Die beiden Concurrenz-Entwürfe zu einem Standbilde Schiller’s für Berlin
Der hundertjährige Geburtstag Schiller’s wurde in Berlin besonders festlich begangen und dabei zugleich der Grundstein zu einem Denkmal für den unsterblichen Dichter vor dem königlichen Schauspielhause auf dem Gensd’armenmarkte, einem der schönsten Plätze der Residenz, unter dem Jubel und Jauchzen des Volkes gelegt. Bald darauf erließ die zu diesem Zweck gebildete Commission einen Aufruf an die Bildhauer Deutschlands, ihre Entwürfe zu einem Standbild Schiller’s einzuschicken. Von fünfundzwanzig vorgelegten Arbeiten fanden nur die Skizzen von Begas und Siemering den Beifall des Publicums und der Sachverständigen, so daß, wenn auch keine von beiden bestimmt angenommen wurde, doch sie allein auf die engere Wahl kamen. Was die Persönlichkeit der Bewerber [796] betrifft, so dürften die folgenden kurzen Notizen nicht ohne Interesse sein, da das Leben des Künstlers sich häufig in seinen Schöpfungen widerspiegelt.
Leopold Rudolph Siemering wurde im Jahre 1835 in Königsberg geboren, wo er bis zu seinem siebzehnten Jahre die dortige höhere Bürgerschule besuchte. Hierauf trat er bei einem Tischler in die Lehre, nebenbei zeichnete er fleißig; auch modellirte er ohne jede Anleitung nach der Natur. Die Liebe zur Kunst war aber so mächtig in ihm, daß er nach drei Jahren sein Handwerk aufgab und die Akademie der Künste in seiner Vaterstadt unter Director Rosenfelder
besuchte. Nachdem er es hier bis zur Malclasse gebracht und fleißig nach der Antike gezeichnet, ging er zu seiner ferneren Ausbildung nach Berlin, indem er, selbst mittellos, eine Unterstützung von dem Königsberger Verein für Wissenschaft und Kunst erhielt, an dessen Spitze der vor Kurzem erst verstorbene Geschichtsschreiber Prof. Voigt stand.
Hier arbeitete Siemering mehrere Jahre unter Anleitung des berühmten Bildhauers Bläser, dem er bei seinem großen Relief für die Dirschauer Brücke half. Außerdem besuchte er den Aktsaal der Berliner Akademie und fing eine eigene Arbeit, die „Statue der Penelope“ an, welche auf die Ausstellung kam und trotz mancher Fehler als eine Erstlingsarbeit wohlverdienten Beifall fand. Der Auftrag einer Kirche in Ostpreußen, für dieselbe die Kolossalstatue des Bischofs Adalbert, des berühmten Heidenbekehrers, zu arbeiten, brachte in ihm den längst gefaßten Entschluß zur Reife, sich selbstständig zu machen. In seinem eigenen Atelier schuf Siemering eine Reihe von interessanten Büsten, darunter die charakteristischen Köpfe des Geschichtsschreibers Johannes Voigt, des Präsidenten Simson, des bekannten Philologen Lobeck u. s. w. Zugleich bewarb er sich schon damals um den Preis für eine Schillerstatue, welchen die Stadt Hamburg ausgeschrieben hatte; er erhielt auch den zweiten Preis, während der erste seinem glücklicheren Nebenbuhler zufiel. Unterdeß fehlte es ihm nicht an Bestellungen und Aufträgen, da sein Name in verhältnismäßig kurzer Zeit bekannt geworden war. Für die neuerbaute Universität in Königsberg wurden ihm zehn Reliefbilder berühmter Lehrer anvertraut. Hauptsächlich aber beschäftigte ihn der Entwurf des Schillerdenkmals für die Stadt Berlin und die Königsstatue für die neue Börse, die ihm zur Ausführung übertragen wurde. Durch Fleiß und unablässiges Studium hat sich der junge, bescheidene Künstler aus beschränkten Verhältnissen und unter manchen Schwierigkeiten heraufgearbeitet und eine ehrenvolle Stellung erworben.
Weit mehr vom Glück begünstigt und durch geniale Anlagen ausgezeichnet ist sein Concurrent, Professor Begas, der im Jahre 1831 in Berlin geboren wurde. Frühzeitig erkannte sein Vater, der berühmte Geschichts- und Porträtmaler Begas, das Talent des Knaben und sorgte für dessen Ausbildung, indem er ihn den großen Meistern Rauch und Wichmann als Zögling übergab. Unter ihrer Anleitung arbeitete der junge Künstler bis zum Jahre 1858, wo er nach Italien reiste, um die großen Vorbilder des Alterthums durch eigene Anschauung kennen zu lernen und zu studiren. Nach seiner Rückkehr bildete er die Gruppe „Pan und Psyche“, welche bereits ein glänzendes Zeugniß für seinen Beruf ablegte und die höchste Anerkennung fand. Sein Werk wurde bei der Ausstellung in Paris mit der goldenen Medaille belohnt, desgleichen in Berlin, und später in Brüssel für das dortige Museum angekauft.
In der Zwischenzeit arbeitete er an mehreren Büsten für die Berliner Universität. Im Jahre 1860 vollendete er den „Faun mit seiner Familie“, eine geniale Conception, die durch ihre Kühnheit allgemeine Bewunderung erregte. In Folge seines steigenden Rufes wurde er 1861 nach Weimar als Professor an die dortige Akademie berufen. Hier beschäftigte er sich besonders mit Skizzen für verschiedene Concurrenzarbeiten, so mit dem Entwurf einer Statue des berühmten „Oecolampadius“ für Basel, des Arndt-Denkmals für Bonn und des Standbildes Friedrich Wilhelms III. in Köln. Für letztere Arbeit wurde ihm auch der erste Preis, eine Summe von 3000 Thalern, zu Theil. Ermuntert durch die ihm zu Theil gewordene Auszeichnung, concurrirte er ebenfalls bei dem Schillerdenkmal, für das er zwei Modelle angefertigt hat. Außerdem arbeitete er an einer großen Sandsteingruppe für die Berliner Börse, welche er im Frühjahr zu vollenden hofft. Gegenwärtig verweilt der hoch begabte Künstler in Rom, theils um von seinen großen Arbeiten auszuruhen, theils um neue schöpferische Eindrücke in sich aufzunehmen.
Wenden wir uns von den Künstlern ihren Werken zu, so zeigt uns die Skizze von Siemering ein sechseckiges Postament, auf dem die Statue Schiller’s steht, umgeben von den Musen der Geschichte, der Philosophie und Poesie. Der Dichter erscheint im [797] langen, nicht eben malerischen Rock mit kurzen Kniehosen und Schuhen. Seine Stellung ist fest, seine Haltung ruhig und würdevoll, die eine Hand liegt auf der Brust, während die andere leicht niederhängt. Das Gesicht drückt ernstes Nachdenken, geistige Größe und Erhabenheit, eine gewisse Verklärung aus. Siemering hat bei seiner Arbeit vorzugsweise an Goethes Nachruf für Schiller gedacht und in diesem Sinne mehr den ganzen idealen Menschen als den individuellen Charakter des Dichters aufgefaßt. Seine Arbeit trägt vorzugsweise der monumentalen Bestimmung Rechnung: sie zeichnet sich durch eine Empfindung
und maßvolle Haltung, so wie liebevolle Hingebung an den Stoff aus, ohne jedoch zu begeistern oder hinzureißen. Derselbe Vorwurf trifft auch die allegorischen Figuren, welche das Postament umgeben, obgleich man auch ihnen ideale Schönheit und eine gewisse klassische Ruhe nicht absprechen kann, aber sie lassen uns kalt, wie Allegorien gewöhnlich thun. Auch trifft diese Bilder der Vorwurf, daß sie nicht in innigster Beziehung zu der Statue des Dichters stehen, nicht sein verkörpertes Denken, Dichten und Empfinden darstellen. Aber trotz der gerügten Mängel besitzt die Skizze von Siemering große Vorzüge, besonders eine Klarheit und Verständlichkeit, welche ihr bei dem großen Publicum eine gewisse Popularität und allgemeine Anerkennung erworben haben.
Ganz entgegengesetzt hat Begas seine Aufgabe zu lösen gesucht; sein Schiller ist vor Allen der Dichter des deutschen Volkes, weshalb er ihn auch dichtend dargestellt. Auf dem viereckigen Postament steht Schiller in kurzem Regenmantel nach der Mode jener Zeit, den einen Fuß zum Ausschreiten gehoben. Ein Lorbeerkranz schmückt das gottgeweihte Haupt, das in seliger Verzückung verklärt erscheint, erfüllt von hohen, göttlichen Gedanken, den himmlischen Offenbarungen der Muse lauschend. In seinen Händen hält er Griffel und Tafel, um die Eingebungen des Genius niederzuschreiben. Die ganze Erscheinung trägt den Stempel der Begeisterung, des höchsten Aufschwungs, der die Seele über alles Irdische erhebt. Jedermann wird und muß sogleich erkennen, daß hier das Bild eines Dichters und zwar des Sängers ewiger Jugend vor ihm steht. Ebenso charakteristisch und individuell sind die vier weiblichen Figuren am Fuße des Postaments; sie sind wirkliche Offenbarungen und Ausflüsse des Schiller’schen Genius. Mit schwärmerischen Blicken sieht die lyrische Poesie zum Himmel auf, die goldene Leier in den Händen, während die Muse des Trauerspiels, eine düster schöne Gestalt, in erbarmungsloser Hand den tragischen Dolch schwingt. Auf der entgegengesetzten Seite sitzt die Geschichte mit ernstem, jugendlich schönem Antlitz und verzeichnet die Thaten der Sterblichen, wogegen die Philosophie, eine strenge Matrone, mit untergeschlagenen Beinen und gestütztem Kopf über die Räthsel des Daseins brütet. Das lebt, athmet und giebt die innersten Gedanken des Dichters kund. Unwillkürlich fühlt man sich ergriffen, belebt und hingerissen von der Idee, die dem Entwurf von Begas zu Grunde liegt. Allerdings fehlt es der Skizze nicht an mehr oder minder hervortretenden Mängeln, die auch vielfach gerügt worden sind. Vor Allen fällt die theatralisch gewagte Haltung des Dichters auf, der beim Ausschreiten vom Postament zu fallen droht und einem Nachtwandler ähnlich sieht; ferner der eben nicht allzu kleidsame Regenmantel, der bei der Ausführung im Großen manch Bedenkliches haben dürfte. Aber alle diese Fehler werden reichlich durch die Genialität des Werkes aufgewogen und lassen sich durch den der einsichtsvollen Kritik durchaus nicht verschlossenen Künstler leicht beseitigen.
Während das große Publicum sich zum Theil für Siemering erklärt, haben die Sachverständigen sich mit überwiegender Mehrheit für Begas ausgesprochen. In diesem Sinne gab der wissenschaftliche Kunstverein in Berlin sein Urtheil ab, und eine Autorität wie Professor Lübke ließ sich folgendermaßen vernehmen: „Wenn wir Schiller vor das Berliner Schauspielhaus hinstellen, so wollen wir vor allen Dingen den Dichter sehen. Wir wollen eine Apotheose seines Genius, daß Jedermann gleich erkenne: hier wandelt ein der Muse Geweihter. Diesen Eindruck macht wirklich der Schiller von Begas. Es waltet ein feierlich gehobener Rhythmus in dieser schön empfundenen Gestalt.“ Nicht minder günstig lautet das Urtheil des Kunstkenners über die allegorischen Figuren am Fuße des Postaments. „Diese großartigen Figuren, die von einer innern Gewalt bewegt in kühner Lebensfülle am Postamente lagern, welche Pracht der Bewegungen, welche Schönheit der Linien, welche Tiefe der Charakteristik entfalten sie! Im erdvergessenen Entzücken blickt die lyrische Muse schwärmerisch empor und scheint den Tönen überirdischer Geister zu lauschen. Die ernste Gestalt der Tragödie schaut wie in banger Erwartung um sich, als ob sie etwas Ungeheures, Schicksalvolles ahne. Ganz verloren in tiefstes Gedankenbrüten, wie eine Sibylle, sitzt die Philosophie da, während die blühende, ewig jugendliche Muse der Geschichte sich mit allem Eifer in ihr Amt versenkt, die großen Thaten den kommenden Geschlechtern zu überliefern. Welch wunderbare Inspiration hat diese köstlichen Figuren geschaffen. Das sind nicht Allegorien, das sind wirklich lebendige Wesen von Fleisch und Blut, bei denen wir keinen Augenblick zu fragen brauchen, was sie bedeuten, denn sie sagen Jedem, der Augen hat, was sie sind.“