Die Leuchtturmwärter von Shesterland

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Autor: Walther Kabel
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Titel: Die Leuchtturmwärter von Shesterland
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 10, S. 209–212
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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Quelle: Commons
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(Nachdruck verboten.)

Die Leuchtturmwärter von Shesterland. – Der Leuchtturm von Shesterland an der Südküste der Halbinsel Florida gehört zu den übelberüchtigtsten Bauwerken der Welt. Trotzdem er erst im Jahre 1902 allen modernen Anforderungen entsprechend aufgeführt und mit hervorragenden maschinellen Einrichtungen versehen worden ist, halten die beiden dort stationierten Beamten es nie länger als ein halbes Jahr auf dem einsamen Posten aus. Der Turm steht nämlich dicht an der sumpfigen Küste, die wegen ihrer Fieberluft gerade so wie ganz Florida den allerschlechtesten Ruf genießt.

So waren denn im Frühjahr 1906 die Stellen der Leuchtturmwärter wieder frei geworden, da die letzten beiden Inhaber am gelben Fieber kurz hintereinander gestorben waren. Wochen vergingen, ehe sich bei dem Hafenamt Miami, dem die Verwaltung des Turmes obliegt, zwei neue Anwärter meldeten. Bis dahin mußte der Leuchtturm von Mitgliedern der Lotsenstation Miami bedient werden. Diese beiden Bewerber um den lebensgefährlichen, aber gut bezahlten Posten wiesen sich durch Zeugnisse als gelernte Mechaniker aus und wurden nach kurzer Probezeit fest angestellt.

Anscheinend hatte die Behörde mit ihnen eine recht gute Wahl getroffen, denn sie versahen ihren Dienst aufs pünktlichste, schienen auch gegen die Einflüsse des mörderischen Klimas völlig gefeit zu sein.

So vergingen beinahe zwei Jahre. Die beiden Wärter dachten nicht im entferntesten daran, sich ablösen zu lassen – sehr zum Erstaunen des Hafendirektors von Miami, der ja schon daran gewöhnt war, mit den Shesterlandmännern allerhand [210] Scherereien zu haben. Da erhielt er in den ersten Tagen des Mai 1908 den Besuch eines glattrasierten Herrn, der sich als Detektiv aus New York zu erkennen gab und dann dem aufs höchste überraschten Beamten mitteilte, in welchem Verdacht er die beiden so getreu ausharrenden Wärter habe.

In den Vereinigten Staaten waren nämlich seit anderthalb Jahren tadellos gefälschte Geldstücke und Banknoten in großen Mengen aufgetaucht, ohne daß es gelingen wollte, die Herkunft der Falschstücke zu ermitteln. Die Polizei entwickelte eine fieberhafte Tätigkeit. Alles war umsonst. Und dabei handelte es sich um so glänzend gelungene Fälschungen, daß die Falschmünzer fraglos mit größeren Maschinen arbeiten mußten, um derartige saubere Falsifikate herstellen zu können.

Endlich gelang es dem erwähnten New Yorker Detektiv, die Fährte eines Mannes namens Burkins, der sich in New Orleans und den benachbarten Ortschaften durch Ausgabe falscher Dollars verdächtig gemacht hatte, aber klugerweise nicht sofort verhaftet worden war, bis Miami zu verfolgen. Der betreffende war in Miami in dem ersten Hotel abgestiegen und vertrieb sich anscheinend durch Jagd auf Seevögel aufs angenehmste die Zeit, blieb oft zwei bis drei Tage mit seinem kleinen gemieteten Kutter, den er stets allein bediente, unterwegs, um dann regelmäßig mit seiner Beute an Möwen, Reihern und wilden Enten von seiner Küstenfahrt zurückzukehren.

Der Detektiv ließ sich durch dieses harmlose Verhalten des angeblichen Ingenieurs Thomas Burkins nicht täuschen, besonders da er sehr bald durch vorsichtige Nachfragen bei den Hotelbediensteten festgestellt hatte, daß Burkins seit etwa zwei Jahren regelmäßig für einige Zeit nach Miami zu kommen pflegte, anscheinend um seiner Jagdleidenschaft zu frönen. Außerdem hatte er in Erfahrung gebracht, daß es einen Ingenieur dieses Namens in Ohio, wo Thomas Burkins Mitinhaber einer Maschinenfabrik sein wollte, überhaupt nicht gab.

Diese Tatsachen teilte der Geheimpolizist dem Hafendirektor mit und bat ihn zugleich, ihm eines der Motorboote der Hafenverwaltung zur Verfügung zu stellen, damit er den eifrigen Nimrod auch auf See ständig im Auge behalten könne. [211] Er habe nämlich den Verdacht, Burkins unternähme seine Segelfahrten nur, um die wahrscheinlich im Leuchtturm eingerichtete Werkstatt der Falschmünzer möglichst unauffällig zu besuchen und die neuen Münzvorräte abzuholen.

Trotzdem der Beamte gegen diese Annahme mancherlei einzuwenden hatte, so besonders, daß ein breiter Küstenstrich bis nach dem Shesterlandleuchtturm hinab nur aus Sumpf bestände und die Luft daher mit Fieberkeimen angefüllt sei, die jedem menschlichen Wesen einen längeren Aufenthalt unmöglich machten, beharrte der Detektiv doch auf seiner Bitte. Bereits am nächsten Morgen folgte das Motorboot dann in vorsichtiger Entfernung dem Kutter des angeblichen Ingenieurs, der nach anfänglich südlichem Kurs plötzlich scharf nach Südwesten steuerte, wo in weiter Ferne durch das Glas deutlich die Spitze des Shesterlandleuchtturmes über dem Meere sichtbar war. …

An demselben Tage gegen zehn Uhr abends näherte sich völlig geräuschlos eine Dampfpinasse mit abgeblendeten Lichtern der Anlegetreppe des Leuchtturmes von Shesterland, an deren Eisenringen der kleine Kutter Burkins‘ noch immer friedlich vertaut lag. Der Pinasse entstiegen eiligst der New Yorker Detektiv, der Hafendirektor und zwei handfeste Lotsen. Mit ein paar Sprüngen erreichten die Männer die Eingangstür zum Turm, die zum Glück nur eingeklinkt war, und schlichen nun behutsam die Wendeltreppe des ganz aus Eisenplatten zusammengenieteten Bauwerks empor.

Die Überraschung der drei Verbrecher gelang vollkommen. Sie saßen gerade in dem Wohngemach um den großen Tisch, der mit allerhand Papieren, mehreren Rollen von falschen Dollarstücken, Kupferplatten und Papierproben zur Herstellung von Banknoten bedeckt war.

Nachdem die Gauner, die gegenüber den drohend auf sie gerichteten Revolvermündungen keinen Widerstand wagten, gefesselt waren, begann man sämtliche Gelasse des Leuchtturmes genau zu durchsuchen. Hierbei entdeckte man dann, eine wie vielseitig und reichhaltig ausgestattete Falschmünzerwerkstatt sich die famosen Leuchtturmwärter hier eingerichtet [212] hatten. Das interessanteste war dabei aber zweifellos, daß die Gauner sich mit Hilfe der maschinellen Anlage, die nachts zur Drehung des Leuchtfeuers diente, einen vollständigen Prägstock hergestellt hatten, aus dem die Falschstücke mit erstaunlich scharfer Prägung des Münzbildes herauskamen.

Nun war es allerdings mit dieser sicheren und so schlau gewählten Zufluchtstätte der erfindungsreichen Verbrecher ein für allemal vorbei. Außerdem konnte man auch mit Hilfe der aufgefundenen Papiere eine ganze Menge von Leuten vor Gericht bringen, die in den verschiedensten Städten der Union wohnten und den Vertrieb der Falsifikate übernommen hatten. Die „Seele des Ganzen“ war jener Thomas Burkins, ein früherer Graveur, der seine Jagdausflüge nur dazu benützte, um die „fertige Ware“ abzuholen und die Genossen mit den notwendigen Instrumenten, Chemikalien und Metallen stets aufs neue zu versorgen.

W. K.