Mikroskopisches Walten der Natur bei Heilung von Wunden mit Eiterung

Textdaten
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Autor: Bock
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Titel: Mikroskopisches Walten der Natur bei Heilung von Wunden mit Eiterung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 611–612
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Wundheilung
Wie die Natur Wunden heilt, die der Mensch schlug Nr. 2
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Wie die Natur Wunden heilt, die der Mensch schlug.
2. Mikroskopisches Walten der Natur bei Heilung von Wunden mit Eiterung.


Die allermeisten Wunden, wenn sie heilen sollen, müssen folgenden Naturheilungsprocessen unterliegen: der Entzündung, der Fleischwärzchenbildung, der Eiterung und der Vernarbung (siehe Gartenlaube 1866, Nr. 34). Nur Schnitt- und Hiebwunden können, wie schon früher erwähnt wurde, ohne Eiterung mit ihren Wundflächen ziemlich rasch zusammenheilen (per primam intentionem). – Betrachtet man mit unbewaffneten Augen die genannten Naturheilungsprocesse an eiternden Wunden, so zeigt sich an der verletzten Stelle, die vorher mehr oder weniger geblutet haben kann, zuvörderst Röthung, Schwellung und Schmerz; nach kurzer Zeit werden auf der noch leicht blutenden Wundfläche eine große Anzahl von gelblichen oder grauröthlichen Partikelchen bemerkbar und dies sind kleine abgestorbene Gewebstheilchen (bisweilen auch ziemlich große Fetzen davon), die aber noch fest anhängen. Bald (am zweiten Tage) finden sich nun Spuren einer dünnen rothgelblichen Flüssigkeit auf der Wunde, die verletzten Gewebe sind nicht mehr deutlich zu erkennen, sondern erscheinen schon mehr gleichmäßig grauröthlich und ihre Grenzen verwischen sich unter einander. Am nächsten (dritten) Tage ist die Absonderung (Secretion) der Wunde schon reiner gelb, etwas dicker, der größte Theil der abgestorbenen und abgestoßenen Gewebspartikelchen fließt mit dem Wundsecrete ab. Die Wundfläche wird dadurch immer ebener und gleichmäßiger roth, „sie reinigt sich“, und nun werden auf derselben kleine, hirsekorngroße, rothe Knötchen (die Fleischwärzchen, Granulationen) sichtbar. Diese Wärzchen entwickeln sich immer stärker und fließen allmählich zu einer feinkörnigen, glänzendrothen Fläche (Granulationsfläche) zusammen. Die von dieser Fläche abfließende Flüssigkeit wird immer dicker und von gelblichweißer rahmartiger Beschaffenheit und heißt „Eiter“. Unter fortdauernder Eiterbildung werden die Fleischwärzchen immer dicker, fließen immer mehr zusammen, wuchern vom Grunde der Wunde bis zur Hautoberfläche hervor und geben nun der ganzen Wundfläche ein gallertiges, glasiges Ansehen. Bald früher, bald später zieht sich die Fläche mehr und mehr zusammen und wird kleiner; an der Grenze zwischen Haut und Wundfläche wird die Eiterabsonderung etwas geringer und es bildet sich hier zunächst ein trockner, rother Saum, der sich nach dem Mittelpunkte der Wunde hin immer mehr verbreitert, und je mehr er dies thut und die Granulationsfläche überzieht, desto mehr folgt ihm ein hellbläulich-weißer Saum auf dem Fuße, der nun in die gesunde Oberhaut (Epidermis) übergeht. Diese beiden Säume entstehen durch die Entwickelung von Oberhaut, welche vom Rande der Wunde nach dem Mittelpunkte vorrückt, und bilden die „Vernarbung“. Die junge Narbe sieht anfangs noch ziemlich roth aus und zeichnet sich scharf von der gesunden Haut ab; sie fühlt sich fest an und hängt innig mit den unterliegenden Theilen zusammen. Nach und nach wird sie blässer, weicher, verschiebbar, endlich weiß; eine Zeit lang zieht sie sich noch (nach ihrem Mittelpunkte hin) zusammen und wird dadurch nicht nur kleiner, sondern verzieht auch die weichen Nachbartheile mit. – Unter dem Mikroskope sieht man nun aber, daß zu jenen Heilungsprocessen (Entzündung, Eiterung, Fleischwärzchenbildung, Vernarbung) das in den feinsten Blutgefäßchen (Haargefäßen) rinnende Blut mit seinen Bestandtheilen, sowie Körnchen, Bläschen (Zellen) und Fäserchen verwendet worden.

Zum bessern Verständnisse dieses dem bloßen Auge unsichtbaren Wirkens der Natur bei Heilung der Wunden erinnere man sich, daß alle Theile (Organe) unseres Körpers aus Geweben aufgebaut sind, welche ihren Ursprung kleinen Bläschen (Zellen) verdanken, die sich in einer aus dem Blute stammenden Flüssigkeit (Ernährungsflüssigkeit) entwickelten. Diese Flüssigkeit schwitzt nämlich aus dem Blute, während dasselbe langsam durch die feinsten, netzförmig alle Gewebe unseres Körpers durchziehenden Blutröhrchen (Haargefäße) hindurchläuft, durch die Wände dieser Haargefäße heraus und durchtränkt alle Gewebe, so daß diese nun aus der ausgeschwitzten Ernährungsflüssigkeit diejenigen Stoffe derselben an sich ziehen können, deren sie zu ihrem Aufbaue (ihrer Ernährung) benöthigt sind. So lange wir leben, brauchen aber alle Gewebe unserer Organe fortwährend neues Aufbaumaterial, weil sie bei ihrem Thätigsein einen Theil ihrer Masse abarbeiten und verlieren, so daß sie zu arbeiten aufhören müßten, wenn das Verlorengegangene nicht wieder durch Neues ersetzt würde (d. i. der Stoffwechsel).

Beim ersten Ausbaue unseres Körpers geht es ebenso wie bei der während des Lebens fortwährend im Gange befindlichen Reparatur (Ernährung) aller Theile unseres Körpers zu. Aus der dem mütterlichen Körper entsprungenen Eizelle entsteht durch wiederholte Theilung eine größere Anzahl von Zellen; diese bilden sich zu den verschiedenen Formelementen (Bläschen, Röhrchen, Fäserchen, Häutchen) um; diese Elemente treten zu Geweben (wie Zell-, Knochen-, Knorpel-, Muskel-, Gefäß-, Nerven-, Drüsen- und Hautgewebe) zusammen und schließlich vereinigen sich mehrere Gewebe zu Organen. Sämmtliche Organe von gleichem Baue und gleicher Thätigkeit bilden zusammen ein System (z. Knochen-, Muskel-, Nervensystem etc.). Vereinigen sich aber mehrere Organe von verschiedenem Baue und von verschiedener Thätigkeit zu dem Zwecke, um einer bestimmten wichtigen Lebensverrichtung vorzustehen, so nennt man die Gesammtheit dieser Organe einen Apparat. So vereinigen sich z. B. Kehlkopf, Luftröhre und Lungen zum Athmungsapparate. – Alle Gewebe, Organe und Apparate sind von Haargefäßnetzen durchzogen und das durch diese strömende Blut liefert, wie oben gesagt wurde, fortwährend Material zum Stoffwechsel (zur Ernährung) dieser Theile. Bei Verletzungen sind es nun hauptsächlich die Haargefäße mit ihrem Blute, welche den Heilungsproceß vermitteln.

So besteht die den Heilungsproceß einleitende (reactive) Entzündung in der Umgebung der Wunde darin, daß sich die Haargefäße (von denen die der Wunde nächsten durch geronnenes Blut verstopft sind) ausdehnen und mehr Blut in sich aufnehmen, wodurch die Röthung, vermehrte Wärme und Schwellung in der Umgebung der Wunde veranlaßt werden. Da nun aber die Wände der mit Blut überfüllten erweiterten Gefäßchen durch die Erweiterung dünner und so durchdringbarer geworden sind, so tritt auch durch dieselben mehr und eine von der normalen etwas abweichende Ernährungsflüssigkeit (Exsudat genannt) aus dem Blute heraus in das Gewebe, wodurch die Schwellung desselben noch vermehrt und in Folge des Druckes auf Empfindungsnerven Schmerz erzeugt wird. – Sehr bald findet nun in dem Gewebe der Wundflächen und rings um dieselben herum, und zwar vom Zell- (oder Binde-) Gewebe aus, die Bildung unzähliger Bläschen (Kerne und Zellen) statt (plastische Infiltration), deren Anzahl durch ihre Zertheilung immer mehr wächst, während auf dem Grunde der Wunde zwischen den Zellen auch noch eine gleichartige gallertartig-schleimige Masse (Intercellularsubstanz, aufgequollenes Bindegewebe) [612] hervorwuchert, die natürlich mit dem normalen Bindegewebe zusammenhängen muß, weil sie aus diesem hervorgeht. Diese Intercellularsubstanz mit den eingelagerten Zellen wird von neugebildeten reichlichen Gefäßchen (an der Oberfläche der Neubildung Schlingen bildend) durchzogen und stellt nun die Fleischwärzchen (das Granulationsgewebe) dar, welche also gefäßhaltige, entzündliche Neubildungen sind. Die Zellenbildung und Theilung, sowie die Zeugung neuer Intercellularsubstanz geht bis zum Schlusse der Wunde fort und fort vor sich. Jedoch bildet die oberste Schicht dieser Substanz nicht mehr eine gallertartige, sondern eine dickliche Flüssigkeit mit jenen Bläschen (Kernen und Zellen) und diese fortwährend abfließende und sich fortwährend aus dem Granulationsgewebe erneuernde, rahmähnliche Flüssigkeit ist der Eiter.

Untersucht man den Eiter unter dem Mikroskope, so findet sich, daß er aus einer dünnen, hellen Flüssigkeit (Eiterserum) und aus runden, feinpunktirten Bläschen oder Kügelchen (Eiterkörperchen) besteht, welche letzteren in ihrem Kern drei bis fünf kleine dunkle Körnchen (Kerne) enthalten. – Was die Gefäßneubildung in der Wunde betrifft, so fangen die (bei der Entzündung) ausgedehnten Gefäßschlingen an der Wundoberfläche mit dem Wachsthume des sie umgebenden Granulationsgewebes an, sich zu verlängern (Sprossen zu treiben) und immer mehr zu schlängeln. Gegen den vierten oder fünften Tag kommt es sodann zur Entwickelung neuer Gefäßchen, in Form feiner Haargefäßchen-Netze, so daß sehr bald das Granulationsgewebe ungemein reich an Blutgefäßchen geworden ist und nun die Blutfülle (die Röthe) in der Umgebung der Wunde nachlassen kann.

Das Wachsthum der Fleischwärzchen hört auf, wenn diese das Niveau der Haut erreicht haben, denn nun überzieht sich die Granulationsfläche mit Oberhaut (Epidermis) und die Wärzchen bilden sich zur Narbe um. Hierbei gehen folgende mikroskopische Veränderungen in dem Gewebe vor sich. Zuvörderst zerfallen und verschwinden (durch Spaltung, fettiges Entarten und Aufsaugung) eine große Anzahl von Zellen und zwar ebenso Eiterkörperchen auf der Oberfläche, wie auch Zellen in der Tiefe des Granulationsgewebes. Durch diesen Schwund der Zellen und durch das Aufhören der Zellenneubildung verringert sich das Granulationsgewebe und aus der gallertartigen Intercellularsubstanz, sowie aus den noch übrigen Zellen bildet sich faseriges Bindegewebe hervor. Mit diesen Veränderungen, die vom Rande der Wunde zu deren Mittelpunkt fortschreiten, hört auf der Oberfläche derselben die Eiterbildung auf und es erzeugt sich mit Hülfe der (Epidermis-) Zellenbildung Oberhaut. Gleichzeitig schließt sich auch ein großer Theil der neugebildeten Blutgefäßchen und daher kommt es, daß die vorher rothe Narbe allmählich blässer und weiß wird.

So ist der naturgemäße Gang der Heilung von Wunden mittels der Fleischwärzchen- und Eiterbildung. Daß Störungen in diesem normalen Verlaufe vorkommen können, ist begreiflich, da Verwundete sehr häufig solchen äußeren und inneren schädlichen Einflüssen ausgesetzt sind, welche die Entzündung, Granulations- und Eiterbildung, sowie die Vernarbung stören. Diese Störungen haben aber nur für den Chirurgen Interesse und können deshalb dem Laien verschwiegen bleiben.
Bock.