Die Waisen des Krieges
[740] Die Waisen des Krieges. Aus Linz an der Donau wird die Redaction der „Gartenlaube“ durch einen Brief erfreut, dessen wesentlicher Inhalt hier eine Stelle finden muß, weil er ein Beispiel giebt, welches zur weitesten Nachfolge auffordern sollte. Er lautet:
„Ich bin in guter Stellung, vermögend und glücklich verheirathet, aber unsere Ehe ist kinderlos. Der furchtbare Krieg der Gegenwart macht gewiß recht viele gute arme deutsche Kinder zu unglücklichen Waisen. Möchten Sie mir wohl den Weg angeben, wie ich zu einem solchen verwaisten Kinde kommen kann? Wir wünschten ein Mädchen von protestantischen Eltern und im Alter von einem bis drei Jahren an Kindesstatt anzunehmen und seine Zukunft zu sichern.“
Das ist’s, – ein einfacher Wunsch in so bescheidenen Worten. Aber welche Freuden, welches Glück, welche Seligkeit schließt seine Erfüllung ein! Giebt es etwas Schöneres auf der Welt, als die Entwickelung eines Kindes zu beobachten durch all die Stufen, die Geist und Herz vom ersten Erwachen bis zur Erhebung zum selbstständigen Menschen gehen! Sollte man es für möglich halten, daß es Tausende von vermögenden kinderlosen Gatten giebt, die, und leider meist aus Bequemlichkeit, ihre Zärtlichkeit lieber – einem Hunde als einem armen Kinde zuwenden? Mögen denn „die Waisen des Krieges“ an solche Herzen pochen und in ihnen das Verlangen nach den süßen Aeußerungen kindlicher Liebe und Freude wecken! Wir sind schon heute überzeugt, daß dieses eine Beispiel uns noch viele andere Aufträge desselben Inhalts zuführen wird.
Aber welchen Rath geben wir dem braven Mann in Linz? – Am besten ist’s, das Kindchen, mit dem man sein häusliches Leben schmücken will, mit eigenen Augen zu wählen. Waisenhäuser sind in allen Hauptstädten zu finden. Hätte ich einen solchen Wunsch nöthig, so würde ich jetzt nach Straßburg eilen und dort mir das liebe Wesen suchen, um sein reines Herzchen so deutsch und glücklich zu machen, als nur möglich ist.