Die Sicherheitsapparate der Eisenbahnen
Nicht nur in Amerika, dessen großartiges Verkehrswesen uns immer als Muster gepriesen wird, auch in Deutschland erfreut man sich auf den Eisenbahnen großer directer Linien, welche vermittelst der auf ihnen laufenden Eilzüge rasch, ohne Aufenthalt, ohne Wagenwechsel, den Reisenden Hunderte von Meilen weit befördern.
Daß aber der Mensch so leicht, schnell und ungestört wie in Oberon’s Wagen über solch weite trennende Strecken triumphirend dahinziehen kann, dies verdankt er einem kleinen unbedeutend scheinenden Umstand: der Uebereinstimmung der Geleise. Alle europäischen Eisenbahnen, mit Ausnahme der russischen und einiger irischen Bahnen, haben eine gleiche Spurbreite, das heißt, [202] die Entfernung zwischen je zwei im Geleis sich gegenüberliegenden Schienen ist überall gleich weit, sie beträgt vier Fuß achteinhalb Zoll englisch, so daß also die spanischen Wagen bis nach Ostpreußen, die schlesischen nach Calabrien und die französischen ungehindert bis nach Siebenbürgen laufen können.
Diese außerordentlich werthvolle kosmopolitische Eigenschaft der Eisenbahnen kann man leicht an jedem Güterzuge, besonders aber an den bunten Wagenparks bemerken, die sich ohne Aufhören auf den Nebengeleisen unserer großen Bahnhöfe anhäufen. Außer den sehr verschieden gebauten Wagen der achtundsiebenzig Bahnen des deutschen Eisenbahnverbandes, zu denen die sämmtlichen österreichischen, die meisten holländischen Linien und die Warschau-Wiener Bahn gehören und die fast alle Farben des Malkastens aufweisen, trifft man hier stets Franzosen, Belgier, Schweizer und auch wohl einen grau angestrichenen Italiener an.
Doch verwendet jede Eisenbahnverwaltung auf ihren Linien soviel wie möglich nur die eigenen Wagen zum Gütertransport, weil für Benutzung fremder Wagen Miethe gezahlt werden muß, eine durchaus nicht unbedeutende Ausgabe, die z. B. bei den deutschen Bahnen im vergangenen Jahre die Summe von ungefähr acht Millionen Thalern betragen hat.
Die gepriesene nothwendige Uebereinstimmung der Geleise beansprucht eine große, zum Theil kostspielige Ueberwachung und eine peinlich schwierige Controle, die aber den daraus entspringenden Vortheilen gegenüber nicht in Betracht kommen kann.
Die außerordentliche Schnelligkeit des Verkehrs, die wir zunächst immer nur auf Rechnung des Dampfes setzen, ist dabei auch noch von einem andern Etwas abhängig – von den Signalen, die wir gewöhnlich ganz übersehen.
Ohne eine gute Signalisirung würde sich die Schnelligkeit der Eisenbahnzüge nicht über diejenige der gewöhnlichen Fuhrwerke erhoben haben, ihre Schnelligkeit würde dann kaum die gemüthlich dahinhumpelnde Postkutsche übertreffen.
Sowie aber im Leben des Menschen erst die Gedanken die That begründen, einleiten und ihr fördernd voraneilen, so eilen auch die Signale gedankenreich und gedankenschnell den Zügen voraus, ebnen den Weg, rufen alle Vorbereitungen wach, die der herannahende Zug zu seiner Sicherheit sowohl, wie zu seiner ungehinderten Weiterfahrt bedarf, und gestatten nur dadurch der Locomotive eine den Umständen entsprechende Entwickelung ihrer nachhaltigen Riesenkraft.
Die den Lesern wohlbekannten hohen Masten mit ihren oben angebrachten Armen oder Flügeln waren die ersten und sind jetzt noch die verbreitetsten Signalapparate[1]. Sie haben sich so eingelebt, daß sie auf allen Bahnen, wo sie in Gebrauch, eine liebgewordene Erscheinung sind. Obgleich sie bei Nebel den Dienst versagen, und die Bahnwärter dann zu Signalhörnern greifen müssen, um sich gegenseitig zu verständigen, und obgleich sie nicht immer mit der gewünschten Schnelligkeit zu arbeiten vermögen, so daß sie zuweilen der Schnellzug fast einholt, so sind sie doch bei einer leichten Handhabung sehr einfach, eine schwerwiegende Tugend, da das Einfache, nicht leicht zu Mißverständnissen Führende bei den Eisenbahnen mehr als anderswo vom höchsten Werthe ist.
Des Nachts geschieht das Signalisiren mit diesem sogenannten optischen Telegraphen bekanntlich durch daran emporgezogene bunte Lichter, die überall je nach ihrer Bedeutung die Farben weiß, roth oder grün haben. Später traten zu diesen sichtbaren Signalen die elektromagnetischen Telegraphen und dann auch noch die elektrischen Läutewerke oder Lärmsignale; jene kleinen längs der Strecke aufgestellten Häuschen, die mit Glocken und Schlagapparaten versehen und mit Drähten untereinander verbunden sind und auf elektrischem Wege die Glocken zum Tönen bringen, wobei die Zeichen durch die Anzahl und Gruppirung der Klänge gebildet werden.
Guteingerichtete Bahnen mit starkem Verkehr wenden alle drei angeführten Signale zugleich an, und dabei ist der alte optische Telegraph in veredelter Form als ein Tag und Nacht thätiger und verläßlicher „Semaphor“ in sehr geschätztem Gebrauch und unterscheidet sich von dem früheren Telegraphen dadurch, daß seine Arme mit sehr durchsichtigen rothen und grünen Glasscheiben in der Art verbunden sind, daß zum Beispiel bei dem Zeichen „Halt“, wenn der Semaphoren-Arm rechtwinkelig auf das Geleis zeigt, zugleich am hinteren Ende des Armes die rothe Scheibe sichtbar ist, die bei dem Zeichen „Langsamfahren“, wo der Arm schräg nach unten zeigt, durch die grüne Scheibe ersetzt wird, während bei dem Zeichen „Strecke frei“, wo der Arm schräg emporgerichtet steht, keine Scheibe zu sehen ist. Des Nachts wird dann eine Laterne am Semaphor befestigt und zwar so, daß die rothen und grünen Gläser bei dem Geben der beiden ersten Zeichen unmittelbar vor dieselbe zu stehen kommen und dadurch rothes und grünes Licht verursachen, also auch bei Nacht die Stellung des Armes bezeichnen, während bei dem Signal „Strecke frei“ nur das weiße Licht der Laterne zu sehen ist.
Bevor ein Zug auf einer dieser also ausgerüsteten Bahnen seine Fahrt beginnt, wird sein Kommen der nächsten Station zuerst durch den elektrischen Telegraphen angekündigt und alsdann als „Achtungssignal“ das elektrische Läutewerk auf der ganzen Strecke bis auf die nächste Station hin in Thätigkeit gesetzt und damit überall zu gleicher Zeit die vorgeschriebene Anzahl Glockenschläge gegeben, wodurch die Aufmerksamkeit der Bahnwärter auf der ganzen Linie sofort auf den damit angekündigten Zug gelenkt wird. Jeder Bahnwärter giebt hierauf, nachdem er sich vorher überzeugt, daß sein Revier in Ordnung, mit dem Semaphor, der, wenn kein Zug angezeigt ist, stets auf Halt zeigt, so lange das Zeichen „Strecke frei“, bis der angekündigte Zug vorüber ist, und ändert dann wieder das Zeichen in „Halt“ um; hat daher ein Bahnwärter geschlafen, das Glockensignal nicht gehört und also auch sein Signal nicht auf „Strecke frei“ gestellt, so hemmt er den Verkehr, was wohl schon ein oder der andere Leser zu seinem Verdruß erfahren haben mag.
Außer diesen Signalen auf den Strecken hat jeder Zug und jede Maschine, die von Hauptbahnen auf Nebenbahnen übergeht, am Tage sowohl wie in der Nacht bestimmte leicht erkennbare Zeichen an sich zu tragen und eine gewisse Anzahl Töne mit der Dampfpfeife zu geben, durch welche sie ihre Richtung anzeigt; außerdem muß bei Nacht jeder Zug vorn und hinten gut erleuchtet sein, und endlich darf kein Extrazug abgehen, ohne vorher durch einen vorausgegangenen Zug angezeigt worden zu sein, was durch am Ende des Zuges angebrachte aus Weidenruthen geflochtene roth angestrichene Scheiben geschieht, die des Nachts Laternen mit roth gefärbten Gläsern vertreten, wie denn auch jeder Extrazug wieder besondere Zeichen an sich hat, die ebenfalls am Tage in grünen Scheiben und des Nachts in grünen Lichtern bestehen, die auf dem letzten Wagen aufgesteckt sind, wodurch er den Bahnwärtern ankündigt, daß er noch denselben Tag, oder ist es Abend, daß er noch in derselben Nacht zurückkehren wird.
Eine wichtige Rolle spielen auch die der neuern Zeit angehörenden „elektrischen Distancesignale“, die an solchen Punkten aufgestellt werden, wo ein ganz besonders starker Verkehr oder wichtige Kreuzungspunkte ein vorsichtigeres Fahren nothwendig machen. Sie bestehen aus hohlen Holzsäulen, in deren Innerem sich ein elektrischer Apparat befindet, während von der Spitze der Säule ein zwei Fuß langer rother Arm herunterhängt, der in dieser Lage „Bahn frei“ bedeutet; sobald aber auf dem elektrischen Apparat das Zeichen „Linie besetzt“ gegeben wird, hebt sich der rothe Arm rechtwinkelig empor und macht diese Stellung bei Nacht durch ein daran hängendes rothes Licht erkennbar. Diese Apparate sind dabei unter sich durch Leitungsdrähte verbunden und so construirt, daß jeder damit betraute Wärter Signale geben, dieselben aber nicht selbst wieder beseitigen kann, sondern dabei ganz von seinem Nachbar abhängig ist. Hat zum Beispiel der erste Signalwärter, welchem der von Station A abgegangene Zug 2 begegnet, mit dem Distancesignalapparat das Zeichen „Vorsicht“ oder „Linie besetzt“ gegeben, und damit dem Zug 2 angezeigt, daß sich auf der Strecke von diesem bis zum nächsten Signalapparat noch der Zug 1 befindet, so kann nur der Posten am letzteren Apparat das bei dem ersten Posten gegebene Signal „Linie besetzt“ dadurch wieder beseitigen, daß er, nachdem der Zug 1 an ihm vorüber ist, nun ebenfalls zur Mahnung für den darauffolgenden Zug 2 das Signal „Linie besetzt“ giebt, denn in demselben Augenblicke, wo er dieses Signal mittels eines Drückers sichtbar werden läßt, bewirkt er zugleich auf elektrischem Wege das Verschwinden desselben Signals am vorhergehenden Posten.
Zu den Distancesignalen gehören auch die nützlichen elektrischen Signalapparate, welche auf starkbefahrenen Bahnen in Zwischenräumen [203] von dreitausend zu dreitausend Ellen aufgestellt sind und durch einen schwarzen Zeiger angeben, ob sich in dem Zwischenraume von einem bis zum anderen Apparate ein Zug aufhält. Ist also ein Zug von der Station A. nach Station B. abgegangen, so signalisirt A. den Zug zunächst nach dem nächsten dreitausend Ellen entfernten Signalposten und läßt einen anderen Zug nicht eher folgen, bevor nicht von diesem Posten durch den Apparat das Zeichen, daß der abgegangene Zug dort angekommen, zurückgelangt ist; so lange dieses nicht der Fall, deutet der schwarze Zeiger des Apparats der Station A. auf „Linie besetzt“, während ein zweiter, darunter befindlicher rother Zeiger als Quittungszeichen dient, denn er giebt durch seine Stellung an, ob das fortgegebene Zeichen auf dem nächsten Signalapparat auch zum Vorschein gekommen ist. Ein elektrisches Läutewerk steht damit in Verbindung, es dient dazu, die einzelnen Posten vorher auf den Apparat aufmerksam zu machen.
Zu den wichtigsten Signalen gehören ferner auch die Haltezeichen. An allen wichtigen Punkten, wozu besonders die Bahnhofseinfahrten gehören, stehen jene auf weite Strecken hin sichtbaren, des Nachts mit reflectirenden grünen oder rothen Lichtern behangenen Sperrscheiben, das heißt meist kreisrunde auf einem verschiebbaren Gestell befestigte Blechscheiben, die durch Drahtzüge von dem nächsten Wärter gewendet werden und „Halt“ bedeuten, sobald sie dem Zuge die volle Fläche entgegenhalten, um an den betreffenden Stellen Zusammenstöße abzuwenden. In England, besonders aber in Frankreich, sind da, wo mehrere Schienenwege zusammentreffen, auch die Weichen mit solchen, oft sehr weit davon entfernten Sperr- oder Haltescheiben durch Drähte in der Art verbunden, daß der Weichensteller, wenn er einem nahenden Zuge die Weichen öffnet, zugleich diese Scheiben auf „Halt“ stellt, andere Züge damit absperrt und dadurch dem von einem auf das andere Geleis übergehenden Zuge nach allen Seiten hin Sicherheit verschafft. In Frankreich hat man auch an mehreren besonders stark befahrenen Kreuzungspunkten Zusammenstöße dadurch unmöglich gemacht, daß die sich kreuzenden Linien durch Brücken über- und untereinander hinweggeführt worden sind.
Ohne die oben erwähnten elektrischen Distanz- oder Raumsignale, welche dem Locomotivführer fortwährend anzeigen, welches Tempo er einzuhalten hat, wäre der Eisenbahnverkehr in der englischen Hauptstadt gar nicht mehr zu regeln und stets den ernstesten Gefahren ausgesetzt, denn dieses Häusermeer durchkreuzen täglich viertausend Züge, wovon allein dreitausendsechshundert den localen Verkehr in der Stadt selbst vermitteln, während nur die übrigen vierhundert von auswärts kommen. Dreimalhunderttausend Passagiere benutzen diese Züge täglich zu ihrem Fortkommen. Mehrere der großen Bahnhöfe sehen in Folge dessen Tag für Tag gegen vierzigtausend Menschen in ihren Riesenhallen aus- und einsteigen, eine Frequenz, gegen die der Zuzug zur Leipziger Messe an den Meßsonntagen nicht sehr in Betracht kommt.
Um dieses rastlose Treiben und Jagen zu beherrschen, dazu gehört eben nur die hohe Vollendung des englischen Signalwesens und die Kaltblütigkeit der englischen Race. Menschenhände reichen nicht aus, die zahllosen Weichen rechtzeitig zu bedienen. Ein großer vollendeter Mechanismus bewirkt an allen großen Knotenpunkten des Verkehrs das Oeffnen und Schließen vieler Weichen zugleich. An Kreuzungen und Bahnhofseinfahrten arbeitet der Signalgeber in einem zwischen den Geleisen stehenden kleinen Hause und stellt darin mittels Hebel alle umliegenden Weichen zu gleicher Zeit und läßt auch einfach mittels Drucks auf Metallknöpfe oder anderer kleinerer Hebel eines elektromagnetischen Signalapparats an mehreren Stellen zugleich alle die verschiedenen Zeichen sichtbar oder hörbar werden, welche die Sicherheit der ankommenden und abgehenden Züge nach Menschenvermögen garantiren. Diese Apparate, sowie die zum Stellen der Weichen angebrachten Hebel sind dabei so sinnreich mit einander verbunden, daß der sie bedienende Beamte alle Griffe nur in einer ganz bestimmten, dem zu gebenden Signal entsprechenden Reihenfolge vornehmen kann, weil sie sonst versagen. Der Signalgeber oder Wärter kann zum Beispiel keinen Hebel bewegen, welcher die damit verbundenen Weichen einem nahenden Zuge öffnet, bevor er nicht den dazu gehörenden Signalhebel gestellt hat, welcher zuvor die entsprechenden Sicherheitssignale giebt, und der Signalhebel kann dann nicht früher wieder zurückgestellt und die damit zusammenhängenden Sicherheitszeichen beseitigt werden, bevor nicht erst der dazu gehörige Weichenhebel zurückgestellt und die damit verbundenen Weichen wieder in Ordnung gebracht, das heißt geschlossen worden sind.
Diese angeführten großen Signalsysteme, die mit kleinen Abweichungen theilweise auch auf unseren deutschen Bahnen mehr oder weniger Anwendung gefunden und sich überall bewährt haben, werden nun noch durch die ebenfalls in ein bestimmtes System gefaßten Signale ergänzt, welche das Personal der Züge, der Bahnhöfe und die Bahnwärter mit den Händen, mit kleinen Flaggen, Laternen und Pfeifen zu geben haben, sowie durch die Signale mit der Dampfpfeife und die jetzt sehr in Aufnahme gekommenen Knallsignale, welche in Form kleiner mit Sprengmasse gefüllter Blechkapseln, bei Nacht, Nebel, Sturm und Schneegestöber, wo die Zeichen eines einzelnen Mannes leicht unbemerkt bleiben können, vor und hinter einem festgefahrenen oder entgleisten Zug auf die Schienen befestigt werden, beim Ueberfahren explodiren und dadurch einem nahenden Zug das Zeichen zum Halten geben.
Mit diesen einer fortwährenden Vervollkommnung unterliegenden Signalen schien das Maß menschlicher Fürsorge für Leben und Gut nahezu erschöpft zu sein, als vor drei Jahren der von einem deutschen Schneider in dem Coupé einer Londoner Bahn während der Fahrt verübte Mord (damals der zweite Eisenbahnmord) die volle Aufmerksamkeit des Publicums auf die bis dahin noch sehr wenig beachtete Hülflosigkeit richtete, in die der einzelne Passagier so häufig während der Fahrt geräth. Ganz England fuhr dabei erschrocken auf und verlangte von seinen Eisenbahnverwaltungen eine leichte und zweckmäßige Verbindung der Passagiere mit dem Zugspersonal während der Fahrt. Es war dies aber eine schwierige Aufgabe, da der Engländer mit Zähigkeit an dem auch in Deutschland gebräuchlichen sogenannten englischen Wagensystem mit seinen von einander getrennten Coupés festhielt und doch auch in den Stand gesetzt sein wollte, zu jeder Zeit den Schaffner herbeirufen zu können, der, da die englischen Wagen keine Laufbretter haben, während der Fahrt vollständig von den Passagieren getrennt ist.
Die Bahnen wurden bald mit darauf abzielenden Projecten und Erfindungen überschwemmt und mußten unter dem unwiderstehlichen Drucke der öffentlichen Meinung sich wohl oder übel zu einer Menge Versuche über die geeigneten Mittel zum ungehinderten Verkehr innerhalb eines Zuges bequemen, die sich fast durchgehend als unpraktisch herausstellten. Die absolute Nothwendigkeit einer leichteren Verbindung zwischen den Passagieren und den Beamten des Zuges auch während der Fahrt blieb aber aufrecht und beschäftigt bis auf den heutigen Tag in England und Frankreich, weit weniger in Deutschland, die Köpfe der hervorragendsten Fachleute. Aus ihren bisherigen Experimenten haben sich besonders zwei Signalsysteme herausgeschält, die Anspruch auf einige Zweckmäßigkeit haben und deshalb in Frankreich und England eingeführt worden sind. Bei dem einen Systeme befindet sich in der Zwischenwand eines jeden Coupés der Klingelzug zu einem im Dienstcoupé des Zugspersonals aufgestellten elektrischen Läutewerke. Wird an dem Klingelzuge gezogen, so ertönen nicht blos im Dienstcoupé die Glocken des Läutewerks, sondern es wird auch zugleich zur leichteren Auffindung des betreffenden Coupés über demselben eine Scheibe sichtbar; bei einer englischen Bahn wird diese Scheibe des Nachts durch eine aufsteigende Rakete ersetzt. (? Die Red.)
Was die zweite Art des Verkehrs von Wagen zu Wagen betrifft, die besonders in Frankreich eine größere Verbreitung gefunden hat, so sind hier ebenfalls in den Zwischenwänden der Coupés Knöpfe angebracht, welche die Handhaben kleiner Luftpumpen bilden, die wieder mit einer Reihe unter den Personenwagen hängender eiserner Röhren in Verbindung stehen, welche unter sich durch Kautschukschläuche verbunden sind und in ein im Zugsführercoupé aufgestelltes Läutewerk münden. Ein zwei- bis dreimaliges Ziehen an einem der Knöpfe verdünnt die Luft in den Röhren und setzt auch das Läutewerk in Gang, während gleichfalls über dem betreffenden Coupé sich eine Scheibe emporrichtet und den Ort bezeichnet, von wo aus das Signal gegeben worden ist.
Bei beiden Zugssignalen sind die Griffe und die Knöpfe in den Coupéwänden durch Glastafeln vor einem zu leichten Gebrauche geschützt, und müssen dieselben erst zerbrochen werden, um zu den Griffen zu gelangen, deren Gebrauch durch Anschläge erklärt wird, auf welchen auch auf die Strafen aufmerksam gemacht ist, die ein leichtsinniger Gebrauch nach sich zieht.
[204] Leider haben derartige Signale den großen Fehler, daß sie, besonders die elektrischen, zu künstlich und empfindlich und deshalb fortwährend Beschädigungen ausgesetzt sind.
Aus diesen und andern Gründen haben dergleichen Signale auch in Deutschland noch keinen Anklang gefunden, dagegen hat man bei uns eine alte praktische Vorrichtung wieder hervorgesucht und wieder angefangen, von der Dampfpfeife der Maschine aus eine Leine über den Zug zu legen. Da nun in Deutschland auch während der Fahrt eine leichtere Zugscontrole durch die an jedem Wagen befindlichen Laufbretter ausgeübt werden kann, als in England, so ist der Schaffner, wenn er eine Gefahr etc. bemerkt, zu jeder Zeit bei Sturm und Nebel von seinem Sitze aus im Stande, durch einen Ruck an der Leine mit der Dampfpfeife das Haltezeichen zu geben.
Das amerikanische Personenwagen-System, wobei man durch die Giebelseiten der Wagen durch den ganzen Zug gehen kann, macht dergleichen Signale, das letztere vielleicht ausgenommen, natürlich überflüssig; wir werden jedoch später darauf sowie auf den Personenverkehr und seine Einrichtungen zu sprechen kommen und wollen hier nur noch einer Erfindung gedenken, die gleichfalls in die Reihe der Sicherheitsvorrichtungen gehört, unter dem Namen eines Indicators versuchsweise auf der Köln-Berliner Bahn eingeführt worden ist und aus einem in oder unter dem Wagen angebrachten Apparat besteht, der durch eine Schnur mit einer der Achsbüchsen desselben Wagens in Verbindung steht. Alle Schwankungen während der Fahrt, denen der Wagen in Folge seiner Construction und, was das Wichtigste, durch die mehr oder weniger gute Beschaffenheit des Schienenstrangs unterworfen ist, werden von der Achsbüchse der Schnur mitgetheilt, die dadurch wie ein kleiner Treibriemen wirkt, Räder und durch diese wiederum einen Schreibstift in Bewegung setzt, der jede empfangene Schwankung auf einen durch die Wagenbewegung sich abwickelnden Papierstreifen in Form kleiner Zickzacklinien verzeichnet, die natürlich um so größer ausfallen müssen, je stärker die Schwankungen des Wagens waren. Da der eigentliche Schreibapparat auch in einem Coupé aufgestellt werden kann, so ist ein ihn überwachender Beamter im Stande, alle Wärterhäuser, Brücken, Tunnel, sogar die Meilensteine, welche der Zug passirt, mit einem Bleistift auf dem sich abrollenden Papierstreifen zu markiren. Mit Hülfe dieser Merkzeichen kann dann später jeder beliebige Punkt der Bahn, sogar jede einzelne Schiene aufgefunden werden. Ein zweiter durch ein Uhrwerk bewegter Schreibstift markirt außerdem die Zeit auf den Streifen, so daß auf demselben auch noch die Geschwindigkeit des Zuges auf jedem Theile der Bahn ersichtlich ist. Dem ähnliche Apparate sind auf der preußischen Ostbahn schon länger in Gebrauch und weisen nicht blos die auf jedem Theile der Bahn angewendete Zugskraft nach, sondern außer der Geschwindigkeit der Fahrt geben sie auch noch die Länge des Aufenthalts auf den Stationen an; sie controliren mithin die ganze Linie, während der erstere Apparat vorzugsweise die Beschaffenheit der Strecke controlirt und über jede schlechte Stelle derselben seine stumme Meldung macht.
Obwohl endlich alle Signale an den Eisenbahnen nur einen Hauptzweck erstreben sollen und in jedem Lande sehr leicht in ein System gebracht werden könnten, so trifft man doch auf keinem Felde menschlicher Thätigkeit mehr Abwechselung und schroffere Abweichungen an als gerade im Signalwesen.
Wir haben in Vorstehendem nur die hauptsächlichsten und wichtigsten in den drei großen Culturstaaten Deutschland, England und Frankreich angewendeten Sicherheitsvorrichtungen berührt, zum Theil uns aber auch an die in Sachsen gebräuchlichen gehalten, weil hier ein ungewöhnlich starker Verkehr die umfassendsten Sicherheitsmaßregeln bedingt, und haben damit dem freundlichen Leser einen Einblick in dieses Gewebe interessanter Erfindungen verschafft, welches sich, wenn er den Fuß in den Waggon setzt, sichernd um ihn her ausspannt und fast auf jeder Bahn sich ändert, weil beinahe jede Bahn ein anderes System hat. Deutschland mit seinen vielen Gesellschafts- und Staatsbahnen steht darin weder hinter dem dreieinigen England, noch hinter dem centralistischen Frankreich mit seinen einer eingehenden staatlichen Controle unterworfenen sechs großen Eisenbahngesellschaften zurück.
Nur wenige Signale haben eine allgemeine Geltung; so die Haltescheiben, deren volle Flächen ebenso wie die wagerecht vorgehaltenen Arme der Distancesignale und Semaphoren beinahe überall Halt gebieten, während die rothen, grünen und weißen Farben und die Signale der optischen Telegraphen die abweichendste Bedeutung haben. Dort erglänzen die richtig gestellten Weichen in rothem, da in grünem und hier in weißem Lichte; nur das blaue Licht hat man überall ausgeschlossen, weil es leicht mit dem grünen zu verwechseln ist und nicht weit gesehen werden kann. In Frankreich hat die Orleansbahn dieses und die Nordbahn jenes Signalsystem adoptirt, und letztere selbst wendet wiederum auf den einzelnen Bahnhöfen versuchsweise hier dieses und da jenes Untersystem an. Der große amerikanische Freistaat bewegt sich darin ebenfalls in buntem Wechsel. Es ist eben noch überall ein Suchen und Tasten nach dem Verläßlichen und Guten, ein ununterbrochener Wettstreit, der aber späteren Geschlechtern zu Gute kommt, denn es werden noch viele Jahre vergehen, ehe sich aus diesen tausendfachen Versuchen ein System Geltung erringt, das die besten Proben seines Werthes gegeben hat.
- ↑ Eingeführt, und zwar im Großen, wurden sie zuerst von Napoleon dem Ersten, als er vom Lager von Boulogne aus England bedrohte und Telegraphenlinien nach Paris und Toulon errichtete, um von letzterem Platze die Mittelmeerflotte schnell herbeirufen zu können.