Die Schwabenkolonien in Palästina

Textdaten
Autor: Schmidt-Weißenfels
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Titel: Die Schwabenkolonien in Palästina
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 379–382, 385
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bericht über die deutschen Templerkolonien in Palästina
Haifa heute; Jaffa heute; Sarona heute
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Die Schwabenkolonien in Palästina.
Von Schmidt-Weißenfels.[1] Mit Zeichnungen von G. Bauernfeind.

Die erste Lokomotive.

An allen Punkten der Welt, wo es galt, der Kultur und Gesittung neue Sitze zu erobern, da griff auch der Deutsche, unternehmungslustig wie er war, wacker mit an. Er siedelte sich im fremden Lande an, machte sich vertraut mit Art und Sitte der Bewohner und übte so im stillen seinen erzieherischen Einfluß.

Aber für das Land der Türken hatte er entschieden keine Neigung. Der magische Zug dahin war seit dem Ende der Kreuzzüge, seit der Eroberung Konstantinopels durch die Mohammedaner und der Entdeckung des Seeweges nach Indien um Afrikas Südspitze herum überhaupt erloschen. Wenn auch der Kaufmann aus dem Westen seine Streifzüge machte durch das Reich des Großsultans, seßhaft werden unter seinem Szepter mochte kein guter Christ; denn als verachteter und gehaßter Fremdling setzte er nur Leben und Eigenthum aufs Spiel. Man wußte ja, wie es in diesem Reiche zuging, wie die Griechen, die Albanesen, Bulgaren, Kandioten etc., die als christliche Völker unter der Herrschaft des Halbmondes standen, den grausamsten Verfolgungen von seiten ihrer fanatischen Zwingherren ausgesetzt waren. Und immer wieder ward von Zeit zu Zeit die christliche Welt durch die Kunde über eine Niedermetzelung von Glaubensgenossen in Schrecken versetzt. Jeder Pascha schaltete in seinem Regierungsbezirke mit unumschränkter Willkür, gegen seine Gewaltthätigkeiten gab es keinen Schutz, kaum für den Inländer, geschweige denn für den argwöhnisch beobachteten Fremdling. Ein so gefährlicher Boden konnte also unmöglich etwas Verlockendes haben.

Indessen auch das Unerwartete und Unwahrscheinliche wird zuweilen Ereigniß.

Um die Mitte unseres Jahrhunderts lebte und wirkte im Schwabenlande ein Mann, der, von mächtigem Glaubensdrange erfüllt, jahrelang einer kleinen Anhängerschar unter seinen Landsleuten die biblische Weissagung vorhielt, daß ein neuer „Tempel“ zu Jerusalem errichtet werden müsse und daß dazu die gläubigen Brüder sich zu einer festen Gemeinde vereinigen sollten. (Vergl. Jahrgang 1875, Nr. 52). Ihm und seiner Mitarbeiter Einfluß gelang es, eine Schar frommer Leute zu der Ueberzeugung zu führen, daß sie als „Volk Gottes in Jerusalem“ berufen seien, den Tempel für das verheißene Tausendjährige Reich Christi in Jerusalem aufzurichten und zu behüten.

Der Gründer dieser neuen, zunächst nur im stillen blühenden Gemeinde war Christoph Hoffmann, und als Genossen standen ihm Chr. Paulus, G. D. Hardegg und L. Höhn zur Seite, lauter Schwaben, die von der religiösen Bewegung in Württemberg während der vierziger Jahre mächtig ergriffen worden und als Pietisten gegen die Landeskirche aufgetreten waren. Hoffmann selbst war der Sohn des Gründers und langjährigen Leiters der Pietistengemeinde Kornthal. Und aus dem Pietismus heraus hatte sich dann ein eigenes Sektenwesen gebildet, das rings im Lande seine Anhänger fand.

Hoffmanns schwärmerische und phantastische Natur verlieh ihm einen großen Einfluß auf seine Umgebung; für das Ansehen, das er genoß, mag am besten die Thatsache sprechen, daß er bei den Wahlen zum deutschen Parlament im Frühjahr 1848 gegen David Strauß in dessen Vaterstadt Ludwigsburg den Sieg davon trug. Einsam und verlassen saß er freilich in der Paulskirche zu Frankfurt a. M., aber die politische Erhebung bedeutete ihm auch wenig gegenüber der religiösen, die er für die Menschheit erträumte und von der er ihre paradiesische Glückseligkeit erhoffte. Darauf seine Mitmenschen vorzubereiten, die in christlicher Gemeinschaft zurückzuführen zur Einfalt der Apostel, damit sie sich würdig machten der Aufnahme in das Tausendjährige Reich – das war das ideale Ziel, zu dem Hoffmann aufschaute. In diesem Sinne sammelte und organisierte er 1853 das „Volk Gottes in


Die Kolonie Sarona bei Jaffa.

[380] Jerusalem“ als eine eigene Gemeinde, und trotz vielfacher Anfechtung erwies sich die Zahl der Anhänger so groß, daß man mit einiger Aussicht auf Erfolg an die Ausführung der letzten Pläne Hoffmanns, die wirkliche Ansiedlung in Palästina, herangehen konnte. Im Jahre 1854 richtete Hoffmann eine mit 439 Unterschriften versehene Bittschrift an den „Hohen Bundestag“ zu Frankfurt a. M., er möchte sich sich bei der türkischen Regierung dafür verwenden, daß sie der Gesellschaft behufs Uebersiedlung in das Gelobte Land Ackerboden um billigen Preis verkaufe und der Kolonie ihren Schutz angedeihen lasse. Der Bundestag aber hätte wohl beim besten Willen in dieser Angelegenheit nichts thun können und theilte denn auch den Bittstellern mit, daß er sich mit der beregten Sache nicht befassen könne. Der orientalische Krieg hatte zudem gerade seinen Anfang genommen und ließ vorläufig die Weltlage zur weiteren Verfolgung der Ansiedlungspläne als nicht geeignet erscheinen.

Hoffmann mit den Seinen ließ sich dadurch nicht irre machen. Er erwarb mit einem Theil der gesammelten Gemeindegelder den Kirschenhardthof bei Marbach, siedelte dahin über, und

Jaffa.

hier war nun siebzehn Jahre lang, von 1856 bis 1873, der Mittelpunkt des „Tempels“, die Hauptstation zur Sammlung der Gläubigen, die Vorbereitungsschule für die eigentliche Koloniegründung.

Im Jahre 1858 ging eine Kommission von drei Mitgliedern des Tempels, darunter Hoffmann selbst und Hardegg, nach Palästina. Mehrere Monate lang durchzog sie das Land von Berseba bis Dan, um darüber Bericht erstatten zu können, inwieweit es für die ihm in der Weissagung bestimmte Aufgabe tauge, den ersten Grund und Boden für das Reich Gottes auf Erden abzugeben. Der Bericht lautete nicht sehr aufmunternd, das Land befand sich in einem sehr herabgekommenen Zustande. Gleichwohl wurden einige Zeit darauf vier andere, diesmal junge Leute nach Syrien gesandt, um die arabische Sprache zu erlernen und gleichsam als Vorposten zu dienen. Ihnen folgten 1866 kleine Gruppen von jüngeren Leuten. Allein sie waren den Einflüssen des Klimas und den Schwierigkeiten einer Ansiedlung im Innern des fremden Landes weder geistig noch körperlich gewachsen und erlagen größtentheils dem Fieber.

Da, es war im Jahre 1868, entschlossen sich endlich Hoffmann und Hardegg selbst, mit ihren Familien nach Palästina zu reisen. In Konstantinopel suchten sie mit klugem Bedacht von der türkischen Regierung kostenfrei Land zur Anlage einer Kolonie zu erhalten; aber sie hatten damit kein Glück. So zogen sie denn weiter nach dem gelobten Lande selber, um zu sehen, was von den Türken an Ort und Stelle für Geld und gute Worte zu bekommen sein würde.

Nach sorgfältiger Umschau und Prüfung fanden sie in Haifa am Fuße des Berges Karmel den günstigsten Ort für eine erste Ansiedlung, die gleichsam als Empfangsstation und als Vorbereitungsplatz für weitere Kolonisierung dienen konnte. Bald darauf bot sich ihnen Gelegenheit, in Jaffa die Grundstücke und Gebäude einer wieder weg wandernden nordamerikanischen Sekte zu erwerben, und so entstand in Jaffa 1869 die zweite Tempelkolonie, deren Lage insofern von Bedeutung war, als Jaffa seit alten Zeiten der Hafen von Jerusalem ist.

In kleinen Nachschüben vollendete sich seitdem die Auswanderung der schwäbischen Tempelbrüder nach Palästina. Jahr um Jahr zogen neue Ansiedler an, meist mit Familie, und richteten sich mit ihrem Gewerbe oder ihrer Ackerbauwirthschaft in dem Lande ihrer Sehnsucht ein. In Haifa setzten sich ihrer etwa dreihundertfünfzig fest, in Jaffa zweihundert. Da in dem letzteren Orte für Ackerbau kein Raum war, so wurde eine Stunde von der Stadt entfernt eine dritte Kolonie, Sarona, angelegt, die hauptsächlich Landwirthe aufnahm und etwa achtzig Kolonisten erhielt. Endlich schlug eine Anzahl von Familien in Jerusalem selbst ihren Wohnsitz auf, insbesondere Handwerker und Gärtner; wieder andere in Nazareth und Ramle.

So vereinigte Hoffmann allmählich nahezu tausend Landsleute im Türkenreiche, auf den geweihten Stätten des Christentums, inmitten einer fanatischen islamistischen Bevölkerung, die nur mit Haß und Mißtrauen die Kolonisten unter sich duldete. Muthig trat er gegen alle Unbill der türkischen Beamten und der feindseligen Einwohnerschaft auf und wachte mit der Umsicht des Feldherrn über seine friedliche Eroberung. Zum Zwecke der einheitlichen Leitung der Angelegenheit seines kleinen Reiches ließ er sich zum Vorsteher sämtlicher Templerkolonien erwählen, die eine Art republikanischer Verfassung und Selbstverwaltung erhielten und nun inmitten asiatischer Depotenwirthschaft an die Aufgabe gehen konnten, dem Tausendjährigen Reich, an dessen Nahen sie glaubten, die Stätte zu bereiten. Am 8. Dezember 1885 starb Hoffmann, und Christoph Paulus, sein langjähriger Mitarbeiter, wurde sein Nachfolger.

Die deutschen Kolonien, zu denen schließlich noch Rephaim bei Jerusalem hinzutrat, blühten zwar nicht gerade üppig empor, denn der Grund und Boden war weit entfernt von paradiesischer Herrlichkeit. Aber der zähe Charakter der schwäbischen Bauern, ihr

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Landschaft an der Bahnlinie von Jaffa nach Jerusalem.

Fleiß, ihre Gewohnheit, mit einem harten Boden zu ringen, ihr frommes Hoffen, das alles wirkte zusammen, sie die Hindernisse siegreich bestehen zu lassen. Das Klima war im ganzen milde, der Winter selten sehr kalt. Mehr und mehr warf der Ackerbau einen lohnenden Ertrag ab, und als man an günstigen Orten, besonders in Sarona, gar Wein zu bauen anfing, da machte man so gute Erfahrungen, daß der Weinbau jetzt im Haushalt der Kolonien die wichtigste Rolle spielt. Im Herbst 1892 wurden im Centralkeller zu Sarona etwa 3000 Hektoliter gekeltert.

Hauptstraße in Haifa.

Der Absatz ging bisher zum größten Theil nach Europa; erst neuerdings ist er durch die deutschen Eingangszölle und durch den Wettbewerb der italienischen Weine stark beeinträchtigt worden, so daß nunmehr Aegypten unter den Abnehmern des „Tempels“ in den Vordergrund getreten ist. In Stuttgart wird übrigens immer noch ein Lager von Weinen aus den Gärten der Kolonien unterhalten.

Zur Zeit rechnet man etwa 1500 Deutsche in Palästina; weitaus der größte Theil, etwa 1350 Köpfe in 248 Familien, gehört der Tempelgemeinde an. Bereits ist ein Geschlecht heraufgewachsen, dessen Wiege schon im Heiligen Lande stand. Aber die Fühlung mit der deutschen Heimath ist darum nicht lockerer geworden. Hat sich auch die Tracht in machen Stücken den veränderten Verhältnissen anpassen müssen, hat der schwäbische Bauer auch seinen schweren Dreispitz an den Nagel gehängt und ihn mit einem Korkhut oder leichten Filz vertauscht, so sind doch Sitte, Wohnart und Lebensweise deutsch geblieben, und in der Muttersprache allein verkehren die Leute untereinander. Nach deutscher Art wurde auch von Anfang an für ein tüchtiges Schulwesen gesorgt. Die Kolonien besitzen eine Anzahl gut geleiteter Volksschulen und in Jerusalem ein Lyceum, das ihren besonderen Stolz bildet. Seit 1882 gewährt auch das Deutsche Reich einen namhaften Beitrag für die deutschen Schulen in Palästina. Und das ist nur gerecht. Denn durch diese Schulen und durch eine Reihe weiterer gemeinnütziger Anstalten, wie z.B. die Spitäler in Jaffa und Haifa, die sämtlichen Europäern und Eingeborenen zugänglich sind, erwerben sich die Kolonien fortdauernd wesentliche Verdienste um die Ehre des deutschen Namens in der Fremde. Allmählich haben sie sich übrigens auch bei den türkischen Behörden ein gewissen Wohlwollen erobert, denn sie sind pünktliche Steuerzahler, und derartige bequeme Unterthanen kommen einem türkischen [382] Pascha nicht eben allzu häufig vor. – So haben die deutschen Kolonien in dem Vierteljahrhundert ihres Bestehens in mannigfacher Weise die Kultur des verwahrlosten Landes zu heben und zu fördern verstanden. Auch die Eisenbahn von Jaffa nach Jerusalem wäre wohl ohne sie und ihren stillen Einfluß nicht zustande gekommen, obwohl die Kolonien unmittelbar an der Gründung und dem Bau nicht betheiligt waren. Der letztere lag vornehmlich in französischen Händen, und auch die Arbeiter bestanden zumeist aus arabischen Fellachen, Aegyptern und wenigen Italienern. Lange hatte sich die türkische Regierung dem Bahnbau mit allen Mitteln widersetzt, und viel Geld und Arbeit ging verloren, bis am 31. März 1890 der erste Spatenstich gethan werden konnte. Zweieinhalb Jahre dauerte dann der Bau. Am Sonntag den 21. August 1892 kam die erste Lokomotive vor Jerusalem an, und Schrecken und Staunen über das fauchende Ungethüm erfüllte die neugierig herbeigeströmten arabischen Volksmassen. Wie der böse Feind selber erschien ihnen die unheimliche Maschine, sie sahen darin den Anfang vom Ende des Islam. Als am 26. September die feierliche Eröffnung stattfand, da schlachtete man auf dem Bahnhof zu Jerusalem zwei Widder, ließ ihr Blut auf das Schienengeleise tröpfeln, um die Bahn zu entsündigen. Europäische Reisende aber rathen, dieser Entsündigung nicht ganz zu trauen und sie jedenfalls durch eine beträchtliche Reiseunfallversicherung zu ergänzen.

Unser Bild auf S. 381 zeigt uns eine landschaftliche Ansicht von der Strecke, welche die Bahn durchläuft. Es fehlt ihr nicht an Reiz; aber das melancholische Gepräge der Oede kann sie nicht verleugnen; es ist eine Gegend, wo „sich Fuchs und Hase Gutenacht sagen“, wie unser Zeichner symbolisch angedeutet hat. Der Bahnhof Jerusalem liegt in unmittelbarer Nähe der deutschen Kolonie Rephaim, um deren Gebäude, wie aus der Abbildung auf S. 385 ersichtlich ist, die Bahnlinie einen großen Bogen beschreibt.

Ob die deutschen Kolonien im Bunde mit der Bahn wirklich der Ausgangspunkt einer Neugestaltung Palästinas, einer Wiedergewinnung dieses weltgeschichtlichen Bodens für die höhere Kultur sein werden, wer will es heute sagen? Soviel aber ist sicher: unsere deutschen Landsleute haben doch den Beweis geliefert, daß aus dem Lande noch etwas zu machen ist, wenn nur Erfahrung, guter Wille und Thatkraft sich gesellen. Daß man diese drei Eigenschaften bei den türkischen Beherrschern des Landes selten vereinigt findet, das ist allerdings wahr. Und so wird wohl noch mancher Tropfen Wein auf Saronas Flur gekeltert werden, mancher Pfiff der Lokomotive das Thal von Rephaim durchhallen, bis das ganze Land aus Oede und Zerfall einer neuen Blüthe zugeführt sein wird. Sollte dieses Los ihm in der Zeiten Ferne beschieden sein, dann wird man auch der schwäbischen Pioniere mit Ehren gedenken, in denen sich religiöse Schwärmerei in so fruchtbare gemeinnützige Thätigkeit umsetzte.



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Ausblick vom Jaffathor in Jerusalem.
Originalzeichnung von G. Bauernfeind.

Fußnoten

  1. Der Verfasser, einer der ältesten und verdientesten Mitarbeiter der „Gartenlaube“, hat diesen Aufsatz wenige Tage vor seinem am 24. April erfolgten Tode vollendet. Fast bis zu seinem letzten Athemzug harrte der Schwergeprüfte aus bei der Arbeit. Ehre seinem Angedenken! Die Redaktion.