CXXX. Die Gräber der Könige bei Jerusalem Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CXXXI. Die Wartburg in Thüringen
CXXXII. Der Fall des Velino bei Terni
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DIE WARTBURG
von der Nordwestseite

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CXXXI. Die Wartburg in Thüringen.




Wenn dich ein schönes, hochkultivirtes Land, reich an anmuthigen, pittoresken und romantischen Naturscenen, voll fruchtbarer Auen und heimlicher Gründe, voll reizender Hügel und waldgekrönter Berge, voller Städte und Flecken, in welchen wohlhabende, betriebsame, gemüthliche, in geistiger Bildung den meisten übrigen germanischen Stämmen seit Jahrhunderten weit voranschreitende Menschen wohnen, reizen kann; wenn dich das Großartige, Geheimnißvolle, Gespensterische des dämmernden Alterthums anzieht, ein Land voll Burgen und Klosterruinen, voll Geschichten, Sagen und Legenden: so entschließe dich zu einer Wanderung nach unserm Thüringen, nach dem Herzen Deutschland’s! Es wird dich nicht gereuen, auch wenn du die berühmteren Gegenden des Rheins und am Neckar gesehen hast, oder wenn du aus dem Hesperidenlande kommst und gesättigt bist von den Wundern der Alpen.

Wohl an dreihundert Burgen und Vesten zählte einst Thüringen auf seinen Höhen, von denen noch über achtzig die Landschaft schmücken. Spurlos sind die Stätten der übrigen. Aber von jenen, obschon auch sie meistens bis auf einzelne Trümmer niedergesunken sind in Schutt und Staub, stehen mehre stark und fest, um vielen künftigen Jahrhunderten noch zu trotzen. Die meisten dieser danken ihre Erhaltung und Pflege dem höhern Interesse, welches sie durch eine besondere Merkwürdigkeit einflößen, sey es in Bezug auf die politische Geschichte des Landes, oder weil sie durch irgend ein Ereigniß die Theilnahme der Lebenden frisch und beständig rege erhielten. Was ein gemüthliches Volk lieb gewonnen hat, geht so leicht nicht unter.

Unter allen Denkmälern der Vorzeit aber ist dem Thüringer keines so werth, als seine Wartburg. Denn ihre todten Mauern sind das lebendige Wort seiner Heldenzeit, da Thüringens Volk, unter einem Haupte, voranstand allen Brudervölkern im Rufe der Tapferkeit und Hochherzigkeit; und der Wartburg Geschichte leuchtet in der vaterländischen, aus finsterer Vorzeit, wie aus der spätern, gleich einem glänzenden Stern erster Größe. Wer hätte nicht die Wartburg nennen hören als die Wiege der deutschen Dichtkunst? wer nicht gehört von den, als Wartburg-Krieg bekannten, Wettstreiten der Minnesänger am bildungsfrohen Landgrafenhofe? wer wüßte nicht, daß die Wartburg es war, welche den gottbegeisterten Luther ein Jahr lang vor den Verfolgungen seiner Feinde verbarg, und wo er das Buch des geistigen Lebens, seine unübertreffliche deutsche Bibelübersetzung fertigte? wer wüßte nicht, daß auf der Wartburg es gewesen, wo ein Fest gefeiert wurde von deutschen Männern [110] und Jünglingen, ein hohes Fest des gedoppelten Siegs der Wahrheit und des Rechts über die Macht der Unterdrückung, – ich meine des Siegs der deutschen Glaubensfreiheit, durch Luther errungen, und des Siegs deutscher Volksehre, gewonnen durch die Eintracht muthigen Wollens und Vollbringens unter deutschen Stämmen, – das Fest am 18. October 1817. – Alle diese Erinnerungen werden lebendig fortdauern, wenn auch die alleszerstörende Hand der Zeit Wartburg’s noch feste und gewaltige Mauern von ihren Felsen gestürzt, und der Wind ihren Staub verweht hat.

Die Wartburg liegt eine halbe Stunde von Eisenach, in einer an grandiosen Naturscenen reichen Umgebung, auf der Spitze eines steilen, felsigen, waldbewachsenen Berges. Ihr Erbauer war Ludwig der Zweite (der Springer), der Thüringer Landgraf. Das Land war heimgesucht durch Hungersnoth; der Fürst that seine Getreidemagazine auf und bot Brod gegen Arbeit am Burgbau. Da strömten Dürftige und Hungernde in Schaaren herbei, und nach zwei Jahren stand sie da, das prachtvollste Fürstenschloß im Thüringer Lande. Kein Fluch leibeigner Fröhner ruht auf ihren Zinnen; wohl aber der Segen vieler vom Hungertode Erretteten.

Nicht Worte genug finden die alten Chronisten, zu erzählen von Wartburg’s damaliger Pracht. Ihre Dächer waren mit Blei gedeckt; byzantinische Bildhauer hatten Söller und Gesimse an Thüren und Fenstern verziert; aus kostbarem Schnitzwerk bestanden alle Decken und Wände der Gemächer. – Von dieser Herrlichkeit ist keine Spur mehr übrig.

Die Wartburg blieb die gewöhnliche Residenz der mächtigen Landgrafen, (deren Gebiet nicht blos das eigentliche Thüringen, sondern auch fast das ganze Königreich Sachsen einschloß,) bis die drei Söhne Friedrich’s des Zweiten 1379 das Reich unter sich theilten. Balthasar, einer derselben, behielt Thüringen; die Brüder Wilhelm und Friedrich der Dritte bekamen das Osterland und die Länder an der Elbe: Meißen nämlich, das nachmalige Kursachsen. Balthasar starb kinderlos. Thüringen wurde hierauf unter die Vettern vertheilt. Seitdem verschwinden die Landgrafen von Thüringen aus der Geschichte, und die Wartburg – nur noch zu gelegentlichen Besuchen der Fürsten erhalten – verliert ihre Bedeutung als Residenz. Ihre Glanzperiode ist vorüber.

Durch Feuersbrünste litt sie mehrmals, und einige ihrer Hauptgebäude gingen darüber zu Grunde, oder wurden abgetragen, um Neubauten Platz zu machen, welche weder mit der Pracht, noch für die Zwecke der alten aufgeführt wurden. Man räumte die Burg Beamten zur Wohnung ein, und schon vor der Reformation diente sie öfters zum Getreidemagazin. Aber eine strahlendere und dauerndere Glorie, als die ihr der Aufenthalt eines Monarchen geben kann, erhielt die Wartburg durch den Helden, der der christlichen Welt die Freiheit des Glaubens errungen hat.

[111] Luther[1] bewohnte die Wartburg elf Monate. Seinem hiesigen einsamen Aufenthalt verdanken wir eine Menge seiner segenreichsten und wichtigsten Arbeiten. Außer dem großen Werke der deutschen Bibelübersetzung schrieb er auf der Wartburg sein, so großes Aufsehen erregendes Buch gegen die Ohrenbeichte, mehre Schriften gegen den Mißbrauch der Messe und gegen die geistlichen und Klostergelübde; auch seine Auslegung der Psalmen, und der erste Theil seiner Kirchenpostille entstanden hier. Der begeisterte Mann saß in jeder Woche ganze Nächte hindurch über der angestrengtesten Arbeit, und in einer solchen Nacht geistiger Aufregung mag es gewesen seyn, als es ihm dünkte, der Teufel käme auf ihn zu, um ihn am Arbeiten zu hindern, und er entschlossen das Tintenfaß ergriff, es ihm an den Kopf zu werfen. Noch zeigt man Luther’s Stube auf dem wohlerhaltenen Ritterhause, und an der Wand den ominösen schwarzen Tintenfleck. Nach Luther’s Zeiten ist die Wartburg oft zur Verwahrung von Staatsgefangenen gebraucht, manchmal auch gemißbraucht worden. In neuester Zeit noch war sie eine Zwangswohnung politischer Gefangenen. Von der alten Burg des Landgrafen sind nur einzelne Partieen noch übrig; vom sogenannten „neuen Haus,“ 1317 erbaut, zeigt man noch die landgräflichen Wohnzimmer und den Rittersaal, in dem merkwürdige Gemälde der Fürsten, ihre Rüstungen und alte Waffen sehenswerth sind. Neben dem Rittersaale ist die Burgkapelle, deren Kanzel man nicht ohne Ehrfurcht betreten kann; denn von der nämlichen Stelle ertönte oft Luther’s salbungsvolle, begeisterte Rede an die kleine Gemeinde! Dieser Raum und ein paar zur Hälfte abgetragene, oder eingefallene, alte Thürme, ein Pferdestall und noch einige Substruktionen der Vorzeit, auf die sich neue Anbauten (unansehnliche [112] Flickwerke) stützen, bilden die Ueberbleibsel dieser ehemaligen, so prachtvollen Fürstenwohnung. Ihr Erbauer, träte er jetzt in den Burghof, würde sie gewiß nicht wieder erkennen. Aber alles Schmucks beraubt, wird sie doch immer als National-Denkmal Thüringens und des deutschen Landes in Ehren gehalten werden.




  1. Luther hatte vor versammelten Kaiser und Ständen des Reichs, auf dem Tage zu Worms, mit heroischem Muthe und göttlicher Kraft die Wahrheit seiner Lehre siegreich vertheidigt. Dennoch sprach Karl V., im Interesse des Pabstes und der Kirche, die Reichsacht über ihn aus, ihm blos 21 Tage sicheres Geleit bewilligend, damit er sie zur Flucht aus dem Reiche benutze. Luther, der Unerschrockene, schlug den Rückweg nach Wittenberg ein, reiste aber über Eisenach, um in dem 3 Stunden von da entfernten Dorfe Möhra, dem Geburtsorte seiner Eltern, Verwandte zu besuchen. Nach einem Aufenthalte von mehren Tagen zog er getrost des Weges weiter. Von der Geleitsfrist waren nur noch 24 Stunden übrig. Die Reichsacht lastete dann mit voller Rechtskraft auf ihn, er war vogelfrei. Jeder durfte ihn tödten, Niemand ihn schützen. – Dem Meining’schen Dorfe Altenstein vorbei führte sein Pfad durch einen dunkeln Waldgrund. Unter einer herrlichen Buche, die der Name des großen Reformators noch gegenwärtig ehrt, dort, wo ein klarer Quell den müden Wanderer zur Ruhe und Labung einladet, sah sich Luther plötzlich von zwei verkappten Rittern überfallen, die ihn nöthigten, ritterliche Rüstung anzuthun und ein Pferd zu besteigen. Auf unbekannten Waldpfaden brachten sie ihn zur Wartburg, wo sie ihm als Ritter Georg eine Wohnung und 2 Edelknaben zur Bedienung anwiesen. Diese seltsame Entführung war geschehen auf Veranlassung Kurfürst Friedrich’s des Weisen, Luther’s wahren, und um dessen Sicherheit ängstlich besorgten Freundes. Dieser sah, in Folge der Reichsacht, Luther’s Verderben voraus, und erkannte in gewaltsamer Habhaftwerdung des Unerschrockenen das einzige Mittel zu dessen Rettung.