Die Suggestion im Dienste des Aberglaubens

Textdaten
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Autor: C. Falkenhorst
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Titel: Die Suggestion im Dienste des Aberglaubens
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 312, 314–315
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Suggestion im Dienste des Aberglaubens.

Von 0C. Falkenhorst.
Hexenwahn und Hexenverfolgung. – Die Hysterie. – Besessene.


Seit jeher war es den Menschen bekannt, daß seelische Regungen einen bestimmten Einfluß auf den Körper und seine Verrichtungen ausüben. Alltäglich kann ja beobachtet werden, wie Furcht und Schrecken die Muskeln lähmen und Blässe erzeugen, wie der Zorn das Blut aufwallen läßt, wie Kummer und Sorge an der Gesundheit nagen und die Kräfte zerrütten. Erst in der jüngsten Vergangenheit kam jedoch die Wissenschaft zu der klaren Erkenntnis, daß die Macht des Geistes über den Körper eine weit größere sei, daß nicht nur Gefühle, Stimmungen und Leidenschaften, sondern auch einfache Gedanken und Vorstellungen die Verrichtungen des Körpers zu verändern und in gewisse Bahnen zu leiten vermögen. Wer kennt nicht heute die Macht der Suggestion! Diese Erkenntnis ist nicht nur für den Arzt, der berufen ist, Leiden zu heilen und Krankheiten zu verhüten, von höchster Bedeutung, sie verleiht auch dem Geschichtsforscher den Schlüssel zum Verständnis einer Anzahl rätselhafter Bewegungen, die im Laufe der Zeiten weitere Volkskreise ergriffen, läßt ihn die festesten Säulen erkennen, aus welche der finstere Wahn des Aberglaubens sich jahrhundertelang zu stützen vermochte.

Wir wollen darum im Nachstehenden versuchen, an einigen geschichtlichen Beispielen zu zeigen, in welcher verderblichen Art die Suggestion gepaart mit krankhafter nervöser Anlage, den finstersten Aberglauben genährt und schlimmer als verheerende Kriege, einer Pest gleich, gegen die Menschheit gewütet hat.

Als ein Schandmal ragen aus der Geschichte der europäischen Christenheit die Hexenprozesse hervor. Was bei ihnen am meisten befremdet, ist die Thatsache, daß ihre Blütezeit nicht in das finsterste Mittelalter, sondern in die durch eine hohe Blüte der [314] Wissenschaft und Kunst, durch freie Geistesregungen ausgezeichneten Zeiten, in das 15. und 16. Jahrhundert fällt. Zauberer und Hexen hat es zu allen Zeiten gegeben; sie wurden wohl hier und dort verurteilt und hingerichtet, aber bis zu jener Zeit hatte man von Massenverfolgungen der Bethörten nicht gehört. Diese Schreckensscenen wurden durch zwei Ursachen bedingt.

Der erste dieser Gründe ist in der Aenderung im prozessualischen Verfahren und Beweissystem zu suchen, die im 15. Jahrhundert eintrat. Damals fingen die Gerichte an, das alte, rein formelle, auf Eid und Eideshelfern beruhende Beweissystem zu verlassen und alles vom Geständnisse der Angeschuldigten abhängig zu machen. Dieses Geständnis suchte man mit allen möglichen Mitteln, namentlich durch Anwendung der Folter herbeizuführen. Wir werden später erklären, wie verhängnisvoll dieses Verfahren gerade für Hexen sein mußte.

Der zweite Grund der Anhäufung der Hexenprozesse lag in dem Umstande, daß um jene Zeit die Lehre vom Teufel und seinen Beziehungen zu Zauberern und Hexen zu einem festgefügten System ausgebildet wurde und diese Anschauungen in höchstem Maße volkstümliche Verbreitung fanden. Wir wollen das Bündnis zwischen dem Bösen und den Hexen in kurzen Zügen schildern.

Der Teufel – so hieß es in jener Lehre – pflegte den Hexen unter der Gestalt eines anständigen Mannes, eines Junkers, Jägers, Bürgers und unter verschiedenen Namen, wie Volland, Federlin, Federhanns, Zucker, Kasperle, Gräßle, Hämmerlein, Kreutle etc., zu erscheinen. Er versprach, ihnen in ihren Bedrängnissen zu helfen, gab ihnen auch Geld und Edelsteine, nötigte sie aber, mit ihm ein Bündnis zu schließen. Sie mußten ihm versprechen, Gott abzusagen, Menschen und Tieren möglichst Schaden zuzufügen. Willigte die Verführte ein, so drückte ihr der Teufel sein Zeichen auf, er berührte sie am Arm, an der Stirn oder hinterm Ohre, und diese Stelle des Körpers blieb von nun an für immer unempfindlich; man konnte sie stechen, ohne daß die Hexe dabei Schmerz empfand oder aus der Stichwunde Blut floß. Das war das berüchtigte Teufelsmal, das stigma diaboli.

Nach dem Verschwinden des Bösen erlebte die Hexe eine Enttäuschung, denn Geld und Kleinode, die er ihr gegeben hatte, pflegten sich in Stroh und Dung oder wertloses Zeug zu verwandeln. Der Teufel, in dessen Besitz sie nun war, kehrte jedoch zu ihr zurück und stachelte sie an, ihren Nächsten Schaden zu stiften, zu welchem Zwecke er ihr Zauberpulver und andere Mittel gab. Er behandelte sie aber keineswegs gut, sondern drangsalierte oft sein Opfer; oft peinigte er sie derart, daß sie sich in schrecklichen Krämpfen herumwälzte. Der Böse versammelte auch von Zeit zu Zeit seine Getreuen um sich, und diese Zusammenkünfte, die an entlegenen Orten, auf Bergen, Burg- und Klosterruinen stattfanden und bei welchen verschiedene Scheußlichkeiten und Gotteslästerungen vollbracht wurden, hießen Hexensabbathe. Zu diesen Orgien holte der Teufel die Hexe selbst ab oder sie ritt zu ihnen durch die Lüfte auf einem Besenstiel, nachdem sie sich mit einer aus narkotischen Kräutern (Bilsenkraut, Stechapfel etc.) bereiteten Salbe eingerieben oder den aus gleichen Stoffen gebrauten Hexentrank zu sich genommen hatte.

Wurde nun eine Frauensperson unter dem Verdacht, eine Hexe zu sein, vors Gericht gebracht und leugnete sie die Schuld, so wurde sie zunächst der Hexenprobe unterworfen. Man hatte dafür verschiedene Proben ausgesonnen, wir erwähnen hier nur diejenige, die in der ersten Epoche der Hexenprozesse angewandt wurde. Man entblößte die Angeklagte und verband ihr die Augen; hierauf trat ein Chirurg an sie heran und stach sie in die verschiedensten Hautstellen, um jene Stellen zu finden, die als Teufelsmale unempfindlich waren und nicht bluteten. Solche Male wurden in der That ungemein häufig gefunden.

Leugnete die Angeklagte weiter, so wurde sie gefoltert. Unter den fürchterlichen Qualen gestanden viele alles, was die Richter wünschten, gaben andere Personen an, die mit ihnen am Hexensabbath teilgenommen haben sollten, und zogen neue Opfer ins Verderben. Ueberraschend ist es aber, daß viele der Unglücklichen alle Leiden der Tortur standhaft ertrugen, ohne zu klagen und ohne ein Wort zu gestehen. Das waren nach der Meinung der Richter die schlimmsten Hexen, denn ihnen stand im Augenblick der Tortur der Teufel zur Seite, machte sie gefühllos und legte ihnen das „Hexenschweigen“ auf.

In derselben Weise schlossen männliche Hexenmeister den Bund mit dem Bösen, unb in derselben Weise wurden auch sie gerichtet, aber sonderbarerweise war ihre Zahl im Vergleich zu der der Hexen äußerst gering.

Frankreich bildete den Ausgangspunkt der Massenverfolgung der Hexen. Dieses Vorgehen fand Billigung durch die Bulle des Papstes Innocenz VIII. vom 5. Dezember 1484, und von nun an breiteten sich die Hexenprozesse über alle christlichen Länder aus. Wie wüteten da die Hexenrichter! Zu Hunderten wurden in einzelnen Städten die Unglücklichen verbrannt, und an manchen Orten waren die Pfähle, an denen sie den Tod erlitten, wie ein Wald anzusehen.

Wie konnte die Welt durch einen krassen Aberglauben so furchtbar geblendet werden? Der Glaube an den Teufel allein hatte diese Verwirrung nicht gezeitigt. Es waren noch andere Umstände dabei maßgebend: erstens die Thatsache, daß Tausende von Hexen auch ohne Folter den Verkehr mit dem Teufel eingestanden hatten, zweitens das Vorhandensein von Erscheinungen am Hexenleibe, die nach der Anschauung der damaligen Zeit auf natürliche Weise sich nicht erklären ließen, wie die unempfindlichen, nicht blutenden Hexenmale und die Gefühllosigkeit bei der Tortur. Und doch waren diese Erscheinungen keineswegs Werke des Teufels. Sie waren Folgen einer Vorstellung, welche den Geist der sogenannten Hexen beherrschte und ihren Leib krankhaft veränderte. Noch heute könnte man die Stigmata diaboli zu Tausenden unter Frauen und Männern nachweisen!

Es giebt ein Leiden, das seit uralten Zeiten die Menschheit plagt, da es schon in den ältesten medizinischen Büchern beschrieben wurde, ein Leiden, das häufiger Frauen als Männer befällt und jedem unter dem Namen Hysterie bekannt ist. Der großen Masse des Volkes ist es heutzutage als eine launenhafte Krankheit verleidet, die selbst die längste Geduld auf die härteste Probe stellen kann, und in der That ist die Hysterie so wechselvoll in ihren Symptomen, daß sie dem Ungeübten eine ganze Anzahl von Krankheiten vorzutäuschen vermag. Wie vielfältig ist das Nervensystem der Hysterischen verstimmt. Ihre Empfindlichkeit kann gesteigert sein; sie bringt ihnen ein Heer von Schmerzen in den äußeren und inneren Körperteilen, dabei sind auch die Sinne überempfindlich; das Ohr vernimmt die leisesten Geräusche, das Auge erlangt die merkwürdigste Schärfe, der Tastsinn und der Geruch werden in unglaublichem Maße gesteigert. Aber neben dieser gesteigerten Empfindlichkeit besteht auch ein Verlust derselben, der zu den merkwürdigsten Erscheinungen der Hysterie zählt. Derselbe betrifft zumeist die äußere Haut, von der kleinere oder größere Bezirke sich unempfindlich zeigen und dabei so blutarm sind, daß sie, wenn sie mit einer Nadel oder einem spitzen Messerchen gestochen werden, gar nicht oder nur sehr unbedeutend bluten. Diese unempfindlichen Hautstellen, die bei Hysterischen sehr häufig vorkommen, sind eben die „Teufelsmale“, nach welchen die Hexenrichter fahndeten. Die Empfindungslosigkeit kann sogar den ganzen Körper erfassen, sie ist alsdann eine vollkommene, und schrecklich können die Verletzungen sein, die sich die Kranken in diesem Zustande zufügen oder selbst zuziehen. So haben Hysterische glühende Kohlen mit bloßen Händen aus dem Ofen geholt und sie an ihren Körper gedrückt, der nun mit den schlimmsten Brandwunden bedeckt wurde. Nun ist es klar, daß Personen, die mit einer derartigen vollkommenen Empfindungslosigkeit behaftet waren, in Hexenprozessen lautlos alle Qualen der Folter ertrugen, weil sie dieselben nicht fühlten. So erklärt sich das „Hexenschweigen“, durch das sie ihre Henker in Erstaunen versetzten.

Wichtig ist ferner der Seelenzustand der Hysterischen. Viele von ihnen erscheinen uns lasterhaft, und im allgemeinen sagt man ihnen nach, daß sie lügenhaft sind. Unbeständigkeit ist eins ihrer weiteren Zeichen. Die Empfindungen der Kranken wechseln ungemein rasch und damit auch ihre Stimmungen und Klagen. Darum gelten auch die Hysterischen als launenhafte Wesen. Deswegen sind sie aber nicht zu verdammen, sondern zu bemitleiden; denn sie sind ein Spiel von Vorstellungen, die ihre Seele durchzucken. Im Schlafe werden sie von aufregenden und schreckhaften Träumen geängstigt und im wachem Zustande sind sie oft Sinnestäuschungen unterworfen, und was sie in solchen Augenblicken gesehen, gehört und gefühlt haben, das erscheint ihnen wirklich erlebt, Gestalten der Einbildungskraft, lose und tolle Wahngebilde halten sie für Wirklichkeit. Infolgedessen erheben sie gegen sich und gegen andere Beschuldigungen und Anklagen, und noch in der [315] Neuzeit wurde das Zeugnis Hysterischer vor Gericht für völlig Unschuldige verhängnisvoll.

Erst in dem letzten Jahrzehnt ist es den Aerzten gelungen, den Zustand der Hysterischen zu verstehen, das Wesen der Krankheit zu enthüllen, und möglich war dies erst, nachdem man die Macht der Vorstellung und deren tiefen Einfluß auf die Verrichtungen und Empfindungen des Körpers durch hypnotische Versuche kennengelernt hat. Alle jene wunderbaren Symptome, die bei Hysterischen vorkommen, lassen sich zwanglos durch die Suggestion in hypnotischem Schlafe erzeugen, und so ist man allmählich zu der Ansicht gelangt, daß die Hysterie ihrem Wesen nach eine psychologische Krankheit ist. Ihre Grundlage ist ein geschwächtes, überempfindliches Nervensystem, und dieses macht den Körper zum Spiel der Eindrücke, welche die Kranken erhalten, und zum Spiel der Vorstellungen, die von außen auf sie eindringen oder selbstthätig in ihrem Geiste entstehen.

Treffend hat neuerdings J. P. Möbius, einer der besten Kenner der Hysterie, geäußert: „Die der Hysterie wesentliche Veränderung besteht darin, daß vorübergehend oder dauernd der geistige Zustand des Hysterischen dem des Hypnotisierten gleicht, d. h. jener reagiert, ohne hypnotisiert zu sein, wie dieser. Ebenso wie alle im hypnotischen Zustande beobachteten Erscheinungen sind alle Erscheinungen bei der Hysterie Wirkungen der Suggestion, d. h. des Vorstellens.“

Auf Grund dieser Erkenntnis wird es jedem klar, wie zu einer Zeit, da die Lehre vom Teufel und seinen Beziehungen zu Menschen mit größtem Nachdruck verbreitet wurde, der Teufel in den Träumen und Hallucinationen der Hysterischen eine hervorragende Rolle spielen mußte. Die armen Kranken glaubten, ihre Wahnvorstellungen wirklich erlebt zu haben, und versicherten mit voller Ueberzeugungstreue, den Teufel gesehen, mit ihm verkehrt und an seinen Orgien teilgenommen zu haben. Diese Erlebnisse erzählten sie umständlich dem Richter auch vor Anwendung der Folter und die Geschichten klangen sich immer ähnlich; denn die Kranken schöpften ihre Selbstsuggestionen aus der festgefügten und volkstümlich gewordenen Lehre von den Beziehungen des Teufels zu den Hexen, von welcher auch die Richter befangen waren.

Das Hexenwesen ist jedoch lange nicht das ausschließliche Gebiet, auf welchem die Suggestionskrankheit Hysterie den Teufelsaberglauben nähren half. Der Teufel schließt mit der Hexe den Bund, und sie verfällt seiner Macht mit ihrer Einwilligung; der Böse kann aber nach der alten Teufelslehre, ohne den Menschen danach zu fragen, in denselben hineinfahren, sich seiner wider Willen bemächtigen, der Unglückliche ist alsdann ein Besessener. Der Glaube, daß Dämonen in den Menschen hineinfahren können, ist uralt, es hat aber in Europa zu keiner Zeit so viele Besessene gegeben wie im 17. Jahrhundert. Damals war die Besessenheit geradezu epidemisch geworden. Man könnte sie als eine Abart des Hexenwahns betrachten, und manches spricht in der That dafür. Jedenfalls war es weniger gefährlich, den Besessenen als den Hexenmeister zu spielen, denn während Hexenmeister und Hexen hingerichtet wurden, trieb man dem Besessenen den Teufel aus. Zu wahren Epidemien gestaltete sich die Besessenheit namentlich in Frauenklöstern. Fühlte sich eine der Nonnen besessen, so folgten bald andere ihrem Beispiel. Die Scenen, die sich dann abspielten, waren geradezu schauerlich. Die Besessenen nannten den Namen des Teufels, der sich ihrer bemächtigt hatte; sein Name war nicht weltlich, wie dies zumeist bei den verführten Hexen der Fall war, sondern der theologischen Teufelslehre entlehnt, er hieß Uriel, Behemoth, Dagon, Magog, Asmodeus, Leviathan oder ähnlich; die Auswahl war groß, bestand doch das Höllenheer nach Weiers Offenbarung aus 72 Höllenfürsten und 7 405 928 gewöhnlichen Teufeln. Durch den Mund der Besessenen lästerte der Teufel Gott und die Heiligen; dann versetzte er ihren Körper in die furchtbarsten Verzückungen. Die Besessene wurde von Krämpfen befallen, Schaum trat vor ihren Mund; ihr Leib krümmte sich, daß die Fersen den Nacken oder der Kopf die Fußspitzen erreichte, oder ihr Leib wurde in gewaltigen Zuckungen emporgeschleudert, daß er mehrere Fuß hoch emporschnellte, zurückfiel zur Erde und wieder emporprallte, und dies wiederholte sich bis zwanzigmal hintereinander; andere Besessene rollten sich hin und her und schwarz und geschwollen trat die Zunge vor ihren Mund. Namentlich während der Teufelsaustreibung ereigneten sich solche Anfälle, die von den Zeugen ganz genau beschrieben und auch naturgetreu abgebildet wurden. Fürwahr, tief erschütternd war der Anblick solcher Vorgänge und teuflisch mußte die Macht erscheinen, die in den Unglücklichen wütete!

Zwei Jahrhunderte sind seit der Blütezeit der Besessenheit verflossen und Besessene leben nach wie vor unter uns. In schweren Fällen der Hysterie werden Krämpfe, wie die oben geschilderten, erzeugt, und die Aerzte haben in Nervenheilanstalten vollauf Gelegenheit, sie zu beobachten. Ihr Anblick ist in der That tief erschütternd, und beklemmend ist die Flucht der Ausdrücke, in denen das Gesicht der Kranken die Wahngebilde widerspiegelt, die vor ihren Augen vorüberwallen oder ihr Gehör erfüllen.

Manchmal, aber sehr selten, schreckt und ängstigt noch heute die Teufelsgestalt ein krankes Gemüt, das im Glauben an böse Geister großgezogen wurde. Im allgemeinen hat der Teufel seine Macht über die Menschheit, soweit sie aufgeklärt ist, völlig eingebüßt, und es sind Hallucinationen rein weltlichen Inhalts, die während der Anfälle die Kranken plagen. Diese stärksten Ausbrüche der hysterischen Krämpfe hat man mit dem Namen Hystero-Epilepsie benannt, obwohl sie mit der wirklichen Epilepsie nichts gemeinsam haben. Sie können auch epidemisch werden, wie die Besessenheit es war in den Frauenklöstern; wird auf der Abteilung eines Krankenhauses eine Hysterische von einem solchen Anfall betroffen, so kommt es wohl vor, daß andere Hysterische, die in demselben Saale untergebracht sind, der Reihe nach dieselben Erscheinungen zeigen und der Saal plötzlich einer Pulverlunte gleicht, die ein Funken entzündet hat.

Aber der Besuch eines solchen Krankenhauses bietet uns nicht allein traurige Eindrücke, im Gegenteil, er erfüllt uns mit erhebender Zuversicht. Vor zweihundert Jahren war es, da hatten die besessenen Ursulinerinnen von Loudun den Geistlichen Urbain Grandier beschuldigt, daß er nachts durch die Mauern in das Kloster eindringe, um teuflische Künste zu treiben. Man suchte den Nonnen den Teufel auszutreiben und nahm den Geistlichen ins Verhör; er hatte erbitterte Feinde, denn dem Gerichtshofe wurde sogar ein Brief, anscheinend in seiner Handschrift, übergeben, in dem er sich dem Teufel verschrieb, und dieser Brief wird noch heute als Kuriosum aufbewahrt. Grandier wurde als Hexenmeister gefoltert und verbrannt. Neulich hat in einem unserer größten Krankenhäuser eine Hysterische zwei Aerzte beschuldigt, daß sie nachts durch die Mauern in die Krankensäle dringen, aber es kam zu keinem Prozeß. Die Aerzte verziehen der Armen, die nicht wußte, was sie that und sprach, und pflegten sie, bis sie genas. Das ist eben die tröstliche Kunde, die uns von der modernen Wissenschaft verkündet wird, daß die Hysterie ein heilbares Leiden ist, und noch wichtiger und beruhigender ist die Erkenntnis, daß sie verhütbar ist.

Nur wer sich nicht zu beherrschen vermag, wer keine Schulung des Geistes durchgemacht hat, wer nicht zu denken versteht und im Fühlen und Empfinden aufgeht, wird zu einem willenlosen Spiel der auf ihn eindringenden Vorstellungen, wird zum Sklaven der Suggestion. Je vernünftiger der Mensch, desto gefeiter ist er gegen diese seelische Krankheit.

Eins aber lehrt uns noch dieser Abschnitt der Geschichte des Aberglaubens. Die Kulturmenschheit hat sich von dem Hexenwahn befreit, ohne die Macht der Vorstellung auf den Körper, ohne die Suggestion und ohne das Wesen der Hysterie zu kennen; die Macht der Aufklärung hat hingereicht, um diese Wahngebilde zu zerstreuen. Und wunderbar ist das nicht, denn der schwache Kranke schöpft seine Suggestionen nur aus der Umgebung, in der er sich befindet, deren Luft er atmet. Wo der Teufelsglaube unter den Gesunden geschwunden ist, giebt es heutzutage weder Hexen noch Besessene. Halten wir also fest an den Errungenschaften der Aufklärung und treten wir unverzagt allen mystischen Regungen entgegen, die in der Neuzeit ihr Haupt erheben möchten, weil sie natürliche Vorgänge nicht zu deuten verstehen, wie einst die Hexenrichter und die Masse des Volkes ratlos den Erscheinungen der Hysterie gegenüberstanden und in den Kranken dem Teufel Verschriebene vermuteten.