Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Die Naturheilkraft
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 329–330
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Naturheilkraft.

Warum Krankheiten ohne und trotz Arzneien und Heilkünstler heilen.

Es ist eine Thatsache, daß kranke Menschen und Thiere wieder gesund werden ebensowohl wenn sie ganz ohne Arzneien bleiben, als auch bei Anwendung der verschiedenartigsten Heilmittel und Heilmethoden. Recht deutlich sieht man dies bei Behandlung derselben Krankheiten durch mittelsüchtige, blutdürstige Allopathen, sowie durch ächte Homöopathen, deren Heilmittel, wie bekannt, gleich Nichts sind. – Aechte Homöopathen, sagte ich, weil die meisten derselben zur Zeit unächte und schon von Hahnemann im Jahre 1832 Bastard-Homöopathen getauft worden sind, die da, wo sie mit ihrem Nichts nicht mehr auskommen können, zu solchen großen Gaben von allopathischen Mitteln (Opium, Jodkali, Chinin u. s. w.) greifen, wie die richtigen Allopathen. – Ebenso erlangen aber auch Kranke nicht selten ihre Gesundheit durch Sympathie und ganz unwirksame Geheimmittel wieder, ja diese geschieht sogar bei der schimpflichsten aller Heilmethoden, bei den Rademacherschen, wo dem Kranken immerfort und so lange Arzneimittel verschiedener Art eingegeben werden, bis er stirbt oder gesund wird. [Rademacher’s eigene Worte sind: „Ueberzeugt, daß die Natur der Krankheiten auf keine andere Weise, als durch Probemittel zu erkennen ist, mache ich keinen gelehrten Heilplan; ich denke nie, das gegebene Heilmittel wird und muß helfen, es kann auch vielleicht nicht helfen. Wenn sich aber das erste Probemittel nicht bewährt, so wird ein anderes genommen und so fort, bis die Krankheit sich löst oder besser wird.“]

Wie kommt es nun, daß Kranke ebensowohl bei keiner, wie bei der verschiedenartigsten Behandlung genesen? Dies hat seinen Grund in der Einrichtung unseres Körpers, vermöge welcher alle Veränderungen in der Ernährung und Beschaffenheit der flüssigen oder festen Körperbestandtheile (d. s. Krankheiten) solche Processe nach sich ziehen, durch welche jene Veränderungen entweder vollkommen, bald schneller bald langsamer, gehoben werden, oder in bleibende Entartungen übergehen, oder auch die vollständige Ertödtung des kranken Theiles ausarten. Hiernach kann also auch eine jede Krankheit drei Ausgänge nehmen; sie kann nämlich in vollkommene Genesung übergehen; sie kann sogen. organische, mehr oder weniger sichtbar und beschwerliche, niemals aber wieder schwindende Fehler nach sich ziehen; sie kann zum Tode des erkrankten Theiles (Brand) oder, wenn dieser zur Unterhaltung des Lebens sehr nöthig ist, zum Tode des ganzen Körpers führen. Im erstern Falle, wenn bei einer Krankheit vollständige Genesung eintritt, pflegte man früher von der Wirksamkeit einer besondern Kraft, der sogen. Naturheilkraft (Selbsterhaltungstrieb) zu fabeln, die sich Manche sogar als einen, mit Verstand begabten, irgend wo im Körper residirenden und von da aus regierenden Geist (Arzt im Menschen) dachten. Diese kindliche Ansicht herrscht natürlich jetzt, nachdem man den Stoffwechsel im Körper (s. Gartenl. Jahrg. III. Nr. 6) genauer kennen gelernt hat, nicht mehr; wohl kann man aber die einen kranken Theil in seinen [330] gesunden Zustand zurückführenden Processe als naturheilkräftige bezeichnen. Glücklicher Weise kommen nun bei den allermeisten Krankheiten solche Processe ganz von selbst, ja sogar trotz des ärztlichen Eingreifens, und zwar nach ganz bestimmten, im Körper herrschenden Gesetzen zu Stande und deshalb können auch die allermeisten Krankheiten recht gut sich selbst überlassen bleiben, am besten freilich mit der Vorsicht, daß man alle stärkeren und störenden Eindrücke vom Körper und besonders vom erkrankten Organe abhält und Ruhe, mäßige Wärme, reine Luft und leicht verdauliche Speisen und Getränke anwendet (d. s. nämlich die zur Unterhaltung des Lebens unentbehrlichen Bedingungen). Allerdings führen diese naturheilkräftigen Processe manchmal, in Folge verschiedener, uns zur Zeit noch nicht genau bekannter Umstände, nicht zur vollständigen Genesung, sondern hinterlassen bleibende Veränderungen, die aber sehr oft ganz ohne Beschwerden sind und deshalb häufig gar nicht bemerkt werden. Leider ziehen sie aber auch unvertilgbare und beschwerliche Veränderungen nach sich, deren Heilung nur von unwissenden Aerzten und Charlatanen, gewöhnlich zum großen Nachtheile des ganzen Körpers, erstrebt wird.

Weil nun die Aerzte die im kranken Körper ganz von selbst eintretenden naturheilkräftigen Processe nicht ordentlich kennen lernen, und diese kennen zu lernen sich auch keine Mühe geben, so erzeugt sich bei den meisten dieser Herren, so wie bei allen heilkünstelnden Charlatanen, neben einem lächerlichen Hochmuthe die Ansicht, als ob das, was sie dem Kranken an Arznei verordnet haben, Ursache der Besserung und Heilung sei, nicht aber die unsern Körper von Natur zukommende Einrichtung. Manche pfiffige Mediciner jedoch, die diese Processe recht wohl kennen, halten es für weit einträglicher, dem unwissenden und abergläubischen Volke gegenüber den Schein einer Heilmacht zu behaupten. Am allerunwissendsten in Beurtheilung der naturgemäßen Heilprocesse (und deshalb auch am arrogantesten) sind die Homöopathen, welche geradezu die sogen. Naturheilkraft verhöhnen, sie trügerisch und unzuverlässig nennen und ihrem „Nichts mit Milchzucker“ eine übernatürliche Heilkraft zuschreiben. Natürlich sind auch hier wieder die pfiffigen Herren auszunehmen, welche die Dummheit und Leichtgläubigkeit des großen Haufens benutzen, um gute Geschäftchen zu machen.

In einem nächsten Aufsatze sollen die Naturheilungsprocesse weiter besprochen, sowie die vortheilhaften und schädlichen Eingriffe in dieselben von Seiten der Menschen beleuchtet werden.
(Bock.)