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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1895
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[149]

Nr. 10.   1895.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.



Echt.

Erzählung von R. Artaria.

     (2. Fortsetzung.)

Drinnen hinter den verschlossenen Thüren des Ateliers sah es inzwischen allerdings nach Kriegsfuß aus. Pereda stand mit bitterböse gerunzelten Brauen am Fenster, er rollte hastig eine Cigarette zwischen den Fingern und wandte keinen Blick nach rückwärts, wo ihn ein Paar großer zorniger Augen aus einem nervösen Gesichtchen anstarrte. Die feingliedrige, sehr elegant gekleidete Dame schien mit einem Ruck aus ihrem Sessel emporgefahren zu sein, sie stand, den Arm auf der Lehne, und wartete ein paar Sekunden auf ein Wort von ihm, als aber nichts weiter erfolgte, wandte sie sich plötzlich rückwärts nach einem fellüberhangenen Diwan, um den dort abgelegten Mantel so rasch als möglich anzuziehen. Mit hastigen Fingern rückte sie vor dem Spiegel das Hütchen, ein kleines Wunderwerk von Flügeln und schillernden Metallfäden, über den schwarzen weichen Haaren zurecht, zog aufmerksam das schmale Gazeschleierchen

Die Einweihung des Wißmann-Denkmals in Bagamoyo.
Nach einer photographischen Aufnahme.

[150] in die richtige Mitte zwischen den sehr roten Lippen und den sehr schwarzumgebenen blauen Augen, hüllte die Schultern in das weiche, federnbesetzte Sammetjackett und nahm nach dieser kleinen technischen Abschweifung die beleidigte Entrüstungsmiene wieder voll auf.

„Ich gehe!“ sagte sie, die Handschuhe überstreifend, sehr nachdrücklich, indem sie sich nach dem Fenster hinwandte. „Und es bleibt dabei. Sie machen die Geschichte mit den zwei Genien rückgängig. Ich brauche niemand auf meinem Wagen, ich will niemand weiter, verstehen Sie?! …“ Und in einem Rückfall ihres kaum gedämpften Zornes stampfte sie heftig auf den Boden.

Er fuhr herum, sein Gesicht war blaß und in seinen Augen funkelte etwas Bösartiges.

„Aber ich will nicht,“ stieß er heraus. „Ich verspreche nicht heute, um morgen zurückzunehmen. Und außerdem: es ist gegen Ihr eigenes Interesse. Wir sind schon genugsam miteinander im Gerede!“

„Ah–h!“ rief sie, blaß vor Wut.

„Ich kann nicht mehr anders,“ beeilte er sich, hinzuzusetzen. „Herrgott, wofür erkläre ich denn seit einer Stunde, daß ich nicht allein über die Sache verfüge! Ich kann nicht in der Komiteesitzung die Mädels ablehnen – ein paar helle Backfische noch dazu – wenn man mich bittet, sie noch unterzubringen und als Grund angeben, daß ich allein mit Ihnen zu sein wünsche!“

„Genug im Gerede!“ rief sie, das Hauptwort herausgreifend, mit bebenden Lippen. „Ihr seid einer wie der andere – Feiglinge und Verräter sämtlich. O – das ist der Dank! Man opfert sich für Euch, man wird weggeworfen – ganz recht! Warum war man so einfältig, an Eure Liebe zu glauben!“

„Sei doch vernünftig, Ilona,“ sagte Pereda nähertretend und mit Augen, die noch keineswegs von Ueberdruß sprachen, ihre bei aller Aufregung reizende Person umfassend. „Was mußt Du denn immer gleich solche große Worte brauchen und Dir tolles Zeug in den Kopf setzen ohne alle Not –“

Er wollte sich zu ihr niederbeugen, sie stieß ihn zurück.

„Helle Backfische,“ nahm sie mit unverminderter Heftigkeit das zweite Thema auf. „Siebzehn und achtzehn Jahre, und schöne Mädchen! Die älteste schwärmt ja wohl für Dich – ja ja, ich habe meine Quellen … Denke nicht, daß ich mich vor ihnen fürchte,“ fuhr sie auf sein vielsagendes Achselzucken mit neuem Eifer auf, „aber ich will sie nicht, die blöden Dinger, ich will niemand, es stört meinen Effekt, ich muß als ‚Phantasie‘ ganz allein stehen – auf dem Gold- und Palmenhintergrund, den leuchtenden Stern über dem Kopf“ – ihre Augen vergrößerten sich, sie erhob die Hand mit einer anmutig feierlichen Gebärde, „und Du dann zu meinen Füßen als Wagenlenker in Deinem silbernen Gewand – sahst Du denn nicht ein, daß das der größte Effekt des Zuges werden muß? Was sollen dabei noch ein paar dumme Geniusse? …“

„Wir bringen sie auf der Rückseite unter,“ erwiderte er, „daß man auf den ersten Blick gar nichts von ihnen sieht. Ich kann nicht ausweichen, Ilona, der Vater ist einer der einflußreichsten Leute hier, ich habe im Haus dort vielfach verkehrt und bin ihm verpflichtet. Mir liegt ja gar nichts an den Mädels, Du weißt es, aber sie haben sich nun einmal darauf gefreut.“ …

„O,“ rief sie mit neu aufloderndem Zorn und einem häßlichen Lachen, das ihren Zügen plötzlich einen niedrigen Ausdruck gab, „ja, ich weiß! Stelle Dich, wie Du willst, ich sehe, was dahinter steckt. Aber düpieren lasse ich mich nicht, lieber gleich reine Arbeit gemacht. Also nur noch zwei Worte!“ Sie stellte sich mit funkelnden Augen vor ihn hin und klopfte mit dem steinbesetzten Griff des Schirmes in ihre behandschuhte Linke. „Entweder Du machst das rückgängig, sofort und definitiv –“

Oder?“ fiel er halb belustigt, halb verächtlich ein.

Oder Du wirst mich kennenlernen. Aber ich rate Dir, laß es nicht darauf ankommen! Adieu, ich erwarte Deine Entscheidung morgen!“

Sie war schon in der Thüre, als er ihr zornig nachrief: „Die kannst Du schon heute haben –“ er verstummte aber sofort, als er durch den geöffneten inneren Flügel Stimmen im Vorzimmer hörte. Er machte den äußeren auf, verbeugte sich tief gegen die rasch hinauseilende, nur flüchtig mit dem Kopfe nickende Frau von Hetvary und kam eben recht, seinem getreuen Philipp aus der verzweifeltet Lage einer befohlenen, aber Frau Volkhards Energie gegenüber schwer ausführbaren Verleugnung zu befreien.

„Das ist wieder eine von Ihren Dummheiten, Philipp,“ sprach er strafend, „ich hatte Ihnen doch gesagt, daß ich die gnädige Frau heute morgen erwarte. Das haben Sie wohl ganz vergessen? Verzeihen Sie, meine Damen, und erweisen Sie mir die Gnade, hier einzutreten!“

Er öffnete diensteifrig die Thürflügel und ließ, sich verbeugend, Frau Volkhard und Toni vorangehen.

Philipp stand sprachlos und sah seinem entschwindenden Herrn nach. Donnerwetter – der verstand es! Da konnte selbst Philipp noch etwas lernen, der doch auch im Fach der Notlügen kein Anfänger war. Und durch diese mit seiner gerechten Empörung streitenden Anerkennung bewogen, vergab er ihm großmütig das erlittene Unrecht und ging aufs neue zu seiner Beschäftigung über.

Drinnen im Atelier, während Frau Volkhard ein neugieriges Wörtlein über die interessante Baronin fallen ließ und von Pereda aufs harmloseste und offenherzigste über die noch notwendig gewesene Besprechnug für das Fest übermorgen beschieden wurde, stand Toni in stummer Betrachtung und Bewunderung der umgebenden Herrlichkeit versunken. Sie kannte ja wohl Volkhards berühmte Werkstatt und das harmonische Zusammenstimmen der alten Möbel, Gobelins, Waffen und Palmen mit prachtvollen farbendunkeln Stoffen, aber hier trat ihr etwas völlig Neues entgegen: raffinierter Luxus von fast weichlichem Charakter, untermischt mit der Beute des Weltfahrers, die wie auf gut Glück herumgestreut oder an den Wänden verteilt war. … Zwischen Seidenvorhängen und goldglänzenden Wandschirmen hervor erblickte ihr Auge allerhand seltsam geformte Dinge von Metall, Flechtwerk, Elfenbein und Sandelholz, die ihr völlig rätselhaft waren, deren Besitz ihr aber gleichwohl sofort die höchste Stufe menschlicher Auszeichnung zu bedeuten schien. In einer sonderbar süßen Beklommenheit atmete sie den von ihnen ausgehenden scharfen und feinen Duft ein, und endlich wagte sie es auch, die Blicke zu „Ihm“ zu erheben, der mittlerweile Frau Resi vor die Staffelei gefolgt war und sein neuestes Bild, einen ‚Sklavenmarkt in Aden‘, erklärte. Leise näherte sich auch Toni, und während sie sich alle Mühe gab, den tiefblauen Himmel, die scharf gelb hineinragenden Gebäude und das bunte Menschengewimmel zu betrachten, fühlte sie nur eines: daß er neben ihr stand, daß sie den sonoren Ton seiner Stimme hörte und sich glücklich fühlte, so glücklich wie noch niemals in ihrem kurzen Menschenleben.

Mehr als unumgänglich war, von Frau Resis Bewunderungsrufen mit anzuhören, fühlte sich Pereda nicht geneigt, er fragte also sehr bald, ob er den Damen jetzt das Wertvollste in seinem Atelier zeigen dürfe, und öffnete dann einen mächtigen alten Eichenschrank, dessen Inneres eine Reihe großer Schubladen enthielt. Ihnen entnahm er einen wahren Reichtum von Kostümen, Stoffen und Schmuckgegenständen und häufte alles vor Tonis geblendeten Augen auf. Jedes neue schien ihr wieder das schönste zu sein: hatte sie sich in Gedanken eine spanische Tänzerin ausgesucht, so lockte ein zigeunerischer Kopfschmuck von klirrenden Münzen und Perlenschnüren; hielt sie diesen in der Hand, so schillerte daneben bunte japanische Seide höchst verführerisch oder feine halbdurchsichtig weiße orientalische Stoffe, deren Umwandlung in ein altägyptisches oder griechisches Kostüm Pereda als eine wahre Kleinigkeit darstellte. Hierüber hatte Frau Resi leider ganz verschiedene Ansichten, auch wollte sie, als wohlgezogene Künstlersgattin, trotz Peredas lebhaften Zureden, keinen Scheerenschnitt in seine Stoffe verantworten. So blieb denn schließlich, nachdem das Verschiedenartigste gemustert und verworfen war, nachdem sie erklärt hatte, die Spanierinnen würden zu Dutzenden herumlaufen und die Japanerinnen seien einem allmählich entleidet, außer dem Zigeunerkleid nur noch der prachtvolle rotgoldene Byzantinerstoff, dessen Verwendung für eine Tunika der Maler feurig empfahl, als das unbedingt Schönste von allem. Dies schien in der That leicht genug ohne Zerschneiden und Toni versöhnte sich auch mit der einfachen Form, als sie bei flüchtigem Ueberwerfen Peredas entzückten Ausruf hörte und selbst im Spiegel sah, wie prächtig der edelsteinbesetzte Reif im Haar und der schwere goldene Halsschmuck über den Purpurfalten ihrer jungen Schönheit stand.

„Das ist doch was anderes als die garstige Dachauerhaube!“ konnte sie nicht umhin, zu der Schwester zu sagen. Aber stark empörte sie deren Antwort:

„Sie hätte eigentlich besser zu Dir gepaßt.“

[151] „Schrecklich!“ rief der Maler. „Glauben Sie kein Wort davon, gnädiges Fräulein. Ihre Frau Schwester findet nur aus pädagogischen Gründen gut, Ihnen zu verschweigen, welch’ liebreizende Praxedis Sie morgen abend sein werden. Zur Strafe dafür sage ich es Ihnen jetzt gleich ins Gesicht. Freuen Sie sich einstweilen auf Ihre Triumphe!“

Toni löste erglühend das Geschmeide vom Hals und streifte das Purpurkleid von den Schultern. Sie wagte nicht mehr, die Augen zu erheben, denn ein Blick aus den seinen hatte sie gestreift, so eindringlich, so verliebt-entzückt, wie Adrian Pereda – jedesmal ein schönes Modell anzusehen pflegte. Nur wußte dies die gute Toni nicht.

Ehe sie sich recht besinnen konnte, war schon der Augenblick des Abschieds gekommen. Frau Volkhard sah nach abgethanem Geschäft keinen Grund, länger zu verweilen, und Pereda hielt sie nicht. Er rief nach Philipp und beauftragte ihn, den Damen die Sachen nach Hause zu bringen, dann schickte er sich an, sie bis zum Vorgarten hinauszugeleiten.

Während Philipp seinen Pack zusammenlegte und aufnahm, suchte er zu ergründen, ob dieser Besuch mit dem vorausgegangenen Streit etwas zu thun habe. Das hübsche Gesicht war ihm neu: Frau Volkhards Schwester – hm! das schlug freilich in ein anderes Fach als das bisherige, aber vielleicht wollte er endlich solid werden? … Jedenfalls, ganz ohne schien die Sache nicht, ein Zusammenhang war sehr wahrscheinlich, wenn auch Philipps Kombinationsgabe nicht ausreichte, darüber ins klare zu kommen.

Desto mehr war dies der Fall bei der Dame, welche, seit einer halben Stunde unbeweglich wartend, in einer der auf dem Standplatz gerade gegenüber haltenden Droschke saß. Je mehr Minuten verrannen, um so zorniger nagten ihre Zähne die Unterlippe, um so durchdringender hafteten ihre Augen auf der eisernen Gitterthüre. Jetzt – endlich! da kamen sie, Pereda mit ihnen, sie nahmen Abschied, hinterdrein folgte Philipp mit dem Pack.

Im Flug hatte Frau von Hetvary den Eindruck der schönen braunen Augen und dunklen Kraushärchen unter dem Hutrand hervor gehabt, jetzt sah sie den behend Dahinschreitenden nach und murmelte:

„Das ist eine von ihnen. Frau Volkhard hat sie hergebracht. Er schickt ihnen Kostümstoffe nach Haus – o, der Treulose, der Verräter! … Aber ich will mich rächen, er soll an mich denken!“ …

Sie nickte ingrimmig ein paarmal mit dem Kopfe gegen den Eingang, hinter welchem Pereda verschwunden war, dann rief sie dem Kutscher ihre Hausnummer zu und lehnte sich, in ihren Gedankensturm verloren, achtlos gegen äußere Eindrücke in die frugale Polsterung einer Münchener Droschke zurück.




4.

Ein feines Schneegeriesel fegte in langen Streifen vor dem Wind her, als Toni des folgenden Morgens kurz geschürzt, in Pelzjacke und Käppchen, mit rotangelaufenen Wangen über den alten Marienplatz schritt. Sie hatte es eilig, denn es war schon zehn Uhr und die Schwester hatte ihr aufgetragen, einen schönen Fisch zu besorgen für den heutigen Freitagstisch.

„Schau, daß Du eine Lachsforelle kriegst,“ hatte sie gesagt, „das ist sein Leibgericht. Ich muß ihn heute bei guter Laune erhalten, denn – na, einerlei. Mach’, daß Du fortkommst!“

Toni wußte wohl, daß in dem dienstbotenreichen Hause manchmal ein großer Mangel an verfügbaren Arbeitskräften herrschte, sie kannte auch Frau Volkhards Scheu, der dicken, schlampigen, aber sehr vortrefflichen Köchin einen Gang zuzumuten, wenn diese bei schlechtem Wetter von „ihrem Fuß“ sprach, so lief sie also, ohne Einwendungen zu machen, willig und auf flinken Füßen, an den verlockendsten Modeauslagen vorüber durch die Theatiner- und Weinstraße. Sie hatte keinen Blick dafür, wie feinduftig sich die Umrisse des Rathauses und der alten Türme aus dem Nebel hoben, sondern eilte nur rasch vorwärts durch das enge Gäßchen der Peterskirche zu. Diese war ihr als bequemer Durchgang längst bekannt: ihr Deckelkörbchen würde wohl den lieben Gott nicht beleidigen, sah er doch den Morgen über noch ganz andere Ungeheuer am Arm von dicken Marktfrauen durchpassieren! Flüchtig schlug sie beim Eintreten in das Kirchenschiff ein Kreuz und verneigte sich, dabei fiel ihr Blick seitwärts auf ein verstaubtes Eisengitter, hinter welchem die Kerzen brannten, so hier der Mutter Gottes für geheime und offene Wünsche aufgesteckt werden. Nach außen angehängte Papptäfelchen sprachen den Vorübergehenden um die Unterstützung von ein paar mildthätigen „Ave Maria“ an für kranke Herzen und Augen, für vorzunehmende schwierige Geschäfte und Reisen, ja eins davon meldete sogar: Ein junger Mann, welcher eben das Staatsexamen macht, bittet um das Gebet!

Wie der Blitz schlug es in Tonis Bewußtsein ein, als sie diese Bitte las: sie stak ja auch in einer sehr schweren Unternehmung, denn ach! vor lauter Seligkeit und Kostümrichten war der bewußte Brief noch immer ungeschrieben! Es war schrecklich … Toni fühlte sich tief niedergeschlagen und fing an, ernstlich nachzudenken. Ob ihr wohl eine gute Erleuchtung kommen würde, wenn sie hier auch eine Kerze aufsteckte?! …

Sie warf einen fragenden Blick um sich, und sofort humpelte die alte „Kerzlerin“ aus einer Ecke herbei und bot ihren Vorrat an. Um ein paar Pfennig erstand Toni ein Wachslichtchen; als sie es dann auf dem Brett befestigt und brennen sah, fühlte sie sich ganz außerordentlich erleichtert. Jetzt war der Brief schon so gut wie geschrieben, sie hatte ihn sozusagen der Mutter Gottes übergeben, wenn die sich seiner annahm, dann konnte es ja nicht fehlen.

Vergnügt schritt sie das „Petersbergl“ hinunter und in das dichte Gewühl des großen Marktes hinein. Sie war stets gern dort: das laute Rufen und Bieten, die übervollen Stände mit Gemüse, Obst, Geflügel und Wildbret aller Art machten einen so lustigen Eindruck, und Toni verstand sich auf den Handel trotz einer gewiegten Hausfrau. Mit dem Fisch traf es sich glücklich: eine schöne fette Lachsforelle schien eigens auf sie gewartet zu haben, sie packte sie in den Korb und eilte jetzt, den Rückweg anzutreten.

Als sie eben durch den Rathausbogen schritt, sah sie in einiger Entfernung vor sich eine Frauengestalt gehen in einem graugrünen Mantel, den verstaubten alten Hut etwas schräg aufgesetzt – du lieber Gott! das mußte ja Fräulein Panke sein, die Reisegefährtin, an welche sie bis jetzt mit keinem Gedanken mehr gedacht hatte! Indem Toni ihre Schritte beschleunigte, sah sie, daß die Schriftstellerin nicht selbst den aufgespannten Schirm trug, es hielt ihn ein Herr über ihren Kopf, und dieser Herr – ja, wie konnte denn das möglich sein? … War’s der Lorenz oder war er’s nicht? Sein Paletot war’s und der schwarze Kopf, aber der Hut nicht – nun, er konnte sich in München einen neuen gekauft haben. Toni stand wie angewurzelt und starrte den beiden nach, die quer vor der Mariensäule vorübergingen. Wenn er nur den Kopf wenden wollte! Da – jetzt kam auch noch die „Tram“ angerasselt und von der rechten Seite ein schwerer Wagen voll Bierfässer, der die Passage für ein paar Augenblicke sperrte. Als sie dahinter vorbei war, sah sie nichts mehr von beiden Gestalten und mußte sich schleunigst aufs Trottoir retten, um jetzt nicht unter eine schnellfahrende Droschke zu geraten.

Den ganzen Heimweg über hatte sie nur den einen Gedanken: wie kam der Lorenz hierher? Wollte er sie gar aufsuchen, um sich die Antwort selbst zu holen? O, nur das nicht! … Sie sah schon der Schwester spöttisches Gesicht, den Schwager fürchtete sie weit weniger, der hatte mit allen Leuten die gleiche Art. Aber konnte nicht ein schrecklicher Zufall es fügen: „Herr Pereda, Herr Käsmeyer –“ Toni fühlte, daß diese Vorstellung ihr letzter Augenblick werden müßte. Nein, nein! Sie wollte nicht zu Hause sein, zu keiner Stunde, wenn nach ihr gefragt wurde – das würde sie gleich beim Heimkommen dem Hausmädchen einschärfen.

Während sie eiligst durch die Dienersgasse und Ludwigstraße mehr rannte als ging, waren die beiden von ihr Gesehenen durch die Burggasse in den „Alten Hof“ gelangt. Fräulein Panke, die keine Gelegenheit versäumte, etwas „mitzunehmen“, lenkte dorthin, um die winkelige Residenz der alten Bayernherzöge, die sie bei früheren Aufenthalten nicht gesehen, in Augenschein zu nehmen, und erklärte ihrem etwas teilnahmlos dreinschauenden Begleiter, daß sie sich höchst befriedigt durch den Anblick fühle.

„Es ist halt ein alter Kasten,“ sagte er, „solche giebt’s in Salzburg gerade genug. Aber zum Hofbräuhaus ist’s von da nimmer weit, wie wär’s, gnädiges Fräulein, wenn wir dort miteinander eine Maß trinketen?“

Fräulein Panke sah ihn zweifelhaft an. Ueber die gewöhnliche weibliche Schüchternheit war die Reporterin eines Weltblattes hinaus, ihre Musterung galt nur der Total-Persönlichkeit, die ihr heute beim Frühstück im „Hotel Leinfelder“ höflich die „Neuesten Nachrichten“ abgetreten und bei der jetzigen zweiten Begegnung [152] sich zum Führer nach ein paar von ihr aus Geschäftsgründen aufgesuchten, aber schwer zu findenden Sträßlein der innersten Stadt erboten hatte. Das Resultat war befriedigend: er sah entschieden anständig und treuherzig aus, also gab sie ihre Zustimmung, und wenige Augenblicke später saßen die beiden in dem berühmten, von Tabaksrauch erfüllten Lokal hinter einer schäumenden Maß, zu deren Teilung sich Lorenz durch Trinkgeld und gute Worte von der Kellnerin ein Glas verschafft hatte.

Nun stellte er sich auch ganz ergebenst vor als Sohn seines Vaters, Geschäftsinhabers und Hausbesitzers in Salzburg, im weiteren Verlaufe der Unterhaltung konnte Fräulein Panke nicht umhin ihrer neulichen Fahrt mit einer jungen Salzburgerin, der Schwägerin Volkhards, zu erwähnen. Dabei sah sie, wie ihres Begleiters frisches Gesicht um eine Schattierung dunkler wurde, während ein ungewisses. „Ja, das ist ja – eine Nachbarstochter von uns!“ seinen Lippen entfloh.

Nun hätte Fraulein Panke nicht die findige Durchschauerin von Menschen und Verhältnissen sein müssen, wäre ihr nicht sofort der Verdacht aufgestiegen, daß hier der Mann vor ihr sitze, dessen Hauptfehler darin bestand, kein „Abgrund“ zu sein. In der That sah Herr Lorenz Käsmeyer nicht nach einem solchen aus, er war offenbar ein guter Junge und ließ sich sehr bald durch die erst verblümten, dann ziemlich direkten Fragen seiner Nachbarin zu einem offenen Geständnis seiner Wünsche und Hoffnungen verlocken, er verhehlte auch nicht, daß er „dem Tonerl“ nachgereist sei, als ihm ihre schnelle Abreise hierher zum Künstlerball mitgeteilt wurde.

„Wollen Sie sie bei Volkhards aufsuchen?“ fragte die Schriftstellerin mit ihrem scharfen Inquisitorenblick.

Lorenz gab nicht sogleich Antwort. Er klopfte mit seinem Stöckchen an den Stiefeln herum und sagte endlich, wieder aufsehend:

„Nein, das nicht gerade, ich weiß ja nicht, ob ich sie allein zu sehen bekäme. Ich gehe morgen auf den Ball, da hat man doch am leichtesten Gelegenheit, miteinander zu reden. Und da werde ich die Sache ins reine bringen. Der Papa hat nichts dawider, ganz im Gegenteil, mit dem hab’ ich gestern noch geredet, er meint, es war eine Dummheit, daß ich überhaupt geschrieben habe. Na ja! Ich wollt’ sie halt damit einmal fest bekommen, damit sie mir nicht immer mit ihren Spasseteln ausweicht, wie sie das in der Gewohnheit hat.“

„Aber –“ fühlte sich die Menschenkennerin verpflichtet zu warnen, „wenn Fräulein Burghofer Ihren Brief noch in Salzburg erhielt und abreiste, ohne ‚Ja‘ zu sagen, das sieht doch nicht nach einer freudigen Zustimmung aus!“

„O,“ fiel er eifrig ein, „das müssen Sie nicht so auffassen! Sie ist so eine, die einmal das Sekieren nicht lassen kann. Das macht ihr jetzt Spaß, daß sie denkt, ich bin in einer rechten Unruhe, derweil sie sich hier amüsiert. Aber daß sie ernsthaft nicht wollte – ah, ba ist ja gar kein Gedanke dran. Wen soll sie denn anders heiraten als mich? Das versteht sich ja schon sechs Jahre lang sozusagen von selbst!“

Und mit sieghafter Zuversicht leerte er den stattlichen Rest seiner Maß auf einen Zug.

Fräulein Panke verzichtete darauf, weitere Zweifel zu äußern, sie fühlte bereits etwas wie Wohlwollen dem gutmütigen Menschen gegenüber, nebenbei gedachte sie auch des morgenden Abends und daß zum Hingehen eine männliche Begleitung, stehe sie auch nicht auf den Höhen der Bildung, immer besser sei als gar keine. Ihre erste Andeutung traf sofort auf lebhafte Bereitwilligkeit, denn Lorenz seinerseits berechnete sich auch den Nutzen einer gutgesinnten Gardedame für das zu hoffende Beisammensein, und somit schloß die Sitzung im Hofbräuhaus unter zufriedener gegenseitiger Abrede für morgen abend 8 Uhr.

*      *      *

Toni hatte den Fisch in der Küche abgegeben und dem Hausmädchen die Abweisung für Besuch so lange überhört, bis sie ohne Anstoß ging. Dann stieg sie hinauf, um die Schwester im Atelier aufzusuchen.

Nicht in dem berühmten Prunkraum, wo die Staffeleien mit Bildern sich wie köstliche Leuchtpunkte aus der farbendunkeln Pracht des Ganzen heraushoben, hier arbeitete Volkhard nicht, hier stand er nur zur Besuchsstunde, die Palette in der Hand, die Cigarre im Mund, vor einem Bild, das in der Hauptsache fertig war und deshalb vor den Augen des Publikums vollendet werden konnte. Rechts von seiner Hünengestalt im farbenbeklexten Sammetrock saß dann, so recht dem ersten Blick des hereintretenden Beschauers dargeboten, auf einer teppichbedeckten von Palmen überwölbten Estrade die schöne Frau und hielt, in scheinbarer Arbeit, einen schweren grauen Seidenstoff mit violettem Sammetfutter über die Knie gebreitet. Ihr weißes Gesicht und das leuchtende Rothaar mit diesen Farben zusammen – dekorativ im höchsten Grade! …

Noch war aber nicht Besuchsstunde, deshalb suchte Toni das Ehepaar hinter der nächsten Thüre in dem wirklichen, sehr einfach eingerichteten Arbeitsraum, wo verschiedentliche Fensteröffnungen und Verschlüsse, sowie elektrische Lampen die berühmten Volkhardschen Lichteffekte hervorbringen halfen. Hier studierte er, hier stand der Unermüdliche wochenlang bis zu sechzehn Stunden am Tage, bis dann wieder einmal die Zeit kam, wo er alles wegwarf, um auf der Jagd und bei sonstigen voll geschlürften Genüssen dem mächtigen Körper sein Recht angedeihen zu lassen. Zu einem gleichmäßigen Leben brachte er es nicht, so wenig als zu geordneten Verhältnissen, trotz der enormen Einnahmen für seine Bilder.

Aber manchmal erfolgte ein plötzlicher Anstoß zur Sparsamkeit mit ungeheuren Vorsätzen totaler Umkehr. Gewöhnlich dann, wenn Frau Resi sich genötigt sah, ein paar schwere Toilettenrechnungen zur Zeit der Ebbe zu präsentieren, statt sie, wie sonst bei hoher Flut, stillschweigend mit dem übrigen flott zu machen.

Dann tobte der Mann unmäßig und warf mit verzweifelten Redensarten um sich, wie eben in dem Augenblick, als Toni nach wiederholtem vergeblichen Klopfen schüchtern die Thür öffnete.

Das Unglück hatte gewollt, daß eine dringend nötige Zahlung den Ausbruch des Gewitters schon jetzt, vor der Lachsforelle, veranlaßte, und so verharrte eben Frau Resi, um seinen Verlauf abzuwarten, im doppelten Schutz ihres natürlichen Phlegmas und einer ganz respektabeln Fähigkeit, auch ihrerseits „loszulegen“, wenn sie den Augenblick für gekommen erachtete. Sie saß, über den Tisch gebeugt, anscheinend ganz ruhig in dem runden Lutherstuhl, ihr fester weißer Nacken mit den goldroten Halshärchen und dem ansteigenden Schwall des dunkelroten Knotens ragte reizvoll aus der Spitzenumrandung des grausammetnen Schlafrocks heraus, dessen Schleppe seitwärts über das Parkett hinfiel. Auf dem Tisch stand die geöffnete Geldkasse, eine höchst echte alte Truhe von Schmiedeeisen mit großen Schnappschlössern, deren geschwundenen Inhalt zu erspähen Frau Resi ihren Hals so weit vorbeugte.

Weder sie noch der im Zimmer auf und ab rennende Volkhard nahmen Notiz von Tonis Eintreten. Er hielt die verhängnisvoll langen Zettel in der Hand und schwang sie zornig hin und her.

„Zweihundert – Fünfhundertundsechzig – Achthundertundneunzig Mark –“ addierte er jetzt, stehen bleibend, voll Ingrimm und schlug dabei auf jedes Blatt einzeln. „Und noch dazu grade heut’, vor dem Fest!“

„Ja,“ sagte Frau Resi gleichmütig, „übermorgen wär’ mir auch lieber gewesen. Aber die Müller schreibt, sie kann das Kostüm nicht schicken, eh’ nicht das andere zuvor bezahlt ist. Das benutzen solche Leut’ halt immer.“

„Lauter Sachen, von denen ich nichts weiß,“ fuhr Volkhard fort, der sich inzwischen in die Lektüre der Rechnungen vertieft hatte. „So eine Frau! Sie läßt nicht aus, bis sie mich ruiniert hat vom Kopf bis zu den Füßen!“

„So ist es allemal!“ rief sie, sich energisch umdrehend, „alles, was ich brauche, ist zuviel, während der gnädige Herr für sich –“

„Mach’ mich nicht wild!“ schnob Volkhard. „Was Du ‚brauchst‘, das geht schon über die Möglichkeit. Meinst Du denn, ich finde das Geld auf der Straße?“

„Es sind lauter notwendige Sachen,“ beharrte sie trotzig. „Wenn Du eine elegante Frau haben willst, mußt Du die Schneiderrechnungen zahlen. Ich kann nicht auf der einen Seite ein großes Haus führen und auf der anderen sparen und selbst schneidern wie ein notiges Beamtenweiberl. Das paßt mir nicht und dafür hab’ ich nicht geheiratet.“

„Meint man nicht wunder, wo sie herkäme, wenn man sie so reden hört!“ rief Volkhard höhnisch nach der betretenen Zuhörerin hin. „Herrgott!“ er fing wieder an, auf und ab zu rasen, „wenn ich denk’ – das Haus steht voll Hypotheken, die Kinder haben heute nichts, wenn ich die Augen zuthue, und eine solche Wirtschaft –“

„Jetzt hör’ auf!“ rief Frau Resi mit blitzenden Augen in die Höhe fahrend und trat ihm fest in den Weg. „Sonst frag’ ich

[153]

Die Tombola auf dem Markusplatze in Venedig.
Nach einer Originalzeichnung von E. Rosenstand.

[154] einmal, wo die vielen Gelder hinkomnen, die so nebenher eingehen und von denen kein Mensch mehr ’was sieht –“

„Resi um Gotteswillen!“ rief Toni voll Entsetzen über ihre herausfordernde Gebärde. Sie eilte auf die Schwester zu und suchte ihr mit der Hand den Mund zu schließen, während sie den anderen Arm schützend um sie schlang, denn sie fürchtete wirklich, die wütend geballte Faust da drüben werde im nächsten Augenblick auf sie niederfahren.

„Schweig’ doch, reize ihn nicht noch mehr!“ flüsterte sie bebend vor Angst, aber Frau Resi schob sie mit kräftiger Bewegung von sich ab nach der Thüre zu und sagte ganz ruhig:

„Geh’ hinunter, Kleine, das ist nichts für Dich. Wir werden schon miteinander fertig, er frißt mich nicht, da brauchst keine Angst zu haben. Geh’ und sieh’ nach den Kindern!“

Toni eilte hinaus, ihr zitterten die Knie über eine solche Scene, daß sie sich eine Weile am Treppengeländer halten mußte; sie fühlte sich innerlich ganz elend und enttäuscht.

Guter Gott, konnten denn Eheleute so miteinander hadern, war dies das große Glück der Schwester, das sie selbst oft im stillen beneidet hatte? Nicht um alles möchte sie an deren Stelle sein! …

Sie horchte angstvoll, wie vor einem plötzlichen Schrei zitternd. Aber es blieb alles still und sie besann sich, daß ja das große Atelier dazwischen liege. So konnte wenigstens niemand den Streit im kleineren hören, das war noch einigermaßen tröstlich. Langsam begann Toni die Treppe hinabzusteigen. Es war ihr, als ginge sie am liebsten gleich ganz zum Hause hinaus, fort und heim zu ihrem guten Papa, der niemals ein zorniges Wort gegen die Mama brauchte, in die weiträumigen getünchten Stuben mit den spärlichen Möbeln, die ihr sonst so armselig vorgekommen waren gegen das herrliche Volkhardsche Haus.

Ob wohl jeder Künstler sich als Ehemann so aufführte? Resis oft gebrauchte Redensart: Das ist halt bei Künstlern nicht anders! fiel ihr ein. „Nein!“ flüsterte das gläubige Herzlein dazwischen, „einer gewiß nicht.“ Der breitete sicher einmal seiner Frau alle Schätze Indiens zu Füßen und bewahrte sie vor jedem rauhen Lufthauch, der hatte doch auch eine andere feinere Natur und Gewohnheit als Volkhard, bei dem immer wieder einmal der Bauernsohn herausschlug. Nein, wenn alle so waren, er war gewiß nicht so, das wußte Toni so fest, als ob es im Evangelium stünde!

Bedeutend leichteren Herzens kam sie am Fuß der Treppe an, wandte sich aber schnell nach dem Kinderzimmer, denn von dorther erschollen Töne, welche andeuteten, daß auch hier Unfriede eingekehrt sei.

(Fortsetzung folgt.)


Vater Schmidt in Wolgast und seine Kameraden.

Die letzten Kämpfer von 1813/15.
Von Paul Holzhausen-Bonn.
(Mit den Bildnissen S. 157.)

Es war an einem schönen Augusttage des Jahres 1893. Eine längere Erholungsreise hatte mich von den burgengekrönten Ufern des Rheinstromes an die pommersche Küste geführt, welche die grüne Woge der Ostsee träumerisch umschmeichelt. Dort, unfern der nordischen Musenstadt Greifswald, liegt das freundliche Städtchen Wolgast. Es ist nur durch den Oderarm der Peene von der langhingestreckten Insel Usedom geschieden. Mancherlei Altertümer und geschichtliche Erinnerungen birgt das uralte Städtchen. In der stattlichen Pfarrkirche – sie ist hochgewölbt wie die Bauten baltischer Gotik – liegen die Gräber der Pommernherzöge, und unfern des Städtchens wird dem Fremden eine kleine stille Bucht gezeigt, in der die Leiche des Schwedenkönigs Gustav Adolf eingeschifft wurde, um über die Ostsee der nordischen Heimat, ihrer letzten Ruhestätte, zugeführt zu werden. Aber auch ein lebendes Denkmal weilt zur Zeit noch in dem weltabgeschiedenen Städtchen, ein Mann, der noch Zeuge der gewaltigen Ereignisse gewesen ist, die zu Anfang unseres Jahrhunderts die europäische Menschheit bewegten und von der uns in unserer Jugend die Großeltern so vieles zu erzählen wußten. Unfern des Marktes steht ein einfaches, altertümliches Haus, von einigen Buchenbäumen beschattet. Hier haust der hundertjährige Greis, der als Knabe die Zeit erlebte, als nach Jena und Auerstädt die große Armee des ersten Napoleon das norddeutsche Land überflutete, und der sieben Jahre später zu den Scharen begeisterter Jünglinge gehörte, die, dem Rufe des Königs folgend, zu den Waffen eilten, um den großen Eroberer aus den deutschen Landen wieder zu vertreiben.

Vater August Schmidt ist am 11. Februar 1795 in der pommerschen Stadt Anklam geboren, hat somit vor wenigen Tagen den Eintritt in das zweite Jahrhundert seines langen Erdenlebens gefeiert. Sein Ehrentag ist nicht nur von seiner Familie und seiner Vaterstadt festlich begangen worden; der Kaiser hat ihn beschenkt und schriftlich beglückwünscht, eine Deputation seines alten Regiments hat ihn feierlich begrüßt.

Der Vater des Jubilars war in Anklam Uhrmacher. Da erschien eines Tages – es war im Herbste des Jahres 1806 – ein französischer chasseur à cheval auf dem Markte der Stadt, ließ sich sein Pferd beschlagen und ritt dann vor das gegenüberliegende Haus des Uhrmachers Schmidt, von dem er in befehlendem Tone eine Uhr verlangte. Zugleich drohte er mit der geladenen Pistole. Aber der Uhrmacher Schmidt war ein Mann von Kopf und Geistesgegenwart. Da er wohl merkte, daß der patrouillierende Jäger nicht allzuviel Zeit haben konnte, so drückte er ihm schnell einen falsch gehenden Chronometer in die Hand und jener sprengte von dannen. Das war August Schmidts erste Begegnung mit den Franzosen. Er sollte in einigen Jahren noch genauere Bekanntschaft mit ihnen machen.

Am 17. März 1813, dem Tage nach der Kriegserklärung Preußens an Frankreich, trat der Achtzehnjährige als Freiwilliger in das 1. pommersche Infanterieregiment. In diesem hat er die drei Feldzüge von 1813 bis 1815 mitgemacht und an einer außerordentlich großen Anzahl von Schlachten teilgenommen. In dem mörderischen Kampfe bei Bautzen erhielt er die Feuertaufe. Während des Herbstfeldzuges stand sein zu der Division v. Borstell im 3. preußischen Armeekorps (v. Bülow) gehörendes Regiment bei der Nordarmee, deren Oberkommando bekanntlich Bernadotte führte. Beide Feldherren, Bülow und Bernadotte, hat unser Schmidt des öfteren gesehen, und noch jetzt weiß der alte Herr ihre Gesichtszüge genau zu beschreiben.

Die Zeit der Siege nahte heran. In der Schlacht bei Großbeeren, am 23. August, stand die Division Borstell zuerst bei Heinersdorf, auf dem linken preußischen Flügel; später stürmten fünf Bataillone der Divisionen Krafft und Borstell das Dorf Großbeeren. Ihnen gegenüber standen die Sachsen, und der Brigadekommandeur bei der Division Krafft, Oberstlieutenant von Zastrow, wurde bei dem Sturme auf das Dorf durch den Säbelhieb eines sächsischen Kavalleristen verwundet. Auch dieses Umstandes weiß sich Schmidt noch in seinem hohen Alter genau zu entsinnen, ein Beweis für die ungemeine Schärfe seines Gedächtnisses. An die Schlacht bei Dennewitz hat er gleichfalls noch recht bestimmte Erinnerungen. Er half das Dorf Gölsdorf stürmen. Ihm zur Seite fallen zwei Kameraden, ein Lohgerberbursche aus Pommern und der Sohn eines Arztes aus dem Brandenburgischen. Schmidt half sie zum Verbandplatze schaffen; aber das furchtbare Jammern der Verwundeten habe ihn, so erzählte er nur, derart ergriffen, daß von diesem Augenblicke an bis zum Ende der Schlacht nichts in seinem Gedächtnisse haften geblieben sei. Er selbst war unverwundet geblieben, bis auf einige Kontusionen durch Bajonett und Kolbenstöße.

Im weiteren Verlaufe des Feldzugs zieht Schmidt vor die Festung Wittenberg und trifft mit der Nordarmee am 18. Oktober, unweit Taucha, auf dem Schlachtfelde von Leipzig ein, wo in mehrtägigen furchtbaren Kämpfen die Hauptentscheidung bereits gefallen war. Doch kommt er sofort ins Feuer, macht am andern Tage die grauenvollen Sturmangriffe auf die von den Franzosen verrammelten Gärten und Thore der Stadt mit und wird Zeuge der furchtbaren Zertrümmerung der französischen Nachhut, infolge der vorzeitigen Sprengung der Elsterbrücke. Es ist ergreifend, zu hören, wenn der uralte Greis die Scenen schildert, die sich an jenem entsetzlichen Tage an den Ufern des sonst so friedlichen Elsterflüßchens abgespielt haben.

[155] Nach der Leipziger Schlacht ging der Marsch westwärts über Weißenfels und Gotha und später mit Bülow nach den Niederlanden. Als sich im Frühjahr 1814 die Bülowsche mit der Blücherschen Armee vereinigt hatte, griff Napoleon beide bei Laon an, wo er am 9. und 10. März geschlagen wurde. Auch aus dieser Schlacht weiß Vater Schmidt zu erzählen und daß sie seinen Major, der nicht recht seine Schuldigkeit gethan, das Kommando gekostet habe. Die letzten Ereignisse aus dem militärischen Leben des Jahres 1814 waren für unsern wackeren Pommern die Belagerungen von Maubeuge und Philippeville. Dann zog August Schmidt wieder heim zu dem buchenumrauschten Strande der Ostsee.

Aber die Rückkehr Napoleons von Elba, und der neu entbrannte Völkerstreit riefen ihn nochmals unter die Waffen. Damals pflegte der alte Blücher, von dem Vater Schmidt ganz besonders viel zu erzählen weiß, seinen Pommern zu sagen: „Meine pommerschen Jungen werden mich nicht verlassen. Ihr sollt noch Französisch lernen.“ Das 1. pommersche Infanterieregiment gehörte in dem Feldzuge von 1815, zur Brigade Sydow und stand wiederum bei dem Korps von Bülow. Der Eindruck, welchen der Verlust der Schlacht bei Ligny und der Unfall Blüchers, dessen Pferd zusammenbrach, auf die preußische Armee machten, die Besorgnisse, welche sich an beide Begebnisse knüpften, stehen dem alten Schmidt noch ebenso deutlich vor Augen wie der Marsch der Armee auf den grundlosen Wegen nach Waterloo. Hier traf Bülows Korps gegen fünf Uhr des Nachmittags ein und damit kam unser braver Schmidt in das Feuer der letzten napoleonischen Feldschlacht.

Das alles hat er mir selber erzählt, als ich ihm bei Gelegenheit der zu Anfang genannten Reise einen Besuch abstattete. Unvergeßlich wird mir die Erinnerung an diese Stunde sein. Als ich in die freundliche Wohnstube trat, saß der alte Herr gerade am Fenster und rauchte seine lange Pfeife Er ist vollständig geistig frisch und begriff den Zweck meiner ihm ganz unerwarteten Anwesenheit ohne weiteres. Nachdem er mich auf das Sofa genötigt, begann er, von seinen Feldzügen zu erzählen, vollständig zusammenhängend und ohne eine Zwischenfrage unbeantwortet zu lassen. Am folgenden Tage erneuerte ich meinen Besuch, und, eben waren wir wieder auf dem blutigen Felde von Dennewitz angelangt, als Vater Schmidt aufstand und mich bat, ihn auf einen Augenblick zu entschuldigen. Bald darauf kam er wieder herein, in der Hand ein Cigarrenkistchen haltend, das er mir präsentierte. Diese liebenswürdige Aufmerksamkeit des fast Hundertjährigen rührte mich tief, und als er es sich nicht nehmen ließ, seinem Gaste auch das Streichholz anzuzünden, da konnte ich nicht umhin, einen Blick auf die Hand des Greises zu werfen, die vor nunmehr achtzig Jahren bei Bautzen und Großbeeten, bei Leipzig und Waterloo die Muskete, geführt hatte!

Wir plauderten dann noch einiges, und der alte Herr meinte: Wenn er so am Fenster säße wie heute morgen, so ließe er die Tage der Vergangenheit vor seinem Auge vorübergleiten, Scene für Scene, „und dann,“ fügte er mit einem eigenartigen Lächeln hinzu, „kommt mir das alles wie ein Traum vor“ Ich fragte ihn, oh er noch lesen könne. „Ach nein,“ entgegnete der Greis wehmütig, „ich kann nicht einmal Ihr Gesicht erkennen. Nur, die Umrisse einer Gestalt sehe ich vor mir.“

Das ist Vater Schmidts einziges Ungemach. Sonst lebt er in seinem Wolgast, das er seit achtzig Jahren bewohnt und wo er als Goldschmied manchem jungen Paare die Ringlein geschmiedet, in behaglichen Verhältnissen, hochgeehrt von seinen Mitbürgern. Er befindet sich in der Pflege seiner Tochter, steht gegen neun Uhr des Morgens auf, speist mit gutem Appetit und ist noch durchaus imstande, den Bestrebungen und Bewegungen der Gegenwart zu folgen, wie er denn auch gelegentlich die Ereignisse von 1866 und 1870 in den Kreis seiner Betrachtungen zieht. Meine Hoffnung, ihm noch zur Vollendung seines hundertsten Jahres meinen Glückwunsch darbringen zu können, ist in Erfüllung gegangen.

Schon das letzte Weihnachtsfest hatte übrigens den wackeren alten Herrn mit einem ihn ehrenden Sympathiebeweis aus Patriotenkreisen überrascht. Herr Dr. Hans Natge in Tempelhof-Berlin, der Herausgeber der Kriegerbundszeitung „Parole“, hatte im vorigen Jahre, im Verein mit einigen andern Herren, den schönen Gedanken zur Ausführung gebracht, eine Sammlung zu veranstalten, aus deren Erträgen den letzten noch lebenden Veteranen jener Zeit eine Weihnachtsgabe unter den Christbaum gelegt werden sollte. Der Gedanke wurde allseitig mit Freude begrüßt, und die hübsche Summe von beinahe sechstausend Mark floß zusammen. Aber ein wehmütiges Resultat ergab die Zählung der noch lebenden Kämpfer von 1813/15: Vater Schmidt hat nur noch vier Kameraden, welche die Einberufungsordre zum letzten Appell noch nicht empfangen haben. So wurde denn beschlossen, jedem der alten Herren eine Ehrengabe von fünfhundert Mark zu überreichen und den Rest an bedürftige Witwen ehemaliger Veteranen aus der Zeit der Befreiungskriege zu verteilen.

Meine Leser werden nun begierig sein, auch von den noch weiter am Leben befindlichen Kameraden unseres wackeren Vater Schmidt einiges Nähere zu hören, und ich will es versuchen, nach den mir vorliegenden Nachrichten eine Skizze der zum teil recht merkwürdigen Lebensläufe dieser letzten Zeugen einer glorreichen Epoche deutscher Geschichte zu entwerfen.

Der älteste von ihnen – das hundertjährige Geburtstagskind habe ich, wie billig, außer der Reihe behandelt – ist der Lieutenant a. D. von Baehr. Weit, weit im Osten wohnt er, in dem Ackerstädtchen Ragnit, wo der russische Njemen noch nicht lange die Preußische Grenze überschritten und nun den deutschen Namen, Memel angenommen hat. Am 6. März 1793 hat er in seinem jetzigen Wohnorte das Licht der Welt erblickt. Die Familie heißt eigentlich Neumann, und unser alter Krieger führt die Vornamen Johann Leopold. Als vierzehnjähriger Knabe sah er, in der für Preußen so schweren Zeit, bei dem unfern gelegenen Tilsit das glänzende Feldlager Napoleons, der mit Kaiser Alexander auf einem Floße im Memelflusse zusammentraf. Auch ihn selber hat er gesehen, der damals nach Ehlau und Friedland auf der Höhe seiner Macht und seines Ruhmes stand. Der junge Neumann trat in das Graudenzer Pionierbataillon und war im Jahre 1812, als die ungeheuren Massen der „großen Armee“ in seiner Heimatprovinz die Weichsel überschritten, bei dem Bau des Brückenkopfes Dirschau beschäftigt. Die Neumanns waren Leute, die das Herz auf dem rechten Flecke hatten und die Pflichten der Menschlichkeit auch dem Feinde gegenüber nicht vergaßen. Als um die Neujahrszeit von 1813 die unglücklichen Soldaten des großen Heeres mit zerlumpten Uniformen und erfrorenen Händen und Füßen durch die ostpreußischen Städte schlichen, da hat der Vater unseres Veteranen gar viele dieser Elenden in sein Haus aufgenommen und ihnen warmes Essen und schützende Kleidung gegeben. Ehre dem Andenken eines solchen Mannes! Noch heute erinnert sich der hundertjährige Sohn, wie man auf dem Markte des Städtchens Ragnit große Feuer entzündet und wie er gesehen, daß mancher der Erstarrten, der zu gierig nach der Wärme verlangt, tot in die Flammen gefallen sei. Diese Mitteilungen stammen aus der Feder von Fräulein Clara von Baehr, die mir in zuvorkommender Weise über das merkwürdige Leben ihres Vaters berichtet hat. Der junge Neumann nahm nun an den Feldzügen der folgenden Jahre als Pionierunteroffizier teil, und die Art seiner Waffe brachte es mit sich, daß er weniger in der offenen Feldschlacht kämpfte, desto mehr aber an den beschwerlichen Arbeiten der Befestigungs- und Brückenbauten mitgewirkt hat. Das spätere Leben des herrlich veranlagten und durch eigene Kraft emporgekommenen Mannes war reich an schönen, ja, geradezu glänzenden Erfolgen. Als Ingenieurgeograph und Plankammerinspektor mit Offiziersrang nach Berlin versetzt, vermählte er sich im Jahre 1819 mit einer Gräfin zu Solms-Tecklenburg und wurde nach dem frühzeitigen Hinscheiden derselben von deren Mutter adoptiert und unter dem Namen von Baehr in den erblichen Adelsstand erhoben. Seine tüchtige geographische und naturwissenschaftliche Bildung und seine hervorragenden kartographischen Arbeiten brachten ihn in bedeutende Stellungen und vermittelten seinen Verkehr mit hervorragenden Männern der Wissenschaft, unter denen selbst der Name eines Alexander von Humboldt genannt werden kann. Seit 1854 pensioniert, genießt er eine noch immer nützlich verwandte Mußezeit in seiner kleinen Heimatstadt. Ein glücklicher Vater, besitzt er, nach dem Tode seines einzigen Sohnes, eines Kämpfers von 1866 und 1870, noch reich beanlagte Töchter, von denen die eine, vor nunmehr zwölf Jahren, die ereignisvolle Lebensgeschichte des alten Vaters aufzeichnete, während die Schwester das leider nur im Manuskript vorhandene Werkchen mit hübschen Skizzen begleitet hat.

In eine andere Landschaft und andere Verhältnisse versetzt uns der Name des dritten Veteranen Johann Christian Kaufmann. Da, wo im Herzen des deutschen Landes, in den lieblichen Thüringer Bergen, die freundliche Saale den Fuß der Höhen umspült, [156] auf denen die romantische Rudelsburg und die zerfallenen Türme der Saaleck liegen, dort, in dem villengeschmückten Badeorte Kösen, geht von der Thüringer Hauptbahn eine Zweiglinie ab, im Volksmunde scherzhaft die „Pfeffermünzbahn“ genannt. Sie führt vorüber an dem blutgetränkten Schlachtfelde von Auerstädt und dem idyllisch gelegenen Eckartsberga nach dem Städtchen Cölleda. Nur etwa eine Stunde von diesem Orte entfernt liegt das Dorf Rettgenstedt, wo der alte Tischler Kaufmann wohnt. Neben dem Stellmacherhandwerk, das er in seiner Jugend erlernte, blies er gern das Horn, und so zog er im Frühjahr 1814 als Hautboist des 31. Infanterieregiments „nach Frankreich hinein“. Mit Vater Schmidt zusammen half er Maubeuge belagern, die kleine aber wichtige Sambrefestung, deren sich der Reisende erinnern wird, der einmal von Köln aus durch Belgien eine Fahrt nach der französischen Hauptstadt gemacht hat. Es war ein harter Winter, der Winter von 1813/14, der seinem berüchtigten Vorgänger vom Jahre 12 an unwirtlicher Rauheit nur wenig nachgab. „Er (der Vater Kaufmann) hat uns oft erzählt,“ teilt mir in einem mit echt thüringischer Herzlichkeit geschriebenen Briefe der Sohn mit, „daß er manche Nacht im Schnee gelegen. Und öfters Tage, ohne Nahrung, von Branntwein hätte leben müssen.“ Auch hatte Kaufmann den Kummer, während des Feldzugs seinen Vater zu verlieren. In seinem Besitze befindet sich noch eine Marschroute. Er hat jeden Ort und jedes Quartier auf dem Hin- und Rückmarsche sorgfältig verzeichnet. Lange Zeit nach seiner Heimkehr lernte er, noch im Alter von vierzig Jahren – er ist am 4. Januar 1794 geboren – das Tischlerhandwerk. Nebenher betrieb er etwas Ackerbau. Fleißig hat er mit dem Hobel gearbeitet, ein anspruchsloser und enthaltsamer Mann, der geistige Getränke verabscheute und sich nicht einmal den bescheidenen Genuß des Pfeifchens erlaubte. Im Alter von einundvierzig Jahren verheiratet, konnte er mit seiner Gattin das schöne Fest der goldenen Hochzeit, begehen. Doch hatte der alte Mann im Vorjahre das Unglück, die 83jährige treue Gefährtin seines Lebens zu verlieren. Dieser Verlust hat ihn um so tiefer ergriffen, als auch sein Körper durch eine schwere Lungen- und Rippenfellentzündung, die er im letzten Augustmonat zu überstehen hatte; geschwächt war. Dennoch hat sich der Hundertjährige wieder erholt, wozu die Pflege seiner braven Kinder Und Kindeskinder ihr gutes Teil beigetragen hat. Herr Tischlermeister Wilhelm Kaufmann schreibt mir, daß sein alter Vater bei dem Empfang der Ehrengabe des deutschen Volkes aufs tiefste bewegt gewesen sei.

Wieder müssen wir einige Dutzend Meilen Landes überfliegen, wenn wir dem vierten unserer alten Krieger, Herrn Rentner Gottlieb Nölte, einen Besuch abstatten wollen. Dieser wohnt auf einem bäuerlichen Gehöfte in Neuholland bei Liebenwalde im Havelland. Geboren in der Stadt Liebenwalde am 10. August 1796 als der Sohn eines Ackerbürgers gleichen Namens, mußte er schon im zwölften Lebensjahr – es war in der Zeit nach den Schlachten bei Jena und Auerstädt – für die französischen Truppen Kriegsfuhren leisten. Noch nicht siebzehn Jahre alt, wurde er zur 3. Kompagnie des 3. Bataillons des 3. kurmärkischen Landwehr-Infanterieregiments eingezogen. Auch dieses Regiment gehörte zur Nordarmee der Verbündeten. Gottlieb Nölte ist also in engerem Sinne ein Kriegskamerad des alten Schmidt. Sein Regiment stand unter dem Kommando des Oberstlieutenants v. d. Marwitz bei der Division v. Hirschfeld, die zum 4. Preußischen Armeekorps (Graf Tauentzien) gehörte; der Bataillonskommandeur war ein Kapitän v. Laviere. Wenn Frau Witwe Bartel, Vater Nöltes Tochter, die mir gleichfalls in sehr liebenswürdiger Weise über ihren Vater geschrieben, von Gefechten bei Havelberg redet, denen der alte Krieger beigewohnt, so ist dies, wie ich mir zu bemerken erlaube, eine offenbare Verwechslung mit dem Orte Hagelberg bei Belzig, wo Generallieutenant von Hirschfeld am 27. August den französischen General Girard schlug, der aus Magdeburg ausgerückt war, um die linke Flanke der gegen Berlin operierenden Armee des Marschalls Oudinot zu sichern. Es ist dies die bekannte Kolbenschlacht bei Hagelberg, in welcher mehrere französische Bataillone von den kurmärkischen Landwehren, fast ganz ohne Gebrauch der Feuerwaffe, mit Bajonett und Kolben überwältigt wurden.

Gottlieb Nölte rückte dann vor Wittenberg, machte in Tauentziens Korps den Gewaltmarsch nach Berlin (14. und 15. Oktober) mit und gehörte später zu den Belagerern von Magdeburg, welches von dem französischen General Lemarois aufs tapferste verteidigt und erst im Mai 1814, nach der Anerkennung König Ludwigs XVIII., übergeben wurde. Aber schon geraume Zeit vorher war unser Nölte mit einem Teile des Tauentzienschen Armeekorps abmarschiert, um bei der Belagerung der Festung Wesel verwendet zu werden, die sich gleichfalls sehr lange, bis zum 10. Mai 1814, gehalten hat. Auch das Jahr 1815 rief den wackern Kurmärker wieder unter die Waffen. Diesmal gehörte sein Regiment zur 11. Brigade (Luck) und stand bei dem 3. preußischen Armeekorps, mit welchem General v. Thielmann am 16. Juni an der Schlacht von Ligny teilnahm, während er zwei Tage später, an dem denkwürdigen 18., den französischen Marschall Grouchy bei Wavre festhielt, wodurch den Verbündeten der Sieg von Waterloo gesichert wurde. Nach dieser Schlacht zog Nölte mit dem siegreichen Heere in das innere Frankreich und gegen Paris. Der alte Nölte klagt noch heute viel über die mangelhafte Verpflegung der Verwundeten zu damaliger Zeit, eine Klage, deren Berechtigung aus den Mitteilungen anderer Teilnehmer an den großen Feldzügen durchaus bestätigt wird. Wenn der biedere Alte hinzufügt, daß jetzt alles viel besser geworden sei; so darf ja wohl auch dieses in vielen Punkten zugegeben werden.

Nach der Rückkehr in die märkische Heimat wurde Gottlieb Nölte Schiffsbauer und betrieb später in Berlin einen Butter- und Käsehandel. Fast volle vierzig Jahre, von 1825–1864, lebte er in glücklicher Ehe; dann zog er, nach dem Tode seiner Frau, zu seiner erwähnten Tochter, die in Neuholland bei Liebenwalde verheiratet ist. Hier wohnt er nun schon wiederum seit dreißig Jahren, hat mehrere Enkel und zwanzig Urenkelkinder, ist körperlich noch recht rüstig, wenn auch sehr schwerhörig, und spaziert noch allein durch Haus und Hof und Garten.

Und nun kommt in der Reihenfolge als letzter der jüngste unserer Veteranen. Auch er hat schon das stattliche Alter von 96 Jahren erreicht. Ist er der jüngste und hat er, infolge seines damals noch sehr jugendlichen Alters, als Sechzehnjähriger nur an dem Feldzuge von 1815 teilnehmen können, so ist er im späteren Leben zu höheren Ehrenstellen emporgestiegen als einer seiner noch lebenden Kameraden. Mit gerechtem Stolze dürfen freilich auch, Vater Schmidt und Papa Nölte auf ihre einfachen alten bronzenen Kriegsdenkmünzen von 1813/15 blicken; Herr v. Baehr trägt außerdem das Ritterkreuz des Hausordens von Hohenzollern; Excellenz Neumann aber ist mit einer ganzen Reihe von Ordenszeichen geschmückt. Geboren am 11. September 1798 in Joachimsthal bei Berlin, trat Franz Neumann, damals Schüler eines Berliner Gymnasiums, im Jahre 1815 als freiwilliger Jäger in das Colberger Regiment. Mit diesem machte er den Feldzug in Belgien mit. In der mörderischen Schlacht bei Ligny wurde er durch Oberkiefer und Zunge geschossen und mußte zurück nach Düsseldorf gebracht werden, wo er wiederhergestellt wurde. Dann hat er noch an der Belagerung der Festung Givet teilgenommen, welche General Bourke, im Vorjahre der Kommandant von Wesel (vergl. oben), ein ritterlicher alter Haudegen, nach Napoleons zweiter Abdankung noch bis zum Abend des 9. September gegen die Verbündeten verteidigte.

Aus dem jugendlichen Krieger Franz Neumann, der von der Schulbank aufgestanden war, um das Gewehr auf die Schulter zu nehmen, wurde ein ernster Mann der Wissenschaft. Nach vollendetem Studium der Naturwissenschaften wurde er in der alten Haupt- und Residenzstadt Königsberg Privatdocent und im Jahre 1829 ordentlicher Professor der Physik und Mineralogie. Hohe Auszeichnungen haben ihm, wie gesagt, nicht gefehlt. Heute ist dieser Nestor der Wissenschaft Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat Excellenz; aber stolz ist er, wie ich einem Briefe von Fräulein Louise Neumann, seiner Tochter, entnehme, einzig und allein auf den Professortitel, „das übrige betrachtet er in seiner Bescheidenheit als zuviel Ehre“. Leider ist der würdige alte Herr, dessen drei Söhne gleich ihm hervorragende Gelehrte und Universitätsprofessoren sind – Carl, der Mathematiker, in Leipzig, Ernst, der Mediziner, in Königsberg, Julius, der Nationalökonom, in Tübingen – schon seit längerer Zeit krank. Auch an dem 350jährigen Jubelfeste der Königsberger Universität, das im vorigen Sommer gefeiert wurde, konnte der alte Geheimerat nicht mehr persönlich teilnehmen. Doch fuhr Prinz Friedrich Leopold von Preußen, der zu dem Feste nach Königsberg gekommen war, vor dem Hause des greisen Gelehrten vor, um ihm seinen Besuch abzustatten. Auch ein Kriegskamerad aus den Kriegen von 1813/15 hatte zu Lebzeiten den alten Herrn ganz besonders ausgezeichnet; es ist kein Geringerer als Kaiser Wilhelm I.

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Rentner August Schmidt in Wolgast, geb. 11. Februar 1795.
Tischlermeister Johann Christian Kaufmann in Rettgenstedt,       Rentner Gottlieb Nölte in Neuholland,
  geb. 4. Januar 1794.   geb. 10. August 1796.
Wirklicher Geheimer Rat Prof. Dr. Franz Neumann       Lieutenant a. D. Johann Leopold von Baehr in Ragnit,
in Königsberg i. P., geb. 11. September 1798.   geb. 6. März 1793.  
Die letzten Kämpfer von 1813/15.

So wäre ich denn zum Abschlusse dieser Lebensbilder gekommen. Ist es nicht wie ein Märchen, wenn man heute, in der Aera fin de siècle, wie sie drüben an der Seine sagen, von Männern liest, lebenden Menschen, die den Kaiser Napoleon bei Tilsit gesehen, die bei Leipzig die Thore gestürmt, bei Waterloo mit der alten Garde gefochten haben? Freilich haben neuere Ereignisse die Erinnerung an jene Zeiten in den Hintergrund gedrängt. Das denkwürdige Jahr 48, der Dänenkrieg von 64, Königgrätz, Metz und Sedan haben das ihrige gethan, um die Alten von 1813/15 in Schatten zu stellen. Und auch nach diesen letztgenannten Ereignissen ist schon wieder ein Viertelhundert an äußeren Begebenheiten verhältnismäßig armer Jahre ins Land gegangen. Es darf leider nicht verhehlt werden, daß in mancher Beziehung heute ein kleinlicherer Geist die Welt durchweht, als jener war, der die Kämpfer von 1813 beseelte. Ein gewisser Mangel an Begeisterungsfähigkeit macht sich in unserer ausgesprochen materiellen Zeitrichtung leider auch bei der Jugend bemerkbar. Gerade die Begeisterungsfähigkeit war die große Tugend jener so anderen Epoche. Der glühende Enthusiasmus auf der einen Seite, die bewunderungswürdige soldatische Hingebung auf der andern, hier Blücher, der 70jährige Heldengreis, und Gneisenau, der Mann des ernsten Rates, der „finstere York“ und der „schneidige Kleist“, wie sie unser schwäbischer Dichter Gerok genannt hat, dort ein Ney, ein Davout und die sphinxartige Cäsarengestalt mit dem marmorkalten Imperatorengesichte – in der That, nur die Makedonier Alexanders oder die Veteranen eines Hannibal und seines römischen Gegners Scipio, nur die Alten von der zehnten Legion des großen Juliers oder die Männer, welche unter Gustav Adolf oder dem schweigsamen Friedländer bei Lützen gefochten, oder jene, die unter dem Alten Fritz im Feuer von Leuthen und Torgau gestanden, können annähernd ähnliche Tage erlebt haben. So wollen wir sie denn hegen und pflegen und ehren, die letzten Braven von 1813, auf daß an dem jüngeren Geschlechte das Wort des Dichters in Erfüllung gehen möge: „Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt.“

*  *  *

Im Augenblick der Drucklegung dieses Artikels erfahren wir, daß sich ein sechster Veteran aus den Freiheitskriegen gefunden habe, Herr Johann Erdmann Traugott Carl, welcher, nach den Angaben von Leipziger Blättern am 16. September 1797 zu Zeulenroda geboren, nunmehr im 98. Lebensjahre stünde. Wir behalten uns vor, das Bild auch dieses Veteranen und nähere Mitteilungen über ihn, soweit solche erhältlich, unseren Lesern in einer der folgenden Nummern der „Gartenlaube“ darzubieten. Die Redaktion.     


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Phänologische Jahreszeiten.

Die Astronomen haben je nach der Stellung der Erde zur Sonne den Anfang und das Ende der vier Jahreszeiten genau bestimmt. Das Wetter richtet sich jedoch durchaus nicht nach diesen Terminen; der Frühling hält nicht seinen Einzug am 21. März und der Sommer kehrt sich nicht an den 22. Juni. Die Meteorologen sind darum schon längst von den astronomischen Jahreszeiten abgewichen, für sie bilden die Monate März, April, Mai den Frühling, Juni, Juli und August den Sommer, während der Herbst sich über September, Oktober und November, der Winter dagegen über Dezember, Januar und Februar erstreckt. Gegenwärtig arbeiten auch die Botaniker daran, die Jahreszeiten nach neuen, für ihre Wissenschaft zweckmäßigen Gesichtspunkten zu bestimmen. Für sie ist der leitende Gedanke die Entwicklung der Pflanzenwelt, das Erscheinen bestimmter Blüten und Fruchte bedeutet für sie den Anfang von Frühling, Sommer und Herbst. Dieses Vorgehen hat gewiß auch eine praktische Bedeutung, denn es ist wohl geeignet, uns tiefere Einblicke in das Klima verschiedener Gebiete Deutschlands zu gewähren, da ja das Gedeihen der Pflanzen vom Klima abhängt. Außerdem befinden sich die Botaniker in voller Uebereinstimmung mit der volkstümlichen Anschauung, die seit jeher nach dem Blühen der Pflanzen und nach dem Reifen der Früchte den Eintritt der Jahreszeiten zu bestimmen pflegte. Diese Jahreszeiten werden phänologische genannt nach dem griechischen Worte Phänologie, womit man denjenigen Zweig der Botanik bezeichnet, der sich mit den Entwicklungsvorgängen in der Pflanze, wie Blattentfaltung, Aufblühen und Fruchtreife, beschäftigt. Dr. Ihne in Friedberg in Hessen, der zu den hervorragendsten Forschern auf diesem Gebiete zählt, hat neuerdings in der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift“ Vorschläge zur Schaffung eines „Pflanzenkalenders“ gemacht, die für jeden, der an der Beobachtung der Natur Freude hat, von größtem Interesse sind.

Als die erste phänologische Jahreszeit wird dort die Zeit des Erwachens des Pflanzenlebens bezeichnet. Es ist auch der Vorfrühling, der dadurch charakteristisch erscheint, daß in ihm nur solche Holzpflanzen aufblühen, deren Blüten sich vor den Blättern entfalten und bei denen zwischen dem Aufblühen und der Belaubung eine Pause liegt. Eine solche Holzpflanze ist unser Haselstrauch. In Gießen, an welchem Orte Prof. Dr. H. Hoffmann in einer langen Reihe von Jahren die umfangreichsten phänologischen Beobachtungen angestellt hat, blüht derselbe im Durchschnitt vieler Jahresbeobachtungen schon im Februar, ihm schließen sich als Vorboten des Frühlings einige Kräuter an wie Schneeglöckchen, Leberblümchen und Frühlingsknotenblume. Nachdem das erwachende Pflanzenleben uns mit diesen ersten Blüten des Jahres beschenkt hat, tritt in seinem Schaffen eine Ruhepause ein, und auf diese folgt die zweite phänologische Jahreszeit, der Erstfrühling. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß in ihr solche Holzpflanzen zur Blüte gelangen, bei denen sich Blüten und erste Blätter gleichzeitig oder fast gleichzeitig entwickeln, zwischen Aufblühen und Belaubung ist keine Pause, die Belaubung der Bäume beginnt. Es handelt sich hier um eine auffallende Periode in der Entwicklung des Pflanzenlebens, die im Volksmunde längst als die Zeit der Baum- oder Obstblüte eine besondere Benennung erhalten hat. In ihr blühen die Süß- und Sauerkirsche, die Schlehe, die Traubenkirsche, der Apfelbaum und der Birnbaum, sowie die Birke, die Rotbuche, die Roßkastanie, die Stieleiche etc. In Gießen beginnt der Erstfrühling durchschnittlich am 22. April erst nach etwa drei Wochen (in Gießen um den 12. Mai) tritt der Vollfrühling ein, der vor allem durch das Blühen des Flieders gekennzeichnet wird. Er beginnt mit dem Aufblühen solcher Pflanzen, deren Blüten sich deutlich nach den ersten Blättern entwickeln, und endet vor dem Aufblühen des Getreides. In ihm wird der Laubwald vollständig grün.

Als vierte phänologische Jahreszeit gilt der Frühsommer, dessen Beginn durch das Aufblühen des Winterroggens verkündet wird. In ihn fällt auch die Weinblüte und er endet vor der Reife des frühen Beerenobstes. Als sein Anfangstermin für Gießen wurde der 3. Juni ermittelt.

Nach fünfwöchiger Dauer weicht er dem Hochsommer, der Jahreszeit, in der die Früchte des Beerenobstes, außer Wein, und die des Getreides reifen und geerntet werden. Unter blühenden Pflanzen verkünden ihn die Blüten der Linde und der weißen Lilie. Er beginnt nach den Gießener Ermittelungen am 11. Juli und behält lange, bis Anfang September, die Herrschaft. Nun beginnen die Früchte der Roßkastanie und des roten Hartriegels zu reifen, wir befinden uns im Frühherbst, in welchem auch die übrigen bis dahin noch unreifen Früchte zur völligen Ausbildung gelangen. Mitte Oktober, in Gießen am 14. Oktober, tritt der Zeitpunkt ein, von dem ab die Pflanze aufhört, Nahrungsstoffe aufzunehmen, sie verarbeitet die bereits gewonnenen Stoffe, um sie während der Winterruhe sicher für den kommenden Frühling aufzuspeichern. Diese ihre Thätigkeit wird durch die allgemeine Laubverfärbung angezeigt, mit ihrem Beginn stehen wir in der siebenten phänologischen Jahreszeit, in dem eigentlichen Herbst. Er währt so lange, bis Fröste und Schneefälle den Eintritt des Winters verkünden.

Auf Grund der bisherigen an verschiedenen Orten angestellten Beobachtungen ist man bereits zu interessanten Aufschlüssen über den Gang der Jahreszeiten in den einzelnen Gebieten von Mitteleuropa gelangt. Sie treten nicht immer zu derselben Zeit ein, es giebt frühe Jahre, in welchen der Vollfrühling um zwei Wochen früher, und späte Jahre, in welchen er bis zwei Wochen später erscheint. In verschiedenen Gebieten bemerkt man ähnliche Unterschiede im Laufe desselben Jahres, in Deutschland haben Orte mit südlicher und westlicher Lage eher Frühling als solche, die mehr nach Norden und Osten gelegen sind. Leider ist die Zahl der Orte, an welchen regelmäßig phänologische Beobachtungen angestellt werden, gering, und es wäre wohl zu wünschen, daß mehr freiwillige Mitarbeiter an diesem Werke teilnähmen. Wer dazu Beruf und Lust verspürt, findet eine genaue „Instruktion für phänologische Beobachtungen“ im XXX. Bande der „Berichte der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde“, sowie in Heft 6, Jahrgang 1894, der Zeitschrift „Das Wetter“.


Loni.

Erzählung von Anton von Perfall.

     (Schluß.)

Vorsichtig öffnete Loni das Fenster. Zwei Hände ergriffen ihre Hand, ein bärtiges Antlitz drückte einen glühenden Kuß darauf. „Da bin i, Loni, da bin i.“

„Still! Nebenan is der Flori!“ Sonst brachte sie nichts hervor.

„Der Flori!“ Der Name wurde in drohendem Tone wiederholt.

Loni rang nach Atem. „I hab’ so Angst gehabt auf di Nacht – er war g’rad auf ’m Hof – da hab’ i ihn bitt’, z’ bleiben.“

„Angst? – wovor? Hast wohl denkt, daß i komm’? Daß i Di hol’?“

Loni unterdrückte mühsam einen Aufschrei.

„Ja, Loni, um’kehrt bin i in Hamburg, ’bal’ i s’Schiff g’sehn hab’! Kunnt’s net mach’n ohn’ Di! Und da bin i. Komm!“

Loni wand sich von ihm los. „I kann net – i darf net!“ keuchte sie. „Hab’ Erbarmen mit mir! I kann net!“ Ihr Haupt sank auf das Fensterbrett.

„Kannst net? Weil’s Dir abg’redt hab’n? Und i komm so weit daher, weil i glaubt hab’ an Dei’ Wort, Dei’ Treu!“

„I kann net! Laß’ mi, um Gotteswill’n, laß’ mi!“

„So kann i aa net anders – so bleib’ i aa! Sollens mi fassen, verurteil’n vor Deine Augen – koan Schritt geh’ i!“

Wilde Entschlossenheit sprach aus diesen Worten.

„Willst des mit anschau’n? Mi im Zuchthaus, der Di so liab hat, den’s do net vergessen kannst? Pack Dei’ Tüachl, Du hast mir’s g’schwor’n, daß D’ mir folgen willst, wohin i aa geh’!“

„I kann net!“ stammelte sie noch einmal.

„Net? Nachher pfüt’ Gott! Mei Weg geht aufs G’richt.“

Er trat zurück – seine Gestalt verschwand schon im Dunkeln.

„Anderl bleib’!“ Loni flüsterte es verzweifelt.

Er trat wieder vor. „I hab’s ja g’wußt, Du kannst net naa sag’n, und wennst das heut’ sag’n thätst, käm’ i morgen wieder – und den andern Tag wieder – ’s muaß sein, Loni, denk’ aa so! Mach’, ’s hat Eil’! Mei Loni! Mei Schatz! Mei All’s auf der Welt!“

Die Bäuerin taumelte zurück in die Kammer, wieder stand ihr Wille im Bann der Leidenschaft. Sie räumte in den Kasten umher, warf Kleider heraus, Wäsche, kramte nach Geld in der Lade – sie wußte zuletzt selbst nicht, was sie in das Bündel gethan, das vor ihr lag.

„’s muaß sein,“ so dachte sie jetzt wirklich.

„Bist Du’s bald?“ rief Anderl drängend.

„Und wenn i morgen fehl’, was wird nachher ’s Marei denk’n?“ Loni stammelte es unter Thränen.

„Hinterlass’ a Brieferl, daß D’ nach Tirol ganga bist, zu Deine Leut’. Das langt für an Vorsprung.“

„Wenn i des der Marei jetzt selb’r saget, daß’s mir auf anmal so komma is – glaubhafter war’s und – und g’rad anmal seh’n möcht’ i’s no, mei Kind.“

Sie schluchzte heftig.

„Wennst meinst, thua’s, aber schnell und vorsichti, besser war’s scho, Du thätst’s net, aber i will Dir g’wiß nix versag’n.“

Loni schlich aus der Kammer in den Stall. Die Tiere schauten sie neugierig an mit ihren großen Augen.

Er war zurückgekehrt, aller Gefahr zum Trotz – er wird wieder kommen und wieder kommen und zuletzt – wird sie doch einwilligen – und wenn nicht, so wandert er ins Zuchthaus! Der [159] ewige Vorwurf dann! Und wie er sie liebt! Es muß sein, es giebt keinen Ausweg! So jagten sich die Gedanken in ihrem Kopf, während sie die Leiter zu Marei hinaufstieg.

Sie lag in tiefem Schlaf und träumte. – Sie tränmte süß. Loni sank vor dem Bett auf die Knie, das Weh der Trennnng übermannte sie. „I kann net!“ Sie küßte ihr Kind.

Marei that, noch im Schlummer, die Arme auseinander und umschlang ihren Hals. „Willy!“

Da brach Loni in lautes Schluchzen aus, Marei erwachte und sagte halbverschlafen: „Mutter, i’s schon Zeit?“

„Net für Di! I wollt’ Dir nur sag’n, daß i fort muaß nach Imst auf einige Tag’ zu meine Verwandten. I hab’ ganz vergess’n gestern, Dir’s z’sag’n. Daß Dir kan Sorg’ machst. I muaß glei fort, daß i no zum Zug z’recht komm’!“ Zögernd setzte sie hinzu: „Und morgen in der Früh’, eh’ Du selber gehst, sagst’s dem Flori und bitt’st ihn, daß er auf dem Hof bleibt, bis Du wieder ham bist.“

Marei war noch im Halbschlaf, das Ueberraschende der Nachricht kam ihr nicht voll zum Bewußtsein. „Aber bald wieder komma, Mutterl! ’s wird ja so schön jetzt bei uns – so schön!“

Loni war es, als müßte sie das Mädchen emporreißen, sich an ihre Brust werfen – doch dann wäre ihr die Trennnng noch schwerer, vielleicht unmöglich gewesen und der Anderl wartete unten.

Sie küßte ihr Kind auf die Stirn. Marei lächelte ihr zu, ohne die Augen zu öffnen. Sie konnte sich wohl von ihrem Traumbild nicht trennen.

„Pfüt’ Gott, Muatterl!“

Loni floh die Leiter hinab.

Inzwischen hatte Anderl entdeckt, daß das Fenster in der Wohnstube beleuchtet war. Wenn der Flori wach war und sie belauschte?

Er schlich herbei und spähte vorsichtig hinein. Der Steinhauer lag in tiefem Schlaf. Auf dem Fensterbrett lag ein brennendes Kerzenlicht, das vom Sturmwind aufgerissene Fenster hatte dasselbe offenbar aus der nebenstehenden Flasche geworfen, dessen Hals als Leuchter gedient hatte. Die Flamme züngelte gegen die weißen Vorhänge, die der Luftzug bewegte. Brannte es noch weiter herab, war ernstliche Gefahr. Alte Kleider hingen dicht am Fenster und auf der Bank darunter lag ein Bündel Flachs.

Anderl betrachtete haßerfüllt den schlafenden Flori. Der war dran schuld, daß er wie ein gehetztes Wild herumirren mußte von nun an. Und jetzt wird der Schuft sich warm betten im Mentnerhof, als der Retter, dem die Besitzerin, das Marei, alles zu danken hat.

Dann beobachtete er aufmerksam das Licht und das Züngeln der Flamme. Das Brett schwärzte sich schon und der Vorhang wehte hin und her und streifte die Flamme.

Er brauchte nur hineinzulangen und das Licht aufzuheben, zu verlöschen. Schon streckte er die Hand danach aus – doch er zog sie wieder zurück.

„Was kümmert’s Di? Hast’s ja net hing’legt. Zu was nimmt man denn an Wächt’r ins Haus, als zum Aufpass’n auf Feuer und Licht?“ Was kümmert ihn noch der Mentnerhof? Mag er niederbrennen, wenn’s sein soll! „Gut’ Nacht, Flori!“ murmelte er triumphierend. Er eilte hinter den Schupfen. Loni mußte jeden Augenblick kommen.

Die Flamme am Fenster reckte sich indes wie ein drohender Finger empor und immer wieder huschte der Vorhang darüber. Seine Blicke hafteten wie gebannt an dem Fenster.

Da knisterte der Kies – Loni kam.

Er umfing sie stürmisch. Sie schluchzte auf. In diesem Augenblick begriff er den Schmerz, den sie litt.

Jetzt trieb sie selber zur Eile. Sie warf keinen Blick mehr zurück auf das Haus. Sie fragte auch nicht, wohin es ging, es war ihr gleichgültig. Nur vorwärts, fort!

Es ging dem Bergwald zu, der Grenze. Anderl wandte sich hin und wieder um, Hagenberg lag in Nacht, nur ein rotes Pünktchen zuckte auf und ab, bald größer, bald kleiner werdend, das Licht im Mentnerhofe.

Loni wandte sich nicht. Der Wind schlug ihr ins Gesicht, aber sie schritt ungestüm vorwärts. Ihr war’s ganz recht, daß es stürmte, die tausend Stimmen, welche die Luft erfüllten, übertönten die in ihrem Innern.

So erreichten sie den Wald. Der Sturm hatte hier keine Macht mehr, nur in den Wipfeln der Bäume rauschte und sauste es. Der rote Punkt war verschwunden, als Anderl ihn zum letztenmal gesehen, war er ihm größer erschienen.

„Jetzt bist mein! Kein Herrgott kann Di mir mehr nehma!“ rief Anderl und umfaßte siegestrunken die neben ihm Schreitende.

Loni schauderte in seinem Arm. „Weiter! Weiter!“ Sie drängte vorwärts, ohne zu denken wohin. Ein freier Schlag öffnete sich vor ihnen, von hier aus bot sich der letzte Blick auf Hagenberg.

Anderl wandte sich zurück. Blitzartig durchfuhr es ihn – dämonische Freude und Schreck zugleich, – der rote Punkt war jetzt eine lodernde Flamme! Ganz Hagenberg stand im Purpurlicht. Die Blütenbäume, die Häuser, der Kirchturm, die schwarze Wolke, welche darüber jagte, trug grellrote Säume. Eine zweite schoß auf, von Funkengarben durchleuchtet. Der Mentnerhof stand in Flammen.

Und der Flori hinter dem Ofen in tiefem Schlummer – ’s Marei! – es durchschauerte ihn. Doch hat er’s gethan? Nur zu! Daß nur die Loni sich nicht umschaut, war jetzt seine Sorge. Schnell hinüber über den Schlag, ins Holz! Er ergriff Lonis Arm und beschleunigte seine Schritte. Schon hatten sie den Rand des Waldes wieder erreicht, da hielt Loni an. Doch er riß sie gewaltsam vorwärts.

Der Sturm wehte schrille Glockentöne herüber. Anderl murmelte einen Fluch in den Bart.

„Horch!“ Loni war nicht mehr weiter zu bringen, „läuten thuan’s!“ Sie befreite sich von seinem Arm und wandte sich um – ein wilder Schrei hallte durch den Forst! Der Mentnerhof stand in hellen Flammen, die Frontseite, der Garten waren grell beleuchtet. Kleine schwarze Schatten huschten davor umher – und in diesem Augenblick stob eine Funkengarbe empor zum Nachthimmel. „Marei! Heiliger Gott, s’ Marei!“

Loni sank in die Knie und faltete die Hände zum Gebet.

„Is ja der Flori da! Was kümmert Di no der Hof?“ drängte Anderl.

Da sprang sie auf. „Der Flori! Heiliger Gott! Er meint ja, ’s Marei is fort!“ Sie schrie krampfhaft auf. „Das is d’ Straf’! Aber i komm’, Marei! I komm’!“ In wilden Sätzen sprang sie über den Schlag bergab, ohne auf Anderl zu achten. Er ihr nach wie ein Raubtier, dem die sichere Beute entgeht. Er erhaschte sie, ergriff sie, sie rang mit ihm.

„Mordbrenner!“ schrie sie ihm zu. Ihre Faust traf ihn zwischen den Augen, er taumelte zurück – sie entwich.

Ohne eines Pfades zu achten, über Wurzelwerk und Gestrüpp, im Straucheln sich aufrichtend, das Haar vom Wind und den Zweigen der Bäume zerzaust, das Gesicht blutig gepeitscht, eilte sie vorwärts, erreichte sie die Freiung.

Jetzt lag das grellbeleuchtete Dorf vor ihr. Die ganze nächtliche Wölbung des Himmels glühte, eine feurige, im Wind auf- und abzuckende Rauchsäule, von Funken durchwirbelt, reckte sich empor. Unausgesetzt wimmerte die Glocke.

Das Herz schmerzte ihr vom ungestümen Lauf, sie ließ sich dadurch nicht aufhalten. Sie überkletterte die Zäune, übersprang die Gräben.

Noch war der Dachstuhl nicht eingestürzt, aber aus den Fensterhöhlen schlug die flammende Lohe. Mit lautem Knall flogen Bretter empor, die glimmenden Schindeln prasselten vom Dach gleich Funkenregen. Jetzt war sie angelangt. Der schwarze Menschenknäuel, der die alte Dorfspritze vor dem Haus umdrängte, stob auseinander vor ihr, als sie, Entsetzen im Blick, mit fliegenden Haaren plötzlich erschien.

„Mei’ Marei! Marei!“ gellte ihr Ruf.

Jetzt erkannte man sie erst.

Durch die weit offen stehende Hausthür blickte sie in ein wallendes Glutmeer.

Da stand der Flori rauchgeschwärzt mit einem Wassereimer.

Loni sprang auf ihn zu. „Wo hast ’s Marei?!“ keuchte sie.

Flori ließ vor Entsetzen den Eimer fallen.

„’s Marei!“ stotterte er. „Aber die is ja fort – gestern – Du selb’r –“

Loni stieß ihn zurück und eilte auf das Haus zu. Doch sie stutzte vor dem Eingang – ihr Kind schlief ja nicht mehr wie früher, sie lief um die Ecke und verschwand in der Stallthür.

Männer waren im Stall daran, zwei sich wie rasend gebärdende, nie gehörte Schreie ausstoßende Pferde von der Kette zu lösen – vergeblich! Die Tiere ließen sich in ihrer Angst nicht mehr zügeln und die angespannte Kette war nicht aus dem Ring zu bringen. Von oben herabdrängender Rauch zwang sie zum Weichen. Sie prallten mit Loni zusammen.

[160] „Zurück, ’s geht nimmer, der Dachstuhl!“ riefen sie ihr zu. Oben dröhnte es schon gegen die Stalldecke von stürzenden Balken.

Sie aber stürmte vorbei, die Leiter hinauf, der Kammer zu. Um sie her prasselte stürzendes Gebälk. Die Pfosten der Thüre glühten wie brennende Fackeln, diese selbst stand offen. Dicker Rauch wälzte sich hervor, von der kühlen Nachtluft zurückgeschlagen, welche durch das geborstene Fenster hereinwehte.

„Marei!“

Keine Antwort! Und sie drang ein. Sie tappte nach dem Lager – leer! Der Schrecken lähmte sie. Schon erfaßte sie Schwindel. Da berührte ihr Fuß etwas Weiches. Sie bückte sich in der raucherfüllten Finsternis nieder – sie berührte mit der Hand ein Gesicht –. Ohnmächtig – tot? Mit der Kraft des Wahnsinns raffte sie den starren Körper der Tochter empor und schleppte sich mit ihm zur Leiter – da krachte und splitterte es über ihr, der Dachstuhl, flammenumloht, neigte sich ächzend.

Sie stürzte mehr herab als sie stieg, den regungslosen Körper in den Armen. Kaum daß ihre Füße die Steinfliesen des Stalles berührten, prasselte der Dachstuhl zusammen. Die massive Stalldecke erzitterte unter dem Getöse. Eine Wolke Asche, von Funken und Flammen durchglüht, wälzte sich ihr aus der Luke nach. Loni fühlte ihre Besinnung schwinden, mit der Kraft der Todesangst strebte sie instinktiv dem Ausgange zu. Doch ehe sie ihn erreicht, brach sie zusammen. Wie aus weiter Ferne drang eine Stimme noch in ihr Ohr – ihr Name. – Dann umfing sie tiefe Ohnmacht.

Hinter Flori, welcher zum Erstaunen der gaffenden Menge die verloren geglaubten Frauen aus dem Stall hervorschleppte, sank das Hofgebäude fast lautlos in sich zusammen. Noch eine lange Feuergarbe erhob sich in das Dunkel der Nacht, dann verhüllte schwarz aufwallender Rauch das Bild der Zerstörung, nur hie und da noch zuckten aus den Trümmern bläuliche Flammen.

Der Mentnerhof war nicht mehr der Schandfleck von Hagenberg. Er war ausgebrannt. – – –

Im Nachbarhaus lagen die beiden bewußtlosen Frauen. Marei schien schon wieder von süßem Schlummer befangen, nur das rauchgeschwärzte Gesicht, die entzündeten Augen erinnerten an das, was geschehen.

Anders Loni! Ein brennendes Holzstück hatte sie getroffen. Ruß und Blut entstellten das schmerzverzogene Antlitz. Das rote Haar war versengt, sein Glanz erloschen. Der verletzte Arm war notdürftig verbunden.

Flori vertrat einstweilen die Stelle des Arztes, bis der Doktor aus dem nächsten größeren Ort würde eingetroffen sein. Er wusch mit seinen knorrigen Steinhauerfingern das Antlitz Lonis und legte den verbrannten Arm, heilkundig wie er war, in ein Wasserbad. Neugierige, die sich hinzudrängten, wurden von ihm energisch abgewiesen. Er hatte sich Respekt verschafft auf der Brandstätt, der Stoanerflori!

Marei bedurfte seiner nicht, nur hie und da warf er einen zufriedenen Blick hinüber oder feuchtete das fieberglühende Gesicht.

„Die wird schon wied’r von selb’r gesund, wenn ihr Doktor kimmt – der Willy! Aber mei’ arme Loni! – Ja, wer weiß, vielleicht is guat so, vielleicht is jetzt ausbrennt word’n die alte böse Wunden, daß endli amal richti heil’n kann –!“

So dachte Flori für sich, ohne einen Blick zu wenden von dem geliebten, jetzt so entstellten Antlitz.

Da erwachte Marei mit einem schweren Seufzer, richtete sich auf und sah geistesabwesend im Zimmer umher. Sie erblickte die Mutter – noch immer schien es nicht zu tagen in ihrem betäubten Kopf. Jetzt zog sie den Atem tief ein – der Brandgeruch, der von den Kleidern ausging, weckte die Erinnerung an die letzten Eindrücke vor ihrer Ohnmacht. Und wieder sah sie nach der Mutter.

Da erhob sie sich jäh von ihrem Lager. „Mutter!“ rief sie und wandte den Blick auf Flori: „Tot?“

„Ah bewahr’! Meinst, ma’ holt Di mitt’n aus’m Brand heraus ohn’ alle Anständ’?“

„Mi hat’s ’rausgeholt aus’m Brand?“ Sie griff sich nach dem Kopf. „Ja, wo san mer dann? Freili, brennt hat’s bei uns! Und die Mutter?“

„Neing’sprungen ins Feuer is Dei’ Mutter, alle Mannsleut’ zum Trotz, und gerettet hat’s Di,“ erklärte Flori.

Da warf sich Marei über den Körper der Ohnmächtigen und rief voll Inbrunst ihren Namen. Mit einem tiefen Stöhnen schlug Loni die Augen auf.

Auf dem Brandplatz draußen verglomm die letzte Glut in schwelendem Qualm, die geschwärzten Mauersteine umspielte bereits die sanfte Röte des aufdämmernden Tages.




7.

Hagenberg prangte wieder in den frischesten Farben. Auf den grünen Fensterläden flammten rote Herzen, die Bilder der Schutzpatrone sahen gesund und rotbackig in die schöne Gotteswelt hinaus. Die schmucken Altane standen in üppigem Blumenflor – der Mentnerhof verunzierte nicht mehr das liebliche Bild.

Die Wiesengründe und Aecker, die zu demselben gehört hatten, waren von den Angrenzern mit Freuden um guten Preis aufgekauft worden. Der Hof selbst blieb unaufgebaut. Marei saß ja seit einem Jahre als die Frau des Willy Kirchberger, der auf seine Eingabe den erledigten Förstersposten in Hagenberg erhalten hatte, im Forsthause. Nur ein üppiger leuchtend grüner Graswuchs, wie er an einst bebauten Stellen zu gedeihen pflegt, kennzeichnete den Platz, wo der Mentnerhof stand. Selbst die Grundmauern waren sorgfältig entfernt, jede Spur der Brandstätte getilgt. Obwohl die Lage des Platzes inmitten des Dorfes an der Hauptstraße ein sehr günstiger war, fand sich bis jetzt niemand, der ihn zu einem Neubau erwerben wollte.

Zwei Jahre waren vergangen seit dem Brande. Es war Gras gewachsen über die Mentnergeschichte, so dicht wie auf dem Platze, wo der Hof einst gestanden. Der Anderl war verschwunden – nach Amerika, wie es hieß, aber das Gericht schien keine großen Anstrengungen aufzuwenden, ihn drüben ausfindig zu machen.

Das wieder zu voller Schönheit erblühte Marei als glückliche Frau des Sohnes vom erschossenen Förster wirkte als wohlthuender versöhnender Ausgleich.

Nur eine Gestalt ließ die Erinnerung an das Geschehene nicht ganz verschwinden – Loni, die jetzt im Forsthause bei den Kirchbergers wohnte.

Ihr rechter Arm blieb steif seit jener Unglücksnacht.

Sie war nicht zu Hause gewesen, als der Brand ausbrach. Wie eine Wahnsinnige kam sie dahergerannt, quer über das Feld. Wo war sie gewesen? Niemand hatte eine Antwort darauf. Warum war gerade diese Nacht der Flori im Hause? Man warf vielsagende Blicke auf sie, man wich ihr aus, der vom Schicksal Gezeichneten. Sie aber erwiderte nicht mehr wie früher solches Gebahren mit trotzigem Stolz, sondern mit einer ergebenen wehmütigen Trauer, welche die Leute hätte rühren müssen, wenn das so leicht gegangen wäre in Hagenberg.

Wer sie aber gar innerhalb der Gartenmauer des Forsthauses sah, der vermochte die Mentnerin kaum wieder zu erkennen. Wie sie mit der Tochter sich in die Pflege der zwei Enkel teilte, welche mit ihrem Jauchzen und Lachen das alte Haus und den Garten füllten – die Liebe und die Zärtlichkeit, die da aus den verrufenen „Hexenaugen“ strahlten! Sie hatte auch allen Grund, glücklich und zufrieden zu sein. Daß das Marei ihr alles von den Augen absah, durfte sie ja erwarten; sie hatte sich ihr als opferfähige Mutter bewährt und in der Brandnacht ihr zum zweiten Male das Leben geschenkt. Aber der junge Förster machte es gerade so. Auch er behandelte sie freundlich und liebevoll. Er schien in ihr nicht mehr die Frau des Mentner, sondern nur noch die Mutter seiner Marei zu sehen.

Dazu kam ein dritter, der Stoanerflori. Der war ihr innigster Vertrauter, der Hausfreund. Jetzt paßten sie aber auch besser zusammen als früher, „er mit san steifen Fnaß und sie mit ihr’m steifen Arm,“ sagten die Boshaften. „Warum heiraten’s eigentli net z’samm, haben’s eh anmal im Sinn g’habt!“

Doch der Stoanerflori hatte diese Hoffnung für immer begraben. Er hielt es für einen Frevel, noch mehr zu verlangen, und wenn einmal doch so ein übermütiger Gedanke in ihm aufstieg, wenn er selbst bisweilen seinen Blick ruhen ließ auf dem gelähmten Arm der Loni und dann unwillkürlich, gleichsam zum ermutigenden Vergleich, seinen Fuß betrachtete, dann schalt er sich tüchtig aus und strafte sich selbst durch einige Tage Fernbleiben vom Försterhaus.

[161]

Der schwarze Mann.
Nach dem Gemälde von L. Blume-Siebert.

[162] Loni aber fühlte aus seiner Resignation sein treues Lieben heraus. Und es war ihr oft, als sollte sie dasselbe aus freien Antrieb mit einem Glücke belohnen, das er nicht mehr zu erhoffen wagte. Aber es durfte nicht sein! Sie hatte genug gelitten von den Streichen, die das unbeständige Herz ihr gespielt – die Gestalt des Anderl stand unerbittlich zwischen ihr und jedem andern Mann.

Sie hatte längst Flori zum Vertrauten der Ereignisse jener Unglücksnacht gemacht. Dagegen hatte dieser ihren Verdacht, daß der Anderl den Brand verursacht habe, längst beseitigt. Er selbst nahm die ganze Schuld des Unglücks öffentlich auf seine Schultern.

Daß sie dem leidenschaftlichen Mann damals so bitter Unrecht gethan, erfüllte sie mit Reue. Ihr Abscheu, der im Augenblick der Trennung so jäh gegen ihn aufgeflammt war, mußte unter diesen Umständen schwinden und es blieb nichts als die Erinnerung an seine heißen Liebesschwüre, an seine alle Gefahr der Entdeckung verachtende Treue, an die Sehnsucht, die ihn zurückgetrieben hatte zu ihr. Wenn sie es auch nicht bereute, ihn verlassen zu haben, ja eine gütige Fügung Gottes darin erblickte, die sie zu ihrem Kinde zurückgeführt hatte, zu diesem Frieden, den sie jetzt genoß, so hatte er doch in ihren Augen ein Anrecht auf ihr Gedenken und es kostete ihr keine Mühe, es ihm zu gewähren. Je mehr aber im Laufe der Zeit ihre einstige Leidenschaft sich verflüchtigte, desto verklärter stand auch sein Bild vor ihrer Seele. Sie formte sich ein Idol daraus, vor dem sie gern verweilte, das zuletzt aber alle Züge der Wirklichkeit verlor. Das war gar nicht mehr der Anderl mit seinen wilden rücksichtslosen Trieben, den sie jetzt im Geiste verfolgte in fernen Ländern, kaum seine Gesichtszüge trug er mehr; ein ernster stattlicher Mann war’s, mit einem traurigen Blick nach ihr, immer nach ihr! Er hat Wohlstand erworben durch seiner Hände Arbeit, ist ein Herr, kein Knecht mehr – und so wird er einst wiederkommen, nach Jahren vielleicht, aber er wird kommen, er muß kommen, wie in jener Nacht, und sie wird sich nicht mehr fürchten vor ihm. –

In der letzten Zeit ging das Gerücht, er sei gesehen worden im Nachbarthal, im Tirolischen, doch niemand wußte die Quelle zu nennen. Sie glaubte es nicht. Würde er sich nicht angemeldet haben bei ihr, wenn er zurück wäre aus der Fremde?

Auch der Förster glaubte anfangs nicht daran; so unvorsichtig war der Anderl nicht.

Da hörte er eines Abends einen Schuß hart an der Grenze. Seit er den Posten seines Vaters innehatte, war kein Wildfrevel mehr in seinem Revier vorgekommen. Jetzt mehrten sich die Anzeichen. Und so unwahrscheinlich es auch war – seit jenem Schuß ward er den Gedanken nicht los: wenn’s der Anderl wäre? Wenn’s ihn hinzöge zum Ort seiner That? Hassen mußte er ihn auch, den Mann des Marei, der eigentlich die Veranlassung war, daß er ein Heimatloser geworden.

Er sprach mit keinem Menschen darüber, auch mit Marei nicht – wozu sie beunruhigen? – –

Die Hirsche schrien im Bergwald. Willy war schon nächtelang aus dem Hause. Er sei einem Kapitalhirsch auf der Spur, hatte er Marei gesagt. Sie kannte seine Jagdleidenschaft, sein langes Wegbleiben fiel ihr daher nicht auf. Gestern abend war dann der Flori gekommen mit guter Nachricht. „Heut’ hat er ’n derwischt! Zwei Schuß, net glei nachanand – das kenn’ i! Verlaß Di drauf, Marei, er hat ihn!“

Daß Willy denselben Abend nicht heimkam, war nichts Absonderliches. Er wird in der Winterstube geblieben sein und das Wild gleich in der Frühe von den Holzknechten herunterschaffen lassen. So hatte er es oft schon gehalten. – Aber jetzt war es schon Mittag und Willy noch immer nicht zu Hause. Marei ward nun doch von Unruhe ergriffen. Alte Erinnerungen aus dem Vaterhaus erwachten in ihr, an die geheimen Gänge des Vaters, an das Schicksal des alten Försters, an Anderl und seine blutige That.

Die Mutter, die ihre Bangigkeit merkte, beruhigte sie. Es werde ja nie mehr gewildert seit jener Zeit, der Willy könne ein Wild angeschossen haben und es nun verfolgen. Doch war ihr selber angst und bange dabei, sie wußte selbst nicht warum.

Da kam der Förster die Dorfstraße herauf. Nun war alles gut. Marei eilte ihm entgegen; es war ihr, als habe sie den geliebten Mann von neuem gewonnen.

„Hast ihn?“ rief sie ihm schon von weitem entgegen.

Keine Antwort! Kein Zeichen! So war er immer, wenn ihm ein Malheur passiert war auf der Jagd.

„Hast ja g’schoss’n gestern abend!“

Er war jetzt bei ihr. So verstimmt war er noch nie heimgekommen.

„Ich hab’ ihn!“ sagte er in einen Tone, der sie erschreckte. „Aber einen andern, als Du glaubst! Den Wilderer, der unser Revier beunruhigt hat seit Wochen. Brauchst nicht zu erschrecken – dank Deinem Herrgott, Marei, daß ich heil wieder da bin! s’ist mir nahe gestanden das Mal.“

Seine Stimme zitterte.

„Und Du hast ’hn abg’liefert ans G’richt? Desweg’n bist so spät komma?“

Eine bange Ahnung erfaßte Marei.

Willy zog seine Frau mit sich fort. „Komm’ mit ins Haus – hier ist kein Platz dafür. – – Ist die Mutter drinnen?“ unterbrach er sich plötzlich und blieb wieder stehen.

„Wohl, s’ is daheim.“

Willy biß sich auf die Unterlippe und rückte den Hut zurecht.

„Es ist anders gegangen –“ raunte er dann leise seiner Frau zu. „Draußen liegt er – das heißt, sie bringen ihn schon –“

Er atmete erleichtert auf.

„Tot?“ fragte Marei.

„Tot! – Schau, daß die Mutter nichts merkt, oder wenigstens, daß sie ihn nicht zu sehen kriegt –“

Marei war jäh erbleicht. Die Vergangenheit war heraufbeschworen. Sie betraten das Försterhaus.

„No, da is er ja!“ rief die Mutter, den kleinen Hansl am Arm, „’s Marei hat weiter ka Angst g’habt! – Hast ihn?“

Er schüttelte den Kopf.

„Aber g’schoss’n hast?“

„Muß denn alleweil getroffen sein?“

Er heuchelte Verdruß, um los zu kommen, und ging rasch auf sein Zimmer. „Komm’ mit!“ flüsterte er seiner Frau zu.

Eine Zeit lang ging er unruhig auf und ab. Marei hielt den Blick ängstlich auf seine Züge gerichtet, ohne ein Wort zu sprechen.

„Es muß sein, es läßt sich nicht verheimlichen,“ begann er plötzlich, „und Dir kann’s ja gleich sein.“ Er faßte ihre Hand. „Der Anderl ist es.“

Marei prallte zurück. „Der Tote?“

Willy nickte stumm. „Es war wie ein Zweikampf, Schuß auf Schuß! Er hat nun seinen Lohn.“

„Aber d’Mutter! Um Gotteswill’n, d’Mutter!“ rief Marei.

„Eben deshalb red’ ich mit Dir. Ich möcht’ es ihr gern ersparen! Ich konnt’ ihn doch nicht liegen lassen draußen wie einen toten Hund und darüber gar in Verdacht kommen. Morgen wird er begraben, die Kommission vom G’richt war schon oben. Halte die Mutter im Haus, laß Dir nichts anmerken! Ich muß gleich wieder fort, das Protokoll darüber wird aufgenommen. Ich werd’ schon dafür sorgen, daß niemand ins Haus kommt und schwätzt. Marei –“ er umfaßte seine Frau innig. „Daß ich nur wieder bei Dir bin! ’s wär’ doch recht hart gewesen!“

„Mein Tod!“ schluchzte sie unter heißen Thränen.

Willy verließ das Haus, eine Begegnung mit Loni sorgfältig vermeidend.

Jetzt galt es für Marei, sich zu fassen. Sehen durfte die Mutter den Toten wenigstens nicht; erfuhr sie später davon, war der Eindruck doch kein so mächtiger. Die Liebe zur Mutter, die Furcht vor dem drohenden Schatten, der sich unheilschwanger wieder heranwälzte gegen ihr Haus, verlieh ihr die Kraft der Verstellung.

Der kleine Hansel war zum guten Glück heute so bös und schreiig, daß die beiden Frauen vollauf beschäftigt waren. Dazu gab’s Regen, man war auf das Haus angewiesen. Marei warf wiederholt verstohlene Blicke zum Fenster hinaus. Es entging ihr eine gewisse Unruhe im Dorf nicht, Gruppen bildeten sich; über den Kirchhof, welchen man vom obern Stock aus überblickte, gingen beständig Leute. Sie wußte wohin – in die Totenkapelle, wo die Leiche des Anderl lag.

Um 6 Uhr läutete es zum Rosenkranz, und alles eilte zur Kirche.

„Heut’ an Rosenkranz? Am Dienstag? Is denn wer g’storb’n?“ fragte Loni. „Da muaß i do aa mal ’nüberschau’n.“

Marei hielt sie mit zu großer Hast davon ab. Da stutzte [163] Loni. Zwar blieb sie daheim, aber es fiel ihr jetzt manches auf, eine gewisse Unruhe an ihrer Tochter – und wo blieb denn der Willy, er war doch kein Wirtshausgänger?

Endlich kam er zum Abendbrot. Er sah schlecht aus und aß nichts. Sie fing vom Hirsch an – was denn mit ihm gewesen sei? Der Flori habe doch schießen gehört. Der Förster erzählte eine verworrene Geschichte, und Blicke wurden gewechselt zwischen den beiden Eheleuten, die ihr auffielen. Flori kam heute auch nicht. Dann drängte Marei mit auffallendem Eifer zum Schlafengehen. Was war nur vorgefallen?

In ihrer Stube allein, überdachte Loni den ganzen Tag. „Weg’n einem g’fehlt’n Hirsch’n bringt ma’ kei solche Unruh’ ins Haus!“

Sie öffnete das Fenster und blickte in die regnerische Nacht hinaus. Es stürmte jetzt, wie damals, als sie ihren Mann zurückerwartete mit Anderl, und dieselbe rätselhafte Angst befiel sie.

Als eine dunkle Masse erhob sich die Kirche. Dicht neben der Kirchhofsmauer, deren Umrisse nur verschwommen sichtbar waren, glühten zwei rote Punkte. Ihr Auge blieb daran haften, sie schienen frei in der Luft zu schweben. Was war das nur? Sie waren ihr sonst nie aufgefallen. Allmählich unterschied sie die Umrisse der Kapelle, die innerhalb der Kirchhofsmauer stand. Die roten Punkte waren die erleuchteten Fenster. Aber in der Kapelle brannte ja nur Licht, wenn ein Toter darin lag. Sie diente als Leichenhaus.

Also lag heute der Tote darin, dem vorhin der „Rosenkranz“ gegolten hatte. Warum hatte nur Marei ihr so abgeraten, dran teilzunehmen? Doch was lag ihr am End’ an einem Toten? Sie hatte ja keine Freunde in Hagenberg. Doch – einen! Den Flori! Wo war der heute geblieben? „Mein Gott – der Flori!“

Die Thränen traten ihr in die Augen, sie empfand einen herben Schmerz. Aber wozu das verheimlichen, sie muß es ja doch erfahren! – – Der Willy war so blaß, so unstet herein gekommen, gerad so wie –. Sie hielt die Hände vor das Antlitz, um das Bild nicht zu schauen, das sich ihr aufdrängte – der Anderl, wie er die Leiter bestieg!

Der Anderl! – Es fröstelte sie – noch einmal sah sie hinüber zu der Kapelle, dann schloß sie leise das Fenster, warf ein Tuch über den Kopf, öffnete vorsichtig die Thüre und schlich barfuß die Stiege hinab.

Der Förster ging noch immer in seinem Zimmer auf und nieder.

Die Hausthüre war offen – es war stockfinster, niemand konnte sie sehen, wie sie die Straße hinauf zum Kirchhof eilte.

Der Sturm trieb sein Spiel auf den Gräbern mit den Messingkreuzen, den klingenden kupfernen Weihbrunnkesseln.

Jetzt stand sie vor der Kapelle. Grauen erfaßte sie, namenlose Angst. Die Thüre war nur angelehnt, sie spähte durch die Spalte. In einer roten Ampel über dem kleinen Altar brannte das Licht. Vor diesem, auf einem bretternen Gerüste, in einem roh gezimmerten Sarge lag eine Leiche. Sie konnte den Kopf nicht sehen, es war ein Mann, unter einem grauen Lodenmantel ragten die Füße hervor.

Sie mußte erst nach Atem ringen, dann schob sie langsam die Thüre und trat ein.

Der Mantel bedeckte auch die untere Hälfte des Gesichtes – Flori war es nicht, das Haar war pechschwarz – rote Reflexe vom Ampellicht spielten darin. Mit einem raschen Griff riß sie den Mantel weg – – – „Anderl!“

Es war ein geller, übermenschlicher Schrei, der sich ihrer Kehle entrang. Ihr Körper geriet ins Wanken.

Da sprang ein Mann herzu, der im Schatten gestanden hatte.

Doch er erhaschte sie nicht mehr, sie fiel vornüber mit dem Kopf auf die Steinfliesen. Es war der Flori, der, einem unabweislichen Drange folgend, zu der Leiche seines einstigen Todfeinds gekommen war und in tiefes Sinnen versunken stand. – –

Der Anderl ruhte schon zwei Tage unter der Erde, als Loni aus ihrer Geistesumnachtung erwachte. Alle ihre Lieben standen um ihr Bett in banger Erwartung, wie sie die unerbittliche Wahrheit aufnehmen werde. So rein von aller Schuld sich auch Willy fühlte – die Umstände hatten ihn im Augenblick der That gar nicht an Rache denken lassen – es war ihm doch zu Mute, als stände er vor seinem Richter. Wenn sie ihn fortan haßte wegen der That? Sollte denn der Mentnerhof ewig fort seine düstern Schatten werfen auf sein Leben?

Loni sah lange im Kreise umher – auf Marei mit dem Kleinen, welcher seine Aermchen ausstreckte nach der Großmutter – ein Lächeln verklärte ihr Antlitz – auf Flori – –

Da knüpfte sichtlich ihr Gedächtnis an und das Lächeln verschwand – Thränen traten in ihre Augen. Dann blieb ihr Blick auf Willy geheftet, sonderbar prüfend. Er schämte sich seiner Bangigkeit – er war ja in seinem Recht – da reichte sie ihm die Hand.

„Red’! Wie war’s?“

Und Willy erzählte, wie er schon lange auf Anderl Verdacht gehabt aus verschiedenen Anzeichen, und wie er sich immer wieder vorgenommen habe, die Rache nicht Herr sein zu lassen über sich, wenn’s so weit käme. Wie sie dann zusammengestoßen seien und ihm die Kugel vom Anderl gleich um die Ohren gepfiffen, wie er dann besser getroffen habe, den Gegner mitten ins Herz. „Habe ich unrecht gethan, so mag unser Herrgott richten. Ich fühle mich rein von aller Schuld!“

„Und Du bist rein von aller Schuld,“ sagte Loni festen Tones. „Das Schicksal hat sich erfüllt. Der Mentnerhof ist verschwund’n, der Anderl ist tot! Warum’s g’rad vor mir still halt?“

Sie stockte.

„Warum? das fragst aa no?“ sprach da der Flori. „Weil – no weil – ja, i kann’s wohl net so sag’n – weil’st halt das G’wisse g’rett’ hast in Dir – Du weißt es schon, was i mein’.“

„D’Liab!“ flüsterte Marei.

Doch Flori machte eine abwehrende Bewegung. „Ach was, d’Liab! Die kann nur Unglück anricht’n –“ Seine Stimme zitterte, er fuhr sich mit dem Aermel über die Augen. „Und do’ – d’Liab, i kann’s net anders nenna.“ Er fiel vor dem Bett auf die Knie und barg sein Haupt schluchzend in die Kissen.

Loni legte ihre Hand auf das Haupt des Weinenden.

*  *  *

Am Farrenbach steht jetzt ein kleines Haus, angebaut an den Kalkofen, der früher zum Mentnerhof gehörte. Hier haust der Stoanerflori und sein Weib, die rote Loni.

Ihrer Natur hatte es nicht auf die Länge genügt, beglückt zu werden, sie wollte selbst noch Glück bereiten und er verdiente es, der Flori, der treue Freund!



Blätter und Blüten.



Das Wißmann-Denkmal in Bagamoyo. (Zu dem Bilde S. 149.) Während sich Major von Wißmann in Italien an der Seite seiner jungen Gattin von der schweren Krankheit erholt, die wir als Nachwirkung seiner in Afrika bestandenen Strapazen und Aufregungen betrachten müssen, erhalten wir aus Bagamoyo die Nachricht von der Enthüllung eines Denknmls, das seinen Namen trägt. Gewidmet ist dasselbe allen Braven, die unter Wißmanns Führung und als Angehörige seiner Truppe im Dienste des Reichs ums Leben gekommen sind.

Vom Regierungsbaumeister Klingholz in Gestalt eines Obelisken entworfen, ist das Denkmal vom Ingenieur Friedrich in Sandstein ausgeführt und auf der Straße nach dem alten Fort von Bagamoyo errichtet worden. Die auf den vier Seiten des Obelisken in der Mitte angebrachten Votivtafeln sind in Berlin aus Bronze hergestellt worden; sie verzeichnen in erhabener Schrift die Daten der unter Wißmann stattgehabten Gefechte und die Namen der dabei Gefallenen oder in der Folge Gestorbenen.

Seine Weihe erhielt das Denkmal am 21. Dezember vor. Jahres. Der Feier wohnten Gouverneur von Schele, die Mehrzabl der Offiziere und Beamten von Deutsch-Ostafrika und andere Herren aus Dar-es-Salaam und Sansibar bei. Sie begann nachmittags 5 Uhr und wurde durch eine Rede des Gouverneurs eröffnet, welche im besonderen auf die Verdienste von Peters und Wißmann um die kolonialen Errungenschaften des Deutschen Reichs näher einging und mit einem Hoch auf den Kaiser schloß. Die zu beiden Seiten des Denkwals aufgefahrenen Geschütze gaben 21 Schüsse ab und die mit dem Rücken gegen das Meer aufgestellte Ehrenkompagnie präsentierte. Sehr ansprechend wirkten die folgenden Gesangsvorträge der Zöglinge der katholischen Mission von Bagamoyo. Man sang dreistimmig mit Harmoniumbegleitung „Heil dir im Siegerkranz“, „Hinaus in die Ferne“ und „Ich hab’ mich ergeben“. Die deutliche Aussprache sowohl als auch der gute Zusammenklang, schreibt unser Gewährsmann, überstieg alle Erwartungen, die an Schwarze gestellt werden können. Des [164] Abends fand im Hotel Weinberger ein Festessen statt, an dem auch der Wali von Dar-es-Salaam und Bagamoyo, sowie der angesehenste Inder und Beludsche am Ort teilnahmen. Der Toast des Gouverneurs galt Wißmann. Von der Bevölkerung wurde währenddessen überall Goma geschlagen und das Getrommle, Gesinge und Getanze dauerte bis zum frühen Morgen.


Tombola auf dem Markusplatz in Venedig. (Zu dem Bilde S. 153.) Dem Italiener ist das öffentliche Lottospiel etwas, das zu seinem Leben unbedingt gehört, ein nationales Vergnügen, an welchem er so fest hängt, daß er in die höchste Aufregung gerät, falls im Parteienstreit nur ein Wort davon auftaucht, dies vom Staate unterhaltene Glücksspiel aufzuheben. Ein Rütteln an dem Bestande der Lotterie würde in Italien sicher zur Revolution führen. In der Lotterie spielen hier alle Kreise der Bevölkerung vom Herzog bis zum Bettler. Jedes Dörfchen, jedes Städtchen hat seine Banca di Lotto, in welche das Volk seine oft vom Munde abgesparten Centesimi trägt, um die Woche hindurch bis zum Samstag, dem Ziehungstage, die Hoffnung zu haben, vielleicht mit einem Gewinne herauszukommen. Ohne Zweifel hat dieser Hang zum Glücksspiel seine sehr bedenklichen Seiten, und die wirtschaftlichen Verhältnisse Italiens wären ohne dasselbe gewiß bessere; es ist aber dem Italiener, besonders dem Mann und der Frau aus dem Volke, so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß kein Fest in Italien gefeiert werden kann ohne Tombola, ohne Geldlotterie. Die Tombola, ein Lottospiel, das in seinem Verlauf dem bei uns allbekannten Kinderlotto sehr ähnelt, giebt einem Volksfest in den Augen der Italiener erst seine rechte Würze, und das Abhalten einer Tombola auf öffentlichem Platz wird selber wieder zum Volksfest. Ein guter Zweck findet sich auch hier leicht für dergleichen.

Unser Bild versetzt uns auf den Markusplatz von Venedig während des Abhaltens einer Tombola. Eine herrlichere Dekoration für diese volkstümliche Veranstaltung läßt sich nicht denken als der mächtige Platz vor der in Gold- und Farbenschmelz prangenden Markuskirche, den die prächtigen Fronten der Procurazien und der Nuova Fabbrica umrahmen, und auf dessen riesigen glatten Trachytquadern es sich schöner lustwandelt als auf irgend einem Parkett. Von alters her thut er dem venetianischen Volk denn auch die Dienste eines Festsaals; hier ist sein „Corso“, hier das Stelldichein der Fremden vor allem des Abends, wenn eine verschwenderische Fülle von Gasflammen ihr Licht über ihn breitet und der klare Sternenhimmel sich wölbt über das festlich gestimmte Bild des – oft bei Musik – auf- und niederwogenden Getümmels. Die Kaffeerestaurants in den Arkaden, die ihre Stühle und Tische bis hinaus auf den Platz stellen dürfen, bieten den Ermüdenden Rast und Erquickung. Längst vor Beginn einer „Tombola“, die stets abends stattfindet, hat sich das Publikum mit Losen versehen, welche an eigens dafür errichteten Verkaufsständen zu haben sind. Ein einfaches Los, das selten mehr als 50 Centesimi (40 Pfennig), oft weniger kostet, enthält zehn Ziffern in zwei Reihen; es wird von großen Bogen abgeschnitten, die man auch im ganzen und in größeren Teilstücken erwerben kann. Auch der Pavillon, in dem die Ziehung stattfindet, ist aufgestellt worden, beim Herannahen des Abends ist derselbe bald dicht umdrängt. Doch ein über den Platz zu ihm hinführender Gang muß für den Verkehr mit den Gewinnern frei bleiben. Trompetenfanfaren verkünden den Anfang der Ziehung. Oberhalb des hell erleuchteten Pavillons ist eine Vorrichtung angebracht, welche die gezogene Zahl weithin sichtbar aufzeigt. Wohl verkündet sie auch ein Ausrufer, aber die Stimme trägt nicht über die tausendköpfige Menge, die sich durch die herrschende Spannung nicht hindern läßt, sich zu amüsieren. Und damit auch alle Anwesenden auf der Piazza die Zahl sofort erfahren, ist dem Pavillon gegenüber, nach der Markuskirche zu, ein viereckiges, etwa 10 Meter hohes Holzgerüst aufgestellt, auf dessen vier Wänden die gezogene Zahl, sobald sie über dem Pavillon erscheint, ebenfalls in großen Lettern sichtbar wird. Die Zahl geht aber auch von Mund zu Munde und wenn – wie in unserem Fall es die 57 bewirkt – ihr Erscheinen die Meldung eines Gewinns herbeiführt, entsteht eine allgemeine Bewegung. Der Gewinner meldet sich unter dem Beifall seiner Umgebung, er besteigt einen Stuhl und begleitet sein lautes Rufen mit heftigen Armbewegungen; fällt die Gunst Fortunens, wie auf unserm Bild, einer Dame zu, so kann sie sicher auf ritterliche Unterstützung zählen. Ein bengalisches Flammensignal zeigt dem Publikum weithin das Ereignis an. Mit Zurufen aller Art begleitet man den Gang des Glücklichen zur Kasse; aber stellt sich dann heraus, daß er sich geirrt und das Spiel unnötig aufgehalten hat, muß er unter Zischen und Pfeifen seinen schleunigen Rückzug antreten.

Es wird eine Quaterne, eine Quinterne und die „Tombola“ ausgespielt, d. h. wer zuerst von den fünf Zahlen einer Reihe vier hat streichen können, bei wem zuerst sämtliche Zahlen einer Reihe heraus sind, und schließlich derjenige, auf dessen Los alle Nummern beider Reihen gezogen sind, erhält einen der drei Preise; 300, 400 und 1000 Lire sind für dieselben ein vielfach üblicher Satz. Das Ausspielen derselben nimmt oft mehrere Stunden in Anspruch. Je weiter die Zeit vorrückt, je mehr sich die Spannung auf den Hauptgewinn hinausdehnt, um so lebhafter, erregter wird die Stimmung. Ueberall lärmt es fröhlich durcheinander. Durch die erwartungsvolle Menge schieben sich Händler und bieten ihre Waren feil, Kellner winden sich mit ihren Brettern voll Kaffeeschalen, Bierkelchen und Eisgläsern durch die Tischreihen, Blumenmädchen und kleine Buben drängen sich an die Fremden auf der Jagd nach dem „Soldo“, an den Tischen selbst amüsieren sich schöne Damen und modisch gekleidete Herren – das ist ein Bild so echt italienischen Lebens, daß niemand es vergißt, der es jemals gesehen hat!


Die „Gesellschaft der Waisenfreunde“, über deren segenbringende Wirksamkeit die „Gartenlaube“ schon wiederholt berichten konnte, giebt auch in ihrem neuesten Jahresbericht erfreuliche Auskunft über das Gedeihen ihrer Bestrebungen. Die schöne Aufgabe, die sie sich gestellt, für versorgungsbedürftige Waisenkinder liebevolle Aufnahme in Familien an Kindesstatt, für Ehepaare, die des Kindersegens entbehren, aber beglückenden Ersatz zu vermitteln, hat auch im letzten Jahre in einer Reihe von Fällen durchaus befriedigende Verwirklichung gefunden. Zwei von den neu versorgten Kindern wurden noch in der Woche vor Weihnachten, „gleichsam als Christkindchens Gabe und selbst als Christkindchen“, ihrem neuen Heim übergeben. Eins davon, ein Mädchen, kam in eine Familie, die bereits vor 31/2 Jahren einen kleinen Knaben angenommen hatte, der so gediehen war, daß bei den Eitern der Wunsch nach einem Töchterchen rege wurde. Die betreffende Famlie ist die dritte, die ein zweites, bzw. ein drittes Kind annahm, während zwei Familien in früherer Zeit bereits Geschwisterpärchen angenommen hatten. Der Geschäftsführer des Vereins, Herr Schuldirektor Mehner in Burgstädt, läßt es sich angelegen sein, sowohl durch die mit den Adoptiveltern geführte Korrespondenz als durch persönlichen Besuch, mit den versorgten Kindern immer in Fühlung zu bleiben. Er weiß im einzelnen von geradezu wunderbaren Erfolgen zu berichten, welche die Verpflanzung aus Elend und Elternlosigkeit in ein von Elternliebe umhegtes Heim in Bezug auf die körperliche und geistige Fortentwicklung der Kleinen auch neuerdings wieder zur Folge gehabt hat. Wir können daher nicht dringend genug allen, die von unversorgten Waisenkindern erfahren, den Verein und seine Bestrebungen empfehlen; zu unserem Erstaunen hebt der neue Jahresbericht hervor, daß dem Verein und seinem Geschäftsführer verhältnismäßig nur wenig Anmeldungen und Mitteilungen über versorgungsbedürftige Waisenkinder zugehen. Die Thätigkeit der „Gesellschaft der Waisenfreunde“, deren Vorsitzender, Dr. Philipp Fiedler, in Leipzig wohnt, erstreckt sich über ganz Deutschland.


Turnlehrerinnen-Prüfung in Breslau. In Ergänzung der Ausführungen von Frau Loeper-Housselle in dem Aufsatz „Die Lehrerin in Deutschland“ („Vor der Berufswahl“) in Nr. 4 des laufenden Jahrgangs wird uns aus Breslau von Hedwig Knittel, der Vorsteherin der B. Lindnerschen höheren Mädchenschule, zu welcher ein Lehrerinnenseminar gehört, mitgeteilt: „Seit 1889 besteht auch in Breslau eine Prüfungskommission für Turnlehrerinnen, welche in dem genannten Jahre im Oktober zusammentrat, seit 1890 jedoch im Frühjahre ihre Prüfung abhält. Die Unterzeichnete wurde von dem Vorsitzeudeu der Kommission, Herrn Geheimrat Eismann, zur Gründung eines Turnkursus, in welchem Turnlehrerinnen praktisch und theoretisch ausgebildet werden, veranlaßt. Ungefähr 130 staatlich geprüfte Turnlehrerinnen sind bisher aus dieser Anstalt hervorgegangen. Der Kursus beginnt gewöhnlich im November und endet nach der Prüfung. In diesem Jahre findet die Prüfung Ende März statt.“

Der schwarze Mann. (Zu dem Bilde S. 161.) Ein jeder Stand hat seine Plage; doch kaum bei einem andern ist die Mühsal des Berufs mit einem Martyrium so tragikomischer Art verknüpft wie bei dem Schornsteinfeger. Es sind meist gar gutmütige treuherzige Leute, die der Reinhaltung unserer Kamine sich widmen; aber das Herz mag noch so bieder hinter dem schwarzen Hemd schlagen und die Augen mögen noch so freundlich aus dem berußten Antlitz hervorblicken, für die Mehrzahl der Kleinen im ersten Alter ist ihr Anblick ein Gegenstand des Schreckens. Verbündet sich ja gar zu leicht die Thorheit und Bequemlichkeit der Mägde mit der Neigung der Kinder zur Furcht; halten es ja nicht selten auch Mütter für angebracht, mit der Furcht vor dem „schwarzen Mann“ das kleine Volk, wenn es nicht folgen will, zur Ruhe zu bringen. Vernünftiger Muttersinn aber weiß es besser. Ein gesundes Herz, wie es die junge Bauernfrau auf unserem Bilde hat, fühlt’s ohne Nachdenken heraus, daß aus einem furchtsamen Buben später nur schwer ein ordentlicher Mann wird. Gerade die Anwesenheit des „schwarzen Mannes“ benutzt sie, um ihrem geängsteten Stammhalter die dumme Furcht abzugewöhnen. Noch sträubt er sich, aber bald wird er erkennen, daß der Gefürchtete trotz seiner Schwärze ein ganz lieber Mann ist, und ihm die Hand reichen. Die kleine Schwester ist ihm schon auf halbem Wege mit gutem Beispiel vorangegangen. Das ist der Trost des Schornsteinfegers – schließlich wirkt er denn doch als Erzieher zum Mutigsein!


Kleiner Briefkasten.

(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

Fräulein E. R. in Dresden. Gerade für Gesuche dieser Art ist vor einigen Monaten die besondere Abteilung „Kleiner Vermittler“ im Anzeigenteile der „Gartenlaube“ eingerichtet worden. Allen denen, die eine Stelle als Stütze der Hausfrau, Bonne, Gouvernante, Lehrer, Erzieher etc. suchen, welche Schulen, Pensionen und andere Unterkunftsgelegenheiten von bestimmter Art nachgewiesen haben oder anzeigen möchten, gewährt die neue Einrichtung eine beträchtliche Ermäßigung der Anzeigengebühren. Anderseits setzt der „Kleine Vermittler“ unsere Leser in die Lage, alle derartigen Anzeigen an einem bestimmten Platze in übersichtlicher Anordnung finden zu können. Er bewährt sich schon jetzt als ein vielbenutztes und allgemein beachtetes Centralorgan für Angebot und Nachfrage auf diesen Gebieten. – Anzeigen für diesen „Kleinen Vermittler“ sind nicht an die Redaktion oder Verlagshandlung der „Gartenlaube“, sondern an Herrn Rudolf Mosse in Berlin und an dessen in zahlreichen größeren Städten bestehende Agenturen zu senden.

P. S. 19 in Prag. Wir bitten um Angabe Ihrer vollständigen Adresse.

Musiklehrer in Graz. Ein für Ihre Zwecke gut geeignetes und durch die eben erschienene vierte Aufläge auf den neuesten Stand der Dinge gebrachtes musikalisches Nachschlagewerk ist Riemanns Musiklexikon (Leipzig, Max Hesse). Wir haben bei vielfacher Benutzung des Buches den Eindruck gewonnen, daß es zuverlässig und – an gerechten Anforderungen gemessen – auch vollständig ist.


Inhalt: Echt. Erzählung von R. Artaria (2. Fortsetzung). S. 149. – Die Einweihung des Wißmann-Denkmals in Bagamoyo. Bild. S. 149. – Die Tombola auf dem Markusplatze in Venedig. Bild. S. 153. – Vater Schmidt in Wolgast und seine Kameraden. Die letzten Kämpfer von 1813/15. Von Paul Holzhausen-Bonn S. 154. Mit den Bildnissen S. 157. – Phänologische Jahreszeiten. S. 158. – Loni. Erzählung von Anton von Perfall (Schluß). S. 158. – Der schwarze Mann. Bild. S. 161. – Blätter und Blüten: Das Wißmann-Denkmal in Bagamoyo. S. 163. (Zu dem Bilde S. 149.) – Tombola auf dem Markusplatz in Venedig. S. 164. (Zu dem Bilde S. 153.) – Die „Gesellschaft der Waisenfreunde“. S. 164. – Turnlehrerinnen–Prüfung in Breslau. S. 164. – Der schwarze Mann. S. 164. (Zu dem Bilde S. 161 ) – Kleiner Briefkasten. S. 164.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.