Textdaten
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Autor: Eduard Grosse
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Titel: Die Papierwunder
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 490–492, 494
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Papierwunder.

Von Eduard Grosse.


Wie früher alljährlich wunderbare Erzählungen über die fabelhafte Seeschlange durch die Tagesblätter liefen, so liest man jetzt jedes Jahr erstaunliche Dinge über die neuesten „Papierwunder“. Da wird erzählt von „Papiereisenbahnrädern“, von „Papiereisenbahnschienen“, von „Papierhufeisen“ und ähnlichen Dingen, die man sonst nur aus hartem Stahl und Eisen anzufertigen vermochte. Der Laie, welcher diese Nachrichten mit gläubigem Sinne liest, bringt die schweren, ungeheure Lasten tragenden Eisenbahnräder und Schienen sofort in Nebeneinanderstellung mit dem zarten schmiegsamen Briefpapier, auf das man Liebesschwüre und Freundschaftsbeteuerungen schreibt, und sein Staunen über die Wunder des papiernen Zeitalters ist grenzenlos.

Sieht man sich die vielgenannten Papierwunder etwas näher an, so findet man freilich, daß die Nebeneinanderstellung mit dem zarten, schmiegsamen Papier oft etwas weit hergeholt ist. Viele dieser Wunder, über welche die Tageszeitungen berichten, sind überdies nur Erfindungsversuche, die sich in der Praxis oft unbrmuchbar erweisen. So hat man allerdings einmal versucht, Eisenbahnschienen aus Pappmasse herzustellen, es giebt aber – so viel mir bekannt – keine Bahn, welche solche Schienen verwendet. Die „Papiereisenbahnräder“ bestehen in Wirklichkeit aus Stahl und Eisen, und nur zwischen dem Stahlreifen und der Nabe befindet sich eine hartgepreßte Pappfüllung, wie früher zu diesem Zweck vielfach Holzfüllungen verwendet wurden. Das einzige „Wunder“ an denselben ist demnach der Name „Papierräder“, den sie streng genommen ohne Berechtigung führen.

Was wir mit dem Namen Papier bezeichnen, sind bekanntlich dünne Blätter, die zum Beschreiben Bedrucken, zum Zeichnen, Einwickeln und dergleichen dienen. Sobald die Blätter dick und nicht geschmeidig sind, nennen wir sie Pappe. Zu den sogenannten „Papiergegenständen“, wie Papiereimern, Papierfässern, Papierschüsseln, Papierknöpfen und ähnlichen Dingen wird meist Pappe verwendet, seltener Papier. Letzteres findet dagegen mehr Verwendung zu den Papierschiffen und Papierkuppeln.

Sowohl die Pappe wie das Papier erfährt zu diesen Zwecken jedoch eine Umarbeitung, welche sie außen und innen wesentlich verändert. Sie werden mit Oel, mit Firnissen, mit Chemikalien getränkt, wodurch ihre Stoffzusammensetzung einen Zusatz erhält, sie werden mit heißem Eisen geglättet und unter gewaltigem Druck von 120 und mehr Atmosphären steinhart gepreßt, wodurch auch der ursprüngliche Rohstoff seine Lagerung und sein Gefüge vollständig ändert – kurz, es geht mit ihnen eine so durchgreifende Aenderung vor, daß hiernach ihr Name Papier und Pappe eigentlich gar nicht mehr zutreffend ist.

Das Papier und die Pappe bestehen aus denselben Rohstoffen wie unsere Leinen- und Baumwollengewebe, nämlich aus Pflanzenfasern. Die Leinwand wird erzeugt, indem die Fasern gesponnen und gewebt werden, zur Papiererzeugung werden die Fasern dagegen in den sogenannten „Holländern“ unter Wasserzufluß äußerst fein gemahlen und zerkleinert. Die gemahlenen Fasern bilden mit dem Wasser eine flüssige Masse, die auf ein Metallsieb der Papiermaschine geleitet und hier kräftig durcheinandergeschüttelt wird, wodurch sich die Fasern kreuz und quer lagern und zu dem Papierblatt verfilzen. Durch Leimen, Pressen und Glätten erhält das Papier seine Vollendung.

Zerreißt man ein Stück Papier, so sieht man an den Rißstellen die äußerst zarten, flaumartigen Fasern hervorstehen. Noch deutlicher erkennt man die Fasern und ihre Lagerung, wenn man ein Stück Seiden- oder Cigarettenpapier aufweicht und die zerteilte Masse unter ein Mikroskop bringt. Man bemerkt, daß sich längere Fasern, die an ihren Enden in sehr feine Faserbündel auslaufen, über die ganze Fläche erstrecken; zwischen ihnen sind kleine, sehr dünne Fasern eingebettet, und das Ganze bildet ein Fasergewirr, das in seinen vielfachen Durchschlingungen und Kreuzungen aneinanderhaftet und ein festes Papierblatt ergiebt. Durch das Leimen und Glätten wird den Fasern ihre Saugfähigkeit genommen und die glatte Papieroberfläche erzeugt.

In neuer Zeit werden die Leinenhadern, welche früher hauptsächlich zur Papiererzeugung dienten, nur noch zu besonders guten Papieren benutzt. Zu gewöhnlicheren Schreib-, Brief- und Druckpapieren verwendet man andere Rohstoffe, die man den Pßanzen direkt entnimmt, hauptsächlich die Fasern oder den Zellstoff unserer Waldbäume. Man gewinnt den Papierstoff von den Bäumen entweder durch Schleifen des Holzes auf großen Schleifsteinen oder durch ein chemisches Verfahren, welches bezweckt, das Holz durch Säuren und Dämpfe aufzulösen und die zarten Fasern von den sie umgebenden Holzteilen zu befreien.

Der chemisch anfgelöste Holzstoff, den man gemeinhin „Cellulose“ nennt, zeigt sehr zarte und geschmeidige Fasern, die ein reines und gut aussehendes Papier ergeben. Man war der Meinung, in der Cellulose auch hinsichtlich der Dauerhaftigkeit einen vollständigen Ersatz für die Hadern gefunden zu haben, in neuerer Zeit wurde diese gute Meinung jedoch stark erschüttert. Ein tüchtiger Papierfachmann wies nach, daß die Cellulose im Laufe der Zeit wahrscheinlich wieder verholzt, wodurch das Papier an Güte verliert. Mikroskopische Untersuchungen liefern außerdem den Beweis, daß die Holzfasern nicht die guten Eigenschaften der Leinenfasern besitzen. Sie sind weniger verfilzungsfähig, zeigen an den Enden nicht die geschmeidigen Faserbündel wie jene, sondern brechen schroff und ohne Uebergang ab. Das sieht man deutlich an unsrer Abbildung „Papierfasern“, die ich Carl Hofmanns „Handbuch der Papierfabrikation“ entnommen habe, und die stark vergrößerte Leinen- sowie Holzzellstofffasern zeigt.

Nachdem es gelungen war, die Holzfaser als Ersatz der Leinenfaser zum Papier zu verwenden, tauchte in einigen Erfinderseelen der kühne Gedanke auf, das Holz auch zur Herstellung von – Kleiderstoffen zu benutzen. Der Gedanke lag nahe, seiner Verwirklichung war jedoch die allgemeine Kürze der Holzfasern hinderlich, die im Papier eine Länge bis zu 4,5 mm haben, wogegen die Leinenfasern bis zu 30, die Baumwollenfaserm bis zu 40 mm Länge besitzen. Es galt also, die Holzfaser in größerer Länge zu gewinnen, damit es möglich wurde, sie zu spinnen und zu weben. [491] Einige Chemiker begannen, an der Lösung der Aufgabe zu arbeiten, und das Erstaunliche gelang ihnen: sie gewannen aus dem Holze lange, verspinnbare Fasern, die sich ebenso wie Baumwolle zu Geweben verarbeiten ließen. Ueber das Verfahren des französischen Chemikers Chardonnet, aus Holzfaserstoff einen der Seide ähnlichen Stoff zu gewinnen, ist schon im Jahrgang 1891 der „Gartenlaube“, S. 220, berichtet worden.

Amerikanische Unternehmer haben gleichfalls ausgerechnet, daß man die Kleider aus Papierstoff billiger herstellen kann als aus Wolle und Seide. Aber minder gewissenhaft als die Deutschen, machten sie sich nicht erst die schwere Arbeit, verspinnbare Fasern zu gewinnen. Sie benutzen einfach das Papier gleich so, wie es zum Schreiben verwendet wird. Aus dünnem Manilapapier schneiden sie lange schmale Streifen, rollen diese fest zusammen und zwirnen sie genau wie Wolle oder Baumwolle. Um diesen Papierfäden das Aussehen von wirklicher Wolle zu geben, werden sie gefärbt, dann mittels einer dazu gebauten Maschine mit Klebstoff bestrichen und durch einen Behälter gezogen, der mit feinfaserigen Wollabfällen angefüllt ist. Letztere haften an dem Klebstoff, und der Papierfaden bekommt das scheinbare Ansehen eines Wollfadens. Unter dem Mikroskop hat er das Aussehen, welches die Abbildung „Wollbestäubter Papierfaden“ zeigt. Diese Papierfäden, welche natürlich keine Festigkeit besitzen, werden zwischen die echten Wollfäden eingewoben, und so entsteht ein Gewebe, das teils aus Wolle, teils aus Papier zusammengesetzt ist. Der unglückliche Käufer solcher Wollstoffe wird jedenfalls nicht viel Freude daran erleben, und ich glaube kaum, daß er diesem neuesten „Papierwunder“ große Begeisterung entgegenbringt.

Aus Leinen.   Aus Holzzellstoff.
Papierfasern.
In mikroskopischer Vergrößerung.

Ist das Papier nicht geleimt und geglättet, so saugen die verfilzten Pflanzenfasern, aus denen das Papierblatt besteht, alle Flüssigkeiten gierig ein; ebenso die Fasern der Pappe. Es ist demnach leicht möglich, Pappe und Papier mit Oelen, Teer oder Chemikalien zu tränken und sie auf diese Weise sowie durch nachheriges Prägen steinhart und wasserfest, ja selbst feuerfest zu machen. Durch Versuche und langjährige Erfahrungen hat man es so weit gebracht, Pappen herzustellen, welche allen Witterungsverhältnissen widerstehen und die darum zum Bau von leicht zusammenstellbaren und transportablen Baracken benutzt werden. Alle tragenden und stützenden Teile dieser Baracken bestehen aus Holz, die Flächenbekleidungen, wie Wände, Dach und Thüren, aus getränkter und hart gepreßter Pappe. Zwischen der äußeren und inneren Pappwand befindet sich eine Isolierluftschicht, die den Zweck hat, im Winter gegen die Kälte und im Sommer gegen die Wärme zu schützen.

Diese Art Baracken sind bereits seit einer Reihe von Jahren in Gebrauch, vornehmlich für militärische Zwecke. Unsere Abbildung auf Seite 492 veranschaulicht die Aufstellung und Einrichtung solcher leicht transportablen Gebäude für Militärlazarettzwecke von innen und außen. Den Illustrationen liegen Aufnahmen in dem Barackenlager zu Grunde, das während der zweiten Hälfte des Jahres 1891 im Königl. 2. Garnison-Lazarett Tempelhof bei Berlin aufgestellt und belegt war. Das „System Döcker“ von Christoph und Unmack in Niesky (Oberlausitz), nach welchem diese „Pappbaracken“ hergestellt sind, ist in der deutschen, der österreichischen, französischen, dänischen und türkischen Armee eingeführt. Auch für vorübergehende Unterbringung von Erdarbeitern bei Eisenbahn-, Kanal- und ähnlichen Bauten leisten diese Baracken vortreffliche Dienste. Während der Hamburger Hafenbauten war am Petersenquai eine ziemlich geräumige Speise- und Kaffeehalle aus Pappe für die beim Hafenbau beschäftigten Arbeiter errichtet. Da sich die Pappe gegen starken Wärme- und Kältewechsel gleichmäßig verhält, sich nicht wie das Eisen und Holz dehnt oder zusammenzieht, so dürften die Papphäuser vielleicht auch in den überseeischen Kolonien Verwendung finden. Die Papierhäuser können natürlich je nach Bedarf in größerem und kleinerem Umfang aufgebaut werden. Sie sind meist transportabel eingerichtet und der Aufbau erfordert keine große Arbeit, da kein Fundament und kein Mauerwerk nötig ist. Beim Nordostseekanalbau war ein transportables Papplazarett in Gebrauch, das Raum für 50 Betten bot; dasselbe war von der Fabrik der Gebr. Adt in Forbach (Lothringen) geliefert worden.

Wollbestäubter Papierfaden.
In mikroskopischer Vergrößerung.

Ebenso wie Papphäuser stellt man auch Pappkuppeln zu größeren Bauten her, dieselben zeichnen sich vor den Metallkuppeln durch große Leichtigkeit aus. Zu Sternwarten, wo der runde, kuppelartige Observatoriumsdom drehbar sein muß, damit das große Fernrohr nach allen Gegenden gerichtet werden kann, hat man schon seit vielen Jahren den leichten Papierstoff als Kuppelbedeckung benutzt, besonders in Amerika. So ist das Bundesobservatorium zu West Point im Staat New York mit einer Papierkuppel versehen, die auf 36 eisernen Rädern ruht und zu welcher 2600 Pfund Papier nötig waren. Ein anderer Observatoriumsdom aus Papier befindet sich im Rensselaer Polytechnischen Institut zu Troy; dieser ruht auf Kanonenkugeln, auf denen er sich drehen läßt, und wiegt insgesamt 4000 Pfund, wovon 1000 Pfund auf die Papierkuppel entfallen. Diese Papierkuppeln sollen sich gut bewähren, da sie leichter als Eisen, widerstandsfähiger als Holz und gegen die Temperaturschwankungen wenig empfindlich sind.

Die Papierkuppeln verdienen ihren Namen in der That, denn sie sind nicht aus der oben beschriebenen Pappe hergestellt, sondern aus wirklichen Papierblättern, die in dicken Lagen übereinander geklebt und dann mit Oelen und chemischen Mitteln widerstandsfähig gemacht werden. Eine Kuppel besteht aus 24 oder 36 einzelnen Stücken, die über einem Holzmodelle durch Uebereinanderkleben der Papierlagen erzeugt werden. Jedes einzelne Stück läuft von der Basis bis zur höchsten Spitze des halbrunden Kuppeldaches und bildet demnach einen gewölbten Streifen, der unten breit ist und nach oben schmal zuläuft. Zur Herstellung dieser großen langen Kuppelteile wird sehr gutes Rollenpapier benutzt, das sofort in der nötigen Länge und Breite zugeschnitten, dann angefeuchtet und über das Holzmodell gespannt wird. Auf den ersten Papierstreifen wird ein zweiter, gleichfalls angefeuchteter geklebt, auf diesen ein dritter und so fort, bis die nötige Dicke erreicht ist. Die feucht aufgeklebten Papierstreifen verharren dauernd in ihrer gewölbten Form und bilden nach dem Trocknen harte, widerstandsfähige Stücke, die durch Oelen, Glätten mit heißen Eisen, Asphaltieren und Firnissen wetterfest gemacht und dann zu der runden Kuppel zusammengefügt werden.

Der Erfinder dieser Papierkuppeln ist George A. Waters in Troy, Amerika, der auch die „Papierschiffe“ erfand, die ganz ähnlich gefertigt werden. Den Anstoß zur Erfindung gab, wie so oft, ein Zufall. Waters’ Vater besaß eine Fabrik chemischer Artikel, welche in Pappbehältern versandt wurden, die er in einer eigenen Schachtelfabrik herstellen ließ. In dieser Fabrik lernte der junge Waters die Papparbeiten kennen, und als ihm im Jahre 1867 sein altes Ruderboot leck wurde, kam er auf den Einfall, die lecken Stellen mit mehrfach aufgeklebten Papierblättern auszubessern, die er mit Firnisfarbe bestrich. Das Ausbesserungsmittel bewährte sich über Erwarten gut, und Waters faßte infolgedessen den kühnen Entschluß, ein ganzes Boot aus Papier zu fertigen. Er nahm sein altes Boot als Modell, kaufte bestes Manilahanfpapier, das nicht in Bogen geschnitten, sondern in ungeteilter Länge auf Rollen gewickelt war, und schnitt aus diesem Papier in voller Bootslänge Streifen ab. Diese durchweichte er gründlich, spannte die ersten Streifen mit Stiften fest auf das Bootsmodell und klebte dann die anderen Streifen darüber, bis eine ungefähre Wanddicke von 3 mm entstand. Hierauf ließ er das Papier gründlich austrocknen, machte es dann mit Oel, Firnis und Teer wasserdicht und erhielt nach Entfernung des Holzmodells ein vollständig dichtes Boot, dessen Wände sehr steif waren und in ihrer gegebenen Form verharrten. Nun versah er dasselbe mit Gestell und Ausrüstung, gab ihm noch einen äußeren Firnisanstrich und das erste Papierboot war fertig.

[492] Waters nannte es „The Experiment“. Die Probefahrt mit dem Boote fiel vortrefflich aus, es widerstand dem Wasser ebensogut wie Holzboote und wurde jahrelang benutzt. Es existierte noch im Jahre 1885. Vor den Holzbooten zeichnete es sich durch ungemeine Leichtigkeit aus, war ohne Naht und bestand aus einem einzigen Stück verfilzten und zusammengeklebten Papierstoffes. Waters Sohn und Vater hätten keine Amerikaner sein müssen, wenn sie nicht sofort daran gedacht hätten, die zufällige Erfindung geschäftlich auszunutzen. Sie sicherten sich Patente, fertigten Boote zum Verkauf, und schon bald nach der Erfindung wurde eines derselben zu einer Wettfahrt benutzt.

Im Jahre 1874 machte H. Bishop eine Wasserreise von Quebec in Kanada nach dem Golf von Mexiko in einem Waters’schen Boote und beschrieb dieselbe in seinem Buche „Reise mit einem Papierboote“, in welchem er erzählt: „Nachdem ich 400 englische Meilen durchrudert hatte, kam ich auf dem Hudson in Troy an, wo E. Waters and Sons seit einigen Jahren Papierboote fabrizieren. Die Vorzüge eines Bootes, das nur 58 Pfund wiegt, dessen Stärke und Dauerhaftigkeit aber genügend erprobt war, veranlaßten mich, meinen Gehilfen zu entlassen und die weiteren 2000 Meilen der Reise auf einem solchen Boote allein zurückzulegen, obwohl alte erfahrenes Seeleute davon abgeraten hatten. Etwaige stille Besorgnisse wurden aber rasch zerstreut, als ich an dem Klubhause zu Troy vorüberfuhr und dort 40 solcher papiernen Boote liegen sah. Mein Boot ‚Maria Theresia‘ war 14 Fuß lang, 28 Zoll breit, 9 Zoll tief in der Mitte. Der Bug war 23 Zoll, der Stern 20 Zoll über der wagerechten Linie. Das Boot hatte eine Wanddicke von 1/8 Zoll (oder 3 mm) und war mit 7 Fuß 8 Zoll langen Rudern aus Fichtenholz von 31/4 Pfund Gewicht versehen. Mast und Segel, die auf einem so kleinen Schiff keinen Zweck hätten und bald beseitigt wurden, wogen 6 Pfund.“

Lazarett-Baracken aus Pappe.

Beim Bau kleiner Ruderboote blieb man jedoch nicht stehen, man strebte höher, und im Jahre 1884 wurde eine Dampfjacht aus Papier gebaut. Dieselbe war 25 Fuß lang und wurde aus eigens hierzu gefertigtem Papier hergestellt, das in nassen Bogen aus der Papierfabrik kam. Die Wände des Schiffsrumpfes waren 1 Centimeter dick, zwischen die Papierlagen war zum besseren Schutz gegen das Wasser eine Asphaltschicht eingestrichen. An dem Papierrumpf wurde ein Holzkiel angebracht, sowie Holzrippen, welche den Zweck hatten, den Fußboden, sowie die Dampfmaschine zu tragen. Der große Rumpf bestand aus zwei Teilen, die kunstgerecht am Kiel zusammengefügt und verdichtet wurden. Seitdem hat dieser Zweig der Papierindustrie noch weitere Fortschritte gemacht. Auch in Deutschland werden inzwischen Papierboote hergestellt und sind solche in Gebrauch.

Derartige staunenswerte Erfolge, die man mit dem Papierstoff erreichte, stachelten zu immer neuen Versuchen an, und, derselbe wurde zur Herstellung der verschiedensten Gegenstände herangezogen. Man begann, aus getränkter und steinhart gepreßter Pappe Schüsseln, Teller, Waschbecken und dergleichen zu prägen, die, sich – wenn gediegen gearbeitet – auch gut bewähren. Ferner fertigt man aus derselben Pappe Eimer und Fässer, die aus dem Oberteil und Boden zusammengesetzt werden. Auch das Glas suchte man mit dem Papierstoff zu verdrängen, indem man Flaschen und Tintenfässer aus Papierstoff fertigte. Mit diesen wurde indessen, kein einträgliches Geschäft gemacht, und eine der größten Papierflaschenfabriken stellte kürzlich den Betrieb ein. Getränkte und geprägte Pappe läßt sich auch drehen und polieren, und sie wird daher zu unzähligen Gegenständen benutzt, die früher aus Horn, Stein, Holz- und ähnlichen Stoffen gefertigt wurden.

Alles Irdische hat aber seine Grenzen, und so auch die Benutzung des Papierstoffes an Stelle anderer, eigenartiger Stoffe. Wo ein Stoff unverwüstliche, ausdauernde Härte zeigen muß, wie sie der Stahl besitzt, da scheitert die Anwendung des Papierstoffes in der Regel. Denn seine Fasermasse kann – selbst wenn sie mit Firnis durchtränkt und mit der stärksten Kraftanwendung gepreßt wird, doch keinen Vergleich mit der eigenartigen Härte der Metalle aushalten.

Die „Papiereisenbahnräder“ habe ich schon erwähnt. Papier kommt zu den Eisenbahnrädern überhaupt nicht zur Verwendung, sondern durchtränkte und geprägte Pappe, und diese auch nur als Radstern. Die Abbildung auf S. 494 zeigt den Durchschnitt eines 1886 patentierten Eisenbahnrades mit Pappfüllung. Alles, was auf der Zeichnung dunkel ist, besteht aus Eisen und Stahl, die hellen Stellen a a bedeuten die Pappfüllung. Diese liegt, wie man sieht, vollständig in Stahl eingebettet und eingeschraubt. N N ist die Stahlnabe, welche auf, der Wagenachse läuft. Diese Nabe hat ringsum einen kreisförmigen Fortsatz, der zwischen der Pappmasse a a eingeklemmt ist. R R ist der Stahlreifen, der um das ganze Rad herumliegt und fest auf der Pappmasse sitzt. An beiden Seiten liegen Eisenplatten, die mit starken, durch die Pappe greifenden Schrauben befestigt sind. Die Hauptteile bestehen demnach aus Stahl und Eisen, und nur der Radstern, der allerdings auch gewaltige Anstrengungen aushalten muß, besteht aus Pappe.

Die neueste Ueberraschung für das sportlustige Publikum ist eine – Schlittschuhbahn aus Papier und Pappe. Man glaube nicht, daß ich scherze; die Sache ist voller Ernst, und der glückliche Erfinder erhielt unlängst auf seine papierne Schlittschuhbahn ein deutsches Reichspatent. Er benutzt zu ihrer Herstellung Papptafeln, die mit Leinölfirnis und Paraffin durchtränkt, dann unter gewaltigem Druck gepreßt und mit Pergament überklebt werden. Diese Papptafeln setzt er auf einer Cementunterlage sorgfältig zu einer glatten Bahn zusammen, bestreicht die Oberfläche noch mit einer eigens dazu bereiteten wachsartigen Masse, und der Schlittschuhlauf kann beginnen. Nötig ist es, daß die Bahn mit ganz glatt polierten Schlittschuhen belaufen wird, die an der Unterfläche keine scharfen Kanten haben, da diese in die Bahn einschneiden. Sollte sich die Erfindung bewähren, so könnten sich die Freunde und Freundinnen des Schlittschuhlaufes zu jeder Jahreszeit auf der Bahn tummeln, im Winter auf Eis, im Sommer auf Pappe.

Der chemisch aufgeschlossene Papierstoff oder die Cellulose ist außerdem noch chemischer Veränderungen fähig, die seine Verwandtschaft mit dem Papier kaum noch ahnen lassen. Uebergießt man reine Cellulose mit konzentrierter Salpeter- und Schwefelsäure, [494] so geht unter Entwicklung erstickender Dämpfe eine chemische Veränderung vor sich, und aus der harmlosen Cellulose wird Nitrocellulose, ein ungemein gefährlicher Explosionsstoff, welcher schon durch Druck oder Schlagen zur Explosion gebracht werden kann. Derselbe ist in weiteren Kreisen unter dem Namen Schießbaumwolle bekannt, da früher zu seiner Herstellung ausschließlich Baumwolle verwendet wurde. Die Nitrocellulose ergiebt nach entsprechender Weiterverarbeitung das vielbesprochene rauchlose Pulver, das also aus demselben Rohstoff erzeugt wird wie das Papier. Es ist auch möglich, aus reinem Cellulosepapier Nitrocellulose und daraus wieder rauchloses Pulver zu machen.

Die Nitrocellulose dient aber auch weniger blutdürstigen, sondern rein gewerblichen Zwecken. Uebergießt man sie, nachdem sie gut getrocknet ist, mit einer Lösung von Kampfer in Aether, so entsteht eine gallertartige Masse, die sich durch die Verflüchtigung des Aethers allmählich verdickt. Wird diese Masse unter starkem Druck solange gewalzt, bis sie fest geworden ist, und hierauf nochmals einem ungeheuren Drucke in einer hydraulischen Presse ausgesetzt, so nimmt sie eine hornartige, durchsichtige Beschaffenheit an und heißt dann „Celluloid“.

Eisenbahnrad mit papierenem Radstern.

Das Celluloid ist ein geschätzter und vielverwendeter Stoff unserer heutigen Industrie. Im kalten Zustande ist es ungemein hart, bei einer Temperatur von 125° C. wird es dagegen weich und läßt sich in jede beliebige Form pressen. In diesem Zustande kann es auch mit Farbstoffen vermengt werden, und man versteht es, ihm eine täuschende Elfenbeinfarbe zu geben sowie durch Bemalen die Farben des Horns und Schildpatts nachzuahmen. Viele der billigen elfenbeinähnlichen Schmucksachen, die heute im Handel sind, bestehen aus Celluloid, das auch in der Härte dem Elfenbein nahe kommt. Auch Billardbälle, von den Spielern meist „Papierbälle“ genannt, werden aus Celluloid hergestellt, desgleichen Stockgriffe, Kämme und viele andere Dinge. Erwähnenswert ist noch die sogenannte „Gummiwäsche“, die gleichfalls aus Celluloid besteht und deren Kampfergeruch von dem oben beschriebenen Lösungsmittel herstammt.

Leider hat das Celluloid von der Nitrocellulose die schlimme Eigenschaft leichter Brennbarkeit beibehalten, zwar in abgeschwächter, aber immer noch bedenklicher Form. Durch Schlag und Stoß entzündet sich das Celluloid nicht, über eine helle Flamme gehalten brennt es jedoch sofort und unter bedeutender Kraftentwicklung. Schon mancher Billardball ist zum Entsetzen der Spieler durch Gasflammen oder brennende Streichhölzer zu Grunde gegangen. Auch die sogenannte Gummiwäsche ist ungemein feuergefährlich, und obwohl die Fabrikanten bestrebt sind, ihr diese bedenkliche Eigenschaft nach Möglichkeit zu entziehen, zeigt ein Versuch sofort, daß dies noch nicht gelungen ist. Die Celluloidkragen und -manschetten brennen sehr leicht und schnell. Wer die sogenannte Gummiwäsche trägt, sollte daher die größte Vorsicht walten lassen und brennende Streichhölzer von derselben fernhalten. Denn sie entstammt einem der gefährlichsten Explosionsstoffe, und obgleich dessen unheilvolle Triebe in ihr stark gebändigt sind, kann sie ihre Abstammung doch nicht vollständig verleugnen.