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Eglon van der Neer, einer der ausgezeichnetsten holländischen Maler, der Sohn des berühmten Artus van der Neer, des Landschaftsmalers, und ein Schüler J. Vanloo’s.

Adrian Güldensteen, der Adonis der Rotterdamer Damenwelt, hatte, sobald er Helene Du Chatel gesehen, der Schönen seine zarteste Huldigung zu Füßen gelegt. Güldensteen, ganz das Muster eines damaligen Lion, trug mehr Kanten und Spitzen und ausgesuchtere Gold- und Silber-Brocad-Arbeit als der General-Statthalter selbst. Er duftete wie ein Blumenbeet von Harlem und sein Haar und feiner Spitzbart war mit einem Aufwand unendlicher Geschicklichkeit dressirt. Adrian, ein grundgelehrter Arzt, welchem selten noch im gelehrten Zweikampfe Jemand Stand gehalten hatte, den er nicht ganz oder wenigstens zur Hälfte niederdisputirte, war zugleich vollendeter Musiker. Er spielte die Viola di Gamba und schlug die Laute, gleichviel ob’s eine spanische oder italienische war, mit großer Virtuosität.

War es unter diesen Umständen zu verwundern, daß er es war, welcher vorzugsweise die glänzenden Augen der Helene Du Chatel auf sich zog? Die Schöne, auf der Höhe ihrer Kunst ziemlich einsam stehend, mit gewissem, leicht erklärlichem Bangen dem sechsten Lustrum entgegengehend, fühlte mehr als je, daß ihr ein liebendes Herz mangele, welches neben einer Leidenschaft, wie sie sie erheischte, zugleich den vollen Werth der Geliebten zu würdigen verstand. Dies Herz wähnte sie in demjenigen Adrians Güldensteen gefunden.

Auch an diesem Abende zeichnete sie ihren Günstling sichtlich aus. Sie bemerkte neben ihm kaum die derbe Gestalt Eglons van der Neer, des Malers, und doch war Neer ein schönerer Mann als Güldensteen.

Freilich war seine Erscheinung einfach, fast zu einfach. Er trug kaum irgend ein Schmuckstück, womit der duftende Doctor prangte; ausgezeichnet war aber dennoch seine bescheidene Tracht dadurch, daß sie durchaus schwarz war. Neer trauerte um seine, vor einem halben Jahre gestorbene Gattin, und der schwermüthige Zug, welchen sein blasses Gesicht als Mahnung an den erlittenen Verlust trug, machte dasselbe nur noch edler, interessanter.

Erst als Jongh den blondgelockten, etwa sechsunddreißigjährigen Neer an die Hand nahm und ihr eindringlich den Namen desselben sagte, ward Helene Du Chatel aufmerksam. Sie verflocht ihn in ein Gespräch über seine Kunst, die auch sie übte, und suchte von ihm das Geheimniß der unendlich blühenden, zarten Färbung, wodurch sich Neer’s Gemälde auszeichneten, wie die Kunst zu ergründen mit seiner vollendeten Meisterschaft Stoffe, wie Atlas, Sammet u. s. w. darzustellen. Neer konnte sich Glück wünschen, denn die Brabanterin hatte augenscheinlich an seinem wahrhaft gediegenen Gespräche Gefallen gefunden.

Jetzt kamen die musikalischen Unterhaltungen an die Reihe. Mit einer Art von Feierlichkeit kündigte Adrian Güldensteen der Gesellschaft an, daß Helena in Verbindung mit ihm eine damals neue und variirte Composition des berühmten Liedes:

„Wilhelmus van Nassauen“

vortragen werde.

Die Dame nahm ihren Platz an einem mit einem Teppich, mit Noten und Guitarre belegten Tische, in der Nähe eines Porticus von dorisch-ionischer Ordnung, welcher den Eingang zu

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/76&oldid=- (Version vom 1.8.2018)