Die Gewinnung des Kaviars und der Fischfang im Uralflusse

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Autor: Friedrich Wangenheim von Qualen
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Titel: Die Gewinnung des Kaviars und der Fischfang im Uralflusse
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12-13, S. 164-166, 172-174
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Gewinnung des Kaviars und der Fischfang im Uralflusse.
Vom Major Wangenheim von Qualen.

Der große Landbesitz, der Handel mit dem Innern Rußlands und der Tauschhandel mit den Kirgisen bieten den Uralschen Kosaken, deren Wohnsitz sich am rechten Ufer des Uralflusses an der Grenze zwischen Europa und Asien hinzieht, großartige Erwerbsquellen, welche sich im Laufe der Zeiten noch unendlich mehr vergrößern werden, aber dennoch ist der Fischfang im Ural von der Stadt Uralsk bis zum Kaspischen Meere auf einer Strecke von 475 Werst gegenwärtig noch die wahre Goldgrube des Landes, woran alle dienenden Kosaken des Landes Theil nehmen.

Die Fischerei im Ural ist mehr ein Vergnügen, als eine Art Jagd, sie ist ein Zustand, wo sich kosakische Gewandtheit, Kraft und rasches Leben vor den Augen Aller auf eine vortheilhafte Art zeigen können. Sie ist ein Glücksspiel, da oft ein einfacher Kosak in ein paar Stunden, von Glück und Zufall begünstigt, eine Menge großer Fische fängt, die 100 und mehr Rubel Silber werth sind, während sein naher Nachbar den ganzen Tag nicht eine Flosse mit seinem Haken herauszieht. Sie ist daher zugleich auch eine ergiebige Erwerbsquelle, an der Tausende Theil nehmen, und die außer dem Vergnügen noch eine große Masse Geld in’s Land bringt. Auch für den eigenen Bedarf im Lande ist der Fischfang sehr wichtig. Die fast unglaubliche Menge aller Arten Fische, welche den Ural und die Nebenflüsse beleben und vom Kaspischen Meere immer wieder Zufluß erhalten, sind, nebst Ueberfluß an Fleisch, die gewöhnliche Speise der Kosaken. – Gemüse ist wenig vorhanden und wird auch wenig geachtet, Fleisch und Mehl sind zwar vortrefflich und unglaublich billig, aber ohne Fische, sowohl frische, als gesalzene oder an der Luft getrocknete (Balik), und ohne Kaviar, theils frischen, theils gepreßten, kann kein Kosak leben. Das ist die tägliche Speise, welche man das ganze Jahr hindurch in allen Häusern findet. Dieser so ganz frische, nur eben aus dem Fische genommene Kaviar ist aber auch etwas höchst Delicates. Der feine und vortreffliche Geschmack dieses Fischrogens an Ort und Stelle hat etwas ganz Eigenthümliches, welches dem in ferne Gegenden versendeten und gewöhnlich zu stark gesalzenen Kaviar gänzlich abgeht. Besonders wohlschmeckend ist der großkörnige etwas gelbliche, sogenannte Bernstein-Kaviar, der aber als eine Seltenheit nicht in den Handel kommt. Im Jahre 1847, als ich Uralsk zum letzten Male besuchte, kostete ein Pfund frischen Kaviars 20 bis 25 Kopeken Silber (8 Sgr.). Seit jener Zeit aber sind die Preise bedeutend gestiegen, da die Sendungen in’s Ausland sich von Jahr zu Jahr vergrößern. Aus allen diesen Gründen ist denn auch der Fischfang im Ural für den Kosaken ein wichtiger Gegenstand, und die Idee desselben durchdringt das ganze Volksleben. Die Kinder auf den Straßen spielen Fischfang, in allen Kreisen wird von demselben gesprochen und mit Sehnsucht und freudefunkelnden Augen erwartet jeder Kosak die gesetzlich bestimmte Zeit, wo der allgemeine Fischfang beginnen soll.

Obgleich der Fischfang im Uralflusse schon oft beschrieben und nachgeschrieben worden, so ist dies doch von Augenzeugen in der neueren Zeit, wo sich alle Zustände des Lebens so sehr verändert haben, wohl nicht geschehen. Außerdem ist auch der Gegenstand so höchst merkwürdig und im ganzen Erdenraume so einzig in seiner Art dastehend, daß sich immer wieder neue Ansichten daran auffinden lassen, und das interessante Material ist noch lange nicht erschöpft. Das Kaspische Meer enthält einen ungeheuren Reichthum an fetten und wohlschmeckenden Fischen, welche alljährlich, um ihren Laich abzusetzen, in die Wolga und den Uralfluß stromaufwärts gehen. Unter ihnen ist das Geschlecht Acipenser mit rüsselförmigen Köpfen mit seinen vier Arten dasjenige, welches die größten Fische enthält und den schwarzen Kaviar liefert. Der größte von diesen Fischen ist der Hausen (Beluga), welcher nach den Aussagen alter Leute in früheren Zeiten oft in einer Größe von 40–50 Pud (2000 Pfund) gefangen worden und 5–6 Pud Kaviar gegeben haben soll. Jetzt sind Hausen, die einen Faden lang, 15–20 Pud wiegen, schon eine Seltenheit. Nach dem Hausen folgt in der Größe der Stör (Osetr oder Osetrina) mit dem Schipp, einer schlechten Abart des Störs. Der Stör-Kaviar wird für den besten gehalten, doch geben auch Viele dem vom Hausen den Vorzug. Dann folgt der Sewrüga und zuletzt der kleinste von allen, der Sterlev, welcher ausgewachsen gewöhnlich nur zwei, höchstens drei Fuß lang ist. Frisch ist dieser Fisch außerordentlich fett und wohlschmeckend, und wird als Delicatesse sogar lebend mit großen Kosten bis nach St. Petersburg gebracht. Sein Kaviar ist aber zu feinkörnig und schleimig, und wird daher weniger beachtet. Außer diesen Acipenser-Arten wird der Uralstrom noch von weißen Lachsen, großen Welsen, Hechten, Sandarten, Barsen und vielen andern Fischen im Ueberflusse belebt. Da nun, wie gesagt, die Fische zu gewissen Zeiten des Jahres immer stromaufwärts gehen wollen, auch größtentheils im Flusse überwintern, andere aber, wie z. B. der Sewrüga, sobald sie gelaicht haben, wieder in’s Meer zurückgehen, so hat man seit den ältesten Zeiten unterhalb der Stadt eine Fischwehre errichtet, die alle Jahre neu gebaut und wobei der Strom von einem Ufer zum andern mit langen Balken gesperrt wird, um die großen Fische zu verhindern, stromaufwärts über die Grenzen des Kosakenlandes hinauszugehen. An dieser Fischsperre nun drängen und reiben sich die Fische, von ihrem Instincte getrieben, um gegen den Strom oder zurück in’s Meer zu schwimmen, in einer solchen Menge und mit einem solchem Eifer, daß es hier in der Tiefe von Fischen wimmelt, die in langen Reihen unter und über einander sich gegen die Fischwehre drängen.

Es war im Sommer des Jahres 1824 oder 25, als ein erst unlängst angestellter Civil-Gouverneur von Orenburg zum ersten Male die Stadt besuchte und mich zu seiner Begleitung wählte. Da es gerade in einer Zeit war, wo keine Fischerei stattfinden konnte, der Heeres-Ataman uns aber doch ein Stück des Uralschen Fischerlebens zeigen wollte, so begleitete er uns zur Fischwehre, wo uns ein wunderbares Schauspiel erwartete. Auf einen Wink des Heeres-Atamans sprang ein kräftiger und gewandter Kosak aus der uns umgebenden Menge, warf rasch Stiefeln und Oberkleider ab, nahm dann in die rechte Hand einen eisernen Haken, der an einen langen Strick gebunden war, dessen Ende von Kosaken auf der Fischwehre gehalten wurde, schlug in der Eile das Kreuz, – dann ein geräuschloses Hinabgleiten – und der Kosak war unter dem Wasser verschwunden! – Es war eine lautlose Stille, Aller Augen auf die Oberfläche des Stromes gerichtet, und wir Fremden eine halbe Minute voller Erwartung der Dinge, die da kommen würden. Da bewegte sich der Strick – das gegegebene Zeichen zum Heraufziehen – der Taucher erschien wieder auf der Oberfläche des Wassers, einen zappelnden Fisch, mit dem eisernen Haken in die Kiemen gefaßt, hinter sich herschleppend, und in diesem Zustande wurden beide unter lautem Jubel der Kosaken an’s Ufer gezogen. Man denke sich nun unser Erstaunen bei dieser wunderbaren Erscheinung, wir blieben eine ganze Zeit lang lautlos, endlich nahm der Gouverneur zuerst das Wort und bemerkte mir in französischer Sprache: er glaube, daß der Fisch wohl unten im Flusse bei der Fischwehre angebunden gewesen sein müsse, denn in einem großen Strome mit den Händen einen solchen Fisch zu fangen, sei doch eins wahre Unmöglichkeit. Der Heeres-Ataman, ob er gleich die Sprache nicht verstand, begriff aber dennoch mit der bekannten kosakischen Verständlichkeit den Sinn der Rede, befahl eine lange, unten zugespitzte Stange zu bringen, und [165] bat nun der Gouverneur, er möge mit Hülfe eines Kosaken es doch versuchen, neben der Fischwehre die Stange unten in die Tiefe des Flusses hinabzustoßen. Das Experiment wurde, nachdem der Kosak vorher etwas sondirt und die Stange gehörig gerichtet hatte, mehrere Male versucht, und jedes Mal erhielt der Gouverneur einen so starken Ruck in die Hand, daß er unwillkürlich die Ueberzeugung erhielt, immer auf einen Fisch gestoßen zu haben. Zuletzt wurde ihm sogar bei einem kräftigen Stoße, wo wahrscheinlich die Spitze der Stange recht getroffen und ein großer Fisch verwundet sein mochte, die Stange durch den starken Ruck des Fisches aus der Hand gerissen.

Der Heeres-Ataman erklärte uns nun, daß dies Kosakenkunststück gar nicht so schwer sei, wie es scheine, denn da sich eine so große Menge Fische an den Balken der Wehre herumdränge und gegenseitig drücke und reibe, so würde der leise herabsinkende Mensch von den Fischen kaum bemerkt, und könne sich bei günstiger Gelegenheit und wenn der Kosak nur seine Sache gut verstehe, sogar die Herren da unten recht gemüthlich betrachten und nach Belieben wählen. Doch dürfe der Taucher den Fisch mit seinem eisernen Handhaken nur in die Kiemen fassen, welches aber ebenfalls nicht schwer sei, da der Fisch sie beim Wasser-Athmen immer öffne. Zufällig war der gefangene Fisch ein Roger. Das Ovarium wurde deshalb herausgenommen, etwas durcheinander gerührt, hierauf durch ein Sieb gepreßt, wobei Fasern und Schleimhäute zurückblieben, zuletzt dann noch dieser durchgepreßte Rogen etwas gesalzen und der Kaviar war fertig, so daß in der Wohnung des Heeres-Atamans ein ganz frischer Kaviar zum Frühstück vorgesetzt werden konnte, all ends in a meal! – So unwahrscheinlich auch diese Geschichte natürlicherweise erscheinen muß, so ist sie doch in jenen fernen Gegenden eine allgemein bekannte Sache. Ich berufe mich hier auf Pallas Tom. I. 283 u. s. w., der über die Unmasse der Fische, welche sich in ältern Zeiten an der Fischwehre drängten, um stromauf zu gehen, Folgendes sagt: „Daß damals der Uralfluß durch einen Fischwehrenfang weiter abwärts zum kaspischen Meere abgesperrt worden, und der Andrang von Sewrügen oft so stark gewesen sei, daß man gefürchtet habe, sie würden die Fischwehre durchbrechen, daher man die Fische mit blinden Kanonenschüssen verscheucht habe.“

Im März, April und Mai ziehen die Acipenser-Arten am häufigsten aus dem Meere stromaufwärts und oft in großen Schaaren, am spätesten kommen die Sewrügen. So zahlreich der Fischfang auch gegenwärtig noch immer ist, so hat doch nach den Aussagen alter Leute im Vergleich mit frühern Zeiten sowohl die Menge als auch die Größe der Fische bedeutend abgenommen. Viel mag wohl dazu beitragen, daß die großen Fischereien in der Wolga und im Ural, bei Astrachan und im kaspischen Meere selbst diese Abnahme veranlassen, denn schwerlich wird man sich einen Begriff davon machen können, welche ungeheure Masse dieser schönen Fische theils gesalzen, theils steinhart gefroren oder in langen Streifen (Balik) an der Luft getrocknet, alljährlich verschickt und in dem ganzen großen russischen Reiche während der Fastenzeit consumirt wird. Andererseits mag auch wohl die von Jahr zu Jahr allmählich zunehmende Versandung der Strom-Mündungen des Urals mit Veranlassung sein, daß die Zahl der großen Fische sich vermindert, denn mir erzählte ein Kosak in Guriew, er habe selbst gesehen, daß im Frühjahre zu einer Zeit, wo der Fischfang im Ural noch verboten war, ein großer Hausen bei der Mündung des Urals auf eine Sandbank gerathen, so daß der Rücken des Fisches aus dem Wasser hervorgeragt, und das große Thier sich nur mit vieler Anstrengung aus dem Sandschlamme herausgewühlt habe, um in tieferes Wasser zu kommen.

Im Ural finden, außer einigen kleineren, weniger bedeutenden, jetzt nur drei gemeinschaftliche große Fischereien statt, woran alle Kosaken Theil nehmen. Die Zeit und der Ort des Fischfangs, Größe der Fischergeräthe und das ganze Verhalten ist bei diesen Fischfängen auf das Genaueste bestimmt und wird mit militairischer Strenge befolgt. Der erste ist der Frühlings-Fischfang, der zweite der Herbstfang, beide mit Netzen, – und der dritte und merkwürdigste von Allen ist der Winterfischfang auf dem Eise (Bagrenie) mit acht bis zehn Faden langen Stangen, an deren unterem Ende starke eiserne halbrunde und sehr geschärfte Haken befestigt sind. Dieser letztere Fischfang ist das interessanteste Stück im Leben der Uralschen Kosaken. Jedes Mal, wenn im Sommer ein Fischfang beginnen soll, wird unter den ältesten Stabsofficieren ein Fischerei-Ataman gewählt, der für die bestimmte Ordnung sorgt, wann und wo die Fischerei beginnen soll, zugleich auch Streitigkeiten entscheidet und dem alle nach militairischer Ordnung den strengsten Gehorsam schuldig sind. Täglich wird eine gewisse Strecke des Flusses angewiesen, die zum Fischen bestimmt ist und deren Grenze Keiner überschreiten darf; hat man diese des Abends erreicht, so erfolgt das Zeichen, die Fischerei hört auf und Alles begibt sich an’s Ufer in’s Lager, wo Pferde und Wagen halten, gekocht und gebacken wird, und wo schon viele russische Kaufleute harren, um die Fische zu kaufen, einzusalzen und weiter zu schicken. Bei Tagesanbruch wird wieder eine neue Strecke stromabwärts angewiesen, wo gewöhnlich das Zelt des Fischerei-Atamans aufgestellt ist. Das bunte Fischerleben fängt nun wieder von Neuem an, und so geht es alle Tage weiter, stromabwärts, bis ein paar Hundert Werst abgefischt sind und man endlich beim kaspischen Meere anlangt, an welchem die Fischerei auf diese Art ein Ende hat. Bei der Frühlingsfischerei, bei welcher seltener einzelne Hausen und Störe erscheinen, welche aber nach der bestehenden Ordnung immer wieder zurück in den Fluß zu werfen sind, werden vorzugsweise nur Sewrügen und einzelne Lachse gefangen. Die Herbstfischerei nimmt im October ungefähr zweihundert Werst von der Stadt Uralsk ihren Anfang und endet beim kaspischen Meere. Die Ordnung ist ganz dieselbe wie bei der Frühlings-Fischerei, nur daß hier andere, weit stärkere Netze benutzt werden. Es ist bei diesen Fischereien ein wahres Vergnügen, zu sehen, wie der ganze Strom bis in die weite Ferne von Menschen wimmelt, und wie die Kosaken in ihren leichten Beidaren – kleine Kähne, in denen gewöhnlich ein Kosak sitzt – mit Blitzesschnelle über den Strom hin und her schießen, mit außerordentlich raschen und oft kühnen Wendungen ihrer Nußschalen sich, so weit es die Ordnung erlaubt, gegenseitig zuvorzukommen suchen, und wie bei dieser Gelegenheit dann und wann ein noch etwas unerfahrener junger Kosak in’s Wasser plumpst, ohne sich im Geringsten etwas daraus zu machen, da jeder von ihnen vortrefflich schwimmen kann und im Wasser wie zu Hause ist. Dabei ist die rasche Entschlossenheit, Gewandtheit und das Savoir faire der Kosaken in allen Sachen, die nur entfernt an Gefahr erinnern oder Unternehmungsgeist verlangen, wahrhaft bewundernswürdig! – Diese Menschen, die so zu sagen im Flusse und im Meere aufgewachsen sind, würden vortreffliche Seeleute abgeben, wenn das kaspische Meer nicht als ein großer Binnensee so sehr abgeschlossen wäre. So viel aber bleibt gewiß, daß der tapfere und unternehmende Geist, welcher das ganze Uralsche Kosakenheer durchdringt und bei welchem der Kosak die vielfachen Entbehrungen im Felde weniger empfindet, wie andere Menschen, für ein rauhes Klima gänzlich abgehärtet ist und mit Gewandtheit jede Gefahr leichter überwindet, nur durch dies freie, wilde, und doch mit militairischer Disciplin geordnete rasche Fischerleben belebt wird. Durch dieses wird der Kosak in seinem ganzen Habitus als Krieger sehr gekräftigt und in seinem Wesen wird eine gewisse Sicherheit, rasche Entschlossenheit und Thatkraft unterhalten, die ihn im Felde bekanntermaßen so vortheilhaft auszeichnen. Ich komme nun zu der dritten Art oder Winterfischerei, welche, wie gesagt, von allen die interessanteste ist.

Sobald im Spätherbst der Uralfluß anfängt sich mit einer leichten Eisrinde zu bedecken, welches gewöhnlich Ende November oder im December der Fall ist, suchen die Fische vorzugsweise die tieferen Stellen des Flusses auf, um hier reihenweise den Winter in einer Art von Ruhe zu verleben. Da sich aber der Boden des Uralflusses durch die Strömungen alljährlich verändert, so daß die tieferen Lagerstellen der Fische nicht immer bekannt sein können, so merken sich die Kosaken, sobald der Fluß zufrieren will, diejenigen Stellen, wo die Fische an der Oberfläche erscheinen, um zu spielen, oder sie legen sich, sobald der Fluß nur eben zugefroren ist, auf das dünne und wie Glas durchsichtige Eis, bedecken den Kopf mit einem dunkeln Tuche und können dann die großen Fische auf dem Grunde des Flusses ruhig liegen sehen. Diese Andeutungen suchen sie dann bei der allgemeinen Winterfischerei zu benutzen. Der erste und kleinste Fischfang erfolgt gewöhnlich in den ersten Tagen des December, oft sogar schon Ende November, wenn das Eis noch sehr schwach ist, und dauert gewöhnlich nur einen Tag. Auch fischen hier blos eine gewisse Anzahl Kosaken, denn der Zweck desselben besteht eigentlich nur darin, nach altväterlicher Sitte eine Menge der schönsten Fische und des besten Kaviars als Präsent, wie es die Kosaken nennen, – so [166] schnell wie möglich zum Allerhöchsten kaiserlichen Hofe abzufertigen. Zu diesem Zwecke harren schon ein Officier und neun Dreigespanne mit raschen Pferden am Ufer. Die Fische und der Kaviar werden aufgeladen und mit sausender Eile geht es nun Nacht und Tag mit Postpferden bis nach Petersburg, von wo die Ueberbringer immer mit reichen Geschenken zurückkehren.

Der zweite eigentliche und allgemeine Fischfang oder das kleine Bagrinie erfolgt immer vor Weihnachten, dauert nur acht Tage und endet achtzig Werst von der Stadt Uralsk abwärts zum kaspischen Meere in täglichen Stationen. Der dritte Fischfang oder das große Bagrinie fängt achtzig Werst von der Stadt an und endet 180 bis 200 Werst von Uralsk. Jeder Kosak fischt für sich mit einem Fischhaken, denn jeder erhält nur einen Erlaubnißschein, Officiere und Beamte aber verhältnißmäßig mehrere. Diese können, wenn sie sich nicht selbst das Vergnügen der Fischerei machen wollen, Leute miethen, dies hindert aber nicht, daß mehrere Kosaken, welche Erlaubnißscheine haben, sich gegenseitig helfen, Gesellschaften bilden (Artels) und die gefangenen Fische gemeinschaftlich theilen. Als Fischergeräth hat jeder Kosak den oben beschriebenen langen Fischerhaken, mehrere kleine Haken an kurzen Stangen, um den Fisch herauszuziehen, wenn er schon gefangen ist, eine eiserne Brechstange zum Aufbrechen des Eises und eine Schaufel. In den früheren Zeiten wurde der Winterfischfang im Ural auf eine ganz andere Art betrieben, wie gegenwärtig. Alle Fischhaken wurden nämlich auf Schlitten gelegt, die immer mit den schönsten und oft auch recht wilden Pferden bespannt wurden. Die Tausende von Schlitten stellten sich in Reihen hinter einander auf, um, sobald das Zeichen gegeben wurde, in einer Art Wettlauf die Stelle zu erreichen, wo der Fischfang seinen Anfang nehmen sollte. Von dem Getöse dieser wüthenden Jagd, bei welcher Einer dem Andern vorzukommen suchte, erdröhnte das Eis und wurden die Fische von ihren Lagerstellen aufgescheucht. Da aber bei dieser Art der Fischerei Unfälle nicht zu vermeiden waren, und auch andere Unbequemlichkeiten stattfanden, so wurde die tolle Pferdejagd aufgegeben und man fischt gegenwärtig auf andere Weise.

[172] Sobald der Tag erscheint, wo die Fischerei beginnen soll, und der Fischerei-Ataman bestimmt worden, ist Alles schon voller Erwartung und Leben. Mancher Kosak kann vor Freude die ganze Nacht nicht schlafen, und lange vor Tagesanbruch wird schon gekocht und gebraten, gegessen und getrunken. Kaum zeigt sich der erste Schimmer der Morgenröthe, so ziehen die Tausende von Kosaken schon zum Flusse an den Ort, wo der Fischfang beginnen soll. Ihnen folgen eine Menge Russen und Kirgisen, welche als gemiethete Arbeiter für die Pferde zu sorgen haben, das Zelt oder die Filzhütte aufschlagen, Feuer von Strauchwerk anmachen und überhaupt alle Arbeiten verrichten, die nicht unmittelbar der Fischerei angehören, mit welcher sich der Kosak allein beschäftigt. Hinter den Kosaken folgen große Züge russischer Kaufleute aus Uralsk und andern Orten mit ihren vielen Fuhren und Arbeitern, welche den Fischzug immerwährend begleiten, die Fische, so wie sie aus dem Wasser kommen, sofort von den Kosaken kaufen, den Kaviar herausnehmen, einsalzen und in Tonnen schlagen, die Fische selbst aber, nachdem auch die sogenannte Hausenblase herausgenommen ist, entweder steinhart frieren lassen oder ebenfalls einsalzen, um Alles so rasch als möglich in’s Innere des Reichs zu versenden. Zusammen mit den Kaufleuten begleiten immer eine Menge Handelsleute oder Marketender den Fischzug, schlagen ihre leichten Hütten am Ufer auf, wo sie dann Hafer und Heu, Brot, Backwerk, Nüsse, Pfefferkuchen und anderes Eßwerk verkaufen, dabei aber auch Thee und Branntwein verschenken.

Hat der große Zug dieser Masse von Menschen und Thieren in langen Reihen endlich die Ufer des Flusses erreicht, so werden in der Eile eine Menge von 500 bis 1000 Filzhütten, leichte Zelte und andere kleine Wohnlichkeiten errichtet, die aber, da sie den Fischzug immer stromabwärts begleiten, nur auf kurze Zeit berechnet sind. Alles ist hier in reger Thätigkeit, um das Lager einzurichten, die Ufer wimmeln von Menschen und das Ganze gleicht einer großen Völkerwanderung. Endlich hat Alles einen Platz gefunden, am Ufer ist die Signalkanone aufgestellt und neben ihr steht der Artillerist mit der brennenden Lunte. Nun erhalten die Kosaken den Befehl, sich in langen Reihen an den beiden Ufern des Flusses aufzustellen, um hier das Signal zum Fischfange zu erwarten. Jeder Kosak schleppt die Fischhaken und Brechstangen hinter sich her und stellt sich an’s Ufer, wo er gerade Platz findet, oder wo er glaubt, eine tiefe Stelle und viele Fische zu finden.

Nachdem sich Alles geordnet und beide Ufer des Urals mit Kosaken besetzt sind, tritt endlich der Fischerei-Ataman aus seinem Zelte und geht langsam mitten auf den Fluß, den vor dem Kanonenschusse kein Kosak betreten darf. Nun erfolgt eine wahre Todtenstille, Alles ist voller Erwartung und mit vorgebeugtem Oberkörper ist schon Jeder zum Sprunge bereit. Es ist ein wahrhaft interessanter Augenblick, diese Reihen so vieler kräftiger und lebensfroher Menschen lautlos und doch in höchster Aufregung zu sehen. Wie wunderbar schön dieses Alles ist, läßt sich nur unvollkommen beschreiben. Alle Gesichter strahlen voller Freude und Lust, die Augen entweder auf einen vorher ausgesuchten Fleck im Flusse oder starr auf den Fischerei-Ataman gerichtet, der das Zeichen zum Abfeuern der Kanone geben soll. Doch dieser übereilt sich nicht – er geht gemüthlich von einem Ufer zum andern und macht allerlei Bewegungen, um die Kosaken zu täuschen. Ist der Heeres–Ataman zufälligerweise gegenwärtig, so nimmt der Fischerei–Ataman seine Mütze ab und verbeugt sich ehrfurchtsvoll in der Richtung hin, wo dies oberste Haupt der Kosaken am Ufer steht. Dann gibt er endlich nach vielen Neckereien das geheime Zeichen, welches nur ihm und dem Artilleristen bekannt ist.

Die Kanone kracht, der dicke Rauch hat sich kaum aus der Mündung gewälzt, so entsteht in demselben Augenblicke ein wahrer Höllenlärm, denn das ganze Kosakenheer stürzt sich nun mit Geschrei und Jubel bunt durcheinander auf’s Eis. Jeder strebt nun mit rasender Hast nach einem vorher ausgesuchten Platz zum Fischen oder, wenn ihm ein Anderer schon zuvorgekommen, so wählt er eine andere Stelle, wie Eile, Zufall und Raum es gestatten. In einem Nu werden Tausende kleiner Löcher von ein paar Fuß im Durchmesser ins Eis gehauen – und an vielen Stellen, wo man gerade viele Fische erwartet, kaum drei bis vier große Schritte von einander entfernt, und nun erhebt sich ein ganzer Wald von langen Fischerhaken, welche in die Eislöcher bis auf ein oder zwei Fuß vom Grunde herabgesenkt und von den Kosaken in der Hand gehalten werden, damit der Fischer sogleich fühlen kann, wenn ein Fisch über den Haken geht, oder die Stange berührt. Ist dies nun der Fall, so zieht der Kosak mit einem schnellen Ruck die Stange aufwärts, der scharfe Haken faßt den Fisch unter dem Bauche in’s Fleisch und er ist gefangen. Das Loch im Eise wird nun vergrößert, der Fisch mit kleinen Haken noch besser gefaßt, und endlich von einem Kosaken, oder mit Hülfe mehrer auf’s Eis gezogen. Durch das Hin- und Herlaufen und das Geschrei [174] der vielen Menschen, durch das Brechen der Eislöcher und durch die Tausende von langen Stangen, welche sich labyrinthisch in die Tiefe senken, werden die Fische von ihren Lagerstellen aufgeschreckt, streichen unruhig hin und her und gerathen nun immerwährend in die Fischhaken. Dadurch wird auch bald das ganze Eis mit Blut bedeckt, es ist eine wahre Schlacht, und am Ufer häufen sich kleine Berge von Fischen, denn sobald nur ein Fisch am Haken sitzt, erscheinen auch schon Kaufleute auf dem Eise, um zu handeln und dem Kosaken seinen Fisch abzukaufen. Oft geschieht dies, wenn der Fisch noch unter dem Wasser ist und man seine Größe noch nicht kennt, in welchem Falle denn auf gut Glück gekauft und verkauft wird.

Mitunter trifft es sich auch, daß ein langnasiger Schipp oder ein großer Wels von 6 bis 8 Pud gefangen und unten im Flusse schon am Haken festsitzt. Da aber der Wels wenig geachtet wird und auch keinen Kaviar gibt, so bietet der erfahrene Fischer, der schon seinen Fang, ohne ihn gesehen zu haben, am Gefühl des weicheren Fleisches und der Bewegung am Haken erkennt, den Fisch auf gut Glück zum Verkauf aus, wobei es an gewandter Ueberredung auch nicht fehlt. Findet sich nun ein noch unerfahrener Käufer, so wird ihm die Stange des Fischhakens in die Hand gegeben, er fühlt, wie der große Fisch zappelt und die Stange hin und her rüttelt, und je wilder der Fisch da unten tobt, desto größer wird die Lust zum Kaufen und die Ueberzeugung, daß doch nur ein großer Hausen oder ein herrlicher Stör am Haken sitzen könne. Mancher Kosak steht viele Stunden, ohne daß ein Fisch auch nur seine Stange berührt. Er zieht seinen Fischhaken endlich aus dem Wasser, um einen andern Platz zu erwählen.

Kaum aber hat er seine Stelle verkästen, so wird diese auch schon von einem Andern eingenommen, der dann oft, durch Glück und Zufall begünstigt, gleich beim Herabsenken seines Hakens den herrlichsten Fisch herauszieht. Hat der Kosak lange nichts gefangen, so fühlt er auch wohl vorsichtig mit dem Fischhaken unten im Flusse herum, ob nicht ein vorbeistreichender Fisch die Stange berührt, welchen er dann durch einen kräftigen Ruck einzuhaken sucht. Ist der Fisch zu groß und macht er da unten viel Lärm und Spectakel, indem er sich loszureißen sucht, welches sehr oft gelingt, besonders wenn ihn der Haken nur am Schwanze gefaßt hat, so ruft der Kosak seinen zunächst stehenden Nachbar zu Hülfe. Es wird nun noch ein Haken eingesetzt und der Fisch endlich mit vereinten Kräften auf’s Eis gezogen.

Am vorsichtigsten und daher am schwersten zu fangen sind die großen Hausen von 15 bis 20 Pud (800 Pfund). Wird ein solcher Riesenfisch durch den fürchterlichen Lärm und das Getöse, wovon das ganze Eis dröhnt, aufgeschreckt, so kommt er oft an die Oberfläche des Eises, um zu sehen, was da oben geschieht, oder er schwimmt schlau im halben Wasser. Berührt nun ein so großer Knabe die Stange des vier oder fünf Faden tiefer im Grunde liegenden Hakens, so erfordert es viel Schnelligkeit und Gewandtheit, den Haken so weit rasch heraufzuziehen, um den Fisch unter dem Bauche zu fassen. Oft zerbricht ein solcher Fisch die Stange, fährt in den Haken des Nachbarn, zerbricht auch diesen und sucht zu entkommen, was aber doch nur selten gelingt. Denn da Überall auf dem Flusse Haken an Haken eingesenkt sind, so entsteht, wenn ein so großer Fisch durchgeht, ein allgemeiner Lärm; alle passen auf, wo sich die Stange rührt, und oft wird der Flüchtling doch eingefangen, unter allgemeinem Jubel und Zappeln auf’s Eis gezogen und wandert nun in die Hände der Kaufleute. So ein großer Hausen, der 100 bis 130 Pfd. Kaviar liefert, wird von den Kosaken für sehr listig gehalten.

Für den fremden Beobachter hat dies höchst eigenthümliche Fischerleben einen so hohen Reiz, daß man sich nicht satt sehen und nicht genug das rasche unternehmende Wesen der Kosaken bewundern kann. Fällt z. B., selbst bei starkem Froste, eine eiserne Brechstange durch das aufgeeisete Loch in den Strom, so wird hiervon nicht viel Wesens gemacht, der erste beste Kosak entkleidet sich, man bindet ihm einen Strick um den Leib, er taucht unter, findet die Brechstange und wird von seinen Kameraden wieder auf’s Eis gezogen, hier kleidet er sich schnell an, macht das Kreuz, nimmt dann auch wohl einen Schluck Branntwein und geht nun, als wenn nichts vorgefallen wäre, ruhig wieder an seine Fischerei.

Höchst interessant war die Fischerei im December, ich glaube im Jahre 1847. Es war schon hohe Zeit, das Präsent zum Allerhöchsten kaiserlichen Hofe abzufertigen. Der Ural war aber noch nicht ganz zugefroren, und in der Mitte gab es noch große Flächen offenes Wasser. Man versuchte wohl zu fischen, aber es wollte sich nichts fangen lassen. Endlich bemerkte ein Kosak, daß sich eine Menge Fische, durch den Lärm aufgescheucht, an der Oberfläche des offenen Wassers zeigten, wie nun aber da hinkommen? Doch ohne langes Besinnen wurde eine Eisscholle vom Rande abgehauen, ein rüstiger Kosak setzte sich darauf und schwamm nach der Mitte, vorsichtig mit dem Fischhaken im Wasser so lange herumfühlend, bis er endlich so glücklich war, einen recht großen Fisch mit dem Haken zu fassen. Nun aber wurde das Schauspiel erst recht interessant. Der Kosak konnte das große Thier nicht bändigen, es schleppte ihn mit der leichten Scholle hin und her, und zuletzt zog es ihn von der Scholle herab. Doch der Kosak hielt die Stange mit dem Fische immer fest, plätscherte im Wasser so gut es gehen wollte, und da er sich zuletzt dem Rande des Eises etwas näherte, so wurde ihm ein langer Haken vorsichtig in die Kleider gehakt, und nun Mensch und Fisch zusammen unter grenzenlosem Jubel auf’s Eis gezogen. Da nun das Kunststück so wunderbar geglückt war, so wurde eine große Eisscholle abgetrennt, mehrern Kosaken sprangen darauf, um den Feind mitten im Flusse anzugreifen. Dieser Fischfang war nun wohl mühevoll und ungewöhnlich, aber doch machte er den Kosaken eine allgemeine Freude, da das Allerhöchste Präsent nun zur bestimmten Zeit abgesendet werden konnte. Ist der Fischfang endlich an einem Tage beendet, so begibt sich Alles in’s Lager, es wird gegessen und getrunken, gekauft und verkauft, Fische eingesalzen und Kaviar gemacht. Die Tages-Ereignisse werden dann vielfach besprochen, es wird gelacht und gejubelt und die Ufer des Urals ertönen oft von den heimathlichen Klängen des Gesanges, bis endlich ermattet von der Arbeit Alles in Schlummer sinkt. Doch kaum graut der Morgen, so wird auch schon aufgebrochen, man zieht stromabwärts nach einer neuen Station, auf welcher die Fischerei eben so wie am ersten Tage wieder durch einen Kanonenschuß eröffnet wird. In dieser Weise rückt man alle Tage weiter vor, bis endlich der ganze Strom, so weit es bestimmt, völlig abgefischt ward und alle Kosaken in ihre Wohnungen zurückkehren. Die gefangenen Fische werden nun größtentheils in das Innere des Reichs gesendet, der herrliche Kaviar und die Hausenblase aber in ganz Europa herum verschickt. Die Winterfischerei ist nun beendet und erst im nächsten Frühjahr, wo wieder neue Schaaren von Fischen aus dem kaspischen Meer aufwärts in den Strom ziehen und alle Gewässer sich auf’s Neue füllen, beginnt das lustige Fischerleben von Neuem.