Textdaten
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Autor: Oswin Hüttig
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Titel: Die Kannenträger
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 802–803
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Kannenträger.

Von O. Hüttig.

Das Geschlecht der Kannenträger ist eine der wunderbarsten Erscheinungen in der Pflanzenwelt, die der Laie Jahrzehnte hindurch angestaunt, ohne sie deuten zu können, obwohl die Sachverständigen zuweilen die Erklärung versucht haben, daß die mit Wasser gefüllte Kanne, ein der Pflanze eigenthümliches Anhängsel, nichts weiter sei, als das sonderbar geformte Blatt derselben.

Kannenträger von Ceylon (Nepenthes destillatoria)

Die Gattung der Kannenträger mit ihren verschiedenen Arten und Abarten bildet eine eigene Familie des Pflanzenreichs, die der Repentheen, und stammt aus Ostindien mit den benachbarten Inseln Borneo, Sumatra und anderen, wo diese Halbsträucher in feuchtem, moorigem Boden wachsen und sich mit der den Schläuchen (Kannen) und den Blättern anhaftenden Ranke an andere Pflanzen anklammern; selbst in unseren Gewächshäusern werden sie sieben bis acht Meter hoch. Ihre ersten Blätter unterscheiden sich kaum von denen anderer Pflanzen; sie sind langgestreckt lanzettförmig, und ihr Mittelnerv verlängert sich mehr oder weniger zu einer Ranke, wie unsere in verkleinertem Maßstabe gegebene Abbildung des Kannenträger von Ceylon (Nepenthes destillatoria L.) zeigt. Aber in dem Maße, in welchem das Wachsthum der Pflanze zunimmt, verlängert sich diese Ranke, ihre Spitze verbreitert sich und wird zu einem Gebilde, das mit einem Kruge viel Aehnlichkeit besitzt. Was diese Aehnlichkeit verstärkt, ist die eigentliche Blattscheibe an dem vorher schon blattartig erweiterten Blattstiele, nämlich der Deckel, welcher die mit einem zierlichen Rande umsäumte Oeffnung verschließt und bei fortschreitendem Wachsthume sich endlich öffnet, ohne sich dann weiter zu verändern. Die von Bréon, einem französischen Reisenden, gemachte Beobachtung, daß der Schlauch, die Kanne von Nepenthes madagascariensis Pois auf Madagascar sich während des Tages so fest schließe, daß der Deckel nur mit Gewalt abgetrennt werden könne, wird von späteren Reisenden geleugnet.

Nepenthes Rajah.

Der Boden der Kanne ist mit einem eigenthümlichen drüsigen Gewebe überzogen, das eine fast reine, meist geschmacklose, zuweilen schwach säuerliche Flüssigkeit absondert, welche am Tage verdunstet und sich während der Nacht wieder ansammelt; sie soll bei der Species von Madagascar den Durst der Reisenden sehr oft gelöscht haben – daher der von Linné gegebene Name Nephenthes, ein Wort, welches Homer und nach ihm Plinius benutzte, nicht um damit eine Pflanze zu bezeichnen, welche, in Wein gethan, hellere Stimmung hervorbringe, sondern ein Kummer und Groll verscheuchendes ägyptisches Zaubermittel, den Sorgenbrecher, welchen (vergleiche Homer’s „Odyssee“ 4, 220[1]) Helena, die liebliche Tochter Kronion’s, ersonnen oder in Aegypten kennen gelernt haben soll. Man bereitete ihn hier aus einer Abkochung von Hanfblättern, woraus ja die Orientalen noch heute ihr Haschisch oder „Molak“ herstellen. Nach Anderen ist aber das ägyptische Bilsenkraut (Hyoscyamus dattura Forsk.) die Nepenthes des Homer, nämlich eine bei Kairo in der Wüste wildwachsende giftige Pflanze, welche die ägyptischen Priester bei ihren religiösen Uebungen benutzten, hauptsächlich um Typhon, die feindliche Gottheit, zu besänftigen.

Man kennt von den Kannenträgern zahlreiche Arten und Abarten, [803] deren Schläuche bald bauchartig geformt sind, bald eine verlängerte Gestalt aufweisen; bei einigen sind sie kaum fingerstark, bei anderen so groß, daß sie mehr als ein halbes Liter Wasser fassen, welches verschiedene Insecten anzieht, die darin meist ihren Tod finden – daher auch die Bezeichnung „Insectenfressende Pflanzen“. – Immer aber haben sie denselben Bau und die Form eines deckelartig geschlossenen, urnenartigen Schlauches, der namentlich bei der am längsten bekannten Art, dem Kannenträger von Ceylon (Nepenthes destillatoria L.) mit gelblich grünen, fünfzehn bis zwanzig Centimeter langen Kannen von der Stärke eines Daumens, an die Blüthen des Osterluzei (Aristolochia Sipho L.), der bekannten Schlingpflanze mit den mächtig großen Blättern, und vielleicht auch an einen hängenden gedeckelten Sack erinnert, welcher an jeder Seite einen in der Längsrichtung mehr oder weniger hervortretenden, an den Rändern gefranzten Kamm, die „Flügel“, trägt. – Die Farbe der Kannen ist doch eine ganz andere, als die der einfachen Blätter; gewöhnlich ist sie grünlichgelb und mehr oder weniger rosa oder braunroth marmorirt.

Die Blumen erscheinen erst bei ziemlich bejahrten Pflanzen in den Blattwinkeln; sie sind eigentlich ziemlich unbedeutend und klein und bilden zusammen eine lange cylinderförmige Traube von gelbgrüner Farbe. Sie sind diöcisch, das heißt eine Pflanze trägt immer nur weibliche, eine andere nur männliche Blüthen, weshalb man sie künstlich befruchten muß, wenn man Samen gewinnen will, was für eine bequeme und sichere Vermehrung nothwendig ist.

Der Kannenträger von Ceylon ist ein kletternder Strauch, der in unseren Gewächshäusern etwa zwei bis drei Meter hoch wird. Von stärkerem Wuchs ist Nepenthes Raffleziana Jacq., eine prachtvolle Art mit großen, grünlichgelben, rothgefleckten Schläuchen, die bald eiförmig ausgebaucht, bald dütenförmig erscheinen; sie sind 25 bis 30 Centimeter lang und 4 bis 6 Centimeter breit; ihre Kannen sind flügelartig, gefranzt, und der Deckel ist etwas gestielt.

Nepenthes Morganiae, „Frau Morgan’s Kannenträger“, ist wahrscheinlich eine in Nordamerika gezogene Varietät von Nepenthes madagascariensis und erhielt ihren Namen zu Ehren der Frau Morgan in New-York, einer der eifrigsten und freigebigsten Beschützerinnen des Gartenbaues in der neuen Welt. Die Firma James Veitch u. Sons in London erhielt von Amerika die Pflanze und hat sie zum Verkauf vermehrt. Diese erwarb sich auf der internationalen Ausstellung in Manchester 1881 eine Medaille erster Classe als Preis für neue Einführungen.

Die größte aller bis jetzt bekannt gewordenen Arten der Kannenpflanze ist jedenfalls Nepenthes Rajah. Sir J. D. Hooker hat sie vor Kurzem in „Transaction of the Linnaean Society“ beschrieben und hinzugefügt: „Diese wundervolle Pflanze wird sicher großes Aufsehen erregen und muß in dieser Beziehung neben die bekannte Riesenblume Rafflesia Arnoldi gestellt werden; auch müssen die Botaniker an den Nutzen erinnert werden, welchen in ihrem Vaterlande die in den Krügen angesammelte Feuchtigkeit den wandernden Forschern gewährt.“ Sie stammt vom Mount Kaina Balu auf Borneo, wo die Herren Veitch und Burbidge in beträchtlicher Höhe Samen dieser Art sammelten, den sie der Firma James Veitch und Sons in London zusandten. Aus diesem sind die Pflanzen entstanden, welche in der Versammlung der „Royal Horticultural Society“ in London eine Medaille erster Classe als Preis für besonders schöne Einführungen erhielten.

Die Cultur derselben ist weder einfach noch leicht. Nach einem Bericht von Thomas Moore in den „Verhandlungen des internationalen botanischen Congresses von 1867“, in Uebersetzung wiedergegeben in Th. Rümpler’s ausgezeichnetem „Illustrirtem Gartenbau-Lexicon“ (Berlin 1882. P. Parey), ist sie aber im Grunde dieselbe wie die der tropischen Orchideen im feuchten Warmhause. Man zieht sie nämlich in faseriger Haide-Erde mit dem dritten Theile Quarzsand und etwas Lehmerde, die aber durchaus kalkfrei sein muß. Die Haide-Erde soll nicht gesiebt, sondern in hasel- bis wallnußgroßen Stücken angewendet werden. Der Wasserabzug in den Töpfen ist mit der größten Sorgfalt herzustellen, und stellt man letztere in Schalen mit Wasser, das in jeder Woche zwei- bis dreimal erneuert werden muß. Im Winter, also von Mitte October bis in den März, läßt man sie ohne Schalen stehen und begießt die Pflanzen, welche man bis dahin sehr stark bewässert hatte, mit Wasser, welches wenigstens die Lufttemperatur des Hauses zeigt, nur sehr sparsam. Die Wärme des Hauses und seiner Luft wechselt von 15 bis 20° R., je nach der Jahreszeit.

Obwohl die Kannenpflanzen sich leicht durch Stecklinge vermehren lassen, so ist do<h die einfachste Fortpflanzungsweise die durch Aussaat der Samen, die man, ohne sie zu bedecken, in Schalen mit fortwährend feucht zu haltender Haide-Erde ausstreut. Die Temperatur muß 20° R. betragen. Ein oder zwei Monate nach dem Aufgehen werden die Pflänzchen in Schalen mit Sand auf sandiger Haide-Erde aus einander gepflanzt (pikirt) und mit einer Glasscheibe zugedeckt. Die Temperatur des Hauses muß jedoch in den Culturen fortwährend in oben angegebener Höhe, die Luft aber sehr feucht gehalten werden. Es stellt sich dabei gern eine Fadenalge ein, welche sich stark vermehrt und die Pflänzchen tödtet; sobald man sie bemerkt, muß man sofort die jungen Pflanzen ausheben, möglichst reinigen und in durchaus frische, aber durchwärmte Erde setzen.


  1. „Siehe, sie warf in den Wein, wovon sie tranken, ein Mittel
    Gegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtniß.
    Kostet Einer des Weins, mit dieser Würze gemischet,
    Dann benetzet den Tag ihm keine Thräne die Wangen,
    Wär’ ihm auch sein Vater und seine Mutter gestorben,
    Würde vor ihm sein Bruder, und sein geliebtester Sohn auch
    Mit dem Schwerte getödtet, daß seine Augen es sähen.
    Siehe, so heilsam war die künstlich bereitete Würze,
    Welche Helenen einst die Gemahlin Thon’s Polydamma
    In Aegyptos geschenkt.“