Textdaten
<<< >>>
Autor: Siegfried Körte
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Selbstverwaltung
Untertitel:
aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band, Zweites Buch, S. 55 bis 71
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[191]
Die Selbstverwaltung
Von Dr. Siegfried Körte, Oberbürgermeister in Königsberg Pr., M. d. H.

Eine zusammenfassende Betrachtung der Selbstverwaltung im letzten Vierteljahrhundert wird am zweckmäßigsten, unter Abstandnahme von mancherlei, ihr Wesen und ihre Arten betreffenden theoretischen Erörterungen, den Blick dahin richten, wo ihre Wiege in Preußen und Deutschland gestanden hat und wo sie unbestreitbar am frühesten, wohl auch allgemeiner Meinung nach am reinsten in die Erscheinung getreten ist – auf die Stadtgemeinden. Daß in ihnen in den letztverflossenen 25 Jahren gewaltige Fortschritte nach den verschiedensten Richtungen menschlichen Gemeinschaftslebens erzielt worden sind, wird in Deutschland im allgemeinen nicht bestritten, im Ausland vielfach bewundernd anerkannt. Wie spiegelt sich in solchen insonderheit die Selbstverwaltung als Organisationsform, als geistige, lebenfördernde Macht? Hat sie noch immer erfüllt und erfüllen können, was ihr genialer staatsmännischer Schöpfer, der Reichsfreiherr vom Stein, in seiner berühmten Nassauer Denkschrift vom Juni 1807 von ihr erhoffte:

„Der Formenkram und Dienstmechanismus in den Kollegien wird durch Aufnehmen von Menschen aus dem Gewirre des praktischen Lebens zertrümmert und an seine Stelle tritt ein lebendiger, fest strebender[1], schaffender Geist und ein aus der Fülle der Natur gewonnener Reichtum von Ansichten und Gefühlen. . .“

und als Wirkung:

. . . eine „Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinnes, Benutzung der schlafenden und falsch geleiteten Kräfte und der zerstreut liegenden Kenntnisse“ . . .?

Und welche Hoffnungen und Wünsche bleiben vom Standpunkt der bisherigen Entwickelung der Selbstverwaltung noch zu erfüllen? – Das sind Fragen, die sich uns, rückwärts- und mit dem schnellflutenden Leben zugleich vorwärtsschauend, naturgemäß aufdrängen.

Daß die in den Stadtgemeinden erreichten vielfachen Lebensfortschritte nicht etwa ausschließlich als Ergebnisse der Selbstverwaltung angesprochen werden sollen, oder können, liegt auf der Hand. Ihre berufenen Vertreter wie überzeugten Verehrer sind sich dessen so klar wie dankbar bewußt, daß das Erreichte nur unter dem starken Schutz eines machtvoll in der Welt sich entwickelnden Vaterlandes, unter den Segnungen einer ungetrübten Friedenszeit, dank der mannigfachen Förderung der Gesetzgebung des Reiches wie der Bundesstaaten möglich gewesen ist. Wie hätte es anders, um nur wenige Beispiele anzuführen, im äußeren Auf- und Ausbau der deutschen Städte, in der Fürsorge für Bildung, Kunst und Wissenschaft, in gemeindlichen Wohlfahrtseinrichtungen [192] der verschiedensten Art, in der Schaffung weitverzweigter Gemeindebetriebe zu einem derartigen Aufschwunge kommen können, wie ihn die letzten Jahrzehnte in Deutschland gesehen haben. Kaum eine Stadt, selbst unter den kleinsten und entlegensten, in welcher die Segnungen der Gesamtentwickelung des Vaterlandes, des wachsenden Wohlstandes, der stetigen Arbeit an der Verbesserung der Grundlagen für das Vorwärtskommen aller Berufsstände nicht irgendwie merkbar zu Tage getreten wären. –

Entwickelung der Selbstverwaltung als Organisationsform.

Dies vorausgeschickt, mag nunmehr zunächst die Entwickelung der Selbstverwaltung als Organisationsform näherer Betrachtung unterworfen werden.

Eine gesetzliche Veränderung ihrer wesentlichsten Grundlage: der weitestgehenden Durchdringung amtlich-obrigkeitlicher Verwaltung mit der ehrenamtlichen Tätigkeit aller zu gemeinnütziger Mitarbeit bereiten Bürger einer Gemeinde zwecks selbständiger Erledigung aller nicht der Staatsverwaltung besonders vorbehaltenen Gemeindeaufgaben, hat während des letzten Vierteljahrhunderts ebensowenig wie während des ganzen letzten Jahrhunderts stattgefunden. Die von Anfang an in Deutschland hauptsächlich vertretenen beiden Selbstverwaltungsformen bestehen noch heute im Wesentlichen unverändert fort. Die sogenannte Kollegial-Verfassung – mit ihrem Magistrat (Rat, Senat, Stadtrat) und Stadtverordneten-Versammlung, oder Magistrat und Gemeinde-Ausschuß, oder Gemeinderat- und Bürgerausschuß, die teils als Verwaltungskörper und Kontrollorgan, teils auch als gemeinsam wirkende Verwaltungskörperschaften tätig sind – und andererseits die an napoleonische Vorbilder angelehnte sogenannte Bürgermeisterei-Verfassung – mit dem Bürgermeister und seinen Beigeordneten als Verwaltern und den unter dem Vorsitz des Bürgermeisters als Kontrollorgan tätigen Stadtverordneten. – Die Frage, welche dieser beiden Formen den Vorzug verdient, wird sich einwandfrei schwer entscheiden lassen. Scheint die Kollegial-Verfassung den unter ihr Wirkenden vielleicht den Gedanken des Ehrenamtes und die Zweiteilung von „Verwaltung“ und „unabhängiger öffentlicher Kontrolle“ schärfer zu betonen, so dürfen die Anhänger der Bürgermeisterei-Verfassung hinwiederum auf ihre größere Einfachheit und dadurch Beweglichkeit hinweisen. Ihre Aufgaben hat die Selbstverwaltung, wie die Erfahrung lehrt, auch unter den immer vielgestaltigeren Verhältnissen der letzten Jahrzehnte, in der einen wie der anderen Form bisher zu erfüllen vermocht.

Anwachsen der Verwaltungskollegien.

Freilich kann nicht geleugnet werden, daß dabei je verzweigter ihre Aufgaben wurden, auch für die Selbstverwaltung, ebenso wie für den Staat, allerlei neue organisatorische Fragen und Bedenken aufgetaucht sind. In der Verwaltungsinstanz mußte mit der vermehrten Bedeutung, sei es der technischen, sei es anderer Spezial-Verwaltungsgebiete, die Zahl der besonders vorgebildeten beamteten Mitglieder naturgemäß fast überall vermehrt werden. Zu ihren auch früher schon vorhandenen Stadtkämmerern und -Syndicis-Schulräten und -Bauräten sah man besondere [193] Maschinenbauräte, Verkehrsdezernenten, Stadtmedizinalräte und ähnliche Magistratsmitglieder oder Beigeordnete neu hinzutreten. Das hatte dann wiederum, zumal bei der Kollegial-Verfassung die Folge, daß auch die Zahl der ehrenamtlichen Mitglieder entsprechend vermehrt werden mußte. So sind die Mitgliederzahlen der Verwaltungskollegien, zumal in den großen Städten, vielfach mehr gewachsen, als es im Interesse der Übersichtlichkeit und einheitlichen Leitung der Geschäfte hier und da vielleicht erwünscht sein mochte.

Erhöhte Anforderungen an das Ehrenamt.

Daneben hat es der stetig an Umfang wie an innerer Bedeutung wachsende Beschäftigungskreis der Selbstverwaltung mit sich gebracht, daß die Anforderungen an die Kraft und damit auch die Bereitschaft zu ehrenamtlicher Betätigung in ihr immer höhere geworden sind. Geht die Zahl der ehrenamtlich Tätigen schon in mittleren Städten oft in die Hunderte, so wächst sie in den großen Verwaltungen oft in viele Tausende, und weite Kreise werden vielleicht kaum eine richtige Vorstellung davon haben, wie unendlich groß die Opfer an Zeit und Kraft, ja an Geld und Gut sind, die tagaus tagein von vielen Tausenden in den verschiedensten Ehrenämtern der Selbstverwaltung zum Besten der Allgemeinheit willig dargebracht werden. Und solche Tätigkeit beschränkt sich bekanntlich keineswegs mehr auf die Männer. In immer ausgedehnterem Maße sind auch die Frauen zur ehrenamtlichen Mitarbeit herangezogen worden. In der Armen-, Waisen- und sonstigen Wohlfahrtspflege jeder Art, im Schulwesen, in Arbeitsämtern, Rechtsauskunftstellen, Wohnungsaufsicht und Wohnungspflege haben sie in den letzten Jahrzehnten in immer steigender Zahl zum größten Nutzen der Gesamtheit uneigennützig mitgewirkt und mit dazu beigetragen, den Schwierigkeiten zu begegnen, die sich hier und da wohl in der Gewinnung der erforderlichen Anzahl ehrenamtlicher Kräfte bemerkbar gemacht haben. Es ergaben sich solche einerseits begreiflicherweise aus der Fülle der Anforderungen, die zumal in den eigentlichen Vertretungskörperschaften auch an das Ehrenamt gestellt werden müssen. Andererseits hat sicherlich auch die starke Verschärfung der Gegensätze im öffentlichen Leben manchen, an sich dazu Bereiten von der Annahme eines Ehrenamtes in der Selbstverwaltung abgehalten. Daß das vielfach zu beobachtende Hervortreten parteipolitischer Agitation, insbesondere das immer stärkere Eindringen der Sozialdemokratie in die Selbstverwaltungskörperschaften, mit der grundsätzlich völligen Rücksichtslosigkeit ihres Vorgehens in der Kritik wie im Drängen auf ihre Sonderziele, in solcher Richtung nicht gerade günstig gewirkt hat, wird nicht zu bestreiten sein. Solch’ ungünstiger Einfluß darf andererseits auch nicht – wie es leider infolge mangelnder näherer Kenntnis der Verhältnisse vielfach geschieht – überschätzt werden. Mitarbeit an den Dingen des gemeinsamen Lebens, mit allen dem menschlichen Wesen nun einmal anhaftenden Unvollkommenheiten, hat noch meistens dahin geführt, auch mit diesem Leben rechnen zu lernen. Und daß nicht wenige fähige, auf manchen Gebieten auch zu gemeinnütziger Mitarbeit im allgemein bürgerlichen Sinne bereite Männer auch aus den Reihen der Sozialdemokratie in die Selbstverwaltung hineingelangt sind, wird von den mit ihren Verhältnissen Vertrauten gerechter [194] Weise nicht in Abrede gestellt werden. Die bisher im allgemeinen mit ihnen gemachten Erfahrungen, selbst in den verhältnismäßig wenigen, durch bestehende gesetzliche Sondervorschriften erklärlichen Fällen, wo ihr Einfluß bereits mehr oder minder ausschlaggebend geworden ist, lassen jedenfalls die gelegentlich wohl zu hörende trübe Befürchtung allmählichen „völligen Scheiterns der Selbstverwaltung“ an solcher Mitwirkung als nicht berechtigt erscheinen. Ihr Gedanke des Zusammenwirkens vieler, wenn auch noch so verschieden Gerichteter, an den unmittelbaren, täglich notwendigen Dingen des gemeinsamen Lebens ist ein viel zu gesunder, als daß man nicht mit dem Freiherrn vom Stein aus der Benutzung auch der „falsch geleiteten Kräfte“ das Erwachen rechten Gemeingeistes und Bürgersinnes und damit Nutzen und Förderung für die Gesamtheit erwarten dürfte.

Wachsen der Aufgaben der Selbstverwaltung und Interessengegensätze.

Andere, vielleicht schwierigere organisatorische Fragen haben sich für die Selbstverwaltung aus dem stetigen Wachsen ihrer Aufgaben, sowie vor allem aus der immer häufiger werdenden Erstreckung der tatsächlichen Einwirkung eines Selbstverwaltungskörpers auf das Verwaltungsgebiet eines benachbarten anderen ergeben.

Unter dem Einfluß der großen Errungenschaften auf dem Gebiete der Naturwissenschaften und Technik, der vermehrten Erkenntnis sozialer Mißstände, der ihr Rechnung tragenden Reichs- und Landesgesetzgebung, nicht zuletzt auch der bei steigendem Wohlstande fortgesetzt steigenden Ansprüche aller Bevölkerungsschichten, haben die letzten zweieinhalb Jahrzehnte eine Vermehrung wie auch Vertiefung der Selbstverwaltung mit sich gebracht, wie kaum je zuvor. Ja, es kann geradezu von einem wetteifernden Drängen der öffentlichen Meinung auf die Übernahme immer neuer, auch bisher mehr oder weniger nur privater Tätigkeit überlassener Geschäftsgebiete durch die Selbstverwaltung gesprochen werden.

Armen-, Kranken- und Wohlfahrtspflege.

Ein kurzes Eingehen auf die Wandelungen, die einige der wichtigsten der Verwaltungszweige unter solchen Einflüssen erfahren haben, wird den Gang wie die Folgen solcher Entwickelung am besten zu erläutern vermögen. Wenn sich zum Beispiel die Armen- und Krankenpflege früher im wesentlichen auf die möglichste Beseitigung der Tatsache der Armut und Krankheit richtete, so hat sie sich mit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts daneben auch vor allem vorbeugende Maßregeln aller Art zur tunlichsten Verhütung wirtschaftlicher und körperlicher Not zum Ziele gesetzt. Dazu galt es einerseits, überall möglichst persönliche Fühlung mit den Hilfsbedürftigen, sei es durch ehrenamtliche Armen- und Waisen-Pfleger und -Pflegerinnen, sei es durch Fühlungnahme mit weltlichen, oder religiösen Wohltätigkeitsorganisationen, zu gewinnen. Andererseits wuchsen so dem Gebiete der Armenpflege weite neue Gebiete der Wohlfahrtspflege hinzu. Krippen und Säuglingsheime, Kinderasyle und Kinderhorte, Jugendschutz und Fürsorgeerziehung, Erholungsheime für Kinder wie für Erwachsene, Tuberkulose- und Trinkerheilstätten [195] mögen nur einige der hauptsächlichsten Bestrebungen andeuten, die mehr oder weniger ausschließlich zu neuen umfassenden Arbeitsgebieten der Selbstverwaltung geworden sind, und auf denen sie vielfach mit vorbildlichen Schöpfungen im Dienste der leidenden und pflegebedürftigen Menschheit vorgegangen ist. Solchen Bestrebungen nahe verwandt, sind die mannigfachen Maßregeln im Interesse der allgemeinen Fürsorge für die arbeitende Klasse, wobei hier von der weiter unten zu erörternden Tätigkeit der Selbstverwaltung als Arbeitgeberin abgesehen werden soll. Es sei hier nur auf Veranstaltungen wie Arbeiter-Schutz- und -Wärmehallen, Volksküchen, Volksheime, Rechtsauskunftstellen, Arbeitsnachweise, die Beschaffung von Arbeitsgelegenheit für Arbeitslose, ja die mannigfachen Versuche mit der Schaffung einer Arbeitslosen-Versicherung hingewiesen.

Schulwesen.

Und dieselbe Erscheinung einer außerordentlichen Arbeitsvermehrung, in die Breite wie in die Tiefe, finden wir auf dem nicht minder bedeutsamen, die Selbstverwaltung materiell sicher am stärksten beanspruchenden Verwaltungsgebiete, dem öffentlichen Schulwesen. Neben die Sorge für die höheren Schulen und die allgemeine Volksschule trat einerseits die Fürsorge für eine neue, sich allmählich immer weiter ausbreitende Schulgattung, die Mittelschule, die ihren Zöglingen zu dem Wissen der Volksschule noch die Kenntnis einer oder mehrerer fremder Sprachen verschaffen soll. Außerdem nahmen die Arten der höheren Lehranstalten, mit der verstärkten Bedeutung und dadurch vermehrten Schaffung von Oberrealschulen und Realschulen, mit den Reformgymnasien und -Realgymnasien, in neuester Zeit auch der weiteren Ausgestaltung der höheren Mädchenschulen – mit Frauenschule, Lyzeum, Oberlyzeum, Seminar und Übungsschule – in nicht geringem Umfange zu. Die allgemeine Volksschule andererseits, von jeher ein Gegenstand besonderer Pflege der Selbstverwaltung, konnte nicht nur innerlich durch stete Erweiterung ihres Lehrziels und fortschreitende Berücksichtigung der Eigenart der Schüler wesentlich gefördert werden, sondern hat auch äußerlich ganz außerordentliche Fortschritte zu verzeichnen gehabt. Handarbeits-, Handfertigkeits- und Werkunterricht, Koch- und Haushaltungsunterricht, Sonderklassen für Schwachbefähigte, wie Hilfsschulen, Schulärzte und Waldschulen, mögen als Beispiel für die Fortschritte der inneren, Turnhallen und Jugendspielplätze, Brausebäder, belehrender und anregender Bild- und Wandschmuck in den äußerlich ansprechenden, mit hohen, luftigen, gut belichteten Klassen, guten Büchereien und Lehrmittelsammlungen, geräumigen Schulhöfen und Schulgärten versehenen Schulhäusern, als Merkmale der großen Verbesserungen der äußeren Schuleinrichtungen hervorgehoben werden. Volksbibliotheken, Lesehallen und Stadtbüchereien schließen sich als in derselben Richtung liegende Fortschritte an. Mit besonderem Stolze darf ferner die Selbstverwaltung auf das recht eigentlich aus ihr heraus immer segensreicher erwachsene gewerbliche Fortbildungsschulwesen blicken. Dazu berufen, der der Volksschule entwachsenen Jugend in der Zeit vom 14. bis zum vollendeten 18. Jahre die notwendigen Kenntnisse für das Berufs- wie das allgemein-bürgerliche Leben zu vermitteln, hat sich die Fortbildungsschule zugleich in immer steigendem Maße zu einem wesentlichen Mittelpunkte auch für die sonstige [196] leibliche wie geistige Pflege der früh den Gefahren des selbständigen Lebens ausgesetzten männlichen und weiblichen berufstätigen Jugend herausgebildet. Neben ihr aber ist, zumeist wenigstens unter Mithilfe, vielfach auf der Grundlage eigener Schöpfungen der Selbstverwaltung, durch gewerbliche Fachschulen aller Art – Baugewerks-, Handwerker-, Maschinenbau-, Kunstgewerbe-, Keramische, Weberei- usw. Schulen – für die Hebung der wirtschaftlichen Tüchtigkeit aller erwerbenden Berufsstände des Volkes in immer weiterem Umfange gesorgt worden. Dazu kommen die mannigfachen sonstigen Einrichtungen zur Förderung von Wissenschaft, Kunst und geistiger Veredelung jeder Art, wie sie in Handelshochschulen, Akademien für praktische Medizin, Nahrungsmittel-Untersuchungsämtern, Altertums-, Kunst- und kunstgewerblichen Museen, Theatern, Konzert- und Gesellschaftshäusern überall in mannigfachster Fülle erstanden sind, als höchst erfreuliches Zeichen einer immer reicher sich entfaltenden Kultur.

Bauwesen.

Und dasselbe Bild des Sichdehnens und-weitens in früher ungekanntem Maße weist uns ein Blick in das Gebiet des öffentlichen Bauwesens, des äußerlich vielleicht am meisten hervortretenden Schaffensfeldes der heutigen Selbstverwaltung. Hochbau und Tiefbau, Verwaltungs- wie Gartenbaukunst wetteiferten miteinander, alle Fortschritte der Architektur und Ästhetik, der Technik, der Gesundheitswissenschaft und des Verkehrswesens in den Dienst der selbstverwalteten Gemeinwesen zu stellen. Während es einerseits galt, durch öffentliche Bauten für die mannigfaltigsten Verwaltungszwecke den Stadtbildern bemerkenswerte, womöglich vorbildliche Züge einzufügen, stellten andererseits die durch die Anforderungen des Verkehrs und die Errungenschaften der Technik fortgesetzt verbesserten Arten der äußeren Einteilung, der Befestigung und Beleuchtung der öffentlichen Straßen und Plätze, wie die immer erhöhten Anforderungen der Gesundheitswissenschaft an die Verbesserung der Straßenreinigung, der Trinkwasserversorgung, der Abwässerbeseitigung, die Organe der Selbstverwaltung vor technisch wie materiell immer gewaltigere Aufgaben. Dabei erwuchs ihnen vor allem die als immer wichtiger und dringender erkannte Aufgabe eines sachgemäßen Städtebaues: d. h. rechtzeitiger, weitsichtiger Planung der ganzen, stetig fortschreitenden Stadtanlage bei zweckmäßigster Berücksichtigung aller örtlichen, gesundheitlichen, sozialen, ästhetischen, wie durch die Verkehrsentwickelung gegebenen Rücksichten.

Bodenpolitik.

Als wesentlichste Grundlage dafür erkannte man an der Hand vielfacher Erfahrungen mehr und mehr die große Bedeutung einer zweckmäßigen Bodenpolitik, die einerseits der Gesamtheit durch hinreichenden eigenen Besitz von Grund und Boden möglichste Beweglichkeit in der Durchführung ihrer über den Tag hinaus gesteckten Ziele sichern, andererseits durch eine sachgemäße Heranziehung des an den Erfolgen der Gesamtheit wesentlich teilnehmenden privaten Grundbesitzes zur Minderung der Lasten der Gesamtheit mithelfen soll. Daß sie auch für die die Jetztzeit in steigendem Maße beschäftigende Wohnungsfrage von wesentlichstem Einfluß ist, wird kaum mehr bestritten, wenngleich für letztere auch eine ganze Reihe anderweiter Voraussetzungen – kulturelle, klimatische, industrielle, baupolizeiliche, städtebauliche und vor [197] allem finanzielle – mehr oder weniger entscheidend in Betracht kommen. Wenn auf diesen schwierigen und vielumstrittenen Gebieten des öffentlichen Lebens die Ansichten in einzelnen Beziehungen sich allmählich zu klären beginnen, so darf die Selbstverwaltung jedenfalls für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, in jahrzehntelanger praktischer Arbeit ihrerseits entscheidend dazu mit beigetragen zu haben. Denn auch die neuerdings in der Vorbereitung befindlichen gesetzgeberischen Pläne wegen allgemeiner Einrichtung amtlicher Wohnungsaufsicht und Wohnungsämter lehnen sich lediglich an die in dieser Beziehung von der Selbstverwaltung seit langem gemachten Versuche und Erfahrungen an.

Wirtschaftliche Betriebe.

Kann es auch nicht Aufgabe dieser Abhandlung sein, die aus mannigfachen Gesichtspunkten überaus interessante Entwickelung aller Tätigkeitsgebiete der Selbstverwaltung im einzelnen darzustellen, so muß doch hier zum Schlusse ihrer eigenen wirtschaftlichen Unternehmungen noch mit wenigen Worten gedacht werden. Denn gerade die bei ihnen gewonnenen Erfahrungen haben zu mancherlei wichtigen neuen Erörterungen und Erscheinungen geführt.

Die wirtschaftlichen Betriebe der Selbstverwaltung, welche ihren Ausgang zumeist von den Anlagen zur Ent- und Bewässerung und namentlich Beleuchtung genommen haben, sind in den letzten 25 Jahren unter dem Einfluß der großen technischen Fortschritte sowohl infolge der veränderten sozialwirtschaftlichen Auffassungen, als auch aus überwiegend finanziellen Gesichtspunkten ganz außerordentlich vermehrt worden. Zu ihren früheren Gas-, Wasser- und Kanalisationswerken, mit den sich an letztere etwa notgedrungen anschließenden Rieselgütern treten einerseits, mehr aus sanitären als wirtschaftlichen Beweggründen die Schlacht- und Viehhöfe, sodann aber, infolge der überraschenden Fortschritte der Elektrizitätsanwendung, zum Teil auch als Folge des Konkurrenzkampfes zwischen Gas und Elektrizität, die öffentlichen Elektrizitätswerke, Straßen- und Vorortbahnen aller Art – Hoch- und Untergrund- und Schwebebahnen – Hafenanlagen, Hypothekenanstalten, aber auch Badeanstalten, Theater, Apotheken, Weinberge, Weinkellereien usw. Grundsätzlich blieb kein Gegenstand privatwirtschaftlichen Betriebes von der Selbstverwaltungs-Wirtschaft ausgeschlossen, wenn auch die Anschauungen über deren Zweckmäßigkeit begreiflicherweise auseinandergingen und auch noch -gehen. Wie laut und vielseitig aber z. B. unter dem Eindruck der in den letzten Jahren außerordentlich gestiegenen Fleischpreise die „Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch“ als eine mindestens zeitweilige Aufgabe der Selbstverwaltung in Teuerungszeiten gefordert wurde, mag hier ebenso erwähnt werden, wie die Tatsache, daß diesem Verlangen verschiedentlich, von einer deutschen Stadt sogar durch die Errichtung einer eigenen Schweinemastanstalt, auch stattgegeben worden ist.

Zentralisation und Dezentralisation Vereinfachung und Beschleunigung der Verwaltung.

Die vorstehend in Kürze versuchte Übersicht über die weitgreifende Entwickelung wichtiger Verwaltungsgebiete der Selbstverwaltung wird es begreiflich erscheinen [198] lassen, wenn auch in ihr die Fragen der Zentralisation und Dezentralisation, der Vereinfachung, wie der Beschleunigung der Verwaltung eine immer größere Bedeutung gewonnen haben. Denn wenn einerseits die endgültige Entscheidung aller wesentlichen Verwaltungsfragen bei den gesetzmäßig dazu berufenen, eigentlichen Vertretungskörperschaften liegt, so ruht ihre Vorbereitung doch in der Hand einer mit der Vergrößerung des Kreises der Verwaltungsaufgaben stetig wachsenden Zahl von Sonder-Verwaltungsstellen, den überwiegend aus ehrenamtlichen Mitgliedern bestehenden Deputationen, Kommissionen, Bürgerausschüssen u. dergl. Und ihnen hat wiederum das naturgemäß auch stetig wachsende Heer der Beamten alle notwendigen Vorarbeiten zu schaffen. – Es liegt auf der Hand, daß in der so begründeten Vielheit der Instanzen für den sach gemäßen Fortgang der Geschäfte eine gewisse Gefahr bureaukratischer Schwerfälligkeit besteht, und Klagen darüber sind keineswegs vereinzelt, auch oft durchaus begründet. Ihnen zu begegnen, ist in erster Linie Sache der leitenden Persönlichkeiten, und je größer die Selbstverwaltungskörper, um so mehr wird in ihnen von der Möglichkeit weitgehender Verselbständigung der nachgeordneten Verwaltungsstellen Gebrauch gemacht. Das wirksamste Mittel zur Abhilfe derartiger Schäden und Nachteile bietet aber in der Selbstverwaltung unbestreitbar die, wegen der im allgemeinen überall möglichen Übersehbarkeit der Verhältnisse, meist ebenso schnelle wie auch schonungslose Kritik der Öffentlichkeit mit ihrem – um mit dem Freiherrn vom Stein zu reden – „aus der Fülle der Natur gewonnenen Reichtum von Ansichten und Gefühlen.“ – Am meisten vielleicht haben sich die der Selbstverwaltung innewohnenden Schwerfälligkeiten in ihren wirtschaftlichen Betrieben bemerkbar gemacht. Je wirtschaftlicher, d. h. kaufmännisch geschickter sie geführt werden müssen, um in dem allgemeinen scharfen Wirtschaftskampfe bestehen und mit dem rechten Nutzen für die Gesamtheit betrieben werden zu können, um so mehr ergibt sich hier die Notwendigkeit schnellen, natürlich oft sehr verantwortungsreichen Entschlusses behufs Wahrnehmung plötzlicher Wirtschafts-Konjunkturen, Sicherung neuester Erfindungen, Verlassen veralteter Betriebsarten, Gewinnung neuer aussichtsreicher Absatzquellen usw. Dazu kommen die nicht überall erfreulichen Erfahrungen in der Arbeiterfrage, die mit den wachsenden Arbeitermengen in den größeren Verwaltungen immer bedeutsamer wurde. Trotz der in den öffentlichen Betrieben wohl überall ständig gebesserten allgemeinen Arbeits- und Lohnbedingungen, der besonderen, meist über das gesetzliche und gemeinübliche Maß hinausgehenden Fürsorge in Krankheits- und Unglücksfällen, der Einführung regelmäßigen Erholungsurlaubes, von Ruhelöhnen und Hinterbliebenen-Versorgung in Ergänzung der reichsgesetzlichen Invaliden- und Altersrenten blieben ihnen die Schwierigkeiten privater Arbeitgeber nicht erspart. Es kann aber nicht in Abrede gestellt werden, daß die Selbstverwaltung – und je größer ihre Arbeiterzahl ist, um so mehr – Arbeitseinstellungen gegenüber eine weit schwächere Stellung hat wie jeder private Arbeitgeber. Sowohl wegen der zumeist weitergreifenden Wirkungen dadurch herbeigeführter Betriebsstockungen, als auch wegen ihrer viel schwierigeren Lage gegenüber dem Druck der öffentlichen Meinung. Das infolge einer Arbeitseinstellung erfolgende plötzliche Versagen der öffentlichen Beleuchtung, oder das Aufhören des Straßenbahnbetriebes wird bei der Allgemeinheit eine wesentlich [199] andere, zumeist weit ungeduldigere Beurteilung erfahren, wenn es sich um einen öffentlichen, als wenn es sich um einen privaten Betrieb handelt. Dazu kommt ferner, daß der private Arbeitgeber bei unbegründeten Arbeitseinstellungen erfahrungsgemäß weit eher in der Lage ist, anderweite Arbeitskräfte heranzuziehen und damit unerwünschte Betriebsstockungen wieder zu beseitigen.

Neue Organisationsformen für die gewerblichen Betriebe.

Erwägungen solcher Art haben die Selbstverwaltung mehr und mehr dazu geführt, neben der üblichen – amtlichen – Verwaltungsart neue Organisationsformen für die Verwaltung ihrer gewerblichen Betriebe zu versuchen, die ihnen die größeren Vorteile der privaten Betriebsführung sichern. So hat man vorhandene öffentliche Betriebe in Aktien- oder anderweite private Gesellschaften mit ausschließlichem oder überwiegendem Aktien- oder Kapitalbesitz der hauptsächlich interessierten Selbstverwaltungskörperschaft umgewandelt, unter ihrer Beteiligung neue Privatbetriebe gegründet, auch wohl den Weg der Verpachtung bisheriger Selbstverwaltungsbetriebe an private Gesellschaften unter entsprechender Wahrung der öffentlichen Interessen gewählt. Welcher der bisher versuchten Wege der beste ist, ob es – wie angeregt – besonderen gesetzlichen Eingreifens zur Ermöglichung solcher oder noch anderer Wege bedürfen wird, wird die Erfahrung lehren müssen. Nach dem bisherigen Entwickelungsgange der Selbstverwaltung wird voraussichtlich auch auf diesem Gebiete ihr gesunder Grundgedanke – eigene Wahl des als geeignet erkannten Weges – zu der den jeweiligen örtlichen Verhältnissen am besten entsprechenden Lösung führen. –

Die im Vorstehenden versuchte zusammenfassende Darstellung innerer Organisations- und Entwickelungsfragen der Selbstverwaltung kann jedoch nicht abgeschlossen werden, ohne in Kürze noch auf eine, in den dichtestbevölkerten Teilen des Vaterlandes und in der Entwickelung der Großstädte immer wichtiger gewordene Frage einzugehen: die Frage des Entstehens und der Lösung von Interessengegensätzen mehrerer Selbstverwaltungskörper.

Interessengegensätze mehrerer Selbstverwaltungskörper.

Jede gesunde Entwickelung eines Selbstverwaltungskörpers bringt von selbst allmählich eine mehr oder weniger starke, erwünschte oder unerwünschte Beeinflussung auch der an ihn angrenzenden mit sich. Ein an der Grenze einer Nachbargemeinde angelegter schöner Park, eine wohl gar in einer solchen geschaffene große Anstalt wird in der Regel die bisherigen Besiedelungs- und Wertverhältnisse der Nachbargemeinde ohne ihr eigenes Zutun verbessern. Eine an der Grenze einer Gemeinde geschaffene, viele Arbeiter beschäftigende Fabrik kann die Armen- und Schullasten-Verhältnisse der von den Arbeitern bewohnten Nachbargemeinde wesentlich verschlechtern. Je machtvoller die Entwickelung des einen Verwaltungsgebietes, um so weiter wird sein Einfluß reichen und um so mehr werden mit der Zeit auch berechtigte nachbarliche Interessen-Gegensätze nicht ausbleiben können. Solche Gegensätze bedürfen natürlich auf die Dauer der Lösung, wenn nicht aus zunächst nur mehr oder weniger übel empfundenen [200] allmählich im höheren Sinne des Allgemeinwohls unerträgliche Verhältnisse entstehen sollen.

So geboten aber solche Forderung erscheint, so wenig ist der Staat als Vertreter der Allgemeininteressen leider zur Anerkennung ihrer Berechtigung vielfach bereit gewesen. Auch in dieser Frage hat der unserem Volkstume in so vielen Beziehungen nachteilige unselige Gegensatz von „Stadt und Land“ zu Auffassungen und Entscheidungen geführt, die der Bedeutung der Sache in keiner Weise gerecht wurden. Denn, wie oben bereits erwähnt, hat namentlich die außerordentlich beschleunigte Entwickelung der Großstädte zu derartigen Gegensätzen mit den an sie angrenzenden Gemeinden und zumeist auch Landkreisen geführt. Und der die heutige Verwaltung und Gesetzgebung leider vielfach beherrschende politische Gesichtspunkt, daß einem allzu beschleunigten Anwachsen der großen Massenanhäufungen in den Städten nach Möglichkeit entgegenzutreten sei, es mindestens nicht gefördert werden dürfe, hat in den letzten zwei Jahrzehnten manche, gerade vom Standpunkte des Staatsganzen aus unhaltbaren Zustände verlängert – und verschlimmert. Der zu einem immer unentwirrbareren Knäuel ausgewachsene allgemeine Interessen-Gegensatz des gewaltigen Selbstverwaltungszentrums Groß-Berlin ist die deutlichste und zugleich übelste Frucht solcher Auffassungen.

Lösung solcher Interessengegensätze.

Und doch erscheint es so natürlich wie geboten, daß die Lösung solcher Schwierigkeiten dem Sinn und Geist der Selbstverwaltung selbst entnommen werden sollte. Denn Selbstverwaltung anzuerkennen und sie mit ihrem Schutze zu umgeben, hat die Allgemeinheit – der Staat – nur da und insoweit ein Interesse, wo solche auch wirklich geübt wird und geübt werden kann. Den Schein einer solchen fortdauern zu lassen, auch wo sie nicht mehr, oder doch ohne die von ihr zu verlangende volle Beherrschung aller ihr anvertrauten Aufgaben, oft nur der Form nach besteht, kann der Allgemeinheit ebensowenig förderlich sein, wie das Bestehen unklarer, innerlich unwahr gewordener Verhältnisse überhaupt. Wo deshalb der Verwaltungseinfluß eines Verwaltungskörpers auf benachbarte andere so groß wird, daß in den Letzteren die Ergebnisse der eigenen Selbstverwaltungsarbeit mehr und mehr hinter jenen überragenderen zurückbleiben, ja wohl bis zur Bedeutungslosigkeit verblassen, da liegt es durchaus im wohlbegründeten Interesse des Allgemeinwohls, an der Klarheit und Wahrheit aller, auch der öffentlichrechtlichen Verhältnisse, daß der allein nicht mehr lebensfähige Verwaltungskörper oder -Körperteil als selbständiger zu bestehen aufhört und demjenigen Verwaltungskörper auch rechtlich eingefügt – eingemeindet – wird, der ihn durch seine lebendigere Kraft tatsächlich bereits zu einem Teile der eigenen Verwaltung gemacht hat. Die Feststellung, wann der Zeitpunkt zu solchem Schritte gekommen ist, macht erfahrungsgemäß keinerlei besondere Schwierigkeiten; sie hat sich natürlich auf den Beweis bestimmter Tatsachen zu gründen. Selbstverständlich ist es auch in erster Linie erwünscht, daß solche Regelung von Selbstverwaltungs-Gegensätzen durch Eingemeindungen im Wege gegenseitiger Einigung erfolgt. Wo solche aber nicht erreichbar, sollte sie der Staat – und zwar lieber so früh, denn so spät wie möglich – mit seinen Machtmitteln [201] in die Hand nehmen, unter voller Wahrung einer gesetzlich geregelten Auseinandersetzung der Verhältnisse aller Beteiligten.

Bisherige gesetzgeberische Versuche.

Der in Preußen bereits in der Landgemeindeordnung von 1892 unternommene und vor kurzem, 1911, trotz des lebhaftesten Widerspruches fast aller Vertreter der Selbstverwaltung erneute Versuch, die hier erörterte Frage durch die Bildung sogenannter „Zweckverbände“ zu lösen, zu denen die verschiedenen Arten von Selbstverwaltungskörpern – „behufs Erfüllung einzelner kommunaler Aufgaben jeder Art“ verbunden werden können, hat mindestens bisher irgendwelche Erfolge nicht aufzuweisen. Und der gleichzeitig für Groß-Berlin zur gemeinsamen Erfüllung einzelner Aufgaben:

– Regelung des Verhältnisses zu öffentlichen auf Schienen betriebenen Transportanstalten mit Ausnahme der Staatsbahnen; Beteiligung an der Feststellung der Fluchtlinien- und Bebauungspläne für das Verbandsgebiet und Mitwirkung an dem Erlasse von Baupolizeiverordnungen; Erwerbung und Erhaltung größerer von der Bebauung freizuhaltender Flächen –

gesetzlich begründete Zweckverband wird nach der ganzen Art seiner Organisation zur Behebung der in seinem Gebiete vorhandenen zahlreichen Verwaltungsgegensätze, ja – Ungereimtheiten kaum etwas beitragen können.

Wirkliche Lösungen großer Entwickelungsfragen werden immer nur dann gelingen, wenn sie von großzügigem Vertrauen in die zu regelnden Verhältnisse getragen sind; wie es der Schöpfer der Selbstverwaltung denen entgegenbrachte, die er zu ihrer Handhabung berief, obgleich sie bisher keinerlei Gelegenheit zur Betätigung eigener Verwaltungskunst gehabt hatten. An solchem Vertrauen hat es bei den letzterwähnten gesetzgeberischen Versuchen leider gemangelt, obgleich seitdem die Selbstverwaltung ihren Befähigungsnachweis zur Lösung auch schwieriger Aufgaben wohl als erbracht ansehen darf. –

Stellung des Staates zur Selbstverwaltung.

Das führt uns in der Rückschau auf die letzten 25 Jahre dazu, noch der Stellung des Staates zur Selbstverwaltung kurz zu gedenken. Sie ist, wie schon aus dem bisher Erörterten zum Teil hervorgeht, von merkwürdigen Widersprüchen nicht frei gewesen.

Gewiß ist die hohe Bedeutung der Selbstverwaltung für unser gesamtes Staatswesen öffentlich bisher noch niemals etwa bestritten worden. Mit freudigem und dankbarem Stolz durften im Gegenteil die im Jahre 1908 zur Jahrhundertfeier der Steinschen Städteordnung in ihrer Geburtsstadt versammelten Vertreter der preußischen Städte in dem Glückwunschgruß ihres Kaisers und Königs die Worte vernehmen:

„. . . Wie die gewaltigen Erfolge städtischer Selbstverwaltung im verflossenen Jahrhundert beweisen, haben sich die preußischen Bürgerstände dieser Aufgabe gewachsen, dieses Vertrauens würdig gezeigt . . .“

Auch die Herrscher der anderen deutschen Bundesstaaten und die Vertreter der [202] Staatsregierungen haben bei mannigfachen öffentlichen Anlässen mit ähnlichen Kundgebungen hoher Anerkennung nicht zurückgehalten. Und die Reichs- wie Staatsgesetzgebung des letzten Vierteljahrhunderts hat für eine große Fülle neuer staatlicher Aufgaben mit Recht die Mitwirkung der Selbstverwaltung in Anspruch genommen. Es sei hier nur an die Arbeiten auf dem Gebiete der sozialen Gesetzgebung aller Art, der Kranken-, Unfall-, Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung, aber auch der Mitwirkung in der staatlichen Steuerverwaltung, der gewerblichen Aufsichtstätigkeit, der Gewerbe- und Kaufmannsgerichte erinnert, deren Bewältigung einen immer größeren Verwaltungsapparat, natürlich auch stetig wachsende finanzielle Lasten erforderte.

Staatsaufsicht.

Neben dem so bekundeten grundsätzlichen Vertrauen in[2] die Kraft der Selbstverwaltung kann aber, zumal mit der oben bereits beklagten Verschärfung der politischen Gegensätze, bei den gesetzgebenden Körperschaften wie bei der Staatsregierung ein fühlbarer Mangel an tatsächlichem Vertrauen in ihre Tätigkeit nicht verkannt werden. Er äußert sich einerseits – und zwar weniger im Süden und Westen, als besonders im Norden und Osten des Vaterlandes – in einem starken Drange vieler Staatsinstanzen nach Betätigung staatlicher Aufsicht. Daß die Selbstverwaltung staatlicher Aufsicht unterliegen, daß solche auch, wenn es das Staatsinteresse erfordert, mit allem Nachdruck gehandhabt werden muß, wird niemand bestreiten wollen. Nimmt die Staatsaufsicht sich aber mit zu großer Liebe der kleinen Alltäglichkeiten des Lebens an, statt nur in großen, wirklich das Ganze berührenden Dingen ihre Aufgabe zu sehen, so schafft sie nur unnütze Arbeit, vermehrte Reibungsflächen, aber keinen wirklichen Nutzen – bei berechtigter Abwehr einer aufsichtlichen Betätigung eher Schaden für die Staatsautorität. Sie übersieht oder verkennt zugleich, daß ein Hauptzweck für die Selbstverwaltung ja gerade der ist, an sich der Staatsverwaltung obliegende Aufgaben innerhalb eines örtlich begrenzten Kreises durch diejenigen wahrnehmen zu lassen, welchen die entsprechende staatliche Fürsorge unmittelbar zugute kommen soll, die also naturgemäß selbst das meiste Interesse an der tunlichst verständigen Erfüllung dieser Staatsaufgaben haben. Freudiges Vorwärtsschaffen in der vom Staate abgeleiteten Selbstverwaltungsarbeit wird sicherlich gefördert, je mehr sie sich von großherzigem Vertrauen geleitet sieht; oder Steins verdienstvoller Mitarbeiter Frey es vor 100 Jahren ausdrückte: „Zutrauen wie veredelt den Menschen!“ – Einen Mangel an solchem hat aber andererseits die Staatsverwaltung wie die Gesetzgebung – und das ist die im Allgemeininteresse noch bedauerlichere Erscheinung – in einer gewissen besorgten Hintenhaltung voller und freier Zuständigkeiten der Selbstverwaltung bekundet. Es sei zum Beweise dessen hier nur an die großen Schwierigkeiten und Bedenken bei der Übertragung einzelner Zweige der Polizei auf sie – namentlich der für sie so wichtigen Bau- und Wegepolizei – an die in zahlreichen neueren Gesetzen immer wiederkehrenden besonderen staatlichen Zustimmungen und Genehmigungen zu ihren Beschlüssen, an das ängstliche Fernhalten ihrer Betätigung im inneren Schulwesen, sowie endlich an den erst jüngst veröffentlichten [203] Entwurf eines Wohnungsgesetzes erinnert. – Allen solchen Erscheinungen gegenüber wird die Selbstverwaltung immer wieder den Wunsch nach mehr Vertrauen, nach einer vorurteilsfreieren Ausgestaltung ihrer Zuständigkeiten erheben müssen, nachdem sie der Staat doch einmal seit einem Jahrhundert als eine geeignete Staatsverwaltungsform anerkannt hat. Sie wird dies um so mehr dürfen, da ja einerseits der Staat selbst nicht in Abrede stellt, daß die ihr überwiesenen Arbeitsgebiete von ihr auch mit Liebe und Erfolg gepflegt und gefördert worden sind, und da andererseits ihre finanziellen Aufwendungen für das gesamte öffentliche Leben immer bedeutsamere geworden sind.

Finanzen der Selbstverwaltung.

Über dieses wichtige Sondergebiet ihrer Tätigkeit zum Schluß noch einige Worte, wobei, zumal im Hinblick auf im vorstehenden erörterte Mängel und Wünsche, zunächst dankbar anerkannt werden soll, daß die Entwickelung der Finanzen der Selbstverwaltung in den letzten Jahrzehnten durch eine klare und im wesentlichen bewährte Trennung ihrer und der staatlichen Finanzen wesentlich gefördert worden ist.

Zusammenfassend wird unbedenklich gesagt werden dürfen, daß sie noch in keinem früheren Zeitabschnitt eine so gewaltige gewesen ist, wie in den letzten 25 Jahren. Das trifft sowohl auf die Entwickelung der eigenen Einnahmen aus Gemeindevermögen und -betrieben aller Art, auf die erhobenen Steuern, wie auf die – aufgenommenen Schulden zu. – Die wachsende Vervielfältigung der Verwaltungsaufgaben spiegelt sich zunächst in der außerordentlichen Steigerung der laufenden Jahresausgaben wieder. Sie belaufen sich heute überall auf ein Vielfaches derjenigen vor 25 Jahren, und es wird nicht zuviel gesagt sein, daß die Haushaltsziffern der Städte heute im allgemeinen die vier- bis fünffache, in Einzelfällen – insbesondere in mancher der besonders schnell entwickelten Industriestädte im Westen – aber auch die zehn- und noch mehrfache Höhe derjenigen vor 25 Jahren erreicht haben. Es spiegelt sich darin sehr wirkungsvoll die außerordentliche Zunahme der in ihnen lebendigen wirtschaftlichen Kraft, wie der Fortschritte unseres gesamten Volkswohlstandes wieder. Denn die Deckung der so gewaltig gewachsenen jährlichen Aufwendungen wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht auch die Einnahmen fortgesetzt entsprechend gestiegen wären. Zur Herbeiführung des Gleichgewichts in ihrem Haushalte mußten sich die Städte einerseits die möglichste Steigerung ihres Vermögens und seiner Nutzbarmachung angelegen sein lassen, was vor allem durch die unmittelbare oder mittelbare Sicherung der wirtschaftlichen Vorteile zahlreicher, insbesondere der monopolartigen, gewerblichen Betriebe für die Allgemeinheit und durch eine gleichmäßige Vermehrung ihres Besitzes an Grund und Boden erzielt wurde. Sodann wurden sie durch einen wesentlichen Fortschritt der Gesetzgebung in die Lage gesetzt, in vermehrtem Umfange das durch die Tätigkeit der Gesamtheit geförderte Einzelinteresse mittels besonderer, dem unmittelbaren Vorteil entsprechender Abgaben – Gebühren und Beiträge – zur Tragung der Lasten der Allgemeinheit mit heranzuziehen. Diese haben auf den verschiedensten Gebieten der Verwaltung – Be- und Entwässerung, Müllabfuhr, Straßenreinigung, Straßen- und Platz-Anlagen oder -Veränderungen und dergleichen mehr – allmählich eine immer größere Bedeutung erlangt und dürfen auch [204] deswegen besonders hervorgehoben werden, weil sie dem Gedanken der Selbstverwaltung sehr sachgemäß Rechnung tragen.

Indirekte Steuern.

Daneben wurde die Erhebung indirekter Steuern überall so weit als möglich ausgebaut. Freilich setzte die Reichsgesetzgebung der steuerlichen Betätigung auf diesem Gebiete von jeher bestimmte Grenzen, die durch die Vorschriften des Zolltarifgesetzes vom Dezember 1902 leider noch enger gesteckt wurden. Es wurde dadurch den Gemeinden vom 1. April 1910 ab die Möglichkeit der Abgabenerhebung auf Getreide, Hülsenfrüchte, Mehl und andere Mühlenfabrikate, desgleichen auf Backwaren, Vieh, Fleisch, Fleischwaren und Fett genommen. Für eine große Anzahl deutscher, zumal west- und süddeutscher Städte war das eine recht empfindliche Beeinträchtigung ihrer Finanzgebarung. Hatten doch die sogenannten „Oktrois“ und „Schlachtsteuern“ stellenweise sehr erhebliche Prozentsätze des kommunalen Gesamtbedarfes aufgebracht, die nun anderweit und überwiegend durch direkte Steuern gedeckt werden mußten, da alle nur möglichen indirekten Abgaben naturgemäß fast überall bereits erhoben wurden. Neben Bier-, Braumalz-, Schankkonzessions-, Lustbarkeits-, Billet-, Hunde- usw. Steuern sind unter ihnen insbesondere die Abgaben beim Wechsel des Grundbesitzes – Umsatz- und Wertzuwachssteuer – infolge der gesteigerten wirtschaftlichen Entwickelung von erheblichem Einfluß für die Finanzen der Selbstverwaltung geworden. Es war deshalb überaus bedauerlich, daß auch hier seitens des Reiches gelegentlich der Finanzreform des Jahres 1909 durch den inzwischen glücklicherweise wieder beseitigten Versuch mit der Reichszuwachssteuer ein schwerwiegender Eingriff in die Gemeindefinanzen erfolgte. Er war um so bedauerlicher, als das Mißlingen dieses, von vielen Sachkennern von vornherein als verfehlt erachteten Versuchs für die Fortentwickelung der so recht eigentlich zur lokalen Ausbildung geeigneten Wertzuwachssteuer durch die Selbstverwaltung, die damals gerade im besten Gange war, einen schwer wieder gutzumachenden Schlag bedeutete. Denn ihr an sich gesunder Grundgedanke wurde durch die im Verlaufe der gesetzgeberischen Beratung noch wesentlich verschlechterte Form der Reichszuwachssteuer in seinem öffentlichen Ansehen so stark beeinträchtigt, daß seine weitere steuerliche Ausnutzung für die Selbstverwaltung jetzt eine wesentlich schwierigere Aufgabe bedeutet als vordem.

Direkte Steuern.

Je mehr aber die Möglichkeit der Erhebung indirekter Abgaben eingeengt wird, in um so stärkerem Maße sind die Städte zur Ausnutzung der direkten Besteuerung genötigt, was weder in ihrem, noch auch des Staates wohlverstandenem Interesse liegen kann. Ihre beiden Formen, die Real- und die Personalbesteuerung, bilden wie von jeher so auch jetzt unleugbar das Rückgrat der städtischen Finanzen. Von ihnen haben die Real- oder Objektsteuern – Grundbesitz- und Gewerbe-Betriebssteuer – in den letzten Jahrzehnten überall in Deutschland eine vermehrte Berücksichtigung erfahren, und neue Formen der Besteuerung dieser mit dem Wohl und Wehe der Städte am engsten verbundenen Besteuerungsgegenstände haben sowohl zu einer größeren Ergiebigkeit, wie zu einer gerechteren Erschließung [205] dieser Steuerquellen geführt. Erfolgt die Besteuerung des Gewerbes auch überwiegend nach dem Maßstabe des Ertrages – in Preußen zumeist unter Erhebung von Prozenten der als Staatssteuer ebenso wie die Grund- und Gebäudesteuer außer Hebung gesetzten, aber noch staatlich veranlagten Gewerbesteuer – so finden sich daneben doch auch den örtlichen, besonderen Verhältnissen angepaßte Sondergewerbesteuern nach dem Anlage- und Betriebskapital, dem Betriebsumfang, der Zahl der im Betriebe beschäftigten Personen u. dergl. m. Eine sehr erhebliche Bedeutung haben freilich derartige besondere Gewerbesteuern wegen der großen Schwierigkeit der Gewinnung allgemein zutreffender, sachlich gerechtfertigter Veranlagungs-Merkmale bisher nicht gefunden.

Besteuerung des Grundbesitzes.

Dagegen ist man bei der Besteuerung des Grundbesitzes von der früher auch hier allgemein üblichen Ertragsbesteuerung immer mehr in Deutschland zurückgekommen und dazu übergegangen, den „gemeinen Wert“ – d. h. den unter Außerachtlassung etwaiger besonderer Vorliebe im allgemeinen Verkehr für jeden Dritten vorhandenen Wert – zur Besteuerungsgrundlage zu machen. Wesentlich im Anschluß an mancherlei berechtigte Klagen bei der Ausgestaltung wie Handhabung der Reichszuwachssteuer wird neuerdings seitens der Interessenten des Grundbesitzes gegen seine Besteuerung nach dem gemeinen Werte ein scharfer Vorstoß unternommen. Diese überwiegend auf unrichtiger Verallgemeinerung oder schiefer Auffassung von Einzelfällen beruhenden Angriffe dürften aber den berechtigten Kern der Steuern nach dem gemeinen Wert nicht treffen, der unzweifelhaft darin liegt, einen Besteuerungsgegenstand nach seinem erkennbarsten Merkmale zur Aufbringung der Lasten der Gesamtheit mit heranzuziehen, die durch ihre Wirksamkeit an der Hervorbringung dieses Merkmales zum mindesten sehr wesentlich mit beteiligt ist. Daß Härten, die auch eine grundsätzlich richtige Durchführung steuerlicher Probleme mit sich bringen kann, nach bestem Vermögen beseitigt werden müssen, versteht sich von selbst.

Personalbesteuerung.

Der Personalbesteuerung ist mehr oder weniger in ganz Deutschland auf die Erhebung von Zuschlägen zu den staatlichen Einkommensteuern abgestellt und fast überall diejenige der direkten Steuern, welche den Löwenanteil des Gemeindesteuerbedarfes aufzubringen hat. Daß ihre zu starke Belastung durch die Gemeinden vom Standpunkt der Staatsfinanzen ernste Bedenken erregen muß, ist selbstverständlich. Man hat deshalb auch in Preußen bei der Reform des Gemeinde-Abgaben-Wesens zur Vermeidung übermäßiger Belastung der Einkommensteuer bestimmte gesetzliche Verteilungsregeln für die Deckung des Steuerbedarfes durch die Realsteuern einer- und die Personalsteuer andererseits aufzustellen versucht. Trotzdem hat die Entwickelung der Gemeindelasten seit jener Reform – zumal der das Interesse des Staates am wesentlichsten berührenden und von ihm erheblich beeinflußten Schullasten – doch keine nennenswerte Verminderung der Gemeindezuschläge zur Einkommensteuer ermöglicht. Wurden doch im Jahre 1911 in Preußen in 956 der insgesamt 1277 Städte mit mehr als 10 000 Einwohnern über [206] 150%, in 402 Städten über 200%, Gemeindezuschläge zur Staatseinkommensteuer erhoben. Solchen Ziffern gegenüber werden deshalb im Interesse des Staatsganzen wie der Gemeinden immer dringendere Wünsche nach gesetzlicher Abhilfe laut. Sie richten sich einerseits auf die Herbeiführung eines gewissen Ausgleiches in der Einkommensteuerbelastung durch die Gemeinden, andererseits auf eine folgerechte Erweiterung ihres Besteuerungsrechtes, nachdem der Umfang der ihnen überwiesenen Staatsaufgaben in den letzten Jahrzehnten so außerordentlich vermehrt worden ist; daneben auch wohl auf die Beseitigung zum Teil noch bestehender, als überlebt zu erachtender Steuerprivilegien für gewisse Bevölkerungsklassen (Beamte, Lehrer, Geistliche, Offiziere). –

Schulden.

Das letzte wichtige Glied in dem Entwickelungsbilde der Finanzen der Selbstverwaltung bilden die von ihr aufgenommenen Schulden. Es existiert darüber bedauerlicherweise keine seit längerer Zeit durchgeführte einwandfreie Statistik, so daß ziffernmäßige Feststellungen der Entwickelung in den letzten 25 Jahren nicht möglich sind. Wie erheblich aber dieselbe gewesen sein dürfte, werden zwei erst in neuester Zeit genau ermittelte Ziffern erkennen lassen. Es beliefen sich nämlich in Preußen die in langfristigen Anleihen, Hypotheken und Grundschulden, sowie Restkaufgeldern bestehenden Schulden sämtlicher Städte am 31. März 1912 auf 4532,91 Mill. Mark, während sie am 31. März 1911 erst 4257,35 Mill. Mark betragen hatten; das ergibt also in einem Jahre eine Zunahme um 275,56 Mill. Mark. Man wird voraussichtlich kaum fehlgreifen, wenn man auch die heutige Verschuldung der Gemeinden im Durchschnitt mindestens auf das Vier- bis Fünffache derjenigen vor 25 Jahren bemißt. Daß diese starke Vermehrung sowohl vom Standpunkte der Beeinflussung des Reichs- und Staatskredits, wie von demjenigen der Kreditgeber zu allerlei Schwierigkeiten und Besorgnissen Veranlassung gegeben hat, kann nicht befremden. Denn das Reich wie die Bundesstaaten haben in der gleichen Zeit ihren Kredit ebenfalls fortgesetzt stark in Anspruch nehmen müssen, und die Kreditgeber der Gemeinden sehen auch deren sonstige Lasten ständig wachsen. Ernste Besorgnisse wegen der Verschuldung der Gemeinden werden trotzdem aus doppeltem Grunde nicht berechtigt sein. Einmal unterliegt ja die Selbstverwaltung auch auf diesem Gebiete ständiger staatlicher Kontrolle, die zumal bei dem Eigeninteresse des Staates natürlich mit besonderer Sorgfalt geübt wird, sowohl um eine Zunahme ihrer Verschuldung tunlichst hintanzuhalten, als auch um eine planmäßige und ausgiebige Tilgung aufzunehmender Schulden zu sichern. Daneben aber ist ferner und vor allem zu berücksichtigen, daß die Schuldenzunahme der Selbstverwaltungskörper in den letzten Jahrzehnten doch in sehr erheblichem Umfange zu produktiven Zwecken, namentlich im Interesse der Erweiterung ihres Grundbesitzes und ihrer Wirtschaftsbetriebe erfolgt ist. Dadurch wurde, wie oben bereits erörtert, die Grundlage ihrer Finanzen ständig verbreitert, ihre Leistungsfähigkeit verstärkt und damit auch die Sicherung ihrer Gläubiger im Vergleich zur Vergangenheit erheblich verbessert. Ja, es wird – obgleich bisher eine entsprechende Statistik leider noch fehlt – unbedenklich behauptet und an den Verhältnissen zahlreicher Einzelgemeinden jederzeit nachgewiesen werden können, daß nicht nur [207] in demselben, sondern in höherem Umfange wie die Schulden, auch das Vermögen der Stadtgemeinden in den letzten 25 Jahren gewachsen ist.

Auch auf diesem Tätigkeitsfelde wird man der Kraft und Fähigkeit der Selbstverwaltung mit demselben Vertrauen gegenübertreten dürfen, das sie anderweit durch die Erfolge ihrer Arbeit gerechtfertigt hat. – Bei den seit Jahren schwebenden Erörterungen über notwendige Reformen der Staatsverwaltung neigt man ja deshalb auch mit großer Einmütigkeit zu der Ansicht, daß für die Erreichung des Zieles eine Erweiterung der Selbstverwaltung eine wesentliche Vorbedingung bildet. Möchten Gesetzgebung wie Staatsverwaltung der aus solchen Urteilen hervorleuchtenden fortdauernden Bewährung der Selbstverwaltung in immer weiterem Umfange Rechnung tragen!

Druckfehlerberichtigung

  1. Druckfehlerberichtigung im 3. Band: lies „strebende“ statt „sterbende“
  2. Druckfehlerberichtigung im 3. Band: es muß heißen: „Vertrauen in die Kraft“.