Die Königin von Abyssinien
„Aha, diesmal eine Reclame für Renz!“ wird Mancher beim Anblick unseres Bildes und dieser Zeilen denken, und es liegt mir bei solcher gewiß nicht irrigen Voraussetzung recht nahe, meine Ansichten über die Reclamemacherei unserer Zeit auszusprechen, ich will mich aber darauf beschränken, zu sagen, daß meiner Meinung nach in einem vielgelesenen Blatte jede wohlwollende und anregende Besprechung eines interessanten Gegenstandes zur Reclame im weitern Sinne des Wortes wird – versteht man aber darunter ein geflissentliches Loben zum Zweck geschäftlichen Vortheils, was doch wohl die richtige Erklärung des Wortes „Reclame“ ist, so bin ich der Ausübung derselben ungefähr so nahe, wie unsere wackere Erde dem edlen Sirius. Was nun obendrein Renz betrifft, so ist dieser doch wahrlich über die Reclame hinaus; da, wohin er nicht kommt, kann sie ihm Nichts helfen, und wo er erscheint, stellt sich die Ansicht über seine Leistungen durch diese selbst so schnell durch mündliche Mittheilung fest, daß lobende Besprechungen in den Blättern eine sehr bescheidene Rolle hinsichtlich der Empfehlung spielen dürften. Wollte man die jetzigen Renz’schen Vorführungen öffentlich tadeln, würde eine Gegenprobe die Hinfälligkeit solchen Thuns sofort beweisen.
Es liegt nahe, bei der Besprechung des vorliegenden Gegenstandes sich den Gedankengang zu vergegenwärtigen, von welchem Renz geleitet worden ist, bis er zu seinen jetzigen Leistungen und dem „Afrikanischen Fest“, der Spitze derselben, gelangte. Daß in Bezug auf die eigentlichen Kunstreiterkünste ein steter Fortschritt nicht möglich, mußte ihm bald klar werden; seit langen Jahren hat er daher immer noch für Etwas von ganz besonderer Anziehungskraft gesorgt, um das Publicum zu fesseln und der wachsenden Concurrenz zu begegnen. Die Brülldressur von Batty’s Löwen, das Scheusal Julia Pastrana und andere derartige Effectstücke haben diesen Zweck früher sehr gut erfüllt, aber Renz war dabei immer von dem zufälligen Vorhandensein einer solchen Neuigkeit und der oft mißlichen Aufgabe abhängig, sich dieselbe als der Erste unter seinen Concurrenten, also so lange sie wirklich noch den Reiz des Neuen hatte, zu verschaffen. Das hat ihn offenbar darauf geführt, die Herstellung dieser besonders anziehenden Productionen selbst in die Hand zu nehmen; diesem Gedanken sind wohl die Aufführungen der Märchen „Schneewittchen“ und „Aschenbrödel“ entsprungen, und, nachdem dieselben bald auch von anderen Gesellschaften vorgeführt wurden, andere Leistungen, welche schwerer nachzuahmen sind, vor Allem das Afrikanische Jagdfest, oder wie es gegenwärtig bei Renz’ Aufenthalt in Leipzig genannt wird: „Die Königin von Abyssinien“.
Als ich das Stück in Berlin eine Reihe von Tagen hintereinander gesehen hatte, fragte ich den Regisseur, Herrn Neiß, einmal nach den Kosten der Einrichtung. „Die sind gar nicht zu berechnen und festzustellen,“ war die Antwort. Nach näheren Mittheilungen, von denen hier Einiges folgt, leuchtet mir die Wahrheit dieser Behauptung völlig ein.
Das Fest ist im Winter 1874 bis 1875 zuerst, und zwar in Berlin, aufgeführt worden; es sind dazu sechsundzwanzig Balletdamen engagirt worden, deren geringste Monatsgage zweihundertzehn Mark beträgt. Die Costüme, deren Pracht aller Beschreibung spottet, waren bis zum Januar 1876 schon zum vierten Male erneuert, sind übrigens immer doppelt vorhanden. Ihrethalben hauptsächlich sind stets eine Anzahl Schneider und Schneiderinnen beim Circus engagirt und mit ihm auf Reisen, außerdem aber für den ganzen Circusbedarf ein Sattelmacher mit Gehülfen, ebenso ein Zimmermann und ein Decorationsmaler. An Thieren für die „Jagden“ waren bis Januar 1876 sechs Giraffen, sechs Strauße, acht Lamas, neun Antilopen, drei Elephanten und vier Känguruhs angeschafft worden. Davon waren in jenem Monat noch zwei Giraffen, drei Strauße, drei Lamas, eine Antilope, zwei Elephanten und die damals erst angeschafften Känguruhs übrig. Gegenwärtig (1. Mai) ist kein Strauß mehr vorhanden; die Giraffen sind bereits wieder neu angeschafft worden; die eine Antilope befindet sich im Berliner Zoologischen Garten zur Cur etc. Wie nun dieses Material an Menschen und Thieren in dem „Afrikanischen Feste“ vorgeführt wird, das mögen die folgenden Zeilen Denen zu schildern versuchen, welche nicht in der Lage sind, aus eigener Anschauung sich den Genuß dieses Schauspiels zu verschaffen.
Nachdem die Kunstreiterleistungen der ersten Abtheilung beendet, wird der Circus mit zwei über einander liegenden Decken belegt, von denen die obere einen farbigen, sehr schön wirkenden Teppich darstellt. Ein Thron wird am Circusausgange, dem eigentlichen Eingange gegenüber, aufgestellt und auch der letztere durch ein improvisirtes Thor mehr hervorgehoben. Jetzt ertönt die Musik, und eine eintretende Kabylenwache, welcher zwei Ceremonienmeister und zwei Wilde mit Keulen folgen, eröffnet das Schauspiel. Die erstern besetzen den Eingang; die letztern stellen sich zu den Seiten des Thrones auf. Pomphafte Marschmusik kündigt nun die Ankunft der Königin an, und indem sie, gefolgt von zwei Hofdamen, erscheint, ergießt sich von oben ein Strahl elektrischen Lichts auf die Gruppe, bis die Drei auf den Sesseln des Thrones Platz genommen haben. Nun erscheinen nach und nach die geladenen Gäste, Fürsten und Fürstinnen, braune, schwarze, mit ihren Dienern und Dienerinnen; alle bezeigen in afrikanischer Weise ihre Huldigung und nehmen dann rechts und links auf den Sitzen im Kreise Platz.
Dazwischen erscheint eine Blumenspenderin, ebenso eine jugendliche Tänzerin, alle aber glänzen in farbenreichen und stets verschiedenartigen Costümen. Zwei Fürstinnen nehmen noch neben der Königin Platz, unter denen namentlich die Eine eine wahrhaft holdselige Erscheinung ist – es ist Renz’ jüngste Tochter.
Und nun herein, ihr kleinen Mohrenkinder! Kniet nieder vor der Königin und dann führt trippelnd eure Tänze auf mit Anschlagen an die Holzhalbkugeln, welche ihr auf Bauch, Rücken und Beinen tragt! – eine sehr hölzerne, aber recht bezeichnend afrikanische Musik. Nun aber macht diese Komik der Grazie, Schönheit und Pracht plötzlich Platz; denn in Abtheilungen zu je Vier, die in gleichen Farben prangen, treten jetzt unter lieblicher Musik die Sclavinnen ein, jede einen grüngoldenen Palmenzweig tragend. Die sie bestrahlende elektrische Beleuchtung taucht sie in ein Meer von farbenwechselndem Glanze, welches um so zauberhafter wirkt, als bei gedämpftem Gaslichte die Zuschauerräume wie im Dunkel erscheinen. Die Tänze und Gruppirungen dieser jugendlichen Gestalten machen stets einen bestrickenden Eindruck auf die Zuschauer, wenn sich aber alle die reizenden Tänzerinnen mit ringsherausgehaltenen Palmenzweigen gleichsam zu einem Palmenwipfel gruppiren, – immer ist es dieser eine Anblick, welcher das Publicum zu rauschendem Applaus hinreißt.
Sind diese Tänze, woran sich auch die einiger Solotänzerinnen schließen, beendet, so erhebt sich die Königin und verläßt, gefolgt von den Anwesenden und einige Male im Circus herumschreitend, den Schauplatz und dieser wird nun zur Jagd vorbereitet. Teppich, Sessel, Thron, Thor verschwinden; dagegen werden hölzerne Schranken, welche das Ausbrechen der Thiere verhindern, rings aufgerichtet, und nun erscheinen zuerst die berittenen Jäger zum Rendez-vous. Sind sie fort, herrscht einen Augenblick erwartungsvolle Stille. Drei langhälsige Giraffen treten ein und schauen sich neugierig im Circus um. Aber das Geschrei der hereinstürmenden Reiter scheucht sie auf; vier-, fünf-, sechsmal werden sie jetzt im Circus herumgehetzt, wobei ihr grotesker Galopp zur Erscheinung kommt, bis sie entlassen werden. Jetzt treten zwei Elephanten durch den geöffneten Eingang und eilen quer durch den Circus dem Ausgange zu, ihnen nach die verfolgenden Reiter, bis sie nach wiederholtem Durchrennen eingeholt sind und von zwei Reitern bestiegen werden. Den auf dem kleinsten Elephanten Reitenden läßt das praktische Schicksal stets vor dem Ausgange herunterfallen, damit der Kleine die Barrière besser überklettern kann. Sind die Elephanten bezwungen, so hüpfen plötzlich vier Känguruhs in den Raum, ein auf die Zuschauer höchst komisch wirkender Anblick. Auch sie werden von einigen Reitern gehetzt, wobei aber am Schlusse mancher der Hüpfer sich allzu träge zeigt, sodaß ein abgestiegener Reiter ihm seine Aufgabe deutlicher machen muß, indem er den Schweif des Thieres erfaßt und
[338][340] der Bewegung desselben durch Schieben nachhilft. Die Lamajagd macht den Schluß: vier dieser schlanken Thiere stürzen herein und werden, wie die Elephanten, quer durch den Raum wiederholt gehetzt, und daß dies in sausendem Galopp geschieht, erhöht außerordentlich den lebenswahren Eindruck. In Berlin wurden auch Strauße gejagt, ja, in Hamburg (freilich andere Exemplare) sogar von kleinen Knaben geritten.
Die Jagd ist vorüber; die Schranken schwinden; ein Corps reizender Jägerinnen tritt mit Pfeil und Bogen auf, prachtvoll, aber zugleich praktisch zur Jagd gekleidet, indem alle Kleidungsstücke möglichst eng anschließen. Unter Jagdmusik ziehen sie ein und führen uns nun auch eine Reihe reizender Tänze und Gruppirungen vor, wobei von Neuem das elektrische Licht Alles auf’s Herrlichste bestrahlt. Und alsdann folgt der Schluß, den unser heutiges Bild wiederzugeben versucht. An der Spitze des eintretenden Festzuges sehen wir die Königin auf einem die Gestalt eines radschlagenden Pfauen darstellenden „goldenen“ Wagen, der von zwei lebenden, prächtig angeschirrten Giraffen gezogen wird, deren Zügel sie selber lenkt. Hinter ihr das männliche Gefolge und die sich anschließenden Jägerinnen, sodann der kleine Elephant, welcher einen Wagen zieht, auf dem ein Mohrenfürst sitzt, umgeben von seinen Dienern, hierauf der größere Elephant mit zwei Hofdamen und zuletzt ein Kameel (jetzt ein einhöckeriges, bei der Aufnahme des Bildes ein zweihöckeriges) mit den „Kindern“ der Königin. Die Wirkung dieses den Circus mehrmals umkreisenden Zuges ist großartig, und bei der blendenden elektrischen Beleuchtung geradezu märchenhaft – kein Wunder daher, daß, wenn der Letzte des Zuges verschwunden ist, der Beifall donnernd losbricht und, so viel ich bisher in Hamburg, Berlin und Leipzig beobachtet habe, der Director Renz stets dreimal gerufen wird.
Wer bisher noch bezweifeln konnte, daß sich auch in solchen Leistungen eine geniale Thätigkeit entwickeln läßt, weil er sie für nichts weiter als Routine hielt, der wird nach Anschauung dieser Vorstellung seine Ansicht sicher berichtigen und gewiß mit uns darin übereinstimmen, daß jetzt der Circus Renz einzig in seiner Art und der Leiter desselben in seinem Berufe ein Genie ersten Ranges ist.