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Titel: Hölzerne Kleider
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 220
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[220] Hölzerne Kleider. Hölzerne Kleider sind durchaus nichts Neues; heißt es doch schon im alten Liede:

„Der liebste Buhle, den ich han,
Der liegt beim Wirth im Keller;
Er hat ein hölzern Röcklein an
Und heißt der Muskateller.“

Aber solche Röcklein sind in unserm Falle nicht gemeint, wir haben wirkliche Kleiderstoffe im Sinn, die von der feinen Welt getragen werden, und die der besten Seide weder an Farbe, noch Gefühl, noch Aussehen nachstehen. Und doch ist der Hauptbestandtheil dieser Seide lediglich Holz, chemisch gereinigtes Holz, und weiter nichts.

Unsere schönen Leserinnen werden mit getheilten Gefühlen dieser Erfindung gegenüber stehen, und zunächst wird dieselbe vielfach angezweifelt werden. Kleiderstoff aus Holz? Hölzerne Kleider? Sollte das möglich sein? Ja, es ist in der That möglich.

Aber wie wird’s denn gemacht, das Holz in Seide zu verwandeln? Das geht überraschend einfach her. Das Holz besteht nämlich der Hauptsache nach aus Cellulose, die von nur wenigen Faserstoffen eingehüllt ist. Man zerreibt nun das Holz, indem man es mittels großer Schleifsteine mahlt; dieselben gehen mit ihrem untern Theile in Wasser, welches die Fasern abspült und aufnimmt. Die Faserstoffe werden alsdann auf chemischem Wege aufgelöst und man erhält die reine Cellulose, die im vollsten Sinne „ein Mädchen für alles“ ist. Sie dient zur Papierfabrikation, zur Herstellung von Schmucksachen, zum Ersatz des Elfenbeins, zur sogenannten Gummiwäsche und zu unzähligen anderen Gegenständen.

Von demselben Stoffe hat vor kurzen der französische Chemiker Chardonnet auch künstliche Seide hergestellt, die auf der letzten Weltausstellung in Paris großes und verdientes Aufsehen erregte. Die Herstellung der Seidenfäden wurde dort an einem patentirten Apparat gezeigt, der just aussieht wie eine Wurstmaschine. An der Stelle aber, wo bei der Wurstmaschine das Hackfleisch austritt, bringt Chardonnet ein nach unten gerichtetes Mundstück an, welches mit äußerst feinen Oeffnungen versehen ist. Aus diesen quillt die Seide in feinsten Fäden hervor. Das Haspeln, Weben und Färben wird, wie bisher üblich war, gehandhabt. Da die künstliche Seide die Farbstoffe gut aufnimmt, so lassen sich mit ihr wunderbar glänzende Farbentöne erzielen.

Trotzdem hatte Chardonnet mit seiner Erfindung keinen Erfolg, denn die künstliche Seide war gar zu feuergefährlich, und ein solches Gewebe stand im Nu in Flammen. Dieser Uebelstand ist nun beseitigt, indem man die Cellulose mit einem Feuerschutzmittel tränkt; man erreicht dadurch einen so guten Schutz gegen Entzündlichkeit, daß das Patentamt des Deutschen Reiches das früher beanstandete Patent nunmehr ertheilt hat. – Da zur Zeit die Seideneinfuhr für Deutschland 2871900 Kilo im Werthe von 130 Millionen Mark beträgt, so ist der Werth des Patentes sehr bedeutend.

In Zukunft also kleiden wir uns in Holz und Holzstoff; Kragen, Manschetten, Vorhemdchen, alles von Cellulose. Die „echte“ Elfenbeinvorstecknadel, das schöne, rothe Korallenhalsband, die wie Perlmutter glänzende Haarnadel, die Knöpfe mit dem wundervoll verschlungenen Namenszuge, die „seidenen“ Kleider, welche unsere Damen tragen – alles Cellulose! Aber damit noch nicht genug, auch das rauchlose Pulver, verschiedene grausenerregende Sprengmittel haben als Grundstoff nicht minder Cellulose, wie die neuen perlweißen Zähne, die der amerikanische „Dentist“ seiner Kundschaft für Walroß oder gar echt Elfenbein verkauft.