Die Gartenlaube (1898)/Heft 25
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Die evangelische Erlöserkirche in Jerusalem. Als am 7. November 1869 Kronprinz Friedrich Wilhelm, der nachmalige Kaiser Friedrich III, in Jerusalem weilte, ergriff er Besitz von einem Bauplatze, den der Sultan seinem Vater, dem Könige Wilhelm, geschenkt hatte. Der Platz war ein Ruinenfeld, das in unmittelbarer Nähe der Heiligen Grabeskirche und der mit hohem viereckigen Minaret gezierten Moschee Djami el-Omari lag. Muristau, d. h. Herberge oder Spital nannten ihn die Türken, denn an dieser Stätte wurde nach dem glücklichen Erfolg des ersten Kreuzzuges ein prächtiges Hospiz des Johanniterordens errichtet, und neben ihm entstand die Kirche und das Kloster Maria latina mit einem Hospital für erkrankte Pilgerinnen. Als Saladin am 2. Oktober 1187 Jerusalem wieder eroberte, schonte er das Johanniter-Pilgerhospiz und überwies einen Teil der Gebäude den Türken zur Benutzung als Irrenhaus. Im Laufe der Zeiten fielen jedoch die großen Bauten in Trümmer.
Als nun das Gelände in preußischen Besitz übergegangen war, entstand der Plan, die Kirche Maria latina wieder aufzubauen und als eine evangelische deutsche Kirche in Jerusalem einzurichten. Bereits im Jahre 1871 wurde Baurat F. Adler mit der Ausmessung der inzwischen ausgegrabenen Baulichkeiten und der Einreichung eines Entwurfes und Kostenanschlags vom Kaiser Wilhelm I beauftragt. Der Ausführung des Planes stellten sich jedoch Schwierigkeiten entgegen; zu jener Zeit bestand noch auf Grund älterer Verträge ein englisch-preußisches Bistum auf dem Berge Zion; erst nachdem diese Verträge im Jahre 1888 gelöst wurden, konnte eine freiere Entfaltung der deutschen evangelischen Organisation und Missionsthätigkeit in Jerusalem angebahnt werden. Kaiser Wilhelm II nahm die alten Pläne wieder auf, und am 31. Oktober 1893 konnte die Grundsteinlegung zu der evangelischen Erlöserkirche in Jerusalem stattfinden. Heute ist der Bau, dem die alte Kirche Maria latina zum Vorbild gedient hat, im großen und ganzen fertiggestellt; am 31. Oktober, dem Jahrestage des Reformationsfestes, ist sie im Beisein des deutschen Kaiserpaares feierlich eingeweiht worden. Die Erlöserkirche wird von einer Kuppel und einem 45,5 m hohen Glockenturme überragt.
Die Beverthalsperre bei Hückeswagen. Es giebt nur wenige Thäler, die so bevölkert und gewerbreich sind wie das Wupperthal, und wenige Flüsse, die von den Menschen derart zur Arbeit herangezogen worden sind wie die Wupper. Nach Hunderten zählen die Mühlen, Schleif- und Hammerwerke, die der geschäftig dahineilende Fluß auf seinem vielgewundenen Laufe von den Höhen des Sauerlandes bis zum Rhein in Betrieb setzt. Die Wupper ist aber gleich anderen durch Gebirgsbäche gespeisten Flüssen eine launische Arbeiterin. Je nach den Niederschlägen, die in ihrem Gebiet stattfinden, steigt und sinkt ihr Wasser, und die regelmäßige Ausnutzung ihrer Wasserkraft wird bald durch Ueberschwemmungen, bald durch einen niedrigen Wasserstand gestört. Um nun diesem Uebelstande vorzubeugen, hat man beschlossen, im Wupperthale große Stauweiher anzulegen. In ihnen soll das überschüssige Wasser gesammelt und in Zeiten der Dürre dem Flusse wieder zugeführt werden. Dadurch wird man sowohl plötzliche Ueberschwemmungen zum großen Teil verhüten, wie auch den regelmäßigen Betrieb der am Flußlaufe errichteten Werke sichern können. Zu diesem Zwecke hat sich im Jahre 1895 die „Wupperthalsperrengenossenschaft“ gebildet. Sie hat sich die Aufgabe gestellt, eine Thalsperre bei Hückeswagen im Beverthale mit einem Wasserbecken von 3,5 Millionen Kubikmetern Fassungsvermögen, eine zweite Sperre im Lingserthal mit 2,6 Millionen Kubikmetern Inhalt und außerdem zwei kleinere Ausgleichsweiher bei Beyenburg und Buchenhofen anzulegen. Die Mauer, die das Beverthal durchquert, hat eine Länge von 240 m und eine Höhe von 24,9 m; ihre Breite am Fundament beträgt 16,7 m und an der Krone 3,42 m. Die Arbeiten an den anderen Sammelbecken schreiten gegenwärtig unter Oberleitung des Professors Jutze und des Baumeisters Alb. Schmidt rüstig fort, und die gesamte Anlage, die zu den größten Wasserbauwerken Deutschlands zählt, wird voraussichtlich schon im Sommer des nächsten Jahres fertiggestellt werden.
Die Tanreks im Zoologischen Garten in Frankfurt a. M. In unterirdischen Höhlen und Gängen auf der Tropeninsel Madagaskar wohnt das etwa 1/4 m lange Tier. Es ist der Borstenigel oder Tanrek. Selbst dort, in den verborgensten Winkeln der Howainsel, war der lichtscheue Gesell vor der alles durchdringenden Forschung nicht sicher; die Wissenschaft zerrt ihn aus seinem Maulwurfsdasein hervor, und heute präsentiert sich der sonderbare Dickkopf im Zoologischen Garten zu Frankfurt a. M. den neugierigen Blicken der schaulustigen Welt.
Kann er sehen, oder nicht? Diese Frage läßt sich nicht bestimmt entscheiden. Schon an sich ist die Lidspalte recht mangelhaft und trotzdem kneift das Tierchen sie noch ängstlich zu, sichtlich unangenehm berührt durch das Tageslicht. Auch die Ohren sind klein und im dichten Pelz verborgen. Maul und Nase aber sind wohl entwickelt. Der etwas gekrümmte Unterkiefer sowohl wie die Kieferfläche des Rüssels sind dicht besetzt mit äußerst spitzen, stachelartigen Zähnen, und bei einem Angriff weiß der sonst so blöde dreinschauende Wühler recht wohl Gebrauch davon zu machen.
Der Kopf allein ist etwa halb so groß wie der ganze Körper; die Füßchen sind zum Graben geschickt und der Schwanz fehlt, da er einem Grabtier nichts nützen würde. Das Merkwürdigste ist das Kleid des Tanreks, und diesem verdankt er auch seinen deutschen Namen „Borstenigel“. Die oberflächliche Bedeckung bildet ein dichtes, gelbbraunes Haar. Ueber dies hinaus ragen vereinzelte lange Wimperhaare hervor, und tief im Pelz verborgen sitzen wiederum ganz kurze stachelartige Borsten.
Der Tanrek frißt in der Gefangenschaft – und ebenso in seiner Heimat – Regenwürmer. Es ist erstaunlich, daß es möglich war, die Tiere lebend von Madagaskar bis hierher zu bringen, denn diese Kost ist auf einer wochenlangen Seereise schwer zu beschaffen. Wie aber der Ameisenbär in der Gefangenschaft anstatt mit Ameisen mit Mehlbrei und Hackfleisch erhalten wird, so dürfte sich auch für den Tanrek eine Interimskost gefunden haben.
Stationszeiger. Seit Jahren steht auf dem Wunschzettel unseres reisenden Publikums eine Vorrichtung, die es ermöglicht, im Innern des fahrenden Zuges stets den Namen der nächsten Haltestelle ersehen zu können. Der Gedanke ist in London verwirklicht. Auf der City- und Süd-London-Untergrundbahn findet sich an jeder Wagenthür die gewünschte Vorrichtung. Sie besteht in einem in der Mitte der Thürfüllung angebrachten Blechschieber, welcher durch den Schaffner derart verstellt wird, daß in einem schmalen Schlitz stets der Name der nächsten Station sichtbar wird. Ueber diesem Schlitz befindet sich die Aufschrift: „Next Station“. So ist der Reisende jederzeit imstande, sich darüber zu vergewissern, wo er sich befindet.
Es würde sich diese Einrichtung auf unseren Zügen mit durchgehenden Wagen gleichfalls unschwer durchführen lassen.
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Halbheft 25. | 1898. | |
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Montblanc.
(4. Fortsetzung.)
Zum erstenmal in seinem buntbewegten Leben war eine schmerzliche Melancholie über Albrecht Steffen, den marokkanischen Handlungsreisenden, gekommen – und zwar im selben Augenblick, als er ferne über dem Gewühl des Marktplatzes drei Europäerinnen, von ihren Soldaten eskortiert, dahinreiten und ihre Maultiere dem Thor von Tetuan zulenken sah.
Es hatte ihn nicht mehr in dem kleinen maurischen Kaffeehaus gelitten, wo er neben einem negerartig dunklen beturbanten Geschäftsfreund gesessen und sich an dem Lieblingsgetränk der Eingeborenen, dem feurigen Aufguß frischer, grüner Theeblätter, gelabt hatte. Er war aufgestanden und nach einem kurzen Gruß an die rings mit verschränkten Beinen hockenden maurischen Männer ziellos auf den Gassen umhergeirrt, getragen von dem rastlosen Gewühl, das sie bis Sonnenuntergang durchflutet.
Als dann hoch von den Minarehs der letzte dröhnende Mahnruf der Gebetwächter verhallt, war er nach seinem kärglichen Mittagsmahl, an einer Art Strickleiter sich haltend, die steile Hühnertreppe zu einem kahlen schmutzigen Raum emporgeklommen, wo des Abends einige alte Musikanten das Ohr ihrer
[774] Stammesgenossen und mehr noch der etwa in Tetuan befindlichen Fremden durch Zimbelschlag, Guitarregeklimper und langgezogenen, näselnden Gesang sich zu ergötzen mühten. Aber plötzlich war ihm die Mohrenmusik unerträglich, die Gesellschaft, zwei junge Engländer, ein Hotelkurier, einige Regierungssoldaten, Treiberjungen und andere Schmarotzer des Fremdentums, widerwärtig, der Cigarettenrauch lästig wie noch nie, und er hatte mitten in dem Wehgesang der alten Barden den Ausgang gewonnen, mit dem festen Vorsatz, sowie nur der Rauch des Dampfers über dem fernen Silberblinken des Meeres sich kräuseln würde, der Barbarenstadt zu entfliehen.
Das war nun geschehen. Seit mittags befand er sich in Gibraltar und bot den an der alten Mole lungernden Bootführern, Kutschern und Matrosen das imposante Bild eines breitschulterigen, blondbärtigen, mit rätselhaften vernarbten Messerschnitten auf der linken Wange verunstalteten Mannes, der reglos auf das Meer blickend an einem Holzpfahl lehnte und alle Lockungen der dienstbaren Geister, ihn oder sein Gepäck an Bord eines Schiffes zu befördern, unbeachtet ließ. Erst als, schon im Abenddämmern, der verspätete Dampfer von Tanger weit draußen Anker warf, wurde der Gentleman lebendig und ging mit großen Schritten auf und ab, ungeduldige Blicke auf die langsam als schwarze Klumpen heranschwimmenden Landungsboote werfend.
Endlich waren sie da. Das Getümmel, das Cook und Sohns Karawane, wo sie ging und stand, umwitterte, begann von neuem, verstärkt durch einen wilden Auftritt des Majors mit dem Impresario. Der alte Herr hatte sich nach schweren Kämpfen entschlossen, die Rundreisegesellschaft zu verlassen und über sein schönes Geld ein Kreuz zu machen. Vorher aber sagte er dem Impresario noch einmal gründlich seine Meinung. Der verstand zwar kein Wort Deutsch, aber er erriet aus Ton und Gebärden, daß es sich um einen feindseligen Akt handelte, und antwortete in sprudelndem Sizilianisch. Beide schrieen gleichzeitig ineinander und erhitzten sich immer mehr, je weniger der zornmütige Ostelbier und der heißblütige Welsche einander begreiflich machen konnten, was sie voneinander wollten.
Der Handlungsreisende hatte inzwischen die drei Damen begrüßt und stand mit Klara und Hilda abseits. An ein Fortkommen war nicht zu denken, ehe es nicht der Gouvernante, die sich als Dolmetscherin ins Mittel gelegt, gelungen war, die Kampfhähne zu trennen. „Hatten Sie eine gute Ueberfahrt, Fräulein Hilda?“ frug er teilnehmend.
„Herrlich!“ In der Kleinen, die fröstelnd, von den Spritzern, des Seewassers bei der Kahnfahrt durchnäßt, neben ihm stand, war jetzt allmählich ein bitterer Trotz erwacht. „Das war die größte Erholung auf der ganzen Erholungsreise. Man hat doch was für sein Geld! Für zehn Pesetas darf man den ganzen Tag auf dem Schiff zubringen und sich schaukeln lassen ... wissen Sie ... immer hin und wieder her und wieder hin. Das ist auf die Dauer zu nett! Schade, daß Sie nicht dabei waren! Aber ich will meine Schwestern fragen: vielleicht machen wir morgen die Fahrt noch einmal!“
„Ach, die arme Kleine!“ sagte der blondbärtige Abenteurer und sah zärtlich auf die Jüngste herab. „Nun haben Sie’s ja überstanden!“
„Wer weiß, was morgen kommt!“ Sie wickelte sich zähneklappernd fester in ihr Mäntelchen. „Ich bin auf alles gefaßt. Wie geht es Jhnen?“
„Danke! Vortrefflich!“
„Und den Blutegeln?“
„Die sind wohl und gesund und lassen grüßen!“
„Und dem Pesetakurs?“
„Der befindet sich so leidlich als es bei diesem Schwerkranken überhaupt möglich ist! Im Ernst gesprochen, Fräulein Hilda: ich habe diesmal gar keine Blutegel und keinen Honig mit und in die Pesetakurse, obwohl sie an jeder Wechselstube in Waterport-Street angeschlagen sind, habe ich leichtsinniger Mensch noch keinen Blick geworfen. Ich habe zwei ganz andere Dinge im Kopf!“
„Zwei gleich?“
„Ja, ein großes Ding und ein kleines!“
„Und was sind die?“
„Das kleine Ding ist ganz nahe bei mir. Es könnte kaum näher sein …, besonders wenn ich im Dunkel seine Hand nehme und so ganz leise ein bißchen drücke. Die große Angelegenheit aber ist fern. Die schwimmt dort draußen auf den Wassern, wo die Jacht ‚Liberty‘ ankert, und ist ein Geheimnis!“
„Auch vor mir?“
„Oder eigentlich kein Geheimnis, sondern ein kecker Griff, von dem ich noch nicht weiß, ob er glückt. Aber versucht wird er. Heute noch. Das Glück flitzt nicht alle Tage an einem vorbei!“
„Und was ist es denn?“ wollte Hilda fragen. Aber da traten die andern dazu. Der Streit war durch die schwarze Dame endlich beigelegt, einmal noch maßen sich die Gegner mit bitterem Lächeln, dann drehte sich der Major um und erwartete, kampflustig seinen Knotenstock schwingend, den üblichen Ansturm der bettelnden Krüppel, Blinden und Tagediebe, die den Fremden in ganz Spanien zum Wahnsinn bringen und nach seiner Versicherung selbst unter seinem Bette nächtigten und ihn bis in die Badewanne verfolgten. Aber die abscheuliche Horde blieb aus. Er hatte vergessen, daß er sich auf englischem Boden befand, wo diese Landplage nicht gedieh, und seine Mienen hellten sich auf.
„Na, dann könnten wir ja ins Hotel jondeln!“ sagte er. „Da steht ja so ein blondbärtiges Individuum von ’nem Portier oder so ’was!“
„Das nun nicht!“ erwiderte der Fremde zu seiner Bestürzung in fließendem Deutsch. „Aber mit dem Kutscher hier“ – er wies auf eine mit Sonnendach überspannte Droschke – „habe ich schon ausgemacht, daß er Sie alle nach dem Hotel bringt. Anderthalb Peseten! Zwanzig Centimos Trinkgeld. Will der Kerl mehr, so lassen Sie ihn ruhig schreien oder holen den nächsten Policeman. Auf Wiedersehen, meine Damen! Schlafen Sie gut, Fräulein Hilda!“ Er grüßte und wandte sich dann zu einem der Schiffer, die mit ihren leeren Passagierbooten an der Quaimauer lagen. „Halloh, Caballero!“ gebot er, mit einem Satz in den Kahn springend. „Fahrt zu, Herr! Nach dem weißen Schiff dort, das vorhin kam. Und nehmt noch einen zweiten Caballero als Ruderknecht mit, damit es rascher geht!“
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Die beiden Kerle hatten ihn in der That in verhältnismäßig kurzer Zeit an Bord der „Liberty“ befördert. Dort aber mußte er warten, bis der Gast des Schiffsherrn sich verabschiedet hatte.
Erst als der Afrikareisende in eine von Matrosen der Jacht geruderte Pinasse gestiegen war und der Petroleumkönig ihm grüßend nachwinkte, trat Albrecht Steffen aus dem Schatten des Verdeckes vor, hob den Hut mit einer gewissen Feierlichkeit und sagte laut: „Guten Abend, Herr Rey!“
Der Angeredete musterte ihn höchst mißtrauisch. „Wer sind Sie denn?“
„Geschäftsmann! Albrecht Steffen mit Namen.“
„Wollen Sie etwas von mir?“
„Herr Rey! Ist schon je ein Mensch zu Ihnen gekommen, der nichts von Ihnen gewollt hat?“
„Nein,“ sagte der Millionär trocken. „Da haben Sie recht. Also was wollen Sie? Geld?“
„Herr Rey! Was kann denn ein Mann sonst von Ihnen wollen? Natürlich brauche ich Geld zu einer Unternehmung!“
„Hören Sie mal!“ Der Hausherr schüttelte den Kopf. „Sie sind ein merkwürdig … merkwürdig ungenierter Mensch!“
„Nicht wahr?“ frug der andere erfreut. „Hoffe, daß Ihnen das gefällt. Die Bescheidenheit ist eine herrliche Tugend. Aber man darf nur Sonntag nachmittags davon Gebrauch machen. Deshalb wende ich mich ohne falsche Scheu direkt an Sie.“
„Ja, weswegen gerade an mich? Ich kenne Sie gar nicht!“
„Herr Rey! Mich kennt kein Mensch! Das ist’s ja eben! Ich stecke fest in dieser weltverlorenen Ecke da drüben, wo Afrika aufhört und das salzige Wasser anfängt, und kriege keinen Finanzmann zu Gesicht, auf den ich einen vorteilhaften Eindruck machen könnte. Schreibe ich aber an Leute wie Sie – lieber Gott, da könnte ich viele hundert Jahre warten und es käme keine Antwort. Als mir nun mein Glücksstern Ihre Jacht gerade vor die Nase führte und die so einladend und lockend auf dem Wasser dalag, da kam es plötzlich wie eine Erleuchtung über mich und ich sagte mir: ,Jetzt sei kühn oder nie!‘ ...“
„Ich finde es allerdings kühn, unangemeldet spät abends zu mir an Bord zu kommen!“ Der Petersburger starrte den ungebetenen Gast aus seinen kalten grünen Augen an. Aber der Mund lächelte ganz wohlwollend. „Wenn ich Sie nun ersuchte, sich wieder in Ihr Boot zurückzubegeben …“
[775] „Dann haben Sie eine Million weniger!“ sagte der Fremde und that, als ob er gehen wollte. „Aber dann machen Sie mir, bitte, später keine Vorwürfe …“
Eine Million! Das interessierte den Großspekulanten. Es war also kein gewöhnlicher Schnorrer, der da vor ihm stand. „Was wissen Sie denn von einer Million?“ frug er und ein Lächeln spitzbübischer Aufmerksamkeit erhellte jetzt das ganze Knabengesicht.
„Da drüben liegt sie!“ sprach der abenteuernde Kaufmann gleichgültig und wies in die Nacht hinaus.
„Das ist die Richtung von Tanger?“
„Richtig, Herr! Sind Sie da nicht einmal über den Strand längs des Meerbusens außerhalb der Stadt gegangen oder geritten?“
„Jeden Tag.“
„Haben Sie nicht gefunden, daß da Geld drin steckt?“
„Wieso?“
„Eine stundenlange, ebene Strandpromenade aus feinstem Sand, herrlichster Blick auf zwei Weltteile und zwei Meere, denkbar pittoreskeste und interessanteste Umgebung, anerkannt vortreffliche, stärkende Seeluft mit kühlen Brisen im Sommer, starker Wellenschlag auf weithin ganz flachem, bequemem Seeboden ....“
„Man meint, Sie reden von Ostende oder Nizza!“
„Eben!“ sagte Steffen kaltblütig. „In diesem Strand steckt ein Seebad im großen Stil. Ein afrikanisches Modebad für Frühling und Herbst, wenn es anderswo zu kalt ist – passen Sie auf, wie das bei den Engländern und Yankees zieht! Ich weiß, was Sie sagen wollen: es giebt ein paar solche Plätze in Algier. Aber wie dürftig, wie schwer in ein- bis zweitägiger Seefahrt zu erreichen! Hier aber kann die Verbindung gar nicht bequemer sein. Wöchentlich einmal der schon jetzt bestehende Luxusexpreß Paris-Gibraltar und von da eine Spazierfahrt von ein paar Stunden. Und überhaupt die Nähe von Gibraltar: dieser Knotenpunkt des Weltverkehrs, wo alle Schiffe von London und New York, von Genua und Marseille anlegen. Es wird den Leuten beinahe zu leicht gemacht, unser Seebad Tanger zu überfüllen …“
„Unser Seebad ...“ sagte der Millionär mit hochgezogenen Brauen, aber der andere ließ ihn nicht zu Worte kommen: „Sie wissen, wie billig alle Lebensmittel drüben sind. Ganz Gibraltar bezieht ja seinen Bedarf von da. Interessante maurische Kaufläden, gute Pferde, Gelegenheit zur Eberjagd … nun … es existiert ja jetzt schon ein halbes Dutzend Hotels in Tanger, darunter ein bis zwei ersten Ranges. Und das ohne das Seebad.“
„Sollten Sie denn wirklich der Erste sein, der auf diese Idee gekommen ist?“
„Sehr einfach!“ sagte der Kaufmann. „Es ist eine Schwierigkeit da, eine große Schwierigkeit, die jeden anderen zurückschrecken würde: der Widerstand der marokkanischen Behörden. Ich bin seit Jahren kreuz und quer durch das Land geritten – ich kenne viele der Würdenträger und stehe gut mit ihnen. Wenn einer die Erlaubnis durchsetzen kann, bin ich es. Vor der deutschen Nation hat außerdem die Schwefelbande Angst, seit wir ihnen ein paarmal energisch mit Kriegsschiffen übern Hals gekommen sind. Sie als Russe können da wenig machen …“
„ … außer Geld geben!“ Nicolai Rey lachte herzlich. Die Phantasien seines späten Besuchers amüsierten ihn.
Der aber blieb ernst. „Geld, das sich vortrefflich verzinsen wird. Es ist eine große Sache, Herr Rey!“
Sie waren im Eifer des Gespräches auf dem Verdeck auf und nieder geschritten. Jetzt blieb der Petroleumkönig stehen.
„Einleuchtend ist mir das Unternehmen noch nicht,“ sprach er kühl und es zuckte heiter um seine Mundwinkel.
„Ich kann Ihnen Pläne und Berechnungen vorlegen. In wenigen Tagen. Hätte ich geahnt, Sie heute hier zu treffen ...“
„Ich reise morgen abend weiter, nach Marseille. Aber die Geschichte macht mir Spaß. Sie könnten mich einmal besuchen … in Chamounix. Dort bleibe ich.“
Der andere stand betroffen da. Die Fahrt kostete ihn einen großen Teil seiner Ersparnisse. Sein Gönner faßte das Schweigen anders auf. „Chamounix!“ wiederholte er. „Ueber Lyon und Genf. Ganz nahe von hier!“
Ueber Genf! Damit war Albrecht Steffens Entschluß gefaßt.
„Ich werde kommen, Herr Rey!“ sprach er gepreßt. „Freilich … wenn dann aus der Sache nichts wird …“
„Dann findet sich vielleicht etwas anderes!“ Der kleine Mann blinzelte ihn listig prüfend an. „Ich habe überall auf der Erde meine Geschäfte, und wenn jemand mir Spaß macht und gefällt, dann hab’ ich immer für ihn Verwendung.“
Durch die Straßen von Gibraltar zog in Gleichschritt und kriegerischem Klang der Zapfenstreich, junge hagere Rotröcke der britischen Garde, der baumlange Paukenschläger in phantastischem Pantherfell allen voraus, ein Gewühl von Spaniern, Juden, Seeleuten und Mauren wie ein Fastnachtszug hinterher.
Auch sonst war noch reges Leben in der Waterport-Street, durch die der Afrikaner, von der Jacht „Liberty“ kommend, langsam dahinschritt. Die feuerfarben leuchtenden Soldaten mit ihren Spazierstöckchen, die scharenweise herumstehenden Kaufleute und Händler, die in trunkenen Reihen ihres Weges ziehenden Kriegsmatrosen, die Hotelkuriere, die zweifelhaften Kaffeehausgäste, die vielen Offiziere in Civil – sie alle kümmerten sich nicht weiter um den Fremdling in seiner Wüstentracht. Hier, an dem Brennpunkt aller Welten, wo Afrika mit Europa sich eint und von diesem wieder nach Amerika, nach Asien und Australien die Dampferlinien ausstrahlen, hier fällt keine Erscheinung und keine Kleidung auf.
An ihrem Südende wurde die Straße stiller und stiller. Hier war das offizielle England – der Regierungspalast des Gouverneurs und seitlich davon die Kathedrale. Ihr gegenüber das Hotel, in dem der Afrikaner die Damen zu finden hoffte. Aber als er in den Drawingroom des kleinen Hauses trat, fand er nur die Gouvernante vor, die, schweigsam und ernst wie immer, mit dem ihr gegenüber sitzenden, noch etwas bläßlichen Major Domino spielte. Sie nickte ihm zu. Die Kleine habe sich, erschöpft von den heutigen Anstrengungen der Erholungsreise, schon schlafen gelegt, Klara aber sei die paar Schritte zum Strande hinuntergegangen, um noch die schöne Abendluft zu genießen.
Eine Luft, wie sie das rauhe Hochland Nordafrikas nicht kennt! Weit mehr als drüben in Marokko fühlt man sich hier den Tropen nahe. Der schmeichelnde, von überall her im Winde wandernde Blumenduft, das Rauschen hochgefiederter Palmen und zischelnder Zuckerrohrbüsche, die kosend weiche Schwüle der Nacht, in die nur zuweilen ein herber erfrischender Seehauch weht – das alles mischt sich mit dem rastlosen Rauschen der Wellen, dem gleichmäßigen Schaukeln der buntfarbigen Lichtpunkte in dem Mastenwald draußen über der weißrollenden Reede, dem klaren Sternenglitzern zu einem Gefühl tiefer, andächtiger Ruhe. Der wüste Lärm des Morgenlandes, das Schreien der Halbwilden und ihrer Arche Noah ist hier verstummt, der Dunst von Schmutz und Verwahrlosung steigt nicht mehr übel von allen Seiten auf. Hier ist die Stille, die Sauberkeit, das europäische Behagen. Und doppelt willkommen dem, der es durch Jahre nicht genossen und nun erst merkt, wie viel er wieder entbehrt hat in der langen Zeit da draußen – entbehrt an allen Freuden des Daseins, allem geistigen Leben, allem Verkehr mit wirklichen Menschen. Und der sich dann wieder fragt: Warum? Wie viel bringt dir die Abenteurerlust, die dich ruhelos über Länder und Meere hetzt, und wie viel nimmt sie dir von allem, was das Leben lebenswert macht?
An der steinernen Brustwehr, die hinter der Kathedrale sich über dem Meere hinzieht, hatten sie sich getroffen. Sie stand da und schaute in das Meer hinaus, mit seinen unruhigen Hafenlichtern und dem fernen Flimmerglanz des Städtchens Algeciras am anderen Ende der Bucht. Er war neben sie getreten und begrüßte sie stumm. Irgendwo am Ende des Mauerpfades tönten zuweilen schwere Atemzüge. Spanische Strolche oder anderes Gesindel, das da unter den Bäumen nächtigte. Sonst war kein Mensch ringsum zu bemerken. Hoch von oben her, von einer der Gipfelbatterien, kam der scharfe Knall und das donnernde Echo eines Signalschusses. Dann wurde wieder alles still.
„Schade, daß sie immer schießen!“ sagte Klara ruhig, als finge sie eine eben abgebrochene Unterhaltung wieder an. „Man möchte so gerne träumen und sich verlieren – aber die Schüsse wecken einen gleich wieder auf und man merkt, daß man nur in einer schönen Festung ist.“
„In einem Gefängnis! Jetzt sind alle Thore bis Morgengrauen geschlossen. Kein Mensch kann hinaus oder herein, und was sich draußen regt, wird festgenommen.“
[776] „Wie sind Sie denn dann aber hereingekommen?“
„Ich bin gerade noch vor Thorschluß in Old-Mole gelandet. Sonst hätte ich umkehren müssen und die Nacht an Bord der ‚Liberty‘ bleiben.“
„Mich wundert überhaupt, daß Sie das nicht gethan haben,“ sagte die Malerin und schaute wieder in die Weite. „Eingeladen hat man Sie doch gewiß. Und es muß doch eine sehr unangenehme Nachtfahrt gewesen sein – die weite Strecke von dem Schiff bis zur Old-Mole!“ Sie wies nach einem weißen Schattenstrich in der Ferne, der sich undeutlich zwischen dunklen Schiffskörpern von dem satten, schaumgesprenkelten Schwarz des Meeres abhob. Er sah sie erstaunt an. „Woher wissen Sie denn, daß dort die ‚Liberty‘ liegt?“
„Ich hab’ sie doch gesehen. Und vor einer Stunde konnte man sie noch ganz deutlich erkennen!“
„Also so lange stehen Sie schon hier?“
„Seit dem Dinner steh’ ich hier! Was soll ich denn im Hotel machen?“
„Aber viel ist hier doch eigentlich auch nicht los?“
„Ich bin doch wenigstens allein,“ sagte Klara müde. „Es giebt Stunden, wo man das braucht.“
Er rückte dicht zu ihr heran, so daß sie Kopf an Kopf dastanden und in das Plätschern der Wellen an der Quaimauer hinabschauten. „Ich glaube, ich habe Ihnen vorhin weh’ gethan!“ sagte er plötzlich. „Und das thäte mir sehr, sehr leid!“
Sie schaute ihn fragend an.
„Ich meine, weil ich wieder an Bord der verwünschten weißen Jacht gegangen bin! Sehen Sie sich das Ding nur an! Liegt es nicht wie so ein Geisterschiff auf dem Wasser? Wie so ’ne Art Fliegender Holländer oder so was?“
„Sie können doch kommen und gehen, wie Sie wollen. Wenn mir etwas weh thut – nein, ich will sagen, wenn mich etwas wundert, ist es nur, zu sehen, daß selbst ein Mann wie Sie ein Spielball des Augenblicks werden kann. Denn, wenn ich an Ihr Gesicht denke, als Sie mir damals in Tetuan das Päckchen für Berlin gaben und mir erzählten, daß die Tochter des Herrn Rey und ihre Freunde Sie verlassen hatten …“
„Haben Sie das Päckchen bei sich …?“
Sie nickte. „Hier in meiner Tasche! Da ist es!“
Er nahm es ihr aus der Hand und ließ es in seinen Rock gleiten. „Also …, ‚wenn ich an Ihr Gesicht denke‘ … fahren Sie doch fort! Sie wissen, wie gut mir Ihre Strafpredigten thun!“
Aber sie schüttelte den Blondkopf. „Nein. Das war damals. In Tetuan haben Sie’s gebraucht. Weil Sie krank waren, oder vielmehr mit den Nerven herunter. Aber jetzt, wo Sie, gottlob, besser sind …“
„Die Stiche in der Herzgegend hab’ ich leider immer noch. Also lassen Sie sich nicht abhalten!“
„Nein,“ sagte sie kurz und schaute von ihm weg in das Kochen der See hinunter.
„Dann will ich Ihnen etwas sagen!“ Er neigte seinen Mund zu ihrem Ohr. „Ich war heute zum letztenmal auf diesem weißen Geisterschiff da drüben. Wirklich zum letztenmal. Nun bin ich frei.“
Sie sah ihn schweigend an und schüttelte zweifelnd den Kopf.
„Doch!“ sagte er zornig. „Heute ist die da drüben zum letztenmal vor mir verschwunden, während ich schon ihre Hand zu halten glaubte. Als ich zurückfuhr, kam mir ganz plötzlich die feste Ueberzeugung, daß sie doch auf dem Schiff war! Sie ließ sich ganz einfach vor mir verleugnen und blieb ruhig in ihrer Kabine. Ich weiß es. Und ich lasse nicht mehr mit mir spielen. Seit ich Sie kenne, habe ich meinen Stolz wiedergefunden.“
Sie erwiderte nichts. Um die beiden dunklen Gestalten spielte der warme Blumenwind und unter ihnen flüsterten die Wellen. Vom Hotel her kam, den Strohhut schief im Genick, ein junger Lieutenant der Coldstream-Garde und ging, das Paar erblickend, diskret im Bogen vorbei.
Der Afrikaner schaute ihm nach, bis er im Dunkel verschwand. Dann wandte er sich seiner Gefährtin wieder zu. „Haben Sie nun eigentlich näher über Ihre Zukunft nachgedacht, Fräulein Klara?“ frug er mit einem unsicheren Klang in der Stimme. „Ich meine … was nun eigentlich werden soll …“
„Da ist doch nicht viel nachzudenken. Die Sache zwischen dem Major und meiner Schwester scheint sicher. Wenigstens hat er nach einem schrecklichen Lärm mit dem Impresario sein Cooksches Rundreiseheft fahren lassen und sich entschlossen, uns nach Genf zu begleiten. Dort bringen wir die Kleine unter …“
„Und was thun Sie dann?“
„Ich muß nach Dresden zurück. Dort habe ich mein Atelier. Und die Leute, die meine Sachen kaufen. Dort muß ich schon bleiben. Leider Gottes nun bald ganz allein.“
Sie brach ab. Die ganze Stadt schien jetzt zu schlafen. Jeder Lärm war verstummt. Nur ein Rauschen und Brausen wallte unbestimmt dahin, der Zwiesang zwischen Luft und Meer, und darüber stand still die Sternenpracht.
Da hörte sie neben sich seine Stimme. „Eigentlich möchte ich Sie etwas ganz Indiskretes fragen,“ sagte er. „Wie alt sind Sie eigentlich, Fräulein Klara?“
„Siebenundzwanzig! Ich hab’s Ihnen ja schon einmal gesagt.“
„Ja, ich weiß. Eben darum wundert es mich eigentlich.“
„Was denn?“
„... Ich meine … daß Sie noch nicht geheiratet haben.“
Sie wandte sich von ihm ab, dem Meer zu. „Können hätt’ ich schon öfters,“ sagte sie, ohne ihn anzusehen, vor sich hin. „Und es war wohl dumm von mir, daß ich’s nicht gethan hab’!“
„Warum haben Sie’s nicht gethan? Verzeihen Sie die Frage. Aber es … es liegt mir wirklich viel daran.“
„Warum?“ Ein trauriges Lächeln umzog ihren Mund und sie stockte eine Weile. „Schließlich … warum sollen Sie es nicht wissen: es war eben einer da. Der kam nicht … Er ahnt es nicht. Er wird es nie ahnen. Er ist ja nun auch schon verheiratet und glücklich, und ich wünsche ihm nichts Besseres auf der Welt …“
„... und Sie sind dafür unglücklich!“
Sie sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Das ist kein Unglück!“ sagte sie ernst. „Nein, wahrlich … das ist etwas Großes, Heiliges. Ich weiß es, denn ich trage es seit vielen Jahren …“
„Und Sie wollen es tragen Ihr Leben lang?“
Sie richtete sich plötzlich auf. „Nein,“ sprach sie beinahe hart. „Man muß auch einmal darüber hinaus! Das Leben verlangt auch sein Recht. Und ich glaube, jetzt habe ich es endlich hinter mir und bin innerlich frei.“
„Fräulein Klara,“ sagte der Afrikaner langsam. „Ich habe die Absicht, mich morgen nach Marseille einzuschiffen. Ich will dann ein paar Tage an der Riviera zubringen, um mich zu erholen und weil ich überhaupt glaube, daß mir ein bißchen Einkehr bei meinem inneren Menschen gut thut. Dazu muß man allein sein. Aber wenn das geschehen ist ..... erlauben Sie mir, Sie dann in Genf aufzusuchen?“
Sie nickte nur und vermied seinen Blick. Aber er sah ihr Lächeln. Er faßte ihre Hand. „Also sagen wir uns heute abend nicht Adieu, sondern Auf Wiedersehen! Und nun kommen Sie ins Hotel zurück! Sie brauchen auch Ruhe nach der unangenehmen Seefahrt.“
Sie gingen langsam die Straße hinauf, zu deren Seite, neben der Kirche, ein kleiner Tropengarten duftete und blühte. Ihre Schritte hallten an den schweigenden Wänden wider. Sie blieben stehen, sahen sich an und setzten dann, ohne ein Wort zu sprechen und mit auf den Boden gesenkten Blicken, ihren Weg fort.
Die Hotelthüre stand offen. Ein gelber Lichtschein fiel heraus in die Nacht. Von innen klang das Gelächter englischer Offiziere, helle Frauenstimmen dazwischen.
„Gehen Sie allein hinein!“ sagte ihr Freund. „Es ist besser, als daß man uns zusammen sieht. Also nochmals: auf Wiedersehen in Genf!“
Er reichte ihr die Hand und fühlte ihren herzhaften Druck, wie den eines treuen Kameraden. „Auf Wiedersehen!“ sagte sie heiter. „Ich erwarte Sie und bin froh, wenn Sie kommen!“
Ein seltsamer Gegensatz: In acht Tagen von Marokko nach Monaco, aus der weiten Wüste in die Fäulnis der Kultur, aus der Gesellschaft bezopfter, wildblickender afrikanischer Barbaren mit langen Entenflinten in der Hand und braunen Fetzen um die dürren Leiber in den Kreis stöckchenschwingender und sonnenschirmbewehrter, artig lächelnder und thöricht plaudernder europäischer Menschheit ……
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[778] In Genua gelandet, hatte der Afrikaforscher gerade an der Station Monte Carlo der Mittelmeerbahn seinen nach Marseille führenden Wagen verlassen. Warum, wußte er eigentlich selbst nicht. Es schwebte ihm ein unbestimmter Eindruck der Spielerstadt als eines Ortes vor, wo man ungestört war, weil hier überhaupt niemand auffiel, und mit sich und seinen Gedanken ins reine kommen konnte. Hinter einer dicken alten Dame am Roulettetisch stehend, warf er mechanisch ab und zu ein paar Fünffrankenstücke auf das grüne Tuch, wohin sie eben fielen, und sah teilnahmlos zu, wie die Harke des Croupiers sie einheimste oder verdoppelte. Eigentlich war das Ganze höchst langweilig. Nichts von jenem prickelnden Reiz, mit dem man in den Schilderungen der „Spielhölle“ so freigebig umgeht, von jenem schmeichelnden Hauch des Lasters und der Sünde, der angeblich über diesen magischen Tischen brütet. Die Besucher: jetzt zur Sommerszeit meist schlechtgekleidete, beklommene Touristen, die halb über ihre eigene Kühnheit erschrocken und zugleich stolz darauf zu sein schienen, dazwischen allerhand unzweifelhaftes Pariser und internationales Gaunervolk, dem scharfen Blicke des Weltreisenden in keiner Weise interessant, sondern einfach widerwärtig und Vorsicht gebietend, wie vieles andere Gesinde!, das er in allen Hafenstädten der Erde thätig gesehen. Ja selbst das aus allen Büchern berühmte, näselnde „Faites votre jeu, Messieurs!“ fehlte. Die Croupiers sprachen durchaus wie andere Menschen und benahmen sich nicht auffallender als ein gewandter Verkäufer hinter seinem Ladentisch.
Eben jetzt streckte der Bankhalter seine Harke aus und zog das vor dem Afrikaner liegende Silberhäufchen, das dieser unachtsam schon dreimal hatte stehen lassen, mit einem gleichgültigen Ruck zu sich heran, was die alte Dame sofort zur Einzeichnung einer Reihe geheimnisvoller Punkte auf dem vor ihr liegenden Papptäfelchen veranlaßte. Der hinter ihr aber hatte von der Dummheit genug. Er verließ seinen Platz bei der Sibylle des Roulettetisches und ging gelangweilt durch den Saal.
Dieses halblaute Summen, diese langen Tafeln, an denen die schwarzen Menschenmauern sitzend und stehend in mehrfachen Reihen beinahe übereinander klebten, wie die Fliegen um den Rand der Zuckerschüssel, ja selbst das Geld, um das sich hier alles drehte, die auf dem grünen Billardtuch flimmernden Silberhäufchen, und drüben, in dem vornehmeren Saal des Trente-et-Quarante, die rotgoldenen Scheiben der Hundertfrankenstücke und die knisternden Noten – selbst das erschien ihm alles so unendlich thöricht und kleinlich – spießbürgerhaft, gimpelhaft beschränkt, wenn er an die Wildnis dachte, deren nächtliches Windesklagen und Raunen in zerklüftetem Gestein, deren gewaltiger Sonnenbrand über endlos glühenden Steppen ihn eben noch umfangen.
Und als er draußen vor dem Eingang des Spielsaals sich auf eine Bank niedergelassen hatte, um sich das babylonische Sprachengewirr, das Seidenrauschen, den Cigarettendunst und Parfümhauch des Weltnestes, da fühlte er in sich die alte Sehnsucht nach der Wüste. Dort war die Einsamkeit das Selbstverständliche. Hier wirkte sie drückend auf ihn, wie auf einen Menschen, der allein ein großes Wachsfigurenkabinett durchwandert und all die starren Augen, das stereotype Lächeln auf sich gerichtet sieht. Alle diese Menschen kamen ihm wie Schemen, wie Schatten vor. Er war ihnen fremd geworden, sie berührten ihn beinahe unheimlich, den schweigsamen Gast aus fernen Landen, dessen gebräunten und gefurchten Zügen der Schwarze Erdteil seinen Stempel aufgedrückt hatte.
Aber ging es ihm dort nicht ebenso? Den Blick auf das blaue Mittelmeer gerichtet, von hochgefiederten Palmenfarren überschattet, verfiel er ins Träumen, während vom Pavillon her über die schmeichelnden Weisen der Kapelle klangen und auf ihren Tonwellen sich wiegend ein süßer Blumenduft die Luft durchzitterte. War er dort nicht erst recht ein Fremdling, unter Wilden, die er selbst kaum als Menschen ansah – war er nicht ein Fremdling überall?
Ueberall, wohin ihn sein unruhiger Wandertrieb geführt, und es gab wenig Orte auf der Erde, die er nicht betreten. Er war der Gast des weißen Zaren in Petersburg gewesen und hatte, mit Kannibalenkönigen in Centralafrika Blutsbrüderschaft getrunken. Auf dem thrantriefenden, verwetterten Robbenfänger im Polarmeer war er zu Hause wie in den schwimmenden Riesenhotels zwischen Bremen und New York, am löwenumbrüllten Lagerfeuer wie in den Zopfpalästen kleiner deutscher Residenzen, deren Stillleben sein Besuch unterbrach. Er hatte mit den Fürsten der Wissenschaft zu Berlin, London und Paris die Probleme menschlicher Erkenntnis zu lösen gesucht und mit rauhen Berner Bergführern den neuen Aufstieg zum Gipfel des Cooksberges in Neuseeland beraten, er hatte in dem Orgelbrausen und der farbigen Nacht gotischer Dome, wie in der kahlen Halle der Moscheeen, in Synagogen und Pagoden, auf totenschädelgeschmückten Fetischplätzen und heiligen Bergen weiße und braune, rote, schwarze und gelbe Menschen zu ihrem Gotte beten und ihren Frieden, wie sie ihn wollten, erringen sehen. Nur an ihm selbst war der Friede stets vorbeigegangen. Er stand lockend, weit in der Ferne, wie jenes trügerische Spiegelbild der Dinge, jene Fata Morgana mit ihren verkehrt in der Luft schwimmenden Bäumen und Häusern, ihrem lockend zitternden Wasserspiegel, die er so oft, hoch wie auf einem Turm im schleudernden Sattel des Kamels kauernd, auf seinen Wüstenritten geschaut.
Jener Friede – jenes Gefühl der Ruhe, das er sich seit langer Zeit nicht mehr anders hatte denken können als im Besitze Angelas. Er war sich seit ihrer ersten Begegnung wie ein unvollständiger Mensch vorgekommen. Das Bruchstück, das ihm fehlte – das war sie. Sie gehörte zu ihm – sie war eigentlich ein und dasselbe wie er. Erst wenn sie sich ergänzten, waren sie wirklich da und lebten.
Gerade weil sie so ganz anders war wie andere Frauen. Deren puppenhaftes Gewirtschafte und Gethue, ihre thränenselige Weichheit, ihr spielendes Getändel zwischen Regen und Sonnenschein, mit Lachen und Weinen zu gleicher Zeit, hatten auf den harten Wüstenwanderer immer nur erst belustigend, dann langweilig gewirkt. Sie erschienen ihm, weil er sie nie näher kennenlernte und nicht wußte, wie viel und wie Großes aus einem liebenden Weibe werden kann, eigentlich fast wie Kinder. Ein ernster Mann konnte sie nicht ernsthaft nehmen und machte einen schlechten Tausch, wenn er sein rauhes, männliches Selbst für solch ein zartes Nichts hingab!
Angela war nicht so geartet. Sie bereicherte ihn. Sie war von seinem Stamm – kühl und stark. Und zuweilen war es ihm vorgekommen, als ob sie selbst das ebenso gut wisse wie er – als ob das befreiende Wort schon auf ihren Lippen läge. Aber gerade dann, wenn sie beide sich plötzlich schon im Schweigen verstanden und ein beklommenes Ahnen sie umfing – dann kam der Umschwung. Wie vom Winde verweht war sie auf einmal verschwunden und kein Lebenszeichen verriet dem Suchenden die Richtung ihrer Flucht.
Und wer da auch Stund’ um Stunde und Tag um Tag hinter ihr herzog, dem Trugbild kam er nicht näher! Das, was man ersehnt, läßt sich nicht erjagen und greifen, und wenn man auch die ganze Erde umkreist! Dort findet man es nicht. Was man so ferne wähnt, hat man vielleicht ganz nahe, hat man in sich! Man muß es nur sehen.
Das Glück? Vor acht Tagen noch hatte er drüben in der Wüstenstadt in dem Brief an Angela über das Glück in Schlafrock und Pantoffeln gespottet, mit dem blonden Etwas am Kaffeetisch gegenüber, und einem anderen zappelnden Etwas am Boden und der guten Stube ringsherum. Auch jetzt noch mußte er lächeln, wenn er sich in solcher Lage dachte. Aber es war ein nachdenkliches Lächeln und etwas Hoffnung und Neugier darin.
Es mußte doch schön sein, von allen Fahrten und Stürmen im stillen Hafen auszuruhen, eine Freundin neben sich, die einen versteht und bewundert, ein kleiner, dankbarer Wirkungskreis in Haus und Hof, am Schreibtisch und im Familienraum, nachdem man mit den großen Thaten abgeschlossen, ein friedliches Alter, dem sich in der lärmenden Kindheit neuer Generationen die eigene Jugend wieder erneut, ein stilles Lächeln am Schluß …
Seltsam! Es war ihm bisher nie in den Sinn gekommen, daß er sein Leben bis zum vollgemessenen Ende ausleben könne! Wie seine Berufsgenossen, die anderen großen Reisenden, war auch er jeden Augenblick auf den Tod gefaßt. Es erschien ihm selbstverständlich, daß er einmal unversehens in der Vollkraft seiner Jahre hingerafft würde, sei es unter Fieberschauern und dem Geheul der herumhockenden Träger im afrikanischen Urwald oder im Donner der Lawinen, dem Chaos des Seesturms – vielleicht hinterrücks durch Mörderfaust, vielleicht durch eigene [779] Hand, wenn kein anderer Rat mehr blieb – irgendwie waren schon die meisten hingegangen, die mit ihm kämpften und strebten.
Und nun öffnete es sich vor ihm plötzlich auf seiner unsteten Wanderschaft wie ein entlegenes, liebliches Seitenthal voll Sommerschweigen und Frieden, und eine freundliche, blonde Gestalt winkte ihm lachend: „Tritt bei uns ein! Hier findest du die Ruhe!“
Noch stand er draußen, wo der Sturm über die Heide pfiff. Noch hatte er die Wahl. Und es war ein eigenes Vergnügen, mit dem Gedanken an das Glück im Thale zu spielen, um ihn herumzugehen, ihn zu meiden und zu fliehen beinahe zu gleicher Zeit.
Wenn er ihn noch meiden konnte! Er fühlte mit einer Art Schrecken, wie etwas gebieterisch da drinnen nach Rast und Schonung drängte – ein Gebot der Natur, das stärker war als dies trotzige, ungeduldige Herz und es, wenn es dagegen pochte, mit hartem Griff niederzwang.
Jetzt eben wieder! Er fühlte ein schmerzliches Stechen, der Atem stockte. Nur einen Augenblick – dann war es wieder vorbei, und er schaute, wie aus einem Traum auffahrend, in das Völkergemisch umher, das, wie die Bienen vor dem Stock, um den Eingang zum „Cercle des Etrangers“ summte und schwärmte. Ein alter Franzose, der neben ihm auf der Bank saß, taxierte zu seinem Vergnügen die frohen oder enttäuschten Gesichter der Herauskommenden und wie einzelne Tropfen fielen die Worte „gagné“ – „perdu“ – „perdu“ – „gagné“ voll schläfrigen Interesses von seinen Lippen. Und von drüben her schmeichelte sich immer noch das Lied von den drei kleinen Schulmädchen aus dem „Mikado“ ins Ohr, die Rosen- und Veilchenbeete prangten und blühten in einem Rausch von Duft, das Mittelmeer leuchtete weithin an der von den Lichtpunkten der Villen und Dörfer besternten Küste in einem tiefen, satten Blau wie der wolkenlose Himmel darüber, und sein kühlender Seewind koste mit den Fiedern der Palmen, dem Schwarz der Lorbeerhaine und Cypressen, dem saftigen Hellgrün der englischen Rasenflächen, hinter denen sich palastartig die Hotels um das liebliche Raubnest scharten.
Aber seine Augen sahen die schmeichelnde Pracht ringsum nicht mehr. Sie blickten zurück, in einen regendrohenden, grauen Abend: zerrissene Felszacken rings um das einsame Hochthal und von ihnen herabfahrend heulende Sturmstöße über das zischelnde Zwergpalmengestrüpp, das Dickicht von stachligen Agavenhecken und schlanken Aloestauden am Weg. Und aus dem Dickicht war, wie von einem unsichtbaren Zügel des tückischen Zufalls geleitet, der Stier getreten und stärker gewesen als der Mensch. Der lag am Boden und das Pferd auf ihm. Seit diesem Sturz war die Wandlung in seinem Wesen eingetreten, das Gefühl des Krankseins, das er sonst selbst bei heftigen Fieberschauern dank seiner sich aufbäumenden Lebensenergie nie eigentlich als etwas Ueberwindendes, ihn wehrlos Machendes so wie jetzt empfunden, und mit ihm der Drang nach Ruhe. Wohl hatte die erste Berührung mit der Kultur, Klaras aufmunternde Worte, der Verkehr mit Europäern, die veränderte Lebensweise, die Seeluft anfangs auf ihn erfrischend und anregend gewirkt, so daß er das Abenteuer und seine Folgen ein paar Tage ganz vergaß.
Aber jetzt, wo er wieder allein war, wo der erste Reiz der wiedergewonnenen Civilisation nachließ, jetzt meldeten sie sich wieder an und wurden von Tag zu Tag stärker. Zwar das Fieber hatte er, sowie er in der Apotheke frisches und gutes Chinin erhalten, sofort unterdrückt. Und kehrte es auch einmal wieder, so kannte er es ja seit vielen Jahren als seinen treuesten afrikanischen Begleiter und wußte: der war nicht mehr imstande, ihn zu erschüttern und sein eigentliches Wesen zu ändern.
Das kam von jenem bösen Abenteuer mit dem Stier, dieser plumpen Falle des Schicksals, das ihn aus so vielen wirklichen Gefahren errettet hatte, um ihn am letzten Tag einer zweijährigen Reise diesem hirnlosen Vieh auf die Hörner zu liefern.
Der Zorn übermannte ihn. Er stand auf und ging langsam die Promenade entlang. Es war kein Zweifel: er war krank. Und kranke Menschen fassen Entschlüsse, die sie vielleicht nachher bereuen! Diese Reise nach Genf, die über sein ganzes künftiges Leben entschied, die mußte bei kühlem, klarem Bewußtsein unternommen werden, in der vollen Sicherheit, daß ihn nicht eine vorübergehende trübe Anwandlung infolge von Körperleiden in den Hafen der Ehe und der Ruhe trieb.
Dieses Leiden mußte ja doch nun einmal auch wieder besser werden, und dann erst hatte er die völlig freie Wahl, ob er rechts oder links gehen sollte.
Ob er einen Arzt zu Rate zog? Sonst hielt er nicht viel von ihrer Kunst. Was hätten sie ihm auch im Herzen Afrikas helfen können, wo jeder sein eigener Doktor ist und sich mit Chinin und Selbstvertrauen kuriert? Aber jetzt kam ihm, während er, beinahe ohne es zu wissen, den Weg zum Bahnhof hinunterstieg, doch der Gedanke, auf diese Weise Sicherheit zu erlangen. Wozu sich unnütz quälen und eine Sache hinziehen? In Nizza gab es treffliche Aerzte aller Nationen. Zu dem besten von ihnen wollte er gehen und sich ein paar Tropfen oder so etwas verschreiben lassen. Dann war die Sache wohl bald abgethan und er konnte über den ganzen kläglichen Zwischenfall und über die Beklemmung lachen, die sich ihm jetzt immer wieder um die Brust legte.
Eben, als er in den Bahnhof trat, fuhr einer der zahlreichen Züge nach Nizza ein. Er hatte gerade noch Zeit, das Billet zu nehmen und einzusteigen. Dann trug ihn die Bahn durch die Pracht südlicher Gärten hin längs des blauschimmernden Meeres nach der nahen Fremdenstadt.
Der Arzt, ein alle Sprachen beherrschender Deutscher, war nur durch Zufall aus Kissingen, wo er den Sommer über praktizierte, auf ein paar Tage in Geschäften nach Nizza gekommen und der Besuch eines Patienten war ihm unerwartet. Doch verweigerte er die Konsultation nicht, sondern vollzog gründlicher vielleicht noch als sonst, wenn ihn der Schwarm der Wartenden im Vorzimmer zur Eile drängte, die Untersuchung. Ihr Ergebnis aus dem unbeweglich ruhigen bebrillten Gesicht zu lesen, war unmöglich. „Sie haben unregelmäßig gelebt?“ frug er, während der Patient sich Rock und Weste wieder zuknöpfte.
Der mußte über die Frage lachen. „Wie man in Afrika und sonstwo unter den Wilden lebt!“ sagte er. „Viel Sinn für Pünktlichkeit und Ordnung hat die Gesellschaft nicht.“
„Viel Anstrengungen und Entbehrungen haben Sie auch durchgemacht?“
„Jedenfalls mehr als in Europa üblich ist!“
„… und geistige Getränke genossen?“
„… Wenn ich sie hatte, mit großem Vergnügen.“
„Nun ja.“ Der Arzt nahm seine Brille ab und polierte sie sorgfältig blank, während er in der dadurch entstandenen Pause nach Worten suchte. „Und dazu kam nun, wie Sie angeben, dieser Sturz als äußerer Anlaß …“
„Ja, die Affaire mit dem Stier. Es ist kaum glaublich, daß das erst acht Tage her ist …“
„Nun sagen Sie, bitte …“ Der Sanitätsrat sprach langsam und bedächtig, als wollte er jede Silbe auf die Goldwage legen. „Was sind, wenn ich danach fragen darf, Ihre Zukunftspläne? Ich meine, Sie sind ja ein stark bewegtes, an Abenteuern reiches Leben gewohnt. Beabsichtigen Sie, dies Leben auch in Zukunft fortzusetzen – ich meine, wieder nach Afrika zu gehen, oder ähnlichen Gegenden – oder haben Sie vielleicht mehr im Sinn, sich künftig der Ruhe und Erholung, wissenschaftlichen Studien und dergleichen zu widmen?“
Der Angeredete schaute ihn erstaunt an. Wie kam der Arzt zu der Frage? Er konnte doch unmöglich wissen, vor welcher Entscheidung sein Patient stand, und trotzdem trafen seine Worte gerade diesen Punkt, um den sich alles für ihn drehte.
„Gehört das eigentlich hierher?“ frug er etwas brüsk.
„Ja. Ich möchte meine weiteren Mitteilungen bis zu Ihrer Antwort verschieben.“
„Nun.“ Der Afrikaner sah gedankenvoll vor sich hin. „Eigentlich . . ehrlich gesagt . . habe ich augenblicklich keinen besonderen Drang zu neuen Erlebnissen. Ich möchte lieber wenigstens eine Zeit lang irgendwo unterschlupfen und mich pflegen lassen.“
Der Arzt lächelte befriedigt. „Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde. Eben dasselbe muß ich Ihnen raten, dringend raten. Sie brauchen vollkommene Schonung.“
„Ach, Schonung!“ Der Forscher stand ärgerlich auf. „Wenn ich mich geschont hätte, wäre ich schon lange tot.“
„Und wenn Sie sich jetzt nicht schonen, werden Sie’s sein!“ Die Stimme des Arztes klang plötzlich fester und bestimmter als bisher. „Ich muß es Ihnen sagen, es ist meine Pflicht!“
[780] „Ja, was soll ich denn thun?“
„Ein möglichst ruhiges, eingezogenes Leben führen … auf dem Lande, in frischer, guter Luft … ohne viel Lärm und Zerstreuung … in einem kleinen Kreise sympathischer Menschen … – Darf ich mir die Frage gestatten, ob Sie verheiratet sind?“
„Nein!“
„Nein? Hm … ja, wie ich sagte, in kleinem harmonischen Kreise. Geistige Thätigkeit mit Maß und Ziel. Hingegen, was körperliche Anstrengungen und Excesse aller Art betrifft … die sind unbedingt schädlich und müssen vermieden werden. Ein kleiner Spaziergang täglich, besser noch eine Spazierfahrt … keine Erhitzung, kein Treppensteigen … kein Alkohol und Tabak … abends zeitig zu Bett … leichte Diät … keine Sorgen und Affekte ...“
„Nun hören Sie aber, bitte, mal auf!“ sagte der am Fenster trocken. „Was bleibt denn da noch vom Dasein übrig? Glauben Sie, daß ich solch eine Existenz auch nur vier Wochen lang aushalte?“
„Sie werden wohl müssen!“
„Vier Wochen lang?“
„Nein!“ Der Sanitätsrat hatte sich gleichfalls erhoben und war zu seinem Patienten getreten. „Sie sind doch zu mir gekommen, um die volle Wahrheit über Ihr Befinden zu hören?“
„Freilich!“
„Und da Sie ein Mann sind, werden Sie das, was ich Ihnen jetzt sagen muß, auch tragen können. Es handelt sich nicht um vier Wochen, es handelt sich um Ihr ganzes übriges Leben!“
„Was?“ Der Afrikaner fuhr herum. Ein gewaltsamer, schmerzhafter Schrecken durchzuckte ihn. und er preßte unwillkürlich die Hand an die Brust.
„Ihr ganzes Leben,“ wiederholte der andere ernst. „Sie müssen sich das alles jetzt ganz anders einrichten, und es trifft sich ja noch sehr gut in all dem Unglück, daß Sie ohnedies die Absicht hegen, den Abenteuern Valet zu sagen und sich zur Ruhe zu setzen … vielleicht auch sich einen häuslichen Herd zu gründen, was natürlich eine derartige Existenz außerordentlich erleichtert … Verzeihen Sie, wenn ich mir rein vom ärztlichen Standpunkt aus diese Anregung gestatte …“
Der Afrikaner trat dicht vor ihn. „Was fehlt mir denn eigentlich?“ frug er rauh und gepreßt.
„Wir nennen es Aneurysma. Eine Ruptur, ein leichter Riß in den Blutgefäßen am Herzen, hervorgerufen durch den Sturz mit dem Pferde.“
„Na … aber das … das muß doch auch wieder besser werden!“
„Besser wird es nicht. Die einzige Sorge muß sein, zu verhindern, daß es schlimmer wird. Und das wird verhindert, wenn Sie so leben, wie ich Ihnen sagte. Dann ändert sich Ihr Zustand nicht und bietet zu weiteren Besorgnissen keinen Anlaß.“
„Bloß, daß ich dabei verrückt werde!“
„Ich dachte doch, Sie wollten sich freiwillig zur Ruhe setzen,“ sagte der Arzt etwas erstaunt. „Noch ehe Sie das wußten …“
„Freilich … ja! Das ist’s ja eben. Aber gezwungen …“
„Sie sind dazu gezwungen! Ich beklage es, aber …“
„Aber wenn ich es nun nicht thue?“
Darauf gab der Arzt keine direkte Antwort. „Es wäre doch schade, wenn Sie in so blühendem Alter schon der Wissenschaft und Ihren Freunden entrissen werden sollten!“ sagte er. „Glauben Sie mir, der Mensch gewöhnt sich an vieles! Sie werden es schließlich auch gewohnt sein …“
„… daß ich ein Spitalbruder bin … ein unnützer Tagedieb …?“
Ein melancholisches Lächeln glitt über das Gesicht des Arztes. „Es ist gewiß traurig, einen Teil seines äußeren Menschen gewissermaßen einzubüßen. Aber das beste in uns, der innere Mensch, wird davon nicht berührt. Gerade einem geistig bedeutenden Manne, einem Gelehrten öffnen sich doch Daseinsziele und Bethätigungen, die gar nichts damit gemein haben, daß Sie nicht mehr imstande sind, eine Flasche Champagner auszustechen oder einen hohen Berg zu ersteigen. Und dazu kommen die Bande von Herz und Gemüt, die uns mit anderen Menschen verknüpfen. Man lernt die Menschen erst kennen, wenn man auf sie angewiesen ist, und dann findet man in manchem mehr als man hoffte. Sollte wirklich nicht volle Unabhängigkeit, Freundschaft und vielleicht auch Familienglück einem Manne über ein körperliches Gebrechen hinweghelfen können!“
„Jetzt weiß ich es!“ Der Afrikaner suchte seinen Hut und lächelte finster. „Sie irren sich einfach. Sie täuschen sich. Solch eine Krankheit giebt es gar nicht.“
Der Arzt blieb ruhig. „Wenn ich darauf überhaupt antworte,“ sagte er, „so trage ich Ihrem begreiflicherweise gereizten Zustand Rechnung: Fragen Sie, welchen Arzt Sie wollen, hier oder anderswo, Sie werden den gleichen Bescheid erhalten.“
„Und das ist sicher?“
„Vollkommen sicher!“
„Nun, dann danke ich Ihnen!“ sagte der Afrikaner, reichte ihm die Hand, ließ einen Hundertfrankenschein auf der Ecke des Schreibtisches liegen und ging.
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Er war wie betäubt, als er auf die schon dämmernde Straße trat. Ohne rechts und links zu schauen, wanderte er in der Richtung, die er wahllos eingeschlagen, weiter, durch die schwatzenden Gruppen italienischen Volkes, unter den hochgespannten Sonnendächern der Läden hin, zwischen den weit auf die Straßen hinausgerückten Tischchen und Stühlen der Cafés durch, bis die schwüle, staubige Stadtluft plötzlich um ihn verschwand und ein herber Hauch den kalten Schweiß von seiner Stirn trocknete.
Da war das Meer. In weißen Schaumkämmen rollte es endlos heran aus der Nacht, die weithin schon über den Wassern graute, daß Himmel und Wellen in eins verschwammen. Und wenn es auch nur das zahme Mittelmeer war: auch von ihm ging, wie es da in unbeschränkter Weite vor dem Blick sich dehnte, das Gefühl der Größe, der befreienden Unendlichkeit des Raumes aus.
Und mit ihm das Gefühl der eigenen Kleinheit. Eines Ameisenbewußtseins unter dieser weiten Himmelswölbung. Was lag daran, ob einer unter diesen Millionen und Hunderten von Millionen achtlos zertreten am Wege lag? In kurzem starben sie ja alle, neue Millionen und Milliarden folgten und wanderten ins Grab, und gleichmäßig, als sei nichts geschehen, lacht die Sonne und grüßen die Sterne und kreiselt dies Sandkorn, auf dem wir leben und leiden, weiter durch den Weltraum.
War es wirklich so lohnend, dieses Sandkorn, diese enge, auf kurze Frist uns angewiesene Behausung von Lehm und Wasser in allen Winkeln zu erforschen? Die kurze Spanne Zeit, die uns angewiesen, darauf zu verwenden, um festzustellen, daß unter dem Polarkreis und dem Aequator, in dem Morgen- und Abendland die Menschen zu Millionen und Milliarden leben und altern und sterben und neue erstehen, daß überall die grünen Blätter sprießen und das welke Herbstlaub fällt, daß überall der Wind braust und die Wolken ziehen und die Wellen wandern?
Nein, das alles war nur Schein. Bunter, schöner Schein! Der Kern der Dinge lag tiefer. Was unbewußt da innen webt und rätselhaft in einer anderen Brust wiederklingt, das war das Ahnen der wirklichen Welt, die wir nicht begreifen können, weil unsere Augen blind sind und unsere Ohren taub. Das war das Leben. Darin hatte der Arzt eigentlich recht, wenn er von dem inneren Menschen sprach im Gegensatz zu dem zerbrechlichen Gehäuse.
Und er selbst hatte sich ja nach diesem inneren Glück gesehnt! Er stand ja im Begriff, es aufzusuchen! Es war ja wie ein Almosen des Geschicks, daß es ihm wenige Minuten nach dem verhängnisvollen Sturz vom Pferde in jener regenüberströmten marokkanischen Karawanserai den Menschen zugeführt hatte, der nichts anderes begehrte, als sein Leben, und gewiß auch alles Leid des Lebens, mit ihm zu teilen.
Er war langsam die jetzt in der Sommernacht fast menschenleere Promenade des Anglais hinabgeschritten. Jetzt setzte er sich auf eine Bank und schloß die Augen. Ein unbestimmtes Rauschen war um ihn, ein leise wehender Hauch – sonst kein Laut weit in der Runde.
In seinem ganzen Inneren zitterte etwas nach – weniger der Schrecken als ein ungeheures Erstaunen. Auf alles war er vorbereitet gewesen – auf den Tod in jeder denkbaren Form. Aber auf das Siechtum? Nein. Das kam ihm so unerwartet, so unbegreiflich, daß er immer noch wie aus einem Traume aufzuwachen hoffte, und dabei doch wohl wußte, wie nüchtern wirklich das alles war. Und es war ihm nicht einmal Zeit vergönnt, sich von diesem Blitzschlag zu erholen, sich in Ruhe zu sammeln. Die drei Schwestern blieben nur kurze Frist in Genf. Wollte er die Reise dorthin antreten, so mußte es morgen geschehen.
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Wollte er? Er lachte bitter auf. Hatte er denn noch eine Wahl? Vorhin noch, in Monte Carlo, glaubte er, sein Geschick in der Hand zu haben und frei am Kreuzweg zu stehen. Jetzt gab es nur noch einen Pfad, und der führte nach Genf, ehe es zu spät war, ehe auch dort das blonde sanfte Glück verschwand und ihn mit leeren Händen allein ließ.
Denn jetzt kam er mit leeren Händen! Als ein Bettler kam er zu ihr, um Zuflucht zu suchen! Er wählte nicht mehr, er bat! Und wenn sie es zehnmal nicht wußte und nicht merkte, in seinem Inneren mußte das weiter nagen und immer weiter. Und lang’ verhehlen ließ sich das auch nicht. Er war von Anfang an der Schwächere. Er gab sich in ihre Hand. Er wurde ein Philister wie andere, schlimmer als andere, die nicht als die Ruine ihres eigenen Selbst herumwandeln und, durch die Gewohnheit abgestumpft, schließlich ganz vergnügt dabei sind. Denn schließlich gewöhnte auch er sich gewiß allmählich an den engen Kreis des Daseins und wurde ein ganz anderer Mensch, der nichts mehr mit dem rauhen Mannestrotz des einstigen Weltumseglers gemein hatte.
Der Trotz gegen das Schicksal bäumte sich wütend in ihm auf, während er gesenkten Hauptes wieder der Stadt zuschritt. Da lief sein Pferd … da lief der Stier … warum mußten diese beiden Körper aufeinander prallen? Wer hatte das angeordnet?
Er blieb plötzlich stehen, warf den Kopf zurück und lachte zornig auf. Wer anders als du selbst, du abenteuernder Thor! Der Stier wandelt jeden Abend diesen Weg zur Tränke. Du kamst ihm in die Quere, blindlings, von deinem eigentlichen Wege nach Tanger abgewichen, irrlichternd auf der Jagd nach einem Schattenbild, jenem Schattenbild mit silberhellem Lachen und mädchenhaftem Madonnengesicht, das deiner spottet, das dich krank und einsam in Tetuan zurückließ, das wie ein Traum verflogen war, als du es wiederum auf dem weißen Geisterschiff auf der Reede von Gibraltar suchtest.
Und wer war der erste Mensch, der dir nach deinem Unfall begegnete, wer pflegte dich in Tetuan und richtete dich mit heiteren Worten auf, wer stand geduldig, mit tapfer hinuntergeschluckten Thränen deiner wartend da, als du enttäuscht und ärgerlich von dem weißen Schiff zurückkamst?
Immer wieder der treue, blonde ehrliche Kamerad. Einen besseren findest du nicht. Sieh um dich! Was du in der Ferne suchst, wofür du dort so viel Leid und Ungemach erlitten hast, wofür du zum Krüppel geworden bist, das Glück, das steht da still und schweigend neben dir wie eine Blume am Weg und wartet, daß du es pflückst.
Und wenn du es pflückst, bringt es dir Ruhe. Mag auch in dir die wilde Abenteurerlust hinschwinden, dafür wirst du zufrieden. Das warst du bisher nie, in deinem unsteten Sehnen und Jagen. Vielleicht kommt einmal der Tag, wo du lächelst, wenn du an die Vergangenheit denkst. Du hast es ja neulich schon in Tetuan geschrieben: Wir werden alt und grau, Frau Aventiure! Die Zeit schwindet hin. Der Herbst ist nahe. Jetzt war er da! Eine bittere Wehmut beschlich ihn, als er in seinem Hotelzimmer träumend saß und von der Vergangenheit Abschied nahm. Sie war bunt genug und doch – jetzt schien sie ihm leer und öde. So zwecklos erschien ihm plötzlich alles, was er errungen und erstrebt, so wertlos alle seine wissenschaftlichen Thaten, so arm und ohne Inhalt das ganze Menschenleben, daß er sich heiß nach einem neuen sehnte.
Er wußte wohl, warum diese rätselhafte Stimmung über ihn gekommen war. Der Tod hatte bei ihm angepocht – nicht von außen her; da kannte er ihn und sein Anblick verdoppelte seinen Trotz – nein, da innen saß er und klopfte und mahnte: Es ist Zeit, von dem großen Maskenball nach Hause zu gehen.
Bunt genug und lärmend war er ja. Viel Menschen in allen Trachten der Welt. Kaiser und Könige, fratzenhafte Wilde und schöne Frauen, ein ganzer Karneval voll Jubel und Trubel.
Aber wenn man den Mantel umschlägt und in den grauen grämlichen Morgen hinaustritt, da kommt die Ernüchterung. Die Sehnsucht nach Schlaf. Die Sehnsucht nach einem Menschengesicht, das uns freundlich lächelnd im Sonnenschein zu Hause empfängt, nach all den kichernden, wesenlosen Masken der buntscheckigen Nacht, nach dem verräterischen, silberhellen Lachen, das durch das Dunkel klingt und zu immer neuen Abenteuern und zum Tode lockt. Dort aus der Ferne grüßte es blond und heiter herüber und nickte ihm unbefangen zu wie einem alten Freund. Er stand auf und klingelte. „Ich reise morgen früh nach Marseille,“ befahl er dem eintretenden Kellner. „Von da gleich weiter bis Genf. Hier ist die Depesche, in der ich meine Ankunft anzeige.“ (Fortsetzung folgt.)
Alle Rechte vorbehalten.
Kaiser Franz Joseph I.
Vor fünfzig Jahren, am 2. Dezember 1848, bestieg Kaiser Franz Joseph I im jugendlichen Alter von 18 Jahren den Thron des alten Habsburgerreiches. Inmitten der schwersten Wirren vollzog sich der Thronwechsel. Kurz vorher war der Oktoberaufstand in Wien durch die Armee des Fürsten Windischgrätz niedergeworfen worden und in der Kaiserstadt waltete blutig das Kriegsgericht; die italienischen Provinzen standen in hellem Aufruhr und auch die Ungarn hatten zu den Waffen gegriffen. Die Grundfesten Oesterreichs schienen erschüttert und Kaiser Ferdinand I sah sich bewogen, zu gunsten seines jugendlichen Neffen abzudanken. Im Hoflager zu Olmütz wurde Franz Joseph am 1. Dezember 1848 für volljährig erklärt, und schon am darauffolgenden Tage trat er die Regierung an.
Vielverheißend und vertrauenerweckend klangen die Worte des Manifestes, das der junge Herrscher an seine Völker richtete: „Das Bedürfniß und den hohen Werth freier, zeitgemäßer Institutionen aus eigener Ueberzeugung erkennend,“ hieß es darin, „betreten Wir mit Zuversicht die Bahn, die Uns zu einer heilbringenden Umgestaltung und Verjüngung der Gesammtmonarchie führen soll. Auf den Grundlagen der wahren Freiheit, auf den Grundlagen der Gleichberechtigung aller Völker des Reiches und der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie der Theilnahme der Volksvertreter an der Gesetzgebung wird das Vaterland neu erstehen in alter Größe, aber in verjüngter Kraft.“
Das edle Ziel, das Kaiser Franz Joseph sich steckte, war jedoch nicht leicht zu erreichen. Es war eine schwere Bürde voll Sorgen und drückendster Verantwortung, welche sich mit der Kaiserkrone des alten Habsburger Reiches auf das Haupt des jugendlichen Herrschers senkte. In der langen Spanne eines halben Jahrhunderts hat Oesterreich-Ungarn unter der Regierung Franz Josephs tiefeingreifende Wandlungen durchmachen müssen; in den Kriegen begleitete der Sieg nicht immer die kaiserlichen Heere und in der Ordnung der inneren Angelegenheiten, in der Stellungnahme den nationalen Streitigkeiten gegenüber trafen die Ratgeber der Krone nicht immer das Richtige. Aber bei allem Wechsel des Schicksals, in glücklichen und mehr noch in trüben Tagen gab der Kaiser durch sein Pflichtbewußtsein ein leuchtendes Vorbild zur Sammlung und Versöhnung. Mit nimmer ermüdendem Eifer trachtete er, Beruhigung, Zufriedenheit und Wohlstand zu schaffen und die vielfach auseinanderstrebenden Volkselemente unter den höheren Gesichtspunkten des Gesamtstaates zu vereinigen. Durch diese aufopferungsvolle jahrzehntelange Arbeit hat er in der That die Liebe seiner Völker errungen, die namentlich bei besonderen festlichen wie traurigen Anlässen sich in leuchtendster Weise kundgab. Vom Volksjubel war er umbraust, als er am 2. Dezember 1873 sein fünfundzwanzigjähriges Regierungsjubiläum feierte; zu einem wahren Volksfeste gestaltete sich die Feier seiner Silbernen Hochzeit am 24. April 1879, und als er am 8. Juni 1892 das fünfundzwanzigjährige Jubiläum seiner Krönung zum König von Ungarn beging, huldigten die Magyaren in Budapest voll Begeisterung ihrem Monarchen.
Als vollends das seltene Jubiläum der fünfzigjährigen Regierung Kaiser Franz Josephs herannahte, waren die Völker des weiten Reiches mit fast beispiellosem Eifer bedacht, das Jubeljahr durch großartige Huldigungen und im Sinne des Jubilars durch leuchtende Werke der Wohlthätigkeit zu einem denkwürdigen zu gestalten. In allen Gauen und in allen Städten war man bestrebt, der Freude und Genugthuung über das frohe Ereignis glanzvollsten Ausdruck zu geben, und allen voran ging Wien, die alte Residenz der Habsburger, die Stadt, in der Franz Joseph am 18. August 1830 das Licht der Welt erblickt und in der er den größten Teil der schönen und trüben Stunden seiner langen vielbewegten Regierungszeit verbracht hat.
Die Jubiläumsausstellung im Prater, das Fünfte Oesterreichische Bundesschießen mit dem großartigen Festzuge, die Jubiläums-Kunstausstellung, der Kinderfestzug, die Eröffnung der Stadtbahn, Kircheneinweihungen und noch unzählige mit äußerem Gepränge verbundene Huldigungsakte wurden abgehalten oder vorbereitet, abgesehen von den Tausenden von Stiftungen und Wohlfahrtseinrichtungen, die im Sinne des hohen Jubilars geschaffen wurden. Aus allen Teilen der civilisierten Welt waren Besuche von gekrönten Häuptern, Thronfolgern, Abgesandten angekündigt, welche dem edlen Friedensfürsten ihre Glückwünsche persönlich darbringen wollten. Dankbar erkannten alle Völker Europas es an, daß des Kaisers aufrichtiges Streben stets auf die Erhaltung des Friedens gerichtet war.
Da schwirrte am Abend des 10. September eine unfaßbare, entsetzliche Unheilsbotschaft durch die Städte und Länder des weiten Reiches: die Kaiserin ermordet! Als dem greisen Monarchen die entsetzliche Nachricht überbracht wurde, da soll er, vom Schmerz überwältigt, ausgerufen haben: „Mir bleibt doch keine Heimsuchung erspart!“
Und in der That, welches Schicksal kann mit dem des edlen Dulders auf dem Throne verglichen werden! Der Bruder im fernen Mexiko als Rebell erschossen, der einzige Sohn und Erbe in der Blüte seiner Jahre dahingerafft und nun die sanfte stille Gefährtin, die ihm in seinem größten Schmerze die lautgepriesene Stütze war, von dem Stahl eines wahnwitzigen Mordgesellen hingestreckt! Wahrlich, Grauenvolleres konnte selbst die alte Schicksalstragödie nicht ersinnen. Dazu die vielen Erschütterungen der äußeren und inneren Politik, die fast unlösbaren Wirren der Gegenwart! Unser Mitleid verwandelt sich in Bewunderung, wenn wir den greisen Monarchen aufrecht sehen, unentwegt ausharrend bei seiner strengen Pflichterfüllung, wie er es all die Jahre gehalten, getröstet und erhoben durch ein tiefes Gottvertrauen.
Mit schrillem Klang riß die Saite der Festesfreude entzwei. Jetzt tönen nur Totenklagen und Orgeltrauerklang.
Der einsame Mann auf dem Throne löst sich von seinen Schmerzen los und sinnt und sinnt dem Glücke seiner Völker nach. Möchte doch die Sturmflut der Leidenschaften ebben, auf daß der Lebensabend des gebeugten Steuermanns auf dem Staatsschiffe noch durch freundliche Lichtblicke verklärt werde!
Das ist der stille Segenswunsch all der Millionen, die heute in dem weiten Reiche des Jubiläums ihres Kaisers gedenken.
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Gebärden und Naturlaute.
Der normal entwickelte und in der Gesellschaft seiner Artgenossen aufgewachsene Mensch besitzt die Fähigkeit, seine Gedanken, seine Wünsche und Empfindungen durch eine Sprache mitzuteilen, die er sich in seiner Umgebung angeeignet, also künstlich erworben hat, eine Fähigkeit, die wir sonst bei keinem lebenden Wesen wiederfinden. Jede Nation aber spricht ihre eigene künstliche Sprache, die sich ihren physischen Bedürfnissen und geistigen Fortschritten gemäß fort und fort entwickelt. Daher kommt es, daß die Sprachen selbst benachbarter Völker bisweilen so weit voneinander abweichen, daß keines das andere ohne Dolmetscher zu verstehen vermag.
Außer dieser künstlichen Sprache, deren gründliche Erlernung oft vielen Fleiß erfordert, besitzt der Mensch die ihm von der Natur verliehene Gabe, seine innersten Empfindungen auch durch einfache, unartikulierte Laute, die sogenannten Naturlaute, und durch Mienen und Gebärden auszudrücken, deren Bedeutung von einem jeden begriffen wird, der sie wahrnimmt. Stößt jemand einen Schmerzensschrei aus und legt dabei etwa die Hand auf die leidende Stelle, so wird sein leidender Zustand sofort von allen Personen seiner Umgebung erkannt, und einen jeden erfaßt ein augenblickliches Unbehagen, gleichviel welcher Nationalität er angehören möge. Und wie ein einfacher Laut fremden Schmerz zu enthüllen vermag, so teilt uns ein anderer Laut die Freude mit, die jemand erfüllt, oder auch den Schrecken, der ihn [783] erfaßt. Vernehmen wir aber in finsterer Nacht ein fernes Angstgestöhn der Furcht, so ergreift auch uns dieses Gefühl und erstarrt unsere Glieder.
Sowie sich dergestalt die Empfindungen durch unartikulierte Laute auf andere übertragen, so teilen sie sich auch schon durch den Gesichtsausdruck und die Haltung des Körpers mit. „Das Gesicht ist der Spiegel der Seele“, sagt ein altes Wort, welches uns damit andeuten will, daß sich im Gesicht die Gedanken und Empfindungen abspiegeln, die in unserem Innern entstehen. Vergegenwärtigen wir uns nur das Bild einer zärtlich liebenden Mutter, die am Lager ihres schlummernden Lieblings lauscht, um aus den Mienen und Bewegungen desselben seinen innern Zustand zu erforschen! Bald zeigt sich ihr Antlitz mit Freude überstrahlt, bald sehen wir ein leichtes Wölkchen über dasselbe hinwegziehen, je nachdem ihr Herz mit Freude oder Besorgnis erfüllt ist. Diese natürliche Sprache, deren Alter mit dem des Menschengeschlechts übereinstimmt, wird von allen Völkern auf dem Erdenrund verstanden, und sie ist daher der beste Dolmetsch im Verkehr mit fremdsprachigen Nationen. Diese Thatsache war bereits in alter Zeit bekannt.
Schon Xenophon berichtet, daß seine Krieger in der Nähe des Euphrat sich genötigt sahen, mit den Bewohnern einiger Ortschaften, die sie durchschreiten mußten, sich wie Stumme durch bloße Zeichen zu verständigen, da ihnen die Sprache derselben völlig fremd war. Auch der römische Dichter Ovid, den Kaiser Augustus in die Gegend des Schwarzen Meeres verbannt hatte, beklagte es, mit den Bewohnern seines traurigen Verbannungsortes sich durch stumme Zeichen und Gesten verständigen zu müssen, da er deren Sprache nicht kannte. Einen noch interessanteren Fall erzählt uns Lucian von einem König, dessen Reich an das Schwarze Meer grenzte und der nach Rom gekommen war, um die Wunder dieser Weltstadt mit eigenen Augen zu schauen. Kaiser Nero bot alles auf, seinem Gaste den Aufenthalt in Rom möglichst angenehm zu machen. Von allen Schaustellungen aber machte auf ihn keine einen solchen Eindruck als das Auftreten eines Mimikers, dessen Gebärdensprache er ohne Dolmetscher deutlich verstand. Ganz erstaunt über eine solche Geschicklichkeit, bat er Nero, ihm diesen Mann als Geschenk zu überlassen, und als dieser ihn fragte, welchen Nutzen er von demselben erwarte, erwiderte er: „Dieser Mann soll mir mit seinen Mienen und Gebärden bei den benachbarten Völkerstämmen, deren Sprache niemand versteht und mit denen man deshalb nicht in Verbindung treten kann, als Dolmetsch dienen.“
Fragen wir uns nun, wie es möglich sei, daß unsere Gedanken und Empfindungen, durch einfache Laute, durch Mienen und Gebärden ausgedrückt, von jedermann, der die Aeußerung wahrnimmt, begriffen werden, so vermag uns nur ein physiologisches Gesetz darüber Auskunft zu verschaffen. Es ist bekannt, mit welcher Leichtigkeit sich das Lachen und Weinen und besonders das Gähnen auf die Umgebung überträgt, wie oft schon Krämpfe und Nervenleiden epidemisch aufgetreten sind und welchen verhängnisvollen Einfluß überhaupt das Beispiel zu üben vermag.
Die Gebärdensprache ist der Ausdruck innerer Empfindungen und dient nur als Mittel, dieselben auf andere Individuen zu übertragen und dadurch das Verständnis herbeizuführen. Hören wir einen Schmerzenslaut, so empfinden wir in demselben Augenblick ein gewisses Weh, das uns zu rascher Hilfeleistung treibt. Der Ausruf der Freude dagegen erweckt in uns dieselbe wohlthuende Empfindung, wie anderseits der Gefühlsausdruck der Traurigkeit uns zum Mitleid stimmt. Wie eine gute Musik die zartesten Empfindungen, die den Komponisten zur Zeit der Abfassung seines Tonstückes beseelten, auf die Hörer desselben überträgt, so ist auch die natürliche Sprache geeignet, die innersten Gefühle und Gedanken eines Menschen durch bloße Zeichen und Gebärden anderen mitzuteilen. Diese Sprache ist daher universell, denn jeder versteht sie, gleichviel ob er Russe oder Chinese, Araber oder Hottentotte ist.
Merkwürdigerweise beobachten wir auch unter den höheren Tieren eine Art Gebärdensprache, durch welche sie ihre Empfindungen ausdrücken und sich untereinander verständigen. Jeder Tag giebt uns Gelegenheit, uns von dieser Thatsache zu überzeugen. Beobachten wir nur einen Hund, der mit lustigen Sprüngen und eigentümlichem Gebell einen ruhig daliegenden Kameraden einladet, sich mit ihm herumzutummeln! Er braucht sich nicht lange zu bemühen, denn bald fühlt sich der Träge angesteckt und wie von der Tarantel gestochen springt er mit seinem Genossen auf dem grünen Rasen herum.
Doch ist es nicht bloß das Gefühl der Lust und Freude, das sich bei den Tieren in so auffallender Weise von einem Individuum auf das andere überträgt; auch andere Empfindungen teilen sich ebenso rasch mit. Der englische Gelehrte J. Romanes erzählt folgende Thatsache: „Mr. H. A. Macpherson schrieb mir, daß er im Jahre 1876 im Besitz eines alten Katers nebst einem nur wenige Monate alten Kätzchen war. Der Kater, der lange der bevorzugte Günstling des Hauses gewesen, wurde auf den kleinen Eindringling eifersüchtig und zeigte bei jeder Gelegenheit gegen denselben eine große Abneigung. Einmal wurde im unteren Stock des Hauses der Fußboden repariert und einige neue Dielen wurden eingelegt. Am Tage nach der Vollendung dieser Arbeit erschien der Kater in der Küche, rieb sich an der Köchin und miaute ohne Unterlaß, bis er deren Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte und diese ihm endlich nach dem reparierten Zimmer folgte. Natürlich vermochte sie sich über das eigentümliche Verhalten des Katers keine Rechenschaft zu geben, bis sie auf einmal dicht unter ihren Füßen ein klägliches Miauen vernahm. Sofort wurde die Diele emporgehoben, worauf das Kätzchen zum Vorschein kam. Der Kater blieb ruhig zugegen und ging erst von dannen, als er seinen Nebenbuhler befreit sah, dessen hilfesuchendes Rufen ihn zum Mitleid gestimmt und zu seiner Befreiung angespornt hatte.“
Wenn schon die Katze, die sich oft lange an der Todesangst ihrer kleinen Schlachtopfer weiden kann, durch die Klagelaute eines Geschlechtsgenossen zum Mitleid gestimmt wird, so können wir mit Sicherheit erwarten, daß uns der brave Hund zu ähnlichen Beobachtungen Gelegenheit bietet. Von den zahlreichen Beispielen wollen wir nur das folgende hervorheben:
An einem schönen Wintertage des Jahres 1875 saß der Gutsbesitzer Hesselbarth in Espenbusch mit einem Freunde an einem Fenster seines Zimmers, von dem aus sie einen ansehnlichen Landsee übersehen konnten, dessen Oberfläche ganz mit Eis bedeckt war. In der Nähe des Hauses aber war tags vorher eine sogenannte „Luhme“ zum Wasserschöpfen gehauen worden, die sich über Nacht mit einer dünnen, etwas beschneiten Eiskruste bedeckt hatte. Auf einmal erblickten die beiden Freunde einen kleinen fremden Hund, der über das Eis daher gelaufen kam und in die Luhme einbrach. Er machte vergebliche Anstrengungen, aus dem kalten Bade wieder herauszukommen, indem er stets wieder von dem glatten Rande des Eises abglitt. Da erhob der Aermste ein klägliches Geheul, und eben schickten die Männer sich an. ihm zu Hilfe zu eilen, als der brave Hofhund, der bis dahin auf der anderen Seite des Hauses in seiner Hütte ruhig geschlafen hatte und durch das Winseln des Unglücklichen aus seinem Schlummer geweckt worden war, hinzueilte, den Unvorsichtigen am Genick erfaßte und bedächtig auf das Eis niedersetzte. Darauf begab er sich, als ob nichts weiter vorgefallen sei, wieder in den Hof zurück, um in seiner Hütte den unterbrochenen Schlummer fortzusetzen.
Selbst von dem geduldigen Schaf teilt Watson eine ähnliche Beobachtung mit. Ein Lamm hatte sich einst in ein Dornengesträuch verirrt, aus dem es seine Mutter vorsichtig zu befreien suchte. Als sie aber einsehen mochte, daß all ihre Befreiungsversuche vergeblich blieben, lief sie mit ängstlichem Geblöke zu der nahen Herde und kehrte sofort in Begleitung eines kräftigen Widders zurück, der mit seinen starken Hörnern die Dornenzweige so weit auseinander breitete, daß das Lämmchen wieder davonlaufen konnte.
Die Vögel teilen sich ihre Empfindungen ebenfalls mit. Beobachten wir nur die Schwalben, wenn sie von allen Seiten herbeieilen, eine klagende Schwester im Kampfe gegen den frechen Spatz zu unterstützen oder das im Kampfe zertrümmerte Nest ihr wieder aufbauen zu helfen. Bei den meisten höheren Tieren können wir ähnliche Beobachtungen machen; ja sie bedürfen zur Uebertragung ihrer Empfindungen auf andere Individuen ihrer Art nicht einmal der Laute, da sie durch bloße Gebärden und Zeichen, durch den Blick oder einfaches Berühren dieselben mitzuteilen vermögen.
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Das Buch des Fürsten Bismarck.
Gedanken und Erinnerungen von Otto Fürst von Bismarck“, so nennt sich das Buch, das der Schöpfer der deutschen Einheit seinem Volke hinterlassen hat. Vor fünf Jahren schon war es in der Handschrift dem J. G. Cottaschen Verlage in Stuttgart, bei dem es in diesen Tagen erscheinen wird, übergeben worden. Nur wenige Personen wußten davon und hüteten streng das Geheimnis. Anderseits konnte es, bei dem regen Verkehr im Bismarckschen Hause, nicht verborgen bleiben, daß der Fürst mit der Aufzeichnung von Erinnerungen beschäftigt sei. Näheres wußte aber niemand darüber zu berichten, und so entstand eine gewisse schattenhafte Vorstellung von einem Memoirenwerke aus der Feder des Fürsten, das nach seinem Tode an die Oeffentlichkeit treten werde.
Daß es einen Zeitpunkt gab, in welchem der Fürst den Beschluß gefaßt hatte, einen Teil seiner Erinnerungen noch zu seinen Lebzeiten herauszugeben, hat, außer wenigen Eingeweihten, bis vor kurzem niemand erfahren. Fürst Bismarck gab dieses Vorhaben nur deshalb auf, weil er immer aufs neue Inhalt und Form des Niedergeschriebenen nachprüfte, ob sie auch ganz dem Erfordernis unbedingter geschichtlicher Haltbarkeit entsprächen, ob die Urteile über Dinge und Personen im strengsten Sinne gerecht und dabei so maßvoll, wie er es wünschte, ausgedrückt seien.
Es war ja die Zeit des weisen, abgeklärten Alters, in der er, der zur Zeit seiner Amtsführung Weltgeschichte gemacht hatte, nun im Stande der Ruhe Umschau hielt über das, was unter ihm und um ihn geschehen war. Er wollte, in sorgfältigster Auswahl und Ausarbeitung, Aufschlüsse, wie nur er sie besaß, darüber geben, wie alles geworden war. Da sollte keine unnütze Schonung, aber auch keine verletzende Härte geübt werden. Denn es sollte ein ungetrübter Spiegel seiner Zeit entstehen, ein Buch der Belehrung für die Gegenwart und für künftige, vielleicht schwere Zeiten.
Man muß an dieses Buch, will man es recht verstehen, mit großem Sinn herantreten, wie es mit großem Sinn geschrieben ist. Wer nur gemeine Neugierde mitbringt, Skandale sucht, der greife nach anderen Memoirenwerken. Hier sind ernste „Gedanken“ eines Staatsmanns, untermischt mit „Erinnerungen“ an ein Leben, dessen Gang mit den welterschütternden Ereignissen unserer Zeit, wie kein zweites, verflochten war.
Wie das Werk entstanden ist, darüber haben kürzlich die Tageszeitungen aus offenbar untrüglicher Quelle berichtet. Schon anfangs 1890, kurz vor Bismarcks Entlassung, richtete der Cottasche Verlag eine Anfrage an den Fürsten, ob er Aufzeichnungen besitze und sie etwa diesem Verlage überlassen wolle. Im Sommer des Jahres der Entlassung wurde diese Anregung wiederholt, und nun fand sich der Fürst, der im Januar 1890 erwidert hatte, daß er keine Erinnerungen geschrieben habe und im Amte keine schreiben könne, bewogen, zu erklären: „er wolle nach und nach, wie es ihm der Geist eingäbe, Episoden aus seinem Leben diktieren“. Bald kam auch, da der Fürst der altberühmten Buchhandlung, die einst Goethe und Schiller verlegt hat, sein Vertrauen schenkte, ein Vertrag zustande.
Und nun begann die schriftstellerische Arbeit des Fürsten. Vom Herbst 1890 bis Frühjahr 1891 diktierte er jeden Vormittag ein paar Stunden an den Denkwürdigkeiten, denen er später den wohl erwogenen Namen „Gedanken und Erinnerungen“ gab. Lothar Bucher, sein verdienter Mitarbeiter während seines politischen Wirkens, sein treuer Hausfreuud in der Zeit der Muße, schrieb stenographisch nach und sorgte für Beischaffung von Büchern und handschriftlichem Stoffe, für Richtigstellung von Daten und dergleichen. Das ins Reine Geschriebene sah der Fürst mit größter Genauigkeit durch, strich, verbesserte, erweiterte mit eigener Hand, wo er es für nötig fand. Einzelne Kapitel hat er mehrmals gänzlich umgestaltet.
Im Herbst 1893 hatte der Fürst während einer schweren Erkrankung in Kissingen die Handschrift, soweit er sie damals als fertig betrachten konnte, den Vertretern der Cottaschen Buchhandlung übergeben.
Seitdem war dieselbe, zur Veröffentlichung nach Bismarcks Hinscheiden bestimmt, im Besitze der Cottaschen Buchhandlung. Ein gnädiges Geschick vergönnte dem Fürsten noch eine Reihe von Lebensjahren, und diese Frist kam auch dem Buche zu statten. Der Fürst, dem die Arbeit nun durch die Herstellung eines gedruckten Manuskripts erleichtert wurde, fuhr fort, Verbesserungen an seinem Werke vorzunehmen. Horst Kohl, der erste Kenner der schon so umfangreichen Bismarck-Litteratur, hat als Herausgeber der „Gedanken und Erinnerungen“ dafür gesorgt, daß auch die letzten von Bismarcks Hand herrührenden Abänderungen dem Buche einverleibt wurden.
Durch die Cottasche Buchhandlung sind wir in den Stand gesetzt worden, den Lesern der „Gartenlaube“ neben der photographisch getreuen, um ein Siebentel verkleinerten Nachbildung zweier Seiten der Handschrift einen vollständigen Abschnitt, und zwar den ersten des ersten Kapitels, noch vor dem Erscheinen des Werkes mitzuteilen. Es ist hierzu ein unpolitisches Kapitel ausgewählt worden, ein Stück Jugendgeschichte, das bis zu dem Tage währt, an dem Otto von Bismarck, nach kurzer Laufbahn im juristischen und Verwaltungsfache, entschlossen war, sich für immer aufs Land, zur Bewirtschaftung der väterlichen Güter, zurückzuziehen, mit dem, wie er sagt, einzigen auf dem Lande ihm verbleibenden Ehrgeiz, dem des Landwehrlieutenants.
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Aus den „Gedanken und Erinnerungen“
„Als normales Product unsres staatlichen Unterrichts verließ ich Ostern 1832 die Schule als Pantheist, und wenn nicht als Republikaner, doch mit der Ueberzeugung, daß die Republik die vernünftigste Staatsform sei, und mit Nachdenken über die Ursachen, welche Millionen von Menschen bestimmen könnten, Einem dauernd zu gehorchen, während ich von Erwachsenen manche bittre oder geringschätzige Kritik über die Herrscher hören konnte. Dazu hatte ich von der turnerischen Vorschule mit Jahn’schen Traditionen (Plamann), in der ich vom sechsten bis zum zwölften Jahre gelebt, deutsch-nationale Eindrücke mitgebracht. Diese blieben im Stadium theoretischer Betrachtungen und waren nicht stark genug, um angeborne preußisch-monarchische Gefühle auszutilgen. Meine geschichtlichen Sympathien blieben auf Seiten der Autorität. Harmodius und Aristogiton sowohl wie Brutus waren für mein kindliches Rechtsgefühl Verbrecher und Tell ein Rebell und Mörder. Jeder deutsche Fürst, der vor dem 30jährigen Kriege dem Kaiser widerstrebte, ärgerte mich, vom Großen Kurfürsten an aber war ich parteiisch genug, antikaiserlich zu urtheilen und natürlich zu finden, daß der siebenjährige Krieg sich vorbereitete. Doch blieb mein deutsches Nationalgefühl so stark, daß ich im Anfang der Universitätszeit zunächst zur Burschenschaft in Beziehung gerieth, welche die Pflege des nationalen Gefühls als ihren Zweck bezeichnete. Aber bei persönlicher Bekanntschaft mit ihren Mitgliedern mißfielen mir ihre Weigerung, Satisfaction zu geben, und ihr Mangel an äußerlicher Erziehung und an Formen der guten Gesellschaft, bei näherer Bekanntschaft auch die Extravaganz ihrer politischen Auffassungen, die auf einem Mangel an Bildung und an Kenntniß der vorhandenen, historisch gewordenen Lebensverhältnisse beruhte, von denen ich bei meinen siebzehn Jahren mehr zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte als die meisten jener durchschnittlich ältern Studenten. Ich hatte den Eindruck einer Verbindung von Utopie und Mangel an Erziehung. Gleichwohl bewahrte ich innerlich meine nationalen Empfindungen und den Glauben, daß die Entwicklung der nächsten Zukunft uns zur deutschen Einheit führen werde; ich ging mit meinem amerikanischen Freunde Coffin die Wette darauf ein, daß dieses Ziel in zwanzig Jahren erreicht sein werde.
In mein erstes Semester fiel die Hambacher Feier (27. Mai 1832), deren Festgesang mir in der Erinnerung geblieben ist, in mein drittes der Frankfurter Putsch (3. April 1833). Diese Erscheinungen stießen mich ab, meiner preußischen Schulung widerstrebten tumultuarische Eingriffe in die staatliche Ordnung; ich kam nach Berlin mit weniger liberaler Gesinnung zurück, als ich es verlassen hatte, eine Reaction, die sich wieder abschwächte, nachdem ich mit dem staatlichen Räderwerke in unmittelbare Beziehung getreten war. Was ich etwa über auswärtige Politik dachte, mit der das Publikum sich damals wenig beschäftigte, war im Sinne der Freiheitskriege, vom preußischen Offizierstandpunkt gesehn. Beim Blick auf die Landkarte ärgerte mich der französische Besitz von Straßburg, und der Besuch von Heidelberg, Speier und der Pfalz stimmte mich rachsüchtig und kriegslustig. In der Zeit vor 1848 war für einen Kammergerichts-Auscultator und Regirungs-Referendar, dem jede Beziehung zu ministeriellen und höhern amtlichen Kreisen fehlte, kaum eine Aussicht zu einer Betheiligung an der preußischen Politik vorhanden, so lange er nicht den einförmigen Weg zurückgelegt hatte, der durch die Stufen der bürokratischen Laufbahn nach Jahrzehnten dahin führen konnte, an den höhern Stellen bemerkt und herangezogen zu werden. Als mustergültige Vordermänner auf diesem Wege wurden mir im Familienkreise damals Männer wie Pommer-Esche und Delbrück vorgehalten, und als einzuschlagende Richtung die Arbeit an und in dem Zollvereine empfohlen. Ich hatte, so lange ich in dem damaligen Alter an eine Beamtenlaufbahn ernstlich dachte, die diplomatische im Auge, auch nachdem ich von Seiten des Ministers Ancillon bei meiner Meldung dazu wenig Ermuthigung gefunden hatte. Derselbe bezeichnete nicht mir, aber hohen Kreisen gegenüber als Musterbild dessen, was unsrer Diplomatie fehle, den Fürsten Felix Lichnowski, obschon man hätte vermuthen sollen, daß diese Persönlichkeit, wie sie sich damals in Berlin zur Anschauung brachte, der anerkennenden Würdigung eines der evangelischen Geistlichkeit entstammenden Ministers nicht grade nahe stände.
Der Minister hatte den Eindruck, daß die Kategorie unsres hausbacknen preußischen Landadels für unsre Diplomatie den ihm wünschenswerthen Ersatz nicht lieferte und die Mängel, welche er an der Gewandheit des Personalbestandes dieses Dienstzweiges fand, zu decken nicht geeignet war. Dieser Eindruck war nicht ganz ohne Berechtigung. Ich habe als Minister stets ein landsmannschaftliches Wohlwollen für eingeborne preußische Diplomaten gehabt, aber im dienstlichen Pflichtgefühle nur selten diese Vorliebe bethätigen können, in der Regel nur dann, wenn die Betheiligten aus einer militärischen Stellung in die diplomatische übergingen. Bei den rein preußischen Civil-Diplomaten, welche der Wirkung militärischer Disciplin garnicht oder unzureichend unterlegen hatten, habe ich in der Regel eine zu starke Neigung zur Kritik, zum Besserwissen, zur Opposition und zu persönlichen Empfindlichkeiten gefunden, verstärkt durch die Unzufriedenheit, welche das Gleichheitsgefühl des alten preußischen Edelmanns empfindet, wenn ein Standesgenosse ihm über den Kopf wächst oder außerhalb der militärischen Verhältnisse sein Vorgesetzter wird. In der Armee sind diese Kreise seit Jahrhunderten daran gewöhnt, daß das geschieht, und geben den Bodensatz ihrer Verstimmung gegen frühere Vorgesetzte an ihre spätern Untergebenen weiter, sobald sie selbst in höhere Stellen gelangt sind. In der Diplomatie kommt dazu, daß diejenigen unter den Aspiranten, welche Vermögen oder die zufällige Kenntniß fremder Sprachen, namentlich der französischen, besitzen, schon darin einen Grund zur Bevorzugung sehn und deshalb der obern Leitung noch anspruchsvoller und zur Kritik geneigter gegenübertreten als Andre. Sprachkenntnisse, wie auch Oberkellner sie besitzen, bildeten bei uns leicht die Unterlage des eignen Glaubens an den Beruf zur Diplomatie, namentlich so lange unsre gesandschaftlichen Berichte, besonders die ad Regem, französisch sein mußten, wie es die nicht immer befolgte, aber bis ich Minister wurde amtlich in Kraft stehende Vorschrift war. Ich habe manche unter unsern ältern Gesandten gekannt, die, ohne Verständniß für Politik, lediglich durch Sicherheit im Französischen in die höchsten Stellen aufrückten; und auch sie sagten in ihren Berichten doch nur das, was sie französisch geläufig zur Verfügung hatten. Ich habe noch 1862 von Petersburg französisch amtlich zu berichten gehabt, und die Gesandten, welche auch ihre Privatbriefe an den Minister französisch schrieben, empfahlen sich dadurch als besonders berufen zur Diplomatie, auch wenn sie politisch als urtheilslos bekannt waren.
Außerdem kann ich Ancillon nicht Unrecht geben, wenn er von den meisten Aspiranten aus unserm Landadel den Eindruck hatte, daß sie sich aus dem engen Gesichtskreise ihrer damaligen Berliner, man könnte sagen provinziellen Anschauungen schwer loslösen ließen, und daß es ihnen nicht leicht gelingen würde, den specifisch preußischen Bürokraten in der Diplomatie mit dem Firniß des europäischen zu übertünchen. Die Wirkung dieser Wahrnehmungen zeigt sich deutlich, wenn man die Rangliste unsrer Diplomaten aus damaliger Zeit durchgeht; man wird erstaunt sein, so wenig geborne Preußen darin zu finden. Die Eigenschaft, der Sohn eines in Berlin accreditirten fremden Gesandten zu sein, gab an sich einen Vorzug. Die an den kleinen Höfen erwachsenen, in den preußischen Dienst übernommnen Diplomaten hatten nicht selten den Vortheil größrer assurance in höfischen Kreisen und eines größern Mangels an Blödigkeit vor den eingebornen. Ein Beispiel dieser Richtung war namentlich Herr von Schleinitz. Dann finden sich in der Liste Mitglieder standesherrlicher Häuser, bei denen die Abstammung die Begabung ersetzte. Aus der Zeit, als ich nach Frankfurt ernannt wurde, ist mir außer mir, dem Freiherrn Karl von Werther, Canitz und dem französisch verheiratheten Grafen Max Hatzfeldt kaum der Chef einer ansehnlichen Mission preußischer Abstammung erinnerlich. Ausländische Namen standen höher im Kurse: Brassier, Perponcher, Savigny, Oriola. Man setzte bei ihnen größere [786] Geläufigkeit im Französischen voraus, und sie waren „weiter her“, dazu trat der Mangel an Bereitwilligkeit zur Uebernahme eigner Verantwortlichkeit bei fehlender Deckung durch zweifellose Instruction, ähnlich wie im Militär 1806 bei der alten Schule aus Fridericianischer Zeit. Wir züchteten schon damals das Offiziersmaterial bis zum Regiments-Commandeur in einer Vollkommenheit wie kein andrer Staat, aber darüber hinaus war das eingeborne preußische Blut nicht mehr fruchtbar an Begabungen wie zur Zeit Friedrichs des Großen selbst. Unsre erfolgreichsten Feldherrn, Blücher, Gneisenau, Moltke, Goeben, waren keine preußischen Urproducte, ebensowenig im Civildienste Stein, Hardenberg, Motz und Grolman. Es ist, als ob unsre Staatsmänner wie die Bäume in den Baumschulen zu voller Wurzelbildung der Versetzung bedürften.
Ancillon rieth mir, zunächst das Examen als Regirungs-Assessor zu machen und dann auf dem Umwege durch die Zollvereinsgeschäfte Eintritt in die deutsche Diplomatie Preußens zu suchen; einen Beruf für die europäische erwartete er also bei einem Sprößlinge des einheimischen Landadels nicht. Ich nahm mir seine Andeutung zu Herzen und beabsichtigte, zunächst das Examen als Regirungs-Assessor zu machen.
Die Personen und Einrichtungen unsrer Justiz, in der ich zunächst beschäftigt war, gaben meiner jugendlichen Auffassung mehr Stoff zur Kritik als zur Anerkennung. Die praktische Ausbildung des Auscultators begann damit, daß man auf dem Criminalgericht das Protokoll zu führen hatte, wozu ich von dem Rathe, dem ich zugewiesen war, Herrn von Brauchitsch, über die Gebühr herangezogen wurde, weil ich damals über den Durchschnitt schnell und lesbar schrieb. Von den „Untersuchungen“, wie die Criminalprozesse bei dem damals geltenden Inquisitionsverfahren genannt wurden, hat mir eine den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen, welche eine in Berlin weit verzweigte Verbindung zum Zweck der unnatürlichen Laster betraf. Die Klubeinrichtungen der Betheiligten, die Stammbücher, die gleichmachende Wirkung des gemeinschaftlichen Betreibens des Verbotenen durch alle Stände hindurch – alles das bewies schon 1835 eine Demoralisation, welche hinter den Ergebnissen des Prozesses gegen die Heinze’schen Eheleute (October 1891) nicht zurückstand. Die Verzweigungen dieser Gesellschaft reichten bis in hohe Kreise hinauf. Es wurde dem Einflusse des Fürsten Wittgenstein zugeschrieben, daß die Akten von dem Justizministerium eingefordert und, wenigstens während meiner Thätigkeit an dem Criminalgerichte, nicht zurückgegeben wurden.
Nachdem ich vier Monate protokollirt hatte, wurde ich zu dem Stadtgerichte, vor das die Civilsachen gehörten, versetzt und aus der mechanischen Beschäftigung des Schreibens unter Dictat plötzlich zu einer selbständigen erhoben, der gegenüber meine Unerfahrenheit und mein Gefühl mir die Stellung erschwerten. Das erste Stadium, in welchem der juristische Neuling damals zu einer selbständigen Thätigkeit berufen wurde, waren nämlich die Ehescheidungen. Offenbar als das Unwichtigste betrachtet, waren sie dem unfähigsten Rathe, Namens Prätorius, übertragen, und unter ihm der Bearbeitung der ganz grünen Auscultatoren überlassen worden, die damit in corpore vili ihre ersten Experimente in der Richterrolle zu machen hatten, allerdings unter nomineller Verantwortlichkeit des Herrn Prätorius, der jedoch ihren Verhandlungen nicht beiwohnte. Zur Charakterisirung dieses Herrn wurde uns jungen Leuten erzählt, daß er in den Sitzungen, wenn behufs der Abstimmung aus einem leichten Schlummer geweckt, zu sagen pflegte: „Ich stimme wie der College Tempelhof“, und gelegentlich darauf aufmerksam gemacht werden mußte, daß Herr Tempelhof nicht anwesend sei.
Ich trug ihm einmal meine Verlegenheit vor, daß ich, wenige Monate über 20 Jahre alt, mit einem aufgeregten Ehepaare den Sühneversuch vornehmen solle, der für meine Auffassung einen gewissen kirchlichen und sittlichen Nimbus hatte, dem ich mich in meiner Seelenstimmung nicht adäquat fühlte. Ich fand Prätorius in der verdrießlichen Stimmung eines zur Unzeit geweckten, ältern Herrn, der außerdem die Abneigung mancher alten Bürokraten gegen einen jungen Edelmann hegte. Er sagte mit geringschätzigem Lächeln: „Es ist verdrießlich, Herr Referendarius, wenn man sich auch nicht ein bischen zu helfen weiß; ich werde Ihnen zeigen, wie man das macht.“ Ich kehrte mit ihm in das Terminszimmer zurück. Der Fall lag so, daß der Mann geschieden sein wollte, die Frau nicht, der Mann sie des Ehebruchs beschuldigte, die Frau mit thränenreichen Declamationen ihre Unschuld betheuerte und trotz aller Mißhandlung von Seiten des Mannes bei ihm bleiben wollte. Mit seinem lispelnden Zungenanschlage sprach Prätorius die Frau also an: „Aber Frau, sei sie doch nicht so dumm; was hat sie denn davon? Wenn sie nach Hause kommt, schlägt ihr der Mann die Jacke voll, bis sie es nicht mehr aushalten kann. Sage sie doch einfach Ja, dann ist sie mit dem Säufer kurzer Hand auseinander.“ Darauf die Frau weinend und schreiend: „Ich bin eine ehrliche Frau, kann die Schande nicht auf mich nehmen, will nicht geschieden sein.“ Nach mehrfacher Replik und Duplik in dieser Tonart wandte sich Prätorius zu mir mit den Worten: „Da sie nicht Vernunft annehmen will, so schreiben Sie, Herr Referendarius,“ und dictirte mir die Worte, die ich wegen des tiefen Eindrucks, welchen sie mir machten, noch heut auswendig weiß: „Nachdem der Sühneversuch angestellt und die dafür dem Gebiete der Moral und Religion entnommnen Gründe erfolglos geblieben waren, wurde wie folgt weiter verhandelt.“ Mein Vorgesetzter erhob sich und sagte: „Nun merken Sie sich, wie man das macht, und lassen Sie mich künftig mit dergleichen in Ruhe.“ Ich begleitete ihn zur Thüre und setzte die Verhandlung fort. Die Station der Ehescheidungen dauerte, so viel ich mich erinnere, vier bis sechs Wochen, ein Sühneversuch kam mir nicht wieder vor. Es war ein gewisses Bedürfniß vorhanden für die Verordnung über das Verfahren in Ehescheidungen, auf welche Friedrich Wilhelm IV. sich beschränken mußte, nachdem sein Versuch, ein Gesetz über Aenderung des materiellen Eherechts zu Stande zu bringen, an dem Widerstande des Staatsraths gescheitert war. Dabei mag erwähnt werden, daß durch jene Verordnung zuerst in den Provinzen des Allgemeinen Landrechts der Staatsanwalt eingeführt worden ist, als defensor matrimonii und zur Verhütung von Collusionen der Parteien.
Ansprechender war das folgende Stadium der Bagatellprozesse, wo der ungeschulte junge Jurist wenigstens eine Uebung im Aufnehmen von Klagen und Vernehmen von Zeugen gewann, wo man ihn im Ganzen aber doch mehr als Hülfsarbeiter ausnutzte, als mit Belehrung förderte. Das Local und die Procedur hatten etwas von dem unruhigen Verkehre an einem Eisenbahnschalter. Der Raum, wo der leitende Rath und die drei oder vier Auscultatoren mit dem Rücken gegen das Publikum saßen, war von hölzernen Gittern umgeben, und die dadurch gebildete viereckige Bucht war von der wechselnden und mehr oder weniger lärmenden Menge der Parteien rings umfluthet.
Mein Eindruck von Institutionen und Personen wurde nicht wesentlich modificirt, nachdem ich zur Verwaltung übergegangen war. Um den Umweg zur Diplomatie abzukürzen, wandte ich mich einer rheinischen Regirung, der Aachner, zu, deren Cursus sich in zwei Jahren abmachen ließ, während bei den altländischen wenigstens drei erforderlich waren.
Ich kann mir denken, daß bei Besetzung der rheinischen Regirungscollegien 1816 ähnlich verfahren worden war, wie 1871 bei der Organisation von Elsaß-Lothringen. Die Behörden, welche einen Theil ihres Personals abzugeben hatten, werden nicht auf das staatliche Bedürfniß gehört haben, für die schwierige Aufgabe der Assimilirung einer neu erworbenen Bevölkerung den besten Fuß vorzusetzen, sondern diejenigen Mitglieder gewählt haben, deren Abgang von ihren Vorgesetzten oder von ihnen selbst gewünscht wurde; in den Collegien fanden sich frühere Präfektursekretäre und andre Reste der französischen Verwaltung. Die Persönlichkeiten entsprachen nicht alle dem unberechtigten Ideale, das mir in dem Alter von 21 Jahren vorschwebte, und noch weniger that dies der Inhalt der laufenden Geschäfte. Ich erinnere mich, daß ich bei vielen Meinungsverschiedenheiten zwischen Beamten und Regirten oder innerhalb jeder dieser beiden Kategorien, Meinungsverschiedenheiten, deren polemische Vertretung jahrelang die Akten anschwellen machte, gewöhnlich unter dem Eindrucke stand, „ja, so kann man es auch machen,“ und daß Fragen, deren Entscheidung in dem einen oder dem andern Sinne das verbrauchte Papier nicht werth war, eine Geschäftslast erzeugten, die ein einzelner Präfekt mit dem vierten Theile der aufgewandten Arbeitskraft hätte erledigen können. Nichtsdestoweniger [787] war, abgesehn von den subalternen Beamten, das tägliche Arbeitspensum ein geringes und besonders für die Abtheilungs-Dirigenten eine reine Sinecure. Ich verließ Aachen mit einer, abgesehn von dem begabten Präsidenten Grafen Arnim-Boitzenburg, geringen Meinung von unsrer Bürokratie im Einzelnen und in der Gesammtheit. Im Einzelnen wurde meine Meinung günstiger durch meine demnächstige Erfahrung bei der Regirung in Potsdam, zu der ich mich im Jahre 1837 versetzen ließ, weil dort abweichend von den andern Provinzen die indirecten Steuern zum Ressort der Regirung gehörten und grade diese wichtig waren, wenn ich die Zollpolitik zur Basis meiner Zukunft nehmen wollte.
Die Mitglieder des Collegiums machten mir einen würdigern Eindruck als die Aachner, aber doch in ihrer Gesammtheit den Eindruck von Zopf und Perrücke, in welche Kategorie meine jugendliche Ueberhebung auch den väterlich-würdigen Oberpräsidenten von Bassewitz stellte, während der Aachner Regirungspräsident Graf Arnim zwar die generelle Staatsperrücke, aber doch keinen geistigen Zopf trug. Als ich dann aus dem Staatsdienste in das Landleben überging, brachte ich in die Berührungen, welche ich als Gutsbesitzer mit den Behörden hatte, eine nach meinem heutigen Urtheil zu geringe Meinung von dem Werthe unsrer Bürokratie, eine vielleicht zu große Neigung zur Kritik mit. Ich erinnere mich, daß ich als stellvertretender Landrath über den Plan, die Wahl der Landräthe abzuschaffen, gutachtlich zu berichten hatte und mich so aussprach, die Bürokratie sinke in der Achtung vom Landrath aufwärts; sie habe dieselbe nur in der Person des Landraths bewahrt, der einen Januskopf trage, ein Gesicht in der Bürokratie, eins im Lande habe.
Die Neigung zu befremdendem Eingreifen in die verschiedensten Lebensverhältnisse war unter dem damaligen väterlichen Regimente vielleicht größer als heut, aber die Organe zum Eingreifen waren weniger zahlreich und standen an Bildung und Erziehung höher als ein Theil der heutigen. Die Beamten der Königlichen hochlöblichen Regirung waren ehrliche, studirte und gut erzogne Beamte, aber ihre wohlwollende Thätigkeit fand nicht immer Anerkennung, weil sie sich ohne locale Sachkunde auf Details zersplitterte, in Betreff deren die Ansichten des gelehrten Stadtbewohners am grünen Tische nicht immer der Kritik des bäuerlichen gesunden Menschenverstandes überlegen waren. Die Mitglieder der Regirungs-Collegien hatten damals multa, nicht multum zu thun, und der Mangel an höhern Aufgaben brachte es mit sich, daß sie kein ausreichendes Quantum wichtiger Geschäfte fanden und in ihrem Pflichteifer sich über das Bedürfniß der Regirten hinaus zu thun machten, in die Neigung zur Reglementirerei, zu dem, was der Schweizer „Befehlerle“ nennt, geriethen. Man hatte, um einen vergleichenden Blick auf die Gegenwart zu werfen, gehofft, daß die Staatsbehörden durch die Einführung der heutigen localen Selbstverwaltung an Geschäften und an Beamten würden entbürdet werden; aber im Gegentheile, die Zahl der Beamten und ihre Geschäftslast sind durch Correspondenzen und Frictionen mit den Organen der Selbstverwaltung von dem Provinzialrathe bis zu der ländlichen Gemeindeverwaltung erheblich gesteigert worden. Es muß früher oder später der wunde Punkt eintreten, wo wir von der Last der Schreiberei und besonders der subalternen Bürokratie erdrückt werden.
Daneben ist der bürokratische Druck auf das Privatleben durch die Art der Ausführung der „Selbstverwaltung“ verstärkt worden und greift in die ländlichen Gemeinden schärfer als früher ein. Vorher bildete der der Bevölkerung ebenso nahe als dem Staate stehende Landrath den Abschluß der staatlichen Bürokratie nach unten; unter ihm standen locale Verwaltungen, die wohl der Controlle, aber nicht in gleichem Maße wie heut der Disciplinargewalt der Bezirks- oder Ministerial-Bürokratie unterlagen. Die ländliche Bevölkerung erfreut sich heut vermöge der ihr gewährten Selbstregirung nicht etwa einer ähnlichen Autonomie wie seit lange die der Städte, sondern sie hat in Gestalt des Amtsvorstehers einen Vorstand erhalten, der durch Befehle von oben, vom Landrathe unter Androhung von Ordnungsstrafen disciplinarisch angehalten wird, im Sinne der staatlichen Hierarchie seine Mitbürger in seinem Bezirke mit Listen, Meldungen und Zumuthungen zu belästigen. Die regirte contribuens plebs hat in der landräthlichen Instanz ungeschickten Eingriffen gegenüber nicht mehr die Garantie, welche früher in dem Verhältniß lag, daß die Kreiseingesessenen, die Landräthe wurden, dies in ihrem Kreise lebenslänglich zu bleiben in der Regel entschlossen waren und die Leiden und Freuden des Kreises mitfühlten. Heut ist der Landrathsposten die unterste Stufe der höhern Verwaltungslaufbahn, gesucht von jungen Assessoren, die den berechtigten Ehrgeiz haben, Carrière zu machen; dazu bedürfen sie der ministeriellen Gunst mehr als des Wohlwollens der Kreisbevölkerung und suchen erstre durch hervorragenden Eifer und Anspannung der Amtsvorsteher der angeblichen Selbstverwaltung bei Durchführung auch minderwerthiger bürokratischer Versuche zu gewinnen. Darin liegt zum großen Theil der Anlaß zur Ueberlastung ihrer Untergebenen in der localen „Selbstverwaltung“. Die „Selbstverwaltung“ ist also Verschärfung der Bürokratie, Vermehrung der Beamten, ihrer Macht und ihrer Einmischung ins Privatleben.
Es liegt in der menschlichen Natur, daß man von jeder Einrichtung die Dornen stärker empfindet als die Rosen, und daß die erstern gegen das zur Zeit Bestehende verstimmen. Die alten Regirungsbeamten zeigten sich, wenn sie mit der regirten Bevölkerung in unmittelbare Berührung traten, pedantisch und durch ihre Beschäftigung am grünen Tische den Verhältnissen des praktischen Lebens entfremdet, hinterließen aber den Eindruck, daß sie ehrlich und gewissenhaft bemüht waren, gerecht zu sein. Dasselbe läßt sich von den Organen der heutigen Selbstverwaltung in Landstrichen, wo die Parteien einander schärfer gegenüberstehn, nicht in allen Stufen voraussetzen; das Wohlwollen für politische Freunde, die Stimmung bezüglich des Gegners werden leicht ein Hinderniß unparteiischer Handhabung der Einrichtungen. Nach meinen Erfahrungen aus jener und der spätern Zeit möchte ich übrigens den Vorzug der Unparteilichkeit im Vergleiche zwischen richterlichen und administrativen Entscheidungen nicht den erstern allein einräumen, wenigstens nicht durchgängig. Ich habe im Gegentheil den Eindruck behalten, daß Richter an den kleinen und localen Gerichten den starken Parteiströmungen leichter und hingebender unterliegen als Verwaltungsbeamte; und es ist auch kein psychologischer Grund dafür erfindlich, daß bei gleicher Bildung die letztern a priori für weniger gerecht und gewissenhaft in ihren amtlichen Entscheidungen gehalten werden sollten als die erstern. Wohl aber nehme ich an, daß die amtlichen Entschließungen an Ehrlichkeit und Angemessenheit dadurch nicht gewinnen, daß sie collegialisch gefaßt werden; abgesehn davon, daß Arithmetik und Zufall bei dem Majoritätsvotum an die Stelle logischer Begründung treten, geht das Gefühl persönlicher Verantwortlichkeit, in welcher die wesentliche Bürgschaft für die Gewissenhaftigkeit der Entscheidung liegt, sofort verloren, wenn diese durch anonyme Majoritäten erfolgt.
Der Geschäftsgang in beiden Collegien, in Potsdam wie in Aachen, war für meine Strebsamkeit nicht ermuthigend gewesen. Ich fand die mir zugewiesene Beschäftigung kleinlich und langweilig, und meine Arbeiten auf dem Gebiete der Mahlsteuerprozesse und der Beitragspflicht zum Bau des Dammes in Rotzis bei Wusterhausen haben mir kein Heimweh nach meiner damaligen Thätigkeit hinterlassen. Dem Ehrgeiz der Beamtenlaufbahn entsagend, erfüllte ich gerne den Wunsch meiner Eltern, in die festgefahrne Bewirthschaftung unsrer pommerschen Güter einzutreten. Auf dem Lande dachte ich zu leben und zu sterben, nachdem ich Erfolge in der Landwirthschaft erreicht haben würde, vielleicht auch im Kriege, wenn es einen gäbe. Soweit mir auf dem Lande Ehrgeiz verblieb, war es der des Landwehr-Lieutenants.“
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Wie anders sollte es kommen in diesem zu dem Größten bestimmten Leben, von dem die „Gedanken und Erinnerungen“ erzählen! Der Landjunker wandelt sich in den parlamentarischen Streiter; er reift zum Staatsmanne auf seinen verschiedenen Posten: beim deutschen Bundestage, am russischen und am napoleonischen Kaiserhofe. Ueber die böhmischen und französischen Schlachtfelder schreitend, giebt er seinem Volke die langersehnte Einheit, das Reich und den Kaiser. Er sichert der Welt den Frieden. Anders, als er sich gedacht, kehrt er aufs Land zurück und schließt die müden Augen beim Rauschen seines Waldes.
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Transkription des oben dargestellten Faksimile:
- sarkastische Bemerkungen des Königs zu hören, der mir
- zum Beispiel sagte: „man macht es mir zum Vorwurf,
- einen leichtsinnigen Minister gewählt zu haben. Sie
- sollten den Eindruck nicht dadurch verstärken, daß
- Sie tanzen.“ Den Prinzessinnen wurde dann untersagt
- mich zum Tänzer zu wählen. Auch die andauernde
- Tanzfähigkeit des Herrn von Keudell hat mir, wenn
- es sich um seine Beförderung handelte, bei Seiner
- Majestät Schwierigkeit gemacht. Es entsprach das
ganz - der bescheidenen Natur des Kaisers, der seine Würde
weniger durch augenfälliges Handeln zu bethätigenoderauch durch Vermeiden unnöthiger Aeußerlichkeiten welchealles dessen, was einedie Kritikunnöthigherausfordern könnten, zu wahren gewöhnt war.
- sarkastische Bemerkungen des Königs zu hören, der mir
[Ein tanzender Staatsmann fand in seinen Vorstellungen nur in fürstlichen Ehren-Quadrillen Platz; im raschen Walzer verlor er an Vertrauen auf die Weisheit seiner Rathschläge.]
- Nachdem ich mich auf dem Frankfurter
- Terrain zu Hause gemacht hatte, nicht ohne harte
- Zusammenstöße mit dem österreichischen Vertreter,
- zunächst in der Flottenangelegenheit, in welcher er
- Preußen autoritativ und finanziell zu verkürzen und für die Zukunft [lahm]
- Nachdem ich mich auf dem Frankfurter
Alle Rechte vorbehalten.
Zwischen Gräbern.
So wären denn in so kurzer Zeit die Kränze verwelkt! Auch die Gießkanne voll Wasser, die ich gestern abend dem Gärtner abbettelte, konnte sie nicht mehr erfrischen. Tot – tot! alle die schönen Blumen, die so tröstlich den schwarzen Sarg überfluteten, und dann den grauen, rasch zusammengeschaufelten Hügel. Alle die schönen Blumen! Sie mußten ihm nachsterben. Sie sind das Totenopfer von Lebendigem, das sichtlich vergehen muß – gleichsam zur Vergeltung für den Schmerz um den geliebten Menschen, der uns grausam entrissen wurde. Je größer das Totenopfer, um so mehr war er geliebt, geehrt worden im Leben.
Ich fürchte, das ist eine recht heidnische Vorstellung. Und wer denkt denn auch, wenn er Blumen spendet, an ihr Verwelken? Eine Liebesgabe sind sie, erfreuen sollen sie mit ihrer duftigen Schöne das bekümmerte Herz der Leidtragenden, verdecken sollen sie ihnen in der schwersten Stunde des Abschiedes alles Grauen des Todes, schmücken die Stätte traurigster Erinnerung. Was können sie dafür, daß sie so bald erst recht traurig an die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnen? Verwelkte Blumen auf einem neuen Grabe – es kann für sie kein passenderes Symbol geben.
Aber der Lorbeer der Kränze hält sich grün. Sie bedecken dicht den ganzen Hügel, zwei, drei übereinander. Und die vielen weißen Schleifen mit Goldaufschrift! Ich habe sie so geordnet, daß sie alle gut zu sehen und zu lesen sind. Nicht aus Eitelkeit, aber aus Dankgefühl für die freundlichen Spender. Und diese Zeichen der Teilnahme thun auch so wohl!
Der gute, alte Papa – ja, er hat viel Liebe gehabt! In seinem Ministerium, dem er ja länger als zwanzig Jahre in treuester Arbeit diente, bei Vorgesetzten und Untergebenen, in den Wohlfahrtsanstalten, die er beaufsichtigte, in den Familien, die in seinem gastlichen Hause verkehrten, in dem Kreise der Landsleute und Studiengenossen, die er beim Glase Wein zusammenhielt. Ich bilde mir nicht ein, daß alle, die ihm den letzten Liebeszoll entrichteten, Freunde waren, aber einem herzlichen Bedürfnis folgten sie gewiß. Und ganz vergessen wird ihn keiner, der ihn gekannt hat.
Uns, die wir ihn liebten, müßte der Verlust um so schmerzlicher scheinen. Es ist doch nicht so. Etwas Freudiges mischt sich besänftigend ein: wie gut ist er den Menschen gewesen und wie viel Dank hat er geerntet!
Wir besuchen den Friedhof täglich, die alte Mutter und ich. Der späte September hat noch so schöne Tage gebracht, man könnte stundenlang im Freien verweilen. Besonders zur Zeit gegen den Sonnenuntergang hin ist’s herrlich da, wenn die goldigen Strahlen über den bekränzten Hügel flimmern und das schon rötliche Laub der Sträucher und Bäume in der Nähe die eisernen Gitter und Gedenksteine purpurn färben.
Unser Plätzchen ist so hübsch, so ausgesucht hübsch. Der Friedhof zieht sich an der sanften Schwellung des Erdbodens hinauf, und seitlich, nicht fern von der niedrigen Mauer und doch in nicht beengendem Abstande von ihr, fast schon oben, liegt die Grabstätte. Alte Gräber grenzen an, epheuumsponnene kleine Blumengärtchen, umgeben von Taxus, Trauereschen und Weiden; die Linden im Hintergrunde am Wege überragen sie. Nur nach der Mauer hin ist der Raum frei, sich leise abdachend. Man sieht über sie weit hinaus auf die große Stadt mit ihren Kirchtürmen und Kuppeln, wie sie überall aus dem Häusermeer auftauchen, und ein wenig an ihm vorbei in die weite, noch nicht bebaute Ebene, mit den Kieferwaldungen in der Ferne. Wir werden uns ein Bänkchen aufstellen lassen, um im Sommer da mit unserer Handarbeit oder einem Buch sitzen zu können. Kein Abend soll ohne unseren Besuch vergehen.
Wir stehen wohl eine Weile schweigsam. Aber unsere stillen Gedanken suchen bald den Austausch. Wir wollen einander nicht trauriger stimmen. Gewiß nicht. Aber auch die heiteren Erinnerungen treiben uns gleich die Thränen aus den Augen. Und wie heiter konnte er sein, der liebe, alte Papa! Er gehörte zu denen, die sich im Alter verschönen. Diese freundlichen Augen, dieser lachende Mund! Der Ausdruck ganz Güte und Wohlwollen. Er konnte nichts schwer nehmen, wenn auch das Ernste ernst. Es war immer, als ob er mahnte: laßt doch nur den Tag darüber hingehen, wartet doch nur bis morgen, dann schiebt sich alles von selbst wieder zurecht und die Welt sieht freundlich aus.
Und wenn er eine Geschichte erzählte! Man merkte ihm das Behagen an. Freilich mußte man Geduld haben, ihn erst auf allerhand Umschweifen zu begleiten. Aber wenn dann alle Fäden geschlagen waren und noch immer niemand ahnte, worauf er eigentlich hinauswollte, kam überraschend die Pointe mit voller Siegessicherheit. Er erzählte wohl auch Anekdoten, aber am liebsten doch kleine eigene Erlebnisse, die an sich ganz unbedeutend waren, aber durch den Vortrag wahre Kabinettstückchen guter Laune wurden. Merkwürdig! Er hatte immer etwas erlebt. Uns liebte er zu necken, auch manchmal weit ausholend. Man konnte sich darauf üben, wie aufs Rätselraten, und mißverstand ihn dann nicht leicht. Ich wußte schon immer voraus, daß ich ihm würde stillhalten müssen, wenn er mich listig anblinzelte, die Nasenspitze rieb und mit den Lippen zuckte. Wie gern ließ ich seinen harmlosen Spott über mich ergehen! Mir fehlte etwas, wenn ich bei einem Mittags- oder Abendessen nicht gehänselt war. Und wie liebte er „seine Jüngste“!
Es war so rührend, wie er sein Leiden zu verstecken wußte oder es vor uns fortzuscherzen bemüht war. Als ob er sich gar nicht genug über seine Schwäche lustig machen könnte! Und als die böse Krankheit ihn dann doch niederwarf und der Arzt sich auf keine Zeichensprache einlassen wollte, uns die Wahrheit vorzuenthalten, und wir weinend an seinem Bett standen – nein, das kann ich mein Leben lang nicht vergessen, wie er sich da lächelnd zu uns wandte und mit leiser Stimme sagte: „Warum weint ihr denn? Es geschieht doch nichts, als was lange vorhergesehen werden mußte, das Allermenschlichste. Ihr solltet froh darüber sein, daß wir eine so schöne Zeit miteinander verlebt haben und uns so gut geworden sind, daß ein Verlieren gar nicht möglich ist. Habt ihr mich lieb, so vergönnt doch diesem Restchen Dasein noch so viel Heiterkeit, als es irgend ertragen kann. Wollt ihr? Wir verkehren miteinander wie immer.“
Noch ganz kurz vor seinem Tode erzählte er, daß er soeben einen recht drolligen Traum gehabt hätte. Es wäre ihm angeboten, ein steinreicher Mann zu werden, wenn er bis zu seinem Lebensende nicht mehr lachen wolle; denn das Reichwerden sei eine sehr ernste Sache für Leute, die nur stets ungefähr so gerade ausgekommen wären. „Ich dachte an euch,“ fuhr er fort, „und hatte schon nicht übel Lust zuzugreifen, denn lange konnte ja die Prüfung nicht dauern. Da fiel mir aber noch zu rechter Zeit ein, doch erst mal in den Spiegel zu sehen, ob ich auch so ein Gesicht machen könne, als von mir gefordert wurde. Und denkt euch, da sah ich so furchtbar komisch aus, daß ich hell auflachen mußte. Darüber erwachte ich. Nun thut mir’s doch recht leid, daß ich mich nicht ein bißchen besser zusammengenommen habe.“
Der gute, alte Papa! Er ist so hinübergeschlummert, gewiß mit noch lustigeren Träumen. Auf seinem Gesicht lag’s, als ob er sagen wollte: wartet nur, bis ich aufwache; ich hab’ euch noch etwas zu erzählen.
Ob ich aber jemals wieder werde lachen können? Lachen, wie früher? Wenn man einen so lieben Menschen hat sterben sehen –! Der nimmt allzu viel mit. Nein, nein! Das Leben ist mir plötzlich ernst geworden, sehr ernst.
Wir haben nun beschlossen, den Hügel sogleich mit Rasen belegen zu lassen, mag sich auch die Erde noch nicht genügend gesenkt haben. Er wird bei dem fortgesetzt sonnigen Wetter gut eingrünen und dann im Herbst und Winter dem Grabe ein [791] freundlicheres Aussehen geben. Ich habe heute schon mit dem Gärtner gesprochen.
Dazu ist aber nötig, daß die Kränze fortgeräumt werden. Wohin damit? Aufbewahren lassen sie sich nicht; es sind ihrer zu viele. Ich will aus jedem ein paar Blättchen zupfen oder einen kleinen Büschel, wie er in der Drahtschlinge befestigt ist. Daraus läßt sich dann ein einziger Kranz winden, der Papachens Jubiläumsbild dauernd schmücken soll. Von den Bandschleifen lassen sich aber nicht ebenso gut einzelne Fäden ausziehen und zu einem Gewebe zusammenbringen. Ich wähle die schönste, die ihm das Ministerium gestiftet hat, und winde sie durch die Lorbeerblätter. Sie lang hängen zu lassen und gar die anderen auch daneben, wäre gar nicht nach seinem Sinn.
Er selbst war der Bescheidensten einer. Er that immer und immer nur „seine Schuldigkeit“. Könnte er selbst Anordnungen nach seinem Begräbnis treffen, er würde uns lächelnd zurufen: Es war alles so gut gemeint; ein großer Mann hätte nicht pomphafter begraben werden können. Aber nun räumt auf, räumt auf! Es war nur so ein ganz kleiner Wirklicher-Geheimer-Ober, von denen zwölf auf ein Dutzend gehen, und morgen ist wieder Werktag.
Ich will aufräumen.
Die Mutter ist sehr angegriffen. Gestern fiel sie mir in Ohnmacht und heute lasse ich sie nicht aus dem Bett. Sie hat sich in der Leidenszeit das Uebermenschliche zugemutet, nicht schwach zu erscheinen. Da sinkt sie nun zusammen.
Ich fürchte, zu ihrem Kummer treten auch noch Sorgen, hauptsächlich meinetwegen. Sie sprach eines Abends recht freundschaftlich und liebevoll mit mir. Der Vater habe nichts erspart. Die Söhne hätten viel gekostet. Nun seien sie freilich in angesehenen Stellungen und auf dem besten Wege zu noch angeseheneren. Aber ohne Vermögen hätten sie vorläufig doch nur gerade das Durchkommen und würden schon den gewohnten Zuschuß schwer vermissen. An Stelle des ganz namhaften Gehalts sei eine recht kleine Witwenpension getreten. Wir würden uns sehr einrichten müssen, alles Ueberflüssige von Hausrat zu verkaufen und uns eine passende Wohnung zu mieten haben. Unseren Umgang hätten wir auf das geringste Maß einzuschränken. Sie überlege schon, ob sie unsere etwas verwöhnte Marie würde behalten können, so ungern sie sich auch von der treuen Person trennen würde. Vielleicht sei es das Verständigste, nach einer kleinen Stadt zu ziehen, wo wir ganz unbekannt wären und uns einrichten könnten wie wir wollten. Aber sie denke an mich und wie wenig ich da vom Leben haben würde, und wie unwahrscheinlich da …
An mich! Als ob ich nicht längst wüßte, daß ich keine Ansprüche erheben dürfe. Wenn eine Geheimratstochter dreiundzwanzig Jahre alt geworden ist, muß sie doch über sich Bescheid wissen. Sie lernt’s früher schon, wenn sie halbwegs verständig um sich schaut. Tanzt sie gern – an Tänzern wird ihr’s nicht fehlen; aber die thörichte Hoffnung, in der Gesellschaft, die sie pflichtschuldigst auszeichnet, den Erwählten ihres Herzens zu treffen, nährt sie nicht lange. Die guten Mütter können nur so schwer von dem Gedanken los, daß ihre Töchter, wenn sie leidlich gut aussehen und die beste Erziehung genossen haben, in der Ehe ihr Glück finden müssen. Und nun die einzige Tochter und das jüngste Kind und das ersehnte Mädel, das etwas verspätete und um so zärtlicher verhätschelte Nesthäkchen!
Nein, ich habe abgeschlossen, und es ist mir nicht einmal schwer geworden. Ich habe etwas von des Vaters heiterem Sinn geerbt und immer die Dinge ruhig an mich kommen lassen. Ist’s nicht, so ist’s nicht! Ich habe auch das Glück gehabt – in meiner Lage muß ich’s wohl so nennen – nie einem Manne zu begegnen, für den ich mich leidenschaftlich hätte erwärmen können. Es ist möglich, daß ich einmal warm geworden wäre, wenn jemand sich recht ernstlich um mich bemüht hätte. Aber diese Erfahrung habe ich nicht gemacht, denn ein paar verliebte Jünglinge, für die ich verständig sein mußte, rechnen nicht mit. Nun habe ich nicht einmal mehr einen Vater, von dessen Einfluß sich etwas für die Carriere erhoffen ließe! Es ist gut so, ich bin vor allen Illusionen bewahrt und kann mich darauf einrichten, ein altes Jüngferchen zu werden. Hoffentlich behalte ich noch lange die schöne Aufgabe, die alte Mutter zu pflegen und zu stützen. Ganz unnütz auf der Welt werde ich auch später nicht sein.
Das Grab ist in bester Ordnung. Ich lege nun täglich ein frisches Blumensträußchen auf den grünen Rasen. Nur ein ganz kleines. Wir müssen sparsam sein.
Heute wurde ich zum erstenmal unliebsam in meiner Andacht gestört.
Ein langer Mensch strich zwischen den Gräbern herum, als ob er etwas suchte, und kam auch wiederholt über den freien Platz vor dem unsern, blieb stehen und ging weiter. Er sprach vor sich hin, so daß ich anfangs glaubte, er wollte von mir eine Auskunft haben. Ich merkte aber bald, daß er mich gar nicht beachtete.
Nach einer Weile kam auch der Friedhofsinspektor und schloß sich ihm an. Ich hatte mich abgewendet, hörte aber, daß sie in kurzen Sätzen miteinander sprachen.
„Hier also?“
„Ja, das ist die Reihe.“
„Eine andere Stelle ist nicht frei?“
„Was haben Sie gegen diese auszusetzen, Herr Professor?“
„O nichts, nichts.“
„Ich denke, sie ist sehr schön.“
„Jawohl – nur ein wenig beengt.“
„Ach – da ist noch viel Raum, Herr Professor.“
„Also gut!“
Sie entfernten sich hügelab dem Ausgang zu.
Das Gespräch war kaum falsch zu deuten. Der Lange sah sich nach einer Stelle für ein neues Grab um, und der Inspektor wies sie ihm hier in der Nähe an. Ich weiß nicht, wie es kam, daß mich dies beunruhigte und geradezu verdrießlich stimmte. Was kümmerte es mich?
Als ich bald darauf durch das große Portal den Friedhof verlassen wollte, stand der Herr Inspektor vor seinem Hause und grüßte mich. Ich konnte mich nicht enthalten, ihn zu fragen, ob wirklich ein Begräbnis angemeldet sei. „Ja,“ antwortete er, „zu übermorgen. Das Grab kommt ganz in die Nähe des Ihren.“ – „Ganz in die Nähe –?“ wiederholte ich wie erschreckt. Es mochte ihm wenigstens so klingen, denn er sah mich lächelnd an und sagte: „Gewiß, wir bleiben immer in der Reihe.“ – „Aber doch nicht nebenan?“ – „Freilich nebenan.“ – „Aber“ … Da half kein Einreden. „Es kann Ihnen ja gleichgültig sein, liebes Fräulein, wer neben Ihrem Herrn Papa schläft,“ meinte er. „Jst’s nicht der, so ist’s ein anderer, irgend einer gewiß. Und Wenn’s Ihnen auf gute Gesellschaft ankommt – ich denke, Sie können zufrieden sein. Es ist ein Professor, der seine Mutter begräbt.“
Ich erkundigte mich nicht weiter, um nicht neugierig zu erscheinen, was ich gewiß nicht war. Irgend einer gewiß! Ganz richtig. Es konnte und mußte mir gleichgültig sein, an wen der nächste Platz abgegeben wurde. Die Mama hatte ja vorsichtig eine Doppelstelle erworben, um sich die Ruhestätte neben ihrem lieben Alten zu sichern. Weitere Ansprüche hatten wir nicht zu erheben. Und doch –! daß überhaupt einer … Es war mir bisher gar nicht eingefallen, daß der offene Raum, über den ich mich so gefreut hatte, noch weiter benutzt werden könnte. Und nun überkam mich ein Gefühl der Abgunst – ich kann’s gar nicht anders nennen. Ich wollte für mich allein behalten, was ich mir rund herum gleichsam dadurch zugeeignet hatte, daß ich es in einem gewissen Zustande sah, den ich mir unverändert wünschte. Wär’ ich reich gewesen, ich hätte alle die Grabstellen bis zur Mauer hin kaufen mögen, nur damit niemand weiter dort begraben werden könnte.
Ich kam ganz aufgeregt nach Hause, und die Mama hatte Mühe, mein Gefühl zu beruhigen, nachdem der Verstand längst eingesehen hatte, daß mein Verdruß grundlos sei.
Wie selbstsüchtig wir sind! (Schluß folgt.)
[792]
[793] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.
[794]Alle Rechte vorbehalten.
Die tiefsten Bergwerke der Erde.
Zur Zeit Alexander von Humboldts, als man sich in Ermangelung besonderer Tiefbohrungen für geologische Zwecke mit den Verhältnissen und Ergebnissen tiefer Kohlen- oder Erzbergwerke auch für die Zwecke der Wissenschaft, für die Wärmemessung großer Tiefen und dergleichen, begnügen mußte, betrug die größte Tiefe, bis zu welcher man nach seinen eigenen Angaben in die Erde eingedrungen war, 680 m in der Tiefbohrung vom Steinsalzwerk bei Minden. Freilich wußte auch Humboldt bereits erheblich tiefere Schächte zu nennen, die im Mittelalter niedergetrieben worden waren und später nach dem Eingehen des Bergbaues in den betreffenden Gegenden wieder verfallen sind.
So erlangten die Gruben am „Röhrerbühel“ bei Kitzbühel in Nordtirol, in denen bis ans Ende des 18. Jahrhunderts Bergbau auf Kupfer und Silber betrieben wurde, am Ende des 16. Jahrhunderts im St. Nothburger Geisterschacht nicht weniger als 888 m Tiefe, und im Jahre 1621 gab es in demselben Bergbezirk 4 Schächte zwischen 680 und 894 m Tiefe. Man brauchte beinahe 11/2 Stunden, um aus den tiefsten Zechen eine Tonne mit Erz durch das über Tage stehende Wasserrad heben zu lassen. Die Pumpwerke wurden sogar mit Menschenhand betrieben. Noch tiefer als diese Schächte war im 16. Jahrhundert derjenige zu Kuttenberg in Böhmen, der 1100 m Tiefe erreicht haben soll, aber am Beginn unseres Jahrhunderts gleich den vorigen schon wieder verschüttet war. Endlich haben sich auch die Chinesen, die in so vielen Zweigen der Technik frühzeitige Erfahrungen besaßen, schon vor langer Zeit als geschickte Schachtbohrer und -Zimmerer bewiesen. Schon lange, bevor in Pennsylvanien und bei Baku Brunnen zum Abfangen und zur Benutzung der brennbaren Naturgase gebohrt worden sind, gab es solche Schächte von mehr als 900 m Tiefe und zu demselben Zwecke in dem Erdöldistrikte von China.
Was nun die größten Tiefen in neueren Bergwerken betrifft, so sind zunächst in Deutschland einige Schächte des Clausthal-Zellerfelder Bergbetriebes beachtenswert. Mehr als 700 m erstrecken sich hier die Zechen Marie und Anna Eleonore, und eine der Harzer Zechen, Kaiser Wilhelm II, geht sogar bis 863 m hinab. Obwohl sich das Zechenhaus dieses Schachtes gegen 600 m über dem Meere befindet, so reicht doch seine Sohle noch ungefähr 300 m unter den Spiegel der Nordsee hinab, und trotz der großartigen Wasserleitungen des Harzes, die viele Meilen lang die Abhänge des Gebirges durchschneiden, um das Grubenwasser von selbst ablaufen zu lassen und an Pumparbeit zu sparen, müssen die Grubenwässer dieses Schachtes doch reichlich 500 m hoch durch Maschinen gehoben werden. Die vorzüglichen Fahrkünste des Harzer Bergwerkbetriebes ermöglichen es, auch in diese Tiefen binnen 20 oder 25 Minuten hinabzusteigen. Der Transport der Erze findet sogar mit einer Geschwindigkeit von 300 bis 400 m in der Minute statt.
Bedeutend tiefere Gruben, als sie der Harz hat, sind heute im böhmischen Kohlenbezirk im Betriebe. Von den Zechen bei Przibram besitzt der Franz Josephsschacht eine Tiefe von 1000 m, während die Zechen Marie und Adalbert sich noch 130 m weiter ins Innere der Berge erstrecken. Noch etwas tiefer gehen die Henriettenschächte zu Flérue in Belgien, die ebenfalls dem Kohlenbau dienen und bis jetzt eine Tiefe von 1200 m erreicht haben. Im Jahre 1895 stieß man bei 1150 m Tiefe auf so bedeutende Wassermassen, daß der Betrieb vorübergehend eingestellt werden mußte. Nach Aufstellung einer neuen Pumpmaschine gelang es indessen, den Bergbau wieder aufzunehmen. Natürlich herrschen in dieser Tiefe schon sehr bedeutende Temperaturen; man fand das Gestein bei 1150 m 47 bis 48°C warm, und es gehört eine gewaltige Ventilationsanlage dazu, die Arbeit in diesen Tiefen zu ermöglichen. Durch die Einführung von 8 bis 9 cbm Luft in jeden der Schächte und in jeder Sekunde ist die Temperatur soweit herabgemildert worden, daß am tiefsten Füllort bei 1150 m nur 151/2° herrschen, wenn die Temperatur an der Erdoberfläche 0° beträgt. Eine Temperaturerhöhung von 7° über der Erde bringt am Grunde der Zeche nur eine Wärmezunahme von 1° hervor.
Die Wärmeverhältnisse bei der Tiefenzunahme sind übrigens außerordentlich verschieden; in einem 1100 m tiefen Schacht von Przibram steigt die Temperatur mit zunehmender Tiefe so langsam, daß erst auf je 30 m eine Wärmezunahme von 1° erfolgt; nahe an der Sohle beträgt die natürliche Temperatur nur 22° C. Anderseits ist man in den überaus reichen Minen des Comstockganges in den Silber- und Goldregionen von Nevada genötigt, zwischen 600 und 700 m Tiefe die Arbeit der Hitze wegen aufzugeben. In einigen Gängen steigt die Temperatur gegen 50° C, und die Arbeiter, welche bei 47° noch beschäftigt sind, werden alle 10 Minuten abgelöst. Die Versuche, auch bei 50° arbeiten zu lassen, mußten aufgegeben werden, da sich bei den Arbeitern Geistesstörungen und plötzliche Todesfälle einstellten. Bereits aus dem 17. Jahrhundert wissen wir, daß im Herrengrunde in Böhmen tiefe Bergwerksschächte verlassen werden mußten, weil die Hitze über das erträgliche Maß stieg. In den Vereinigten Staaten von Amerika befindet sich übrigens auch der tiefste Schacht der ganzen Erde, nämlich die Zeche Red Jacket der Columet Erzdistrikte, die 1495 m unter die Erdoberfläche hinabreicht, also die tiefsten europäischen Schächte fast um 300 m übertrifft. Die Temperatur beträgt am Boden dieser Zeche 31°.
In England gehen, dank dem unerschöpflichen Reichtum des Bodens auch in flacheren Schichten, die Bergwerke bei weitem noch nicht in so bedeutende Tiefen hinab wie in Belgien oder in den Vereinigten Staaten. Die tiefste englische Erzgrube ist diejenige von Doleveth in Cornwall, deren Tiefe 787 m betrügt, während der Kohlenschacht von Pendleton bei Manchester sich auf 1060 m Tiefe erstreckt.
Das tiefste Bohrloch der Erde liegt bei Paruschowitz in Oberschlesien und erreichte 2003,34 m Teufe. Bw.
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Mizerl.
I bitt’, kaufen S’ mir an’ Planeten[1] a’, ’s san drei Numero drauf, die in der nächsten Ziehung kommen.“ Ein kleines, kaum fünfjähriges Mädchen in dürftiger Kleidung, das blasse sympathische Gesichtchen mit den großen rehbraunen Augen in ein zerlumptes Tuch eingehüllt, ging mit diesen Worten von Tisch zu Tisch und bot mit den kleinen vom Frost geröteten Händchen ihre seltsame Ware aus. Wie ein Silberglöckchen drang seine Stimme durch den wüsten Wirtshauslärm. Manche von den Gästen griffen mechanisch in die Tasche und gaben der winzigen Verkäuferin eine kleine Münze, um sie los zu werden; andere ließen sie hart an oder hielten ihr moralische Strafpredigten über ihren frühzeitigen Müßiggang, wobei sie nicht verabsäumten, dem Kinde einzuschärfen, daß seine Eltern gewiß höchst liederliche und verkommene Menschen sein müßten, wenn sie es gestatteten, daß ihr Kind schon in diesem zarten Alter das Leben eines Taugenichtses führe. Wenn sie dann in ihrer Rede innehielten und in das unschuldige, für Frohsinn und Heiterkeit geschaffene Gesichtchen blickten, dessen Züge aber einen frühreifen Ernst zeigten, in dessen Augen ein rührend hilfloser flehender Ausdruck schimmerte, da konnten sie doch nicht weiter in ihren landläufigen Phrasen und sie blickten der Kleinen mitleidig nach, nachdem sie ihr eine Gabe gereicht. Die ganz Entrüsteten aber blieben zugeknöpft und erklärten, wie bei so vielen Gelegenheiten, wo es sich um ihre werkthätige Hilfe handelte, solchen Unfug „prinzipiell“ nicht unterstützen zu wollen.
An einem der Nachbartische war es darüber sogar zu einem lebhaften Meinungsaustausch gekommen. Eine blonde junge Frau hatte Mitleid mit dem Kinde gefühlt und ihm einen größeren Betrag als üblich geschenkt. Ihr Tischnachbar verzog das Gesicht zu einem höhnischen Lächeln und sagte: „Da sieht man wieder das ‚goldene Wiener Herz‘. Es giebt keinen Unfug und keine Bettelindustrie, von der es sich nicht rühren läßt. Und doch ist es von allgemeinem Interesse, diesem Bettlerunwesen mit Strenge entgegenzutreten, auf die Gefahr hin, hier und da einmal auch einen wirklich Dürftigen abzuweisen.“
„Da bin ich wieder ganz anderer Ansicht,“ entgegnete die Dame. „Ich weise lieber keinen zurück, der mich um eine [795] Gabe anfleht, bloß um der Gefahr auszuweichen, einen wahrhaft Dürftigen nicht unterstützt zu haben. Uebrigens, wenn das mein Thun in Ihren Augen entschuldigt, habe ich ja auch ein persönliches Interesse daran, dem armen Kind ein Almosen zu geben. Als ich das blasse abgehärmte Gesichtchen sah, die Wangengrübchen, aus denen noch ein Fünkchen Freude zu sprühen scheint, und dann die klagenden Augen, die von frühem Kummer zeugen, da fiel mir mein totes blondes Käthchen ein, das wie ein flüchtiger Frühlingssonnenstrahl durchs Leben huschte. Mein Liebling ist dahin und aller Jammer und alle Klagen können die arme Kleine mir nicht wiederbringen! Aber immer und immer lebt ihr Andenken heller in mir auf, wenn mir ein Kind entgegentritt im gleichen Alter wie sie. Und da hat mich doppelt schmerzlich der Gedanke ergriffen, wie weh es thun muß, ein solches Wesen zu besitzen und es nicht hegen und pflegen zu können mit aller Sorgfalt und Zärtlichkeit. Die zarte Menschenblüte verfolgt und gemartert zu sehen von den grimmigsten Feinden des Lebens: von Hunger, Frost und Elend! Und wir stehen dabei und lassen es geschehen! Die Gewöhnung hat uns so stumpfsinnig gemacht, daß uns der Anblick solchen Elends nicht einmal in unserem Behagen stört, daß das Lächeln auf unseren Lippen nicht erstirbt, das Auge nichts von seinem heiteren Glanz verliert, wenn es in ergreifendster und rührendster Gestalt vor uns hintritt! Ich begreife Ihre kühle Zweifelsucht nicht, denn ich halte Sie, Herr Walter, auch edler Regungen für fähig.“
„Danke für die gütige Meinung,“ antwortete der Nachbar, indem er sich lächelnd verbeugte.
„Sie würden sich nicht lange überlegen, ins Wasser zu springen, wenn Sie damit, selbst mit eigener Gefahr, einem Mitmenschen das Leben retten könnten. Und dabei würden Sie gar nicht fragen, ob der Gegenstand Ihres Mitleids desselben würdig oder ob er ein Trunkenbold und Taugenichts ist.“
„Verzeihen Sie, meine Gnädige,“ unterbrach sie Herr Walter, „aber zu diesen Untersuchungen hätte ich in dem gegebenen Falle wohl kaum die Zeit.“
„Ganz richtig,“ antwortete die Dame, „und darum thun Sie ungeprüft und instinktiv Ihre Menschenpflicht. Das unmittelbare Verderben Ihres Mitmenschen können Sie nicht sehen, ohne helfend beizuspringen; aber das viel ärgere chronische Siechtum der Not und des Elends rührt Sie nicht. Wo Sie nicht Zeit haben, sich von der Würdigkeit zu überzeugen, da helfen Sie, und wo Sie Zeit haben, dies mit aller Vorsicht zu thun, da verdammen Sie – aus Gewohnheit, aus Trägheit, aus Eigenliebe. Es kann ja ein anderer helfen; es sind ihrer zu viele, die mit den Wogen kämpfen, es sind auch solche darunter, die noch schwimmen können!“
„Dieses überfeinerte Empfinden für das Leid Ihrer Mitmenschen macht gewiß Ihrem Herzen Ehre, meine Gnädige,“ erwiderte Herr Walter; „aber wer sich stets das tausendfache Weh der Menschheit so lebhaft vor die Seele stellt, der vergiftet sich jeden Augenblick der Freude und macht sich selbst so elend wie diejenigen, die er bemitleidet. Ihr empfängliches Gemüt leidet unter solchen Vorstellungen mehr als der Gegenstand Ihres Mitleids; denn dieser ist meistens durch Gewohnheit stumpf und durch das tägliche Ringen mit der Not gegen diese abgehärtet. Ich wette mit Ihnen: wenn wir das Kind befragen, wird es uns dieselbe Geschichte erzählen, die ich schon hundertmal gehört: der Vater liegt seit Monaten krank, die Mutter geht ins Waschen; zu Hause vier oder fünf kleine Kinder, darunter ein Krüppel; der Hausherr hat ihnen die Wohnung gekündigt und die Möbel sind gepfändet!“
In diesem Augenblicke ging das Kind, welches den Anlaß zu dem Meinungsaustausch gegeben hatte, dem Ausgange zu und wurde, als es an dem Tische vorüberkam, von Herrn Walter angeredet: „Heda, Kleine, komm ein bißchen her!“
„Planeten g’fällig, mit der Zukunft und drei Numero, bitt’, kaufen S’mir an’ Planeten a’, daß i’ was verdien’,“ sagte das Kind, gedankenlos seine Formel ableiernd.
„Da!“ sagte Herr Walter und gab ihr ein Geldstück. „Behalte deine Planeten, aber sage mir, wer sind denn deine Eltern?“
„Der Vater is a Drechsler,“ antwortete die Kleine; „aber er is schon seit sechs Monat krank!“
„Was fehlt ihm denn?“
„Brustkrank is er.“
„Und die Mutter?“
„Die geht ins Waschen.“
Herr Walter streifte seine Nachbarin mit einem triumphierenden Blick. „Wie viel Geschwister seid ihr denn?“ fuhr er dann in seinem Verhöre fort.
„Drei. Die Agnes is erst a Jahr alt und der Pepi sechs Jahr’. Er liegt aber im Bett, weil er net gehn und net reden kann.“
„Das stimmt ja auffallend,“ sagte Herr Walter. „Ich hoffe, Sie haben sich jetzt selbst überzeugt,“ wandte er sich an seine Nachbarin. „Und wo wohnt ihr denn?“
„Im Ratzenstadl; aber mir müassen ausziag’n, der Hausherr hat uns aufg’sagt.“
„Na also, das auch noch! Ich denke, Sie sind jetzt bekehrt,“ sagte Herr Walter lachend zu seiner Nachbarin.
Diese zog statt einer Antwort die Kleine an sich, strich ihr die Haare aus der Stirne und blickte ihr lange mit thränenfeuchten Augen in das blasse Gesichtchen. „Du bist ja auch ein Käthchen,“ flüsterte sie dem Kinde zu; „du sollst nicht mehr hungern; ich werde zu euch kommen.“
Erstaunt blickte die Kleine in das Antlitz der schönen Frau, die so sanft und liebevoll zu ihr sprach, und sagte: „I haß’ net Käthchen; i haß Mariedl und mei Muatter nennt mi Mizerl.“
Als sich das Kind, nachdem es seine Adresse genannt, entfernt hatte, fragte Herr Walter: „Nun, was sagen Sie jetzt?“
„Ich sage,“ antwortete die Dame, „daß die Geschichte wahr ist, trotz Ihrer merkwürdigen Prophetengabe.“
„Unverbesserlich!“ sagte lachend Herr Walter.
Acht Tage später. In einem überaus dürftig ausgestatteten Gemach, dessen kahle Wände nichts umschließen als ein paar Strohsäcke, einen Tisch, ein paar Stühle und ein kleines eisernes Oefchen, liegt auf einem der Strohsäcke ein Mann von ungefähr vierzig Jahren. Sein abgezehrter Leib, die tief liegenden unheimlich glänzenden Augen, der hohle Husten, der von Zeit zu Zeit die Brust krampfhaft erschüttert, zeugen von den verheerenden Wirkungen der furchtbaren Krankheit, die alljährlich ungezählte Opfer dahinrafft. An dem Tische sitzt sein Weib, den Kopf sorgenvoll auf beide Hände gestützt. Zwei Kinder schlummern auf elenden Lumpen in der Ecke des Zimmers, die dem erloschenen Ofen am nächsten ist. Niemand unterbricht das bange Schweigen. Was hätten sie sich auch zu sagen? Das Kapitel des Elends war schon längst von ihnen abgehandelt, die Hoffnung erloschen, die Klagen verstummt. Sie hatten jahrelang jedem Tage für sich und die Ihrigen des Lebens Notdurft abgerungen, so lange ihre Hände die Kraft dazu hatten. Als der Mann noch seiner Arbeit nachgehen konnte, gab es keinen Mangel, und obwohl sie stets von der Hand in den Mund gelebt hatten, war ihnen doch die Sorge um die Zukunft fremd. Sie empfanden es als nichts Schreckliches, dasselbe Los zu tragen wie die Tausende ihres Standes. Und auch die Furcht vor Krankheit, der ärgsten Heimsuchung des kleinen Mannes, kannten sie nicht. Das Recht zum Leben muß ja in jeder Woche aufs neue erstritten werden. Wohin kämen aber die Tausende, wenn sie sich ihren Lebensmut durch bange Sorgen um die Zukunft lähmen ließen? Die tägliche Arbeit nimmt ihr ganzes Denken und Sinnen in Anspruch und wenn dann doch das Verhängnis hereinbricht, so müssen sie es tragen wie all die vielen vor ihnen, die am Wege zusammengebrochen sind.
Nachdem der Kranke einen krampfhaften Hustenanfall überstanden hatte, sagte er, mehr für sich selbst sprechend, als um gehört zu werden: „Wär’s net am schönsten, wann wir alle miteinander einschlafen könnten und nimmer aufwacheten? Wär’ alles gut und a Ruh’ und a Frieden und ka Kummer. Ka Kält’n, ka Hunger, ka Sorg’ um’n Hausherrn sein’ Zins, ka Jammer, was aus die Kinder wird, wann mir nimmer san. Ma brauchet nur ’n Schuber von der Ofenröhr’n zuz’machen und sich hinz’leg’n und auf’n Erlöser z’warten.“
Die Frau sah zu ihrem Manne auf mit einem Blicke des Entsetzens. „Mann, was führst denn du für gottlose Reden! (5s geht mir durch Mark und Bein, wann du so red’st. Frevel’ net so, sonst ziagt der liebe Gott sei Hand noch ganz von uns ab!“
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Ein bitteres Lächeln umspielte die blassen Lippen des Kranken. „Möcht’ wissen, was uns no Aerg’res passier’n könn’t“ sagte er dann mit finsterem Trotz. „Wie lang’ wird’s denn dauern, so trag’n s’ mi hinaus? Und wie soll i denn sterb’n, wann i net waß, was mit euch g’schiecht?“ Er schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte: „Gott, Gott, hörst mi denn net? Was soll denn aus die Meinigen werd’n?“
Die Frau trat zu ihm hin, legte die Hand auf seine Schulter und versuchte, ihn zu trösten.
Da tönte aus der Ecke des Zimmers ein unartikulierter Laut: „Pa–pi–Pa–pi, Franzi Papi!“ Ein kleines krüppelhaftes Kind von etwa sechs Jahren mit einem unverhältnismäßig großen Kopfe lallte diese Worte mit weinerlicher Stimme und wiederholte sie ohne Unterlaß, ab und zu mit den Lippen schmatzend.
„Hörst ’n, hörst ’n?“ rief der Vater. „Er hat an’ Hunger und mir können ihm nix geb’n!“ Ein gurgelnder Schmerzenslaut drang aus seiner Kehle; er sank in sein Kissen zurück und stöhnte: „Himmlischer Vater, mach’ a End’! Das ertrag’ i net länger.“ „Sei schön brav, Franzi,“ sagte die Frau. „Die Mizerl kommt glei und bringt dir a Papi! Hörst, sie kommt schon!“
Die Thüre wurde geöffnet und Mizerl trat mit einem Körbchen auf dem Arme ein.
„Na, hast ’was ’kriegt?“ fragte die Mutter hastig.
„Der Holzmann hat mir die Kohl’n ’geb’n,“ antwortete das Kind.
„Und das andere?“ Die Mutter öffnete das Körbchen, und als sie nur ein Häufchen Kohlen gewahrte, senkte sie trostlos das Haupt und getraute sich nicht, zu ihrem Gatten aufzublicken.
„I hab’ das Brot und die Erdäpfeln schon im Körbel g’habt. Wie i aber g’sagt hab’: i bleib’s derweil schuldig, hat m’r s’ die Greislerin wieder aus’n Körbl g’nommen. Bis das andere zahlt is, hat s’ g’sagt – nachdem kriegst wieder ’was. Mir san selber arme Leut’, mir können nix borgen.“
Als der leidende Knabe in der Ecke das Körbchen sah, richtete er sich von seinem Lager auf und sah mit gierigen Blicken nach der vermeinten Nahrung. Eine kindische Freude leuchtete aus seinen Augen; er patschte die Hände zusammen und jauchzte: „Papi, Papi, Franzi auch Papi!“
Die Mutter richtete einen verzweifelten Blick nach dem Kinde und sagte, um es zu beruhigen und zum Einschlafen zu bringen: „Sei still, Franzi, glei kriegst a Papi; da schau, da stell’ i ’s schon an Herd. Mach’ derweil heidi – heidi!“ Sie stellte in der That ein Gefäß mit Wasser auf den Ofen, um das ungestüme Verlangen des Knaben zu besänftigen; dann machte sie mit dem Kohlenvorrat ein kleines Feuer an, um wenigstens die unerträgliche Kälte zu mildern.
Mizerl hockte sich indes zu dem armen Knaben und flüsterte ihm allerlei schöne Dinge zu, um ihn in einen wohligen Schlummer zu lullen. „Unten in der Einfahrt hab’ i ’s Christkinderl g’seg’n,“ sagte sie, „a schönes, schönes Kinderl mit an’ goldenen Flinserlg’wand und blaue Augen und ’krauste Haar. So a feine Stimm’ hat’s g’habt wie a Kanarivogel und Flügeln hat’s g’habt, so weiß wie die Tuchet, die bei der Hausfrau ihr’n Fenster in der Fruah immer heraushängt, und rundumadum san lauter Christbam’ g’standen mit hundert und hundert und tausend Lichtln und a Menge Spielerei war da, alles von Seiden und rot und lila: Wursteln und Gretln und Hutschenpferd’ und Bilderbüacher und Farb’nkasteln, soviel schön sag’ i dir! Und nachdem hat mi ’s Christkindl g’fragt mit seiner feinen Stimm’: ‚Is der Franzi a g’wiß brav? Verlangt er net immer Papi, macht er schön heidi heidi?‘ – ,A g’wiß,‘ hab’ i g’sagt, ,Euer Gnaden, Herr Christkindl, der Franzi is a g’scheiter Bua, der macht immer heidi heidi.‘ Drauf hat ’s Christkindl in a Butt’n griffen und hat g’sagt: ,Sixt, das kriagt alles der Franzi, wann er schön heidi heidi macht? Du, das war’n gute Sachen: Aepfel und Birn’ und Nuß – alle von Gold, und Kipfeln und Schokoladizeltln –“
Die Augen des Knaben glänzten wieder bei Aufzählung dieser Herrlichkeiten; dann aber schloß er sie zu, um davon zu träumen, und während er langsam einschlummerte, flüsterte ihm sein Schwesterchen die Namen all der Süßigkeiten zu, die sie wohl selbst nur vom Hören kannte. Endlich war er gänzlich eingeschlafen und machte im Schlafe die Bewegung des Essens; wahrscheinlich spendete ihm das Christkindlein im Traume alles das, was ihm das Leben versagte. Nachdem sich Mizerl überzeugt hatte, daß ihr Bruder schlief, drückte sie einen Kuß auf seine Stirne und suchte dann auch ihr ärmliches Lager in der Nähe des Fensters auf.
Während so die Kinderphantasie mit rosigen Bildern den Ernst des Lebens ausschmückte, saßen die Eltern in dumpfer Verzweiflung auf ihrem Lager. Wie sehr sie sich auch ihr Gehirn zermarterten, nirgends sahen sie einen Ausweg, nirgends zuckte ein Hoffnungsstrahl auf, der ihnen Rettung versprechen konnte. Ueberall grinste ihnen das Bild einer schrecklichen Zukunft entgegen: Obdachlosigkeit, Hunger, Verderben! Ruhelos wälzten sie sich auf ihrem Lager, seufzend und stöhnend. Endlich senkte sich der Schlummer auch auf die Lider der Frau und entrückte sie den qualvollen Sorgen des Lebens. [797] Nach einiger Zeit erhob sich der Mann von seinem Lager, horchte auf die gleichmäßigen Atemzüge seines Weibes, saß einige Minuten mit gefalteten Händen, wie im stillen Gebet, und ging dann von einem Kinde zum andern, jedes auf die Stirne küssend.
„Es muß sein, es muß sein,“ murmelte er, schwer aufseufzend, und schlich zum Ofen, in dem die Glut schon halb verglommen war. Er legte den Rest der Kohlen darauf, fachte das Feuer von neuem an und verschloß sodann die Klappe der Ofenröhre.
Still und ergeben hockte er sich hierauf in der Nähe des Ofens nieder und erwartete in dumpfem Brüten das Ende. – –
Mizerl hatte nicht umsonst ihre Phantasie mit den heiteren Bildern des Weihnachtsfestes angefüllt; der Traumgott spann sie weiter und gaukelte ihr Herrlichkeiten vor, die nur die märchenfreudige Gedankenwelt der Kindesseele zu schaffen vermag. Anfangs sah sie noch alle Schätze, von denen sie zu ihrem Brüderchen gesprochen. Ein Tannenbaum stand in ihrer armseligen Stube mit goldnen Aepfeln und Nüssen und brennenden Lichtern. Doch der Tannenbaum verbreitete einen starken betäubenden Harzgernch und der Duft der Wachskerzen beklemmte ihr den Atem. Immer kleiner brannten die Kerzen in dem Qualm und Brodem, den der Tannenbaum auszuströmen schien, und immer beängstigender legte es sich auf die Brust des Kindes, die Lichter erschienen nur mehr wie kleine blutrote Pünktchen in dem Nebel, der all die schönen Dinge umschleierte. Da faßte eine stille sanfte Frau mit blonden Haaren sie an der Hand und sagte: „Komm, mein Kind; dein Christbaum erlischt ja. Ich führe dich zu einem schöneren.“ Und während die Frau so sprach und sie durch enge finstere Gänge führte, da erkannte sie in ihr die Dame, die ihr vor kurzem im Wirtshause so liebevoll begegnet war. Sie schmiegte sich an die gütige Frau an; denn es wurde ihr immer banger und ängstlicher zu Mute. Sie stiegen eine endlose Treppe empor, die steiler und steiler und enger wurde, und endlich konnte sie nicht mehr vorwärts; denn die Wände schlossen sich rings um sie. Sie rang nach Atem und wollte schreien, brachte aber keinen Laut aus der Kehle. „Nur mutig vorwärts, noch einen Schritt und du hast’s überstanden!“ rief ihre Führerin ihr zu. Und plötzlich sah sie in einen herrlichen Raum, der von einer überirdischen Helle durchleuchtet war. Der Glanz strahlte von einem wunderbaren Christbaum aus, so groß wie die höchste Tanne des Waldes und reich beladen mit den kostbarsten Dingen. Um ihn lagen Spielsachen, die sie noch nie geschaut. Das Merkwürdigste aber war, daß diese Spielsachen alle lebten. Die schönen Puppen in herrlichen Seidengewändern gingen freundlich lächelnd auf sie zu und sprachen mit dünnen Silberstimmchen liebevoll zu ihr. Aus der Schachtel sprangen die Reiter, schwangen sich auf ihre winzigen Pferdchen und tummelten sich durch den Saal. Und die Engel schwebten um den Christbaum auf und nieder und sangen: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ Und es flimmerte und leuchtete im blendenden Schein und alle Gestalten bewegten sich immer schneller und schneller im wirbelnden Reigen und sie selber fühlte sich so leicht und froh, daß sie sich in die Lüfte erhob und immer höher und höher stieg, dem Lichte zu, das im unendlichen Raume ausgegossen war. Und es war ihr, als ob sie selbst zerflatterte in eitel Licht und Funken. – –
Ein scharfer Luftzug wehte plötzlich um ihr Gesicht und sie hörte wie aus weiter Ferne eine Stimme, die in traurigem Tone sprach: „Alles vergebens. Dort ist jede Hilfe umsonst. Das größere Mädchen aber atmet. Es lag zum Glück in der Nähe des Fensters. Vielleicht können wir es noch retten.“ – Sie öffnete die Augen und sah in der Stube eine große Anzahl Menschen, die verstört und händeringend dastanden. Sie begriff von alledem nichts und fühlte nur eine große Kälte; denn die Fenster waren angelweit geöffnet und der kalte Luftstrom drang herein. Sie schloß die Augen und flüsterte lächelnd: „Ich will fliegen, fliegen!“ Dann schwanden ihr die Sinne.
Frau Hilbert, die blonde Dame, welche der kleinen Mizerl so viel Mitleid gezeigt, saß mit ihrem Manne beim Morgenkaffee. Dieser las die Zeitung und berichtete seiner Gattin ab und zu die Neuigkeiten, die ihm geeignet schienen, sie zu interessieren. „Da ist wieder ein schauerliches Unglück durch Ausströmen von Kohlenoxydgas geschehen,“ fuhr er dann fort. „In einem Hause der Magdalenenstraße wurde der Drechsler Anton Friedl mit seiner Frau und zwei Kindern gestern morgens tot aufgefunden. Nur die fünfjährige Mizerl, die in der Nähe des schlecht verwahrten Fensters lag, konnte gerettet werden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß hier Mord und Selbstmord vorliegen. Der schwer kranke Mann befand sich seit längerer Zeit mit seiner Familie in verzweifelten Verhältnissen. Dies und der Umstand, daß man den Vater in der Nähe des Ofens zusammengekauert fand, lassen die Annahme einer absichtlichen Tötung fast sicher erscheinen.“
Frau Hilbert war während dieses Berichtes bleich geworden und zitterte am ganzen Körper. „Mizerl Friedl, sagst du, in der Magdalenenstraße?“ stieß sie heftig hervor. „Gütiger Gott, das ist ja das kleine Wesen, das unserem Käthchen so ähnlich sieht! Erinnerst du dich? Ich habe ihm meinen Schutz zugesagt. Und nun ist es zu spät. Zu spät!“ fuhr sie fort und Thränen traten ihr in die Angen. „Und daran ist meine sträfliche Nachlässigkeit schuld. Ich nahm mir’s vor, jeden Tag, die Familie aufzusuchen, und die nichtigsten Kleinigkeiten, die eitelsten Dinge hielten mich immer wieder davon ab. Und wie habe ich mich ereifert, wie fühlte ich mich gehoben von meinen Phrasen von Mitleid und Menschenliebe, wie redete ich mich in heiligen Zorn gegen diesen Walter! Worte, nichts als Worte! O, es ist erbärmlich von mir; ich kann mir’s nicht verzeihen, daß ich den Tod dieser Leute mitverschuldet habe.“
„Sei doch vernünftig,“ sagte ihr Mann, „so steht die Sache nicht. Wie konntest du wissen, daß ihre Lage so gar trostlos war?“
[798] „Wie ich’s wissen könnte? Hätte man das Furchtbare gewußt, so hätte ja der Nächstbeste geholfen. Ich wollte aber helfen, wenn auch nicht das Aergste bevorstand, und ich that groß damit und schätzte mich besser als die andern.“
Sie stand auf und klingelte.
„Was willst du thun?“ fragte der Gatte.
„Ich muß zu dem Kinde. Ich will ihm helfen. Vielleicht kann ich an ihm zum Teile sühnen, was die Trägheit meines Mitgefühls verschuldet.“
Sie fuhr nach dem Unglückshause, vor dem noch jetzt eine Menge Gaffer stand. Sie fragte bei den Hausleuten nach, wo sich das kleine Mizerl befinde. Man konnte ihr keine Auskunft geben. Sie habe sich im Laufe des gestrigen Tages erholt, dann sei ein alter Herr gekommen, den niemand kannte, und habe das Kind fortgeführt. – Traurig und von Selbstvorwürfen gepeinigt, trat Frau Hilbert ihren Rückweg an.
Es war ein prachtvoller Herbstmorgen. Wie ein heiteres Idyll lag das romantische Kahlenberger Dörfchen inmitten der üppigen Weingelände unweit des mächtigen Donaustromes gebettet. Glitzernd schimmerte der Tau auf den Blättern der Bäume, deren spärlich belaubte Kronen den ersten Frost bereits empfunden hatten, gleich einem Mahnboten an die Zeit, wo alles Leben unter der starren Winterdecke erstirbt. An solchen Abschiedstagen des Lebens schmückt sich die ersterbende Welt mit doppeltein Reiz. Die Luft ist klarer und durchsichtiger und das milde Sonnenlicht übergießt die tiefen Farbentöne des Herbstes mit seinem verklärenden Schimmer.
Auf der Landstraße von Nußdorf her kam ein offener Wagen, der vor dem schönsten Hause des Dorfes hielt. Dieses Haus mochte dereinst ein Jagdschlößchen gewesen sein, deren die lebensfrohe Kaiserin Maria Theresia in der Umgebung ihrer Residenz eine große Anzahl besaß. Der freundliche Bau sowohl wie manches charakteristische Beiwerk lassen auf eine solche Bestimmung schließen. Die meisten dieser Bauten, deren Jnnenräume manch schönes Geschichtchen von heiterer Pracht und fröhlicher Lebenslust erzählen können, dienen gegenwärtig sehr profanen Zwecken. Dieses Haus bildet jedoch eine Ausnahme und das edle Herz der großen Kaiserin würde freudiger pochen, könnte sie auf ihren einstmaligen Lustsitz herniederblicken: denn der geräumige Garten hallt den Tag über wieder von dem hellen Lachen fröhlicher Kinderstimmen. In den großen lichten und luftigen Zimmern sind mehr als ein halbes Hundert Kinder untergebracht. Alles glänzt und gleißt von peinlicher Sauberkeit. In den Schlafsälen stehen die Bettchen in kleinen Zwischenräumen gereiht. Der Speisesaal enthält lange, blank gescheuerte Tische und kleine zierliche Tischchen für die Kleinsten mit daran befestigten Bänken. Ein größerer Saal dient für die feierlichen Anlässe wie das Kaiserfest und die Christbescherung. Passende Bilder, häusliche Scenen und erbauliche Vorfälle des Lebens darstellend, hängen an den Wänden. Die Bildnisse des Kaiserpaares sowie des Kronprinzenpaares schmücken die Längswand. Auch die Bilder der Wohlthäter und Stifter des Hauses sind allenthalben an den Wänden angebracht. Die Schulräume enthalten in Glasschränken und an den Wänden mannigfachen Lehrstoff zum Anschauungsunterricht. Da und dort fällt der Blick auf breite Papierstreifen, die in großen, weithin sichtbaren Lettern mit goldenen Sprüchen des sittlichen Lebens, der Arbeit und Zufriedenheit bedruckt sind. In dem freundlichen Garten vor dem Hause bringen die Kinder an schönen Tagen ihre freie Zeit mit gesunden Leibesübungen, mit Gesang und heiteren Spielen hin.
So ist die Anstalt beschaffen, die der Verein „Humanitas“ vor mehr als zwanzig Jahren ins Leben gerufen hat und unter der Mitwirkung edler Menschenfreunde zum Segen armer verlassener Menschenkinder mit unermüdlicher Liebe und Werkthätigkeit leitet.
Der Wagen, dem ein freundlicher alter Herr und eine blonde Dame entsteigen, hat vor dem Gitterthore des Kinderasyls „Humanitas“ gehalten. Durch das Gitter schauen ein paar Dutzend fröhliche Kinder, und als sie den alten Herrn erblicken, rufen sie jubelnd: „Guten Tag, Papa!“
„Gott grüß’ euch Kinder, wie geht’s euch denn?“ sagt der alte Herr, der gleich von einem Rudel von Knaben und Mädchen umringt wird. Die einen hängen sich an seine Hände, die andern springen trällernd vor ihm her; auch die ganz Kleinen wackeln herzu und halten sich an seinen Rockschößen fest. Der Kreis wird immer dichter, da auch die übrigen Kinder die Ankunft des „Papas“ bemerkt haben und ihre Spielplätze verlassen, um ihren väterlichen Freund zu begrüßen.
Er kennt sie alle, seine Schützlinge, und nennt jeden beim Namen, fragt nach ihren kleinen Schmerzen, erkundigt sich über ihre Fortschritte und lobt ihr Aussehen. Vom sechzehnjährigen Mädchen, das, mit allen Fertigkeiten und Kenntnissen zu einem Leben der Arbeit ausgestattet, im Begriffe steht, die Anstalt zu verlassen, bis zum einjährigen Kleinen, das auf dem Arme der Mutter, wie man die Direktorin nennt, mit lachendem Gesicht und zappeligen Händchen herbeigetragen wird, kennen und lieben sie ihn alle, ihren guten Papa.
„Sehen Sie, gnädige Frau,“ sagte Herr Amsel zu der ihn begleitenden Dame, „das sind meine schönsten Stunden. Seit vielen Jahren bringe ich wöchentlich zwei- bis dreimal meine freie Zeit inmitten meiner kleinen Schutzbefohlenen zu. Und ich verdanke diesem Verkehr mehr innere Erhebung, mehr reine menschliche Freude, als mir der Umgang mit der besten Gesellschaft gewähren könnte. Blicken Sie um sich! Sie sehen lauter frohe zufriedene Gesichter, Gesundheit blüht auf ihren Wangen: mit Freuden lauschen sie den Lehren, die ihnen in der Schule zu teil werden, willig folgen sie den Weisungen ihrer mütterlichen Freundin. Man sieht selten eine Aufwallung des Zornes oder einen Akt der Störrigkeit und Bosheit. Und doch hat fast jedes dieser Kleinen eine gar traurige Vorgeschichte. Dem Elend und der Verkommenheit wurden sie entrückt, als sie in den sichern Hafen unseres Asyls gelangten, aber wir sehen zu unserm Troste aus ihren heiteren Mienen, daß jene Wunden vernarbt sind, daß die Erinnerung an schlimme Kindheitstage verklungen ist wie [799] ein böser Traum. Hier haben sie ihre Heimat, das ist ihr Vaterhaus. Und wenn sie die Altersgrenze erreicht haben, wo wir sie, ausgestattet mit allen Kenntnissen und Fertigkeiten, die wir ihnen beibringen konnten, in den Kamps des Lebens einführen, da ringen sie sich nur schmerzlich los von den Geschwistern, mit denen sie so viele Stunden der Arbeit, der Freude und der sorglosen Spiele verlebt haben. Denn Sie können sich denken, gnädige Frau, daß wir bestrebt sind, den armen Kleinen für die kummervollen Tage, die fast alle durchgemacht, einen Ersatz zu bieten durch kleine Vergnügungen und Feste. Es ist ja ein kostbares Strandgut, das der Wirbel der Großstadt ausgeworfen und das wir wieder einzufügen trachten, damit es zum nützlichen und widerstandsfähigen Gliede des großen Ganzen werde.“
Mittlerweile war der Oberlehrer der Dorfschule hinzugetreten, der den Gesangsunterricht im Asyl leitet. Herr Amsel stellte ihn der Dame vor und der Schullehrer bemerkte, indem er sich tief verneigte, daß er den Namen schon wiederholt unter den unermüdlichen Wohlthätern der Anstalt gelesen habe.
„Möchten Sie nicht die Freundlichkeit haben, mit den Kindern einige Gesänge vorzutragen?“ fragte Herr Amsel.
Der Oberlehrer gab ein Zeichen und die eben noch lärmende Kinderschar reihte sich lautlos im Halbkreise um ihn.
Die Mittagssonne brach durch die gelichteten Baumkronen und beschien mit ihren milden Strahlen die frohe Kinderschar, die jetzt mit hellen Silberstimmen ein Lied anhub von Frühlingspracht und Sonnenschein, von Waldeszauber und Wanderlust. Die Stimmen waren gut geschult und klangen gar fröhlich zusammen. Bewegt hörte die Dame die sinnigen Lieder und patriotischen Gesänge, die nun folgten, an und ihre Augen glänzten in stiller Wehmut.
Als die Kleinen geendet hatten, trat die Dame in ihren Kreis und wußte sie, die anfangs mit scheuer Bewunderung drein gesehen hatten, bald zutraulich zu machen. Sie hatte für jedes ein freundliches Wort und fragte teilnehmend nach hundert Dingen, die Kinder interessieren und die nur eine Frau zu fragen weiß. Bald erhob sich ein eifriges Geschnatter, daß man kein Wort verstehen konnte; denn alle hatten der guten Frau etwas anzuvertrauen. Zuletzt watschelte ein dreijähriges Mädchen mit wichtiger Miene herbei, legte ihr eine alte schadhafte Puppe in den Schoß und sagte: „Sie hat nur einen Fuß!“
„Ja, wo ist denn unser Mizerl,“ fragte Herr Amsel die Direktorin, „ist es etwa wieder krank?“
„Diesmal nicht,“ antwortete diese, „die Kleine ist im Küchengarten, wo sie mit großem Eifer an ihrem Blumenbeete arbeitet. Ich habe ihr versprechen müssen, daß sie die Blumen zu Allerseelen auf das Grab ihrer Eltern und Geschwister tragen darf, und seitdem ist sie jede freie Stunde mit der Pflege ihrer Lieblinge beschäftigt.“
„Sie ist unser Schmerzenskind,“ erklärte Herr Amsel der Dame. „Sie hat das traurigste Geschick von allen erlitten, die in dieser Anstalt sind. Eltern und Geschwister wurden ihr an einem Tage durch den Tod entrissen. Ob es ein böser Zufall oder eine furchtbare Verzweiflungsthat gewesen, ist heute noch nicht ganz klar.“
Die Dame war bei diesen Worten erbleicht und in sichtliche Aufregung geraten. Sie stand hastig auf und bat die Direktorin, sie zu dem Kinde zu führen. Sie traten in den Küchengarten und sahen die kleine Gestalt des Mädchens über das Gartenbeet gebeugt und eifrig beschäftigt, die Blumen zu begießen. Dazu sang es eine eintönige Weise, die es sich wohl selbst zusammengedacht hatte, und wiederholte dieselbe ohne Unterlaß:
„Zu den lieben Eltern mein
Brüderchen und Schwesterlein,
Bring’ ich diese Blümelein;
Möcht’ bei euch im Himmel sein!“
Ueber das blasse Gesichtchen der Kleinen, das noch zarter und schmäler geworden war, fielen die goldenen Löckchen und die Sonne goß einen verklärenden Schimmer um ihr Haupt. Als sie ihr Antlitz den Ankommenden zuwendete, durchzuckte die Dame – es war Frau Hilbert – ein jäher Schmerz. „Käthchen!“ entfuhr es ihren Lippen. Diese Ähnlichkeit! Als sie in die großen klagenden Augen blickte, die so seltsam leuchteten wie die verflackernde Seele aus einem leblosen Körper, da glaubte sie ihr totes Kind wiederzufinden. Sie stürzte auf das Kind zu, preßte es mit heißem Ungestüm an sich und bedeckte seinen Kopf mit Küssen. „Willst du mit mir kommen, Kind?“ schluchzte sie.
Verwundert und ängstlich blickte das Kind die Dame an. Es hatte sie schon irgendwo gesehen; dann war sie ihm im Traum erschienen – ja, ja, das war die ernste Führerin, die es emporgeleitet in jene lichtdurchglänzte Märchenwelt, von der es so selig geträumt hatte, bis es so grausam geweckt wurde. Und dennoch fühlte es eine sonderbare Scheu vor ihr, deren Blicke jetzt, wie um Gnade flehend, an seinen Lippen hingen. War es das leidenschaftliche Ungestüm der fremden Dame, war es der Gedanke einer Trennung von den lieben Genossen – es empfand Furcht und Scheu vor der zitternden Frau und flüchtete ängstlich zur Direktorin, klammerte sich an ihre Rockfalte und stammelte: „Na, na! I bleib’ bei der ,Mutter‘!“ Alles Zureden nützte nichts. Mizerl fing zu weinen an, vergrub ihr Gesicht in den Rockfalten der Direktorin und wiederholte unaufhörlich: „I bleib’ bei der Mutter! I bleib’ bei der Mutter!“
Als Frau Hilbert am nächsten Tage wiederkam, lag die kleine Mizerl zu Bette. Sie hatte sich von jenem furchtbaren Schlage nie recht erholt und zeitweilig überfiel sie eine Schwäche, die keine eigentliche Krankheitsursache hatte und dennoch Grund zu ernsten Besorgnissen gab. Sie ließ es ruhig geschehen, daß Frau Hilbert sich an ihrem Bette niederließ und eine Menge prächtiger Spielsachen vor ihr ausbreitete. Mit müdem Lächeln überflog sie die Herrlichkeiten, die einstmals den Inhalt ihrer schönsten Traumbilder ausgemacht hatten. Ruhig hörte sie die Schmeichelreden der seltsamen Frau an, vor der sie nun weniger Scheu empfand; aber so oft diese sie aufforderte, mit ihr zu gehen, griff sie nach der Hand der „Mutter“ und ein flehender Blick wiederholte den Wunsch, den sie das erste Mal geäußert.
Eines Tages erzählte ihr die Frau, die täglich an ihrem Bette saß, daß sie das Grab der Ihrigen besucht und mit Blumen geschmückt habe. Seit dieser Zeit lächelte Mizerl, wenn Frau Hilbert ins Krankenzimmer trat, und plauderte mit ihr über alles, was sie tagsüber beschäftigte. Sie erzählte ihr auch, daß meist, wenn sie allein sei, sich ein Vögelchen auf ihren Betttand setze und ihr mit leisem lieblichen Gezwitscher wunderschöne Lieder singe. Das mache sie so selig und glücklich und sie könne nicht aufhören, dem lieben Vogel zuzuhorchen. Sie meine immer, es sei ihr Hansi, der Kanarienvogel, der an demselben Tag wie die Ihrigen gestorben sei.
Am andern Tag kam Frau Hilbert wieder, und während Mizerl schlummerte, stellte sie einen Kanarienvogel in das Fenster. Der schmetterte bald sein lustiges Liedchen hinaus, daß das Kind aus dem Schlafe aufschreckte. Es zeigte indes keine große Freude, und als Frau Hilbert wiederkam, hatte es die Augen voll Thränen. „Jetzt singt er net mehr, mei Vogerl, seit der andere so viel schreit,“ schluchzte es. Kaum war der mitgebrachte Vogel entfernt, da verklärten sich Mizerls Züge; ihre Augen strahlten [800] vor Glück; sie hob den Finger, wie um zu lauschen, und flüsterte: „Hörn S’, jetzt singt er wieder! O, wie schön!“
Wochen waren so vergangen und die Werbungen der Frau Hilbert um die Liebe des Kindes hatten Erfolg. Es sehnte sich nach dem Erscheinen der guten sanften Frau, und wenn diese ihm mit bebenden Lippen erzählte, daß es, sobald es gesund sei, in einem schönen Wagen fahren dürfe und daß sie ihm herrliche Spielsachen zugedacht habe, da lächelte es selig vor sich hin und küßte die Hand seiner freundlichen Beschützerin. Freilich wurde das Gesichtchen immer blässer, die Augen immer größer und glänzender und die Aerzte, die Frau Hilbert in ihrer Seelenangst herbeirief, zuckten bedenklich die Achseln.
Eines Tages war Mizerl heiterer und frischer; die Direktorin teilte Frau Hilbert freudig mit, daß die Kleine sogar mit regem Appetit Nahrung zu sich genommen habe. Frau Hilbert atmete auf. Mit zitternder Hoffnung hing sie an den Augen des Kindes.
Durch die offenen Fenster leuchtete die Frühlingssonne und durchflutete mit ihren wärmenden Strahlen die Krankenstube. Das Kind legte die Aermchen um den Hals seiner Freundin und flüsterte ihr zu: „Morgen gehe ich mit Ihnen.“
„Mein liebes Kind, das hat noch Zeit, bis du ganz gesund bist,“ sagte lächelnd Frau Hilbert.
„I bin aber schon g’sund.“ Mizerl blickte ängstlich um sich und flüsterte Frau Hilbert geheimnisvoll zu:
„J kann ja nimmer da bleiben; das Vogerl singt net mehr!“
Frau Hilbert erblaßte. Ein jäher Schreck durchzuckte ihre Glieder. Das Kind aber blickte mit seinen großen Augen schwärmerisch hinaus in den blühenden Frühling und sagte wie im Selbstgespräch: „Fortg’flogen is’s und richt’ meine Grüße aus.“
„Wen hast du denn grüßen lassen?“ fragte Frau Hilbert.
„No, die Eltern und die Geschwister!“
Frau Hilbert besprach sich kurz darauf mit dem Arzte, der das Gemütsleiden des Kindes auf die Nervenerschütterung zurückführte, die es bei der furchtbaren Katastrophe erlitten hatte. Wenn es gelänge, die Bilder jener Schreckensnacht aus ihrer Kinderseele zu verdrängen und durch heitere Vorstellungen zu ersetzen, dann könnte auch ihr Körper wieder neue Kräfte gewinnen!
Frau Hilbert befolgte diesen Rat und versuchte all die Reizmittel, welche sonst auf die Kinderphantasie erheiternd einwirken. Sie veranstaltete Gartenfeste, sie fuhr mit ihr und einigen Altersgenossinnen ins Grüne, ließ sie an den Spielen der Kinder teilnehmen, doch alles blieb vergebens. Die stille Schwermut lagerte wie Mehltau über den Freudeblüten ihres kindlichen Gemüts.
Inmitten der fröhlichen Kinderschar blickte sie weltvergessen und teilnahmlos in die Ferne.
Verzweifelt sah ihr Frau Hilbert ins Antlitz. „Sag’, Mizerl, womit könnte ich dir denn eine Freude machen?“
Mizerl blickte auf und Thränen füllten ihre Augen.
„I möcht’ zu die Meinigen,“ schluchzte sie.
Am andern Tage fuhr Frau Hilbert mit ihrem Schützling nach dem Centralfriedhofe. Es war ein milder Frühlingstag. Die Kastanienbäume hatten ihre weißen Blütenkerzen aufgesteckt und alle Sträucher hauchten ihren Blütenduft aus. Warm und mild strich ein leiser Zephyr durch den Garten des ewigen Friedens und Vogelgezwitscher drang aus den blütenbeladenen Zweigen.
Vor einem blumengeschmückten Grabhügel blieb Frau Hilbert stehen. „Da ruhen sie, Vater und Mutter, Brüderchen und Schwesterchen,“ sagte sie zur Mizerl, „friedlich und schmerzlos liegen sie da und ihre Seelen blicken aus den Höhen herunter auf dich und sind betrübt, wenn sie deine Thränen sehen, und freuen sich, wenn du lachst.“
Mit Mizerl war indessen eine wundersame Verwandlung vor sich gegangen. Sie blickte um sich, sah den blühenden Garten ringsum und ein tiefer Seufzer der Erleichterung hob ihre Brust. Wie giftige Nebel flohen die Schreckbilder der Erinnerung vor diesem friedlich stillen Frühlingsweben. Mit leuchtenden Augen sah sie zu ihrer Beschützerin auf und: „Da, da, hören Sie nicht “ flüsterte sie ihr entzückt zu: „Das Vogerl singt!“
In den Zweigen einer Trauerweide saß ein Singvogel und schmetterte seine Liebesweisen, die ihm die warme Frühlingssonne in die Brust gesenkt, in die blütendurchhauchte Luft. Dann schwang er sich empor, immer höher und höher, tirillierend und jubelnd, dem Lichte zu, ein Bild des Lebens und der Daseinslust.
Entzückt folgten die Augen des Kindes seinem Fluge, bis er im Sonnenglast verschwand. „Den hab’n s’ mir geschickt in mein Zimmer, wie i krank war,“ sprudelte sie hervor, „und jetzt fliegt er hinauf in den Himmel – gelt – er bringt ihnen jetzt meine Grüß?“
Frau Hilbert bestätigte den frommen Wahn des Kindes.
Von diesem Tage an war der Bann der Schwermut von dem Kinde gewichen. Wenn es an die Seinen dachte, so stellte sich das freundliche Bild des blühenden Friedhofs vor seinen Augen ein und der gefiederte Vermittler, der ihr heitere Botschaften brachte aus dem Reiche des Lichts.
Allmählich sänftigten sich auch diese Empfindungen und das Kind schloß sich mit der ganzen Leidenschaft seiner liebedürstenden Seele an die gütige Frau an, die ihr eine zweite Mutter war.
Nach wenigen Monaten hatte Frau Hilbert die Freude, ein lebensfrohes, rotbackiges Mädchen mit blitzenden Augen und heller Stimme zu den fröhlichen Gefährten im Asylhause des Kahlenbergerdorfes – diesmal als Gast – führen zu können. Mit kindlicher Freude nahm Mizerl an ihren Spielen teil. Glückstrahlend folgte ihr Frau Hilbert mit den Blicken. Und als sie dann das blonde Lockenhaupt des Kindes in ihrem Schoße hielt, reichte sie Herrn Amsel die Hand und sagte: „Ihnen verdanke ich mein Glück; denn hätten Sie das arme Kind nicht in Ihrer Anstalt geschützt und gehegt, die zarte Blüte wäre dahingewelkt, ehe ich mich meiner Pflicht entsonnen hätte.“
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Durchgegangene Eisenbahnzüge.
Die schwersten Eisenbahnunfälle werden dadurch hervorgerufen, daß ein in Bewegung befindlicher Zug an einer Stelle, wo er entweder fahrplanmäßig oder durch ein besonderes Signal angehalten werden sollte, mit unverminderter Schnelligkeit weiterfährt. Das Versagen der Bremsen oder in vereinzelten Fällen auch der Dampfabsperrventile an der Lokomotive, das Uebersehen eines Signals oder eine vorübergehende Kopflosigkeit, ja in vereinzelten Fällen plötzlich eintretender Wahnsinn des Lokomotivführers geben hin und wieder den Anlaß zu einem derartigen „Durchgehen“ eines Zuges oder einer Maschine.
Ein Fall dieser Art ereignete sich am 16. November 1896 in Berlin. Es handelte sich um einen derjenigen Südringzüge, welche auf der Hälfte ihres Weges in der Kopfstation des Potsdamer Bahnhofes zum Stillstand kommen und ihre Fahrt von hier aus mit einer neuen Lokomotive in entgegengesetzter Richtung fortsetzen. Das Gleis erfährt, da die Bahn kurz vorher einen Spreearm überschreitet, gegen den Bahnhof hin eine beträchtliche Senkung, obwohl die Perronhalle bedeutend höher als das umgebende Straßenniveau liegt. Die Züge müssen, wie stets vor der Einfahrt in Kopfstationen, schon in bedeutender Entfernung vom Bahnhof stark gebremst werden, um ihre lebendige Kraft zu vernichten, und die Einfahrt erfolgt alsdann unter Anwendung von wenig Dampf in ganz langsamem Tempo. An dem erwähnten Tage dagegen lief ganz unvermutet einer dieser Züge fast mit der vollen Geschwindigkeit der freien Strecke in den Bahnhof ein und prallte in der nächsten Sekunde mit
[801][802] ungeheurer Wucht auf den am Ende des Gleises dicht vor der Hallenwand stehenden Prellbock. Wäre dieser von der gewöhnlichen, bis vor kurzem stets üblichen Ausführung gewesen, so hätte ihn die Maschine vermutlich über den Haufen gerannt und die dahinter liegende Wand durchbrochen, um, wie ein Jahr früher eine Lokomotive auf dem Pariser Bahnhof Montparnasse, auf die Straße oder die der Halle vorgebauten, 4 m tiefer liegenden Diensträume hinabzustürzen. Die später zu erörternde Konstruktion des Prellbocks vermochte ihren Lauf aufzuhalten, konnte aber die ungeheure lebendige Kraft eines mit 30 km Geschwindigkeit aufprallenden Zuggewichtes der Lokomotive mit 8 bis 10 Wagen doch nicht vollständig vernichten. Der erste Wagen fuhr ein Stück auf den hinteren Teil der Tenderlokomotive hinauf, zerschmetterte den Führer und verletzte den Heizer so schwer, daß auch er nach wenigen Tagen verstarb. Die Passagiere kamen mit verhältnismäßig leichten Verletzungen davon. Aehnliche Fälle, allerdings leichterer Natur, hatten sich auf demselben Bahnhof bereits früher ereignet und haben dazu geführt, den Bahnsteig und die Halle soweit nach rückwärts zu verlängern, daß die Züge vorschriftsmäßig schon gegen 50 m vor dem Hallenende und dem Prellbock zum Stillstand gebracht werden.
So viel über die vor dem Einlauf in Kopfstationen durchgehenden Züge, zu deren Auffangung neuerdings meist die sogenannten hydraulischen Prellböcke in solchen Bahnhöfen Anwendung finden, in welchen die einlaufenden Gleise unmittelbar in der Bahnhofshalle ihr Ende erreichen. Wie jeder andere Prellbock, so besitzt auch der hydraulische in der Höhe der Lokomotivpuffer zwei Pufferscheiben, welche den Stoß des ankommenden Zuges aufzufangen haben. Während aber derselbe bei gewöhnlichen Prellböcken lediglich durch das Gewicht, die Eisenverstrebung und Verankerung des Bockes aufgenommen wird, besitzen die hydraulischen Puffer je einen in Wasser oder Glycerin tauchenden Kolben, der beim Anprall des Zuges nur äußerst langsam in die betreffende Flüssigkeit hineingepreßt werden kann. Vollständig geschlossene Cylinder würden, da Flüssigkeiten nicht elastisch sind, den Anprall nicht oder nur wenig mildern, deswegen sind die hydraulischen Puffercylinder mit Ausgangskanälen versehen, die aber so eng sind, daß die vom Stempel verdrängte Flüssigkeit nur ganz allmählich und in kleinen Mengen entweichen kann. Fährt also ein Zug gegen die Pufferscheiben eines solchen hydraulischen Prellbocks, so wird seine lebendige Kraft durch den Widerstand des Wassers nicht mit einem Schlage, sondern allmählich vernichtet und der Anprall um vieles vermindert. Nach mehrfachen Versuchen können Züge von 150 bis 200 t Gesamtgewicht, d. h. schwerere als der kürzlich in Berlin durchgegangene Ringbahnzug, gegen einen solchen Wasserpuffer mit einer Geschwindigkeit von 13 bis 15 km anlaufen, ohne daß Passagiere verletzt werden oder erhebliche Materialbeschädigungen vorkommen. Der gewaltige Anprall des Berliner Zuges bei erheblich geringerem Gewicht beweist, um wieviel größer hier die Geschwindigkeit beim Einlaufen in die Halle gewesen sein muß.
Ganz anders liegt der Fall, wenn ein Zug auf freier Strecke oder beim Passieren eines Durchgangsbahnhofes, auf welchem er fahrplanmäßig zu halten hat, seine Bremsfähigkeit einbüßt oder vom Führer aus irgend welchen Gründen nicht mehr beherrscht werden kann. Dann liegt die Gefahr des Zusammenstoßes mit einem andern auf dem Gleis stehenden Zuge nahe.
Besonders leicht gehen auf längeren steilen Gefällen Güterzüge mit Handbremsen durch. Ein solcher Fall hat sich unter anderem auch im Oktober 1890 unmittelbar vor dem Bahnhof in Dresden-Neustadt, wo die Görlitzer Bahn unter starkem Gefälle einmündet, ereignet und ist von sehr schlimmen Folgen begleitet gewesen.
Als ein ausgezeichnetes Mittel zum Aufhalten der betreffenden Züge hat sich das vom Geheimen Rat Köpcke in Dresden erfundene und seitdem mehrfach zur Ausführung gebrachte sogenannte Sandgleis erwiesen. An Stellen, wo das Durchgehen von Zügen nach der Beschaffenheit der Gleis- und Gefällverhältnisse häufiger zu befürchten ist, wird vom durchgehenden Hauptgleise durch eine Weiche ein Seitenstrang abgezweigt, dessen beide Schienen anfangs mit einer leichten und im weiteren Verlauf mit einer dickeren Sandschicht, höchstens jedoch bis zu 5 oder 8 cm Stärke, beschüttet werden. Jedermann weiß, daß es für Fuhrwerke aller Art kein nachdrücklicheres Hindernis giebt als eine andauernde, wenn auch nicht allzu tiefe Sandschicht. Das Befahren eines sandigen Weges erfordert häufig mehr Kraft als selbst die Ueberwindung einer beträchtlichen Steigung, und deshalb ist zur Unschädlichmachung der lebendigen Kraft eines Eisenbahnzuges nichts so sehr geeignet als die Beschüttung der Gleise mit Sand. Da die Sandschicht nur unmittelbar auf und neben den Schienen nötig ist, so faßt man jede einzelne Schiene des Sandgleises von beiden Seiten durch hölzerne Langschwellen ein, welche den Schienenkopf um die Höhe der Beschüttung überragen. Ein solches Sandgleis von 500 m Länge ist nun auch an der oben erwähnten gefährlichen Stelle vor dem Bahnhof in Dresden-Neustadt seit 1895 im Gebrauch. Da dasselbe in erster Linie zum Auffangen der einlaufenden, auf dem steilen Gefälle schwer zu bremsenden Güterzüge bestimmt ist, so steht es für gewöhnlich offen und darf erst geschlossen werden, wenn der betreffende Güterzug am Haltesignal zum Stehen gebracht ist. Güterzüge, die nicht zu halten sind, geraten unter allen Umständen, bevor sie noch Schaden anrichten können, in das Sandgleis hinein und werden darin zum Stehen gebracht. Um aber in solchen Fällen längere Betriebsunterbrechungen zu vermeiden, kehrt das letztere an seinem unteren Ende durch eine zweite Weiche in das Hauptgleis zurück, so daß unter den auf diese Weise zum Stehen gebrachten Lokomotiven oder Zügen nur die Sandschicht entfernt zu werden braucht, um das Weiterfahren durch die untere Weiche zu ermöglichen. Nach dem Auffangen mehrerer Lokomotiven hatte das Rettungsgleis des Dresdner Bahnhofs am 21. Dezember 1895 zum erstenmal Gelegenheit, einen ganzen durchgehenden Zug aufzuhalten und unabsehbares Unglück abzuwenden. Genau wie im Oktober 1890 ging an derselben Stelle abermals ein langer Güterzug von 59 Achsen durch, und zwar in der Dunkelheit der Nacht, die das zu befürchtende Unheil noch bedeutend hätte vergrößern können. Trotz wiederholter und sehr energischer Bremssignale des Führers hatten einige der Bremser nicht rechtzeitig ihre Schuldigkeit gethan, und der Zug ging auf dem steilen Gefälle durch, um, einmal im Lauf, seine Geschwindigkeit trotz des nunmehrigen Bremsens immer weiter zu erhöhen. Schon auf der Hauptstrecke hatte der Führer die bewegten Massen, deren Gesamtgewicht über 400 Tonnen oder etwa das Dreifache des erwähnten in Berlin durchgegangenen Ringbahnzuges betrug, völlig aus der Gewalt verloren. Mit einer Geschwindigkeit von mehr als 40 km passierte der Zug die rettende Weiche des Sandgleises, dann aber verlangsamte sich die Bewegung von Sekunde zu Sekunde, je tiefer sich die Räder in die Sandschicht gruben, und 25 m vor dem Ende der Besandung kam die Lokomotive zum Stehen. Im Gegensatz zu dem Auffangen durch Prellböcke erfolgte der Zusammenstoß der einzelnen Wagen sehr sanft, weder an den Puffern noch an den Kuppelungen fand die geringste Beschädigung statt, und nach Verlauf von 24 Minuten, die zum Abschaufeln des Sandes gebraucht wurden, konnte der Zug seine Fahrt fortsetzen.
Aehnliche Sandgleise sind zuerst im sächsischen und dann auch im Eisenbahnnetz der übrigen deutschen Staaten mehrfach zur Ausführung gekommen, hauptsächlich an gefährlichen Punkten der früher bezeichneten Art, wo auf ein längeres Gefälle fast unmittelbar ein Bahnhof oder eine andere für das Passieren durchgehender Züge besonders gefahrvolle Stelle folgt. Es kann freilich noch andere Ursachen des Durchgehens von Zügen geben. Es kommt, wenn auch äußerst selten, vor, daß eine führerlose Lokomotive oder ein ganzer durch irgend einen unglücklichen Zufall des Führers beraubter Zug zum Schrecken und Verderben aller anderen Züge und zum Entsetzen aller Bahnhofsbeamten allein über die Strecke rast und Station um Station hinter sich läßt, bis der Mangel an Dampf, irgend ein kühner Handstreich eines Beamten oder ein plötzliches Hindernis ihn allmählich oder mit furchtbarem Anprall zum Stehen bringt. Zum Auffangen solcher Durchgänger wäre ebenfalls ein auf größeren Bahnhöfen anzulegendes und nach Bedarf durch Weichen mit jedem Gleise zu verbindendes Sandgleis das geeignetste Mittel. Auch in Kopfstationen, wo freilich naturgemäß der Raum ein beschränkter ist, sollte man nach den günstigen bisherigen Erfolgen die wenn auch noch so kurze Gleisstrecke, welche zwischen dem Haltepunkt der Lokomotive und dem für die äußerste Gefahr aufgestellten Prellbock verfügbar bleibt, mit einer allmählich zunehmenden Besandung versehen.
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Das Denkmal des Infanterieregiments Nr. 57 bei Vionville. (Zu dem Bilde S. 773.) Das jüngste der vielen auf dem Schlachtfelde von Metz zerstreuten Regimentsdenkmäler ist das auf unserem Bilde wiedergegebene, im vorigen Jahre von ehemaligen Angehörigen des Infanterieregiments Nr. 57 westlich von Vionville hart an der französischen Grenze errichtete Denkmal. Ein verwundeter Löwe auf großem Felsblock deckt schützend mit mächtiger Tatze eine zerfetzte Fahne des Regiments. Der Felsblock trägt auf der einen Seite die Inschrift: „Den Heldentod starben 14 Offiziere, 337 Mann. Den Gefallenen gewidmet von den Kameraden des Regiments.“ Auf der anderen Seite lesen wir, auch auf dem Bilde erkenntlich, die Worte: „Auf diesen Gefilden hat am 16. August 1870 Tapferkeit und Treue den jungen Fahnen des Regiments Ferdinand von Braunschweig (8. Westfälischen) Nr. 57 unvergänglichen Lorbeer erstritten.“ G. F.
Deutschlands merkwürdige Bäume: die Rottanne bei Barmstedt. (Mit Abbildung.) Vor etwa fünfzig Jahren wurden in einem Garten in der Nähe der Stadt Barmstedt im südlichen Holstein einige Rottannen oder Fichten gepflanzt, die ein Alter von acht Jahren hatten. Eins dieser Bäumchen zeigte von Anfang an einen krausen Wuchs, es strebte nicht den andern gleich in die Höhe empor, sondern breitete sich buschartig aus. Nähere Nachforschung zeigte, daß ein Eichhörnchen diese regelwidrige Entwicklung veranlaßt hatte, indem es die Spitze der Rottanne abbiß. Das Bäumchen zeigte zwar in den folgenden Jahren die Neigung, den fehlenden Wipfel zu ersetzen, aber der Eigentümer ließ den jungen Trieb in jedem Frühling entfernen und durch Beschneiden der Aeste die runde Form des Baumes erhalten. So nahm die Rottanne endgültig die Gestalt an, die unsere obenstehende Abbildung zeigt. Der Baum ist nur acht Meter hoch, aber seine Zweige haben dafür an der breitesten Stelle einen Umfang von dreißig Metern. Sie stehen so dicht aneinander, daß man den Stamm gar nicht sehen kann; alle Aeste sind gesund, und die untersten, die den Boden berühren, haben zum Teil Wurzeln geschlagen. Die anderen gleichzeitig gepflanzten Fichten haben inzwischen bei normaler Entwicklung eine Höhe von über zwanzig Metern erreicht.
Assisi. (Zu dem Bilde S. 781.) Wie von einem hohen Horste schaut die Stadt Assisi von den Abhängen des Monte Subasio hinab auf die vom Tiber durchströmte umbrische Landschaft. Traumversunken liegt sie da; in ihren Mauern regt sich nicht der schaffensfreudige Geist der Neuzeit; ihre Häuser verfallen und niemand kommt, um sie wiederherzustellen; die Zahl der Einwohner schmilzt zusammen und beträgt heute nur noch gegen sechstausend.
Und doch ist Assisi groß – durch seine Vergangenheit. Kunstfreunde und Gelehrte verlassen bei Assisi die Eisenbahn Terontola-Foligno und steigen den Monte Subasio hinan; und zu gewissen Zeiten, namentlich im August, strömen Tausende von Wallfahrern nach dem berühmten Ablaßorte.
In Assisi sieht man Reste altersgrauer etruskischer Stadtmauern, den herrlichen Portikus eines römischen Minervatempels; alles aber überragen die Klosterbauten, die im Mittelalter von dem Orden der Franziskaner bei der Stadt errichtet wurden.
In ihr erblickte im Jahre 1182 Giovanni Bernardone als Kaufmannssohn das Licht der Welt. Als Jüngling führte er ein freies ausgelassenes Leben, hielt aber recht bald Einkehr und Buße. Er entsagte den Freuden der Welt und trat in den Dienst der Armut. Er bettelte für die Bedürftigen und Elenden, und angethan mit einer braunen Kutte, mit einem Strick umgürtet, warb er Jünger in Italien, Frankreich, Spanien und Portugal. Einst hatte man ihm wegen seiner Fertigkeit in der französischen Sprache den Beinamen Francesco gegeben, er verblieb ihm und die Welt kennt ihn als Franz von Assisi. Wie streng auch die Vorschriften waren, die er seinen Jüngern gab, seine Begeisterung warb immer neue Anhänger, und schon im Jahre 1208 konnte er den Orden der Franziskaner gründen. Die Bettelmönche verbreiteten sich über alle Länder, und im Jahre 1270 zählte der Orden 8000 Klöster mit 200 000 Mönchen. Franz erlebte nicht die höchste Blüte seiner Stiftung. Er starb am 4. Oktober 1226 und wurde wenige Jahre darauf vom Papste heilig gesprochen. Er ruht in dem Gewölbe der gewaltigen Klosterkirche von Assisi, die in den Jahren 1228 bis 1253 von einem deutschen Baumeister Namens Jacobus errichtet wurde und noch heute Staunen und Bewunderung erregt.
Der Convento sacro, das älteste Kloster der Franziskaner, ist seit Jahren aufgehoben, die großen Räume dienen zum Teil als Schule.
Konvenienzheirat. (Zu dem Bilde S. 792 und 793.) Ein trübes Bild aus dem modernen Leben und seiner Jagd nach Reichtum und Genuß! Sie haben sie beredet – das junge, thörichte Geschöpf, haben ihr die „große Partie“ so lockend gepriesen, sie mit Blumen, Festen, Neid der Freundinnen und stetem Glücklichpreisen so überschüttet, daß sie in den kurzen Wochen des Brautstandes nicht zum Nachdenken kam, nicht einmal sich besinnen konnte, warum ihr doch tief innen ein sonderbares Angstgefühl saß und nicht weichen wollte, trotz der Kästchen mit Schmuck, die der ältliche reiche Bräutigam ihr freigebig brachte, trotz seiner stets zunehmenden Zärtlichkeit … Aber jetzt weiß sie es, auf einmal ist es ihr schrecklich klar geworden, jetzt, wo der Augenblick des Abschieds da ist, wo sie hinaus soll von allem, allem, was ihr lieb und teuer war! Nun ringt sie verzweifelt die Hände und starrt regungslos vor sich hin, während die ältere Schwester sie angstvoll bittet und beschwört, sich zusammenzunehmen und kein Aufsehen zu machen. Sie hat es ja gut gemeint, als sie seiner Zeit zu der glänzenden Partie zuredete; ihr selbst erschien in ihrem auf Sorgen und Borgen aufgebauten Gesellschaftsleben stets Reichtum, solider Reichtum, als das höchste Glück auf Erden. Und nun steht, während im Festsaal noch die Champagnerkelche auf das Glück des jungen Paares zusammenklingen, die junge Braut als Verzweifelnde vor ihr, ärmer und elender als die Bettlerinnen, die heute neugierig sich um das Kirchenportal zu der vornehmen Hochzeit drängten. Gegenüber der stummen Verzweiflung der Bethörten bereut nun auch die praktische Schwester ihre früheren klugen Ratschläge. Aber noch in diesem peinlichen Augenblick bemüht sie sich, der Armen das Unabänderliche in freundlicherem Lichte zu zeigen und ihr zu beweisen, daß sie zu schwarz sieht, daß alles viel besser gehen wird als sie denkt. Möchte die verhängnisvolle Ratgeberin wenigstens darin recht behalten!
Das Adventsblasen. In der Gegend von Meppen und anderen Orten, im sogenannten Emslande, hat sich neben verschiedenen alten Gebräuchen auch noch das Adventsblasen erhalten. Man nennt es auch „das Blasen der Hirten“ im Anklang an die bethlehemitischen Ereignisse [804] bei der Geburt Christi. Wie vielfach ist auch hier die Kinderwelt der Träger des alten Gebrauches. An den Abenden vom ersten Adventssonntage bis zu Weihnachten hört man die in ihrer Ursprünglichkeit eigenartigen Töne. Man bedient sich hierzu in der Regel wirklicher Tierhörner, meist von einem Ochsen, wie sie früher die Nachtwächter auf dem Lande hatten. Kortum in der „Jobsiade“ läßt seinen Helden z. B. in ähnlicher Ausrüstung auftreten.
Auf dieses Tierhorn ist dann noch ein Mundstück von Fliederholz als Verlängerung aufgesetzt. Hier und da nimmt man auch mit einem Blechhorn vorlieb. In der Heiligen Nacht ertönt das Horn zum letztenmal. Dann greift auch mancher Erwachsene zu diesem Instrument; es ist das Zeichen für den Nachbar, sich zum Gange nach der Christmette zu rüsten. In vielen Familien giebt es uralte Hörner, welche als Familienstück von Geschlecht zu Geschlecht vererbt werden, der jungen Welt zum Gebrauche und den Alten zur Erinnerung an vergangene Tage. Reinh. Brand.
Das Fahrrad im Postdienste. (Mit Abbildung.) Seit einiger Zeit hat die Reichspostverwaltung die ihr zur Verfügung stehenden Beförderungsmittel durch das Fahrrad vermehrt. Wo es sich um eiligen Dienst handelt, wie bei Bestellung von Telegrammen und Eilbriefen, kommt vielfach das Zweirad in Anwendung. Die gut gebauten und durch überaus leichten Gang ausgezeichneten Postzweiräder sind schon äußerlich leicht zu erkennen, da sie gelb bemalt sind und an der Lenkstange oberhalb des ersten Rades auf weißem Schilde einen Reichsadler führen. – Die Dreiräder werden erst seit kurzem zur Beförderung der Briefbeutel von den Bahnhöfen zu den Stadtpostämtern und bei Entleerung der Briefkästen benutzt. Aehnlich wie die Geschäftsdreiräder sind sie mit einem abnehmbaren Kasten versehen. Räder und Kasten sind gelb lackiert und der letztere ist auf beiden Seiten mit dem Reichsadler auf weißem Felde geschmückt.
Unsere Abbildung führt uns in ihrem unteren Teile einen Postradfahrer vor, der Telegramme bestellt. Das Hauptbild stellt eine Scene dar, die man täglich auf dem oberschlesischen Bahnhof in Breslau beobachten kann. Eine „Batterie“ von Postdreirädern steht vor der Rampe des Bahnhofspostamtes und nimmt für die verschiedenen Stadtpostämter die Briefbeutel in Empfang, die der um 3/46 Uhr morgens von Berlin angekommene Schnellzug gebracht hat. Die Verwendung der Dreiräder für den Postdienst hat sich im Laufe des Sommers bewährt; ob die Beförderung im Winter auf verschneiten Straßen sich glatt abwickeln kann, wird die nächste Zukunft lehren. A. N.
Thor zum Tempelplatz in Jerusalem. (Zu dem Bilde S. 801.) Bei der Zerstörung Jerusalems durch Titus im Jahre 70 n. Chr. ging auch der prächtige Tempel, den Herodes gebaut hatte, in Feuer und Flammen auf. Als die Römer sechzig Jahre später an Stelle des alten Jerusalems die Kolonie Aelia Capitolina gründeten, wurde auf dem heiligen Berge Morija ein heidnischer Tempel zu Ehren des Jupiter Capitolinus errichtet; auch dieser sank in Trümmer, als das Christentum siegte und die Leidensstätten Christi mit Kirchen und Kapellen überbaut wurden. Dann kam über Jerusalem die lange Zeit neuer Prüfungen.
Die Stadt gelangte im Jahre 637 in die Macht des arabischen Kalifen Omar, und die Bekenner des Propheten führten nun auf dem altberühmten Tempelplatze Bauten auf, die noch heute sich erheben. Auch für sie ist der Platz ein „geheiligter Bezirk“, „Háram esch Scherif“, denn an ihn knüpfen sich zahlreiche mohammedanische Legenden; von dieser Stätte soll unter anderem Mohammed auf seinem geflügelten Rosse Burák zum Himmel entrückt worden sein. Mauern umgeben den weiten, mit zahlreichen größeren und kleineren Bauten besetzten Raum; gegen Westen öffnen sich in ihnen acht und gegen Norden drei Thore. Das Hauptgebäude des Tempelplatzes ist der Felsendom, der auf einer viereckigen schön gepflasterten Terrasse liegt, zu der Stufen emporführen. Durch das weite Thor auf unserem Bilde fällt der Blick gerade auf den mächtigen Bau; er ist ein Achteck, dessen Seiten je 20 m Länge besitzen; in seiner Mitte erhebt sich über einer Trommel eine hölzerne mit Metall bedeckte Kuppel. Im Innern des Domes ruht der 17,7 m lange und 13,5 m breite heilige Fels. Die Mohammedaner glauben, daß der Stein den Seelenbrunnen verdecke, an dem sich die Seelen der Verstorbenen zu Gebeten versammeln; er soll zu Mohammed und zum Kalifen Omar gesprochen haben; er habe auch dem Propheten in den Himmel folgen wollen, sei aber vom Engel Gabriel zurückgehalten worden.
Unter dem Felsen befindet sich eine Höhle, in der sich Betplätze Davids und Salomos befunden haben sollen. In dem Dome selbst sind noch andere Heiligtümer der Mohammedaner zu sehen, so z. B. eine Fußspur des Propheten, Fahnen Mohammeds und Omars, eine Nachbildung von Alis Schwert und dergleichen mehr.
Neben dem Felsendom erheben sich auf der Terrasse einige andre Bauten, der Kettendom, der Geisterdom, der Himmelfahrtsdom, an die sich wieder verschiedenartige Sagen und Legenden knüpfen. Im südlichen Teil des Tempelplatzes liegt die Moschee El-Aksa, die ursprünglich eine von Kaiser Justinian erbaute christliche Kirche war. Einst war der Zutritt zu dem ehemaligen Tempelplatze nur den Muslim gestattet; seit etwa vierzig Jahren ist der Besuch auch den Andersgläubigen freigegeben; die Juden meiden aber zumeist die vor allem ihnen heilige Stätte; denn man weiß nicht mehr genau, wo das Allerbeiligste stand, und sie scheuen sich, durch unwissentliches Betreten dieser Stelle eine Sünde auf sich zu laden. *
Eine Kupferpflanze. Es ist Thatsache, daß mit dem Wechsel in der Bodenzusammensetzung auch ein solcher der auf diesem Boden wachsenden Pflanzenarten Hand in Hand geht. Im Gebiete des mittleren Deutschlands z. B. zeigt die Flora ganz bestimmte Züge, je nachdem sie sich etwa auf Muschelkalk oder Buntsandstein befindet, im Sande der Lüneburger Heide wachsen andere Pflanzen als im Vorlande des Harzes. Manche Pflanzen kommen auf bestimmten Bodenarten überhaupt nicht oder doch nur sehr schlecht fort; so wächst z. B. die Edle Kastanie niemals auf Kalkstein, mit Ausnahme gewisser Stellen in Oesterreich.
Häufig begegnet man Männern der Praxis, wie Forstleuten, Landwirten und Geologen, die nach den Pflanzenarten, die sie finden, in vielen Fällen zutreffend die Zusammensetzung des Bodens beurteilen, ohne daß sie weitere Untersuchungen anzustellen brauchen.
In „Gardeners Chronicle“ wird nun eine Pflanze aus Queensland beschrieben, Polycarpaea spirostylis, aus der Familie der Caryophyllaceen, der z. B. auch unsere Nelke und weiter die bekannte Kornrade angehören, die dort nur auf kupferhaltigem Boden wachsen soll. Analysen der Pflanzen zeigten, daß die Aschen stets eine bestimmte Menge Kupfer enthielten, was um so auffälliger ist, als Kupfersalze sonst auf die Pflanze giftig einwirken, wenn sie durch die Wurzeln – und eine andere Möglichkeit liegt doch hier nicht vor – aufgenommen werden. Die dortigen Bergleute machen sich die Art dieses Vorkommens zu nutze, indem sie nach Kupfer und seinen Verbindungen nur dort suchen, wo die Pflanze häufiger vorkommt.
Etwas Aehnliches bietet übrigens unser europäisches Galmeiveilchen, das nur auf galmeihaltigem Boden, namentlich den Halden alter Bergwerke, in denen Galmei zum Zweck der Zinkgewinnung einst gefördert wurde, vorkommt, ohne daß es freilich Zink in seinem Gewebe aufspeicherte. Dr. – dt.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
[804 a]
Weihnachtsarbeiten für Kinder und die reifere Jugend. Je näher das Christfest kommt, desto mehr Hände regen sich, um allerlei Gaben der Liebe selbst anzufertigen. Die Wahl derselben kostet manchen viel Ueberlegung, denn man möchte doch gar zu gern etwas bringen, was der andere noch nicht besitzt. Aber hat man etwas Passendes gefunden, so macht wieder die Art der Ausführung hier und da Sorge, besonders wenn es gilt, den Schaffensdrang von Kinderherzen zu befriedigen. Da lohnt es sich wohl, alle Eltern auf verschiedene Techniken aufmerksam zu machen, welche auch für jüngere Hände sich eignen, jedoch leider noch viel zu wenig bekannt sind. – Welcher Junge besitzt nicht eine Laubsäge! Aber mit Arbeiten aus Holzfournieren hat er schon zu oft seine Angehörigen beschenkt, er will etwas anderes bieten. So mag er für diesmal Arbeiten aus Alabasterplatten herstellen. Wenn er Monogrammbroschen aus Silber- oder Nickelblech sägt oder Steinmosaiken aus gegossenen Marmortafeln anfertigt, wird er Geschenke bringen, die bei sorgfältiger Ausführung entzückend sind und ebenso wie die billigeren Alabastersägereien einen unbedingt künstlerischen Eindruck machen. Steht keine Laubsäge zur Verfügung, so leiht ihm die erwachsene Schwester gewiß gern ein Rilleisen und ein Flacheisen aus ihrem Kerbschnittkasten und hilft ihm, auf Linoleum schöne Gravierarbeiten, leichte Kerbschnitzereien oder gar Ausgründungsarbeiten anzufertigen. Linoleum läßt sich leicht bearbeiten und zu hunderterlei Gegenständen – Untersetzern für Vasen, Lampen, Kannen, zu Journaldecken, Mappen, Blumentopfhüllen, Tablett- und Möbeleinlagen etc. verwenden. Auch die Glasradierarbeit wird noch viel zu wenig angewandt, was wohl daher kommt, daß man ihre Ausführung nur sehr einseitig auffaßt und gewöhnlich ein silbernes Muster auf schwarzem Grunde darstellt. Die Radierarbeit auf Glas wirkt aber in buntfarbiger Ausführung ungleich prächtiger, zum Beispiel ein Tablett, weißer Grund, cremefarbiger breiter Rand, durch eine Goldlinie von ersterem getrennt, im Fond ein Meißner Zwiebelmuster, dessen Teile ebenfalls mit Goldtinte konturiert und mit blauem zerknitterten Stanniolpapier hinterlegt sind. Welch prächtiger Eindruck und wie passend zu den in aller Welt eingeführten Zwiebelmusterservicen!
Sehr effektvoll ist auch die Nagelarbeit. Es giebt jetzt herrliche Ziernägel, die bei geschickter Farben- und Formenzusammenstellung manch schmucklosen Gebrauchs- oder Luxusgegenstand zu einem äußerst dekorativen gestalten helfen. Für größere Jungen paßt die Kleineisenarbeit ebenfalls ausgezeichnet. Etwa 1/2 cm breite Schwarzblechstreifen werden als Nachahmung von kleinen Kunstschmiedearbeiten in allerhand Formen gebogen, diese mit sogenannten Bunden zu Bilderrahmen, Zeitungshaltern, Federträgern, Ampeln, Leuchtern, Fenstergittern, Papierkörben und vielen anderen Dingen zusammengesetzt, dann schwarz lackiert und an den Bunden in Gold oder Kupfer bronziert.
Für junge Mädchen, die für Malereien eine besondere Vorliebe haben, empfiehlt sich die Email-, die Majolikalasur, die Bronzemalerei auf Sammet, die Chromomalerei, ferner die Filigranarbeit, Vogelfederarbeit, Federposenarbeit, die Gummimodellierarbeit – eine der dankbarsten Techniken – etc. Von künstlichen Blumen sind modern die Federblumen und Lederblumen; letztere besonders als zierliche, haltbare und neuartige Dekoration für Wandbilder. – Sind hiermit auch die Arbeiten nicht erschöpft, welche für die Jugend sich eignen, so dürften die Hinweise doch vielen genügen und eine willkommene Abwechslung in die Weibnachtsbeschäftigungen bringen.
Belehrung über die einzelnen hier erwähnten Techniken hat im Laufe der letzten beiden Jahre die „Gartenlaube“ in der Rubrik „Allerlei Winke für jung und alt“ gebracht. Die nötigen Materialien können durch Geschäfte für Handfertigkeit und Dilettantenkünste, die heute in jeder größeren Stadt vorhanden sind, bezogen werden.
Wandgestell für Spielsachen. Es ist eine Art von offenem Schrank, mit oder ohne Rückwand, aus gewöhnlichen Brettern zusammengenagelt oder aus einer alten Kiste geschaffen, nur etwa bis zur Höhe des Fensterbrettes reichend und unter demselben anzubringen, wo es das Format der Fensternische gestattet; sonst steht es auch ganz gut an einer anderen Wand und ist praktisch wegen seiner geringen Tiefe. Soll ein Teil davon verschließbar sein, so ist ein Schrankthürchen leicht anzubringen, das dann gebrannte oder gemalte Verzierung erhält. Ein kleiner Vorhang deckt die Fächer zum Teil. Die Maße richten sich nach dem Besitzstand der kleinen Leute, für die das Gestell gebaut wird. Ein roter oder grüner Anstrich gefällt diesen noch besonders gut.
Kisten für Christsendungen. Ich habe eine Freundin, deren Christsendungen einen anmuten wie ein Weihnachtsgedicht, wenn nur die äußerste Hülle beseitigt ist. Das Jahr über sammelt sie farbige Seidenpapiere, Bänder, Goldfäden, Holzwolle. Dann verschafft sie sich nette Kistchen und Tortenschachteln, welch letztere sie durch Brandmalerei (s. Abbildung) farbig schmückt, verpackt die Geschenke zierlich, füllt leere Räume mit Holzwolle, worunter sie ein paar Lamettafäden mischt, steckt einige Zweiglein von Tannen und Stechpalmen mit roten Beeren, auch wohl ein paar Pfeffernüsse dazwischen, und die Freude ist groß, wo solch eine Sendung sich aufthut.
Ein höchst amüsanter Schmuck für das Weihnachtszimmer ist aus einem bunten japanischen Sonnenschirm und sieben Lampions mit Leichtigkeit zu gewinnen. Man hängt den ausgespannten Schirm mit der Spitze nach oben auf, ringsum an den Stäben befestigt man die Lampions in gleichen Abständen; wem die offenen cylindrischen Lampions zu feuergefährlich sind, der nimmt lauter runde geschlossene und hängt sie etwas tiefer auf; der Stiel des Schirmes wurde vorher verkürzt, und an seinem unteren Ende hängt noch ein Lampion. Feine Lamettaketten in bunten Metallfarben, grüne Ranken, Kugelketten oder nur Strähne von glatten Goldfäden spinnen sich im Bogen zum untersten Lampion herüber, das Ganze wirkt so festlich und lustig, wie man es nur wünschen kann. J.
Bellinos Patentkistenschoner. Bekannt, aber noch lange nicht allgemein in Gebrauch sind die kleinen Metallhülsen, Kistenschoner, die das Oeffnen der Kisten so sehr erleichtern. Der Nagel wird durch dieselben eingeschlagen und ruht darauf, die Beißzange packt sie beim Oeffnen und hat damit sofort einen festen Halt, ohne daß man mit dem Stemmeisen erst den Deckel verdirbt, und auch unterwegs schützen die Hülsen den Deckel, da eine darauf geworfene andere Kiste zunächst die etwas hervorstehenden Nagel mit den Hülsen trifft, und nicht den Deckel selbst – also für empfindliche Weihnachtssendungen sehr zu empfehlen. Die Kistenschoner werden von der Firma Kapferer & Schleuning, München. Briennerstraße 27, hergestellt.
Butterersatz für einfache Verhältnisse. Für den Abendtisch empfehle ich der sparsamen Hausfrau die Herstellung von Herings- und Kräuterspeck zum Bestreichen von trocken geröstetem Weiß- und Schwarzbrot. Beides mundet in den meisten Fällen allen Herren und erspart der Hausmutter manche Mark. Man treibt 250 g geräucherten milden Speck durch eine Fleischhackmaschine, entgrätet und häutet dann drei gut gewässerte Heringe, giebt sie ebenfalls in die Fleischhackmaschine und mischt nun einfach Speck und Heringe miteinander. Man formt aus der Masse einen Berg und steckt oben kleine Petersilienzweiglein hinein. Das geröstete Brot wird scheiterhaufenartig aufgeschichtet und dazu gegeben.
Fast noch billiger ist der Kräuterspeck, zu dem der feingemahlene Speck mit vier Löffel voll geriebenem Kräuterkäse einfach vermischt wird, worauf man ihn auf geröstete Weißbrotscheiben streicht. H.
Behandlung frischer Fische. Viele Hausfrauen lassen bei kühlerer Temperatur sich manche Sorten Fische schicken, die sie an ihrem Wohnort nicht bekommen können. Sie werden dabei die eigentümliche Erfahrung sicher einmal machen, daß dieselben Fische bei gleicher Temperatur ganz verschieden haltbar sind, so daß sie oft noch einen Tag nach Ankunft frisch sind, oft schon nicht ganz frisch ankommen. Wissenschaftliche Beobachtungen haben ergeben, daß alle Fische, die durch Liegenlassen außerhalb des Wassers, also durch Ersticken gestorben sind, weit leichrer in Fäulnis übergehen als durch Abschlachten getötete Fische, weil bei letzteren die Totenstarre, die die Entwicklung von Fäulniskeimen hindert, länger anhält. Deshalb soll man, wo es irgend angeht, lebendige Fische kaufen. Wo dies nicht thunlich, muß man die Fische sich stets in Eispackung bestellen, sie nach der Ankunft sofort aber auf frisches Eis legen, wenn man sie nicht sogleich verwendet, denn nur solange die Fische auf Eis liegen, wird der Verderb gehindert. Haben sie jedoch einmal die Starre eingebüßt, so verhütet das Einlegen in frisches Eis den Verderb nicht, denn Eis vermag die Zersetzung der Fische nicht aufzuhalten, wenn sie einmal begonnen hat. L. H.
Wäsche einzuweichen. Ein gutes Mittel, schöne weiße Wäsche zu erzielen, ist folgendes: Auf drei Eimer Wasser, – wenn man Regenwasser hat, ist es natürlich am besten – löst man 1/2 bis 3/4 Pfund Schmierseife auf, läßt das Wasser recht heiß werden, es kann auch kochen. Dazu giebt man vier Eßlöffel Terpentinöl und drei Löffel Salmiakgeist.
Hierauf füllt man das heiße Wasser mit so viel kaltem auf, wie man bedarf, um die Mischung lauwarm über die trocken in Bütten gelegte Wäsche zu gießen. Diese muß sich ganz durchziehen und eine Nacht darin stehen bleiben. Es erleichtert hie Wäsche ungemein; wer es probiert hat, thut es gewiß wieder. S.
[804 b]
Lekubiduda kuhadiku Lohibibi’ hali Bikulukudi
Hubudo Dodudahadukadobubi huhalo lakulakulukudi,
Hubudo hadoho hukudo Dodudahadukadobubido Dohududaku;
Huhiduda huhaku kulohokuhabihohu Lohibibiku,
Dohaku dokuha dikodi, lehaku dohaku lehibibiku,
Lakoho hukolodudahekobakedalokudi, hubudo hadoho hukuhadiku Dobududaku.
Hu. Dobudihukulodo.
Kreuzrätsel.
Die Buchstaben dieser Figur lassen sich so ordnen, daß die einander entsprechenden senkrechten und wagerechten Reihen bezeichnen: 1. einen Staat der nordamerikanischen Union, 2. ein Lasttier, 3. einen Propheten, 4. eine Stadt im österreichischen Gebiet der Alpen. A. St.
Homonym.
Ist er’s, – manch’ Wagstück dann begeht er;
Thut er’s, – nennt man ihn Geometer.
Oskar Leede.
Auflösung des Wechselrätsels auf dem Umschlag von Halbheft 24.
Maas, Mais, Mars, Maus.
Auflösung des Zusammensetzrätsels auf dem Umschlag von Halbheft 24.
So wie die Flamme des Lichts auch umgewendet hinaufstrahlt, so, vom Schicksal gebeugt, strebet der Gute empor. Herder.
Auflösung des Rätsels auf dem Umschlag von Halbheft 24.
Abend, Steuer – Abenteuer.
Auflösung der Ergänzungsaufgabe auf dem Umschlag von Halbheft 24.
1. Werner, 2. Armada, 3. 8pecht, 4. Fichte, 5. Roggen, 6. Asbest, 7. Grille, 8. Isidor, 9. Catull, 10. Hunnen, 11. Verdun, 12. Imogen, 13. Erfurt, 14. Leiter.
- Buchstaben an erster Stelle = „Was frag’ ich viel
- Buchstaben an vierter Stelle = nach 6eid und Gut“.
Die Auflösung der Skataufgabe erscheint auf dem Umschlag des nächsten Halbhefts.
- ↑ Kleine Zettel mit einer gedruckten Weissagung und drei Nummern.