Die Etablissements von Daniel Beck
[140] Zu den wichtigsten Fabrikstädten Sachsens und im Besonderen des Erzgebirges, zählt auch Döbeln, in dem Kreisdirektionsbezirke Leipzig, wo es nach Leipzig an Größe die zweite Stadt und auch die schönste ist. Döbeln liegt am Fuße des Erzgebirges in einem reizenden Thalkessel, die innere Stadt auf einer von den Armen der Mulde gebildeten Insel, und es ist von Leipzig 14, von Dresden 12 und von Riesa 7 Stunden entfernt. In der Entfernung von einer halben Stunde liegt das Dorf Groß-Bauchlitz mit dem Bahnhofe der Chemnitz-Riesaer Eisenbahn, welche für Döbeln eine unentbehrliche Lebensader genannt werden muß. – Außerdem besitzt Döbeln noch Chausseeverbindung nach verschiedenen Richtungen, und nur vortheilhaft dürfte es für die Stadt und ihren Verkehr sein, wenn das zur Sprache gebrachte Projekt einer Eisenbahn von Meißen nach Lommatsch und deren Fortführung bis Döbeln zum Anschluß an die Chemnitz-Riesaer Bahn, zur Ausführung käme.
Die Stadt hat jetzt nahe an 7500 Einwohner. 1697 betrug die Einwohnerzahl nur 1700; 1795 hatte Döbeln 3244, 1806 4200, 1815 5100, 1828 5200, 1843 6070, 1849 7158 und 1856 7218 Bewohner. Dieser Menschenvermehrung entsprechend, hat die Stadt auch ihre Vorstädte mehr und mehr ausgedehnt.
Döbeln ist sehr alt und man kennt das Jahr seiner Erhebung zur Stadt nicht, nur so viel steht fest, daß die Sorbenwenden, welche einst diesen Gau bewohnten, die ersten Erbauer der Stadt sind, wie denn auch der Name, sonst Dobelyn, Dibelen, Döbelin geschrieben, auf wendischen Ursprung deutet, doch ohne daß man bis jetzt über dessen Bedeutung einig geworden wäre, denn während Einige auf dobry, gut, denken und die Deutung „gutes Land“ geben, nehmen Andere wieder die Ableitung von dub, die Eiche, an.
Döbeln hatte in dem Laufe der Jahrhunderte mannichfache Drangsale zu erdulden. – So war es schon in den Zeiten des Mittelalters, wo erst die Herren von Donyn und dann die meißnischen Markgrafen die Besitzer der Stadt waren, und wo 1292 die Stadt nebst Schloß von den Böhmen gänzlich niedergebrannt wurden. Ebenso sank sie 1333 vollständig in Asche und im Jahre 1429 übten die Hussiten hier ihr graußiges Mordbrennerhandwerk. Ein gleiches Schicksal hatte die Stadt in dem Bruderkriege.
Neben dem Feuer, das oft in mehr oder minder großer Ausdehnung hier wüthete, grassirte auch die Pest, so von 1584 bis 86, von 1612 und 13, wo in dem ersten Jahre allein 1129 Personen erlagen. Der dreißigjährige Krieg brachte ebenfalls viele Leiden über die Stadt, 1634 wurde sie von dem kaiserlichen Oberst Schönnickel, einem geborenen Chemnitzer, auf das grausamste ausgeplündert, und im J. 1637 wiederfuhr ihr dasselbe Schicksal durch die Schweden unter General Banner, wo auch ein Theil der Stadt den Flammen zum Opfer fiel. Dann brach 1730 eine furchtbare Feuersbrunst aus, welche 260 Häuser in Asche legte.
Der siebenjährige Krieg brachte für Döbelns Einwohner viele Sorgen mit sich, denn nicht nur, daß es eine Menge Lieferungen zu leisten hatte, und fast beständig Einquartierungen innerhalb seiner Mauern lagen, sondern es trafen auch in seiner Nähe oft preußische und österreichische Krieger auf einander, und einige Male geschah es sogar, daß beide Parteien von den umliegenden Höhen sich über die Stadt hinweg mit Kanonen beschossen; 1762 schlug bei Döbeln der Prinz Heinrich von Preußen den österreichischen Feldmarschall Serbelloni.
Auch die französischen Kriege brachten der Stadt große Lasten, namentlich 1813, wo sie durch beständige Durchmärsche und Einquartierungen bald der Franzosen, bald der Verbündeten viel zu leiden hatte. Es wurden von beiden Parteien große Ansprüche gemacht, Brandschatzungen erhoben, Lieferungen ausgeschrieben und so nach und nach die Stadt in allen ihren Hilfsquellen gänzlich erschöpft. – Und [141] kaum war die Ruhe gesichert, da brachen wieder verheerende Brände in den Vorstädten aus, so 1816, 1818, 1819, 1820 u.s.w.
Auf solche Weise oft der gänzlichen Verarmung nahe gebracht, erhob sich die Stadt durch die Thätigkeit ihrer Bewohner doch immer wieder zu neuer Blüthe und arbeitete sich zu dem Range einer bedeutenden Fabrikstadt empor. Schon früh hatten sich Döbelns Einwohner mit verschiedenen Industriezweigen beschäftigt, obwohl der fruchtbare Boden der Umgegend sie vorzugsweise auf Landwirthschaft hinzuweisen schien, fand doch hier zu Zeiten ein wahrer Ueberfluß von Getreide Statt, z. B. 1498 und 99, wo für einen Scheffel Korn der höchste Preis sechs alte Groschen war. Butterhandel war lange Zeit einer der besseren Nahrungszweige der Einwohner.
Allein auch andere städtische Gewerbe blühten hier, hauptsächlich Tuchmacherei, Leinweberei, und Bierbrauerei. 1697 befanden sich hier 129 Wollenweber und 29 Leinweber; gebraut wurden in jener Zeit jährlich 1300 Faß Bier. Später kamen zu diesen Erwerbzweigen noch die Strumpfwirkerei und die Fabrikation von Hüten dazu. Dieser letztere Industriezweig gewann einen überraschend großen Aufschwung und die „Döbelnschen Hüte“ erfreuten sich eines so großen und weit verbreiteten Rufes, daß sie sogar in einem lateinischen Gedichte besungen wurden, welches gedruckt jetzt noch in einzelnen Exemplaren vorhanden ist. – Absatzwege für die Fabrikate waren hauptsächlich zu Leipzig, Naumburg, Magdeburg, Braunschweig, Breslau u.s.w., wo die Döbelner mit ihren wohlbekannten Waaren so wenig fehlten als auf den Märkten Sachsens. In dem ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts gingen durchschnittlich das Jahr zweitausend Stück Tuch auf die Messen, und 1727 war die Zahl der Wollenweber auf 212 gestiegen.
In dem Jahre 1788 wurden in Döbeln gefertigt: 2655 Stücke Tuch und Tüffel, 29 Stück Flanell, 63 Dutzend wollene Strümpfe, 3196 Hüte, 10 Stück rohe Kattune, 59 Stück Barchent und 181 Schock Leinwand. – In den Jahren 1804 bis 1806 wurden geliefert: 650 Stück Leinwand, 5000 Stück Barchent, 1500 Dutzend Paar baumwollene Strümpfe und Handschuhe, 1700 Dutzend Paar schafwollene Strümpfe, 10,400 Stück Hüte, 4000 Stück Tuch, Tüffel und Flanell.
Diese Produktion galt für die damaligen Verhältnisse sehr bedeutend, man vergleiche aber damit, was heute durch Hilfe der Maschinenarbeit geliefert wird, um den Abstand zwischen der Industrie von Sonst und Jetzt recht deutlich zu erkennen. Jetzt sind hier eine Anzahl zum Theil sehr großartig eingerichtete Tuchfabriken, die größtentheils zugleich mit Spinnereien verbunden sind und bald mit Dampf-, bald durch Wasserkraft betrieben werden. – Ebenso existiren hier Cigarrenfabriken, eine großartige Faßfabrik, viele bedeutende Gerbereien u.s.w.
Unter den vielen industriellen Anlagen Döbelns wählen wir vorerst
zu näherer Betrachtung.
Diese Etablissements umfassen im Ganzen acht Haupt- und fünf und zwanzig Nebengebäude und wird davon
- in vier Haupt- und zehn Nebengebäuden die Lohgerberei betrieben;
- in drei Haupt- und zwei Nebengebäuden die Lederlackirerei und Leimsiederei und
- in einem Haupt- und dreizehn Nebengebäuden findet die Fabrikation von Papier, Pappen- und Preßspähnen Statt.
Nebenbei wird noch die Oekonomie betrieben und befinden sich die dazu nöthigen Gebäude in der Nähe der Fabrikgebäude.
[142] Die Haupterzeugnisse der Ledermanufactur sind:
- Roß- und Rindverdeckleder, Geschirrleder, roßlederner Ausschnitt, Kalb-, Schaf- und Ziegenfelle, schwarze Bockfelle;
die Lackirerei und Leimsiederei liefert besonders:
- lackirte Roß- und Rindverdeckleder, lackirte Kalb-, Schaf- und Ziegenfelle u.s.w., so wie mehrere Sorten Leim;
die Papier-, Pappen- und Preßspahnfabrik fertigt außer
- Papieren, Pappen und Preßspähnen hauptsächlich Dachpappen von vorzüglicher Güte, deren Anwendung zu Bedachungen durch Ministerialverordnung gestattet ist.
Diese Artikel finden ihren Hauptabsatz in Deutschland und nach dem Orient, mittelst direkter Verbindungen. Mit Waaren werden nur die Messen in Leipzig besucht.
Die lackirten Kalbfelle dieses Etablissements erhielten auf den Ausstellungen in Dresden 1838 und 1840 die goldene und silberne Medaille.
Zum Fabrikbetrieb sind zwei Dampfmaschinen von zusammen dreißig Pferdekraft aufgestellt.
Fortwährend beschäftigt sind hier drei Comptoiristen, fünf Werkführer und zweihundert und sechszig Arbeiter.
Gründer dieser Etablissements ist Herr Daniel Wilhelm Beck, welcher im Jahre 1838 zuerst das Leder-Manufakturgeschäft anlegte, welches sich rasch erweiterte, sodaß nach Verlauf einiger Jahre Herr Beck sich veranlaßt sah, die Lederlackirerei und Leimsiederei zu gründen, worauf im Jahre 1851 die Einrichtung der Papier-, Pappen- und Preßspahnfabrik erfolgte. Am 28. Juli 1860 starb Herr D. Beck und nach seinem Wunsch, in der Nähe seiner Schöpfungen zu ruhen, wurde er bei der Fabrik beerdigt, und er schlummert nun hier in einer einfach aber geschmackvoll angelegten Ruhestätte nach dem jahrelangen rastlosen Mühen und Schaffen.
Das Etablissement ging nun an die hinterlassenen drei Söhne des Verstorbenen über, nämlich an die Herren
- Oskar Rudolph Beck,
- Guido Eugenius Beck und
- Paul Johannes Beck,
welche das Geschäft unter der altberühmten Firma D. Beck fortführen.
Sowohl Se. Majestät der König Johann als auch der verstorbene König Friedrich August, nebst anderen Mitgliedern des Königlichen Hauses beehrten bei Ihrer Anwesenheit in Döbeln die beschriebenen Fabrikanlagen mit Ihrem Besuche.