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CXXXI. Die Wartburg in Thüringen.




Wenn dich ein schönes, hochkultivirtes Land, reich an anmuthigen, pittoresken und romantischen Naturscenen, voll fruchtbarer Auen und heimlicher Gründe, voll reizender Hügel und waldgekrönter Berge, voller Städte und Flecken, in welchen wohlhabende, betriebsame, gemüthliche, in geistiger Bildung den meisten übrigen germanischen Stämmen seit Jahrhunderten weit voranschreitende Menschen wohnen, reizen kann; wenn dich das Großartige, Geheimnißvolle, Gespensterische des dämmernden Alterthums anzieht, ein Land voll Burgen und Klosterruinen, voll Geschichten, Sagen und Legenden: so entschließe dich zu einer Wanderung nach unserm Thüringen, nach dem Herzen Deutschland’s! Es wird dich nicht gereuen, auch wenn du die berühmteren Gegenden des Rheins und am Neckar gesehen hast, oder wenn du aus dem Hesperidenlande kommst und gesättigt bist von den Wundern der Alpen.

Wohl an dreihundert Burgen und Vesten zählte einst Thüringen auf seinen Höhen, von denen noch über achtzig die Landschaft schmücken. Spurlos sind die Stätten der übrigen. Aber von jenen, obschon auch sie meistens bis auf einzelne Trümmer niedergesunken sind in Schutt und Staub, stehen mehre stark und fest, um vielen künftigen Jahrhunderten noch zu trotzen. Die meisten dieser danken ihre Erhaltung und Pflege dem höhern Interesse, welches sie durch eine besondere Merkwürdigkeit einflößen, sey es in Bezug auf die politische Geschichte des Landes, oder weil sie durch irgend ein Ereigniß die Theilnahme der Lebenden frisch und beständig rege erhielten. Was ein gemüthliches Volk lieb gewonnen hat, geht so leicht nicht unter.

Unter allen Denkmälern der Vorzeit aber ist dem Thüringer keines so werth, als seine Wartburg. Denn ihre todten Mauern sind das lebendige Wort seiner Heldenzeit, da Thüringens Volk, unter einem Haupte, voranstand allen Brudervölkern im Rufe der Tapferkeit und Hochherzigkeit; und der Wartburg Geschichte leuchtet in der vaterländischen, aus finsterer Vorzeit, wie aus der spätern, gleich einem glänzenden Stern erster Größe. Wer hätte nicht die Wartburg nennen hören als die Wiege der deutschen Dichtkunst? wer nicht gehört von den, als Wartburg-Krieg bekannten, Wettstreiten der Minnesänger am bildungsfrohen Landgrafenhofe? wer wüßte nicht, daß die Wartburg es war, welche den gottbegeisterten Luther ein Jahr lang vor den Verfolgungen seiner Feinde verbarg, und wo er das Buch des geistigen Lebens, seine unübertreffliche deutsche Bibelübersetzung fertigte? wer wüßte nicht, daß auf der Wartburg es gewesen, wo ein Fest gefeiert wurde von deutschen Männern