Vor der Berufswahl/Die Lehrerin in Deutschland

Textdaten
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Autor: Marie Loeper-Housselle
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Titel: Die Lehrerin in Deutschland
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 58–59
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Vor der Berufswahl.

Warnungen und Ratschläge für unsere Großen.
Die Lehrerin in Deutschland.

Heute noch über die Notwendigkeit der Anteilnahme der Frau an der Erziehung des weiblichen Geschlechts des Längeren und Breiteren zu schreiben, wäre ein unnützes Bemühen. Diese Notwendigkeit ist nicht nur von unseren ersten Pädagogen, sondern auch von den betreffenden Behörden wie von Laien im allgemeinen anerkannt worden. Nur Vorurteil oder Unkenntnis können sie noch bestreiten. Ihre Anerkennung hat denn auch die Zahl der Lehrerinnen in den letzten Jahrzehnten außerordentlich vermehrt.

Aus allen Gesellschaftsklassen wenden die jungen Mädchen sich dem Lehrberufe zu. Ist doch nach der Anschauung der Menge der Erwerb als Lehrerin der „anständigste“ – als ob nicht jeder Erwerb durch redliche Arbeit anständig wäre! – Dann bietet der Lehrberuf verhältnismäßig früh eine wenn auch oft recht kärgliche, so doch geregelte Einnahme und, freilich nur für die Lehrerinnen an öffentlichen Schulen, in den meisten deutschen Staaten sichere Bürgschaft für eine Altersversorgung. Diese Anschauung und der Ausblick auf die beiden Vorteile sind in den meisten Fällen ausschlaggebend bei der Wahl des Lehrberufes für die Tochter.

Die Folge davon ist, daß eine Menge ganz ungeeigneter Elemente in den Lehrerinnenstand gekommen ist und alljährlich kommt, deren Persönlichkeit so wenig wie ihre Leistungen den Anforderungen, die der Lehrberuf an seine Vertreter stellt, entsprechen. Diese Erscheinung kommt wohl auch in anderen Berufszweigen vor. Dabei aber dürfen wir uns nicht beruhigen. Denn die Ausübung des Lehrerinnenberufs ist zu wichtig für das Gesamtwohl der Gesellschaft: so lange unsere Töchter aller Gesellschaftsklassen nicht von tüchtigen Lehrerinnen zu ihrem natürlichen Beruf als Mutter und Hausfrau herangebildet werden – so lange ist nicht an eine Besserung vieler, lebhaft beklagter Uebelstände unserer Gesellschaft zu denken. Es sollte daher bei der Aufnahme in die Lehrerinnenbildungsanstalten, bei der Zulassung zu den Prüfungen und bei der Anstellung der Lehrerinnen durchaus eine gewissenhaftere Auswahl getroffen werden, als es bisher der Fall gewesen ist.

In erster Reihe aber sollen die Eltern ihre Töchter so wenig in den Lehrberuf hineinzwingen, als diese ihn ohne innere Neigung und ohne ganz entschiedene Begabung ergreifen sollten. Das Amt einer Lehrerin ist nicht und darf nicht eine Sinekure sein, in der man, ehe die Hoffnung auf Besseres sich erfüllt, die Zeit hinbringt mit dem Abmachen seiner wöchentlichen Pflichtstunden – sondern das Amt einer Lehrerin ist ein so hochwichtiges, daß nur gerade die Besten zur Ausübung desselben gut genug sind. Es erfordert einen ganzen Menschen mit frischer Lebenskraft, mit warmer Begeisterung und voller Hingabe an die ihm gestellte Aufgabe. Wer das Amt und dessen Aufgaben nicht so auffaßt, der soll davonbleiben, und wenn die geistige Begabung ihm auch noch so glänzende Examina verbürgt. Das Wissen allein macht es hier nicht, sondern vor allem das Können, die Kunst. Zur erfolgreichen Ausübung der Erziehungskunst aber gehört nebst dem Lehrtalent und der warmen Liebe für die anvertrauten jungen Seelen vor allem ein gesunder, widerstandsfähiger Körper. Die gewissenhaften Lehrerinnen wissen selbst am besten, wie empfindlich oft die Ausübung ihrer Pflichten durch eine schwache Gesundheit geschädigt wird. Nervenschwäche, Blutarmut, Bleichsucht, diese schlimmen Feinde alles guten Wollens und Könnens, stellen die Erfolge einer oft noch so treuen Arbeit in Frage, machen letztere wohl gar ganz erfolglos. Und welch’ ein Los wartet einer Lehrerin, wenn sie infolge von Kränklichkeit dienstunfähig geworden und wie leider noch immer die meisten in Deutschland wirkenden Lehrerinnen nicht pensionsberechtigt ist!

Die Wahl des Lehrberufs ohne Rücksicht auf die wirkliche und wahrhafte Befähigung zu demselben hat aber nicht nur ungeeignete Elemente in den Lehrerinnenstand geführt, sondern die Zahl der Lehrerinnen zu einer Höhe gesteigert, die mit der gegenwärtig möglichen Verwendung derselben in argem Mißverhältnis steht und die Aussicht auf Anstellung oder eine hinreichend gesicherte Einnahme zu einer sehr ungünstigen macht.

[59] Nach den neuesten Erfahrungen sind wir zu der sicheren Hoffnung berechtigt, daß in Zukunft – wenn auch noch in etwas ferner – die Stellung der Lehrerinnen eine bessere, ihre Verwendung eine allgemeinere werden wird. Demgemäß wird auch ihr Bildungsgang ein anderer werden müssen, denn der bisherige entspricht nicht den gesteigerten Anforderungen an ihr Wissen und Können. Auf Grund der bisherigen Bestimmungen können die Lehrerinnen sich das Zeugnis der Befähigung a!s Volksschullehrerin, als Lehrerin an den Mittel- und höheren Mädchenschulen und das Schulvorsteherinnen-Zeugnis erwerben, das in Verbindung mit dem vorhergenannten zur Leitung einer Volks- oder Mädchen-Mittelschule berechtigt. Nach den neuesten Bestimmungen in Preußen ist die Leitung einer höheren Mädchenschule auch Lehrerinnen unter Voraussetzung des Nachweises der wissenschaftlichen Prüfung gewährleistet, wie die wissenschaftliche Prüfung auch zur Anstellung als Oberlehrerin und somit zum wissenschaftlichen Unterricht in den oberen Klassen der höheren Mädchenschulen berechtigt.

Die einzelnen Unterrichtsfächer, für welche Befähigungszeugnisse erworben werden können, sind die fremden Sprachen, Handarbeit, Zeichnen und Turnen. Der Bedarf an Turnlehrerinnen wird in Zukunft jedenfalls bedeutend zunehmen, da die Forderung, daß die Mädchen von Lehrerinnen im Turnen unterrichtet werden sollen, mehr und mehr von den Behörden als durchaus berechtigt anerkannt wird. Prüfungen für Turnlehrerinnen finden für Preußen in Berlin in der Turnlehrer-Bildungsanstalt und in Bonn vor einer Prüfungskommission statt. Zugelassen werden Bewerberinnen, die bereits die Befähigung zur Erteilung von Schulunterricht vorschriftsmäßig nachgewiesen haben, wie auch solche, die eine gute Schulbildung nachweisen und das 19. Lebensjahr überschritten haben. Kurse zur Ausbildung von Turnlehrerinnen werden in Berlin in der Kgl. Turnlehrer-Bildungsanstalt und von Frau Heßling, Möckernstr. 135, in Königsberg i. Pr. von Fr. Dr. Stobbe und in Wolfenbüttel in Frl. Vorwerks Schule abgehalten.

Die Ausbildung der Lehrerinnen Deutschlands findet in staatlichen, städtischen und Privatanstalten statt; von ersteren bestehen in Preußen 9 neben 106 Lehrerseminaren, in den Reichslanden und in Bayern je 3, in Sachsen und Württemberg je 2. Die Lehrerinnen der andern Länder holen sich ihre Bildung in städtischen und Privatseminaren in zwei- bis dreijährigem Kursus. Die Verwendung von Lehrerinnen hat bei der wachsenden Anerkennung des Princips von seiten der Schulverwaltungen ganz bedeutend zugenommen. Es wirken ungefähr 80 000 Lehrerinnen in Deutschland, von denen etwa 17 000 an Volksschulen und etwa 6000 an mittleren und höheren öffentlichen Mädchenschulen, etwa 55 000 an Privatschulen und als Erzieherinnen beschäftigt sind. Oberlehrerinnen giebt es zur Zeit nicht – einige Lehrerinnen sind auf Grund ihrer außerordentlichen Verdienste mit dem Titel „Frau Oberlehrerin“ belehnt worden. Mit den Bestimmungen vom 31. Mai v. J. über das Mädchenschulwesen etc. hat der preußische Unterrichtsminister auch eine „Ordnung der wissenschaftlichen Prüfung der Lehrerinnen“ erlassen, welche, wie es in den Bestimmungen, heißt, „ihr Ziel, den öffentlichen höheren Mädchenschulen wissenschaftlich durchgebildete weibliche Lehrkräfte zuzuführen, noch besser erreichen wird, wenn gleichzeitig im Besoldungsetat dieser Schulen einige Stellen als Oberlehrerinnenstellen bezeichnet und nur mit Lehrerinnen besetzt werden, welche ihre Befähigung durch Ablegung der wissenschaftlichen Prüfung nachgewiesen haben.“

Diejenigen Anstalten, die den Lehrerinnen die wissenschaftliche Bildung vermitteln sollen, müssen erst noch geschaffen werden und werden voraussichtlich nicht lange auf sich warten lassen. Die Veranstaltungen, die zum Teil von den Lehrerinnen selbst, zum Teil auf deren Wunsch getroffen worden sind, um die Lücken der Seminarbildung auszufüllen, wie z. B. die Fortbildungskurse am Viktoria-Lyceum in Berlin und an der Universität in Göttingen können nicht ausreichen, wenn Oberlehrerinnen in genügender Anzahl ausgebildet werden sollen. Zudem ist es doch wohl Sache des Staates, für die Ausbildung von Lehrerinnen zu sorgen.

Was nun die definitive Anstellung an den öffentlichen Schulen anbetrifft, so gelangen die Lehrerinnen in Preußen am ehesten und leichtesten zu derselben, indem sie nur eine Prüfung und eine zweijährige Dienstzeit zurückgelegt haben müssen. In den meisten anderen Staaten ist die definitive Anstellung entweder von einer zweiten Prüfung abhängig oder erst nach drei- bis fünfjähriger Dienstzeit möglich.

Wohl ist mit der zahlreicheren Verwendung der Lehrerinnen das Gehalt derselben gestiegen; es bleibt aber auch in dieser Beziehung noch viel zu wünschen übrig. Das Höchstgehalt wird in Sachsen gezahlt und beträgt für die Lehrerinnen an der höheren Mädchenschule in Leipzig 2700 Mark, wie denn Sachsen auch der einzige Staat in Deutschland ist, in dem die Lehrerinnen mit den Lehrern im Gehalt gleichgestellt sind. In Württemberg wird außer dem baren Gehalt, der deshalb verhältnismäßig niedrig erscheint, meist freie Wohnung und Heizung gewährt. Dies ist zu berücksichtigen, wenn wir feststellen, daß das Mindestgehalt der Volksschullehrerinnen zwischen 600 Mark (Württemberg) und 1600 Mark (Dresden) schwankt, das für Lehrerinnen an höheren Schulen zwischen 1050 (Halle), und 1600 (Ber(in), das Höchstgehalt der Volksschullehrerinnen dagegen zwischen 900 Mark bei freier Wohnung (Stuttgart) und 2600 Mark (Frankfurt a/M.), das der Lehrerinnen für höhere Mädchenschulen zwischen 1800 (Halle) und 2700 (Leipzig und Hamburg).

In allen Staaten Deutschlands mit einer einzigen Ausnahme sind die an öffentlichen Schulen definitiv angestellten Lehrerinnen pensionsberechtigt. In Preußen und in den Reichslanden hebt die Verheiratung der Lehrerinnen nicht wie in den anderen Staaten die Pensionsansprüche auf. Die Termine der Pensionsberechtigung wie die Höhe der Pension sind je nach dem Gehalt verschieden in den verschiedenen Ländern. Im allgemeinen tritt die Pensionsberechtigung bei Dienstunfähigkeit nach dem zehnten Dienstjahr ein. Das 65. Lebensjahr ist der Pensionstermin bei körperlicher Rüstigkeit. In Württemberg haben die Lehrerinnen zwar keinen Anspruch auf Pension, bei Dienstunfähigkeit aber haben sie, ledigen Standes und unbescholtenen Rufes, die Bewilligung eines jährlichen „Gratials“ aus der Staatskasse zu gewärtigen.

Die große Zahl der an Privatschulen und als Erzieherinnen beschäftigten Lehrerinnen muß für ihre Altersrente selbst sorgen. Gelegenheit dazu bietet ihnen die unter dem Protektorate der Kaiserin Friedrich stehende Allgemeine deutsche Pensionsanstalt für Lehrerinnen und Erzieherinnen, die ihre Centralleitung in Berlin (W. Behrenstr. 72) hat. Die Anstalt beruht auf den solidesten Grundlagen und bietet sichere Bürgschaft. Sie hat außerdem einen Hilfsfonds, aus dem in Krankheitsfällen die Beiträge der Mitglieder und auch direkte Unterstützungen gezahlt werden. – Außerdem bestehen einzelne Stiftungen zu gunsten dienstunfähiger Lehrerinnen, und endlich sind aus den Kreisen der Lehrerinnen selbst in allen Teilen Deutschlands Unterstützungskassen gegründet, die entweder Pensionen oder in Krankheitsfällen Unterstützung gewähren, von denen besonders die ganz Deutschland umfassende Allgemeine deutsche Krankenkasse für Lehrerinnen und Erzieherinnen zu nennen ist, die in Frankfurt a. M. ihren Sitz hat. In Württemberg erstand im vorigen Jahre ein „Lehrerinnenheim“ für erholungsbedürftige Lehrerinnen in Friedrichshafen am Bodensee.

Mit der wachsenden Anerkennung der Lehrerinnen, die sich vor allem in der vermehrenden Verwendung derselben kund giebt, ist ihr Standesbewußtsein beträchtlich gewachsen. Dieses Wachstum hat wiederum den Gemeinsinn unter den Lehrerinnen geweckt, der von Jahr zu Jahr sich lebhafter bethätigt durch allerlei gemeinnützige Veranstaltungen, so vor allem auch in der Gründung von Feierabendhäusern.

Zur Förderung dieses Wachstums trägt jedenfalls der „Allgemeine deutsche Lehrerinnenverein“ sehr viel bei. Derselbe wurde Pfingsten 1890 in Friedrichroda gegründet und es wurde ihm die Aufgabe gestellt, den Lehrerinnenstand nach jeder Richtung hin zu heben. Dieser seiner bedeutsamen Aufgabe sich voll bewußt, ist der Verein unablässig bemüht, nicht nur seine Bestrebungen in immer weitere Kreise der Lehrerinnen hineinzutragen, sondern auch bei den Behörden um Abhilfe von allen den Stand wie die Aufgabe der Lehrerinnen schädigenden Uebelständen wieder und wieder zu bitten, so daß derselbe heute bereits über 7000 Mitglieder zählt und 49 Zweigvereine sich ihm einverleibt haben. Auch die Neuordnung des Prüfungswesens wie der Stellung der Lehrerinnen in Preußen sind nicht zum wenigsten seinen Bestrebungen zu verdanken. – Als eine hervorragend segensreiche Einrichtung des Allgemeinen deutschen Lehrerinnenvereins darf auch die Stellenvermittelung angesehen werden, die gegen den Unfug gewissenloser Agenten Abwehr schaffen will und schafft. Ihr Centralbureau ist in Leipzig, Pfaffendorferstr. 17; in allen Teilen Deutschlands hat sie ihre Agenturen und Sprechstellen. Im Jahre 1893/94 war es ihr möglich, 654 Mitgliedern des Vereins, die sie ausschließlich berücksichtigt, Stellen zu verschaffen, von denen 219 durch den Verein deutscher Lehrerinnen in England, 60 durch den Verein deutscher Lehrerinnen in Frankreich und 15 durch den Verein deutscher Lehrerinnen in Italien vermittelt wurden. Diese drei Vereine sind Zweigvereine des Allgemeinen deutschen Lehrerinnenvereins. Leider wird die Stellenvermittelung des Vereins immer noch nicht von seiten der Familien wie Schulen soviel in Anspruch genommen, als es in deren und der Lehrerinnen Interesse wünschenswert wäre. Jedenfalls ist ihre Inanspruchnahme sehr zu empfehlen, denn sie verfährt bei den Vermittelungen sowohl für die Auftraggeber als die Lehrerinnen durchaus gewissenhaft.

Ist das, was die Lehrerinnen mit vereinter Kraft, in gemeinsamen Bestrebungen erreicht haben, als dessen Höhepunkt wohl die neuesten Bestimmungen des preußischen Kultusministers angesehen werden dürfen, auch über alles Erwarten viel, so bleibt ihnen noch unendlich mehr zu thun. Denn nun gilt es, sich gemeinsam zu regen in ernster Arbeit, um zu beweisen, daß sie das leisten können, was sie erstreben, und auf eine ersprießliche Reform der Bildungsanstalten hinzuarbeiten, welche die Lehrerin dafür geeignet machen sollen.

Hier aber galt es, nur einen Ueberblick des Bestehenden zu geben, zur praktischen Verwertung für Eltern und deren Töchter, die, vor der ernsten Berufswahl stehend, sich die Frage vorlegen: was kannst du als Lehrerin in deinem Vaterlande erreichen? Marie Loeper-Housselle.