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lassen, wenn auch in ihr die Fragen der Zentralisation und Dezentralisation, der Vereinfachung, wie der Beschleunigung der Verwaltung eine immer größere Bedeutung gewonnen haben. Denn wenn einerseits die endgültige Entscheidung aller wesentlichen Verwaltungsfragen bei den gesetzmäßig dazu berufenen, eigentlichen Vertretungskörperschaften liegt, so ruht ihre Vorbereitung doch in der Hand einer mit der Vergrößerung des Kreises der Verwaltungsaufgaben stetig wachsenden Zahl von Sonder-Verwaltungsstellen, den überwiegend aus ehrenamtlichen Mitgliedern bestehenden Deputationen, Kommissionen, Bürgerausschüssen u. dergl. Und ihnen hat wiederum das naturgemäß auch stetig wachsende Heer der Beamten alle notwendigen Vorarbeiten zu schaffen. – Es liegt auf der Hand, daß in der so begründeten Vielheit der Instanzen für den sach gemäßen Fortgang der Geschäfte eine gewisse Gefahr bureaukratischer Schwerfälligkeit besteht, und Klagen darüber sind keineswegs vereinzelt, auch oft durchaus begründet. Ihnen zu begegnen, ist in erster Linie Sache der leitenden Persönlichkeiten, und je größer die Selbstverwaltungskörper, um so mehr wird in ihnen von der Möglichkeit weitgehender Verselbständigung der nachgeordneten Verwaltungsstellen Gebrauch gemacht. Das wirksamste Mittel zur Abhilfe derartiger Schäden und Nachteile bietet aber in der Selbstverwaltung unbestreitbar die, wegen der im allgemeinen überall möglichen Übersehbarkeit der Verhältnisse, meist ebenso schnelle wie auch schonungslose Kritik der Öffentlichkeit mit ihrem – um mit dem Freiherrn vom Stein zu reden – „aus der Fülle der Natur gewonnenen Reichtum von Ansichten und Gefühlen.“ – Am meisten vielleicht haben sich die der Selbstverwaltung innewohnenden Schwerfälligkeiten in ihren wirtschaftlichen Betrieben bemerkbar gemacht. Je wirtschaftlicher, d. h. kaufmännisch geschickter sie geführt werden müssen, um in dem allgemeinen scharfen Wirtschaftskampfe bestehen und mit dem rechten Nutzen für die Gesamtheit betrieben werden zu können, um so mehr ergibt sich hier die Notwendigkeit schnellen, natürlich oft sehr verantwortungsreichen Entschlusses behufs Wahrnehmung plötzlicher Wirtschafts-Konjunkturen, Sicherung neuester Erfindungen, Verlassen veralteter Betriebsarten, Gewinnung neuer aussichtsreicher Absatzquellen usw. Dazu kommen die nicht überall erfreulichen Erfahrungen in der Arbeiterfrage, die mit den wachsenden Arbeitermengen in den größeren Verwaltungen immer bedeutsamer wurde. Trotz der in den öffentlichen Betrieben wohl überall ständig gebesserten allgemeinen Arbeits- und Lohnbedingungen, der besonderen, meist über das gesetzliche und gemeinübliche Maß hinausgehenden Fürsorge in Krankheits- und Unglücksfällen, der Einführung regelmäßigen Erholungsurlaubes, von Ruhelöhnen und Hinterbliebenen-Versorgung in Ergänzung der reichsgesetzlichen Invaliden- und Altersrenten blieben ihnen die Schwierigkeiten privater Arbeitgeber nicht erspart. Es kann aber nicht in Abrede gestellt werden, daß die Selbstverwaltung – und je größer ihre Arbeiterzahl ist, um so mehr – Arbeitseinstellungen gegenüber eine weit schwächere Stellung hat wie jeder private Arbeitgeber. Sowohl wegen der zumeist weitergreifenden Wirkungen dadurch herbeigeführter Betriebsstockungen, als auch wegen ihrer viel schwierigeren Lage gegenüber dem Druck der öffentlichen Meinung. Das infolge einer Arbeitseinstellung erfolgende plötzliche Versagen der öffentlichen Beleuchtung, oder das Aufhören des Straßenbahnbetriebes wird bei der Allgemeinheit eine wesentlich

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 1. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_1.pdf/214&oldid=- (Version vom 4.8.2020)