Die Wollenwaarenfabrik von F. G. Lehmann in Böhrigen bei Roßwein

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Titel: Die Wollenwaarenfabrik von F. G. Lehmann in Böhrigen bei Roßwein
Untertitel:
aus: Album der Sächsischen Industrie Band 2, in: Album der Sächsischen Industrie. Band 2, Seite 137–139
Herausgeber: Louis Oeser
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Louis Oeser
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Erscheinungsort: Neusalza
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Quelle: Commons und SLUB Dresden
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Wollenwaarenfabrik v. F. G. Lehmann in Böhrigen bei Rosswein.

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Die Wollenwaarenfabrik von F. G. Lehmann in Böhrigen bei Roßwein.


Verfolgen wir von dem freundlichen Roßwein aus die Straße nach Hainichen, so kommen wir nach einer Stunde in ein romantisches, waldumschlossenes Thal, welches von der großen Striegis durchflossen wird, die hier noch zwei Bäche in sich aufnimmt. An den Ufern der Striegis liegt das nette Dörfchen Böhrigen, von der fleißigen Fabrikstadt Hainichen eine und drei Viertelstunden und von Nossen drei kleine Stunden entfernt.

Dieses freundliche Dörfchen, welches auch Böhrichen, Beirichen, Böhringen genannt wird, vor Gericht aber sonst – weil es Rittergut ist – Haus Böhrigen hieß, ist uralt. Es gab einst eine Zeit, wo Sachsen wegen dem unerschöpflich scheinenden Segen an edlen Metallen, den seine Berge in sich schlossen, zu den reichsten Landschaften nicht nur Deutschlands, sondern der ganzen Erde – so weit man sie damals kannte – gezählt wurde, denn nirgends waren die Bergwerke so ergiebig, als eben hier, und Sachsens Fürsten galten lange Zeit für die reichsten Deutschlands. – Ueberall thaten sich reiche Erzadern – namentlich Silbererz – auf, deren Ausbeutung oft sehr geringe Mühe kostete, da die Erzstufen fast zu Tage lagen. Die Fürsten, die Herren, die Ritter, die Bürger der erzgebirgischen Städte waren von gleichem Eifer beseelt, immer neue Erzgänge zu entdecken, Bergwerke anzulegen und dadurch sich neue Quellen des Reichthums zu erschließen. Ueberall sah man damals Ruthengänger die Berge durchstreifen, den zauberkräftigen Zweig in der Hand, welcher durch sein Niederschlagen die Stelle andeuten sollte, wo die Erde ihre Schätze verbarg; überall wanderten Bergkundige umher, mit dem Probierhammer in der Hand, sich nicht wie die Ruthengänger auf die eingebildete Zauberkraft der Ruthe, sondern auf den sicheren Blick ihrer Erfahrung verlassend. Da wurde denn da und dort eingeschlagen, Stollen getrieben und oft mit dem schönsten Erfolge, denn nur in Folge derselben entstanden Städte und Dörfer, die zum Theil heute noch in schönster Blüthe stehen, während bei anderen mit Schwinden des Bergsegens auch ihr Wohlstand wieder sank. Noch öfter aber hatten freilich jene Bergbauversuche wenig oder gar keinen Erfolg, und hin und wieder erzählen uns alte in das Gestein getriebene Stollen von solchen vergeblichen Mühen.

Solchen Bergbauversuchen verdankt Böhrigen wahrscheinlich seine Entstehung und auch seinen Namen. An dem linken Ufer der Striegis liegt der sogenannte Bohrberg, hier sollen einst Versuche zum Bergbau, gemacht worden sein, man „bohrte“, und davon bekam nicht nur der Berg, sondern auch der an des Berges Fuß entstehende Ort seine Benennung. Diese Bergbauversuche sind gar nicht so unwahrscheinlich, da diese ganze Gegend für erzreich gilt, und in dem nur eine Stunde entfernten Dorfe Gersdorf heute noch der Bergbau mit Erfolg betrieben wird. – So können wir auch annehmen, daß Bergleute die ersten Bewohner dieses Oertchens waren.

1286 wird Porochin – so heißt es in alten Urkunden – zuerst genannt, der Bischof von Meißen bestätigte seinem Kapitel den Zehnten von diesem Orte. 1388 entstand hier eine Kapelle, die reich mit Reliquien und der Befugniß, Ablaß zu ertheilen, ausgerüstet, bald großen Ruf sich erwarb, von weit und breit her zogen Schaaren frommer Wallfahrer in dieses einsame Waldthal, hier ihr Gebet zu verrichten und dann – nach ihrer frommen Meinung – durch die Kraft des Ablasses entsündigt heimzukehren. [138] Diese Wallfahrten mögen besonders häufig gewesen sein, als Porochin in Besitz des reichen Klosters Zella kam und als ein Vorwerk desselben betrachtet wurde. Nach Einführung der Reformation und Aufhebung des Klosters verfiel die berühmte Kapelle, zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts sah man noch Mauerreste von ihr, jetzt ist jede Spur verschwunden.

Zu welchem Preise man in jenen Zeiten sich oft in Besitz von Gütern setzen konnte, möge folgende Notiz zeigen. Böhrigen war nach Aufhebung des Klosters in die Hände Kaspars von Schönberg auf Sachsenburg gekommen, welcher um 1555 dieses Gut, „nebst stattlichen Diensten von etlichen zellischen Dörfern, guter Schäferei, ziemlicher Fischerei, Mühlzins u.s.w.“ an Herrn von Sebottendorf für 403 Gulden verkaufte.

Der Ort war immer klein, denn lange Zeit bestand er nur aus den zum Rittergut gehörigen Gebäuden und einigen wenigen Wohnhäusern, und erst in neuester Zeit steigerte sich die Einwohnerzahl. Während Böhrigen im Jahre 1815 in vierzehn bewohnten Gebäuden erst 94 Einwohner besaß, stieg diese Zahl 1850 schon bis auf 398 in zweiundzwanzig Gebäuden und hatte sich nach sechs Jahren um volle dreihundert vermehrt, denn 1856 lebten hier schon 698 Einwohner in neununddreißig Gebäuden.

Eine solche überraschende Vermehrung der Einwohner ist nur in Orten möglich, wo Industrie ihre Regsamkeit entfaltet und namentlich, wo großartigere geschlossene Etablissements blühen, welche den Zusammenfluß von Arbeitskräften an einem bestimmten Punkte befördern. In der That finden wir bei Böhrigen dieselbe Ursache, denn hier blüht eine in ihrer Branche zu den bedeutendsten Etablissements Sachsens zählende Fabrik, die Wollenwaarenfabrik von F. G. Lehmann.

Dieses großartige Etablissement liegt an dem Ufer der großen Striegis und umfaßt einen Complex von siebenundzwanzig Gebäuden, als:

ein Hauptgebäude mit Comptoir, den Waarenlagern, der Spinnerei und einem Theil der Appretur;
ein Hauptgebäude mit der Färberei, Dekatur, Rauherei, Trockenlokale für fertige Waaren, Garn und Wolle, Farbewaarenniederlage, Farbenmühle und der Wohnung des Faktors u. Färbers;
ein Hauptgebäude mit der Seifen-, Laugen- und Leimsiederei, Ausputz- und Federwäsche, und mit Wollboden;
ein Hauptgebäude, enthaltend neunzehn mechanische Webestühle und Bäummaschinen, so wie die Lochwalke;
ein Hauptgebäude mit fünf Walzwalken, fünf Waschmaschinen, Holzraspel und Blauapparat, auch ist hier die Dreschmaschine aufgestellt;
ein sechstes Hauptgebäude enthält die Presserei, Lokale zum Wolllesen, Waarenmagazin, Ablieferungsstube, Handweberei, Wohnung für Werkmeister, Lohmeister, Schlosser, Hausmann etc.;
ein Gebäude, als Wollmagazin dienend;
ein Hauptgebäude, hauptsächlich zum Betriebe der Oekonomie bestimmt, enthaltend Viehställe aller Art, Heu-, Grumt-, Stroh- und Getreideböden, Kellereien, Wohnung des Verwalters, des Procuristen, der Lehrerin, der Commis und Lehrlinge; auch ist hier die Fabrikschlosserei untergebracht;
drei Nebengebäude als Scheunen und Schuppen dienend, mit Kutscherwohnung, Wagenremisen, Holz- und Kohlenniederlagen u.s.w.; und
sechszehn Gebäude, ausschließlich zu Arbeiterwohnungen bestimmt.

Das Etablissement betreibt die Schafwollenwaaren-Fabrikation in ihrem ganzen Umfange und mit allen Nebenbranchen; außerdem befindet sich hier noch eine bedeutende Oekonomie.

Haupterzeugnisse der Fabrik sind: Flanelle, Lamaflanelle, Domets, Moltons, Spanish-Stripes, Circassienne, Boys, Lamas, Decken, Casemir ecossaine, Masud-Serail u.s.w., von denen die ersten sechs Artikel als die berühmtesten und gangbarsten betrachtet werden können.

[139] Die Erzeugnisse dieses Etablissements befanden sich auf den Ausstellungen in Dresden, Leipzig, London und Paris, und erhielten jedes Preise.

Der Hauptabsatz der Artikel des Etablissements erstreckt sich über ganz Deutschland, nach Italien, England, Schweden, der Levante, und auf überseeischem Wege nach Amerika und Asien. Von Messen werden nur die in Leipzig besucht.

Beschäftigt sind in diesem Etablissement fortwährend:

ein Procurist, vier Comptoiristen, zwei Maschinisten, drei Webermeister, ein Faktor, ein Verwalter, ein Färber, zwei Appreteure und fünfhundert Fabrikarbeiter.

Die Streichgarn-, Krämpel- und Spinnmaschinen (1855 mit 3600 Spindeln) die Walken und Appreturmaschinen u.s.w. werden theils durch Wasser-, theils durch Dampfkraft in Bewegung gesetzt.

Alleiniger Besitzer der Fabrik ist Herr F. G. Lehmann, welcher dieselbe 1836 gründete und nach und nach durch Thätigkeit und Umsicht auf den heutigen Standpunkt brachte, wo sie in Bezug auf ihre Leistungen mit allen anderen Fabriken gleicher Branche des In- und Auslandes erfolgreich concurriren kann. – Die Gebäude wurden auf rohe Wurzel gebaut, und auch die Wasserkraft mußte durch Wehr, Ober- und Untergraben erst geschaffen werden.

Als Beweis der großartigen Verbindungen dieser Fabrik möge die Notiz der Postverwaltung zu Roßwein dienen, nach welcher dieses Fabrikgeschäft monatlich 60 bis 70 Thaler an Porto zahlt.

Nicht unerwähnt können wir lassen, daß Herr Lehmann wohl zu den ersten Fabrikanten Sachsens gehört, welche darauf dachten, ihren Arbeitern gute und billige Wohnungen zu verschaffen, und der deshalb nach und nach eine ganze Reihe freundlicher und zweckmäßig eingerichteter Wohngebäude erbaute, deren jedes mehrere Familien beherbergen kann. – Auf solche Weise wird der jetzt mehr und mehr überhand nehmenden Wohnungsnoth erfolgreich abgeholfen und zugleich wird den Bedrückungen, welchen der ärmere Theil oft von Seiten spekulativer Hauswirthe ausgesetzt ist, entgegen getreten. Es wäre deshalb sehr zu wünschen, daß das rühmenswerthe Beispiel des Herrn Lehmann recht zahlreiche Nachahmung finde.