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Autor: H.
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Titel: Im Lager von Chalons
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[636]
Im Lager von Chalons.
Mit Abbildung.

Wenn mich die Erinnerung nicht trügt, war es gegen das Ende des Jahres 1855, wo der Kaiser der Franzosen die längst gehegte Idee eines stehenden Lagers in Ausführung brachte. Er wählte dazu die Ebene bei Chalons sur Marne, jenen historisch berühmten Boden der catalaunischen Gefilde, auf welchen schon im wogenden Sturme der Völkerwanderung Hunnen und Römer vor anderthalbtausend Jahren eine der blutigsten Schlachten schlugen, welche jemals von der Weltgeschichte verzeichnet worden sind. Seitdem ist selten eine hervorragende Zeitperiode verflossen, in welcher nicht Feindes- oder Freundesblut daselbst die Furchen des Landmannes düngte. Ein Lager war also hier so recht am Platze.

Für den Soldaten ist die Ebene nicht allein ein historischer, sondern auch ein classischer Boden, und das gekrönte Haupt, welches im Begriffe steht, das Leben Cäsar’s zu veröffentlichen, hat dessen stehende Lager in Gallien und am linken Ufer des Rheinstromes praktisch in’s Französische übertragen. In wiefern sich aus diesem Lager mit der Zeit eine drohende Kriegswolke entwickelt, welche den etwas abgeschmackten Gedanken der natürlichen Grenzen zu verwirklichen sucht, das wird die Zukunft lehren. Jedenfalls würden die deutschen Fürsten wohl thun, ähnliche Einrichtungen in’s Leben zu rufen, um dem Gewichte ein Gegengewicht zu geben.[1]

Einstweilen hat dieses Lager noch keine furchterregende Bedeutung, der Kaiser ist noch nicht auf dem Punkte, seine schlagfertigen Massen an den Rhein zu werfen, aber, was vielleicht eine größere Bedeutung hat, er besitzt hier eine so großartige Kriegsschule, wie es keine zweite giebt.

Bei Chalons stehen beständig 40–50,000 Mann Truppen zusammen, die dort ausgebildet und abgehärtet werden und jeden Augenblick zu politischen und kriegerischen Zwecken verwandt werden können, ohne daß eine kostbare Zeit mit Sammeln und Vorbereitungen verschwendet zu werden braucht. Ist das Lager eine allen militärischen Zwecken gerecht werdende Schule für Soldaten, Unterofficiere und Officiere, so ist dieses in einem noch höheren Grade für die Generäle der Fall. Selbst in den größten Garnisonen können solche Massen nicht zusammengelegt werden. Hier aber befinden sie sich alle auf einem einzigen Raume, unbehindert und unbeeinflußt von allen bürgerlichen Einrichtungen, welche in Städten niemals ganz vermieden werden können.

Wo könnten sich die Generäle besser ausbilden, als in einem stehenden Lager, wo ihnen die Truppen zu Massenbewegungen jeden Augenblick zu Gebote stehen? Wo böte sich eine bessere Gelegenheit, den Blick zu erweitern, sich in große Verhältnisse hinein zu leben und sich für den Zeitpunkt vorzubilden, wo eine prompte Bewegung solcher Massen die Entscheidung in die Wagschale wirft?

Der französische Soldat ist an und für sich schon ein muthiger Kämpfer und übertrifft an Behendigkeit seine Handwerksgenossen im Süden und im Norden, im Osten und im Westen. Was ihm an Ausdauer abgeht, sucht das Lager zu ersetzen, indem es ihn in allen Verhältnissen abhärtet und in eine dauernde Kriegsbereitschaft einlebt. Daß unter solchen Umständen auch der soldatische Geist wächst, das Gefühl der Zusammengehörigkeit Bande um das Heer schlägt, die eine nachhaltige Wirkung ausüben, wenn es gegen den Feind geht, daß dann die solidarische Gemeinsamkeit sich ebenbürtig neben den Patriotismus und die Ehre stellt, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.

Das Lager steht, etwa 5 Stunden von Chalons entfernt, in einer wellenförmigen Ebene. Nirgends behindern hervorragende Höhen den Blick; mit bloßem Auge kann man zuweilen die dunkeln Thürme der alten ehrwürdigen Stadt Rheims sehen, an deren Kathedrale sich so viele politisch und historisch wichtige Ereignisse knüpfen. Die Gegend ist kahl und einförmig, nur im weitern Umkreise zeigt sich einige Waldung; obschon es ziemlich mitten in der weinreichen Champagne liegt, so fehlen dennoch die Weingärten in diesem Theile der Ebene.

Erhält das Lager durch seine Entfernung von den Städten eine natürliche Isolirtheit, so ist es außerdem auch noch durch strenge Verordnungen von allem bürgerlichen Verkehr abgeschnitten. Niemand

[637]

Im Lager von Chalons.
Manöverirende Truppen     Nach der Natur aufgenommen von Fikentscher.
     Fürst von Hohenzollern Sigmaringen.     Marschall Baraguay d’ Hilliers.     Der Kaiser.     Mac Mahon.     Prinz von Hohenzollern.     General Hamilton.     Der kleine Prinz.     O’Donell.

[638] darf es betreten, welcher nicht durch eine Karte, die er überall als Legitimation bei sich zu tragen hat, dazu ermächtigt ist.

Man würde aber sehr im Irrthum sein, wenn man sich vorstellen wollte, der Soldat lebe hier einzig und allein seinem Berufe, ohne sich jemals der Erholung und der fröhlichen Muße hinzugeben. Der Franzose, sei er nun Soldat, gehöre er zu der Zunft der Handwerker oder zu den höhern Gliedern der Gesellschaft, kann einmal ohne Vergnügen und einen gewissen Grad von leichtsinniger Sorglosigkeit, die viel von Genialität an sich hat, nicht existiren. Wer also den Soldaten zum selbstbeschaulichen Einsiedler machen wollte, der würde ihm seine ureigenste Natur nehmen, und da er sich niemals zu einer gedankenlosen Maschine umformen läßt, so bliebe an ihm nichts übrig, als ein unbrauchbares Individuum.

Das hat der Kaiser sehr wohl eingesehen, denn er kennt den Charakter seiner Nation eben so gut und vielleicht noch besser als sein großer Onkel, dessen zahlreiche Kriege zu stehenden Lagern keine Zeit übrig ließen. Es ist deshalb in diesem Lager für Alles gesorgt, was zur Erheiterung der Sinne, zur Bequemlichkeit und Annehmlichkeit des Körpers dient. In dem nahen Städtchen Mourmelon hält der Kaiser sogar eine stehende Theatergesellschaft, welche für Erheiterung des Geistes und Vermehrung des Patriotismus sorgt.

Um dem Soldaten auch in dienstlicher Hinsicht das Lagerleben angenehm zu machen, wird ihm die Befolgung der Pflicht so leicht als möglich gemacht und Manches stillschweigend nachgesehen, was in Residenz- und Garnisonstädten nicht ohne ernstliche Rüge oder Strafe hingehen würde. Ganz und gar aber bietet sich hier keine Aehnlichkeit mit unserem strammen Paradedienste. Kleine Unregelmäßigkeiten werden mit Absicht nicht gesehen; die Nachsicht geht so weit, daß man sogar zuweilen einen Soldaten in voller Equipirung mit der Cigarre im Munde antreffen kann.

Von der Cordialität, welche zwischen Officieren und Gemeinen, unbeschadet des nothwendigen und nie versagten Respectes, besteht, wird man einen Begriff bekommen, wenn ich sage, daß der Spahi es sich unter Umständen erlauben darf, ein paar Züge aus des Officiers Cigarre zu thun und sie ihm dann behend wieder zwischen die ebenfalls lachenden Lippen zu schieben.

Es steht ein vollständig equipirtes Pferd an einem Zelte angebunden; ein Bummler, der sich mit seiner Erlaubnißkarte das Lager besieht, oder ein unbeschäftigter Soldat nimmt die günstige Gelegenheit wahr, schwingt sich hinauf, vergnügt sich ein paar Augenblicke im Sattel und kehrt dann mit einem unbändigen Vergnügen zum Zelte zurück. Auf standesmäßigen Anzug und untadelhaft glänzende Uniform legen solche provisorische Reiter natürlich kein besonderes Gewicht; es kommt vor, daß man einer Cavalcade im bloßen Hemde begegnet, wo dann dem befremdlich aufschauenden Besucher der Gedanke nahe kömmt, es seien die Geister der auf den catalaunischen Gefilden von Aëtius erschlagenen Hunnen. Aber das Völklein hat von Geistern keine Spur; es lacht und jubelt toll und ausgelassen und möchte sich im wilden Uebermuthe von den Rücken seiner Hengste zu dem blauen Gewölke des Sommerhimmels erheben.

Für den echten Reiter ist die Behandlung der Pferde, wie sie durchweg Regel ist, nicht befriedigend; sie ist mit einem Worte nicht reitermäßig und erregt zuweilen eine stille Entrüstung. Es ist zum Beispiel gar nichts Seltenes, daß die Officiere, wenn sie außer der Dienstzeit reiten, mit ihren Spazierstöcken darauf losschlagen; ebenso muß man das häufige Bluten durch die Behandlung mit den Sporen beklagen. In Folge der unzweckmäßigen Behandlung ist die Gangart schlecht und die Thiere sind hartnäckig, aber der Reiter sitzt nichts destoweniger flott und zeigt keine Spur von gezwungener Steifheit; er ist auch auf dem Pferde Franzose.

Ich kann es hier nicht unterlassen, eines Vorfalls zu erwähnen, der einem deutschen Herzen wehe thut. Einem Pferde war das rechte Vorderbein gebrochen, es lag hülflos und in großen Schmerzen auf dem Boden. Im Nu sammelten sich große Schwärme von Fliegen und Ameisen auf dem armen Geschöpfe, zerfraßen und peinigten es eine ganze Stunde lang. So mußte das geplagte Thier hülflos seinem Ende entgegenharren, ehe es von einer mitleidigen Hand getödtet wurde. Das hätte ein Deutscher nicht über sich vermocht.

Trotz dieser schlechten, ich möchte sagen rohen Behandlung, sehen die Pferde gut und rund aus, weil sie besser und reichlicher gefüttert werden, als bei uns. –

Wenden wir uns zu dem Lager selbst. Es bildet so zu sagen eine große Stadt und ist ungefähr wie Mannheim gebaut; 25 Fahrstraßen, vom Militärgenie angelegt, führen aus demselben sternförmig nach allen Richtungen Frankreichs, so daß sich die Truppen leicht dorthin dirigiren und zurückrufen lassen. Es ist gleichsam wie ein großes Spinngewebe, in welchem die Radienfäden sich aus dem Centrum nach der Peripherie richten.

Der Natur der Sache gemäß zerfällt es, wie z. B. das römische in Colonia Agrippina, in ein Winter- und Sommerlager. Das Winterlager, welches den Soldaten auch vor den Unbilden der Witterung zu schützen hat, befindet sich im Mittelpunkte und besteht aus kleinen, gemauerten Baracken, vor welchen an geeigneten Stellen hübsche Trinkstuben angebracht sind, wo der Soldat in freien Stunden seine Zeit mit Spielen, Rauchen, Singen und cameradschaftlichen Gesprächen todtschlägt.

An beiden Flügeln schließt sich das Sommerlager in langen Zeltreihen an. Diese Zelte sind rund, nach arabischer Einrichtung und fassen je 14–20 Mann. Das Aeußere dieser Zeltstraßen aus weißer Leinwand bietet schon wegen der großen Ausdehnung einen imposanten Anblick. Tritt man hinein, so findet man die größte Sauberkeit und Nettigkeit rings umher. Nirgends liegen verstreuete Strohhalme und Ueberbleibsel, welche an eine unbehaglich durchwachte Nacht erinnern, denn die Soldaten schlafen auf Strohmatten und haben zur Bedeckung schwere wollene Decken. An den Zeltstangen in der Mitte hängen Gepäck und Lederzeug, wodurch das Ganze einen echt soldatischen Anblick erhält. Die Officierzelte unterscheiden sich in der Form von denen der Soldaten; sie sind eckig.

Begreiflicherweise bedarf eine Lagerbevölkerung von 40,000 Mann einer großartigen Verproviantirung, die zum Theil aus bedeutender Ferne herbeigeschafft werden muß. Der Kaiser hat deshalb Vorkehrung getroffen, daß die Eisenbahn von Rheims direct in’s Lager, die von Chalons nahe an dasselbe führt. Mit jedem Zuge kommen ganze Ladungen von unentbehrlichen Bedürfnissen, die vom Militär in Empfang genommen und auf Lagerwegen nach allen Richtungen der Zeltstadt versandt werden.

Der Leser kann sich selbst eine ungefähre Rechnung von den Massen machen, welche hier tagaus, tagein verconsumirt werden. Nehmen wir beispielsweise den Fleischconsum per Tag und Kopf zu ½ Pfund an, so macht das täglich das enorme Gewicht von 20,000 Pfund. Man wird also nicht übertreiben, wenn man annimmt, daß das Lager von Chalons jährlich 7–8000 Ochsen verbraucht. Wie viel Bier und Wein nöthig ist, solche furchtbare Portionen hinunterzuschwemmen, wie viel Kartoffeln, Gemüse, Butter, Schmalz, Geflügel, Wildpret, Obst etc. etc. erforderlich sind, den Tisch der Officiere und Soldaten anständig zu versorgen, entgeht freilich unserer Berechnung, aber die Masse ist sicherlich nicht gering. Man kann sich demnach zur Genüge vorstellen, daß jeder Zug seine Waggons für das Lager bringt.

Die Eisenbahn von Chalons geht nicht bis in das Lager, sondern in der Nähe desselben vorüber. Die nächste Station ist das Städtchen Mourmelon; von hier führt eine Zweigbahn in’s Lager, die besonders für dasselbe erbaut ist. Alle diejenigen Lagerbedürfnisse nun, welche von Chalons kommen, bleiben auf dem Verladungsort von Mourmelon stehen, und von hier werden die Waggons auf der vorhin erwähnten Zweigbahn von Militärpferden in das Lager gezogen.

Diese Bahn ist abschüssig und wendet sich dem Lager in einem Bogen zu. An denjenigen Stellen, welche den stärksten Fall haben, ist der Transport der schweren Waggons nicht ohne Gefahr zu bewerkstelligen, denn trotz der Hülfe durch starke Bremsen sind die Pferde genöthigt, in scharfem Galopp zu laufen. Haben sie die Stelle erreicht, wo die Waggons durch die Neigung der Bahn allein in das Lager laufen können, so müssen die Pferde in vollem Galopp losgemacht werden. Dieses geschieht auf eine einfache und sinnreiche Weise ohne Zeitverlust und Stillstand, durch rasches Enthaken; die Pferde stieben rechts und links auseinander und überlassen es den Gesetzen der Schwere, den Dienst für sie zu verrichten. [644] Um nicht Alles aus den Städten einführen zu müssen, sind hinter den Baracken des Lagers Gemüsegärten angelegt worden, welche von den Soldaten selbst bearbeitet werden. Das hat einen doppelten Vortheil: es verschafft den Truppen eine frische, angenehme Kost und nimmt einen Theil der freien Zeit in Anspruch, die sie jetzt nützlich hinbringen, während sie sonst auf Spiel und Müßiggang verwendet wurde.

Der praktische Sinn des französischen Soldaten, welcher sich ganz wunderbar in alle Lebenslagen zu schicken und den größten Vortheil daraus zu ziehen weiß, bewährt sich auch hier. Bei dem Mangel an Wald und Gesträuch fehlt es dem Lager und folglich auch den einzelnen Zelten an Schatten, was besonders im Sommer sehr unangenehm wird. Wer nun nicht so glücklich ist, seinen Zeltpfahl unter oder neben einem Baume aufschlagen zu können, der hilft durch Anpflanzung von schnell wachsendem Gesträuch, großen Blättern und Blumen nach. Ueberall, wo es nur zu machen ist, muß die hochstämmige Sonnenblume zugleich Zierde und Schatten verleihen.

Damit noch nicht zufrieden, haben sie auch noch für andern Schmuck gesorgt, indem sie an hervorragenden Stellen Bildsäulen aus Gyps aufrichteten, welche noch die besondere Bestimmung haben, durch allegorische Andeutungen die vielfachen Siege der französischen Nation in’s Gedächtniß zurückzfrufen.

Ein Musiker, der auch in plastischer Hinsicht ein wenig von den Musen angelächelt worden ist, hat alle diese Bildsäulen in freien Stunden geschaffen. Er heißt Lempereur, welchem Umstande wir eine nette Anekdote verdanken. Als nämlich der Kaiser zuerst darauf aufmerksam gemacht wurde, fragte er nach dem Künstler und seinem Namen. „Wer hat diese Statuetten angefertigt?“ „Lempereur,“ war die Antwort. Da der Kaiser sich nun sehr wohl bewußt war, niemals solche Sünden in Gyps begangen zu haben, so stutzte er und fragte noch einmal nach dem Verfertiger. Er erhielt immer von Neuem die Antwort: „C’est Lempereur!“ bis sich denn endlich herausstellte, daß der plastische Musikus Lempereur heiße. Der Kaiser lächelte, ließ sich den Künstler vorstellen, beschenkte ihn und ermunterte ihn, fortzufahren. Hoffentlich wird er es mit einem bessern Erfolge thun, als bisher.

So ist Alles hübsch und nett, selbst die Trinkstuben entbehren des Geschmackes nicht; man trifft keine einzige ohne ihren Pavillon vor derselben.

Das Hauptquartier, dem wir doch auch einige Worte widmen müssen, hat eine solche Lage, daß man aus demselben einen Ueberblick über das ganze Lager hat. Es besteht aus einer Anzahl kleiner, steinerner, fast zu zierlich erbauter Häuser. Der kaiserliche Palast, wenn wir das Gebäude so nennen dürfen, hat natürlich eine größere Ausdehnung und bedeutendere Verhältnisse, aber er ist ebenfalls in dem jetzt landläufigen, nichtssagenden Eisenbahnstyle erbaut. Er trägt eben die ephemere Dauer an der Stirne, welche bei einem Lagergebäude natürlich ist.

Dieses Hauptquartier, welches in der großen Zeltstadt ein Städtchen für sich bildet, enthält noch große Räume für Gäste, wo täglich an langen Tischreihen Table d’hôte gespeist wird. Die hübsche Militärmusik, welche hier bei jedem Mahle aufspielt, würzt die Speisen und erhebt den Gast eine Weile über den kriegerischen Lärm der volkreichen Soldatencolonie.

In der letzten Hälfte des Monats Juli hatte der Kaiser seinen in Düsseldorf residirenden Verwandten, den Fürsten Anton von Hohenzollern-Sigmaringen, zum Besuche im Lager eingeladen, und dieser war mit seinem Sohne, dem Prinzen Anton, der Einladung gefolgt.

Nachdem Wettrennen und andere Festlichkeiten vorangegangen waren, fanden am 22. vor dem hohen Gaste Manöver statt, welche eine großartige Wirkung hervorbrachten. Es kann hier die Aufgabe nicht sein, auf dieselben näher einzugehen, doch können wir es uns nicht versagen, zu erwähnen, daß die Frontveränderungen in kolossalem Maßstabe von mehreren großen Truppenkörpern mit einer seltenen Präcision und Schnelligkeit ausgeführt wurden, wie denn überhaupt die Beweglichkeit der französischen Infanterietruppen die der deutschen bei Weitem übertrifft.

Die Bataillons- und Pelotonsfeuer geschahen mit einer solchen Ruhe und Genauigkeit, daß man in der That nur einen einzigen Schuß zu hören glaubte.

Den Glanzpunkt aber bildete eine Schwärmattaque der Spahis, die aus der Reserve plötzlich durch die Intervalle der übrigen Cavallerie hervorbrachen, sich in rasender Schnelligkeit ausbreiteten und nach Art der Kabylen in voller Carrière Feuer auf den Feind gaben.

Die äußere Erscheinung der afrikanischen Truppen ist in einem hohen Grade interessant. Wenn man diese wilden Söhne einer fernen, glühenden Zone einzeln und in Schwärmen daherfliegen sieht, so wird die Phantasie auch des nüchternen Schauers thätig. Unwillkürlich glaubt man sich nach Afrika versetzt, man sieht im Geiste die Palmen und hört über dem Haupte ihr Rauschen. Die Gestalten dunkelbärtiger Emirs steigen vor unsern Augen auf, wie sie mit flatternden Gewändern und blitzenden Augen in rasendem Galopp über die sandigen Flächen jagen oder in stiller, träumender Beschaulichkeit vor ihren Zelten sitzen, dem fernen Hufschlage lauschend oder über kriegerischen Unternehmungen brütend.

Die Einbildungskraft durchbricht dann alle Schranken der Wirklichkeit und schwingt sich mit einem kühnen Rucke über alle [645] Wälle und Palissaden des praktischen Lebens, um in wasserlosen Wüsten und auf quellenreichen Oasen umherzuschwärmen, die Dattel mit eigener Hand zu pflücken und mit stillem Entzücken den schwarzäugigen Töchtern des Propheten zu folgen.

Nach beendigtem Dienste, am Abende nach heißem Tage, kann man die Söhne Afrikas in ihren Kaffeehäusern zusammen finden, wo sie nach der Gewohnheit ihres Landes mit untergeschlagenen Beinen kauern und ihren Kaffee schlürfen. Da ist jeder Typus des Südens vertreten; herrliche, classische Gestalten sieht man da, würdige Gegenstände für den Pinsel des Malers, aber

Afrikanische Truppen im Lager von Chalons.
Nach der Natur aufgenommen von Fikentscher.

auch Figuren, welche es auf den ersten Blick fraglich erscheinen lassen, ob sie zu den civilisirten Menschen zu rechnen sind.

Die Turcos, Spahis und welche Namen sie sonst noch tragen mögen, haben ihre eigene Musik. Obschon dieselbe nach unsern Begriffen und Gewohnheiten keineswegs conservatoirmäßig ist, so halten die Afrikaner sie doch für ganz vorzüglich und können einem von ihren Musikanten veranstalteten Concerte stundenlang, fast bewegungslos, mit übereinandergeschlagenen Armen und leuchtenden Augen zuhören. Damit die Leser ebenfalls einen Begriff von der Vortrefflichkeit derselben erhalten, mögen sie sich merken, daß die Hauptinstrumente aus zwei dicken Trommeln, einer Schalmei und einer Kette von vier zusammenhängenden kleinen Pauken bestehen, welche letztere auch mit auf das Pferd genommen werden.

Wenn die musikalische Unterhaltung mit ihrem ohrenzerreißenden Lärme losgeht, so stäubt Alles hinweg, was nicht zu den Eingebornen zählt; desto fester aber haften diese am Platze, und sie können ein mitleidiges Lächeln über den verbildeten Geschmack der Franzosen nicht unterdrücken.

Einen wahrhaft komischen Anblick gewährt die Instandsetzung der Morgentoilette dieser Söhne des „gluthströmenden Afrika“. Da nur der Haarbüschel in Mitten des Kopfes ein Recht auf dauernden Verbleib hat, die übrigen Schädelstellen aber glatt sein müssen, so ist an jedem neuen Morgen eine neue Scheererei nothwendig; doch wird man schon ohne einen modernen Friseur fertig. Irgend ein Camerad, der sich besser als die übrigen auf die Kunst des Scheermessers versteht, verrichtet ihnen den Liebesdienst ohne irgend einen kingenden Entgelt.

Der zu Rasirende läßt sich auf einen Kessel oder irgend ein anderes augenblicklich nicht gebrauchtes Geräthe nieder und bietet vertrauensvoll seinen Kopf dem Messer dar. Der Scheermeister streicht nun in langen Zügen aus, die fast eine Aehnlichkeit mit den weitgreifenden Bewegungen einer Sichel haben und die einen Europäer sicher in Grauen und Todesfurcht versetzen würden. Der Afrikaner aber hält mit einem stoischen Gleichmuth aus und verzieht weder eine Miene zum Lachen, noch zu ernsten oder zweifelhaften Bedenklichkeiten. Der Mann ist eben abgehärtet und kann etwas vertragen. Er gleicht darin seinem edlen Rosse. Es liegt Tag und Nacht ohne Stroh und Streu auf dem harten Boden, aber es wird davon nicht ruinirt, sondern ebenfalls abgehärtet, und es lernt Strapazen ausdauern und ertragen, worunter unsere deutschen Pferde erliegen würden.

An den Sonntagen findet ein großes Hochamt, eine feierliche Feldmesse im Lager statt, welcher die ganze Generalität und, wenn der Kaiser zugegen ist, auch dieser beiwohnt. Auch der Fürst von Hohenzollern war mit dem Prinzen Anton bei demselben zugegen.

Schließlich haben wir noch des kaiserlichen Prinzen zu erwähnen, [646] auf welchem die Hoffnung der Napoleonischen Dynastie beruht. Obschon noch Kind, so ist ihm doch schon in dem großen Lagerleben eine Rolle übertragen. Sie besteht hauptsächlich darin, sich beliebt zu machen, Capital für die Zukunft zu sammeln. Und wahrlich, das Kind versteht seine Aufgabe; sie muß ihm gut einstudirt sein. Jede Bewegung, jeder Blick, jedes Lächeln ist ein Minutenstein auf der großen Rue Napoleon, welche mitten durch das Lager und von da zu dem Throne von Frankreich führt.

Wo eine Schildwacht auf Posten steht, taucht er plötzlich auf, stellt sich der Wache mit gewinnendem Lächeln vor und überreicht dem Soldaten ein Loos zu der Lotterie, welche am Abende im Hauptquartiere gezogen wird. Der Glückliche gewinnt, er muß gewinnen, denn das verhängnißvolle Loos ist ihm durch die Hand des kaiserlichen Prinzen zugegangen.

Bei dem erwähnten Manöver waren außer dem Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen auch noch der Herzog von Tetuan, General Hamilton und andere hervorragende Persönlichkeiten zugegen; aber Alles drehte sich doch um den Fürsten. Er ritt beständig an des Kaisers Seite und war fortwährend in lebhafter Unterhaltung mit demselben begriffen.

Hieraus haben die Politiker den Schluß ziehen wollen, als sei der Fürst mit einer hohen Mission beauftragt gewesen. Wo hohe Personen zusammenkommen, will man immer nach tiefen Motiven suchen. Für diese Zusammenkunft möchte das ein vergebliches Beginnen sein; denn der Kaiser und der Fürst haben sich nur als Verwandte und Soldaten gesehen.

H.

  1. Wir können diesem Artikel gegenüber den Wunsch nicht unterdrücken, daß von den maßgebenden Stellen Deutschlands aus das Lager von Chalons mit sehr ernsten Blicken betrachtet werden sollte. Niemand kann verkennen, daß dem deutschen Soldaten ganz genau gerade das vollkommen fehlt, was dem Franzosen hier in so vollkommenster Weise zu seiner echten kriegerischen Ausbildung geboten ist. Möchten wir nicht abermals „zu spät“ gemahnt werden, ein solches Muster nicht unnachgeahmt zu lassen; die Ersparung der dazu nöthigen Kosten konnte uns in nächster Zeit leicht außerordentlich theuer zu stehen kommen.           A. d. Red.