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Titel: Die Rache eines Indianers
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 686
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[686] Die Rache eines Indianers. In einem der letzten Kriege, welche England in seinen nordamerikanischen Besitzungen führte, wurde eine kleine Abtheilung englischer Soldaten von den Indianern überfallen und mit unerhörter Grausamkeit hingemordet. Unter den Ueberfallenen befand sich auch ein ganz junger Offizier, der mit einer außerordentlichen Bravour kämpfte, um wenigstens sein Leben so theuer als möglich zu verkaufen, es war indessen unmöglich, den zu ungleichen Kampf noch lange zu bestehen, denn sein Blut strömte schon aus mehreren tiefen Wunden. Da erschien plötzlich ein alter Indianer, bewaffnet mit einem Bogen; er legt den vergifteten, tödtlichen Pfeil auf – legt an – und die Entfernung ist so gering, daß er sein Ziel unmöglich verfehlen kann. Doch in dem entscheidenden Augenblicke setzt er wieder ab, stellt sich in die Mitte zwischen dem Engländer und seinen Gegnern, welche sich sofort ehrfurchtsvoll zurückziehen. Der Greis nimmt den jungen Offizier bei der Hand, ermuthigt ihn durch allerlei Freundschaftsbezeugungen und führt ihn in seine Hütte, wo er seine Wunden verband und ihn stets mit der größten Zärtlichkeit pflegte. Sobald er genesen war, lehrte der Indianer ihn auch seine Sprache und die verschiedenen rohen Künste und Gewerbe, welche bei diesem Stamme gebräuchlich waren. Kurz, er wurde mehr als ein Sohn oder ein jüngerer Freund und nicht als Kriegsgefangener oder Sklave behandelt. Sie lebten recht zufrieden beisammen, nur ein einziger Umstand gab dem jungen Manne zuweilen Besorgniß. Der Indianer pflegte ihn nämlich zuweilen mit besonderem lebhaften Interesse zu betrachten und darauf stets zu weinen, als ob er in seiner Brust einen äußerst wunden Fleck habe. Sobald der Frühling die Bäume des Urwaldes wieder belaubt hatte, brachen die Indianer ihre Hütten ab, um den ungleichen Kampf gegen die Engländer auf’s Neue zu beginnen. Der Greis war einer der Anführer, und nahm seinen Gefangenen mit sich. Sie hatten bereits einen Marsch von mehr als hundert Meilen durch die pfadlosen, fast undurchdringlichen Wälder zurückgelegt, als man in einem Thale das englische Lager entdeckte. Der alte Indianer zeigte es seinem Gefangen und setzte hinzu:

„Sieh’, dort sind Deine Brüder, welche uns erwarten, um uns womöglich zu vernichten. Ich habe Dir das Leben gerettet, habe Dich ein Boot, einen Bogen und Pfeile zu machen gelehrt. Du hast auch von mir gelernt, den Elk in den Wäldern zu fangen, die Streitaxt zu führen und dem Feinde den Scalp zu nehmen. Was warst Du, als ich Dich in meine Hütte führte? Du hattest Hände wie ein Kind, sie konnten Dich weder ernähren noch vertheidigen, Deine Seele lag in Finsterniß, Du verstandest ganz und gar nichts, Alles, was Du jetzt hast und bist, verdankst Du mir. Würdest Du jetzt undankbar genug sein, Dich mit Deinen Brüdern zu vereinigen und die Streitaxt gegen uns zu erheben?“

Der Engländer betheuerte auf das Allerheiligste, daß er lieber tausendmal sterben würde, als das Blut eines einzigen Indianers vergießen. Der Wilde ließ den Kopf eine Zeit lang hängen und bedeckte sein Gesicht mit seinen Händen, betrachtete dann wieder seinen Gefangenen und sagte darauf in einem Tone, in dem sich Zärtlichkeit und Schmerz deutlich hörbar machten:

„Hast Du noch einen Vater?“

„Ja, er lebte wenigstens noch,“ sagte der junge Mann, „als ich mein Vaterland verlassen habe.“

„Wie heißt er, und hat er hier je commandirt?“

„Preston ist unser Familienname und mein Vater hat während vierzehn Jahren in dieser Kolonie ein Regiment befehligt.“

„O, der Unglückliche!“ rief der Wilde aus und nach einem kurzen Stillschweigen setzte er hinzu: „Weißt Du, daß ich auch einst Vater gewesen bin? – Ich bin es nicht mehr. Ich habe meinen Sohn im Kampfe fallen sehen, er hat wacker gestritten und ist als Mann an meiner Seite gefallen; er war mit unzähligen Wunden bedeckt, als er gefallen ist, getödtet von einem – – Doch genug hiervon, ich habe ihn gerächt. Ja, ich habe ihn vollständig gerächt!“

Er legte auf diese letzten Worte ein ungeheures Gewicht und zitterte am ganzen Körper, als er sie hervorbrachte. Seine Augen waren ganz verwirrt und thränenlos; einige mit Gewalt unterdrückte Seufzer verriethen jedoch den gewaltigen Kampf des Innern. Er beruhigte sich nach und nach, und sich gegen Osten wendend, wo sich gerade die Sonne erhob und den neuen Tag ankündigte, sagte er:

„Siehst Du jenen prachtvollen Himmel mit seinem strahlenden Glanze und freust Du Dich, ihn zu betrachten?“

„Ja, ich freue mich, jenen schönen Himmel zu betrachten,“ war die Antwort.

„Ich freue mich nicht mehr!“ sagte der Wilde heftig weinend. Darauf zeigte er auf einen Baum, der mit den schönsten Blüthen prangte und sagte: „Siehst Du diesen schönen Baum und freust Du Dich, ihn zu betrachten?“

„Ja, ich freue mich, ihn zu betrachten.“

„Ich nicht mehr,“ fuhr der Indianer eiligst fort, und er setzte dann sofort hinzu: „Geh! Kehre zurück in Dein Vaterland, damit Dein Vater sich noch erfreue die Sonne zu betrachten, welche sich am Himmel erhebt, und noch fortfahre, die Blumen des Frühlings zu bewundern. Und erzähle ihm, daß ich Dich sende – der alte Anführer der Abenakis, dessen Sohn – – Doch, leb’ wohl!“

Wir haben wohl kaum hinzuzusetzen, daß der Oberst Preston, der Vater unsers jungen Helden, vor mehreren Jahren in einem Kampfe den tiefbetrauerten Sohn des Indianerhäuptlings erschlagen hatte.