Die Raubthiere des Schlachtfeldes

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Die Raubthiere des Schlachtfeldes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 612–614
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Leichenfledderei
siehe auch: Noch einmal die Raubthiere des Schlachtfeldes
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Die Raubthiere des Schlachtfeldes.


Das kleine Wäldchen von Sadowa weiß viel aus den jüngsten Tagen zu erzählen. Es sah colonnenweise die Tapfern fallen, an seinem Saume wie unter dem Schatten seiner Bäume Hunderte ihr Leben aushauchen. – „Er starb auf dem Felde der Ehre,“ ist ein großes und erhabenes Wort – leicht ausgesprochen – aber schwer gethan! Die Kugel trifft nicht immer das Herz; sie zerfleischt oft auf’s Grausamste den armen Menschenleib, ehe er den letzten Athemzug gethan, ehe er der Erde übergeben wird. Doch nicht allein diese Wunden und Martern fürchtet der Soldat – viele fürchten die Schändung nach dem Tode ebenso sehr, vielleicht noch mehr. Sie sprechen resignirt von der wüsten Grube, in der sie wohl bald ruhen dürften, doch nur mit geheimem Schauder von jenen Raubthieren in Menschengestalt, welche Armuth, Elend, Rachsucht oder nackte Verworfenheit auf das noch dampfende Schlachtfeld treibt – die Körper der todten Streiter zu berauben, zu verstümmeln, ja oft noch Lebende oder im Todeskampf Zuckende zu entkleiden und noch größerem Elend preiszugeben. Wir wollen nicht versuchen, noch einmal all’ die schauerlichen Einzelheiten aufzuzählen, die sich in dieser Beziehung auf den Schlachtfeldern Böhmens zutrugen – eben so wenig wollen wir die Bewohner dieses Landes deshalb anklagen, die wir wegen einzelner barbarischer Ausnahmsfälle nicht der Unmenschlichkeit zeihen, noch dafür verantwortlich machen dürfen.

Sicher aber werfen jene bekannten und constatirten Thatsachen von Raub, Mord, Plünderung und Leichenschändung einen düsteren Schatten auf das czechische Land, das sich nicht wundern mag, wenn es von Neuem vom Auslande mit Blicken des Vorurtheils und Vorwurfs betrachtet wird. Denn nicht mit Stolz, nur im Bewußtsein unserer Humanität dürfen wir ausrufen: In dem so verketzerten Deutschland ist eine ähnliche Barbarei nur ganz ausnahmsweise vorgekommen.

Ein Gang über das Schlachtfeld ist vor Kurzem in diesen Blättern eben so wahr wie ergreifend geschildert worden. Doch ist eine von Kämpfenden und Lebenden verlassene Wahlstatt eine so großartig-furchtbare Tragödie, daß sie sich in einem Zeitungsartikel nicht abspinnen läßt.

Wir traten, ich glaube es war am vierten oder fünften Juli, aus dem Wäldchen von Sadowa. Schwarzblaue niedriggehende Wolken zogen über die Landschaft hin, die einer Todtenstätte glich. Wir sahen Menschen mit zerrissenen Gesichtern und Köpfen, da und dort nur noch einen Rumpf oder ein zuckendes Etwas, das schwer an das „Ebenbild Gottes“ erinnerte, am Boden liegen. Hände und Arme, gen Himmel gestreckt und so erstarrt im qualvollsten Todeskampf, ragten als schreckliche Merkmale eines wüthenden Kampfes, der hier gehaust, aus einem Chaos von Waffen, zerstampfter Erde, von Blut und Schlamm hervor – und die Luft füllte sich bereits mit jenen Dünsten, die Moder und Verwesung vorangehen. Die Natur, wie im Erhabenen groß und unerreichbar, so auch hier unerreichbar und erfinderisch im Schrecklichen, im Bilde der Vernichtung! Wer Todte nicht auf dem Schlachtfelde sah, weiß nicht was Tod heißt – kennt seine Schrecken nicht – nicht sein verklärtes, nicht sein medusenhaftes Antlitz. Hier fällt der Blick nur auf offene, starre Augen, „die eine liebende Hand nicht schloß“ – der Eine sieht uns an, als wollte er lächelnd sagen: Dich sollte ich auch kennen – und es gehören starke Nerven dazu, diesen vertraulichen Blick aus dem Jenseits lange zu ertragen. Auf den Lippen Jenes scheint noch ein gräßlicher Fluch zu schweben – eine Granate hat ihm den Unterleib zerrissen – er hält noch mit der linken Hand die herausgetretenen Eingeweide zurück. – Lege nicht, Leser, mit kleinlicher Empfindsamkeit dieses Blatt bei Seite – du kannst ertragen zu lesen, was jene litten! Glaube mir, der Anblick solcher Leiden bessert und macht demüthig und zufrieden mit dem Schicksal, und sei es noch so herbe – oder unser Gemüth ist versteinert und unsere Sinne sind verbraucht und stumpf.

Entsetzen faßt mich noch jetzt, während ich dies niederschreibe, wenn ich der Scene gedenke, die uns am Saume des Sadowaer Waldes vor Augen trat – sie war haarsträubend und machte das Blut in den Adern erstarren. Wir waren noch ganz erfüllt von dem Anblick der eben gesehenen Todten, da schlugen die Töne einer fremden Sprache und rohes widerliches Lachen an unsere Ohren. Erstaunt, erschrocken blicken wir uns um: es sind nicht mehr Leichen, deren Anblick uns erschüttert, es sind Lebende, die uns erschrecken, deren Treiben uns mit Haß, Scham, Rache und Ekel erfüllt, es sind dies – die Raubthiere des Schlachtfeldes! Um den halbnackten, weißen Körper eines preußischen Grenadiers, der danebenliegende Helm bezeichnet ihn als solchen, ist eine Gruppe jenes Gesindels versammelt, welches die „Nachlese“ auf dem Schlachtfelde hält. Ein kleines, cretinartiges Scheusal versucht unter dem Gelächter der Umstehenden dem Gefallenen den Stiefel auszuziehen. Ein verthierter Bursche, der sich mit einem Säbel geschmückt hat, sieht der Heldenthat des Gnomen besonders

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Die Raubthiere des Schlachtfeldes.
Originalzeichnung von Herbert König.

[614] beifällig zu, während eine robuste Dirne stumpfsinnig die Züge des Todten betrachtet und ihr Käsebrod dabei verzehrt.

Raublust und Hohn gelten indessen hier nur einer Leiche, ein Lebender aber soll auch noch abgethan – abgeschlachtet werden, damit man sich der Armseligkeiten bemächtigen kann, die noch an seinem Leibe oder in seinen Taschen sind. Ein Kerl mit einer Mistgabel bewaffnet, eben zum tödtlichen Stoße bereit in die arme, schon zerschossene Brust eines Soldaten – dieser, der sich halb erhoben und mühsam auf den verwundeten Arm stützt, hebt feierlich den rechten empor, als wolle er den Himmel zur Rache anrufen – – das Alles – es flirrte uns vor den Augen – nein! dies darf nicht sein – – und mit einem unterwegs gefundenen Reiterpistol feuerte einer von uns rücksichtslos über die Gruppe hinweg. Der Schuß verfehlte bei den Elenden seine Wirkung nicht, kaum hatte sich noch der Rauch der abgeschossenen Waffe verzogen, und die Bestien suchten bereits das Weite. Den Soldaten, der uns unterwegs noch mitteilte, er habe mit dem Bauer über eine Viertelstunde um sein bischen Leben capitulirt, brachten wir in das nächstliegende Feldlazareth, wo er jedoch nach wenigen Minuten starb, in Folge starker Verblutung und, wie er selbst noch mühsam herausbrachte, an ausgestandener Todesangst.