Regierung in der Vendée, in Calvados, Marseille, Lyon und Toulon und die Niederlagen der französischen Armee gegen die äußeren Feinde steigerten inzwischen die Wuth des Pöbels, der immer stürmischer die Verurtheilung der „Verräther“ forderte. Am 3. October erhob schließlich Amar im Nationalconvent die Klage gegen 21 Deputirte der Gironde, um sie der Verschwörung gegen die Einheit und Untheilbarkeit der Republik zu überführen.
Ihre Gefangenschaft wurde von der Zeit an verschärft, und bald befanden sich unter demselben Dache der Conciergerie die Girondisten und das arme Opfer ihrer früheren Politik, die Königin Marie Antoinette.
Dort warf Vergniaud das Gift, welches er seit dem 2. Juni bei sich trug, durch ein Fenster von sich, um das Loos seiner Gefährten zu theilen; dort schrieb Brissot seine Memoiren, die ihn und seine Partei vor der Nachwelt rechtfertigen sollten; dort gewann Abbé Fauchet die Ueberzeugung, daß die Republik ohne Religion nicht bestehen könne, und versöhnte sich wieder mit seinem alten Glauben.
Am 26. October wurde im Justizpalaste der Proceß eröffnet, und am 30. October, in der Nacht, verlas man den einundzwanzig Girondisten ihr Todesurtheil. – Unmittelbar nach Verkündigung desselben erdolchte sich Valazé vor seinen Richtern; die übrigen Girondisten sammelten sich um die Leiche, um von ihr Abschied zu nehmen, und verließen den Saal mit dem Rufe: „Wir sterben unschuldig. Es lebe die Republik!“
Sie warfen Geld, welches sie noch bei sich führten, unter das Volk und kehrten zum letzten Male in die Conciergerie zurück. In den Gängen des Gefängnisses stimmten sie die Marseillaise an. Da erwachten in den Zellen die Gefangenen, und Abschiedsrufe erschallten hinter den Mauern; denn Alle wußten es wohl, daß die Girondisten ihr Grablied sangen. Ein Freund, der sich heimlicher Weise in Paris aufhielt, hatte die Wächter gewonnen und für die Verurtheilten ein letztes Festmahl bereitet. Alte Weine und theuere Speisen waren auf der langen Tafel aufgestellt; Lichter beleuchteten düster den merkwürdigen Speisesaal. Vergniaud präsidirte bei diesem Mahle mit derselben Würde und Ruhe, wie einst in den Sitzungen der Partei. „Wir haben uns getäuscht,“ sagte er in seiner letzten Rede, „wir glaubten in Rom gewesen zu sein, aber wir lebten in Paris.“
Mit Tagesanbruch wurde ihnen vom Henker das Haar abgeschnitten, und sie traten den letzten Gang an. Die Leiche Valaze’s mußte mit zur Guillotine; so lautete der nachträgliche Spruch des Jacobinergerichts. Sie wurden nach dem Grève-Platz in fünf Wagen gefahren.
Meister Piloty hat diesen Augenblick verewigt. Wir sehen auf seinem Bilde, welches unsere heutige Nummer wiedergiebt, die Girondisten, wie sie vor der Guillotine ankommen. Zwei Wagen sind bereits hinter dem Schaffot verschwunden. Auf dem letzten liegt die Leiche Valaze’s; in der Mitte steht begeistert Vergniaud, der Ruhm und die Seele der Partei; ihm reichen Brissot stehend und Gensonné sitzend die Hände. Mit gefalteten Händen, in Gedanken, vielleicht in Gebet vertieft, sitzt neben ihnen Abbé Fauchet. Auf dem vorletzten Wagen übergiebt Lasource einem Soldaten einen Brief; er hebt die linke Hand in die Höhe; er giebt genau den Auftrag; er scheint dringend zu bitten, daß das Schreiben wirklich an die richtige Adresse gelange. Hinter ihm umarmen sich Ducos und Fonfrède. Ruhig sitzt neben ihnen Du Chastel. Antiboule, Gardien und Sillery folgen im drittletzten Wagen, während die jüngeren Mainville und Duprat ihre Hüte schwenken und mit dem Rufe: „Es lebe die Republik!“ die Guillotine begrüßen.
Die berüchtigten Strickweiber sehen von ihrer Tribüne herab dem außergewöhnlichen Schauspiel zu, zum Theil gleichgültig, zum Theil die Verurtheilten verhöhnend, zum Theil ihnen fluchend, wie das Volk, das sich neugierig, von Soldaten abgehalten, zu dem Wagen drängt. – Ueber das Geländer des Schaffots gebeugt, mustert der Scharfrichter, Bürger Samson, die Ankommenden; er forscht, ob die Zahl stimmt, ob richtig zwanzig Lebende und eine Leiche gebracht werden. Die Zahl stimmt; der Augenblick, den der Künstler festgebannt, fliegt vorüber – bald sammeln sich die Girondisten an den Stufen des Schaffots. Sie stimmen wiederum das Freiheitslied, die Marseillaise an; einzeln werden sie hinaufgeführt; immer schwächer wird der Sängerchor; schließlich hört man nur eine sympathische Stimme – Vergniaud singt allein. Aber bald verstummt auch er; bald nimmt ein gemeinsames Grab die Leichen auf. – Später fand man in alten Archiven eine Rechnung, die also lautete: „Für einundzwanzig Deputirte der Gironde; für Särge 147 Franken, Begräbnißkosten 63 Franken, zusammen 210 Franken“ – das letzte amtliche Document, welches sich auf die Begründer der französischen Republik bezieht.