Die Lautenspielerin (Gemälde der Dresdener Gallerie)

Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Die Lautenspielerin
Untertitel: Von van der Neer
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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The Lute-Player.     Die Lautenspielerin.
Lut Spelerskan.

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Die Lautenspielerin.
Von van der Neer.

In das Haus des ehrenwerthen Rathsherrn Aart van Jongh an der alten Westewaagen-Straat zu Rotterdam kamen an einem schönen, heitern Abende des Spätherbstes des Jahres 1769 viele der angesehensten Personen der Stadt. Die mit breiten goldgepreßten Ledertapeten verzierten Zimmer füllten sich allmälig mit geputzten Herren und Damen, und unter den letzteren glänzte vorzugsweise eine Brabanterin, Helene Du Chatel, eine entfernte Verwandte des reichen Gastgebers.

Helene war eine Dame von etwa fünfundzwanzig Jahren, von ausgezeichnetster Tournüre, eine selbstbewußte, stolze Schönheit, die gleich der berühmten Holländerin Maria van Schurmann als Schriftstellerin in lateinischer und französischer Sprache excellirte, eine fast unübertroffene Meisterin im Clavier- und Lautenspiel war und in der Miniatur-Malerei mit einem Mieris und Dow wetteiferte. Sie war blond; gelocktes Haar ringelte sich um Stirn und Nacken; man vergaß die auf dessen Anordnung verwendete Kunst, so vollendet erschien dieselbe in ihrer Nachlässigkeit. Prachtvoller venetianischer Sammet mit Hermelin besetzt umschloß Helenens Formen und die Schürze von Nesseltuch und Brabanter Spitzen über dem Unterkleide war wahrhaft köstlich.

Diese Brabanterin übernahm mit einer Leichtigkeit und einer Anmuth, als sei sie die geborne Fürstin dieser Versammlung, die Führung der Unterhaltung, während der alte Senator ihr die ankommenden Gäste vorstellte.

Unter diesen befand sich Adrian Güldensteen, ein schöner, junger leydener Doctor, und [23] Eglon van der Neer, einer der ausgezeichnetsten holländischen Maler, der Sohn des berühmten Artus van der Neer, des Landschaftsmalers, und ein Schüler J. Vanloo’s.

Adrian Güldensteen, der Adonis der Rotterdamer Damenwelt, hatte, sobald er Helene Du Chatel gesehen, der Schönen seine zarteste Huldigung zu Füßen gelegt. Güldensteen, ganz das Muster eines damaligen Lion, trug mehr Kanten und Spitzen und ausgesuchtere Gold- und Silber-Brocad-Arbeit als der General-Statthalter selbst. Er duftete wie ein Blumenbeet von Harlem und sein Haar und feiner Spitzbart war mit einem Aufwand unendlicher Geschicklichkeit dressirt. Adrian, ein grundgelehrter Arzt, welchem selten noch im gelehrten Zweikampfe Jemand Stand gehalten hatte, den er nicht ganz oder wenigstens zur Hälfte niederdisputirte, war zugleich vollendeter Musiker. Er spielte die Viola di Gamba und schlug die Laute, gleichviel ob’s eine spanische oder italienische war, mit großer Virtuosität.

War es unter diesen Umständen zu verwundern, daß er es war, welcher vorzugsweise die glänzenden Augen der Helene Du Chatel auf sich zog? Die Schöne, auf der Höhe ihrer Kunst ziemlich einsam stehend, mit gewissem, leicht erklärlichem Bangen dem sechsten Lustrum entgegengehend, fühlte mehr als je, daß ihr ein liebendes Herz mangele, welches neben einer Leidenschaft, wie sie sie erheischte, zugleich den vollen Werth der Geliebten zu würdigen verstand. Dies Herz wähnte sie in demjenigen Adrians Güldensteen gefunden.

Auch an diesem Abende zeichnete sie ihren Günstling sichtlich aus. Sie bemerkte neben ihm kaum die derbe Gestalt Eglons van der Neer, des Malers, und doch war Neer ein schönerer Mann als Güldensteen.

Freilich war seine Erscheinung einfach, fast zu einfach. Er trug kaum irgend ein Schmuckstück, womit der duftende Doctor prangte; ausgezeichnet war aber dennoch seine bescheidene Tracht dadurch, daß sie durchaus schwarz war. Neer trauerte um seine, vor einem halben Jahre gestorbene Gattin, und der schwermüthige Zug, welchen sein blasses Gesicht als Mahnung an den erlittenen Verlust trug, machte dasselbe nur noch edler, interessanter.

Erst als Jongh den blondgelockten, etwa sechsunddreißigjährigen Neer an die Hand nahm und ihr eindringlich den Namen desselben sagte, ward Helene Du Chatel aufmerksam. Sie verflocht ihn in ein Gespräch über seine Kunst, die auch sie übte, und suchte von ihm das Geheimniß der unendlich blühenden, zarten Färbung, wodurch sich Neer’s Gemälde auszeichneten, wie die Kunst zu ergründen mit seiner vollendeten Meisterschaft Stoffe, wie Atlas, Sammet u. s. w. darzustellen. Neer konnte sich Glück wünschen, denn die Brabanterin hatte augenscheinlich an seinem wahrhaft gediegenen Gespräche Gefallen gefunden.

Jetzt kamen die musikalischen Unterhaltungen an die Reihe. Mit einer Art von Feierlichkeit kündigte Adrian Güldensteen der Gesellschaft an, daß Helena in Verbindung mit ihm eine damals neue und variirte Composition des berühmten Liedes:

„Wilhelmus van Nassauen“

vortragen werde.

Die Dame nahm ihren Platz an einem mit einem Teppich, mit Noten und Guitarre belegten Tische, in der Nähe eines Porticus von dorisch-ionischer Ordnung, welcher den Eingang zu [24] dem großen Speisesaale abgab, nahm die italienische Mandoline aufs Knie und begann, mit einem siegenden Blicke, welcher die Gewißheit ihres nahen Triumphs verkündete, das vorzügliche Instrument zu stimmen.

Adrian ergriff, während die Anwesenden lautlos sich verhielten, die Guitarre und auf Helenens graziöses Kopfnicken begannen die Stimmen und die Instrumente ein herrliches Duett.

Der böse Genius dieses Abends näherte sich indeß sehr rasch. Helene hatte eine Partie, wo zu Ende der ersten Strophe eine Cadenz mit einem herrlichen Triller folgen mußte. Adrian mußte natürlich pausiren. Er thats, während die Stimme der Sängerin in langem Aushauche dahinschwebte . . . Jetzt kam der Glanzpunkt der Piece . . . siegend, strahlend mußte sich der Triller dieser Silberstimme erheben . . . Da schlug Adrian einen Tact zu früh an; nieder, verloren war Helenens herrliche Ton-Figur, der Triller war abgeschnitten – und glühend, beschämt, wie eine Bildsäule, saß der duftende Doctor da, stumm und still.

Dann sprang er auf, als sich Helene höchst erzürnt ihm näherte, und eilig verließ er das Zimmer. Ein heimliches Gelächter durchlief den eleganten Kreis.

Da trat Neer vor und nahm die Guitarre, und seiner Beredtsamkeit gelang es, die Schöne zu bewegen, mit ihm einen abermaligen Versuch zu machen. Er fiel über Erwartung glänzend aus.

Dies war der erste Schritt, welcher den Maler der Brabanterin näher führte, die von diesem Abende an gegen Güldensteen eine heftige Abneigung empfand. Helene liebte den Maler im Stillen; Niemand hatte eine Ahnung davon, bis sie mit ihrem Geheimnisse offen hervortreten und sich als die Braut van der Neers ankündigen konnte.

Jetzt erst erfuhr Helene Du Chatel, daß Neer von seiner ersten Frau nicht weniger als sechzehn lebendige Kinder besaß. Sie trat demungeachtet nicht zurück, sondern reichte dem Geliebten die Hand am Altare; in der Folge schenkte sie ihm zu jenen 16 noch neun fernere Sprößlinge. Helene blieb schön bis an ihren früh erfolgten Tod; ihre Gemälde, womit sie die einigermaßen gedrückte Lage des Meisters wesentlich verbesserte, hatten damals Ruf, sind aber, indeß die Werke Eglons van der Neer noch immer Zierden der ersten Gemäldesammlungen sind, gegenwärtig verloren und vergessen!

Der Meister selbst starb, nachdem er sich zum dritten Male, mit einer Malerin Brekvelt in Düsseldorf, vermählt hatte, in letzterem Orte im Jahre 1703 im 60. Jahre seines Alters. Er war spanischer Hofmaler und lebte in Düsseldorf am pfälzischen Hofe in hohen Ehren.