Die Marquise von Custine

Textdaten
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Autor: Schmidt-Weißenfels
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Titel: Die Marquise von Custine
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 859–860, 862–864
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Marquise von Custine.

Ein Frauenbild aus der französischen Revolutionszeit.
Von Schmidt-Weißenfels.

Bei dem freundlichen Dorf Anisy in der Normandie, nicht sehr weit von Paris, hatte Monseigneur von Sabran, Bischof von Laon und erster Almosenier der Königin Marie Antoinette, ein Landhaus mit schönem Garten und Park. Einen großen Theil der Sommerzeit pflegte dort seine Schwägerin zu wohnen, die Gräfin Eleonore von Sabran, deren um fünfzig Jahre älterer Gemahl wenige Jahre nach der Verheirathung mit ihr gestorben war. Die junge Witwe betrauerte ihn nicht lange, dazu hatte er ihrem Herzen nicht nahe genug gestanden, und dazu war auch ihr Charakter ein viel zu lebensfreudiger. Mit zwanzig Jahren Witwe zu sein, verlieh ihr einen Reiz mehr zu denen, welche ihr die Natur und eine feine Erziehung gegeben hatten. Denn sie war eine anmuthsvolle Erscheinung mit einer Fülle seidenweicher blonder Haare, mit schwarzen Augen, schönem Gesicht, von lebhaftem und geistsprühendem Wesen. Am Hofe von Versailles, in der Gesellschaft von Paris, die unter Ludwig XVI. noch so berückenden Glanz entfaltete, spielte sie eine große Rolle, nicht bloß durch ihre vornehme Familie, sondern auch durch die Fülle von Eigenschaften, welche sie in den Salons ihrer Zeit zum Muster einer feinen Dame machten.

[860] Zwei Kinder hatte der alte Graf Sabran, als er in Reims bei der Krönung Ludwigs XVI. im Juni 1775 vom Schlage gerührt wurde, seiner jungen Gattin hinterlassen, einen Sohn Namens Elzear und eine Tochter, Delphine. Frau von Sabran ward durch ihre Neigung für die Genüsse einer Weltdame nicht abgehalten, sich ihren beiden Kindern mit mütterlicher Liebe zu widmen. Delphine wurde zwar, wie es die Sitte erheischte, einem Kloster zur Vollendung ihrer Erziehung übergeben; doch nahm die Mutter sie frühzeitig wieder zu sich, um die verheißungsvoll erblühende Rose in dem Sonnenschein und der Luft ihres Hauses und seines gesellschaftlichen Lebens sich entfalten zu lassen.

Mit der Eitelkeit einer jungen Mutter, die immer von Verehrern umschwärmt war, immer etwas wie für ihren Geist so auch für ihr Herz bedurfte, verfolgte sie die Entwicklung ihrer Tochter. Selbstverständlich plante sie eine glänzende Verheirathung derselben.

Delphine, am 18. März 1770 in Paris geboren, trat in ihr sechzehntes Jahr, es war also Zeit für die Brautkrone. Der Sitte gemäß hatte die Mutter den ihr geeignet erscheinenden Gemahl für ihre Tochter zu suchen. Gräfin Sabran lernte einen hohen und mit Ehren genannten Offizier der königlichen Armee kennen, den Marquis von Custine, und mit ihm zugleich seinen achtzehnjährigen Sohn Philipp. Dieser bot eine vortreffliche Partie für Delphine, denn die Custines gehörten zu den ersten Familien Lothringens und waren bei Metz sehr begütert; jedes der beiden Kinder des Marquis hatte auf ein Vermögen von 700000 Livres mütterlicherseits zu rechnen.

Die Unterhandlungen begannen, und in der That wurde der Marquis für die Verbindung beider Familien gewonnen. Die jungen Leute faßten überdies Neiguug zueinander. Philipp von Custine war ein trefflicher, ernster, hochbegabter junger Mann, der Delphinens holde Anmuth zu würdigen wußte, und sie mit ihrem kindlichen Sinn konnte in ihm wohl das Ideal eines Mannes finden, an dessen Seite sich glücklich leben ließ. Am 22. Juli 1787 fand die Trauung in Anisy statt. Der bischöfliche Oheim gab dabei nicht nur den Segen, sondern seiner Nichte auch 200000 Livres Mitgift. Die Hochzeit wurde gefeiert mit ländlichen Festen à 1a Trianon, wie Marie Antoinette sie in Mode gebracht hatte. In arkadischer Idylle verlebte das junge Ehepaar seine ersten Jahre, und die junge Frau schwelgte in der Wonne, welche ihr das neue Dasein bot. Gab es einen Verdruß für sie, so war es höchstens der über die wiederholte längere Abwesenheit ihres Mannes, wie sie dessen diplomatischer Dienst und seine Pflicht, als Abgeordneter der Nationalversammlung, zu welcher er ebenso wie sein Vater gewählt worden war, manchmal mit sich brachte. Wie klein aber war dies Wölkchen an ihrem Himmel, während dunkel und mächtig schon die Wetterbank der Revolution am Horizonte emporstieg!

In Anisy machte man sich darüber keine Sorgen.

Die ersten Blitze zuckten, die Donner der neuen Zeit ließen jene Gesellschaft erbeben, die durch alte Privilegien, Reichthum und Genuß geistiger wie sinnlicher Art sich ein Paradies auf Erden zu schaffen gesucht hatte. Es floß Blut in Paris; wilde Sturmstöße riefen Schrecken und Angst hervor, und das Flüchten der Vorsichtigen aus der königlichen Umgebung begann. Auch die Gräfin von Sabran ließ sich von ihrer Tochter nicht mehr zurückhalten und floh mit dem heimlich ihr vermählten Marquis von Boufflers nach Rheinsberg zum Prinzen Heinrich von Preußen, ihrem und ihres Mannes Gönner. Der Krieg brach aus. Der Marquis von Custine zog als General mit den Revolutionstruppen siegreich über den Rhein bis nach Mainz und Frankfurt, und mit ihm zog in patriotischer Begeisterung als sein Adjutant sein Sohn, der Gemahl Delphinens.

Sie beunruhigte sich über dies alles nicht. Die Idylle, welche seit dem Tage ihrer Hochzeit dank der Sorgfalt ihrer Mutter und der Aufmerksamkeit ihres Gatten sie umgab, war wie etwas Unantastbares, wie eine geweihte Oase in der Welt, die ringsum zur Wüste wurde. Ja, die Mutterfreude über den ihr geschenkten Sohn Astolfe vermehrte und vertiefte noch das Glück der reizenden juugen Frau. Der bischöfliche Oheim sorgte für alles, was die von ihrem Gatten und ihrer Mutter Verlassene an gewohnter gesellschaftlicher Unterhaltung bedurfte. Es gab bei der kleinen heiteren liebenswürdigen Marquise Besuche nach wie vor, noch aus den Kreisen, die zur alten Gesellschaft gehörten, liebliche Feste, geistreiche Abendunterhaltungen, verliebtes Necken, galante Huldigungen. Und während der französische Feudalstaat schon in allen Fugen krachte, die jäh unter vulkanischen Stößen aufklaffenden Abgründe schon den Thron verschlangen – in Anisy herrschte noch der sorglose Sinn der alten Zeit, und man ahnte kaum, daß eine furchtbare Umwälzung begonnen hatte.

„Man ist hier sehr wohl,“ schrieb Delphine ihrer Mutter; „ich versichere Sie, man vergnügt sich sehr viel.“


Auf einmal schlug der Blitz auch in dieses Arkadien. Der General Custine hatte Mainz wieder aufgegeben und sich zurückgezogen; die Jakobiner schrieen Verrath und klagten ihn im Konvente an. Er eilte nach Paris, um sich zu rechtfertigen. Vergebens! Er hatte Mainz preisgegeben und darum war er ein Verräther an Frankreich. Die Guillotine war längst mit dem Blute des Königs gefärbt und stand auf dem Revolutionsplatz, um täglich ihre blutige Arbeit an den Feinden der Republik verrichten zu können. Jedem Verdächtigen drohte der Tod. Am 22. Juli 1793 wurde Custine verhaftet und vor das Revolutionstribunal verwiesen, wo der fauatische Ankläger Fouquier-Tinville bereits allmächtig geworden war.

Voller Bestürzung darüber kam Philipp von Custine nach Paris, um den Vater zu retten. Delphine eilte, sich mit ihrem Gatten zu verbinden. Und derart aufgestört aus ihrem häuslichen Glücke, begriff sie sofort, daß es sich darum handelte, den Henker von den Ihrigen abzuwehren. Aus der graziösen jungen Frau von 23 Jahren wurde eine zum Kampf entschlossene Heldin.

Delphine lief zu allen, die sie kannte und von deren Verwendung sie sich einen günstigen Einfluß auf das Geschick ihres Schwiegervaters versprach. Sie täuschte sich. Die Großen von früher galten nichts mehr und standen selbst unter dem Damoklesschwert. Neue Menschen regierten, übten die Macht, führten die Prozesse, fanatische, niedrige, blutgierige Menschen. Auch zu ihnen brach sich das tapfere Weib den Weg, es suchte die Richter auf, steckte Gold über Gold in die Hände derer, die vielleicht etwas thun konnten, den General seinen Henkern zu entziehen. Sie drang bis zu seinem Gefängniß vor, setzte sich über die Rohheiten hinweg, mit denen man ihr hier begegnete, wartete auf dem schmutzigen Flur, bis er seine Zelle verlassen durfte, und warf sich ihm dann schluchzend an die Brust. Laut vor den Wächtern und Pikenträgern sprach sie für seine Unschuld. Tag um Tag that sie es, in und vor dem Gefängniß, so daß sie dort eine bekannte Erscheinuug wurde.

„Das ist die Custine!“ hörte sie um sich her. „Bald wird’s ihrem Vater an den Hals gehen!“

Man hielt sie für die Tochter des Generals.

Im August wurde sein Prozeß mehrere Tage lang im Saale des Justizpalastes verhandelt. Sie wußte es möglich zu machen, den Sitzungen beizuwohnen. Inmitten des Gedränges der Zuhörer, die alle meist der müßiggängerischen Bande der Sansculotten und ihrer Weiber angehörten, in der erstickenden Luft hockte sie auf einem Platz, den sie sich vom Gerichtsdiener theuer erkauft hatte. Ihr Anblick rührte und tröstete den General; er konnte auch zuweilen Worte mit ihr wechseln.

Ingrimmig verfolgten sie einmal Pöbelmassen, als sie den Justizpalast verließ. Sie war ja eine „Aristokratin“, schon darum des Hasses und der Beschimpfung werth. Eilig schritt sie durch die böse Menge vor dem Gerichtshause, um den Miethwagen zu erreichen, der in einer Nebenstraße auf sie wartete. Man drängte sich murrend näher an sie heran; kreischende Weiberstimmen riefen ihren Namen wie ein Losungswort zum Angriff. „Das ist die Custine, die Tochter des Verräthers!“ Flüche erschollen, drohende Fäuste erhoben sich dicht vor ihrem Auge, Säbel funkelten in der Luft. Sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe vor Angst; sie sah sich bereits gepackt und ermordet, ihren blutigen Kopf auf einer Pike durch die Straßen getragen wie den der unglücklichen Prinzessin von Lamballe und so mancher anderer Opfer der entfesselten Blutgier.

Eine Schwäche, und sie war verloren. Sie wußte es und darum hielt sie sich aufrecht. Verzweiflungsvoll aber schaute sie um sich, wie sie vor der wilden Bande sich retten könne. Da [862] sah sie abseits von den anderen ein Weib aus dem Volke mit einem Säugling im Arme. Einer blitzschnellen Eingebung folgend, lief sie auf dasselbe zu und stammelte:

„Welch’ ein hübsches Kind!“

„Nehmen Sie es, schnell!“ flüsterte verständnißvoll die Mutter ihr zu.

Delphine nahm den Säugling an sich, küßte ihn, und die Megären stutzten. Das Kind wurde ihr Schutz. Sie verfolgte ruhig mit demselben im Arme ihren Weg, und niemand bedrohte sie mehr. So ging sie bis an den Ponte-Neuf und gab dort das Kind seiner Mutter zurück, die ihr gefolgt war. Einen Augenblick schauten sich beide Frauen an und entfernten sich dann voneinander, ohne ein Wort zu sprechen.

Gott dankend, lief sie nach ihrem Hause in der Rue de Bourbon. Aber dort kam die Dienerschaft ihr schreckensbleich entgegen.

„Was habt Ihr?“

Sie ahnte etwas Furchtbares, da man mit der Antwort zögerte.

„Mein Mann?“

„Ja, Frau Marquise! Man hat ihn geholt!“

„Verhaftet?“

„Ja, er ist nach La Force gebracht worden, vor einer Stunde.“

Also auch dieser Schlag noch! Delphine schwankte und mußte sich setzen. Dann aber raffte sie sich auf, bestellte einen Wagen und ließ sich nach dem Gefängniß La Force fahren. Dort war es, wo die Prinzessin von Lamballe ihr schreckliches Ende gefunden hatte, dort war jetzt Philipp.

Noch währte der Prozeß gegen den General Custine. Delphine theilte ihren Tag in die Sorge für ihn und für seinen Sohn. Von der Conciergerie, wo der General gefangen gehalten wurde, eilte sie nach La Force, wo man ihr gestattet hatte, Philipp zu besuchen. Ihr Schwiegervater war nicht mehr zu retten; das Gericht verurtheilte ihn zum Tode. Am 29. August 1793 wurde er in der Frühe hingerichtet, und seine Zelle erhielt die Königin Marie Antoinette als Vorzimmer zur Guillotine, die ihrer ebenfalls wartete. Für Philipp aber, seinen Sohn, für ihren Mann, den Vater ihres Kindes – für den konnte Delphine ihre Liebe, ihren Eifer, ihre Energie, ihre List, ihr Vermögen noch aufbieten, um ihn dem Blutgerüste zu entziehen.

Sie sparte keinen Gang, kein Flehen, kein Geld, um den Prozeß zu verschleppen. Ihr Mann sollte als Mitwisser der Verrätherei seines Vaters angeklagt werden. Die unsinnigste Anklage genügte, jeden zum Tode zu verurtheilen, den Fouguier-Tinville und der allmächtige Robespierre dazu bestimmt hatten. Von diesen beiden Männern – das sah Delphine bald – war für ihren Gatten nichts zu hoffen, da ein früherer Brief desselben aufgefangen worden war, in dem er ein scharfes Urtheil über die Schreckensmänner gefällt hatte.

Aber sie machte sich nun an den Schließer in La Force, dem die Zelle des Marquis unterstand, und lernte in seiner Tochter Luise ein gutmüthiges junges Mädchen kennen, welches von lebhafter Theilnahme für die schöne Aristokratin erfüllt war. Darauf baute Delphine mit einigen Freunden ihren Rettungsplan. Philipp zählte jetzt erst 25 Jahre, seine Figur war klein und schmächtig genug, um eine unauffällige Verkleidung als Frau zuzulassen. So wurde denn verabredet, daß er Kleider von seiner Frall und diese solche von Luise anlegen sollte, und daß, während Delphine auf einer anderen Treppe das Gefängnißhaus verlasse, er und Luise unter dem Schutze der abendlichen Dämmerung durch den großen Thorweg ihren Ausgang nechmen sollten. Für diesen Dienst wurden dem Mädchen 30000 Franken in Gold sogleich nach gelungener Flucht zugesichert und außerdem eine lebenslängliche Rente von 2000 Franken.

Anfang Januar 1794 sollte Philipp von Custine vor seine Richter gestellt und zu diesem Behufe nach der Conciergerie verbracht werden. Am Vorabend des Tages, da die Ueberführung zu erwarten stand, war alles für seine Rettung bereit. Delphine begab sich nach La Force und traf dort mit Luise zusammen. Aber das Mädchen empfing sie mit thränenvollen Augen.

„Warum weinst Du denn?“

„O, Madame!“ rief sie klagend, „sie allein können ihm noch das Leben retten. Ich flehe ihn vergeblich an; seit heute morgen will er nichts mehr von einer Flucht hören.“

Delphine vernahm den Grund dieser Weigerung. Ein neues Dekret des Wohlfahrtsausschusses bedrohte jeden mit dem Tode, der zur Flucht eines Gefangenen Beistand leiste. Dies Dekret war gedruckt in den Gefängnissen angeschlagen worden, und Custine hatte das Mädchen darauf hingewiesen.

Mit Luise zusammen versuchte Delphine in der Zelle ihren Mann dennoch umzustimmen. Sie mahnte ihn an seinen Sohn; sie versicherte, daß Luise vor jeder Entdeckung sicher sei. Umsonst! Custine wollte sie der Gefahr nicht aussetzen.

„Retten Sie sich doch!“ drang das furchtlose Mädchen von neuem in ihn. „Was mich betrifft, so machen Sie sich keine Sorge! Alles ist bereit, alles wird gelingen. Sie haben mir für meine Hilfe ein Vermögen versprochen; vielleicht können Sie dies Versprechen gar nicht halten. Nun, ich will Sie dennoch retten. Wir werden uns verstecken, wir werden Frankreich verlassen; ich werde für Sie arbeiten. Ich verlange nichts, nichts dafür – aber lassen Sie mich handeln.“

Er schüttelte sein Haupt. „Nein man wird uns einfangen, und Du wirst auf das Schafott kommen, um meinetwillen.“

„Und wenn ich es will?“ rief sie.

Er wankte nicht. Die Stunde verging, welche Delphine für den Besuch bewilligt war; sie mußte endlich gehen, das Gefängniß ohne ihren Mann verlassen. Luise geleitete sie hinaus.

Der Prozeß des jungen Custine war nur eine Fortsetzung desjenigen seines Vaters und endigte ebenfalls mit Verurtheilung. Der Ankläger Fouquier-Tinville wollte es so. Den Verhandlungen vor Gericht wohnte Delphine auf den Wunsch ihres Gatten nicht bei; aber ein letztes Mal besuchte sie ihn am Abend vor seiner Hinrichtung. Schweigend saßen beide nebeneinander in seiner Zelle, sie hatte den Arm um seinen Hals geschlungen. Ein Lebewohl für ewig! Noch tauschen sie wenige Worte – ihr Sohn ist’s, an den sie denken – und dann ein letztes, langes, herzentströmendes Umarmen des jungen Ehepaares.

Am 3. Januar 1794 fiel das Haupt Philipps von Custine unter der Guillotine auf dem Revolutionsplatz.

Mit dreiundzwanzig Jahren, in der Blüthe ihrer körperlichen Anmuth war Delphine ihres Gatten beraubt. Ihr Vermögen war konfisziert, Armuth ihr Los, alles Glück, aller Glanz ihres Daseius dahin, und Trost für alles Verlorene und Zerschlagene nur ihr kleiner Sohn Astolfe. Mit ihm wollte sie sich aus dieser Luft des Todes retten. Sie hoffte als Spitzenhändlerin unter falschem Namen nach Belgien zu entkommen, während die treue Amme ihres Kindes sich mit diesem nach dem Elsaß begeben sollte. In Pyrmont wollten beide sich wieder treffen und von da nach Berlin reisen, wo sich die Gräfin von Sabran mit ihrem Sohn Elzear aufhielt. Durch Bestechung wußte die unglückliche Frau sich einen Paß zu verschaffen. Ihr Haus in der Rue de Bourbon hatte sie sogleich nach der Hinrichtung ihres Mannes verlassen müssen und dann eine kleine Wohnung in der Rue de Lille bezogen. Da packte sie von ihren Sachen zusammen, was sie mit auf die Reise nehmen wollte, und ordnete die nachgelassenen Papiere Philipps sowie ihre Briefe, die sie von den Freunden des Hauses erhalten hatte, um sie in einer Kassette zu verwahren.

Mitten in dieser Beschäftigung vernahm sie verdächtigen Lärm am Eingang ihrer Wohnung. Schnell schlug sie die Kassette zu und schob sie unter ein Sofa; in demselben Augenblick wurde auch die Thür aufgerissen, und die unheimlichen Gestalten einer Kommission des Sichercheitsausschusses drängten sich herein.

„Du bist verhaftet!“ schrie ihr wild der Anführer zu, „denn wir wissen, daß Du auswandern willst.“

Sie widersprach nicht; ein Elender unter ihrer Dienerschaft mußte sie verrathen haben. Die Kommissare entrissen ihr die Brieftasche, die sie vom Tisch weggenommen hatte.

„Aha, der Paß! Der falsche, der erkaufte Paß! Warte, Aristokratin, man wird Dir Deine schönen Goldhaare und Deinen weißen Hals abschneiden!“

Man nahm eine erste Haussuchung vor, sah in Schränken und Kästen nach, wühlte da und stöberte dort herum; unter das Sofa, wo die wichtige Briefkassette stand, blickte man nicht. Dann legte man die Siegel an die Wohnung und führte die junge Frau hinaus. Sie mußte unten auf der Straße mit drei Bewaffneten in eine Droschke steigen, die sie nach dem Gefängniß, einem früheren Karmeliterkloster, brachte.

In allen Gefängnissen von Paris, in den alten wie in den neuen, die man hastig aus Klöstern und Schlössern hergerichtet hatte, gab es in jener Zeit des Schreckens eine Ueberfülle von [863] Menschen aller Stände, und auch die alte „Gesellschaft“ war darin reichlich vertreten. Bei den Karmelitern besonders. Delphine von Custine, jetzt nach dem Gleichheitskodex einfach „Bürgerin Custine“, fand in dem großen Refektoriumssaal, wo tagsüber die Gefangenen, weibliche wie männliche, sich aufhalten durften, eine große Anzahl von Personen, denen sie früher schon in den Salons begegnet war, „Ex-Adlige“ wie sie, reizende Frauen, die gleich ihr die Guillotine in Aussicht hatten, und geistreiche Herren, die mit gutem Humor hier in dem wüsten Treiben durch ihren Witz und ihre Galanterien wie einst sich angenehm zu machen suchten. Mitten im Gefängnißsaal bildeten sie einen aristokratischen „Salon“ und führten im Geschmack desselben ihre Unterhaltung. Die neu Ankommenden wurden von ihren Bekannten vorgestellt. Frau von Lameth, Frau von Jarnac, Frau Josephine von Beauharnais, deren Gemahl wie Custine wegen der Preisgabe von Mainz der Verrätherei angeklagt war und seinen Prozeß erwartete. Alle Tage rief der Kommissar des Gerichts aus diesem Kreise diejenigen ab, die vor ihren Richtern erscheinen sollten und die dann selten wiederkamen. Manche wurden ja wohl auch freigesprochen oder aus der Haft entlassen. Die Zurückgebliebenen rückten enger aneinander. Wohl konnte der nächste Tag wieder neue Lücken in ihre Reihen reißen. Aber der Tod, das Schafott hatte keine Schrecken mehr. So entsetzlich es klingt, es geschah doch oft, daß sich diese lebenslustige Gesellschaft die Zeit mit „Hinrichtung spielen“ vertrieb, und laut wurden die Damen beklatscht, welche mit Grazie auf den Stuhl stiegen, der das Schafott vorstellen sollte.

Mehrmals wurde Delphine abgerufen um unter Bedeckung in ihre Wohnung geführt zu werden, wo neue Haussuchungen stattfanden. Auch die Briefkassette wurde bei einer solchen gefunden. Sie grämte sich nicht darüber. Durfte sie dabei doch die Freude erleben, ihren kleinen, zweijährigen Sohn wiederzusehen, den man mit seiner Wärterin Nanette in der Küche gelassen hatte und den die treue Dienerin mit ihrer Hände Arbeit ernährte.

Einer der Kommissare, von welchen Delphine bei diesen Gelegenheiten verhört und überwacht wurde, war ein Maurer von Beruf und hieß Albert Gérôme. Als fanatischer Jakobiner hatte er sich eine Vertrauensstellung im Sicherheitsausschuß und bei Fouquier-Tinville errungen. Er sah, wie die unglückliche junge Frau an dem Wiedersehen mit ihrem Kinde sich aufrichtete, er lernte den Schmerz kennen, von dem ihr Gemüth verwüstet wurde, und den Heldensinn, mit dem sie ihn zu beherrschen und ihrem tragischen Schicksal zu trotzen wußte. Hunderte von Opfern der Schreckenspolitik Robespierres und der Blutgier Fouquiers hatte Gérôme schon mitleidslos den Weg zum Schafott geführt. Delphine von Custine aber wollte er vor dem Tode retten. Als ein geheimnißvoller Beschützer setzte er für sie seinen eigenen Kopf aufs Spiel. Er hatte in Fouquier-Tinvilles Bureau die Verhörsprotokolle zu ordnen, nach denen dieser täglich seine Anklagen ausarbeitete. Immer schob er die auf Delphine bezüglichen Schriftstücke zu unterst des Aktenstoßes, so daß sie dem vielbeschäftigten Ankläger gar nicht in die Hände fielen. Monatelang trieb er dies verwegene Spiel. Die junge Gefangene im Karmeliterkloster erwartete vergeblich, endlich vor Gericht geholt zu werden. Einer nach dem andern ihrer Unglücksgefährten wurde dahin abgerufen; sie blieb zurück, als sei sie auf einmal vergessen. Daß sie dies jenem Kommissar Gérôme verdankte, der bei den Verhören in ihrer Wohnung stets am ergrimmtesten über die Aristokratie loszog, davon hatte sie keine Ahnung.

Dann kam jener Thermidortag, wo Robespierres und Fouquier-Tinvilles Schreckenssystem zusammenbrach, da die Kerker sich öffneten und die Blutgerichte ihre Arbeit einstellten. Noch immer aber that sich für Delphine das Eisenthor des Gefängnisses nicht auf. Zwei Monate vergingen, dann endlich schlug auch für sie die Stunde der Erlösung. Nanette, die Wärterin ihres Kindes, erwirkte durch ihre Fürsprache das Freilassungsdekret des Sicherheitsausschusses, und unter diesem stand geschrieben:

„Wir, Vorsteher der neugestalteten Polizei, bestätigen die Unterschriften dieses als wahr und richtig. Paris, 17. Vendémiaire, III. Jahr der Republik. Gérôme, Albert.“     

Gérôme also –! Delphine erinnerte sich seiner noch sehr wohl, des jungen Sansculotten, der sie stets am bittersten geschmäht. Jetzt aber war sein Reich und seine Schrecklichkeit für sie zu Ende. Sie war frei, uach acht Monaten wieder ihrem Kinde und sich selbst zurückgegeben.

Aber blutarm war sie und dazu krank von den Leiden und Entbehrungen, die sie in der Haft ausgestanden hatte. Nanette, die treue Seele, mußte nun auch für ihre Herrin den Lebensunterhalt beschaffen. Gelegentlich kam freilich an die Dienerin eine kleine Geldsumme von unbekannter Hand als werthvolle Unterstützung. Endlich aber erhielt Delphine selber durch ihre Mutter und ihre Freunde erheblichere Mittel zugestellt und konnte sich wieder eine kleine trauliche Häuslichkeit einrichten. Sie vermochte nun auch denen wohlzuthun, die, wie Luise und Nanette, in der Noth ihr beigestanden hatten.

Eines Tages kam in der Dunkelheit ein vermummter Mann zu ihr in die Wohnung. Er erzählte ihr, wie sie vor Fouquier-Tinvilles Bluthand bewahrt worden war, er bekannte sich auch als den geheimen Absender jener kleinen Summen an Nanette. Dieser Mann, dem sie ihr Leben verdankte, war jetzt selbst ein Verfolgter, die Rache der Thermidoristen suchte ihn, den Jakobiner und eifrigen Agenten des Sicherheitsausschusses. Jetzt bat er Delphine, ihm in seiner Noth zu helfen, und nicht umsonst. Trotz aller Gefahr, welche sie dabei lief, verbarg sie ihn, verschaffte ihm einen Paß und gab ihm eine Summe, mit der er aus Frankreich entkam und nach Amerika flüchten konnte. – –

Die Stürme hatten ausgewüthet; öffentliche Ruhe und Sicherheit der Person kehrten zurück, und die Lebensverhältnisse in Paris gestalteten sich wieder freundlicher. Die Leidenschaften tobten sich im Kriege außerhalb Frankreichs aus, und die Geister suchten sich in der neuen Ordnung der Dinge zurechtzufinden. Frau von Custine konnte sich um Rückerstattung ihres konfiszierten Vermögens bewerben, und die Freundschaft, die sie mit Josephine von Beauharnais im Gefängniß geschlossen hatte, kam ihr hierbei zu nutze. Die reizende Kreolin, wie Delphine durch die Guillotine zur Witwe geworden, war die Freundin des Direktors Barras, der an der Spitze Frankreichs stand, und wurde dann die Frau des jungen Generals Bonaparte, der bald der gewaltige Herr des Landes werden sollte. Durch Josephine lernte sie auch Fouché, den späteren Polizeiminister, kennen, auf den ihre Schönheit und ihr Geist einen tiefen Eindruck machten. Diese Fürsprecher und Vermittler enthoben sie ihrer äußeren Bedrängniß; sie erhielt einen großen Theil ihrer beschlagnahmten Güter zurück, konnte ihre Mutter in der Schweiz wiedersehen und dann auch deren Rückkehr nach Paris ermöglichen.

Doch wie leer kam Delphine die Welt jetzt vor! Jene Gesellschaft, in der sie einst so glücklich und mit einem Herzen so voll von Empfänglichkeit gelebt hatte, gab es nicht mehr. Frauen verwandten Geistes, mit denen sie innige Neigung verband, wie Josephine, wie vor allem Frau von Staël, genügten ihr doch nicht für ihre Herzenswelt. Ihr junges Gemüth verzehrte sich in Sehnsucht, und für die große Leidenschaft, zu der sie sich nach ihrem Sturz aus der ersten, wolkenlosen Glückseligkeit wieder hätte erheben können, fand sich der rechte Mann nicht.

„Ich bin müde meines leeren und einsamen Daseins,“ schrieb sie ihrer Mutter 1797. „Ich würdige keineswegs den Werth meiner Freiheit!“ Und ein andermal: „Ich möchte einen Gatten finden, der, vernünftig und gefühlvoll, denselben Geschmack hätte wie ich und alle die Empfindungen mir entgegentrüge, aus denen sich mein Wesen zusammensetzt; einen Gatten, der fühlte, daß, um glücklich zu leben, er bei mir sein muß und mich führen und meinen Sohn lieben, als wär’ es sein eigener; der, sanft von Gesinnung und Charakter, Philosoph, gebildet, keine Scheu hätte vor Widrigkeiten, sie sogar kennen müßte, aber den Ausgleich aller Uebel darin fände, eine Lebensgefährtin wie Deine Delphine zu besitzen: das ist es, was ich finden möchte und was ich – ich fürchte es – niemals finden werde.“

Und doch fand sie ihn, diesen für sie idealen Mann. Im Jahre 1803 lernte sie den Vicomte von Chateaubriand kennen, den ruhmgekrönten Verfasser des „Genius des Christenthums“, der einen magischen Zauber auf Delphine ausübte. Auch er wurde von Leidenschaft für sie ergriffen. „Wenn ich Sie verlassen müßte,“ schrieb er ihr damals, „so würde ich mich töten.“ Aber er war bereits vermählt, noch befangen in der ganzen Wandelbarkeit seines Wesens, zerklüftet im Gemüth, dabei ehrgeizig über alles und begierig nach einer hohen Stellung im Staat. Durch Delphinens Vermittlung bei Josephine, der Gemahlin des nun allmächtig gewordenen ersten Konsuls Napoleon Bonaparte, wurde er in die diplomatische Laufbahn eingeführt und als Legationssekretär nach Rom gesandt. [864] Dort verglühte die Flamme, die das reizende Weib in seinem Herzen entzündet hatte, und seine Liebesleidenschaft verwandelte sich in kühle, wenn auch immer dankbar ergebene Freundschaft. Sie aber hoffte noch auf ihn und liebte ihn wie niemand auf der Welt, mit der tiefsten Leidenschaft, deren ein Frauenherz fähig ist. Und wahr wurde so, was sie befürchtet hatte: sie fand zwar den Mann ihrer Ideale, doch das erträumte Glück ihres neuerstandenen Lebens nicht.

Bei Lisieux, in der Nähe von Anisy, wo sie ihre Jugend und die schöne Zeit ihrer Ehe verlebt hatte, kaufte sie sich nach Wiederherstellung ihres Vermögens Schloß und Herrschaft von Fervacques. Dorthin zog sie sich zurück mit ihren zertrümmerten Hoffnungen. Wenig Theilnahme erregte ihr ferner noch das Treiben der Welt. Das Kaiserreich, die brutale Pracht und Ruhmgier des Militärstaates waren ihrem feinfühlenden Wesen zuwider. Auf Fervacques, im Winter auch in ihrer Wohnung zu Paris, führte sie ein bescheidenes Leben, vereinsamt im Gemüth, wenig gesellig und dies nur ihrer Mutter zu Gefallen, welche immer noch die Dame des achtzehnten Jahrhunderts war und sie auch zu spielen wußte. Frau von Staël blieb die nächste unter den Freundinnen der Marquise von Custine, und jener Roman, in dem die geistvolle Tochter Neckers 1803 den Konflikt des Weibes zwischen Sittengesetz und Neigung zu so tiefgreifender Darstellung brachte, erhielt den Titel „Delphine“, denn für die Heldin desselben hatte die unglückliche Geliebte Chateaubriands Modell gesessen.

Eines Tages kam in die Pariser Wohnung Delphinens ein behäbiger Mann, wettergebräunt, etwas bäurisch in Benehmen und Kleidung. Er ließ sich der Marquise melden: Herr Albert Gérôme. Ihr Retter, dessen Liebesdienst sie vor Jahren hatte erwidern können, hatte sein Glück in Amerika gemacht und war nach dem kaiserlichen Paris gekommen, um da sein erworbenes Vermögen zu genießen. Delphine empfing ihn mit großer Herzlichkeit, er sollte sich fortan als den Freund ihres Hauses betrachten, dem die Thüre desselben immer offen stand. Aber er machte davon keinen Gebrauch und sagte ihr, warum:

„Ich komme, wenn Sie allein sind, nicht aber, wenn hier Besuch ist. Ihre Freunde würden mich wie ein merkwürdiges Thier ansehen, und Sie würden mich nur aus Güte empfangen. Denn ich kenne Ihr Herz. Ich aber würde mich nicht wohl hier fühlen und enthebe mich solchen Zwanges. Ich bin nicht von gleicher Herkunft wie Sie, spreche nicht wie Sie; wir haben nicht dieselbe Erziehung erhalten. Habe ich etwas für Sie gethan, so auch Sie für mich. Wir sind quitt.“

Sie fühlte wohl, was er ihr damit gestand. Er kam manche mal wieder zu ihr, wenn sie keinen anderen Besuch hatte. Nie aber sprach er wieder so zu ihr, wie er es bei jenem ersten Wiedersehen bewegten Herzens gethan hatte; bald hörte sie dann, daß er gestorben sei. –

Das Kaiserreich stürzte zusammen, die Bourbons kehrten zurück und bauten sich ihr Königthum wieder auf. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, der immer noch lebenslustigen Frau von Boufflers, verharrte Delphine auch jetzt weltüberdrüssig in ihrer Zurückgezogenheit. Die alte Aristokratie, die sich in dem Königreich der Bourbons wieder breit machte, erschien ihr doch nur wie klägliches Gespensterthum, das durch eine neue Welt huschte, um vergeblich die alte zu suchen. Desto mehr gewann der deutsche Geist Einfluß auf Frau von Custine. Er gewährte ihr eine erfrischende Anregung, seitdem sie ihn kennengelernt. Frau von Staël hatte die erste Veranlassung dazu gegeben, und Delphinens Bruder Elzear hatte in Berlin zum Theil noch seine Ausbildung erhalten; ihre Mutter stand mit den Berliner Gesellschaftskreisen mannigfach in Beziehung. Vor allem war es Rahel von Varnhagen, welcher sich Frau von Custine geistesverwandt fühlte und mit der sie die innigste Freundschaft schloß. Sie lernte in der Stille von Fervacques Deutsch und las da Goethe, Tieck, Kant, Fouqué. „Das ist eine indirekte Art, mich mit denen zu beschäftigen, die ich liebe,“ schrieb sie an Rahel 1816, „und der Gedanke daran wird mir genügen, mir diese Beschäftigung werth zu machen.“

Bald kamen Jahre, wo sie mehr und mehr kränkelte; im Sommer 1826 entschloß sie sich deshalb, einen Aufenthalt in der Schweiz zu nehmen, in Bex am Genfer See. Lausanne war in der Nähe, und dort hielt sich Chateaubriand auf. Ihn liebte sie noch immer; ihn sehen, ihn sprechen zu können, war immer noch ihr höchstes, von ihm, auch wenn er in Paris lebte, so selten berücksichtigtes Verlangen. Wenn ein Wiedersehen mit ihm der letzte Wunsch war, der sie nach Bex führte, so sollte er unerfüllt bleiben. Unerwartet schnell starb sie im Alter von 56 Jahren am 15. Juli. Als Chateaubriand davon erfuhr, eilte er von Lausanne nach Bex, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Er sah sie im Sarge, eine zarte Gestalt, von ihrem prächtigen Seidenhaar eingehüllt, im Tode noch schön. Ihre Leiche wurde nach Fervacques gebracht und dort nach ihrem Willen an der Seite der kurz zuvor gestorbenen jungen Gemahlin ihres Sohnes Astolfe in dem Kirchlein des nahen Dorfes Sainte-Aubin beigesetzt. Noch ein Winter, dann folgte ihr auch die Mutter nach, die alte Marquise von Boufflers.