Die Hauptstadt eines asiatischen Weltreiches

Textdaten
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Titel: Die Hauptstadt eines asiatischen Weltreiches
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 640–643
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Hauptstadt eines asiatischen Weltreiches.
Aus der Reisemappe eines Künstlers.

Zu einer der angenehmsten Erinnerungen meiner vielen Reisen gehört der langjährige Aufenthalt in Astrachan. Schon der erste Anblick dieser wichtigen Stadt auf der Grenzscheide zwischen Europa und Asien machte auf mich, als sich unser Dampfer auf den Wellen der mächtigen Wolga dem Orte zuschaukelte, einen großartigen Eindruck. Ich habe seit jener Zeit nur eine Stadt wieder gesehen, welche in Lage und Eindruck der asiatischen Hauptstadt annähernd gleicht – es ist Pesth, wenn man bei Sonnenuntergang auf einem Wiener Dampfer der Hauptstadt Ungarns zueilt, aber dieser Eindruck ist verhältnißmäßig doch immer ein kleiner, weil der Donaustadt die großen mächtigen Gebäude fehlen, die Astrachan zieren.

Astrachan, oder das „Drachenhaus“ – dies bedeutet der tatarische Name – liegt auf einer Insel der Wolga, wo die Tataren, um sich gegen die Angriffe der Russen zu schützen, eine Festung erbaut hatten. Diese, jetzt Kreml genannt, nimmt den höchsten Punkt der Insel ein, und bietet durch die Kathedrale mit ihren fünf prächtigen, himmelanstrebenden Kuppeln, nebst den übrigen Kirchen, namentlich aber dem Palast des Erzbischofs, einen imposanten Anblick. Sie ist von einer einzigen Ringmauer aus Backsteinen umgeben, und dient hauptsächlich als Waffendepot für die Armee im Kaukasus und die Flotte des caspischen Meeres. Obwohl kein Sebastopol oder Kronstadt, ist doch Astrachan vermöge seiner Lage strategisch wichtig. Von friedlichen Volksstämmen umgeben, die sich glücklich schätzen, unter dem Scepter des mächtigen Zaren zu wohnen, ist es vor jedem Angriffe zu Lande wie von der Seeseite her sicher, denn auf dem caspischen Meere führt Rußland allein die Herrschaft, die ihm hier keine andere Macht streitig machen kann. Als größte Flottenstation und durch seine Schiffswerften ist Astrachan jetzt schon eine der wichtigsten Städte in diesen Gegenden des Reiches. Als Beherrscherin des caspischen Meeres wird es ohne Zweifel in den Kämpfen, die sich früher oder später einmal um den Besitz Persiens und die Herrschaft über Asien entspinnen müssen, eine bedeutende Rolle spielen, und eignet sich mehr als irgend eine andere Stadt zur Hauptstadt eines asiatischen Weltreiches.

In weiter Ferne schon konnte ich den Mastenwald der zahlreichen Schiffe erblicken, welche die Wolga und das caspische Meer befahren, unter denen sich die letzteren besonders durch ihre auffallende Höhe auszeichnen; alle sind reich mit Schnitzwerk verziert. Ungeheure Vorrähe von Waaren, die aus Persien kommen und durch Dampfschiffe auf der Wolga in das Innere Rußlands

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Russen.   Der Basar in Astrachan.     Persische Frauen.
Der Palast des Erzbischofs mit der Kathedrale.   Ankommende Kirgisen.   Perser  

[642] befördert werden, liegen am Ufer aufgespeichert und zeigen, daß die Stadt auch als Handelsplatz noch immer ihre frühere Bedeutung nicht gänzlich verloren hat, obwohl den wichtigsten Handelszweig gegenwärtig nur die Fische bilden, welche in der Wolga und dem caspischen Meere gefangen und von hier aus, gesalzen oder getrocknet, nach allen Seiten versandt werden. Der Handel ist sehr einträglich, und wird ungeachtet des pestilenzialischen Gestankes, welcher in der Nähe der Niederlagen herrscht, in denen ich die Fische zu Tausenden aufgespeichert liegen sah, von vielen Kaufleuten betrieben, die zum Theil mit Nichts angefangen und im Laufe weniger Jahre ein bedeutendes Vermögen erworben haben. Früher ging ein Handelsweg zwischen Europa und Indien über Astrachan, und indische Kaufleute hatten hier ihre Factoreien; die früher ziemlich bedeutende Colonie ist aber jetzt wegen Mangel an Frauen bis auf einige Greise ausgestorben.

Astrachan ist im Vergleich zu europäischen Städten keineswegs schön gebaut, besitzt aber manche stattliche Gebäude und mehrere große freie Plätze, unter denen sich namentlich das Square vor dem Hause des Gouverneurs auszeichnet, wo an Festtagen die Capelle des Stabes der caspischen Flotte spielt, und an dessen Unterhaltung jährlich eine Summe von 300 Rubel Silber verwandt wird. Der Totaleindruck ist der einer orientalischen Stadt; die Straßen sind nicht gepflastert, was bei dem feinen Sande, aus dem der Boden besteht, nicht gut möglich ist. Pflastersteine würden überdies nur mit bedeutenden Kosten bis hierher gebracht werden können. Nur an den Häusern läuft ein schmales Trottoir von Ziegeln hin, die mit der schmalen Seite eingelegt sind und ein hübsch gemustertes Mosaik bilden. Im Frühjahr und Herbst, wenn starker Wind wehte, kam es nicht selten vor, daß ich des Morgens die Hausthür mit Sand verweht fand. Die Häuser sind im Allgemeinen niedrig, ein oder zwei Stockwerk hoch, mit flachen Dächern, denen man, um die Einwirkung der Sonnenstrahlen zu mildern, eine Decke von Kalk gibt, und umschließen meist einen viereckigen geräumigen Hof, um welchen an allen vier Seiten Gallerieen laufen, auf denen die Bewohner der großen Hitze wegen einen großen Theil des Tages und im Sommer selbst die Nacht zubringen.

Mitten durch die Stadt führt ein Canal, der die beiden Arme der Wolga verbindet, und der für die Stadt sehr wichtig ist, weil er die vom Flusse entfernten Stadttheile mit Wasser versorgt, und die kleinen Canäle und Gräben aufnimmt, welche das nach den jährlichen Ueberschwemmungen zurückbleibende Wasser ableiten. Der Quai ist im Sommer und Winter ein beliebter Spaziergang, und wenn der Canal zugefroren ist, werden hier Schlittenpartieen veranstaltet, und die liebe armenische und tatarische Jugend rauft und bombardirt sich hier mit Schneebällen, bis irgend ein russischer Polizeibeamter als Friedensstifter zwischen die Parteien tritt. Die Erbauung des Canals hat mehrere Millionen gekostet; er wurde von einem Griechen angelegt, der, wie man mir erzählt, durch Seeräuberei auf dem caspischen Meere ein unermeßliches Vermögen erworben hatte.

Vielleicht in keiner Stadt der Erde finden sich so viele und verschiedene Nationalitäten beisammen, wie in Astrachan. Russen, Tataren, Armenier, Kalmüken, Perser, Indier, Truchmenen, Bucharen, Chiwinzer, Georgier, Lesghier, Griechen und Repräsentanten aller europäischen Nationen treiben in buntem Gewühl durcheinander, und namentlich vor und nach der großen Messe in Nischnei-Nowgorod bieten die Straßen und Landungsplätze das Schauspiel einer großartigen Maskerade. Den wohlhabendsten Theil der Bevölkerung bilden die Armenier, in deren Händen sich fast ausschließlich der Handel und Geldwechsel befindet. Sie entwickeln in ihrer Kleidung eine große Pracht, namentlich die Frauen, halten prächtige Equipagen, geben aber ihren Pferden wenig zu fressen, die daher immer mager aussehen. In ihrer übrigen Lebensweise sind sie einfach, mäßig und nüchtern und nur Süßigkeiten sehr zugethan. Zu ihrer Bedienung wählen die Reicheren gewöhnlich tatarische Knaben, die sie Malai nennen, und deren Unterhalt ihnen nicht viel kosten darf. An eine ordentliche Kleidung ist nicht zu denken, und man sieht nicht selten neben einer reichgekleideten armenischen Dame anstatt des Livreebedienten einen schmutzigen, mit Fetzen behangenen Tatarenknaben einhertraben. Die Armenierinnen sind im Allgemeinen schön, haben aber meist etwas markirte Züge; sie sind sehr häuslich und in der Regel bessere Hausfrauen, als die Russinnen.

Im Sommer strömt des Sonntags die armenische Bevölkerung zur Stadt hinaus in’s Freie, selbst bei der drückendsten Hitze, die nicht selten bis 29° R. im Schatten steigt. In Gesellschaften zu zwanzig bis dreißig Personen suchen sie dann ein schattiges Plätzchen in einem Weingarten aus, hier werden Teppiche auf den Boden gebreitet, auf denen sie sich niederlassen, ihren Tschigir (Rothwein) trinken und Culi Kabaf (gehacktes und am Spieße gebratenes Schöpsenfleisch) verzehren. Wenn sich die Hitze gegen Abend etwas gelegt, und der Wein die Gemüther aufgeregt hat, erscheint gewöhnlich ein kleines Orchester, bei dem ein Tambourin nie fehlen darf, und beginnt eine französische Quadrille aufzuspielen, bei welcher Töpfe und Kessel die Stelle der Trommeln und Pauken vertreten. Die Jugend tanzt und am Abend kehrt die Gesellschaft singend und lärmend in kleinen einspännigen Fuhrwerken in die Stadt zurück. Die jungen Armenierinnen haben die Nationaltracht abgelegt, und kleiden sich nach der französischen Mode, wählen aber gewöhnlich möglichst grelle Farben.

Die eigentlich arbeitende Classe sind in Astrachan die Tataren, welche den größten Theil der Bevölkerung bilden. Sie sind ein kräftiges, arbeitsames, äußerst gutmüthiges Volk, und zeichnen sich namentlich durch ihre Bescheidenheit aus. Es ist unbegreiflich, welche Lasten diese Menschen tragen, und wie sie so schwere Arbeit verrichten können, ohne den Tag über einen Bissen zu essen, wie an den mohammedanischen Festen geschieht. Die Gärtner, Gemüse- und Fruchthändler, Bäcker u. s. w. sind meist Tataren, und am Morgen durchziehen sie mit kleinen zweirädrigen Karren die Stadt, ihre Waare ausrufend. Das tatarische Brot, Tschurek genannt (ein Kuchen aus Weizenmehl mit Mohn bestreut), ist sehr beliebt, und wird auch von den hier wohnenden Europäern gern genossen. Nach orientalischer Sitte erscheinen die tatarischen Frauen nur verschleiert auf den Straßen, die niedern Stände haben diesen Gebrauch schon ziemlich abgelegt, dahingegen die Frauen der Perser nie anders erscheinen, als in weiße Schleier gehüllt, die ihnen ungefähr das Ansehen geben, wie wir uns gewöhnlich ein Gespenst vorstellen. Die Frauen der wohlhabenden Tataren, die bekanntlich nach mohammedanischem Gesetz mehrere Frauen haben dürfen, erscheinen oft zwei in einem Kleide zusammen auf der Straße, so daß die rechts gehende nur den rechten Aermel hat, die andere nur den linken. Den Grund zu dieser Sitte habe ich nie mit Bestimmtheit erfahren können; vielleicht geschieht es, um den kostbaren Stoff, aus dem der Mantel besteht, zu sparen, vielleicht auch aus Eifersucht von Seiten des Mannes, der eine Frau nicht allein und ohne Aufsicht auf der Straße lassen will.

Die in Astrachan lebenden Perser sind meist Kaufleute und fast alle reich. Sie treiben Haudel en gros und en detail mit persischen und indischen Waaren, namentlich mit seidenen Stoffen. Sobald sich ein Perser in Astrachan Vermögen erworben hat, wird er russischer Unterthan, weil er sein Besitzthum in Rußland für sicherer hält, als in Persien, denn die, welche nach ihrer Heimath zurückkehren, müssen ihre erworbenen Reichthümer in der Regel zum größten Theil an die Statthalter abgeben. Die Perser sind meist schön gewachsene Leute, und haben ein sehr ernstes und gemessenes Wesen, desto komischer aber ist es anzusehen, wenn diese stattlichen langbärtigen Gestalten ihre Einkäufe vom Markte selbst nach Hause tragen, und etwa mit einem Paar Hühner unter dem Arme einherstolziren, die sie auch mit eigener Hand schlachten und kochen, denn die Frau hat selbst in der Wirthschaft kein Wort mitzusprechen.

Einen eigenthümlichen Eindruck machen die Kalmüken; kurze, gedrungene Gestalten mit krummen Beinen, stark hervortretenden Backenknochen, schief geschlitzten Augen und struppigem Haar, die in langen Zügen mit ihren Kameelen aus den Steppen hereinkommen. Sie sind die Ueberreste der vier Horden, in welche dieses Volk nach dem Sturze der mongolisch-tatarischen Monarchie zerfiel, und die zum größten Theil wieder nach Osten in ihre ursprüngliche Heimath gewandert sind. Der kleine Theil, welcher sich freiwillig der russischen Botmäßigkeit unterwarf, steht unter eigenen Fürsten, die der russischen Krone einen kleinen Tribut bezahlen. Von Charakter sind sie gutmüthig, aber furchtsam und etwas starrköpfig, bei schwerer Arbeit ungemein ausdauernd und außerordentlich gelehrig, weshalb die in Astrachan lebenden deutschen Handwerker sehr gern Kalmükenknaben als Lehrlinge annehmen. Ihre Kleidung ist morgenländisch und insbesondere die Kopfbedeckung ganz chinesisch. Sie tragen schwarze oder farbige [643] Halbstiefel, weite Beinkleider, ein Unterkleid von weißer Leinwand mit engen Aermeln und einen Gurt, an dem Säbel, Messer, Feuerzeug, Geldbeutel und Tabaksgeräth hängen. Der Oberrock ist von dunkelfarbigem Tuch mit weiten Aermeln. Den schwachen Bart lassen sie wachsen, das Haupthaar aber wird abgeschoren, bis auf einen Schopf, der dreifach geflochten hinten herunter hängt. Auf dem Kopfe tragen sie eine gelbe flache Mütze mit einer Quaste. Die Waffen der Reichen sind in der Regel sehr kostbar und mit Silber und Edelsteinen belegt.

In den ersten Tagen des Januar feiern die Kalmüken ihre Feste, bei welcher Gelegenheit sie auch ihren Götzen opfern. Die neugierigen Bewohner Astrachans fahren dann zu den Tempeln hinaus, um das merkwürdige Schauspiel eines kalmükischen Gottesdienstes anzusehen, der in einem ohrenzerreißenden Lärm besteht, mit Pauken, großen metallenen Becken, Trompeten, Hörnern und dergleichen, um den Götzen, dessen metallenes Bild im Tempel aufgestellt ist, aus seinen Meditationen zu erwecken. In gleich hohem Grade, wie dieser Lärm für die Ohren, sind ihre Räucherungen für die Geruchsnerven afficirend, da man, in Ermangelung des Weihrauchs und anderer wohlriechender Specereien, mit Fischthran gesättigten Filz anzündet. Der Tempel steht etwa 70 Werst oberhalb Astrachan, am linken Ufer der Wolga; er ist nach dem Muster einer Copie der Peterskirche in Rom erbaut, nämlich der kasanischen Kirche in Petersburg, freilich in sehr verjüngtem Maßstabe, der eigentliche Baustyl ist aber durch eine Menge Verzierungen in kalmükischem Geschmack, religiöse Symbole, Fähnchen und dergl. bis beinahe zur Unkenntlichkeit verunstaltet. In der Nähe des Tempels steht das in chinesischem Geschmack erbaute Wohnhaus des Khan Tümmén. Der Bruder des gegenwärtigen Khan war Oberst in der russischen Armee; er hatte in den Feldzügen gegen Napoleon I. mitgekämpft, und war mit den Verbündeten in Paris gewesen, wo er europäische Cultur kennen und schätzen gelernt hatte, die er bei seinem Volke einzuführen suchte. Allein, obwohl er mit gutem Beispiele voranging, konnte er doch nur seine Familie dahin bringen, das unstäte Nomadenleben mit festen Wohnsitzen zu vertauschen, und auch diese zog es vor, den Sommer über in Zelten zu wohnen. Er hielt an seinem Hofe eine kalmükische Capelle, welche die Werke deutscher und italienischer Componisten mit vielem Geschmacke aufführte.

Wie im Sommer, ebenso bietet auch im Winter die Stadt durch das Erscheinen der Bewohner ferner Gegenden, die nur in dieser Jahreszeit hierher kommen, ein interessantes Bild. Namentlich führt der Handel dann die Kirgisen aus ihren Steppen herein, welche gegen ihre Thierhäute und Pelze hier allerlei Erzeugnisse des europäischen Kunstfleißes, kurze Waaren, Kleiderstoffe, Waffen u. dgl. m. eintauschen. In langen Reihen ziehen sie über die zugefrorene Wolga, gewöhnlich zwei auf einem Kameel reitend, in Pelze gehüllt, mit einer spitzen Pelzmütze, die fast den ganzen Kopf bedeckt, und unter der ihre schiefliegenden Augen hervorschielen. Sie sind ein echtes Steppenvolk, und können selbst während ihres kurzen Aufenthaltes in der Stadt nicht in Häusern wohnen, sondern schlagen hier, wie in ihrer Steppe, auf freien Plätzen und in den geräumigen Höfen ihre Zelte auf.

Die Umgebungen Astrachans sind nicht ohne Reiz; rings um die Stadt, bis zu einer ziemlichen Entfernung, sind herrliche Gärten, in denen hauptsächlich Wein gebaut wird, vortreffliche Trauben, aus denen man einen guten Champagner bereitet. Ein Gefäß mit Wein, in der Größe eines gewöhnlichen Wassereimers, kostet in Astrachan nicht mehr, als etwa 25 Ngr. nach unserem Gelde; in guter Gesellschaft aber zieht man vor, theuere französische und andere fremde Weine zu trinken. Da die mohammedanische Bevölkerung keinen Wein trinken darf, so werden die Trauben zum größten Theil getrocknet oder frisch für den Winter aufbewahrt oder, noch ehe sie völlig reif sind, in Fäßchen gepackt und nach Petersburg und Moskau versandt, wo man sie bis Februar aufbewahrt. Außer dem Wein werden in den astrachanischen Gärten auch Feigen, Mandeln und andere Südfrüchte gezogen, hauptsächlich aber Melonen und alle Arten von Kürbiß- und Gurkengewächsen, unter denen die große Wassermelone besonders beliebt und wichtig ist, da sie in einer Zeit des Jahres für einen großen Theil der Bevölkerung die hauptsächlichste Nahrung bildet. Auch Rosen werden in großen Massen angebaut, deren Blüthe, aus welcher man hier Rosenöl bereitet, eine außerordentliche Größe erlangt. Da es im Sommer niemals regnet, müssen die Gärten künstlich bewässert werden, wozu man sich einer sinnreichen und ganz einfachen Maschine bedient, des sogenannten Tschikir, einer Wasserkunst, die durch Wind getrieben wird und Aehnlichkeit mit einer Windmühle hat.

Für den Jagdfreund bieten die Umgebungen Astrachans ein sehr ergibiges Feld. Goldfasanen gibt es hier in Menge, desgleichen Schnepfen, Rebhühner und anderes Geflügel; Enten, in Schaaren zu Tausenden vorhanden, werden nicht geschossen, weil ihr Fleisch nach Fischthran schmeckt. Tausende von Menschen kommen während des größten Theiles des Jahres aus dichter bevölkerten Gouvernements des russischen Reiches nach Astrachan, um hier durch Fischfang ihren Unterhalt zu verdienen. Sie erhalten von den großen Fischereibesitzern die nöthigen Geräthschaften, und müssen ihren täglichen Fang dem Herrn abliefern. In ledernen Kleidern, die mit Thran bestrichen sind, um sie wasserdichter zu machen, gehen die Fischer an seichten Stellen in das Wasser, und in wenigen Minuten sind die Netze gefüllt mit Tausenden von Fischen, von denen man nur die bessern und größern behält; die kleineren werden wieder in’s Wasser geworfen. Im Winter, wenn die Wolga zugefroren ist, werden die größeren Fische auf eine eigenthümliche Weise gefangen. Man schlägt nämlich Löcher in das Eis, an deren Rande große Pfähle eingerammt werden mit Stricken, die in das Wasser hinabreichen, und an deren Enden große Angelhaken angebracht sind. Eine andere Art, die Fische zu fangen, ist die sogenannte Gromka, d. i. Lärm, eine Treibjagd auf dem Eise, wodurch die Fische an die in das Eis gehauenen Löcher getrieben werden. Jedermann kennt den astrachanischen Caviar; dieser kommt vom Stör und Hausen (Beluga). Der beste Caviar wird versandt, sobald der erste Frost eintritt, etwa im Januar, und kann daher bei uns erst etwa im Februar oder März eintreffen. Die schlechteren Sorten werden im Sommer gewonnen und sehr gesalzen. Der meiste Caviar wird in Säcke gefüllt, ausgepreßt und in trockenem Zustande versandt. Auch viele Fische werden, im Winter gefroren, im Sommer gesalzen oder an der Sonne getrocknet, weithin versandt. Ein sehr kostbarer Artikel, der hier gewonnen wird, ist bekanntlich die Hausenblase. Wie einträglich der Fischfang ist, zeigen die Gebrüder Saposchnikoff, Kaufleute erster Gilde und die reichsten Fischereibesitzer in Astrachan, die ihr Geschäft mit einem Capital von vierzig Millionen Rubel Silber betreiben. Der Großvater dieser Herren kam als armer Bauer nach Astrachan, und legte durch außerordentliches Glück beim Fischfang den Grund zu diesem Vermögen.

Die Zahl der Gebildeten ist in Astrachan im Verhältniß zu der Anzahl der Bevölkerung ziemlich gering; sie halten aber alle freundschaftlich zusammen, und es herrscht daher ein sehr geselliges Leben. Die Gesellschaft vereinigt sich wöchentlich im Winter im adeligen Club, im Sommer in dem sogenannten Vauxhall, einem an der Wolga gelegenen vier Werst von der Stadt entfernten Lustgarten. Die Fahrt dorthin geschieht gewöhnlich in eleganten Gondeln, die von Kalmüken oder Matrosen in malerischen rothen Blousen geführt werden; die Kalmüken haben namentlich im Rudern eine außerordentliche Fertigkeit. Im Juni, so lange das Wasser hoch steht, ist das Vergnügen in den Gärten ausgesetzt, weil die Damen ihre zarte Haut nicht den Millionen von Mücken preisgeben wollen. Da die Hitze im Sommer außerordentlich drückend ist, so ist die Besuchsstunde schon früh um acht Uhr.