Die elektrischen Kräfte/Zusammenstellung:§19

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§. 19. Ueber das den elektromotorischen Kräften eldy. Us zuzuschreibende Elementargesetz.


     Es sei gegeben ein Draht, durchflossen von einem elektrischen Strom, dessen Stärke eine beliebige Function von Zeit und Bogen| länge ist; irgend ein Element dieses Drahtes sei bezeichnet mit Ausserdem sei gegeben ein ponderabler Körper von beliebiger Gestalt und Grösse. Jenes Element und der Körper seien begriffen in irgend welchen Bewegungen. — Es soll ermittelt werden diejenige elektromotorische Kraft eldy. Us, welche das Stromelement während eines gegebenen Zeitelementes hervorbringt in irgend einem Puncte des Körpers.

     Bei Lösung dieser Aufgabe mögen folgende Hypothesen zu Grunde gelegt werden.

     (1.).... Erste Hypothese. Die elektromotorische Kraft eldy. Us, welche in irgend einem Puncte des Körpers während der Zeit hervorgebracht wird von dem gegebenen Stromelemente ist proportional mit der Länge des Elementes, sonst aber nur noch abhängig von seiner Stromstärke und von seiner relativen Lage, sowie von denjenigen Aenderungen, welche diese beiderlei Dinge (nämlich Stromstärke und relative Lage erleiden während der Zeit Sie ist Null, falls solche Aenderungen nicht stattfinden[1].

     (2.).... Zweite Hypothese. Sie ist, wenn man die Stromstärke jenes Elementes mit und die Aenderung von während der Zeit mit bezeichnet, zerlegbar in zwei Kräfte, von denen die eine proportional mit die andere proportional mit ist. Mit andern Worten: Ihre rechtwinkligen Componenten sind homogene lineare Func­tionen von und

     (3.).... Dritte Hypothese. Denkt man sich das Stromelement zerlegt in drei rechtwinklige Componenten welche, mit dem Elemente starr verbunden, an seiner Bewegung Theil nehmen, so ist die elektromotorische Wirkung von identisch mit der elek| tromotorischen Gesammtwirkung von vorausgesetzt, dass nicht nur selber, sondern auch für alle vier Elemente einerlei Werth hat.

     (4.).... Vierte Hypothese. Es wird angenommen, dass das von meinem Vater für zwei Stromringe aufgestellte Integralgesetz (pag. 107):



immer gültig ist, sobald die Ringe ohne Gleitstellen, und die in ihnen vorhandenen Ströme gleichförmig sind[2].

     Dass die letzte Hypothese (nämlich die Annahme des von meinem Vater aufgestellten Integralgesetzes) zur Bewältigung der vorgelegten Aufgabe (d. i. zur Auffindung des entsprechenden Elementargesetzes) unzureichend ist, erkennt man leicht. Hat man aber anerkannt, dass die Hinzunahme irgend welcher anderer Hypothesen eine Sache der Nothwendigkeit ist, so dürften sich die hier hinzugezogenen Hypothesen (1.), (2.), (3.) einigermassen empfehlen durch ihre Einfach­heit, ferner durch die Analogie, in welcher sie zu den von Ampère über die ponderomotorischen Kräfte eldy. Us gemachten Hypothesen stehen, endlich auch durch den Umstand, dass sie von den meisten Physikern (wenn auch vielleicht nur stillschweigend) bereits anerkannt zu sein scheinen.




     Der gewöhnlichen Nomenclatur Folge leistend wird das gegebene Stromelement die inducirende Ursache, andererseits der gegebene Körper das inducirte Object zu nennen sein. Mit Bezug auf irgend ein rechtwinkliges Axensystem welches mit diesem Körper in starrer Verbindung steht, mögen folgende Bezeichnungen eingeführt werden:

     (5.) irgend ein Punct im Innern des Körpers;

die Entfernung dieses Punctes vom gegebenen Stromelement
die Richtungscosinus von gerechnet von nach |
die Richtungscosinus irgend welcher Linie, die, im Innern des Körpers markirt, im Punkte ihren Ausgangspunkt hat;
die Richtungscosinus des Elementes
die rechtwinkligen Componenten derjenigen elektromotorischen Kraft eldy. Us, welche vom Stromelement während der Zeit hervorgebracht wird im Puncte
die Componente der eben genannten Kraft nach der mit dem Körper starr verbundenen Richtung

     Zufolge der Hypothese (1.) werden die Componenten proportional sein mit sonst aber nur noch abhängen können von



sowie von denjenigen Aenderungen



welche diese Grössen erfahren während der Zeit Somit wird also z. B. die Componente sich darstellen lassen durch:



wo eine unbekannte Function jener sechzehn Argumente (6.), (7.) vorstellt. Hieraus folgt durch Entwickelung nach den Argumenten (7.) sofort:



wo die Coefficienten nur noch Functionen der acht Argumente (6.) sind. Nach der Hypothese (1.) muss verschwinden, sobald die Aenderungen (7.) sämmtlich Null sind; folglich ist der Coefficient gleich Null; sodass sich also ergiebt:



     Nach der Hypothese (2.) ist eine homogene lineare Function von und hieraus folgt erstens, dass unabhängig ist von ferner, dass die übrigen Coefficienten die Grösse als Factor enthalten müssen, im Uebrigen aber ebenfalls unabhängig von sind. Setzt man also:



und folglich:




| so werden nur noch abhängen von den sieben Argumenten:



     Analoge Ausdrücke resultiren offenbar für die übrigen Componenten, nämlich für

     Sodann aber ergiebt sich die in (5.) genannte Componente durch Anwendung der Formel:



wobei besonders zu betonen ist,


dass die Grössen wie aus (9.a, b) deutlich hervorgeht, von unabhängig sind, dass mithin eine homogene lineare Function von ist.


     Es mag nun gegenwärtig diese Kraft von einem etwas andern Standpuncte aus betrachtet werden. Dadurch wird sich für diese Kraft eine Formel ergeben von etwas anderer Beschaffenheit; und diese neue Formel soll sodann mit der eben gefundenen (10.a, b) in Vergleich gestellt werden.

     Das gegebene Stromelement und der gegebene Körper sollten während der Zeit in beliebigen Bewegungen begriffen sein; unseren Betrachtungen über die während dieser Zeit in irgend einem Puncte des Körpers hervorgebrachte elektromotorische Kraft war zu Grunde gelegt worden ein mit dem Körper starr verbundenes Axensystem An all’ diesen Vorstellungen, sowie an den eingeführten Bezeichnungen mag festgehalten werden; nur sei gegenwärtig angenommen, der Körper wäre ein Isolator, in diesen Isolator wäre eingeschlossen ein in der Richtung durch den Punct gehender Metalldraht, und ein bei befindliches Element dieses Drahtes wäre bezeichnet mit

Fig. 8.
Fig. 8.

     Die vorhin (10.a,b) besprochene Kraft repräsentirt alsdann offenbar diejenige elektromotorische Kraft eldy. Us, welche in einem Puncte des Drahtelementes und zwar in der Richtung dieses Elementes, während der Zeit von dem gegebenen Stromelement hervorgebracht wird[3].

|      Setzt man (ebenso wie früher): wobei die Richtung stets gerechnet sein soll im Sinne so ergiebt sich:



und ferner:



denn es ist zu beachten, dass mit dem Axensysteme in starrer Verbindung steht, mithin Null sind.

     Die relative Lage des Stromelementes in Bezug auf das Drahtelement ist offenbar völlig bestimmt durch Angabe der vier Grössen Zufolge der Hypothese (1.) wird daher jene von während der Zeit in hervorgebrachte elektromotorische Kraft proportional sein mit sonst aber lediglich abhängen können von



sowie von denjenigen Aenderungen



welche diese Grössen erfahren während der Zeit Somit folgt:



wo irgend welche Function der beistehenden Argumente vorstellt. Hieraus ergiebt sich durch Entwicklung nach den Grössen (14.) sofort:



wo die Coefficienten nur noch abhängig sind von den fünf Argumenten (13.). Nach der Hypothese (1.) verschwindet sobald die Aenderungen (14.) sämmtlich Null sind; somit folgt und es wird also:



Nach der Hypothese (2.) ist eine homogene lineare Function von und Hieraus folgt, dass von unabhängig ist, und dass proportional mit im Uebrigen aber ebenfalls von unabhängig sind. Somit ergiebt sich:



wo nun gegenwärtig die Coefficienten lediglich abhängen können von den vier Argumenten:




|      Für ein und dieselbe Kraft haben wir jetzt zweierlei Ausdrücke (10.a) und (15.a). Der erstere ist eine homogene lineare Function von Gleiches muss daher auch von dem letztern gelten. Hieraus aber folgt, weil die während der Zeit vor sich gehenden Aenderungen völlig willkührlich und von einander unabhängig sind, augenblicklich, dass Gleiches auch gelten muss von den einzelnen Gliedern dieses letzteren Ausdrucks, also gelten muss von den fünf Producten:



Diese Producte lassen sich mit Rücksicht auf (12.) so darstellen:



wo, der grösseren Deutlichkeit willen, den Grössen diejenigen Argumente beigefügt sind, von denen sie abhängen [vergl. (15.a,b)].

     Jeder von diesen Ausdrücken (16.) muss also eine homogene lineare Function von sein. Hieraus folgt einerseits, dass



ebenfalls homogene lineare Functionen von mithin nach (11.) ebensolche Functionen auch von sind, und andererseits, dass



unabhängig von mithin nach (11.) auch unabhängig von sind. Es werden also diese von folgender Form sein:



wo lediglich abhängen von den beigefügten beiden Argumenten und




     Um in der Bestimmung von einen Schritt weiter zu thun, bringen wir jetzt die Hypothese (3.) in Anwendung. An Stelle des bisher benutzten mit verbundenen Axensystemes wird es hiebei zweckmässig sein, ein anderes Axensystem einzu| führen, welches in starrer Verbindung[4] sich befindet mit
Fig. 9
Fig. 9
dem Stromelemente
Mit Bezug auf dieses mögen die Richtungscosinus von


und die Richtungscosinus der Elemente



bezeichnet sein durch durch und durch Alsdann ist:



und folglich:



Gleichzeitig sind alsdann die rechtwinkligen Componenten des Stromelementes entsprechend den Axen

     Das Stromelement erzeugt während der Zeit im Elemente in der Richtung dieses Elementes eine elektromotorische Kraft welche dargestellt worden ist durch die Formel (15.):



wo nach (17.) von folgender Gestalt sind:



     Jene neuen Stromelemente welche bezeichnet worden sind als die Componenten des gegebenen Stromelementes werden, jedes für sich allein betrachtet, während der Zeit ebenfalls gewisse elektromotorische Kräfte hervorbringen im Element und diese Kräfte, wiederum gemessen nach der Richtung von mögen benannt werden mit

|      Dieselben Bedeutungen, welche



besitzen, haben offenbar



Mit Rücksicht hierauf ergeben sich aus (20.), für die Kräfte folgende Ausdrücke



während gleichzeitig aus (21.) für die Werthe resultiren:



analoge Werthe stellen sich heraus für und für dieselben können aus den Werthen (24.) unmittlbar abgeleitet werden, indem man einmal mit ein andermal mit vertauscht, und mögen daher hier nicht weiter hingeschrieben werden.

Nach der Hypothese (3.) findet nun die Relation statt:



welche durch Substitution der Werthe (23.) übergeht in:



     Die in (20.) und (26.) für aufgestellten Ausdrücke müssen untereinander identisch sein. Um aber eine Vergleichung der einzelnen Glieder dieser Ausdrücke vornehmen zu können, ist offenbar erforderlich, dass an Stelle der neun Differentiale solche Differentiale eingeführt werden, welche von einander unabhängig sind. Diese an und für sich sehr mühsame Operation kann bedeutend erleichtert werden durch eine zweckmässige Wahl des Axensystems

     Das betrachtete materielle System besteht einerseits aus dem Drahtelement andererseits aus dem starren Complex und jedes dieser beiden Objecte befindet sich während des betrachteten Zeitelementes in einer beliebigen Bewegung. Wir wollen uns nun| jenen starren Complex in solcher Weise eingerichtet denken, dass die von nach gehende Linie zu Anfang des Zeitelements gegen die drei Axen unter gleichen Winkeln geneigt ist. Nach wie vor sollen aber die Bewegungen der beiden Objecte und durchaus willkührlich bleiben, so dass also jene Gleichheit, welche zwischen den genannten Winkeln stattfindet zu Anfang der Zeit verloren gehen wird im Verlaufe dieser Zeit.

     Solches festgesetzt, wird sein, und folglich:



Hingegen werden nach wie vor willkührlich sein, nur verbunden durch die bekannte Relation — Ferner nehmen alsdann die Relationen (18.) folgende Gestalt an



und die Relationen (19.) folgende:



Die hier hinzugefügte letzte Relation hat an und für sich, d. i. für die schon vorhandenen Differentiale keine Bedeutung; sie dient zur Definition eines neuen Differentiales

     Vermittelst der sechs Relationen (27.c) können die sechs Differentiale ausgedrückt werden durch die vier von einander unabhängigen Differentiale:



und diese letztern werden in die beiderlei Ausdrücke für also einzuführen sein, falls man die einzelnen Glieder dieser beiden Ausdrücke mit einander vergleichbar machen will. Zuvor indessen sind noch einige einfache Relationen zu entwickeln.

     Mit Rücksicht auf (27.a, b, c) ergiebt sich nämlich aus (24.)




| und hieraus folgt, wiederum mit Rücksicht auf (27.a,b,c), sofort:

Schreibt man also hiefür:

so werden und (weil die unveränderliche Zahl repräsentirt) Functionen vorstellen, die lediglich von abhängen.

     Aus (24.) folgt ferner, immer mit Rücksicht auf (27.a,b,c):

mithin:

wo alsdann wiederum lediglich von abhängen.

     Sodann ergiebt sich aus (24.) mit Rücksicht auf (27.a,b,c):

und folglich:

wo nur noch von abhängen.

     Ferner folgt aus (24.) mit Rücksicht auf (27.a,b,c):

mithin:

wo nur enthält.

     Schliesslich folgt aus (24.) mit Rücksicht auf (27.a,b,c):

und also:

wo eine nur von abhängende Function vorstellt.

|      Wenden wir uns nun endlich zu den beiden mit einander zu vergleichenden Ausdrücken. Der eine derselben (20.) lautet



während der andere (26.) unter Rücksicht auf (28.a,b,c,d,e) in folgender Weise sich darstellt:



Beide Ausdrücke (29.) und (30.) sind bezogen auf die von einander unabhängigen Differentiale:



Aus der Identität der beiden Ausdrücke folgt also, dass die diesen Differentialen entsprechenden Glieder einzeln einander gleich sein müssen. Somit erhält man die Relationen:



und ausserdem [durch Vergleichung der mit behafteten Glieder] die Relation:

     Durch Substitution der Werthe (31.) in die Formel (29.) folgt:



Die elektromotorische Kraft ist diejenige, welche von dem Stromelement hervorgebracht wird im Drahtelemente Ob in diesem Drahtelement schon von Hause aus irgend welcher elektrischer Strom vorhanden ist, oder nicht, bleibt gleichgültig. Denn zufolge unserer Hypothese (1.) ist die inducirte elektromotorische Kraft völlig unabhängig von denjenigen elektrischen Processen, welche in dem inducirten Körper, respective in dem inducirten Drahtelement stattfinden. Demgemäss können wir das vorläufig erhaltene Resultat unserer Untersuchung so aussprechen:

     Befinden sich zwei Stromelemente und in irgend welcher Bewegung, und die in ihnen vorhandenen Stromstärken und in irgend welchem Zustande der Veränderung, so wird die während eines gegebenen Zeitelementes von in irgend einem Puncte des Elementes und zwar in der Richtung dieses Elementes, hervorgebrachte elektromotorische Kraft eldy. Us den Werth besitzen:

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wo durch die Charakteristik diejenigen Aenderungen angedeutet sein sollen, welche stattfinden während des gegebenen Zeitelementes

     Hier haben dieselben Bedeutungen wie im Ampère’schen Gesetz (pag. 44); während sieben noch unbekannte Functionen von vorstellen.

     Es handelt sich nun um die Ermittelung dieser sieben Functionen. Hiebei wird uns einerseits das allgemeine Axiom der lebendigen Kraft, andererseits aber auch die bisher noch unbenutzt gebliebene vierte Hypothese (pag. 113) zu Statten kommen.


  1. Befinden sich das gegebene Stromelement und der gegebene Körper — er mag genannt werden — in beliebigen Bewegungen, so werden sie ausser ihrer relativen Bewegung noch irgend welche gemeinschaftliche absolute Bewegung besitzen. Diese letztere kann keinen Einfluss haben auf die von in hervorgebrachten elektromotorischen Kräfte. Denn sonst würden solche Kräfte auch dann entstehen müssen, wenn beide, und fest verbunden gedacht mit unserer Erde, an der Bewegung derselben Theil nehmen. — Die von in einem Puncte des Körpers hervorgebrachte elektromotorische Kraft kann also in der That nur abhängig sein von der relativen Bewegung, oder (was dasselbe) nur abhängig sein von der Veränderung der relativen Lage.
    Man findet diese Schlussfolgerung in der Abhandlung meines Vaters: Die allgem. Gesetze der inducirten elektrischen Ströme, 27. Octob., 1845; daselbst zu Anfang des §. 4.
  2. Wenn dieses Integralgesetz (oder allgemeine Princip) hier nicht in seinem ganzen Umfange von mir benutzt wird, so geschieht solches absichtlich, nämlich um die Sicherheit der Grundlagen zu erhöhen. Denn es dürfte wohl keinem Zweifel unterliegen, dass jenes Gesetz ein höheres Zutrauen verdient für Ringe ohne Gleitstellen, als für solche Ringe, die mit Gleitstellen behaftet sind.
  3. Von dem Axensystem ist in der nebenstehenden Figur nur die Axe gezeichnet. Gleichzeitig ist daselbst durch die zwischen dieser Axe und dem Drahtelement angebrachten Klammern die starre Verbindung angedeutet, welche zwischen \mathrm{D}s und jenem Axensystem stattfindet.
  4. Diese starre Verbindung ist angedeutet in der beistehenden Figur (vergl. die Note auf pag. 115).