Die Heimath in der neuen Welt/Erster Band/Fünfzehnter Brief

Vierzehnter Brief Die Heimath in der neuen Welt. Erster Band
von Fredrika Bremer
Sechszehnter Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band
Untertitel: Fünfzehnter Brief
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Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
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Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Första delen.
Originalsubtitel: Femtonde brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Fünfzehnter Brief.
Macon, Vineville den 8. Mai.  

Meine geliebte Mama! Daß unsre Agatha und also auch Sie, Mama, einen ungewöhnlich prüfungsvollen Winter überstehen mußten, hat mir viel Kummer bereitet. Gott sei Dank, daß er jetzt vorbei, daß die Sonnenseite des Jahres wieder da ist und mit ihr frohere Aussichten. Die Bäder von Marsstrand werden gewiß für Agatha eine vortreffliche Wirkung haben. Aber sehr stark werden wir unsre arme gute Freundin wohl niemals sehen. In Bezug auf den Wunsch, den ich neulich gegen Agatha geäußert habe, kann ich blos hier wiederholen, daß er mir nicht sehr stark am Herzen liegt und daß ich bereit bin, mich einem andern von meinen Geliebten in der Heimath zu fügen.

Wie wohl und glücklich ich mich unter den guten Menschen in diesem gastlichen Lande befinde, daß für mich gleichsam eine große Heimath geworden ist, haben Sie bereits aus meinen Briefen erfahren. Ich fahre in Amerika von Haus zu Haus und werde überall wie ein Kind der Familie empfangen und behandelt. Außer dem Guten, was dieß für das geistige und leibliche Leben mit sich führt, bekomme ich Gelegenheit, das Familienleben in der neuen Welt zu sehen und somit das Innerste des Lebens in diesem Welttheil auf eine Art kennen zu lernen, wie kaum irgend ein anderer Reisender vor mir, auf eine Art, die für mich von der höchsten Wichtigkeit ist, denn just das war es, was ich hier kennen lernen wollte. Aber ich hatte keine Ahnung davon, auf welch angenehme Weise die Freundlichkeit und Gastfreundschaft diesem Wunsch entgegen kommen würden. Die Art, wie die Wohnungen hier zu Lande auch in den Städten eingerichtet sind, hat ebenfalls einigen Theil daran. Jede Familie bewohnt, wenn sie sich nur in einigermaßen guten Umständen befindet, ein ganzes Haus und hat dabei gewöhnlich einen kleinen Garten oder wenigstens einen Gartenplan. Das Haus hat im untern Stock einen oder zwei Salons nebst Speisesaal, Küche u. s. w. Alle Schlafzimmer sind im obern Stock und da finden sich immer ein, zwei oder auch mehrere Zimmer für Gäste. Ein Gastzimmer in einem amerikanischen Haus in der Stadt ist eine ebenso gegebene Sache, wie für uns in Schweden, daß wir in unsern Landhäusern Gastzimmer haben. Jedes Haus hier, in der Stadt oder auf dem Land, muß ein Zimmer haben, um einen Fremdling zu beherbergen. Und als jetzt eine fremde Person ganz allein und auch mit keinen sonderlichen Ansprüchen aus weit entlegenen Landen hieher kam, so war es nicht sehr beschwerlich, sie im Gastzimmer zu beberbergen, und so, Mama, wurde das Land eine große Wohnung mit Gastzimmern für Ihre Tochter. Daß ich da das Behagen meines eigenen Hauses gefunden, daß ich mütterliche Hausfrauen, Schwestern und Brüder gefunden, mit denen ich so offen und vertraulich, wie mit den meinigen gelebt und gesprochen habe und noch lebe und spreche, daran habe ich erkannt, daß das Himmelreich doch nicht so weit von der Erde entfernt ist, wenigstens nicht von der Heimath der Erde; denn wie könnte man sonst mit beinahe ganz fremden Menschen ebenso offen und unverdeckt umgehen, wie man mit Engeln Gottes thun würde?

Auch jetzt schreibe ich aus einer guten, schönen und glücklichen Heimath, drei Generationen umschließend, den alten Mr. Munroe und seine Frau, schöne und noch muntere alte Leute, ihren einzigen Sohn, einen hochgeachteten Banquier in Macon, seine angenehme, milde und mütterliche Frau und ihre Kinder. Die Familie ist ausgezeichnet herzlich, ernst und gottesfürchtig, wie ich die Familien hier zu Lande oft finde, und sie verrichtet ihre Morgen- und Abendandacht, was ich sehr liebe, obschon mir die Gebete manchmal lang genug vorkommen. Die zwei ältesten Töchter sind schöne, allerliebste junge Mädchen und singen besser als gewöhnlich die Frauenzimmer hier zu Lande. Ein stiller Kummer ruht noch auf der Familie, wegen des unlängst erfolgten Todes einer geliebten Schwester und Tochter, deren Verlust besonders das Herz der Mutter tief ergriffen zu haben scheint. Ich wohne hier mitten in einem großen Garten mit vielen schönen, seltenen Pflanzen und ich höre den hundertzüngigen amerikanischen Nachahmungsvogel jeden Morgen vor meinem Fenster singen. Er ist recht lustig anzuhören, aber doch mehr eigenthümlich als entzückend, und er läßt sich mit unsern Lerchen und Nachtigallen so wenig vergleichen, als die singenden Menschenstimmen hier zu Lande sich mit den Stimmen in Schweden vergleichen lassen. Jedes Land und Volk hat seine Eigenthümlichkeiten.

Es gibt im Familienleben hier zu Lande Verschiedenes, was ich bei uns in Schweden allgemein zu sehen wünschte. Dahin gehört die sehr gebräuchliche häusliche Familienandacht Morgens und Abends und das einfache Gebet, womit die Mahlzeit gewöhnlich von der Hausmutter geheiligt wird: „O Gott, segne diese Deine Gabe zu unserem Nutzen und uns zu Deinem Dienst.“ Bei uns ist es gewöhnlich das jüngste Kind im Hause, das betet, wenn die Tischgebete laut gesprochen werden, und dieß ist auch schön, nur daß das Kind selten dabei den rechten Geist hat und haben kann. Am häufigsten jedoch ist unser Tischgebet eine stumme Verbeugung und dabei denkt man an nichts anderes, als — — an das Essen.

Dagegen gefallen mir die Tischgebräuche bei uns besser. Bei uns kann man sich dem Gespräch widmen, und man denkt an die Speisen blos um sie zu genießen. Die Bedienung geschieht ganz still und in gegebener Ordnung von Seiten der Aufwärter. Auf den Wink der Wirthin wird ein anderer Gang geboten, aber auch still; die Gerichte kommen den Gästen einmal seiner Zeit zu und darnach hat man Ruhe vor ihnen. Hier ist es nicht so. Hier ist ein unaufhörliches Fragen und Anbieten und Wählen und Antworten gar keine Ruhe bekommt, um die Mahlzeit und noch weniger um ein Gespräch zu genießen. Auch darf man nicht selbst nehmen, sondern der Wirth oder die Wirthin oder Tante oder Onkel oder eine andere artige Person oder auch der Aufwärter — im Süden immer ein Neger — legt Ihnen vor, und man bekommt dann selten just was oder so viel man will und auch nicht auf diejenige Stelle des Tellers, wo man es wünscht. Da wird z. B. gefragt: „Wünschen Sie Butter?“ — „Ja, ich bitte.“ — Und jetzt kommt ein Stückchen Butter an einem Messer, wird an den Rand ihres Tellers gestrichen, wobei mir immer der widerwärtige Gedanke kommt: gewiß hat der Aufwärter gerade da seinen Daumen gehalten. Ferner: „Wollen Sie Fisch oder Fleisch? … Huhn oder Truthahn?“ — „Huhn, wenn ich bitten darf (if you please)!“ — „Haben Sie eine Wahl, Brust oder Flügel?“ — Weiter: „Wollen Sie Pöckelfleisch?“ — „Nein, ich danke.“ Pause und Ruhe zwei Minuten lang. Aber jetzt entdeckt Jemand auf meiner linken Seite, daß ich kein Pöckelfleisch erhalten habe, und das Pöckelfleisch kommt mir von der linken Seite zu: „Darf ich Ihnen Pöckelfleisch vorlegen?“ — „Nein, ich danke, es ist nichts für mich!“ — In ein Paar Minuten sieht eine Person rechts von mir, daß ich kein Pöckelfleisch habe, und beeilt sich, mir die Platte hinzuhalten. „Wollen Sie kein Pöckelfleisch?“ — „Nein, ich danke!“ — Jetzt habe ich ein interessantes Gespräch mit meinem nächsten Nachbar angefangen. Und just während ich im Begriff stehe, ihn etwas Wichtiges zu fragen, hat eine Person gegenüber bemerkt, daß ich kein Pöckelfleisch habe. Und die Pöckelfleischplatte kommt quer über den Tisch gegen mich zu und ich fühle mich zur Selbstvertheidigung aufgefordert und muß wieder sagen: „Nein, ich danke recht sehr.“ — Und ich setze mein Gespräch fort: aber just während ich eine interessante Antwort anhöre, kommt der Aufwärter, vielleicht der beste „Daddy“ in der ganzen schwarzen Welt, mit der Pöckelfleischplatte über meinem Kopf, schiebt sie zwischen mich und den mit mir sprechenden Nachbar und mit Entsetzen sehe ich wiederum Pöckelfleisch, das im Begriff steht, auf meinen Teller zu kommen, so daß ich endlich allen Muth verliere und in Verzweiflung gerathe über die Verfolgungen des Pöckelfleisches. So geht die Mahlzeit under einer unaufhörlichen Beschäftigung mit Serviren fort, was mir alles Vergnügen daran raubt. Ich bekomme zuletzt ordentlich Herzklopfen vor Unruhe und Ungeduld, und dieß ist wohl zum Theil meine eigene Schuld, die Schuld meiner Schwachheit, aber auch die Schuld des Landesbrauches, der mit den Forderungen höherer Civilisation nicht im rechten Einklang steht. Dieser Brauch stammt inzwischen nicht von hier, sondern er gehört England an und muß England auf die Rechnung geschrieben werden. — Wir in Schweden haben in Bezug auf Mahlzeiten mehr die französischen Sitten und dazu können wir uns nur Glück wünschen.

Aber in einem Punkt scheint mir das Hauswesen der neuen Welt das in allen andern Ländern zu übertreffen, mit Ausnahme Englands, mit dem sie in der nächsten Verbindung steht, nämlich im Punkte der Reinlichkeit. Unsere allerbesten Häuser in Schweden sind in dieser Beziehung selten so gut bedacht, wie die gewöhnlichen hier. Denn Alles wird hier sauber und rein gehalten, vom Schlafzimmer an bis zur Küche, und das Gesinde wird zu derselben Nettigkeit in Kleidung und Haltung angewiesen, wie die Frau und die Töchter im Hause. Ein amerikanisches Hauswesen ist in vielen Beziehungen das Ideal eines Hauswesens, mit einziger Ausnahme der Wärmungsanstalten in den nördlichen Staaten. alles findet sich da, was das Leben frisch, comfortabel und angenehm machen kann, vom Badzimmer an bis zum Gärtchen (in der Stadt, wie auf dem Land), mit seinen, wenn auch oft nur wenigen Bäumen, mit seinem schönen Graswall und grünen Gewächsen, die gewöhnlich in Ranken an der Mauer hinaufgezogen werden, wo ihre Blumen am Fenster duften und im Winde flüstern. Und wenn eine Hausmutter hier, besonders im Süden, es in Bezug auf die Haushaltung selbst leichter hat, als unsere Frauen (denn Speck und grüne Gemüse gibt es hier jeden Tag im Jahr) hier, wo man das Jahr nach Sommern rechnen kann, wie wir es nach Wintern rechnen und während der lebendigen Jahrszeit trocknen, einsalzen und einmachen müssen, um für die todte etwas bereit zu haben, so haben sie doch gleichwohl vieles zu besorgen und zu beaufsichtigen, um Haus und Hof nicht bloß in gutem, sondern auch in schönem Stand zu erhalten, zumal in den südlichen Staaten, wo alle Diener der Negerrace angehören, die von Natur nachlässig und etwas unsauber ist. Ich bewundere daher auch, was ich von den Frauen und Hausmüttern des Südens gesehen habe.

Die jungen Mädchen dagegen möchte ich im Innern des Hauses etwas thätiger und ihren Müttern im einen und andern etwas mehr an die Hand gehen sehen. Aber das ist nicht der Brauch und die Eltern scheinen aus mißverstandener Zärtlichkeit nicht zu wollen, daß die Töchter etwas anderes thun, als sich belustigen und ihre Freiheit und ihr Leben so viel wie möglich genießen. Ich glaube, sie würden glücklicher sein, wenn sie sich nützlicher zu machen wüßsten. Die Familienverhältnisse zwischen den Eltern und Kindern scheinen mir im Allgemeinen schön zu sein, besonders von Seiten der Eltern. Dem amerikanischen Weib ist das schöne Gefühl der Mütterlichkeit in seiner Wärme und Innigkeit angeboren, und bessere, zärtlichere Familienväter als die amerikanischen Männer habe ich nirgends auf Erden gesehen. Sie haben besonders eine bezaubernde Schwachheit für ihre Töchter. Und Gott segne sie dafür! Ich hoffe, die Töchter werden es ihnen mit Kraft zu vergelten verstehen.

Jetzt muß ich von Ihnen Abschied nehmen, liebe Mama! denn ich werde mit der Familie hier ausfahren, um einige altindianische Gräber zu besuchen. Sie sind eine Art von gigantischen Geschlechtshügeln und nunmehr mit Bäumen bewachsen. Sie sind die einzigen Erinnerungen, die hier von der Ureinwohnern des Landes übrig bleiben, außer den Namen, welche diese den Flüssen und Höhen gegeben haben und die meistentheils beibehalten sind. Sie sind symbolisch und meistens sehr wohllautend. Es sind nicht mehr als 20 Jahre, seit die letzten Indianerstämme in Georgien durch Waffengewalt vertrieben wurden, und ich habe von Augenzeugen den Auftritt an dem Morgen schildern hören, wo sie ihre Zelte, ihre rauchenden Herde, ihre Gräber verlassen mußten und sammt und sonders, Männer, Weiber und Kinder, wie eine wehrlose Heerde, fortgejagt wurden, die Lüfte mit ihren Klagerufen erfüllend! Jetzt finden sich keine Indianer mehr in Georgien und Carolina; aber in Alabama (dem westlichen Nachbarstaat) gibt es noch Stämme der Choctas und der Chiekasaw-Indianer. Auf den altindianischen Grabhügeln werden jetzt lustige Picknicks oder Vergnügungspartheieen gehalten. Morgen reise ich nach Savannah.

Savannah, den 11. Mai.  

Und da bin ich jetzt, meine liebe Mama, nach einem herzlichen Abschied von der liebenswürdigen Familie in Vineville, die mir so unendlich viel Gutes erwiesen hat, daß ich gerne auf immer mit ihr leben möchte. Ich machte es gestern Abend so schnell als möglich mit einer Migräne ab nach der ermüdenden Tagereise auf der Eisenbahn, in Sonnenhitze, Rauch und Staub, wobei mein Bananaskörbchen mein einziger Trost und meine einzige Erquickung war. Es lebe die Bananas! Heute habe ich Besuche und Blumen empfangen, unter den letzteren eine Magnolia grandiflora, eine Prachtblume, ein ebenso edles, als schönes Kind des Urlichtes; und unter den ersteren eine piquante junge Frau, die sich mit 14 Jahren (sie hat jetzt blos 17, sieht aber aus, als wäre sie über 20) entführen ließ und die mich heute Nachmittag zu einer Spazierfahrt nach Bonaventura, einem romantischen Orte, entführen will. Ihre dunkeln, schwärmerischen Augen haben auch etwas sehr Interessantes und Romantisches.

Später.

Besuch von dem größten Autographensammler in der Welt, Mr. Tefft, der mir freundlich sein Haus in Savannah anbietet! — Und da kommt jetzt mein schweizerischer Professor und will von Poesie und Religion und dem Geist der Dinge sprechen, und jetzt ist es Mittagszeit und ich muß an meinen Leib denken. Vor allen Dingen jedoch muß ich meinen Brief schließen. Aber zuerst einen Kuß auf dem Papier und im Geist an meine Lieben!

Vierzehnter Brief Die Heimath in der neuen Welt. Erster Band
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