Die Odtheorie und die Sensitiven

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Autor: Hermann Wilhelm Vogel
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Titel: Die Odtheorie und die Sensitiven
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Odtheorie und die Sensitiven.
Von Dr. Hermann Vogel.

Nachdem neuerdings die Od-Bewegung und der Sensitiven-Schwindel durch einige Vorgänge wieder in den Vordergrund gedrängt sind, dürfte eine populair-wissenschaftliche Beleuchtung dieser Verirrungen wohl an der Zeit sein.

Vor circa 20 Jahren trat der durch die Entdeckung des Kreosots, Paraffins und durch seine Untersuchungen über Meteorsteine rühmlichst bekannte Freiherr von Reichenbach mit einer Reihe von Beobachtungen an die Oeffentlichkeit, die im hohen Grade das Aufsehen sowohl der Naturforscher als auch des gebildeten Publicums erregten.

Reichenbach behauptete, eine neue, bisher nicht gekannte Naturkraft, die er „Od“ nannte, aufgefunden zu haben. Dieselbe sollte in der Natur eine mindestens ebenso große Rolle spielen, als Elektricität und Magnetismus, obgleich ihre Wirkungen nicht so klar zu Tage treten und nur für Personen sichtbar sein sollten, die mit besonders zarten Sinneswerkzeugen ausgerüstet sind. Nach Reichenbach’s Angaben ist dieses Od ein Agens (wirkende Kraft), das sich sowohl im menschlichen und thierischen Körper, als auch in Pflanzen und Mineralien, Magneten, krystallisirten Salzen, beim Schall, beim Reiben und Schlagen, bei chemischen Processen etc. entwickelt und in eigenthümlicher Weise auf den Gesichtssinn und Gefühlssinn wirkt.

So soll diese Kraft schon in der Ferne auf reizbare Menschen wirken und „lauliche oder kühlige, gleichzeitig angenehme oder unangenehme Empfindungen verursachen.“ Die rechte Hand eines Menschen veranlaßt z. B. nach Reichenbach in der rechten Hand eines andern ein unangenehmes lauwidriges, in der linken dagegen ein angenehm kühliges Gefühl; umgekehrt wirkt die linke. Aehnliche Wirkungen hat auch ein starker Magnet, der Nordpol desselben veranlaßt in der rechten Hand unangenehme Gefühle (Reichenbach sagt Magenweh und andere Pein), der Südpol dagegen angenehme; ebenso wirken Krystalle von Turmalin, Quarz etc. mit ihren verschiedenen Enden. Reichenbach erklärt diese von ihm behauptete Erscheinungen aus der Annahme, daß das neue Agens „Od“ allen den genannten Körpern – und zwar an verschiedenen Enden in zwei verschiedenen Zuständen als positives und negatives Od entströme, daß z. B. unsere rechte Hand, unser Kopf, der Nordpol eines Magneten, odnegativ, unsere linke Hand, die Füße, ebenso der Südpol eines Magneten odpositiv seien. Alle odnegativen Körper sollen nun in der gleichfalls odnegativen rechten Hand unangenehme, in der odpositiven linken dagegen angenehme Empfindungen verursachen, und umgekehrt.

Diese Gefühle sollen sich mitunter so stark äußern, daß viele Personen das Handgeben (wobei die odnegative Rechte der einen Person in die gleichnamig odische Rechte der andern gelegt wird) nicht vertragen können.

Auch die Erde ist nach Reichenbach odisch, am Nordpol positiv, am Südpol negativ. Deshalb sollen viele Menschen mit den (odpositiven) Füßen nach Norden gerichtet nicht schlafen können, wogegen ihr Schlaf mit dem (odnegativen) Kopfe nach Norden ein viel ruhigerer wäre.

Es wird ferner angegeben, daß unser Rücken odisch sei, in der Art, daß ein Major Philippi durch bloßes Gefühl die Himmelsgegend habe bestimmen können, indem er sich langsam im Kreise herumdrehte. Die Stellung mit dem (odnegativen) Rücken nach Norden soll die behaglichste sein.

Noch merkwürdiger klingen die Mittheilungen über die Anziehungen, die ein starker Magnet auf menschliche Glieder ausüben soll. So erzählte Reichenbach von einem Frl. Nowotny, deren Hände von einem starken Magnete angezogen wurden wie ein Stück Eisen. „Sie packte das dargebotene Ende der Magneten so fest, daß es ohne die größte Anstrengung nicht gelang, es ihr wieder zu entreißen.“

Das Od ist nach Reichenbach’s Angabe übertragbar. Hält man z. B. ein Glas Wasser circa 10 Minuten in der Hand, so geht das Od aus der Hand in’s Wasser über und ertheilt dem Letztern einen eigentümlichen Geschmack, derselbe ist „kühlig“, wenn das Glas in der rechten, „laulich“, wenn es in der linken Hand gehalten wurde.

Nicht minder außerordentlich als die odischen Gefühlsphänomene werden die odischen Lichterscheinnugen geschildert. Alle odausgebenden Körper sollen nämlich in absoluter Dunkelheit leuchten.

So wird der menschliche Körper im Dunkeln von einer leuchtenden Atmosphäre umhüllt gesehen, „die ihm das Ansehen eines geisterhaften Ungeheuers giebt.“ „Angesichts solcher Thatsachen,“ sagt Reichenbach, „frage ich, wie man es gemeinen Leuten verdenken will, wenn sie an Gespenster glauben? Sie haben sie gesehen, und was man gesehen hat, disputirt kein Doctor hinweg. Freilich sieht sie nicht Jedermann, sondern nur die Auserwählten, die Sensitiven.“

Verschiedene Theile des menschlichen Körpers leuchten verschieden stark, namentlich zeichnet Reichenbach den Kopf und die Hände als hellleuchtend aus. Der Kopf soll wie mit einem Heiligenschein umgeben erscheinen; „der Heiligenschein ist demnach,“ sagt Reichenbach, „nicht blos aus der Phantasie religiöser Schwärmerei geschöpft, er ist in Wirklichkeit vorhanden. Jeder Mensch trägt ihn beständig mit sich herum.“

Selbst ein blinder Tischler sah Reichenbach’s Kopf in einer lichten Wolke schweben und gab die Bewegungen desselben richtig an. Die odischen Lichter sind sogar durch die Kleider hindurch sichtbar. Verschiedene Damen und Herren sahen ihre Beine von den Hüften bis zu den Knöcheln. Ja noch mehr: auch innere Leibestheile, wie Magen, Eingeweide, leuchten durch die darüber liegenden Theile hindurch und werden dem sensitiven Auge sichtbar.

Die rechte Hand wird als bläulich, die Linke als rothgelb leuchtend ausgegeben, weil positives und negatives Od verschiedenfarbige Strahlen habe. Auch Mauerwände sollen odleuchteud gesehen werden, und andere davorgestellte Gegenstände erscheinen als Schatten.

Ja noch mehr, die Mauerwände können förmlich odisch durchsichtig werden; so sah eine Sensitive Reichenbach’s Gestalt durch die Wand hindurch und erkannte jede seiner Bewegungen.

Wie schon erwähnt, soll sich Odlicht auch bei chemischen und mechanischen Processen, z. B. beim Schlagen, Reiben, erzeugen. Der menschliche Odem, die einem Blasebalge entströmende Luft, verwesende und faulende Stoffe sollen odisch leuchten. Eine Frau B. behauptete nach Reichenbach, jeden dunklen Abend eine große Helle über dem Grabe eines Hundes zu sehen.

Andere Damen sahen ähnliche flammenartige Lichterscheinungen auf Gräbern von Menschen. Reichenbach erklärt hieraus den Aberglauben von dem nächtlichen Wiedererscheinen der Todten auf ihren Grabhügeln. – Das Gesagte, welches lediglich Reichenbach’s Ansichten und Behauptungen zusammenfaßt, wird hinreichen, dem Leser einen oberflächlichen Begriff von den vermeintlichen Entdeckungen zu geben. Ich habe keineswegs aus Reichenbach’s Werken das Wunderbarste herausgesucht, im Gegentheil, man findet in seinem hier oft citirten Werke „Der sensitive Mensch“ Geschichten von Somnambulen etc., die noch weit merkwürdiger klingen.

Alle diese wunderbaren Gesichts- und Gefühlserscheinungen sind jedoch wie gesagt keineswegs für alle Menschen wahrnehmbar, sondern nur für eine geringe Zahl Auserwählter, die mit besonders fein organisirten Sinnen ausgerüstet sind, die sogenannten Sensitiven. Man kann diese Sensitiven mit Hülfe eines einfachen Experimentes leicht herausfinden, indem man den Zeigefinger der rechten Hand langsam über den Teller der linken des zu Prüfenden von der Wurzel bis über den Mittelfinger hinwegführt, ohne sie zu berühren. Alle Sensitiven spüren dabei ein Gefühl, als würden sie mit einem Strohhalm angeblasen. Reichenbach hat nach diesem Verfahren in Wien circa 200 Sensitive unter Leuten verschiedenen Alters, Geschlechtes, Bildungsgrades und Gesundheitszustandes aufgefunden, darunter auch mehrere Naturforscher, wie Endlicher, Natterer, Schabus. Die meisten seiner Versuche hat er jedoch mit Damen gemacht.

Reichenbach selbst ist, seiner eigenen Angabe nach, nicht sensitiv. Er hat von den odischen Erscheinungen nichts selbst gesehen und gefühlt, sondern verdankt seine Kenntniß darüber nur den Mittheilungen Anderer. Dieser Umstand erregte bald das Mißtrauen der Naturforscher. Es ist eine mißliche Sache, ganz auf Beobachtungen fremder Leute hin über Gegenstände schreiben zu wollen, für die man gar kein Wahrnehmungsvermögen besitzt, von denen man sich also auch keine rechte Vorstellung machen kann. Es ist ebenso, als wenn ein Taubgeborener ein Buch über Musik, ein Blindgeborener ein Buch über Malerei schreiben wollte.

[634] Nimmt man dazu noch die wahrhaft unglaublich klingenden Mittheilungen über magnetische Anziehung, Gräberlicht, durchsichtige Mauern etc., so ist das Mißtrauen um so gerechtfertigter. Wenn Reichenbach erzählt, daß die Hand des Fräulein Nowotny von einem starken Magnete angezogen würde, so sollte man glauben, daß auch ein beweglicher Magnet von der Hand des Fräulein Nowotny angezogen werden müßte. Das ist jedoch nach Reichenbach’s eigener Ansicht nicht der Fall. „Eine freischwebende Magnetnadel wurde durch die Hand des Fräulein Nowotny nicht im geringsten afficirt.“ Eine solche Erfahrung stände aber in so grellem Widerspruche mit der erkannten Gesetzmäßigkeit, welche den Wirkungen aller Naturkräfte zu Grunde liegt, daß jeder Naturforscher das Recht hat, so lange daran zu zweifeln, bis er sich durch eigene Experimente von der Wahrheit der Sache überzeugt hat.

Aber, wird man einwenden, Reichenbach selbst ist Naturforscher, er hat interessante Entdeckungen auf dem Gebiete der Chemie gemacht, die von anderen Chemikern bestätigt worden sind; also ist man, wie es scheint, verpflichtet seinen Untersuchungen Glauben zu schenken! – Der Begriff „Naturforscher“ ist jedoch ein sehr umfangreicher; Chemiker, Physiker, Zoologen, Botaniker, Physiologen sind alle Naturforscher. Reichenbach hat sich als Chemiker einen wohlbegründeten Ruf erworben; seine odischen Untersuchungen spielen aber sehr stark auf das Gebiet der Physiologie hinüber. Man kann nun ein sehr guter Chemiker und doch nur ein schlechter Physiologe sein. Darin kann der Grund liegen, daß Reichenbach’s Behauptungen am heftigsten von Physiologen angegriffen wurden.

Der erste Angriff ging wohl von Dubois Reymond aus. Er nannte Reichenbach’s Arbeit „einen abgeschmackten Roman, in dessen Einzelheiten einzugehen fruchtlos wäre – eine der traurigsten Verirrungen, der seit lange ein menschliches Hirn anheimgefallen – Fabeln, die in’s Feuer geworfen zu werden verdienen“ u. s. w.

Nicht minder schonungslos äußerte sich später Carl Vogt in seinen physiologischen Briefen, etwas milder, jedoch auch entschieden absprechend Liebig, Heidenreich, Ehrenberg und A. Die Zweifel an Reichenbachs Angaben mußten sich noch erhöhen, als Wiederholungen seiner Versuche, die man in Göttingen, Wien und anderen Orten vornahm, nicht den erwünschten Erfolg hatten. Reichenbach ließ sich jedoch dadurch nicht zurückschrecken. Er suchte alle Einwände der Gegner durch Gegengründe niederzuschlagen und warf denen, die seine Versuche ohne Erfolg wiederholt hatten, Nachlässigkeiten bei der Anstellung derselben vor. Allen Angriffen von Seiten der Gelehrten gegenüber tröstete er sich mit den Sympathieen des Publicums, welches theils durch seine eigenen Schriften („Die Dynamide,“ „der sensitive Mensch“ etc.) theils durch Berichte verschiedener Unterhaltungsblätter (z. B. der Leipziger Illustrirten Zeitung) Kunde von seinen Entdeckungen erhielt.

Diese Berichte erregten nicht geringes Aufsehen, sowohl durch die Neuheit der Sache, als auch durch den Reiz, den alles Wunderbare auf die Menschen ausübt. Dazu kamen die Beziehungen zu den von einer Seite standhaft behaupteten, von der andern Seite eben so standhaft bezweifelten Erscheinungen des thierischen Magnetismus. Die Sensation war um so größer, als das Bekanntwerden der Reichenbach’schen Entdeckungen in eine Zeit fiel, wo ganz Europa sich mit Tischrücken und dergl. beschäftigte, also die Empfänglichkeit für alle Wundergeschichten sehr groß war. Die Einwendungen der Gelehrten fruchteten hier so wenig als beim Tischrücken. Man erblickte in Reichenbach den Märtyrer seiner Sache und bewunderte den Muth des Mannes, der allen Angriffen seiner Gegner zum Trotz sich nach wie vor mit Enthusiasmus seinem Gegenstande hingab.

Es läßt sich auch von vollkommen unparteiischem Standpunkte Manches zu Reichenbach’s Gunsten anführen. Es ist nicht Alles unwahr, was unglaublich klingt. Nichts klingt unglaublicher, als daß man mit der bloßen Hand weißglühend-flüssiges Eisen anrühren könne, ohne sich zu verbrennen, und doch ist das Thatsache. Es ist auch nicht Alles unwahr, was die Gelehrten leugnen. Jahrzehnte lang leugneten sie die Behauptung, daß Meteorsteine fielen, bis der berühmte Meteorsteinfall von l’Aigle, wo ca. 2000 Stück an einem Tage fielen, auch den Ungläubigsten überzeugte.

Und selbst wenn man die Reichenbach’schen Mittheilungen über magnetische Anziehung, durchsichtige Mauern etc. in Zweifel zieht, bleibt doch noch genug übrig, was eher glaubhaft erscheinen könnte. Die Schärfe unserer Sinne ist so außerordentlich verschieden. Schwachleuchtende Körper, z. B. Sterne niederer Größe, sind für viele schwachsichtige Menschen unsichtbar, andere erkennen sie noch vollkommen gut. Warum sollte es also nicht Menschen geben, die im Stande sind, äußerst zarte Lichterscheinungen, wie die odischen sein sollen, wahrzunehmen, während diese für weniger fein organisirte Augen verborgen sind?

Gleiches läßt sich hinsichtlich der Gefühlserscheinungen bemerken. Wer mit nervenschwachen Personen umgeht, hat täglich Gelegenheit, zu beobachten, wie dieselben von leisen Geräuschen, unbedeutenden Erschütterungen und anderen Einflüssen, die für robuste Naturen spurlos vorübergehen, auf das Heftigsie afficirt werden. Solche Betrachtungen hatten mich veranlaßt, anzunehmen, daß in Reichenbach’s Angaben wohl einiges Wahre enthalten sein könnte. Doch enthielt ich mich vor der Hand eines jeden Urtheils darüber.

Im Winter 1861–1862 war Reichenbach in Berlin und entschloß sich, den Berliner Naturforschern seine odischen Experimente vorzuführen. Es wurden ihm dazu zwei Zimmer auf der Universität eingeräumt, die er absolut verfinstern ließ. Hier suchte er zuerst auf photographischem Wege das Odlicht nachzuweisen. Er nahm lichtempfindliche, frisch zubereitete Platten, bedeckte sie mit einem Pappdeckel, in dessen Mitte ein Kreuz ausgeschnitten war, und setzte sie der Einwirkung seiner vermeintlich odleuchtenden Körper aus. Als nach einiger Zeit auf der Platte ein der Oeffnung entsprechendes Kreuz bemerkbar wurde, war seine Freude groß. Er wollte allen seinen Sensitiven den Abschied geben.

Aber schon die ersten Versuche fielen keineswegs übereinstimmend aus, und ich vermuthete, daß nicht Odlicht, sondern ganz einfach ein wenn auch noch so schwacher Luftzug, der nur an den ausgeschnittenen Stellen des Pappdeckels die Platte treffen konnte, dort aber sie am raschesten trocknen mußte, die Ursache der photographischen Kreuze sein könne.

Es bestätigte sich dies in sofern schon damals, als drei auf meine Veranlassung angestellte Versuche in einem allseitig verschlossenen Kasten, der keinen Luftzug zuließ, vollständig mißlangen; später ist noch durch Dr. Schnauß der Beweis auf das Schlagendste geführt worden.

In dem Berichte, welchen Reichenbach über seine Versuche damals drucken ließ, erwähnt er freilich weder ihres häufigen Mißlingens, noch auch der Geschichte mit dem verschlossenen Kasten.

Indessen griff er doch endlich wieder zu seinen Sensitiven, von denen er nach langem Suchen, wobei ich selbst ihn unterstützte, eine Anzahl, die unter einander in Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand und Bildungsgrad verschieden waren, aufgefunden hatte. Er machte mit diesen Leuten eine Reihe von Versuchen, denen ich öfters beiwohnte und die ich oft auf frischer That wiederholte. Zuerst machte ich im dunklen Zimmer die Bekanntschaft einer sensitiven Dame. Als ich mich ihr näherte, behauptete sie, einen leuchtenden Schein an meinen Händen und an meinem Kopfe zu sehen. Ich ersuchte sie darauf, mir die Bewegungen zu nennen, die ich mit dem Kopfe machen würde. Sie gab bald rechts, bald links an, während ich in der Wirklichkeit den Kopf ganz still gehalten hatte. Bewegungen, die ich mit den Händen machte, wurden bald richtig, bald falsch angegeben. Die Antworten erfolgten dabei äußerst unsicher.

Reichenbach wollte nun die Sehkraft der Dame prüfen, indem er sich, schrittweise rückwärts gehend, von derselben entfernte. Als er sechs Schritte rückwärts gegangen war, sagte sie: „Jetzt sehe ich Sie nicht mehr.“ Ich wiederholte das Experiment, entfernte mich jedoch nur zwei kleine Schritte von der Dame und tappte dann mit den Füßen auf, als wenn ich ginge. Als ich zweimal aufgetreten war, sagte die Sensitive: „Jetzt sehe ich Sie nicht mehr!!“ Sonderbar war es, daß sie dennoch die mindestens zehn Schritte entfernte Mauerwand, obgleich dieselbe, nach Reichenbach, viel schwächer leuchten soll, als der Mensch, deutlich erkennen wollte.

Reichenbach wollte mir darauf die oben erwähnten „Wandschatten“ vorführen. Die Dame trat an die Wand, so daß ihre Augen circa 1 Fuß davon entfernt waren, und ich bewegte, Reichenbach’s Anweisungen gemäß, meinen rechten Arm langsam zwischen ihren Augen und der Wand nach verschiedenen Richtungen. Die Dame behauptete meinen Arm als schwarzen Schatten gegen die lichte Wand zu erblicken, konnte jedoch keine sichere Angabe über die Bewegungen desselben machen. Ihre Antworten blieben oft aus; dann suchte sie sich, bevor sie Angaben machte, mit dem Tastsinn von der Realität ihrer Beobachtungen zu überzeugen.

Interessanter war mir ein zweiter Abend in der Dunkelkammer [635] in Gesellschaft einer mir befreundeten, als Schriftstellerin wohlbekannten Dame, einer zwar nervenschwachen, aber willensstarken Frau, auf deren Angaben ich mich unbedingt verlassen konnte. Auch sie behauptete, mich zu sehen, jedoch nur dann, wenn ich ihr mit dem Gesicht sehr nahe kam, und auch sie nahm unwillkürlich den Tastsinn zu Hülfe, bevor sie Aussagen machte.

Am Bergkrystall wollte sie ein schwaches Leuchten bemerken. Sie sagte jedoch, die Lichterscheinungen seien so unsicher, daß es ihr vorkäme, als käme das Licht eher aus ihren eigenen Augen, als aus den vorgelegten Körpern. Reichenbach war über den Ausfall dieser Versuche nicht sehr erbaut; er meinte, daß die Dame zwar sehr stark gefühlssensitiv, doch nur sehr schwach gesichtssensitiv sei und daß ihr Nervensystem zu sehr durch ihren Verstand beherrscht würde.

Eines Abends traf ich eine Anzahl Damen und Herren in der dunkeln Kammer. Mit einem Herrn machte ich Versuche über das Leuchten der Hände. Er konnte mir keine sicheren Angaben über die Bewegungen derselben machen und sagte, daß der Lichtschein oft auf derselben Stelle haften bleibe und in der Stärke sehr wechsle. Plötzlich rief er: „Jetzt sehe ich Ihre Hand sehr deutlich.“ Ich ersuchte ihn, danach zu fassen. Er that das und – griff in die Luft. Ich hatte beide Hände in den Taschen!

Versuche mit einer Dame hatten keinen besseren Erfolg. Reichenbach unterbrach schließlich mein weiteres Experimentiren mit den Worten: „Hören Sie auf! Sie machen mir durch Ihr vieles Fragen meine Sensitiven confus.“ Das veranlaßte mich, von weiteren Experimenten abzustehen und ein stummer Zeuge von Reichenbach’s Versuchen zu bleiben. Dieser ließ u. A. die linken Hände mehrerer Damen an einen Holzstab legen, dessen Spitze dadurch odleuchtend werden sollte. Wirklich wollten zwei Damen auf der Spitze Odlicht sehen, drei andere jedoch nicht.

„Was! Sie sehen es nicht? Frau N. N.!“ rief eine der ersten. „Sehen Sie nur genau hin! Sie müssen es sehen!“

„Ja, jetzt sehe ich’s auch,“ antwortete Frau N. N.

Nach dieser Sitzung vergingen mehrere Wochen, ohne daß ich mich um Reichenbach’s Versuche kümmerte. Indessen lud er mehrere der hervorragendsten Naturforscher Berlins zu einer Sitzung ein, in welcher er die Gefühlserscheinungen der Sensitiven durch Versuche erläutern wollte. Ich erhielt von den Ergebnissen dieser Sitzung Kunde durch einen gedruckten Bericht, der jetzt den zweiten Abschnitt seines neuesten Werkes „Odische Begebenheiten in Berlin“ bildet. Nach diesem Berichte fielen mehrere Versuche zu Reichenbach’s Gunsten aus, andere jedoch, die Herr Professor Dove anstellte, entschieden ungünstig. So unterschieden die Sensitiven durch den Geschmack zwei Gläser Wasser, von denen das eine in der rechten, das andere in der linken Hand zehn Minuten gehalten worden war, ebenso durch das Gefühl zwei in gleicher Weise gehaltene Knäuel Garn, die Odausströmungen der rechten und linken Hand etc. Dagegen waren ihre Angaben über die Empfindungen, die der Nord- und Südpol eines gewöhnlichen Magneten, eines Elektromagneten und eines Magneten mit Zwischenpolen verursacht, schwankend, unsicher und widersprechend.

Wie schon erwähnt, habe ich diesen Versuchen nicht beigewohnt. Ich bemühte mich aber, dieselben mit mehreren unbefangenen gebildeten Damen, die ich schon seit Jahren kenne, zu wiederholen. Diese Damen sind, nach der von Reichenbach angegebenen Probe zu urtheilen, sämmtlich sensitiv; eine ist darunter, die früher genachtwandelt hatte. Letztere glaubte zwei Gläser Wasser, von denen das eine in der rechten, das andere in der linken Hand gehalten worden war, unterscheiden zu können. Das rechte sollte angenehm säuerlich kühl, das linke fade laulich schmecken. Da fiel mir die bekannte Behauptung ein, daß man mit verbundenen Augen Weißwein nicht von Rothwein unterscheiden könne. Ich verband der Dame die Augen und gab ihr abermals zu kosten. Ihre Angaben waren jetzt unsicher und widersprechend.

Bei den übrigen Damen gaben die Versuche mit zwei Gläsern Wasser, zwei Knäueln, einem Turmalin etc. negative Resultate, d. h. sie waren nicht im Stande, in der Wirkung dieser Körper auf den Geschmack oder das Gefühl Unterschiede zu finden. Alle bisher von mir geprüfte Sensitive empfanden die Bewegung meines rechten Zeigefingers über den Handteller hinweg in der rechten wie in der linken Hand gleich unangenehm, während nach Reichenbach das Gefühl in der linken ein angenehm kühliges sein soll. Ich sehe diese Versuche keineswegs als entscheidend an, ich führe sie nur an, um zu zeigen, daß es mir trotz meines Interesses zur Sache nicht gelang, Ergebnisse zu erzielen, die denen Reichenbach’s entsprachen.

Nachdem Reichenbach wochenlang mit seinen Sensitiven Voruntersuchungen in der Dunkelkammer gemacht hatte, lud er auf’s Neue die bedeutendsten Männer der Wissenschaft zu einer Sitzung ein, in welcher er die Existenz der odischen Lichterscheinungen nachweisen wollte. Es folgte jedoch nur ein einziger dieser Einladung; außer diesem waren noch drei fremde Herren und ich als Zeugen anwesend. Obgleich die Versuche, die in dieser Sitzung gemacht wurden, wochenlang vorbereitet waren, gingen sie doch keineswegs besser und waren keineswegs überzeugender für mich, als die der ersten Sitzung, welcher ich beigewohnt hatte.

Der Modus dieser Versuche war der, daß Reichenbach irgend einen Gegenstand ergriff, denselben den Sensitiven mit der Frage vorlegte, ob sie etwas sähen, und ihn nach der bejahenden Antwort derselben uns mit den Worten: „Sie sehen also, meine Herren, das und das leuchtet,“ zu weiteren Versuchen übergab. So behaupteten die Sensitiven ein Glas Wasser beim Umschütteln leuchten zu sehen. Dabei hielt aber Reichenbach das Glas in der Hand, die nach seiner Angabe ja auch odisch leuchten soll.

Auch eine tönende Glocke wollten sie sehen. Als ich ein Tuch zwischen ihre Augen und die Glocke ausspannte, sagte eine der Sensitiven: die Glocke sei jetzt unsichtbar. Ich senkte darauf das Tuch so weit, daß sie wieder gesehen werden mußte, wenn sie überhaupt sichtbar war. Dennoch wollte sie auch jetzt noch niemand sehen. Gleichzeitig fühlte ich jedoch an meinem Tuche ein Zupfen und packte ein Paar Hände. Die Sensitiven hatten, bevor sie antworteten, herumgetastet, das Tuch gefühlt und in dem Glauben, daß dasselbe noch die Glocke verdecke, diese für unsichtbar erklärt. Dieser Versuch zeigt wieder die bei allen mir bekannten Sensitiven herrschende Neigung, durch Herumtasten sich, bevor sie antworten, von der Wahrheit ihrer vermeintlichen Beobachtungen zu überzeugen. Von den übrigen Versuchen – Bewegungen mit leuchtenden Händen, mit den Armen an der Mauer entlang, erwähne ich nur, daß sie nicht besser ausfielen, als die oben beschriebenen. Reichenbach war über das schlechte Gelingen derselben nicht sehr erbaut. „Ja, ja,“ sagte er, „in meiner Hand gelingen die Versuche immer, bei fremden Herren selten oder nie.“

So endete der letzte Abend in der Dunkelkammer und mit ihm Reichenbach’s odische Thätigkeit in Berlin. In dem Berichte darüber heißt es: Drei der Anwesenden erklärten sich befriedigt und von der Existenz des Odlichtes überzeugt, „die beiden Andern habe ich inzwischen nicht wieder gesprochen.“ Ich, der ich zu diesen Zweien gehöre, war leider durch die genannten Versuche nicht überzeugt, im Gegentheil, während ich vor meiner Bekanntschaft mit den Reichenbach’schen Versuchen die Existenz des Odlichtes für möglich hielt, mußte ich jetzt dieselbe auf das Stärkste bezweifeln.

In den einzelnen Fällen, wo ich den Charakter und die Unbefangenheit der beobachtenden Damen genau kannte, glaube ich allerdings, daß dieselben Lichterscheinungen gehabt haben können. Diese Lichterscheinungen sind aber höchst wahrscheinlich subjective gewesen, das heißt solche, welche nicht von Gegenständen der Außenwelt, sondern von physiologischen Vorgängen im menschlichen Körper herrühren, ähnlich wie ja auch dem Ohrenklingen keine äußerliche Schallquelle zu Grunde liegt. Drückt man z. B. im Finstern auf den Augapfel, so sieht man ein helles Licht; schlägt man darauf, so ist es einem, als wenn Feuer aus den Augen spränge. Aehnliche Empfindungen hat man bei heftiger Anstrengung des Auges, bei Blutandrang etc. Bei nervenreizbaren Personen, wie die Sensitiven sämmtlich sind, werden offenbar diese subjectiven Lichtempfindungen viel häufiger und stärker auftreten, als bei anderen Menschen.

Wer nun die Ursache dieser Lichterscheinungen nicht kennt – und das ist gewiß bei der großen Mehrzahl der Sensitiven der Fall – ist leicht geneigt, dieselben auf Vorgänge in der Außenwelt zu beziehen. Diese Umstände scheint Reichenbach ganz außer Acht gelassen zu haben. In seinem dicken Buche „Der sensitive Mensch“ findet sich nur eine kurze Erwähnung der subjectiven Lichterscheinungen, indem er dieselben als „odisches Augenleuchten“ erklärt. – –

Zum Schluß erlaube ich mir, die Erfahrungen, welche zwei andere Beobachter, Dr. Aubert in Breslau und Dr. Oppel in Frankfurt a. M., neuerdings in der Dunkelkammer gemacht haben, hier anzureihen. Ersterer hat sich im dunkeln Zimmer oft stundenlang aufgehalten und dabei fortwährend intensive subjective Lichterscheinungen wahrgenommen. Er giebt an, wie sehr man geneigt sei, diese auf Gegenstände [636] zu beziehen, die man von früher her kennt. So glaubte er wiederholt den Ofen zu sehen, den er zu seiner Linken wußte. Nachdem er sich mehrmal im Kreise herumgedreht, sah er ihn wieder, jedoch an einer Stelle, wo weder ein Ofen, noch sonst etwas dem Aehnliches sich befand. In gleicher Weise erging es ihm mit seinen Händen.

Der andere Beobachter, Dr. Oppel, war nicht viel glücklicher. Auch er hatte im dunkeln Zimmer Lichterscheinungen; zur Prüfung, ob dieselben subjectiv oder objectiv seien, bewegte er die Augen mäßig. Dabei fand er, daß in den meisten Fällen die Spur eines Lichtwölkchens im Auge war; dasselbe schien jedoch den Bewegungen des Auges nicht zu folgen, und fuhr er in gerader Linie mit dem ausgestreckten Zeigefinger nach der lichtern Stelle hin, so traf er in der That zu wiederholten Malen die Spitzen und Kanten von Kalkspath-, Quarz-, Steinsalze und Gypskrystallen, die er auf einem Tische ausgebreitet hatte, beinahe eben so oft aber fuhr er mit seiner Hand in die Luft.

Diese Mittheilungen zeigen hinreichend, welchen Täuschungen selbst ein gewissenhafter und vorsichtiger Selbstbeobachter ausgesetzt ist. Viel ärger müssen nun diese Täuschungen sein, wenn man nicht selbst beobachtet, sondern sich ganz auf die Beobachtungen fremder Leute verläßt.

Ich bin jedoch weit entfernt, Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Mehrzahl der Sensitiven zu äußern. Im Gegentheil, ich erkläre hiermit ausdrücklich, daß ich die Sensitiven nicht für Betrüger, sondern für Betrogene halte. Sie lassen sich täuschen von den subjectiven Lichterscheinungen und beziehen dieselben – mit ihrem Wesen unbekannt auf Vorgänge in der Außenwelt, die damit in gar keinem Zusammenhange stehen.

Der Umstand, daß Dr. Oppel wirklich zu wiederholten Malen in der Dunkelkammer Krystalle erfaßt hat, von denen er glaubte, daß sie Licht ausströmten, spricht noch keineswegs zu Gunsten der Odtheorie. Auch gewöhnliche Menschenaugen sehen im Dunkeln Flußspat, Diamant, Chlorophan, ja selbst Glas leuchten, wenn diese vorher erwärmt oder vom Sonnenlichte beschienen worden sind. Das Wesentliche der Reichenbach’schen Odtheorie beruht aber nicht auf der Existenz simpler Gesichts- und Gefühlswahrnehmungen, sondern auf dem polaren Unterschied, den diese in Bezug auf verschiedene Enden von Magneten, von Krystallen, in Bezug auf die rechte und linke Hand zeigen sollen; kurz auf dem Unterschied zwischen positivem und negativem Od und auf dem Verhalten der beiden zu einander, wie dies oben auseinander gesetzt worden ist. Einen solchen Unterschied habe ich weder bei meinen Gefühlsversuchen, noch Dr. Oppel bei seinen Gesichtsversuchen constatiren können.




In vorstehendem Artikel habe ich einen kurzen Abriß des Wesens und der Geschichte der odischen Entdeckungen zu geben und meine eigenen Erfahrungen auf diesem Felde der strengsten Wahrheit gemäß in möglichst ruhiger und leidenschaftsloser Weise mitzutheilen versucht.

Mit Absicht veröffentliche ich diese Mittheilungen nicht in einem wissenschaftlichen Journal, sondern in einem geachteten, weit verbreiteten und von Gebildeten aller Stände gelesenen Blatte, um so dem Publicum, das in dieser Sache bereits Partei genommen hat, Gelegenheit zu geben, sich selbst ein Urtheil über den Werth oder Unwerth der odischen Entdeckungen bilden zu können.