Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Die Lungenschwindsucht
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 195-197
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[195]
Bausteine zu einer naturgemäßen Selbstheillehre.
Die Lungenschwindsucht.

Ueber keine Krankheit herrschen unter den Laien wie unter den Aerzten so falsche Ansichten als über die Lungenschwindsucht, obschon von allen Leiden der Jetztzeit dieses das allerhäufigste ist. Zur Beruhigung diene nun aber dem Leser gleich von vorn herein, daß man bei dieser Krankheit ohne große Beschwerden uralt werden kann und daß man sogar als Lungenschwindsüchtiger noch den Vortheil hat, vor vielen andern Krankheiten geschützt zu sein. Allerdings verlangt dieses Leiden, welches sehr oft ganz unbemerkt, auch die scheinbar gesündesten Personen mit den schönsten Brustkasten, beschleicht, daß man sich in seiner Lebensweise etwas danach richte. Thut man dies nicht oder zu spät, dann freilich kürzt die Lungenschwindsucht das Leben um mehrere Jahre und veranlaßt auch mannigfache lästige Beschwerden.

Ueber das eigentliche Wesen und die Ursachen der Lungenschwindsucht weiß die Wissenschaft, trotzdem daß in den Büchern viel darüber geschrieben steht, doch so gut wie nichts; oft scheint sie angeboren und ererbt zu sein. Von Ansteckung dabei ist keine Rede, obschon sie sich bei einander nahestehenden Personen, die unter gleichen äußern Verhältnissen leben, nicht selten entwickelt. Auch ist sicherlich der Schluß, welchen die Aerzte machen, wenn sie die, nach dem Verschwinden von gewissen Blutungen, Schweißen, Ausschlägen, Geschwüren u. s. w. auftretende Lungenschwindsucht als eine Folge jenes Verschwindens ansehen, ein ganz falscher. Umgekehrt verhält es sich, weil die Lungenschwindsucht in ihrer Entwickelung begriffen war, darum verschwanden jene Zustände.

Die Beobachtungen am Krankenbette und Leichentische haben [196] Folgendes gelehrt. Bei der Lungenschwindsucht wird aus dem Blute eine eigenthümliche, gerinnende, grauliche und gelbliche Masse in das Lungengewebe abgeschieden. Diese Masse, welche merkwürdiger Weise fast immer zuerst in den Lungenspitzen abgelagert wird, nimmt in den meisten Fällen die Form von Knötchen (tubercula) an und wird deshalb auch Tuberkelmasse genannt; der ganze Krankheitsprozeß führt daher den Namen Lungentuberkulose. Die Knötchen- oder Tröpfchenform dieser Masse, sowie der Umstand, daß diese Krankheit besonders bei Armen und Wüstlingen häufig vorkommt, läßt die Tuberkeln poetisch als „Thränen der Armuth und Reue nach innen geweint“ bezeichnen. Nicht selten findet sich aber die Tuberkelmasse auch gleichförmig (nicht knotig) in das Lungengewebe eingestopft, so daß alle Luft aus diesem verdrängt ist. Wohl stets geschieht die Ablagerung dieser Masse bei vermehrtem Blutzuflusse zu dem ergriffenen Lungenstücke, weshalb dabei nicht selten auch kleine, mit Blut überfüllte Gefäßchen zerreißen und so Blutspucken (Bluthusten) veranlaßt wird. – Hat die Tuberkelmasse einige Zeit bestanden, so erleidet sie eine Veränderung nach doppelter Richtung hin; nämlich sie trocknet entweder ein und wird ganz hart, oder sie erweicht sich und zerfließt allmälig zu einer dicken rahmähnlichen Flüssigkeit (Tuberkeleiter), welche durch Zutritt von Luft in Fäulniß versetzt und dadurch (zur Tuberkeljauche geworden) sehr ätzend werden kann. Im ersteren Falle bleiben die eingetrockneten harten Tuberkelknötchen, die man bei sehr vielen, scheinbar ganz gesunden Personen in den Lungenpitzen antrifft, zeitlebens und ohne Beschwerden zu veranlassen, zurück. Im letztern Falle wird durch die zerflossene Tuberkelmasse das umliegende Lungengewebe für immer zerstört (zerweicht, zerfressen) und es bildet sich eine oder eine Anzahl von Höhlen (Vomicae), deren Inhalt (die zerflossene Tuberkelmasse und das zerstörte Lungengewebe) entweder durch Husten ausgeworfen wird oder allmälig zu einer kalkigen Masse eintrocknet. Dieser Zerstörungsprozeß, dem man den Namen der tuberculösen Lungenschwindsucht gegeben hat, greift nun aber nicht etwa unaufhaltsam um sich, ruinirt so nach und nach die ganze Lunge und führt unrettbar zum Tode, sondern es wird ihm stets von der Natur (niemals vom Arzte) eine harte, unzerstörbare Grenze gesetzt, welche das kranke Lungenstück von dem gesunden scheidet. Mit dieser Schwindsucht und dem noch gesunden größern oder kleineren Lungenreste läßt es sich nun bei vernünftiger Lebensweise recht gut und auch lange leben, selbst wenn dabei durch Husten noch längere Zeit zerstörtes Lungengewebe und zerflossene Tuberkelmasse ausgeworfen wird. Man ängstige und kurire sich also wegen hartnäckingen Hustens, Auswurfs, zeitweiligen Blutspuckens und überhaupt über das Wort Lungenschwindsucht nicht so unnützer Weise zu Schande, wie dies jetzt gar oft geschieht. Nicht der Zustand, welcher in schwindsüchtigen Lungen schon vorhanden ist, braucht gefürchtet zu werden, sondern der, welcher später hinzutreten kann, nämlich eine neue Ablagerung von Tuberkelmasse. Sie muß verhindert oder weit hinausgeschoben werden, weil durch diese das Leben in Gefahr geräth.

Wie die Tuberkelmasse in die Lungen abgesetzt wird, davon hängt nun der Verlauf und die Gefahr bei der Lungentuberculose ab. In seltenen Fällen werden beide Lungen von oben bis unten wie mit einem Schlage von unzähligen, sehr kleinen Tuberkelkörnchen durchsäet (d. i. die acute Lungentuberculose) und dabei wird der Tod in wenigen Tagen herbeigeführt. Diese Krankheit gleicht dem Nervenfieber so sehr, daß sie in der Regel für ein solches gehalten wird. – – In anderen, schon etwas häufigeren, glücklicher Weise aber doch nicht sehr häufigen Fällen geschieht die Ablagerung der Tuberkelmasse in kleinen Unterbrechungen oder ununterbrochen, aber nur allmälig um sich greifend, fort und fort, so daß in einigen Monaten oder wenigen Jahren vom deutlichen Beginne der Krankheit an, der größte Theil der Lungen erkrankt und zerstört ist. Diese Lungenschwindsucht pflegt der Laie die gallopirende zu nennen. Sie beginnt als schlichter Lungenkatarrh und führt gewöhnlich unaufhaltsam unter fortwährend wachsendem Bleicher- und Magerwerden des Kranken bei Husten, Blutspucken, Auswurf, Fieber (welches bisweilen dem kalten Fieber ähnelt) zum Tode. – In den allermeisten Fällen nimmt nun aber die Lungenschwindsucht (d. i. die chronische) einen weit günstigeren Verlauf und läßt dem Patienten, wie oben schon gesagt wurde, ein ziemlich hohes Alter erreichen, wenn er nämlich seine Lebensweise danach einrichtet. Hier sind die Anfälle von Ablagerung des Krankheitsproduktes durch lange Zwischenräume, deren Dauer viele Jahre und selbst Jahrzehende betragen kann, von einander getrennt. Während dieser freien Zwischenräume kann sich der Kranke, trotzdem daß in seinen Lungen die Schwindsucht haust, doch scheinbar ganz wohl befinden oder nur geringe Beschwerden haben, aber freilich auch durch Kurzathmigkeit, Husten und Auswurf belästigt werden. In manchen Fällen geht die Lungentuberculose, nachdem sie eine oder einige Ablagerungen gemacht hatte, vollständig ein und der Kranke kann als geheilt betrachtet werden, wenn auch das erkrankte Lungenstück verloren (verhärtet oder zerfressen) ist. Weit häufiger kommt es aber vor, daß sich während einer neuen Ablagerung, die jedoch erst im spätern Alter stattzufinden braucht, der Tod einfindet.

Von den Krankheitserscheinungen, welche die Lungenschwindsucht begleiten, können die zm Erkennen der Krankheit unentbehrlichen nur vom Arzte und zwar blos mit Hülfe der sogen. physikalischen Untersuchungsmethode (durch Besichtigung, Befühlen, Beklopfen und Behorchen der Brust) warhgenommen werden. Alle übrigen Symptome, wie Husten, Auswurf, Blutspucken, Kurzathmigkeit u. s. f. können ebensowohl fehlen, wie auch ganz andere Lungenaffectionen und sogar Herzleiden zukommen. Nur durch das Bleich- und Mager-, sowie Mattwerden eines kurzathmigen Hustenden kann der Verdacht auf Lungentuberculose (niemals aber das sichere Erkennen) derselben vermittelt werden. Jedoch ist Jedem, der die genannten Krankheitserscheinungen an sich bemerkt, auch wenn dieselben nicht von Lungenschwindsucht herrühren sollten, anzurathen, die folgenden diätetischen Regeln zu beobachten. Denn von einer Behandlung mit Arzneimitteln, welche etwa der im Gange befindlichen Ablagerung von Tuberkelmasse Einhalt thun oder eine neue Ablagerung sicher verhüten könnten, davon ist zur Zeit keine Rede, obschon in den medicinischen Böchern Hunderte von Mittel, die bei der Lungenschwindsucht gute Dienste thun sollen, aufgezählt werden. Beliebt sind bei den Aerzten: Leberthran, Selterwasser mit Milch, Molken, Emser und Obersalzbrunner Wasser, Egersalzquelle, Lippspringe und Soden, Seeluft und Italien, isländisches und Caraghenmoos. Der Laie bezahlt mit schwerem Gelde einige unnütze und ganz billige Kräuter (wie die Lieber’schen und den hamburger Trank), die Revalenta (Erbsen- und Linsenmehl) und einige andere Schwindeleien; oder er sucht Hülfe durch Hundefett, Heringsmilch u. dgl.

Das diätetische Verhalten bei Verdacht auf Lungentuberculose (s. Gartenlaube Jahrg. I. Nr. 33. S. 360) verlangt: ruhiges und tiefes Athmen einer stets reinen und warmen Luft, Vermeidung von Blutanhäufung in der Lunge, körperliche und geschlechtliche, geistige und gemüthliche Ruhe (Schlaf), nahrhafte (besonders thierische) Kost mit der gehörigen Menge von Wasser, Fett und Salz. – Was die einzuathmende Luft betrifft, so muß diese stets rein (frei von Staub, Rauch, Tabacksqualm, schädlichen Gasen) und warm sein (am liebsten von 12 – 16° R.), und dies ebensowohl bei Nacht wie bei Tage. Vorzüglich schädlich ist der schnelle Wechsel zwischen warmer und kalter Luft, sowie das Sprechen beim Gehen gegen scharfen Nord- und Ostwind und beim Bergsteigen. Die Wohnung, besonders das Schlafzimmer, sei trocken, sonnig und stets wohlgelüftet; auch scheint der Aufenthalt in freier, aber warmer und reiner, besonders Waldluft von großem Vortheile zu sein. Während der kälteren, rauheren und stürmischen Jahreszeit thut der Kranke am besten, ganz in der gleichförmigen Temperatur (von + 14 – 16° r.) des Zimmers (in welchem grüne Pflanzen aufgestellt sind), zu verbleiben oder beim Ausgehen sich stets des Respirators (s. Gartenl. Jahrg. III, Nr. 8) zu bedienen. Es ist ganz verkehrt, weil schädlich, wenn Brustkranke bei Milch- oder Molkenkuren, sowie in Bädern, ganz in der Frühe die kalte Morgenluft einathmen, anstatt so lange im Bette zu bleiben, bis die Luft gehörig erwärmt ist. Wer es kann, der siedele, aber so zeitig und so lange als möglich, in ein mildes südliches Klima über, wo bei Tag und Nacht die Luft gleichmäßig warm ist, wie nach Malaga, Malta, Algier, Kairo, Madeira u. s. w.; nur darf er dort kein Heimweh bekommen, wenn er gesunden will. – Auf die Art des Athmens ist ebenfalls einiger Werth zu legen. Man athme nämlich täglich öfters tief ein und aus: jedoch geschehe dies nicht zu gewaltsam, weil es sonst zur Zerreißung einzelner kleiner Blutgefäßchen und zum Blutspucken kommen könnte. Auch ist das Beengen der Lunge durch Zusammenpressen des Brustkastens (durch Kleidungsstücke, anhaltendes Sitzen mit gebeugtem Oberkörper) zu vermeiden, wohl aber nach Ausdehnung des [197] Brustkastens und der Lunge zu streben und hierzu dienen passende Turnübungen (mit den Armen), lautes Vorlesen, Declamiren und Singen oder Blasen eines Instrumentes; auch läßt sich dies dadurch bewerkstelligen, daß man nach tiefem Einathmen langsam durch ein feines Röhrchen ausathmet. Alle diese Ausdehnungsversuche müssen aber mit großer Vorsicht und Einschränkung geschehen. – Der widernatürlichen Anhäufung von Blut in den Lungengefäßen läßt sich dadurch entgehen, daß man Alles sorgfältig vermeidet, was Herzklopfen und sehr beschleunigtes Athmen macht, daß man sich vor erhitzenden Anstrengungen und katarrherzeugenden Erkältungen (besonders der Füße und des Rückens) durch Flanell und Wolle schützt, und daß man stärkere Erschütterungen des Brustkastens zu verhüten sucht. – In Betreff der Ruhe ist zu erwähnen, daß jedes körperliche und geistige Thätigsein Brustkranker nur ganz mäßig geschehen muß und daß Excesse in dieser, sowie in gemüthlicher und geschlechtlicher Hinsicht großen Nachtheil bringen. – Thierische Nahrung, aber mit ziemlichem Fett- und Salzgehalte, scheint am meisten zuzusagen; obenan steht natürlich die Milch. Von Getränken entsage man sich aller, welche Herzklopfen und Hitze erzeugen. – Fängt ein Brustkranker wieder an, fleischiger zu werden und wohler auszusehen, dann kann er zwar an allmäliges Abhärten seines Körpers (durch kalte Bäder, Turnen, leichtere Kleidung) denken, darf dies aber doch immer nur mäßig treiben. Uebrigens thut es allen Brustkranken gut, während des Sommers einige Zeit in eine gemüthliche, gegen Nord- und Ostwinde geschützte Gegend zu ziehen und neben Ruhe noch Milch (oder Molken) und Luft zu genießen. In ein Bad, wo man nur abgemagerte, hohläugige Brustkranke sieht, und außerdem doch blos ein schwaches Salzwasser trinkt (wie in Ems und Salzbrunnen) würde Verf. niemals einen Schwindsuchtscandidaten schicken.

(Bock.)