Die Gartenlaube (1891)/Heft 19
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Nr. 19. | 1891. | |
Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.
Lea und Rahel.
(2. Fortsetzung.)
Schon vom nächsten Tag an gingen die bisher so einigen Schwestern fremder nebeneinander her. Rahel wartete auf ein vertrauendes Wort, welches nicht zu ihr gesprochen wurde. Sie schloß nur aus dem strahlenden Gesicht ihres Vaters, daß die Heirathspläne mit Clairon ganz aufgegeben seien. Dabei zeigte Lea aber keine unglückliche Miene, und niemals wurde sie gar mit verweinten Augen von der Schwester überrascht. Nur ihre Haltung war noch entschlossener geworden und ihr Ausdruck stolzer.
Einige Tage unterließ Rahel aus der ihr angeborenen Zartheit des Empfindens, eine Frage an die Schwester zu richten. Dann wurde ein kleiner Trotz in ihr wach, von dem begreiflichen Gefühl der Kränkung veranlaßt, daß man sie durch dies Schweigen gleichsam vom Recht der Theilnahme ausschloß.
Aber als man in der folgenden Woche bei Raimar versammelt war, um dessen Abschied aus dem Amt zu feiern, sah Rahel, daß Clairon wohl ein wenig ernster als bisher, aber sonst ganz unbefangen mit Lea verkehrte, so daß niemand, außer den Eingeweihten, vermuthen konnte, es habe sich inzwischen Bedeutsames ereignet.
Am Abend dieses Tages, während die Schwestern in ihrem gemeinsamen Ankleidezimmer noch beschäftigt waren und Lea, anstatt zu sprechen, eine Melodie vor sich hinsummte, brach Rahel in Thränen aus.
„Was ist denn das?“ fragte Lea, sich unterbrechend.
„Du hast mich von Deinem Herzen verstoßen,“ schluchzte Rahel.
Anstatt gerührt zu werden, rief Lea in steigender Verwunderung aus: „Welche Sentimentalität!“
Sie wußte wenig von dem Herzen der Schwester und ahnte nicht, daß dieses Wesen, phantasielos und verschlossen, unfähig, sich gleich andern Mädchen vorübergehenden Schwärmereien hinzugeben, mit ihrem ganzen Dasein aufging in der Liebe zu den Ihrigen.
„Du hast kein Vertrauen mehr zu mir,“ fuhr Rahel fort.
„Ach, weil ich Dir meinen Abschied von Clairon nicht mitgetheilt habe!“ sagte Lea; „nun, das läßt sich ja nachholen. Komm, sei nicht albern! Höre auf zu weinen!“
Und sie erzählte alles, was zwischen ihr und Clairon gesprochen worden war. Aber während sie sprach, redete sie sich in einen großartigen Schwung hinein und gebrauchte sehr bedeutende Worte für die Höhe ihrer Entsagungsfreudigkeit und ewigen Liebe, welche sie dem einen auch dann noch bewahren würde, wenn sie sich vielleicht einst mit irgend einem beliebigen Mann standesgemäß verheirathen würde.
[310] Rahel hörte schnell auf zu weinen und ihre Weichmüthigkeit wich der gewohnten klarblickenden Sammlung.
„Das ist ja alles Unsinn!“ rief sie als einzige Kritik.
„Siehst Du,“ fuhr Lea auf, „weshalb mußte ich mit Dir darüber sprechen! Ich ahnte es ja. Du verstehst weder die Liebe, noch die Handlung einer außergewöhnlichen Natur.“
„Ich verstehe nur dies,“ erwiderte die Schwester, schon die Klinke ihrer Schlafstubenthür in der Hand, „daß Du Dich im besten Fall selbst betrügst, wenn Du glaubst, van Clairon ‚Abschied‘ genommen zu haben. Einer ehrlichen Verlobung, einem treuen Ausharren ziehst Du ein – Liebesabenteuer vor, von welchem Du Dir einbildest, es sei romantisch.“
Rahel schlug die Thür etwas kräftig zu. Sie hatte übrigens mit ihrer Rede gar keine erkennbare Wirkung erzielt. Lea zuckte halb mitleidig die Achseln und fuhr fort, ihr schönes, langes Haar zu bürsten. Sie nahm sich vor, das „enge liebe Köpfchen“ der Schwester nicht wieder mit Dingen füllen zu wollen, die doch nicht hineingingen. –
In dieser Zeit begann Lea eine Vorliebe für einsame Spaziergänge und eine erhöhte Neigung für den Reit- und Fahrsport an den Tag zu legen. Anstatt des Reitknechtes nahm sie lieber Ludwig mit, der ihr angenehmer sei. Um die Vorgänge im Hause kümmerte sie sich gar nicht. Die Ergebnisse von Rahels Wirthschaftsführung waren ihr völlig gleichgültig. Anfangs erzählte Rahel noch mit der Freude, welche häusliche Erfolge jeder echten Frau geben, wie es ihr gelungen sei, alsbald die Fehler in der Wirtschaft zu entdecken, wie sie Ueberschüsse mache und diese, dem Papa zur Ueberraschung, heimlich zusammenspare. Aber als Rahel sah, daß die Schwester dies Streben und die Freude daran kleinlich und unter ihrer Würde fand, schwieg sie und fand sich mit der bescheidenen Erkenntniß ab: „Lea ist eben ein Schwan und ich bin ein Haushuhn.“
An einem sehr schönen Nachmittag gegen Ende des Monats fuhr Lea auf der Chaussee dahin, welche an Römpkerhof vorbei zum Städtchen ging. Man übersah von hier weit das Land. Zur Linken freilich dehnte sich der Wald, welcher zwischen dem Seeufer und der Landstraße lag. Zur Rechten aber sah man über Kornbreiten, deren bläulich schimmernde Aehren auf grünen Halmen wie eine Fluth im Winde wogten. Darüber hinaus erhoben sich fern und klein die Pappeln von Kohlhütte am Horizont. Geradeaus zog sich die weißstaubige Chaussee empor am wellenlinigen Gelände, am Wegesrain standen in gleichmäßiger Entfernung voneinander junggepflanzte Ebereschen, die kleine, lichtdurchbrochene Schattenflecke auf den hellen Wegesgrund warfen.
Lea wollte in die Stadt, um sich Bücher zu besorgen. Sie las neuerdiugs viel und schalt auf den jämmerlichen kleinen Laden, wo man nichts bekommen könne.
Sie fuhr in schlankem Trabe dahin, hinter ihr auf dem Wägelchen saß Ludwig mit gekreuzten Armen und einem vergnüglichen Lächeln unter seinem Cylinder. Sie, in engem, dunkelblauem Leinenkleid, langen, gelbbraunen Fahrhandschuhen und einem kleinen Herrenfilzhütchen, sah ebenso elegant als verwegen aus.
„Wer ist denn das?“ fragte Lea und deutete auf einen Reiter, der ihnen, noch fern, entgegenkam.
„Niemand vom Regiment,“ sagte Ludwig, die Erscheinung scharf ins Auge fassend. Er kannte jedes Offizierspferd schon in den unglaublichsten Entfernungen.
„Wir wollen ihn vorbei lassen,“ sagte Lea und fuhr an dem auf die Chaussee mündenden Waldweg vorbei, in den hinein einen Abstecher zu machen wohl der eigentliche Zweck ihrer Ausfahrt gewesen war.
Der Reiter näherte sich. Ihm folgte ein Reitknecht in einer Livree, welche Lea unbekannt war.
„Wahrscheinlich der neue Landrath,“ dachte sie und sah sich den Mann sehr unbefangen an mit der Neugier einer Dame, welche bei sich zu Hause ist und einen Eindringling prüfend beschaut.
Er saß gut, aber nicht auffallend schneidig zu Pferde. Seine Gestalt konnte man nicht recht beurtheilen, sein Antlitz war ernst und regelmäßig. Den dreisten Blick der Dame erwiderte er mit einem Ausdruck flüchtiger Verwunderung.
„Na,“ dachte Lea. „den hätte ich eher für einen englischen Aristokraten als für den Sohn eines deutschen Emporkömmlings gehalten.“
„Es wird der neue Landrath sein,“ sagte sie zu Ludwig, den sie mit ihrem gnädigen Wohlwollen beehrte. „Gucken Sie sich um, Ludwig!“
Ludwig saß eine Weile mit rückgewandtem Gesicht und meldete dann:
„Außer Sehweite.“
Darauf wendete Lea und fuhr in den Waldweg hinein. Erst eine Stunde später sah man ihren Wagen in dem Städtchen. Er rasselte gewaltig auf dem schlechten Pflaster, aus den Thüren fuhren die Hunde auf ihn los und bellten hinter seinen Rädern her. Hinter den Fenstern bogen sich Frauenköpfe vor, Vorübergehende standen still und grüßten.
Mit der Hoheit einer Fürstin überhörte und übersah Lea Lärm und Neugier und erwiderte die Grüße.
Vor einem Buchbinderladen hielt sie an. Ludwig, immer von feurigem Stolz erfüllt, seit er das Fräulein begleiten durfte, sprang vom Wagen, nahm die Zügel und half Lea heruntersteigen.
Als Lea, welche trotz ihrer Eigenschaft als „große Dame“ sich ruhig mit dem Umtausch vielzerlesener Leihbibliotheksbände befaßte, ihr Geschäft beendet hatte und sich anschickte, den Wagen wieder zu besteigen, sah sie den Herrn, welcher ihr vorhin zu Pferde begegnet war, zu Fuß daherkommen.
Der Ladeninhaber, welcher hinter ihr herdienerte, begann nun seine Verbeugungen vor dem Ankömmling zu machen und fragte:
„Was befehlen der Herr Landrath?“
„Also richtig dieser Lüdinghausen,“ dachte Lea und fuhr davon.
Der Landrath trat in den Laden ein, nicht ohne vorher dem schönen Mädchen nachgesehen zu haben.
„Wer ist die Dame?“ fragte er und war im voraus gewiß, einen großen Namen zu hören. In der Großstadt wäre er nicht sicher gewesen, ob das „Cirkus- oder Theater- oder vornehme Sportwelt“ sei. Hier sagte er sich, daß nur eine in der ganzen Gegend bekannte und geehrte Dame dies franke Auftreten und diesen auffallenden Schick haben konnte.
„Das ältere Fräulein von Römpker,“ sagte der Mann. –
Als Lea nach Hause kam und sich umgekleidet hatte, fand sie unten Raimar als Gast vor und diesen wie ihren Vater in vorzüglichster Laune.
„Er ist hier gewesen,“ rief Herr von Römpker.
„Wer?“
Rahel, die gerade am Tische stand, reichte ihr eine Karte.
„Erasmus Lüdinghausen.“
Kein Titel auf der sehr großen Karte.
„Das ist etwas gesucht,“ sagte Lea; „wie ist er denn?“
„Ein entzückender Mensch,“ lobte Herr von Römpker, für den es nur „unausstehliche“ oder „entzückende“ Menschen gab.
„Na, sagen wir mal: ein bißchen steif und zugeknöpft. Aber bedeutend, entschieden ein bedeutender Mensch,“ ergänzte Raimar.
„Und wie findest Du ihn, Rahel?“
„Ich habe ihn nicht gesehen,“ erwiderte diese, „er wollte Raimar in Geschäften aufsuchen, traf ihn unterwegs und Raimar schleppte ihn zu Papa.“
„Ja, Kinder, er weigerte sich, im Reitrock vor Euch zu erscheinen. Da fiel mir denn auch ein, daß Lea gar nicht zu Hause sei. So ließ ich ihn denn und habe ihn gebeten, morgen mittag bei uns zu essen, anstatt Euch erst förmlich aufzuwarten.“
Herr von Römpker bestimmte dann, daß man auf morgen außer Raimar noch Rittmeisters und Clairon einladen solle, sowie die Freundin seiner Frau, Fräulein Malchen, eine Schwester des verstorbenen Pastors. Diese speiste jeden Donnerstag auf Römpkerhof und wurde außerdem stets geladen, wenn sich keine Persönlichkeit unter den Gästen befand, welche zur Unterhaltung der Hausfrau geeignet war. –
Lea fühlte sich am folgenden Vormittag ein wenig aufgeregt. Dieser Landrath schien ihr keine nebensächliche Persönlichkeit. Das erste Zusammenkommen mit ihm und obendrein in Clairons Gegenwart verursachte ihr ein drückendes Vorgefühl. Sie dachte lange darüber nach, was für ein Gewand sie tragen wolle, und entschied sich endlich für ganz hellgrau. Sie schmückte ihr Kaschmirkleid dann mit einem großen Strauß gelber Rosen, der scheinbar nachlässig in den breiten faltigen Stoffgürtel gesteckt war.
[311] Rahel erschien erst im letzten Augenblick im großen vorderen Salon, wo man die Gäste empfing und von wo aus man die Einfahrt beobachten konnte. Sie war etwas erhitzt, denn sie hatte die Wirtschafterin dabei ertappt, wie diese anstatt einer Torte für den Herrschaftstisch deren zwei gebacken hatte und zwar eine für ihren eigenen Bedarf. Im rechtschaffenen Aerger darüber hatte sie keine Muße gehabt, viel an Putz zu denken, und ihr weißes Kleid nicht einmal mit Blumen geschmückt.
Clairon traf als der erste ein. Rahel wunderte sich über die völlige Unbefangenheit ihres Vaters, aber noch mehr über den Ton, welchen die Schwester dem geliebten Manne gegenüber anschlug. In ihrem Verdacht, daß die beiden sich oft heimlich sähen, wurde sie wieder ganz irre. So freundlich und harmlos konnte man doch unmöglich verkehren, wenn man sich unglücklich, aussichtslos und heimlich liebte.
Clairon widmete sich nachher fast ganz der Frau des Rittmeisters. Die kleine Baronin sah wie ein zierliches Püppchen neben der majestätischen Lea aus, aber sie hatte ihren Zauber für sich, und Raimar sagte, sie sei ein süßer kleiner Tyrann.
Fräulein Malchen kam, mager, groß, mit vorgeschobenen Schultern, in einem schwarzen Seidenkleid, das abgetragen glänzte. Sie hatte einen Strickzeugbehälter von Perlen und Wollstickerei mit lila Seidenbeutel in den beiden vor dem Magen zusammengelegten Händen und verbeugte sich ängstlich nach allen Seiten. Sie war immer wieder von der Ehre benommen, in der ersten Gesellschaft verkehren zu dürfen, und fand erst ein bißchen Ruhe, als sie neben ihrer lieben Alide von Römpker auf dem Sofa saß.
So war denn alle Welt beisammen und wartete auf den „neuen Mann“. Der zufällige Umstand, daß die alten Bekannten sich früher zusammengefunden hatten, gab dem Eintritt des zuletzt Kommenden einen von ihm sicherlich nicht beabsichtigten Schein anspruchsvoller Wichtigkeit.
Lüdinghausen kannte außer seinem Vorgänger Raimar und Herrn von Römpker bis jetzt niemand von der Gesellschaft. Er war noch nicht einmal mit der Einrichtung seiner Behausung fertig und hatte noch gar keine Besuche gemacht. Nun sah er viele Augen neugierig und recht ungenirt auf sich gerichtet. Er machte vor jeder Dame seine Verbeugung und drückte jedem der Herren die Hand, während der neben ihm hergehende Römpker die Namen sagte. Der ganze Vorgang war, man wußte nicht recht warum, erdrückend förmlich.
Dies hielt die kleine Baronin nicht aus, und als Lüdinghausen seine letzte Verbeugung gemacht hatte, rief sie laut:
„Gott sei Dank, das wäre überstanden!“ Alle lachten, und der Rittmeister sagte:
„Wir fühlen uns in diesem engen Freundeskreis stets so sehr en famille, Herr Landrath, daß wir uns zuweilen sogar allerlei Unarten erlauben. Meine Frau insbesondere ist das verzogene Kind dieser ‚Familie‘.“
Lüdinghausen wußte eine Sekunde lang nicht, was er sagen sollte. Die Bitte, sich seinetwegen nicht zu geniren, wäre unbescheiden, die Bitte, daß er hoffe, bald auch zu dieser „Familie“ zu gehören, zudringlich und außer seiner Art gewesen. Und so sagte er ganz geistlos weiter nichts als:
„Ich bitte Sie, Herr Baron . . .“
„Wir haben Sie alle unbescheiden angesehen,“ fuhr jetzt die kleine Frau munter und förmlich stolz auf ihre Unart wieder fort, „wir starben natürlich vor Neugier auf den neuen Landrath. Sie haben alle Vortheile für sich, denn außer den hundert Tugenden, welche die Sage und dieser da“ – sie tippte mit ihrer Fächerspitze auf Raimars breite Brust – „Ihnen nachrühmt, haben Sie noch den Reiz der Neuheit.“
Lüdinghausen wußte mit dem besten Willen wieder nichts zur Antwort zu geben, als ein erzwungenes verbindliches Lächeln.
„Nicht wahr, Lea,“ wandte sich die Baronin an diese und seufzte, „hier giebt es fast nie etwas Neues. Wir werden so alt miteinander in unseren Ideen, Gesichtern, Witzen, Kleidern.“
„Die Frau Baronin erfrischt ihre Ideen und ihre Kleider jedes Jahr in Berlin, wo ihre Schwester an einen Legationsrath verheirathet ist. Ihre Witze und ihr Gesichtchen bedürfen nie der Auffrischung,“ bemerkte Römpker.
Lüdinghausen fühlte eine unaussprechliche Gleichgültigkeit diesem Geschwätz gegenüber. Er bemerkte mit heftigem Unwillen gegen sich selbst zum unzähligsten Male seine Unfähigkeit, sich zu leerem Phrasenspiel aufzuraffen. Es war etwas in ihm, eine gewisse Ernsthaftigkeit, die ihm das verbot. Mit äußerster Anstrengung sagte er:
„Ich werde ja Gelegenheit haben, dies alles zu beobachten.“
„Er scheint ein Taps oder er ist riesig hochmüthig,“ flüsterte die Baronin Clairon zu.
Ludwig erschien in der Thür mit seinem strahlenden Gesicht und die Baronin schnitt ihm lachend seine Meldung ab, indem sie rief:
„Meine Herrschaften, zu Tische! Clairon, Ihren Arm! Römpker, ich soll ihn doch haben? Auf den Tageshelden hab’ ich keinen Anspruch. Auf Sie und Raimar ist mein Mann eifersüchtig. Also was bleibt mir übrig, als Graf Clairon?“
„Diese Frau würde mich wahrscheinlich in einer Stunde krank machen,“ dachte Lüdinghausen.
Rahel sah den Schatten von Mißmuth über seine Stirn gehen.
„Wollen Sie, bitte, meiner Frau den Arm geben,“ bat Römpker.
Bei der Tafel wußte er es aber so einzurichten, daß Lea an Lüdinghausens linker Seite saß, denn er vermuthete, daß die Unterhaltung seiner Frau nicht sehr anziehend für den jungen Landrath sein würde. In Römpkers phantasievollem Kopf war nämlich seit gestern ein Einfall groß geworden. Als er den ernsten Mann mit der schönen Gestalt und dem vornehmen Gesicht sah, kam es ihm wie eine Erleuchtung: das ist der Mann für Lea. Die fürstlichen Besitzungen, welche Lüdinghausen einst zufielen, sicherten ihm ohnehin eine großartige Lebensstellung; außerdem sollte er ein bedeutender Mensch sein, er hatte sich dem Staatsdienst gewidmet, er war Landrath, würde bald in den Reichstag kommen, Oberpräsident werden; kurz, Römpker sah ihn schon als Minister, und er war doch genug Kind seiner Zeit, um die Excellenz dem „von“ gleichzustellen.
Lea kannte ihren Vater und hatte seinen Plan, in dem er vergnüglich schwelgte, ganz durchschaut. Sie beschloß, Lüdinghausen zum Sprechen zu bringen. Dies war recht schwer, denn alle gewöhnlichen Fragen, wie es ihm gefalle, wo er herkomme, welche Wohnung er gefunden, beantwortete er einsilbig und zerstreut. Lea ermüdete nicht. Sie wußte mit sicherer Leichtigkeit immer neue Gegenstände zu finden, und ohne viel Geist zu verrathen, zeigte sie doch die vollendete Dame, welche mit jedem etwas anzufangen weiß.
Endlich fragte sie auch, wie er, der einzige Erbe großer Besitzungen, sich habe dem Staatsdienst, also gewissermaßen der Unfreiheit widmen mögen.
„Ich wollte die ungeheure Verantwortung, so vielen zu gebieten und für das Wohl so vieler sorgen zu müssen, nicht übernehmen, ehe ich nicht selbst gedient hatte. Wem anders konnte ich dienen als dem Staat, wo besser Besonnenheit und Verantwortlichkeit kennenlernen, als in einem öffentlichen Amt? Auch war für meinen zur Verschlossenheit und Schwerfälligkeit neigenden Charakter der Zwang wünschenswerth, mich mit Menschen aller Art befassen zu müssen. Und gerade eine Stellung wie diese wird mir werthvolle Erfahrungen im Verwaltungswesen bringen.“
Rahel, die ihm gegenübersaß und jedes Wort hörte. fragte:
„Also Sie streben nicht nach höheren Stellen?“
„Sobald mein vorderhand noch rüstiger Vater meiner bedarf, wird er mich rufen und ich verlasse den Staatsdienst,“ erwiderte er.
Rahel sah ihn an. Wie klar er über Menschen und Verhältnisse dachte und seine Ansicht einfach feststellte!
Als die lang sich hindehnende Tischzeit vorüber war, hatte Rahel bereits eine fertige Meinung von Lüdinghausen. Sie hatte sein Unbehagen beobachtet bei den neckischen Reden der Baronin, seine Gleichgültigkeit bei den Sportgesprächen Clairons und des Rittmeisters, sein Bestreben, die Unterhaltung mit Lea aus einer „Konversation“ zu einem „Gespräch“ zu machen.
Man stand mit den Mokkatäßchen in den Händen beieinander, Rahel und Raimar nächst der Thür zum Wohnzimmer, wo sich das Klavier befand. Vor demselben bildete Lea mit Lüdinghausen und Clairon eine Gruppe. Clairon hatte mit innerer Qual gesehen, wie dieser Lüdinghausen sich immer eifriger Lea zuwandte; Lea war verstimmt, weil ihr schien, die Baronin sei liebenswürdiger gegen Clairon, als es die Freundschaft des Rittmeisters für den Grafen gestatte. Nun suchten die Liebenden einander und waren [312] ein wenig nervös, als Lüdinghausen immer noch nicht von Leas Seite wich.
Der Grund dieser Beharrlichkeit war ein doppelter. Lüdinghausen fand das schöne und selbstbewußte Mädchen in der That sehr interessant, und dann war ihm der Gedanke zu lästig, nun mit einer andern Dame der Gesellschaft eine Unterhaltung anfangen zu müssen, wahrscheinlich wieder mit der Einleitung über Gegend, Wohnung, früheren Aufenthalt und ähnliche ermüdende Dinge.
Lea saß auf dem Klavierstuhl und sah im Sprechen zu den vor ihr stehenden Männern empor. Dann, wie in halber Zerstreutheit, drehte sie sich auf dem Sessel herum und, ohne die Unterhaltung zu unterbrechen, präludierte sie leise. Die flüchtigen Griffe in die Tasten gestalteten sich zu einer bestimmten Tonfolge. Rahel hörte und erkannte augenblicklich, was sie ausdrückte. Lea spielte dem Geliebten zu, was sie ihm weder durch Wort noch Blick zu sagen vermochte:
„Mit meiner Seele glühendstem Ergusse
Sei mir geküßt, sei mir gegrüßt.“
„Also ist es doch nicht aus zwischen ihnen,“ dachte Rahel. Und seltsamerweise fühlte sie sich jetzt durch diesen Gedanken ebenso beruhigt wie vorher davon beunruhigt. Ja, der Wunsch wallte sogar in ihr auf, den beiden zu einigen Worten ungestörter Aussprache zu verhelfen.
Mit dem Recht der Haustochter, die den neuen Gast unterhalten will, trat sie an Lüdinghausen heran.
„Es ist ganz unsern Gewohnheiten entgegen, den Kaffee im Zimmer zu nehmen bei solchem Wetter,“ sagte sie, „und wie ich unsere Herren kenne, werden sie sich nachher gleich an den Kartentisch setzen. So würden Sie uns heute verlassen, ohne unsern Park gesehen zu haben. Soll ich Ihnen denselben zeigen?“
„Ich bitte darum,“ antwortete er.
„Onkel Raimar, komm! Ein Spaziergang nach Tisch ist Dir sehr gesund,“ rief Rahel.
Lüdinghausen erinnerte sich, daß er sich um diese zweite Tochter noch gar nicht gekümmert habe und daß er sich bemühen müsse, nun artig gegen sie zu sein. Er ging darum mit Rahel und Raimar voran, während Lea und Clairon in großer Entfernung folgten. So gaben diese sich die Miene, mit zu der Gruppe zu gehören, und waren doch ungestört.
„Lea,“ sagte Clairon halblaut, „hast Du etwa die Absicht, an dem neuen Landrath eine Eroberung zu machen?“
„Wie meinst Du das?“ fragte sie.
„Du willst mit ihm kokettiren!“ rief er in aufwallender Eifersucht.
„Nicht mit ihm kokettiren,“ antwortete sie und sah mit halbgeschlossenen Augen in die Ferne, während ein seltsames Lächeln um ihre Lippen spielte. „Aber vielleicht ihn heirathen.“
„Du phantasierst,“ sagte Clairon. „Mich lieben und einen andern heirathen, das wäre … das wäre …“
„Nichtswürdig!“ vollendete Lea mit Ruhe. „Du sagst es, und so ist es.“
Nach einigen Sekunden des Schweigens sprach sie plötzlich in fassungsloser Erregung weiter. Clairon kannte diese jähen Wandlungen in ihrer Stimmung, er wußte, daß sie ihren Grund in der ganzen Sachlage hatten, und ihn ergriff jedesmal unsägliches Mitleid, wenn er das schöne, stolze Mädchen in solcher Gefühlsverwirrung sah.
„Was bleibt mir denn übrig im Leben als das? Was soll ich mit mir, was mit meiner Zukunft anfangen? Soll sich Monat so an Monat, Jahr so an Jahr reihen? Soll ich alt werden und verblühen und niemals den Platz im Dasein haben, für welchen ich geschaffen bin? Dich immer lieben und das ganze Glück dieser Liebe immer darin finden, Dich jede Woche zwei- oder dreimal im Wald zu sprechen, mit einem Bedienten als Zeugen und Ehrenwache? Ich, die ich die Wahl meines Lebensloses frei zu haben schien, ich soll als altes Mädchen zurückbleiben am Wege, den andere, Jüngere, weniger von der Natur Begünstigte lachend und mühelos zur Höhe empor schreiten? Dummen und häßlichen Frauen wirft das Schicksal alles in den Schoß; mir entzieht es selbst das, was ich ein angeborenes Recht habe, zu begehren. In mir ist ein Durst – ich weiß nicht, wonach; nach Glück, nach Liebe, nach Freiheit! Nach Thaten! Ewig die älteste Prinzessin auf Römpkerhof bleiben, immer dieselben langweiligen Menschen als Gäste bei sich sehen und ihnen freundlich lächeln müssen – o, wie fade, wie leer, wie inhaltslos!“
Thränen funkelten in ihren weitgeöffneten Augen. Ihr Gesicht war bitter verzerrt.
Auch Clairon war blaß. Aber er stand zu sehr im Banne der Anschauungen, die Lea ihm immer und immer wieder vorhielt, daß er nicht darüber hinaussah. So sagte er nur im gedrücktesten Ton:
„Ja, wir sind sehr unglücklich.“ –
Vor ihnen führten die beiden Männer mit Rahel allerlei vernünftige Gespräche.
Lüdinghausen lobte aus Höflichkeit den Park.
„O,“ sagte Rahel offen, „nur seine alten Baumgruppen und die Größenverhältnisse sind schön und der Blick über den See, besonders wenn wie jetzt der Himmel vergoldet ist von der untergehenden Sonne. Die Rasen könnten sammetweicher sein, die Blumenanlagen kunstvoller. Aber das ist auf dem Lande ein zu großer Luxus, schon des Wassers wegen, das für Obst und Gemüse so nöthig gebraucht wird.“
„Aber Sie haben ja entsprechende Anlagen, sehe ich,“ bemerkte Lüdinghausen, der irgendwo zwischen den Baumgipfeln die Windflügel eines Motors hatte aufragen sehen.
Rahel lachte.
„Von Papa ein bißchen übereilt angelegt. Der Unternehmer war ein netter liebenswürdiger Mensch, deshalb schwor Papa auf seine Tüchtigkeit. Wir haben selten genug Wasser und es muß meist wie einst aus dem See geholt werden.“
„Sie interessiren sich für die Landwirtschaft?“ fragte Lüdinghausen.
„Sie ist eine großartige Hausmutter,“ versicherte Raimar, um die arme, ewig hintangesetzte Rahel ein bißchen zu heben.
„Ich glaube, nur deshalb,“ antwortete Rahel, „weil es hier nothwendig ist. Es kann wohl sein, daß ich mich immer für die Dinge interessire, welche mich brauchen. Ich habe nie darüber nachgedacht.“
„Man möchte Sie beneiden,“ sagte Lüdinghausen lächelnd; „Sie haben demnach, wie mir scheint, Talent zur Zufriedenheit – das seltenste beim Menschen, soweit ich mir Menschenkenntniß zutrauen darf.“
„O,“ meinte Rahel und wurde verlegen, weil es ihr vorkam, als lobe er sie, „es ist doch keine Kunst, zufrieden zu sein, wenn man gerade das leisten kann, was von einem gefordert wird. Und von mir wird so herzlich wenig gefordert.“
„Na, Kleine,“ sagte Raimar und klopfte sie so im Weiterschreiten wohlwollend auf den Rücken, „so wenig ist’s denn wohl doch nicht. Mein alter Römpker, unsere schöne Lea und die gute, ängstliche Alide – das ist eine anspruchsvolle Gesellschaft, und sie machen Dich manchmal ein bissel zum Aschenputtel.“
„Du irrst Dich, Onkel Raimar,“ sprach Rahel mit strenger Abweisung. „Ich habe schon oft bemerkt, daß die Gesellschaft mir die Rolle der Unterdrückten zuschiebt. Dies ist keineswegs der Fall. Mein Gott – sehe ich denn aus wie ein Aschenbrödel? Und so wenig Papa oder Lea je daran denken, mich zurückzusetzen, so wenig ist in mir die Neigung, solche Zurücksetzung hinzunehmen.“
Ihr Auge blitzte ein wenig auf, als sie den alten Freund ansah, und Lüdinghausen bemerkte das wohl.
„Sie sind eben sehr verschieden von Ihrem Fräulein Schwester,“ sagte Lüdinghausen höflich, „und so weit ich mir schon ein Urtheil erlauben darf, ergänzen Sie beide einander sehr glücklich.“
„Sehr richtig, mein lieber Landrath,“ rief Raimar, „sehr gut beobachtet. Unsere Lea ist der Glanz, unsere Rahel das Behagen des Hauses.“
Wie sehr Lea in der That von der Schwester verschieden war, konnte Lüdinghausen an diesem Abend noch beobachten. Vielleicht aus Rücksicht auf ihn hatte man auf das sonst übliche Kartenspiel verzichtet. Lüdinghausen kannte genugsam den Geist dieser vornehmen Land- und Kleinstadtkreise, er wußte, daß diese Menschen, jahraus jahrein aufeinander angewiesen, immer nur von den gleichen, engen Berufsinteressen bewegt, ihre liebste Unterhaltung, ja gleichsam die Rettung des Vergnügens im Kartenspiel finden. Und so ermaß er die Höflichkeit, die man ihm erwies, indem man es heute unterließ. Aber zugleich auch drückte sie ihn, denn ihm fehlte das Vermögen, mit diesen ihm so fremden
[313][314] Menschen, die sowohl von ihm, als wieder unter sich so verschieden waren, jene ausgleichende, verbindliche Unterhaltung über nichts und alles zu führen. Nun hatte er aber das peinliche Gefühl, daß man erwartete, der „bedeutende“ Mann solle mit seinem Geist glänzen.
In solcher Lage befiel ihn stets gerade entgegengesetzt der Hang zur Schweigsamkeit, und anstatt die Menschen zu unterhalten, beobachtete er sie.
Lea dagegen befand sich just in solchen Stunden, wo die Langeweile um jeden Preis gar nicht erst aufkommen durfte, in ihrem richtigen Fahrwasser. Vielleicht hatte sie recht, wenn sie von sich behauptete, sie sei für die große Gesellschaft geboren. Sie verstand es, alle Welt zu unterhalten, und in dem Maße, als es ihr gelang und sie zugleich fühlte, daß man ihre Verdienste darum bewundere, in dem Maße stieg auch die Munterkeit ihres Geistes, ihre gute Laune und damit ihre Schönheit.
Ihr Vater, von dem sie diese Eigenschaften geerbt hatte, für andere hinreißend liebenswürdig zu sein, berauschte sich förmlich an der Art seiner schönen Tochter, und von ihr fortgerissen, entwickelte auch er seine wahrhaft kindliche Heiterkeit.
Rahel bemerkte man gar nicht mehr. Lüdinghausen vergaß sie ganz, aber er beobachtete Lea in aufrichtiger Bewunderung und dachte: „Die hat alles, was mir fehlt.“
Zur Jubelfeier des weimarischen Hoftheaters.
Die Woche des 7. Mai bringt für Weimar wieder einmal eines jener Jubiläumsfeste, denen die Erinnerung an die klassische Karl Augusteische Zeit Anlaß und Weihe giebt.
Am 7. Mai 1791 wurde das bereits sieben Jahre zuvor erbaute „Redouten- und Komödienhaus“ der Herzogin Anna Amalie in den ausschließlichen Dienst der dramatischen Muse gestellt und als herzogliches Hoftheater feierlich eingeweiht. Vorher war das Bühnenhaus – wie früher schon der Theatersaal im Schlosse bis zu dessen Brande an die Kochsche, dann die Seylersche Wandertruppe – an die Bellomosche Schauspielgesellschaft vermiethet gewesen; jetzt hatte Karl August die Absicht, nach dem Vorgange anderer Fürsten, die Bewirthschaftung des Theaters auf eigene Kosten bei öffentlichem Charakter desselben zu übernehmen.
Der Theaterzettel jenes denkwürdigen Abends, den wir auf Seite 316 abbilden, vereinigt in sich eine Reihe klangvoller Künstlernamen der damaligen Zeit. Was aber dem neuen Unternehmen seine Bedeutung verlieh und dem heutigen Jubelfest die geistige Antheilnahme der ganzen Nation zuwendet, ist der Name des auf dem Zettel nicht genannten Direktors, der im Auftrag des Herzogs die Leitung des neuen Theaters in die Hand genommen hatte. Jener Abend war der Anfang von Goethes Theaterleitung, die – epochemachend in der Geschichte des deutschen Theaters – über sechsundzwanzig Jahre, bis 1817, gedauert hat und deren buntbewegtes Vorspiel, das geniale Treiben des Liebhabertheaters am Hofe gewesen war, auf welchem der Dichter, wie sein Wilhelm Meister die Kunst des Schauspielers selbst geübt hatte.
Kein anderes der deutschen Theater, deren Anfänge mit der Blüthezeit unserer klassischen Litteraturperiode verflochten sind, hat die Ueberlieferung in gleichem Maße mit so überirdischem Glanz ausgestattet wie das Hoftheater von Weimar. Einem Zauberwort gleich weiß sein bloßer Name eine sonnige Welt hochgestimmter Kunstpflege von fast hellenischem Charakter heraufzubeschwören.
Der Duft der Orangenhaine von Belrigardo, in denen Tasso mit der Prinzessin lustwandelt, strömt uns aus derselben entgegen und durch die Zweige klingt lockend das schelmische Lachen der Philine. Fürsten und Fürstinnen, die, dem Genius huldigend, ihn bewirthen; bezaubernde Frauen und Mädchen, welche die würdigen Hofgewänder mit lustig bunten Bühnenkostümen vertauschen; ein romanhaft bewegtes Theaterleben, das nach Lust und Gelegenheit bald im Freien, bald im Prunksaale, bald in Wirthshausstuben seine Bühne aufschlägt:
„In engen Hütten und im reichen Saal,
Auf Höhen Ettersburgs, in Tieffurts Thal,
Im leichten Zelt, auf Teppichen der Pracht,
Und unter dem Gewölb der hohen Nacht.“
So steht das Bild dieser quellenden Ursprungszeit vor uns, und das Lachen Philinens wird übertönt vom süßergreifenden Gesange Mignons und der erschütternden Wohllautrede, wie sie der Goetheschen Iphigenie von den Lippen strömt – „das Land der Griechen mit der Seele suchend.“ Und so hat Wilhelm Kaulbach das Bild seiner Goethe-Galerie eingefügt: Goethe im Kostüm des Orest auf der offenen Gartenbühne im Ettersburger Park, von Karl August, der den Pylades gespielt, den beifallspendenden Zuschauern vorgeführt, während Corona Schröter, noch Iphigenie, auf der anderen Seite die apollinischen Locken des Dichters mit Lorbeer krönt. Vor der Bühne im Kreise, sitzend und stehend, die Mitglieder des Musenhofes: Anna Amalie in frohem Entzücken neben der still sinnenden Herzogin Luise; Charlotte von Stein und Amalie von Kotzebue, Lorbeer und Blumen dem bewunderten Dichter darbringend; voll Sympathie sich des Schauspiels freuend: Wieland, Musäus, Herder, Knebel und Merck.
Doch wie mächtig auch die goldene Legende von „Weimars goldenen Tagen“, vom „Musenhof“ zu „Ilm-Athen“ in unserer Zeit noch fortwirkt, die kritische Goetheforschung, welche auf den romantischen Kultus folgte, hat jene Zeit inzwischen doch des überirdischen Glanzes entkleidet und den schimmernden Schleier entfernt, welchen das dankbare Dichterwort und der verklärende Nachruhm um ihre „Wirklichkeiten“ gewoben. Wir wissen heute, wie viel Sterbliches jenem genialen Treiben der „Unsterblichen“ anhaftete, mit wie viel Entsagung diese „Huldigung der Künste“ für die großen freien Geister verknüpft war, welche irdischen Leidenschaften in das Kunstwalten jener Musen ihre Fäden wirkten, auf wie kargem Boden und mit wie dürftigen Mitteln sich der schöne Schein der Kunst dem Sein vermählte in dem Weimar Karl Augusts, das keineswegs oft von einem griechisch wolkenlosen Himmel überwölbt war und aus dessen engen Verhältnissen sich auch Goethe mehr als einmal hinweggesehnt hat – „das Land der Griechen mit der Seele suchend“. „Ein Mittelding zwischen Dorf und Hofstadt“ hat es Herder in einer Stunde offener Aussprache genannt. Und in der herrlichen Apotheose auf die Tage des Liebhabertheaters, welche Miedings, des Theatermeisters, Tod in Goethe anregte, verglich es dieser mit – Bethlehem.
Aber wie jede Erkenntniß der Wahrheit, so bringt auch diese ernüchternde einen Gewinn. Ist der Triumph nicht um so größer, wenn wir die hinreißende Wirkung des Genius, die Empfänglichkeit der Phantasie, das Hochgefühl der Seele als die eigentlichen Triebfedern jener Götterfeststimmungen erkennen? Erscheinen uns die schließlichen Erfolge von Goethes Theaterlust und Theaterleitung nicht um so bewundernswerther, je mehr wir die Schwierigkeiten ermessen, unter denen er aus dürftigen Anfängen die Bühne Weimars hinanführte zu ihrer späteren weithin herrschenden Höhe? Wir werden billiger in unserem Urtheil gegen die Gegenwart, wenn wir sehen, daß auch das vereinigte Genie eines Goethe und Schiller bei der Heranentwickelung des weimarischen Hoftheaters zu einem wahrhaften Tempel der Kunst gezwungen war, mit den realen Bedingungen seines geschäftlichen Gedeihens zu rechnen und der Schau- und Unterhaltungslust der Menge die Zugeständnisse zu machen, welche deren Bildung und deren Geschmack verlangten. Das unten mitgetheilte Programm der Eröffnungsvorstellung hat dafür symbolische Bedeutung. Der große Dichter hatte die Amtsführung, die Regiearbeit, er übernahm es auch, den Prolog zu dichten, was aber das Stück selber betraf, so rieth [315] ihm die Vorsicht, nicht eines der Dramen von Shakespeare von sich, von Schiller, von Lessing zu wählen, er gab ein volksbeliebtes Rührstück von Iffland, der, so groß auch als Schauspieler, als Bühnenschriftsteller doch nur ein Handwerker war, welcher mit kluger Berechnung seine genaue Kenntniß der Bühnenwirkung und des Geschmackes der Menge verwertete? Und Goethes Prolog verwies auf den alten Erfahrungssatz: „Der Anfang ist in allen Sachen schwer.“ Wie der Landmann im Frühling den Samen in die Erde senken müsse, um im Herbste Frucht zu ernten, wie der Baumeister den Grund um so tiefer grabe, je höher er die Mauern führen wolle, so sei auch hier es geboten.
In einer Zeit, wo es deutsche Stadttheater giebt, deren jährlicher Betrieb über eine Million kostet und die, über zwei glanzvoll ausgestattete Häuser verfügend, an Sonntagen oft drei Aufführungen darbieten, ist es schwer, von der Dürftigkeit jener von Goethes Namen gedeckten Anfänge des weimarischen Hoftheaters einen richtigen Begriff sich zu bilden. Weimar, mit kaum 6000 Einwohnern, war arm, die Kassen des Hofs erschöpft; fehlte es doch sogar zum nöthigen Neubau des 1774 abgebrannten Schlosses an flüssigen Mitteln. Vom 7. Mai bis 25. September 1791 bestand Goethes Theaterbudget, das der Hof als Vorschuß gewährte, in 1098 Thalern. Seine meist aus jüngeren Kräften zusammengesetzte Gesellschaft umfaßte 16 Personen, von denen die Mehrzahl sowohl Sänger als Schauspieler waren; einen Theil derselben übernahm er aus der Bellomoschen Truppe, und auch sein Repertoire fußte im ersten Jahr auf dem seines Vorgängers: Lustspiele von Kotzebue, Jünger, Schröder, Schauspiele von Iffland, Spieß und Vulpius, Singspiele von Martini, Paisiello und Dittersdorf. So glänzend uns die Namen seiner Hauptkräfte – Malcolmi und seine älteste Tochter Amalie, Genast, Vohs, Oels, die Durands, Frau Neumann und deren „Christel“ – heute noch erscheinen, so wenig glänzend waren die Verhältnisse dieser ersten weimarischen Hofschauspieler bei einer wöchentlichen Gage von 5 bis 8 Thalern – ohne Garderobegeld, ohne Spielhonorare. Für die Comparserie und die Chöre gewann Goethe die Seminaristen, die mit der Ehre zufrieden waren, und ließ es auf den Zorn Herders über solchen Mißbrauch ankommen. Dafür ließ er nur alle zwei, oft nur alle drei Tage spielen. Und auch so hätte er die Pforten der Bühne nur zu bald ganz schließen müssen infolge Ausbleibens der unumgänglich nöthigen Einnahmen, hätte er nicht mit Erfolg schon im ersten Sommer einen Ausweg beschritten, der sich trefflich bewährte, den längerer Gastspiele in dem damals vielbesuchten Badeort Lauchstädt bei Halle, sowie in dem reicheren Erfurt. Der Erfolg dieser Gastspiele, die sich später auch auf Naumburg, Rudolstadt, Halle und Leipzig erstreckten und stets das Beste des weimarischen Repertoires mit Sorgfalt zur Aufführung brachten, war von vornherein ein so günstiger, daß ihr Erträgniß Jahr für Jahr den Fehlbetrag der heimathlichen Kasse deckte, welche freilich auch die Kosten fast aller Neueinstudierungen zu tragen hatte.[1]
Und viel und vielerlei mußte einstudiert werden! Die kleine Zahl des Publikums vertrug keine öfteren Wiederholungen und aus Goethes eigener Erfahrung als Theaterdirektor stammt der Wahrspruch des Direktors im Bühnenvorspiel zum „Faust“: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen!“ Ueberhaupt ist jedes Wort dieser Dichtung, aus der so viele Stellen in Volkes Mund übergegangen sind, der Fülle seiner eigenen Erfahrung entnommen und sie selbst ein Spiegelbild der getheilten Empfindungen, mit denen er die materiellen Interessen der Verwaltung, die idealen der Kunst und die realen der Unterhaltungslust nebeneinander zu wahren suchte als Lenker seines Theaters. Wie er als Dichter im höchsten Aufschwunge der Phantasie nie den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen verlor, so war auch hier seine Pflege der Kunst festgewurzelt in dem Boden der gegebenen Verhältnisse. Er theilte Schillers Ansicht nicht, daß das Theater geradezu eine hohe Schule der Moral und Sittlichkeit zu sein habe, ihm genügte es, wenn es durch Poesie, Musik und Humor hohe Gefühle, vor allem Freude erwecke. Und darum gab er auch der „lustigen Person“ ihr Recht. So hatte er es schon in seinen poetischen Anfängen aus eigenem Antrieb gehalten und neben dem Götz satirische Schwänke in Hans Sachsens Weise gedichtet, so hatte er sich in seinen Maskenzügen und Festspielen, in seinen Singspielen für die Liebhaberbühne dem Geschmack der Herzogin Amalie anzupassen gewußt. Der Geschmack des Hofs wie des größeren Publikums ging auf Singspiele und Opern; Goethe kam diesem Geschmack entgegen, nur ließ er die beliebtesten Stücke durch Vulpius, Baron Einsiedel und den Konzertmeister Kranz in Text und in Musik veredeln. Allmählich führte er dann ohne Widerstand Mozarts alles verdrängendes Genie zum Sieg. So hielt er es mit Shakespeare, mit Schiller: erst hielt er sie zurück und ließ Iffland und Kotzebue regieren. Mit „König Johann“ und „Don Carlos“ lieferte er die ersten siegreichen Treffen. Von sich gab er lange Zeit nur Prosa: „Götz“, „Geschwister“, „Clavigo“ – „Tasso“ wurde von seinen Schauspielern unter Pius Alexander Wolff heimlich zu seiner Ueberraschung vorbereitet. Schließlich aber verlangte das Publikum mit Begierde nach dem, was er nur zögernd ihm als vorhanden gezeigt hatte. Doch noch im Jahre 1811, wo das klassische Drama in seinem Repertoire längst sich die herrschende Stellung erobert hatte, leitete er das Gastspiel in Halle mit einem Prolog ein, in dessen Anfang die Quintessenz der Gedanken im Faustvorspiel als ein Zugeständniß ans Publikum erscheint.
„Das Mannigfalt’ge vorzutragen ist uns Pflicht,
Damit ein jeder finden möge, was behagt.
Was einfach, rein natürlich und gefällig wirkt,
Was allgemein zu jedem frohen Herzen spricht.
Doch auch das Possenhafte werde nicht verschmäht,
Der Haufe fordert, was der ernste Mann verzeiht.
Und diesen zu Vergnügen sind wir auch bedacht:
Denn manches, was zu stiller Ueberlegung euch,
Zu tieferm Antheil rührend, anlockt, bringen wir,
Entsprossen vaterländ’schem Boden, fremdem auch,
Anmuthig Großes; dann das große Schreckliche.“
Als er im Februar 1802 seine bisherigen Erfahrungen als Theaterleiter in einem Aufsatz kurz zusammenfaßte, schrieb er im gleichen Sinne: „Das Theater ist eins der Geschäfte, die am wenigsten planmäßig behandelt werden können; man hängt durchaus von Zeit und Zeitgenossen in jedem Augenblick ab; was der Autor schreiben, der Schauspieler spielen, das Publikum sehen und hören will, dieses ist’s, was die Direktoren tyrannisirt und wogegen ihnen fast kein eigener Wille bleibt. Indessen versagen in diesem Strome und Strudel des Augenblicks wohlbedachte Maximen nicht ihre Hilfe, sobald man fest auf denselben beharret und die Gelegenheit zu nutzen weiß, sie in Ausübung zu setzen.“ Nur allmählich und ohne viel Aufhebens hatte er inzwischen seine eigenen Maximen geltend gemacht, die zuerst auf Veredelung des Spiels seiner Schauspieler und des Geschmacks seines Publikums gerichtet waren, um so den unentbehrlichen Boden zu schaffen für eine Blüthe der Kunst nach seinem Ideale auch in Bezug auf Auswahl des Besten unter den vorhandenen Bühnenstücken. Als Mittel bediente er sich desselben Kunstgesetzes, das später mit gleichem Erfolg die „Meininger“ aufnahmen: er suchte ein lebensvolles Zusammenspiel heranzubilden, bei welchem der erste wie der letzte sich verbunden fühle im gemeinsamen Werk der Hervorbringung eines Kunstganzen.
Während die Meininger aber dabei auf malerischbewegte Gesammtwirkungen ausgingen, schwebte dem Dichter der „Iphigenie“ in jener Zeit ein Ideal plastisch-rhythmischer Art vor, wie es unter dem Einfluß der Antike in ihm gereist war und – was nie vergessen werden sollte – unter dem Eindruck einer Künstlerin Form gewonnen hatte, einer Sängerin, die zugleich eine Sprecherin und Darstellerin von ureinziger Wirkungsmacht war, dieselbe, an welche denkend er seiner Iphigenie Leben und Gluth einhauchte, und welche, 1778 von Leipzig nach Weimar als Kammersängerin berufen, auch die erste Darstellerin derselben im Liebhabertheater des weimarischen Hofes wurde: Corona Schröter.
„Zum Muster wuchs das schöne Bild empor,
Vollendet nun, sie ist’s und stellt es vor.
Es gönnen ihr die Musen jede Gunst
Und die Natur erschuf in ihr die Kunst.
So häuft sie willig jeden Reiz auf sich,
Und selbst dein Name ziert, Corona, dich.
Sie tritt herbei. Seht sie gefällig stehn,
Nur absichtslos, die wie mit Absicht schön!
Und hocherstaunt seht ihr in ihr vereint
Ein Ideal, das Künstlern nur erscheint.“
So wie in diesen Zeilen, dem Ausdruck höchster Begeisterung, hat Goethe Corona Schröter wiederholt gepriesen als die Verkörperung, [316] ja Offenbarung seines Ideals reiner Natürlichkeit und edler Formvollendung in der Bühnenkunst; sie war ihm die hohe Priesterin der Musen, wie Iphigenie diejenige Dianens; sie stellte er seiner Künstlerschar als Muster vor und sie gewann er zur Lehrerin der begabtesten unter den jüngeren Talenten. Nach ihr bildete sich Amalie Malcolmi und ihr Gatte Pius Alexander Wolff, welche die „weimarische Schule“ 1816 nach Berlin verpflanzten. Und die, wie Mignon, früh verlöschende Christiane Neumann, Goethes „Euphrosyne“, bekam von ihr die Rolle der Marianne in Goethes „Geschwistern“ einstudiert wie Shakespeares Ophelia, die letzte Rolle, in welcher dieser Liebling Goethes vor seinem frühen Tode auftrat. Auch sie hat Goethe in Versen gefeiert, wie vor ihr nur Corona Schröter und nach ihr keine andere Bühnenkünstlerin besungen worden ist. Beide, Urbilder an Schönheit und Anmuth entgegengesetzter Art, Christiane ein Kind der heiteren wie Corona der ernsten Muse, haben Goethe geliebt und mit ihrer Liebe ihre Kunst beseelt und geadelt; er hat beiden dafür durch seine Liederhuldigung Unsterblichkeit verliehen. Wie sehr die rhythmisch-plastische Schule von Weimar, als noch Goethes Geist lebendig in ihren Schülern wirkte, als die Corona Schrötersche Darstellungsweise noch von solchen Nachahmung fand, die sie selbst gesehen und gehört hatten, frei gewesen sein muß von der späteren Manieriertheit, wie sie hinreißend und überzeugend gewirkt haben muß auf ein ganzes Geschlecht von Künstlern und Kunstfreunden, davon ist ihr damaliger allgemeiner Sieg über den auf den Bühnen herrschenden Naturalismus ein erschöpfender Beweis. Auch Schiller, als er nach Vollendung des „Wallenstein“ und dem großen Erfolg seiner Erstaufführung in Weimar (1799) ganz dahin übersiedelte und bis zu seinem Tod als Dramaturg eifrig an der Leitung des Theaters theilnahm, beugte sich ihrer Macht und fühlte sich zu Zugeständnissen gedrungen. Das außerordentlich erfolgreiche Gastspiel der Weimaraner in Leipzig 1807, deren dichtbesetzte, laut bejubelte Abende fast nur Aufführungen der besten Dramen von Lessing, Schiller, Goethe, Shakespeare brachten, entschied jenen Sieg. Als letzter mächtigster Vertreter derselben ragte in unsere Zeit am längsten Emil Devrient, der ewig junge, herein.
Auch in der Katastrophe, welche dann Goethe 1817 zur Niederlegung des Bühnenscepters zwang, spielte die treibende Rolle ein durch Schönheit und Talent hervorragendes Weib. Nicht als guter Genius, sondern als Dämon der Intrigue. Wie Corona Schröter in Goethe das Interesse fürs Theater zur Leidenschaft gesteigert hatte, so gelang es Karoline Jagemann, dem Dichter das Theater für alle weitere Zeit zu verleiden, Daß der äußere Anlaß dazu ein dressirter Pudel war, als habe sich der Teufel dafür rächen wollen, daß Goethe ihn im „Faust“ als Pudel auf die Bühne gebracht, ist weltbekannt. Der Wiener Schauspieler Karsten hatte um die Erlaubniß nachgesucht, seinen vielbesprochenen, überaus geschickten Hund in dem Drama „Der Hund des Aubry de Mont Didier“ auch auf der weimarischen Hofbühne auftreten zu lassen. Goethe lehnte es ab, weil dieses Gastspiel der Würde der Kunst widerspräche, aber Karl August, der davon erfuhr, bestand darauf. Dieser würde dem Konflikt gewiß aus dem Wege gegangen sein, wenn er nicht schon längst vorher durch Karoline Jagemann, die seine Gunst in hohem Grade genoß, gegen Goethes Oberherrschaft am Theater aufgehetzt gewesen wäre. Die Jagemann, die Tochter eines weimarischen Hofbeamten, war auf Kosten der Herzogin Amalie am Mannheimer Hoftheater zur Sängerin und Schauspielerin ausgebildet worden und hätte sich nach ihrem 1797 erfolgten Uebertritt auf die weimarische Bühne, schön und reizend wie sie war und ein Landeskind obendrein, schnell zum Liebling des Hofs und des Publikums emporgeschwungen. Dem Landesfürsten wurde sie mehr – „die Gesellschafterin seiner Erholungsstunden“, und erhielt als solche später den Titel einer Freifrau von Heygendorf und ein Rittergut. Auf diesen Rückhalt gestützt, hatte sie schon 1801 dem Kapellmeister Kranz peinliche Unannehmlichkeiten bereitet und auch früh schon begonnen, die ihr lästige Macht des gewaltigen Dichterministers zu unterwühlen, Goethes Frau, die als Schwester des „Theaterdichters“ Vulpius von klein auf mit dem Theater verwachsen war und große Neigung besaß, sich in diesen Theil der Geschäfte ihres Gatten zu mischen, dürfte ihr dies erleichtert haben. Kurzum, nachdem sie schon 1808 dem Dichter seine Stellung so weit verleidet hatte, daß er ein Entlassungsgesuch einreichte, gab ihr 1817 der „Hund des Aubry“ und seine Ablehnung durch Goethe die lang gesuchte Handhabe, einen Zwiespalt zwischen Karl August und Goethe herbeizuführen, der dessen unwiderruflichen Austritt aus der Direktion des Theaters zur Folge hatte. Seine Nachfolger wurden – wenn auch nicht äußerlich – sie und ein Schützling von ihr, der Bassist Stromeyer.
In wie weit Frau Jagemann als Künstlerin das Erbe der Goetheschen Kunstübung würdig zu verwalten gewußt hat, können wir nicht mehr feststellen: daß ihr anmaßlich eitles Eingreifen in die Regiegeschäfte, ihre Umtriebe gegen Goethe und ihr wahnwitziges Unterfangen, in der Direktion an seine Stelle zu treten, das Theater schnell von seiner vielbewunderten Höhe heruntergebracht haben, dies ist dagegen zweifellos. Das Drama wurde zurückgedrängt, die Oper, und zwar vom Virtuosenstandpunkt aus, bevorzugt. Erst mit dem Eingreifen Hummels als Hofkapellmeister, der 1820 von Stuttgart nach Weimar kam, nahm wenigstens die Oper einen künstlerischen Aufschwung, der die Musikfreunde einigermaßen schadlos hielt. Die Jagemann ist später – als Freifrau und Rittergutsbesitzerin – in Vergessenheit und Einsamkeit gestorben. In der Zeit ihrer Theaterleitung war auch – 1825 – das Theater abgebrannt, das die Stätte unwiederbringlich weihevoller Stunden höchster Kunstpflege gewesen, das Goethe und Schiller in herrlichen Prologen und Vorspielen gefeiert hatten, das der Schauplatz geworden war einer ganzen
Mit höchster Erlaubniß wird heute, Sonnabend den 7ten May 1791. auf dem Hof-Theater in Weimar aufgeführet: Die Jäger. Ein ländliches Sittengemälde in fünf Aufzügen vom Herrn Iffland.
Personen: Oberförster Warberger zu Weissenberg. Hr. Malcomi. Oberförsterin, dessen Frau. Mad. Amor. Anton, ihr Sohn, Förster zu Weissenberg. Hr. Einer. Friedericke, Nichte und Pflegetochter des Oberförsters. Mad. Matstedt. Amtmann von Zeck zu Weissenberg. Hr. Amor. Kordelchen von Zeck, dessen Tochter. Mlle. Malcolmi. Pastor Seebach zu Weissenberg. Fischer. Der Schulze zu Weissenberg. Hr. Matstedt. Matthes, Jäger bei dem Oberförster. Hr. Demmer. Rudolph, Jäger bei dem Oberförster. Hr. Becker. Barth, Gerichtsschreiber zu Leuthal. Hr. Genast. Die Wirthin zu Leuthal. Mad. Neumann. Bärbel, ihre Tochter. Mlle. Neumann. Reichard, Bauer von Leuthal. Hr. Becker. Kappe, Bauer von Leuthal. Hr. Schütz. Romann, Bauer von Leuthal. Hr. Blos. Jägerbursche. Bauern.
Dem Stücke geht ein Prolog vor. Da die Gesellschaft größtentheils neu zusammengetreten ist, so sind die Anfangsrollen nicht als Debüts zu betrachten, sondern es wird jedem einzelnen Mitgliede nach und nach Gelegenheit gegeben werden, sich dem Publico zu empfehlen.
Auf dem ersten Parterre 12 Gr., auf dem zweyten 8 Gr., auf der Gallerie-Loge 4 Gr., auf der Gallerie 2 Gr.
Anfang halb 6 Uhr.
F. J. Fischer.[317]
[318] Reihe von Erstaufführungen klassischer Meisterdramen, des „Wallenstein“, des „Tell“, des „Tasso“ und vieler anderer, bei denen die Dichter selber als Regisseure und Direktoren gewaltet hatten. Vor dem Neubau ist am 3. September 1857, an einem der großen Erinnerungsfeste Neu-Weimars, ein Denkmal erstanden, das Goethe und Schiller nebeneinander zeigt, einen Ruhmeskranz in den Händen. Und der Geist ihres gemeinsamen Wirkens ist denn auch bis in unsere Tage der segnende Schutzgeist des weimarischen Hoftheaters geblieben, so wechselvoll seine Schicksale, so verschiedenwerthig die Nachfolger Goethes in der Oberleitung auch gewesen sind.
Was auch die Hoftheaterintendanten von Weimar, Hofmarschall von Spiegel (1828–1847), von Ziegesar, von Beaulieu-Marconnay, und die besonders erfolgreichen Generalintendanten Franz von Dingelstedt (1857–1867) und August von Loën (bis 1887) versucht und ausgeführt haben, um den alten Ruhm dieser Bühne durch neue Thaten aufzufrischen, das Beste, was sie boten, war immer auch eine Neubelebung des Goetheschen Theatergeistes, ob nun ein kühnes Eintreten für neue Talente, ob eine mustergültige Pflege des klassischen Erbes dabei als Zweck wirkte. Und nur in diesem Sinne kann auch der neue Generalintendant Freiherr von Bronsart den alten Ruhm der ihm unterstellten Bühne wahren. Für die vielfältigen Bemühungen des Großherzogs Karl Alexander, dem Beispiel Karl Augusts als Förderer der Künste in zeitgemäßer Weise nachzueifern, blieb das Theater immer ein Mittelpunkt. Ob unter seinem Schutze nun der „jungdeutsche“ Aufschwung des deutschen Bühnenlebens oder die „neudeutsche“ Oper Richard Wagners in Weimars Hoftheater bevorzugte Förderung fand, ob Shakespeare-Cyklen oder Musteraufführungen klassischer Opern veranstaltet wurden, immer hing die neue Gegenwart die eigenen Ruhmeskränze an den Sarkophagen des klassischen Weimars auf.
Als in Franz Liszts Hand der Kapellmeisterstock zum Feldherrnstab wurde, der die Wagnersche Muse zum Siege leitete, knüpfte er klug die neue Aera an den alten Ruhm dieser Kunststätte; die erste Aufführung des „Lohengrin“ im Jahre 18..0 beraumte er auf den Tag von Goethes Geburtstag an und ein Prolog von Dingelstedt schlug die Brücke über beide Welten. So war es unter Loën in der großen Wagner-Woche von 1870 und bei der Aufführung des „ganzen Faust“ in der Bearbeitung des weimarischen Regisseurs Otto Devrient mit Musik von Ed. Lassen, dem verdienstvollen Hofkapellmeister der Bühne seit Liszts Abgange.
Die Festspiele, welche neuere Dichter eigens für die weimarische Bühne geschaffen haben, Dingelstedts „Erntekranz“, Gutzkows „Shakespearefeier an der Ilm“, Scheffels „Linde von Ettersburg“ etc., sie brachten immer aufs neue zum Ausdruck, daß alles neuere deutsche Kunststreben auf der Bühne, vor allem aber auf der des weimarischen Hoftheaters das Wirken und Schaffen unserer großen klassischen Dichter zur Voraussetzung hat.
Alle Rechte vorbehalten.
Eine unbedeutende Frau.
(18. Fortsetzung.)
Es war gegen vier Uhr morgens, als Antje geweckt wurde durch ein heftiges Läuten an der Hausthür. Der Schlaf hatte die müde geweinten Augen doch endlich geschlossen; nun fuhr sie empor aus einem schweren Traum, der sie an ein Wasser geführt hatte, in dem Leo vergeblich kämpfte, das Ufer zu gewinnen; sie stand dabei mit gebundenen Händen und gefesselten Füßen, unfähig, zu helfen. Er selbst hatte sie so gebunden, er wollte sich nicht retten lassen von ihr.
Sie saß mit Herzklopfen hoch – hatte sie sich getäuscht? Hatte es wirklich geläutet?
Da schrillte die Glocke zum zweiten Male, ängstlich, hastig, als sei ein Unglück geschehen. Im Nu war sie in den Kleidern. Vielleicht Feuer?
Auf dem Gange liefen schlurrende Schritte vorüber, die Treppe hinunter – der Hausknecht eilte, zu öffnen.
Antje band sich mit zitternden Händen die Schleife an dem Gürtel ihrer Blouse; da pochte es auch schon. Sie riegelte die Thür auf und der Knecht stand vor ihr mit blassem scheuen Gesicht.
„Madame Jussnitz, ach Gott, liebe Madame, erschrecken Sie man nicht, ’s hat mal wieder ein Unglück gegeben – drunten ist der Förster von der ‚Grünen Halde‘ – – Der Herr – ach Du Mein Gott – er –“
Antje starrte den Alten an, als verstehe sie ihn nicht. Da erscholl auch des Försters Stimme. „Frau Jussnitz,“ sagte er und trat in den Lichtkreis, der aus Antjes Thür brach, „dem Herrn ist ein Unglück geschehen, so ähnlich wie dazumal; er muß rasch Hilfe haben; meine Frau sagt, Sie hätten einen Doktor im Hause. – Frau Jussnitz, fallen Sie nicht!“
Er sprang hinzu und stützte die Wankende. Aber Antje stand schon wieder aufrecht. „Weckt den Herrn Doktor, laßt anspannen,“ befahl sie kurz; „wie lange fahren wir, Herr Förster?“
Sie hatte die Thür ihres Zimmers weit aufgelassen und suchte nach Tüchern und Hüllen; der Hausknecht eilte davon.
„Dreiviertel Stunden, wenn Sie die Pferde nicht schonen. Frau Jussnitz!“
„Nehmt Vorspann!“ rief sie dem Knecht nach und eilte zu der Thür des Zimmers, in welchem ihr Kind schlief. Im selbigen Augenblick ward diese aufgethan und Hilde stand ihr gegenüber. Antje faßte das zitternde Mädchen an der Hand und zog sie in ihre Stube.
„Dort schläft das Kind,“ sprach sie aufgeregt, „hüten Sie es, denn ich muß zu ihm.“
„Was ist geschehen? Um Gotteswillen, liebe Frau Jussnitz, was ist’s?“ flehte das erschreckte Mädchen.
Antje hielt inne mit ihrem hastigen Treiben. „Er hat sich das Leben nehmen wollen,“ sagte sie heiser.
Maiberg trat eben in das Zimmer, als Hilde mit einem Schrei zusammenbrach.
„Hanne,“ rief die junge Frau der Wirthschafterin entgegen, die, von dem ungewohnten Lärm aus ihrem leisen Schlafe geweckt, daher kam, „nehmen Sie sich des Fräuleins an, wir haben keine Zeit, wir müssen fort – Maiberg, kommen Sie!“
Und sie eilte die Treppe hinunter. Maiberg rief noch einige Verhaltungsmaßregeln zurück, dann folgte er ihr. Der Wagen fuhr eben vor.
„Schont die Pferde nicht,“ sagte Antje zum Kutscher. Dann stieg sie ein, nach ihr Maiberg und der Förster, und der Wagen brauste von dannen. Maiberg, der neben der jungen Frau saß, fühlte das Zittern und Beben, das sie von Zeit zu Zeit schüttelte. Aber kein Wort der Anklage, des Selbstvorwurfs, wie er gefürchtet hatte, kam über ihre Lippen. Sie that ein paar Fragen an den Förster; es war, als könnte sie nur mühsam sprechen.
„Es ist nur, weil er gar so arg blutete, Frau Jussnitz; mein armes Dorchen weiß sich keinen Rath – und diesmal, sehen Sie, diesmal konnten wir ihn nicht hinunter schaffen, diesmal ist’s eben schlimmer,“ sagte der Mann.
Sie schwieg. Es ging steil bergan, aber in eiligem Tempo. Sie bog sich aus dem Wagenfenster. „Wir sind ja erst am Chausseehause!“ flüsterte sie.
„Schon?“ sagte der Förster, „dann dauert’s nicht mehr lange.“
Eine Weile noch, dann hielt der Wagen mit den keuchenden Pferden vor dem niedrigen Häuschen, aus dessen Fenstern das röthliche Lampenlicht in die eben aufsteigende graue Dämmerung des Aprilmorgens leuchtete. Antje stieg aus und eilte die Stufen zur Hausthür empor, der Förster kam ihr nach.
„Oben, gnädige Frau, oben!“ flüsterte er.
Und sie erstieg die steile Treppe; sie hielt sich bei jedem Schritt fest am Geländer, es wollte sie bedünken, als wichen die Stufen unter ihr, als wankte das Häuschen über ihrem Kopf. Sie hatte nur eine Bitte, einen Wunsch, er möchte noch leben, nur noch ein paar Minuten! „Lieber gerechter Gott, nur noch so lange, daß ich ihn fragen kann – warum, warum er mir das gethan, – daß ich ihm die Hand drücken kann, nur das noch! – Erbarme Dich!“
Auf der Schwelle des Stübchens stand die Försterin; sie machte der todtblassen jungen Frau Platz. „Er ist nicht bei Bewußtsein,“ flüsterte sie und bückte sich nach dem Pelz, der [319] von Antjes Schultern geglitten war; dann machte sie die Thür hinter ihr zu. Sie sah nur noch, wie die Frau mit gefalteten Händen vor das Bett trat, auf welchem der Verwundete ruhte. Dann blieb sie stehen in dem niedern Vorplatz, der als Decke das Dach mit seinem Sparrenwerk hatte. Todtenstill war es ringsum; man wartete auf den Doktor, der unten seine Anordnungen traf. Es dünkte sie eine Ewigkeit, dieses Warten, und doch währte es kaum eine Minute, bis Maiberg und der Förster mit allem, was zum Verbinden eines Schwerverwundeten nöthig ist, die Treppe heraufkamen.
Antje half bei der Untersuchung der Wunde wie eine geübte Krankenpflegerin. Von Zeit zu Zeit blickte sie Maiberg an, als könnte sie von seinem Gesicht die Antwort auf ihre stumme Frage ablesen: Tod oder Leben?
„Sagen Sie es doch ehrlich, es ist sehr schlimm!“ flüsterte sie endlich und starrte auf die blutgetränkten Kissen.
„Er ist dem Verbluten nahe, und das ist zunächst das Bedenklichste,“ erwiderte er. „Die Kugel ist durch die Brust gegangen, aber am Rücken wieder ausgetreten, und dies ist nicht ungünstig, auch besitzt er eine sehr kräftige Natur. Es steht alles in Gottes Hand, Frau Antje.“
Und Antje nickte still; sie wußte es genau, hier war der Tod näher als das Leben. Und sie half, den Bewußtlosen wieder auf das Lager betten, nachdem der Verband angelegt war.
„Ist er zu transportiren?“ forschte sie.
„Keine Möglichkeit!“ war die Antwort.
Antje setzte sich still in den alten, mit blau und roth gewürfeltem Leinen bezogenen Lehnstuhl zu Füßen des Bettes. „Beordern Sie alles zur Pflege Erforderliche, Herr Doktor,“ sagte sie. „Drunten im Hause sind Eisbeutel und dergleichen vorhanden; der Wagen mag sogleich alles holen.“
Er erbot sich, zu wachen, aber sie lehnte es ab. „Das ist meines Amtes.“ Sie merkte kaum, daß er sich entfernte. Sie sah sich wie im Traume in dem winzigen Kämmerchen um; dann fielen ihre Augen auf einen Brief, der unter einer Blumenvase auf der Kommode lag; sie konnte ihn erreichen, ohne sich zu erheben.
„An meine Frau!“ las sie. In dem Umschlag stak eine Depesche und ein Brief.
Sie las bei dem verlöschenden Lämpchen die Nachricht des Bankiers, die Ablehnung des Bildes, und sie ließ die Blätter sinken und wandte sich dem Bewußtlosen zu. „Darum?“ fragte sie, „darum?“
Aber er lag da, mühsam athmend, und konnte ihr nicht antworten, hörte sie nicht.
„Hättest Du doch Vertrauen zu mir fassen können, hättest Du doch!“ jammerte sie leise und faßte nach seiner Hand, die zusammengeballt auf der Decke lag. Und dann zuckte sie zurück; zwischen den wachsbleichen Fingern schaute ein Endchen rothes Band hervor, und als sie es mühelos denselben entwand, war es eine kleine rothe Schleife, eine Schleife, die sie kannte, so gut kannte!
„Darum!“ sagte sie nun laut, „ja das hatte ich vergessen! – Also darum!“
Bange schwere Tage folgten, Tage, an denen die rothhaarige Förstersfrau zusammengekauert auf einer Treppenstufe saß, die Hunde zur Ruhe verwies und die Magd bedeutete, leise zu sein, denn der Herr oben würde sterben.
„Alter, heute abend geht’s zu Ende, den heutigen Tag überlebt er nicht mehr, ’s ist unmöglich, es kann ja keiner soviel aushalten,“ flüsterte sie dann ihrem Manne zu, und die verweinten Augen, die eine Farbe wie rothbrauner Sammet hatten, sahen verzagt zu dem Fenster der Krankenstube hinauf. „Paß auf, Alter, wenn Du heimkommst vom Schnepfenstrich, ist’s vorüber. Ich hab’ auch die Nacht das Käuzchen schreien hören, und im ganzen Leben hat’s hier oben noch nicht geschrieen.“
„Dore, Du hast eben immer einen so guten Schlaf gehabt.“
„Ach, Wilhelm, ich bitte Dich – er stirbt gewiß!“
„Glaub’s auch fast, Dore.“
„Die arme Frau, Wilhelm! Sie sieht zum Erbarmen aus und vierzehn Tage sind’s nun, daß sie keinen Schlaf gehabt hat, kaum daß sie’s am Tage leidet, wenn ich sie einmal ablösen will an seinem Bett.“
„Ja – hm – Euch Weibern hat’s Gott extra gegeben, daß Ihr keine Müdigkeit kennt bei so etwas. Mich hättest Du schon lange begraben, Dore, wenn ich einmal vierzehn Nächte nicht hätte schlafen dürfen, und so eine verwöhnte Dame, und keine Klage, kein unnützes Lamento – kannst was lernen, Dore!“
Und der Mann schritt mit dem Hund an der Leine in den dämmernden Frühlingswald hinein, und sein junges Weib stand auf der Steintreppe vor der Hausthür und sah ihm nach. „Herr Gott, man lernt Dich erst erkennen, wenn man an das da oben denkt,“ murmelte sie und schwur sich hoch und theuer, den Wilhelm nie wieder zu ärgern, und dabei wurde sie roth, denn er ärgerte sich eigentlich nur, wenn sie gar zu viel plapperte und sich neckte mit den Herren Malern, die an das kleine Forsthaus wie fest gebannt schienen. Sie warf einen Blick zu den Giebelfenstern hinauf, die weit geöffnet standen, um eine Luft einzulassen, so weich, so feuchtwarm und lenzesduftig, wie man sie selten athmet hier oben um diese Jahreszeit.
Der neunzehnte April war’s; die Buchen hatten einen dicken krausen Schimmer, und alle Tage konnten die Knospen brechen. In den Thälern war es schon grün, das Herrenhaus von „Gottessegen“ lag schon im lichtesten Smaragdschimmer des Frühjahrs und die Veilchen blühten an der Gartenmauer massenhaft. Der Doktor hatte es gestern erzählt; er war unten gewesen und hatte einen großen Strauß von dort mitgebracht für Frau Antje, und um das Krankenbette duftete es, als sei es an einem Veilchenhang aufgeschlagen.
Die Försterin sah abermals nach oben; dort stand jetzt Antje am Fenster, erschöpft und blaß, und schaute in die duftige Welt hinaus mit traurigen Augen.
„Frau Jussnitz! Frau Jussnitz, es ist ein so wonniger Abend heute, gehen Sie ein wenig spazieren, ich will derweil aufpassen droben,“ flüsterte Dorchen hinauf.
Antje schüttelte den Kopf und wandte sich in das Zimmer zurück.
„Sie wird sich ruiniren, ja, das wird sie,“ sagte die Frau, „aber, lieber Gott, ’s ist eben ihr Mann.“ Und dann setzte sie sich auf die Schwelle der Thür und strickte an einem mächtigen graugrünen Strumpf für den Wilhelm.
Oben saß Antje wieder im Lehnstuhl. Der Kranke lag im Schlummer, zum ersten Mal in einem ruhigen Schlummer, ohne das beängstigende Stöhnen, das rasche Athmen wie bisher. Antje hatte ihm die feuchte Stirn getrocknet und jetzt ruhten ihre Hände leicht gefaltet ineinander; ihre Augen hatten sich geschlossen, eine zwingende Müdigkeit hatte sich ihrer bemächtigt. Ein paarmal noch schreckte sie empor, dann schlossen sich die verwachten Augen und der Kopf neigte sich gegen die Lehne des Stuhles. Sie schlief. Todtenstill war es ringsum, nur der Schrei eines Stares, der zu Nest flog, drang herein. Die Dämmerung war von einem leichten kaum bemerkbaren rosigen Schimmer gefärbt, wundersam verschönte sie das kleine ärmliche Zimmer.
Der Kranke regte sich; er öffnete die Augen und schloß sie wieder, und endlich hatte er sie weit aufgethan und schaute umher mit dem ersten Blick wiedererlangten vollen Bewußtseins. Wie erstaunt musterte er das Stübchen, dann aber sank der kaum erhobene Kopf mit einem leisen Aufstöhnen wieder zurück in die Kissen. Sein Blick aber blieb hängen an der Frau dort im alten Lehnstuhl. Sie schlief ganz fest. Er betrachtete sie, als müßte er sich vergewissern, daß diese schlanke dunkle Gestalt es wirklich gewesen, die ihn in den letzten dumpfen Tagen gepflegt, gehegt, gestützt hatte.
Antje? War sie es denn wirklich? Nein, die Antje, die er gekannt hatte, war ein schönes blühendes Weib gewesen, und hier lehnte ein Antlitz in dem Polster, das der Gram um Jahre älter gemacht hatte, mit fest geschlossenem, schmerzlich verzogenem Mund und gerötheten Augenlidern, als hätte es viele, viele Thränen geweint.
Die ganze Erinnerung packte ihn plötzlich, und dann ein Zorn, ein namenloses Weh – daß er lebte. Weshalb stürzen sich die Menschen auf eine Beute des Todes, um sie ihm zu entreißen mit allen Mitteln der Wissenschaft, mit der raffinirtesten Kunst? Großer Gott, wer giebt ihnen das Recht, einen Unglücklichen zum Weiterleben zu zwingen? Er konnte, er durfte ja nicht leben!
Er machte eine Bewegung mit der linken Hand; ein leiser Schmerzensruf entfuhr ihm.
Sie schreckte empor aus ihrem Schlaf und im nächsten Augenblick beugte sie sich über ihn. Er fühlte mit geschlossenen Augen ihren besorgten Blick; er fühlte, wie die weichen kühlen [320] Finger sich sanft auf seine Stirn legten, um zu prüfen, ob die schreckliche Hitze ihn wieder quäle.
Er lag wieder ruhig gleich einem Schlafenden; er hatte den Muth nicht, die Augen aufzuschlagen.
Sie ging von ihm fort an das Fenster. „Frau Dora,“ hörte er sie leise rufen, „wissen Sie nicht, wann der Herr Doktor zurückkehrt? Ich hab’ heute ganz vergessen, zu fragen.“
„Ei, der wird schon pünktlich sein; es wär’ das erste Mal, daß er nicht wie die Stunde selbst käme, Frau Jussnitz. S’ ist erst in acht Minuten Sieben. – Da ist er ja schon!“ rief sie dann.
„Gottlob!“ flüsterte Antje.
Dem Kranken auf seinem Lager drang dieses „Gottlob!“ plötzlich wie ein spitzes Eisen in die Wunde. Er fühlte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg; das alte ärgerliche Gefühl packte ihn, wie es ihn früher ergriff, wenn Maiberg neben Antje saß. Abermals stöhnte er auf, und als er drunten die Begrüßung zwischen der Försterin und dem Freunde hörte und Antje sich auf den Zehen aus der Stube schlich zu seinem Empfang, da starrte er ihr bei ihrem Wiedereintritt entgegen mit finsteren Blicken.
Aber der Arzt sah doch gleich, daß das Bewußtsein wiedergekehrt war; er trat zum Bette und sagte laut und herzlich: „Ei, grüß Gott, Leo, da haben wir Dich ja! Na, es war auch die höchste Zeit, alter Freund.“
Antje stand am Fußende. Sie verharrte da wie aus Stein gemeißelt, den Kopf etwas in den Nacken zurückgebogen, mit einem müden traurigen Ausdruck im Gesichte.
„Wünschst Du augenblicklich etwas, Leo?“ fragte sie leise.
„Nein!“ antwortete er.
„Ich bin unten in der Stube des Försters, falls Du mich brauchst,“ sagte sie und ging hinaus.
„Maiberg, ist das Deine ganze Kunst, daß Du Leuten, die gern sterben wollen, das Leben ein wenig verlängerst?“ fragte Leo mit Anstrengung.
„Ein wenig? Ich hoffe – recht lange, wenn Du vernünftig bist, mein Alter.“
„Ich kann unter diesen Verhältnissen nicht leben.“
„Unter welchen?“
„Mein Gott, Du wirst ja wissen – – “
„Das heißt, ohne Deine Frau, Leo, kannst Du nicht leben!“
Des Kranken Antlitz ward dunkelroth. „Behandle mich nicht, als sei ich ein dummer Junge! Sie wird Dir doch getreulich geklagt haben, weshalb ich – den Revolver nahm –“
„Auf Ehre, Leo, ich verstehe kein Wort von dem, was Du redest.“
„Antje hätte Dir nichts erzählt?“
„Nein!“
Leo schloß die Augen und lag still. „Dann hast Du auf andere Weise erfahren, daß ich – –“
„Ich weiß buchstäblich nichts, nur gedacht habe ich mir mein Theil. Aber – rege Dich nicht auf.“
„Was hast Du gedacht?“ fragte Leo matt, „ich bitte Dich!“
„Deine thörichte Leidenschaft für Hilde –“
Ein leises verächtliches Lachen erscholl.
„Nicht, Leo? Sag’s ehrlich, – oder sag’s lieber nicht, es ist ja nicht mehr von Belang.“
„Man macht seinem Leben kein Ende einer Weiberlaune wegen, wenigstens ich nicht,“ sprach der Kranke. „Es muß schlimmer kommen, man muß erst alle seine Hoffnungen in Trümmern erblicken, ehe – – laß es Dir erzählen von ihr, von Antje.“
„Wenn sie mir das hätte anvertrauen wollen, hätte sie es längst gethan. Ich will Dir einen Rath geben – schlafe!“
„Gieb Du mir lieber das Versprechen, mich wieder auf die Beine zu bringen, mich leidlich gesund zu machen, so etwa, daß ich Holz hacken kann oder dergleichen. Betteln gehen, das ist nicht eben jedermanns Sache, und zu weiter langt’s nicht mehr.“
„Du wirst ganz gesund werden, wenn Du vernünftig bist.“
„Bestelle, bitte, meiner Frau, daß sie sich nicht mehr um mich bemüht; sie versäumt Wichtigeres darüber.“
„Mensch, bist Du denn noch immer in Deiner alten gräßlichen Verblendung über diese Frau?“ wollte Maiberg rufen, aber er unterdrückte es, Leo war noch zu krank. Er zuckte nur die Schultern und trat ans Fenster; er ärgerte sich, daß er so schon erregter gesprochen hatte, als gut war.
Drunten ging der Werkführer mit Antje im Gespräch langsam auf und ab. Der alte Herr kam gewissenhaft einen um den andern Tag herausgefahren, Bericht zu erstatten über den Gang der Geschäfte. Sie saßen dann, das blecherne Schreibzeug des Försters zwischen sich, an dem mit Wachstuch bezogenen Tische in dem WohnstÜbchen unten und „regierten“, wie der alte Herr es nannte.
Heute setzten sie dies auch beim Umherwandern fort. Der Werkführer schien sehr eifrig, er blieb mitunter stehen und begleitete seine Rede mit lebhaften Gebärden; sie hatte den Kopf gesenkt und hörte zu, und wenn sie sprach, waren es nur wenige Worte.
Maiberg wandte sich um. „Schlafe,“ sagte er noch einmal zu Leo, „grübele nicht; ich habe noch unten zu thun.“
Der Kranke blieb stumm, aber er lächelte bitter. Er konnte dann die Stimme des Freundes draußen hören und einen hellen Schrei, den Dora ausstieß; er klang wie Jubel. Eine Minute später huschte sie in die Stube.
„Ach, ich wollte ja nur sagen, wie ich mich freue, daß Sie wieder bei Verstande sind,“ flüsterte sie. „Himmlischer Vater, es wäre doch ein Elend gewesen, hätten Sie sterben müssen, grad’ jetzt, wo alles so grün wird und soviel Gutes in der Welt ist. Herr Jussnitz, wie konnten Sie nur – – Große Güte, hätten Sie den Jammer gesehen von Ihrer Frau, das Herz hätt’ sich Ihnen im Leibe umdrehen müssen! Geklagt und geweint hat sie ja nicht, aber die Hände hat sie gefaltet, als sie vor das Bett trat und Sie so jammervoll daliegen fand, und ausgesehen hat sie wie die Maria in der Oberroder Kirche unter dem Gekreuzigten – grade so, und Tag und Nacht ist sie auf den Füßen gewesen. Aber sehen Sie, so was thut man auch nur aus purer wahrhaftiger Treue, Herr Jussnitz.“
„Schweigen Sie!“ unterbrach er barsch den Redestrom der Frau.
Sie sah ihn erschreckt an, blieb noch ein Weilchen stehen und schlich dann still aus der Kammer. „Er ist eben doch noch nicht gesund,“ dachte sie, indem sie die Treppe hinunterstieg.
Und der Kranke lag allein. Die Dunkelheit brach allmählich herein und vom Walde her wehte es kühl über seine heiße Stirn. Zuweilen unterbrach ein kurzer Hundeblaff die Stille oder das Rasseln der Kette, mit der die Kuh im Stall festgemacht war; sonst schien das Häuschen wie ausgestorben.
Sie mochten wohl dort unten im Stübchen sitzen und miteinander sprechen, oder Antje war mit Maiberg ein Stück dem Walde zugegangen in der lauen berückenden Frühlingsluft. Er sah sie plötzlich vor seinem geistigen Auge; dicht nebeneinander gingen sie schweigend dahin, die beiden Gestalten, was gab es auch zu sprechen? Jetzt nichts – noch lange nichts – noch athmete er ja. Und plötzlich packte ihn ein zorniges Verlangen, zu sehen, was diese Frau eben jetzt that, die Frau, die leiden konnte wie eine Maria und – und doch so stolz handelte wie eine Königin.
Was wollte sie noch von ihm? Warum ließ sie den Elenden nicht liegen, wo er lag? Er wollte kein Mitleid, er wollte keinen Edelmuth, er haßte sie in dieser Minute ebenso wie früher, da er sie seine Kette genannt hatte.
Horch, knarrte da nicht die Treppe? Leise schlich es herzu und trat in die Thür. Sie war es; in der einen Hand trug sie die Nachtlampe, sie sorgsam mit der andern schützend, damit kein blendender Strahl sein Auge treffe. Nun ging sie an die Kommode, stellte die Lampe so, daß der Schatten des Lichtschirmes auf sein Bett fiel, kam dann herüber und bog sich über ihn, den sie schlafend glaubte. Einen Augenblick verharrte sie so, dann schloß sie die Fenster bis auf eine der kleinen oberen Scheiben, setzte sich schließlich an den spärlichen Lichtschimmer zur Kommode, holte ein Notizbuch hervor und begann zu schreiben.
Er konnte sie deutlich beabachten, und er that es mit einem nie gekannten Verlangen, etwas in ihrem Gebahren zu entdecken, das ihn kränken müsse, das ihm das Recht gebe, sie hinauszuweisen. Mitunter schaute sie auf und strich sich über die Stirn und ihre Augen hatten einen bangen sorgenden Ausdruck, dann rechnete sie weiter. Ein paarmal seufzte sie tief auf; endlich legte sie den Bleistift zur Seite und zog behutsam und leise die Strohmatratze hinter dem kleinen Ofen hervor, breitete sie vor seinem Bette aus, holte von einem Stuhl Decken und Kissen und schickte sich an, ihre Krankenwacht zu halten.
Er richtete sich nach einem Weilchen auf und blickte zu ihr hinunter, die Müdigkeit hatte sie wohl überwältigt, sie schlief scheinbar ruhig und fest. Er blieb schlaflos, sie immer wieder ansehend, bis zum grauenden Morgen; endlich übermannte auch ihn die Mattigkeit.
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[322] Als er aufwachte, lachte die Sonne in das Gemach und der zarte Schatten tanzender knospender Zweige spielte auf seiner Decke, auf dem Boden des Zimmers und auch über die leere Stelle, wo Antje geschlummert hatte.
Er faßte den aus einem starken Hanfstrick bestehenden Glockenzug, dessen Griff eine Hasenpfote bildete, und läutete ungestüm.
„Hallo!“ rief der Doktor zur Thür herein, „das klingt ja sehr kräftig! Was befiehlst Du? Frühstück? Frau Dora wird es sofort bringen.“
Er wollte fragen nach Antje, aber das Wort blieb ihm auf den Lippen. Er sah sich nur im Zimmer um, als vermisse er etwas.
„Sie ist schon in aller Herrgottsfrühe hinunter gegangen,“ sagte die junge Försterin, die eben eingetreten war und seine stumme Frage schnell errieth, „’s wird wohl hohe Zeit sein, daß sie sich mal umsieht nach Kind und Wirthschaft. O du liebe Zeit, sie hat’s nicht leicht trotz ihres Reichthums.“
Er biß sich auf die Lippen; war sie gegangen, weil sie wußte, daß er ihrer jetzt nicht mehr bedurfte?
Wunderliche Tage erlebte er nun; Tage, getheilt zwischen Zorn über die, die ihm stolz fern blieb, zwischen Selbstvorwürfen und der Sehnsucht nach ihr. Er horchte mit allen Sinnen aufrollende Räder, auf Peitschenklang vom Walde her; er fuhr zusammen, wenn die alte Treppe draußen ächzte unter einem leichten Tritt, und erblaßte, wenn dann nur Frau Dorchen eintrat. Er verspottete sich selbst laut darüber; und wenn abends die Dämmerung kam und Maiberg das Buch fortlegte, daraus er dem Kranken vorgelesen hatte, und ihn verließ, um frische Luft zu schöpfen, wenn es so still um ihn geworden war, daß er das Ticken des Holzwurms im alten Gebälk vernahm und das Rascheln einer Maus unter den Dielen, dann legte er die Hand über die Augen und preßte die Zähne auf einander, und etwas, das er seit seinen Knabenjahren nicht mehr gekannt, rieselte aus den brennenden Augen über die Wange hinunter. Aber zornig trocknete er die Thränen und schalt sich einen kranken sentimentalen Narren; und wenn der Doktor wiederkehrte und freundlich zu plaudern begann, gab er herbe und beißende Antworten. Fragen nach Antje that er nie. –
Und sie kam nicht wieder. –
Die Tage verstrichen; Leos Jugendkraft erstritt sich, wenn auch langsam, doch siegreich die Genesung. Er saß bereits vor der Thür oder ging, auf Maibergs Arm gestützt, ein Stückchen am Waldesrand entlang.
„Die Luft hier oben ist für Dich wie geschaffen, Leo,“ erklärte der Freund, „und im übrigen sind’s herrliche Tage, die man hier so verbummelt. Gott weiß, ob’s einem je wieder so gut wird. – Frieden, Stille, Waldesfrische – – ich genieße die Gegenwart, wie lange nicht.“
Der Doktor riß dabei den Hut vom Kopfe und schaute in das Laub der maigrünen Buchen und sein sonst so ernstes Gesicht hatte einen Ausdruck von heimlichem Behagen.
„Ich glaube, Du bekommst Besuch, Leo!“ rief er nun und wandte sich um. „Schau, schau, die Braunen von der Hütte, und das kleine Weiße, was da drinn sitzt, ist Dein Töchterlein in Begleitung der sehr ehrenwerthen Frau Classen!“
Richtig! An der Hand der Alten, die sich festlich mit der heimathlichen Holländerhaube und den großen Ohrringen geschmückt hatte, kam, einen großen Strauß Blumen in der winzigen Hand, ein zierliches kleines Mädchen den Herren entgegen getrippelt.
„Da, Papa!“ sagte es und hielt die Blumen empor; und das rosige Kindergesichtchen schaute, selbst eine frische Knospe, unter dem Hütchen hervor.
Maiberg setzte den Feldstuhl für Leo zurecht unter einer mächtigen Buche und schlenderte weiter. Er sah noch, wie Leo gedankenvoll des Kindes Händchen in den seinen hielt, während die Classen sich auf den Rasen setzte und das Strickzeug hervorholte.
„’s ist schön Wetter,“ brach die Alte das Schweigen endlich, „und hier oben ist’s gar so prächtig im Wald, und ich bin froh, daß wir wieder daheim sind in den Bergen.“
Er nickte zerstreut.
„In dem alten Nest, dem Sibyllenburg, war ungesunde Luft, Herr; ’s hat nicht gepaßt für uns allzusammen,“ fuhr sie fort und begann eine neue Nadel. „Leonie, da liegt ein Tannenzapfen, bring’ ihn her! – Man muß ein wenig spielen mit ihr, Herr,“ erinnerte sie, „sie ist’s gewohnt von Fräulein Hilde.“
„So, so! Ist das Fräulein noch unten?“
„Ja, die ist noch bei uns, Herr; es sieht auch nicht aus, als wollte sie fort.“
„Wann sind Sie denn von Sibyllenburg gekommen?“ fragte er und sah der Kleinen nach, die auf dem grasbewachsenen Weg dahinsprang.
„Vor ein paar Tagen, gleich nachdem es verkauft war.“
Er fuhr in die Höhe. „Verkauft?“ – Aber was ging es ihn an!
„Die gnädige Frau war selbst da mit dem Herrn Justizrath und hat alle Sachen ausgesucht, die nicht verkauft werden sollten. O du mein! Sie hat ausgesehen wie eine Leiche, als sie unterschrieb, und ich konnt’ mich doch nur freuen, es war ein Unglücksnest, das alte Haus.“
„Wer hat es gekauft?“ hätte er gern gefragt, aber er brachte es nicht über die Lippen – es konnte ihm gleich sein, ihm hatte ja nicht ein Stein von dem Ganzen mehr gehört.
Die Classen erblickte jetzt die Försterin, die vom Hause her winkte, und ermahnte die Kleine, artig zu sein. Jedenfalls war eine gute Tasse Kaffee zu erhoffen.
Der blasse Mann und das rosige Kind blieben allein; es war wieder herbeigekommen, saß still spielend zu seinen Füßen und lächelte ihn nur dann und wann an mit zwei grünlichen, klaren, wundertiefen Augen. Er betrachtete es wie eine Blume, die über Nacht erblüht ist, mit staunender Bewunderung. Er kannte sein eigen Kind kaum und sah erst heute, wie eigenartig hübsch es war.
Nun stand es auf. „Komm mit zu Mama,“ bat es und faßte schmeichelnd seine Hand.
Er wurde roth unter dem Blick dieses kleinen Geschöpfes.
„Zu Mama!“ wiederholte es und der Mund verzog sich zum Weinen. Und als er sitzen blieb, ohne sich zu rühren, begann es wirklich zu weinen, und dieser Alarmruf ließ die Classen und die Förstersfrau zu gleicher Zeit herbeieilen.
„I, Du böses Kind,“ schalt die Försterin und trug das schluchzende Würmchen davon, um ihr die „Muhkuh“ zu zeigen; die Classen aber blieb stehen. „So ein Zornkopf,“ sagte sie, „aber das hat sie von Ihnen, Herr!“
Und nun begann sie eine Reihe von Charakterähnlichkeiten aufzuzählen; „aber durchgehen lassen wir ihr nichts!“ schloß sie.
Am Sarge eines Helden.
„Moltke ist todt!“ Seit Kaiser Wilhelm I. hinabsank in die Gruft, ist kein Wort im Deutschen Reiche schmerzlicher von Millionen Lippen wiederholt worden wie dieses! Nicht viel Reden hörst du, nicht viel Klagen! Wie das am kräftigsten geschleuderte Geschoß den geradesten Weg aufs Ziel nimmt, so ringt die mächtigste Ergriffenheit nach dem einfachsten Ausdruck. „Moltke ist todt!“ Andere Worte findet und sucht auch hier nicht das erschütterte Gemüth; sie sagen alles mit bitterer Vollständigkeit; und wo sie gesprochen werden, da erfüllt ein tiefer Schmerz alle Herzen, ein banges Empfinden der jäh gerissenen Lücke – –
So ehrt ein Volk seine großen Männer, wenn sie sterben müssen!
Es ist ein zweischneidig Schwert, mit dem die Helden des Kriegs sich ihren Ruhm erstreiten. Denn die Räder ihres Siegeswagens führen über zerstampfte Felder, über bleiche blutige Leichen, und den Siegesjubel, der sie umtost, überdauert stilles, herzbrechendes Weinen. Wilde Begeisterung folgt ihren Spuren – selten, nie fast aufrichtige Liebe. Glücklich noch die wenigen, die als Staatsmänner die Wunden heilen durften, die sie als Feldherrn schlagen mußten. Cäsar und Friedrich dem Großen war es vergönnt, das zerstörende Prinzip des Schlachtensiegers aufzuwiegen durch schöpferische Gestaltungen. Aber an des ersten Napoleons Ruhm zehrt der Fluch des Massenmörders. Denn kein bildender, schaffender, dauernder Gedanke versöhnt mit der schauerlichen Erhabenheit seines Welterobererthums.
[323] Warum steht Moltke, der nur Feldherr war, dem Herzen des deutschen Volkes so nahe? Warum vergessen wir, daß die Blume seines Ruhmes auf dem Anger erblühte, der mit dem Blute unserer Väter, Söhne und Brüder gedüngt ward? Warum zürnen wir ihm nicht ob der Thränen, welche die großen Tage seines Lebens fließen machten, warum fluchen wir ihm nicht ob der Todessaat, die er ausstreute, indem er seinen Fuß auf die Schwelle der Unsterblichkeit setzte?
Du giebst sie Dir selbst, die Antwort. Wir wissen alle, daß Moltke die Kriege, die er geführt, nicht selbst gesucht, nicht selbst verschuldet hat. Ihn trifft kein Theil an jener furchtbaren Verantwortung, welche die Könige und-Staatsmänner tragen müssen: war der Krieg nothwendig oder nicht? War er gerecht oder ungerecht? Weltenfern bleibt ihm der Verdacht, als hätte er die Kriege gewollt, weil er Lust an Kriegen gehabt, einen Tummelplatz für seine große Kunst gesucht hätte, weil sein Ehrgeiz nach einer neuen Staffel des Ruhms begierig gewesen wäre. Wohl hat Moltke es bekannt, daß er den ewigen Frieden nur für einen Traum erachte, und nicht einmal für einen schönen Traum. „Der Krieg,“ so schrieb er an den Staatsrechtslehrer Bluntschli in Heidelberg, „ist ein Element der von Gott eingesetzten Weltordnung. Die edelsten Tugenden des Menschen entfalten sich darin: Muth und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit. Der Soldat giebt sein Leben hin. Ohne den Krieg würde die Welt in Fäulniß gerathen und im Materialismus sich verlieren.“ Aber wenn ihm so der Krieg gleich einem reinigenden Gewitter ist, das über die Völker dahinfährt, so hat er an diesen Glauben doch nie die Folgerung geknüpft, ihn rufen zu sollen. Nicht daß, sondern wie gekriegt wurde, war Moltkes Verantwortung. Ruhig stand er da, das Schwert in der Scheide, und sorgte nur pünktlich dafür, daß es immer fein scharf, schneidig und locker sei. Kam dann der schicksalsvolle Augenblick, das Schwert zu ziehen, nun dann – in Gottes Namen! Dann rückte er hinaus ins Feld, ganz ein Mann der Pflicht und des Gehorsams.
Und wie hat er dann dies Schwert geführt! Berechnend und kühn, vorsichtig und wuchtig, zuwartend und behende. Da war keine Finte, die nicht glückte, keine Parade, die nicht deckte, kein Streich, der nicht saß. Und darin ist ein Zweites begriffen, was einen versöhnenden Schein über Moltkes blutbethaute Lorbeeren ausgießt. Wo ist der Mensch, dessen Verstand es sich nicht mit unabweisbarer Gewißheit aufdrängte, daß der am genialsten geführte Krieg zugleich der menschlichste ist? Da ist keine Mühsal so schwer, keine Entbehrung so herb, kein Opfer so blutig, daß nicht ein vollwerthiger Zweck sie aufwöge. In die Thränen, die fließen, die Schmerzen, die erduldet werden müssen, mischen sich nicht wie bittere Wermuthstropfen die Anklagen: es war umsonst, nutzlos, verfehlt! Da ist kein barbarisches Sichzerfleischen, kein sinnlos wüthendes Aufreiben der gegenseitigen Kräfte, da wird das Schlachtfeld nicht zur Schlachtbank erniedrigt: Schutzgeist, nicht Würgengel ist die Feldherrnkunst in ihrer höchsten Vollendung. Und nun vollends ein Krieg wie der des Jahres 1870! Ein Krieg, der einem ganzen großen Volke ein Jahrzehntelang erstrebtes Kleinod, seine Einheit, erstritt, der die Schuld von Jahrhunderten auslöschte aus den Tafeln der Geschichte – wahrhaftig, einen solchen Krieg glücklich geführt zu haben, das ist der höchste und zugleich der reinste Ruhm, der einem Schlachtenlenker beschert werden kann.
Das ist es, warum wir Moltke, den Mann des Krieges, nicht bloß bewundern, sondern auch lieben!
Wir wollen heute nicht das Leben Moltkes erzählen. Erschöpfen könnten wir es nicht im Raume einer kurzen Skizze und die großen hervorragenden Ereignisse desselben leben frisch im Gedächtniß der Mitwelt. Manches hat auch die „Gartenlaube“ schon ihren Lesern erzählt, sie hat sie eingeführt in die ländliche Idylle von Creisau, die Moltke sich geschaffen, und am Tage seines siebzigjährigen Dienstjubiläums einen Rückblick auf die Laufbahn dieses seltenen Mannes geworfen, sie hat im vorigen Jahre seinen neunzigsten Geburtstag mit ihm gefeiert.
Ja, fast einundneunzig Jahre ist Moltke alt geworden, so alt wie Kaiser Wilhelm I., mit dessen Größe die seinige so innig verwachsen ist. Als Moltke ein Knabe war, da brachen die Franzosen plündernd in das Haus seines Vaters zu Lübeck ein und die preußische Königsfamilie suchte im äußersten Osten ihres schwerheimgesuchten Landes Schutz vor dem korsischen Eroberer. Und als Moltke starb, da war aus dem zerrissenen, geknechteten, verhöhnten Deutschland ein einiges, gefürchtetes, geachtetes Reich geworden und auf dem Throne dieses Reiches saß der Enkel des Knaben, der einst mit seiner todtkranken Mutter in Sturm- und Schneegestöber nach Memel geflüchtet war – welch eine Wendung! Daß sie aber kam, diese Wendung, das verdankt das deutsche Volk nächst seiner eigenen Kraft und Tüchtigkeit, die in der Erniedrigung nicht erlag, in der Noth nicht verzagte und in der Oede nicht verkümmerte, das verdankt das deutsche Volk jenem stolzen Dreigestirn von Männern, an deren Namen sich des Deutschen Reiches Gründung auf ewig knüpfen wird: Kaiser Wilhelm I., Bismarck und Moltke.
Wie Moltke im Felde der Führer des deutschen Schwertes war, so war er im Frieden sein Hüter. Dies Schwert durfte nicht rosten und nicht schartig werden, das war der Inbegriff der Aufgabe, an deren Erfüllung er die Kräfte seines Greisenalters setzte, der er diente als Soldat und als Bürger, als Chef des Generalstabs, als Vorsitzender der Landesvertheidigungskommission und als Abgeordneter im Reichstag – nicht infolge beruflicher Einseitigkeit, sondern auf Grund der Erfahrung eines Menschenlebens, das fast ein Jahrhundert umspannte.
Sie werden weniger und weniger, die Helden, die im Jahre 1870 an der Spitze der deutschen Heere standen; viele sind gestorben, Moltke war einer der letzten, der noch aktive Dienste leistete. Noch vor wenig Tagen hatte er die Welt wieder einmal durch eine Probe seiner Rüstigkeit in Erstaunen gesetzt, hatte der Nagelung neuer Feldzeichen, einer Parade im Lustgarten, der Grundsteinlegung der Lutherkirche und einem Festmahl im königlichen Schlosse hintereinander an einem Tage beigewohnt, und kein Zeichen der Ermüdung verrieth seiner Umgebung, daß dem Einundneunzigjährigen die Last zu schwer würde. Nun hat auch er die Wahlstatt, Leben genannt, verlassen, den nie Besiegten bezwang das eherne Gesetz der Natur. Worauf die mit menschlichen Wahrscheinlichkeiten rechnende Vernunft längst uns vorbereiten mußte, das ist am Abend des 24. April eingetreten – die klugen, klaren Augen haben sich geschlossen, an deren Falkenblick einst das Wohl und Wehe von Millionen hing, und das Haupt hat sich geneigt, dessen Gedanken einst Legionen lenkten.
Deutschland aber trauert am Sarge seines Helden!
Blätter und Blüthen.
Uralter Brauch und Glaube, wie er sich im Volksleben und Volksgemüth unter den späteren Kulturschichten mit wunderbarer Lebenskraft, meist allerdings unverstanden oder gar sinnlos, erhalten hat, geht jetzt mit immer rascheren Schritten dem unvermeidlichen Untergange entgegen.
Davon kann sich jeder ältere Mann überzeugen, wenn er beobachtet, wie dasjenige, was hiervon in seiner Kindheit noch ein wesentliches Stück des Gemüthslebens der Kleinstädter und Landleute ausmachte, heutzutage den jungen Leuten fast ganz unbekannt geworden ist. Die ganz neue Kultur dieser Zeit des Dampfes und der Elektricität zerstört eben bei allen hochgebildeten Völkern mit unerbittlicher Gewalt die Ueberbleibsel der Vorzeit, ebenso wie die in der Erde geborgenen Urnenfelder und Reihengräber, die alten Ringwälle und Schutzburgen, Opfersteine u. dergl. m. Diese und jene sind aber die alleinigen Zeugnisse und Urkunden von dem äußeren und inneren Leben, besonders auch dem religiösen Glauben unseres Volkes in der Urzeit.
Es ist darum ein höchst zeitgemäßes Unternehmen, zwar nicht den oft krassen Aberglauben, aber doch die Kunde von jenen Dingen zu erhalten und zum Verständniß der Vorzeit wissenschaftlich zu verwerthen. Beitragen kann dazu ein jeder, welcher Liebe zum Volke und seiner Eigenart hegt, wenn er, was davon zu seiner Kenntniß kommt, und sei es auch nur die Nachricht, daß es früher einmal bestanden hat, einem sachverständigen Forscher möglichst vollständig mittheilt und für Bewahrung der in Wäldern, Hügeln und Flachgräbern oder sonstwo gefundenen Alterthümer und deren Ablieferung an Museen sorgt.
Zu den für die Erforschung der Urzeit hochbedeutsamen Erscheinungen gehören auch die ursprünglich heiligen Feuer, welche namentlich zu Ostern oder Johanni, doch auch zu Walpurgis und Michaelis, [324] angebrannt werden und mehr noch früher angezündet wurden, sammt den dabei geübten mancherlei Bräuchen und Scherzen, von welchen auch in der „Gartenlaube“ schon mannigfach die Rede gewesen ist.
Um aber über die jetzige oder frühere Verbreitung eines jeden dieser Feuer, seine Stammeszugehörigkeit und Bedeutung zu sicheren Ergebnissen zu kommen, ist es nöthig, aus allen Gegenden Mittheilungen recht vollständig zu sammeln und zu verarbeiten. Da der Unterzeichnete an dieser Arbeit ist, bittet er alle, die ihm dabei freundliche Hilfe leisten wollen, ihre Adresse ihm anzugeben, damit er ihnen einen genauen Fragebogen zuschicken kann, falls sie ihm nicht gleich alles, was sie darüber irgend wissen, schreiben wollen.
Lübben i. d. Lausitz. Dr. F. Weineck.
Die Krankenpflege im Frieden und im Kriege. Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß der Andrang der Frauen, die sich der Krankenpflege widmen wollen, ein besonders reger ist. Diese Kunst selbst kann allerdings nur im Krankenhause unter Anleitung eines erfahrenen Arztes erlernt werden, aber trotzdem ist auch für die geschulten Krankenpflegerinnen ein Leitfaden nöthig, in dem sie jeden Augenblick nachschlagen können, um das, was sie gelernt haben, sich im Nothfalle wieder zu vergegenwärtigen. Ein solches Buch ist „Die Krankenpflege im Frieden und im Kriege“ von Dr. Paul Rupprecht (Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel). Es ist insbesondere für Pflegerinnen, Pfleger und Aerzte geschrieben, eignet sich aber auch zum Gebrauch für jedermann, und aus diesem letzteren Grunde möchten wir auf dasselbe empfehlend hinweisen. Des Lebens Schicksale versetzen uns oft in die Lage, daß wir Kranke pflegen müssen, und da ist es gut, in der Gestalt eines übersichtlich geordneten, klaren und gemeinverständlichen Buches einen Rathgeber zur Hand zu haben. Zum Gebrauch für jedermann eignet sich das Buch auch darum, weil in demselben in aller Kürze die Gesundheitspflege und die Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen berücksichtigt sind.
Giftpflanzen und Viehweiden. Viele Pflanzen bilden Gifte als Vertheidigungsmittel gegen die Angriffe der Thiere, und solche Gewächse werden in der That von den weidenden Thieren in Ruhe gelassen, wie wir dies vom Stechapfel, vom Schierling, Bilsenkraut u. a. wissen. Nur selten ereignet es sich, daß es gefeite Thiere giebt, die von den Blättern jener Giftpflanzen leben können. Von den Blättern der Tollkirsche z. B. nährt sich das kleine Käferchcn Haltica Atropae. Andere Pflanzen sind wieder mit Stacheln bewehrt, so daß sie ungenießbar sind. Diese Thatsachen führen auf Viehweiden zu einer eigenartigen Veränderung der Flora. Sucht man z. B. in den Alpen Gebiete auf, die viel von Weidethieren begangen werden, so bemerkt man, daß in besonders großen Massen widerliche, bittere oder übelriechende Pflanzen vorkommen. Auch in der Pußta erkennt man solche Stellen an dem häufigen Auftreten von hohen Distelarten, Wollkräutern, von Stechapfel und Bilsenkraut und vielen Wolfsmilcharten. Auf den Schafweiden des Karstes gedeiht besonders die starre, stachlige blaue Mannstreu – kurz, wir sehen, daß überall diejenigen Pflanzen siegen, die am besten bewaffnet sind. Das ist im kleinen derselbe Vorgang, der sich in den dürren Steppen Asiens und Afrikas seit Jahrtausenden im großen abgespielt und den dornigen und stachligen Pflanzenwuchs erzeugt hat, der jenen Gebieten eigen ist. *
Fuchs und Schildkröte.
Eine indische Fabel.
Der Fuchs erjagte einst am Meeresufer
Die Schildkröt’, die zum ersten Mal er sah.
Begierig, seine Beute zu verzehren,
Versuchte er, die Schale zu zerbeißen,
In welcher diese seinen Zähnen trotzte;
Doch alle seine Mühe war vergebens.
Unmuthig hielt er inne, nachzudenken,
„Der Hunger quält mich,“ sagte er, „ich muß
Ein ander Wild mir zu erlegen suchen,
Doch erst will ich dies räthselhafte Wesen
In meine Höhle tragen, um mit Muße
Nachher es zu zerkleinern.“ –
Furcht ergriff
Die Schildkröt’. Und sie sprach: „Gestrenger Herr!
Ich sehe wohl, daß ich dem Tod verfallen;
Doch wenn du mir die Qualen willst verkürzen
Und dir sogleich ein Mahl verschaffen, tauche
Mich in das Meer, so wird mein Panzer weich,
Und ohne Mühe kannst du mich verzehren.“
„Ei freilich! Das ist wahr!“ frohlockt der Fuchs,
„Mich wundert, daß ich selbst nicht daran dachte.“
Und damit trug er die Verschlagene
Zur Fluth und tauchte sie hinein.
Doch kaum
In ihrem Element, war sie entwischt –
Und spottete aus sicherer Entfernung
Des Füchsleins, das beschämt von dannen schlich.
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Es findet auch der Schlauste seinen Meister.
M. Busemann.
L. H. in Triest. Sie finden ein Bild von Abbotsford, dem Landsitz Walter Scotts, im Jahrgang 1871 der „Gartenlaube“, S. 571
W. Gr. in Offenbach. Besten Dank für Ihre freundliche Mittheilung! Wenn die Offenbacher Druckluftanlage im Laufe dieses Frühjahrs noch fertig werden wird, dann dürfte es für Fachleute und Laien höchst interessant sein, in nächster Nachbarschaft von einander die Leistungsfähigkeit der Elektricität auf der Frankfurter Ausstellung und die der Druckluft in Offenbach zu prüfen. Der Wetteifer zwischen beiden kann nur zu beider Vortheil ausschlagen.
E. Bl., California. Lassen Sie das fein bleiben mit den Belladonnatropfen! Das Mittel ist sehr giftig und in Laienhänden höchst schädlich. Nur ein Arzt kann es zu Heilzwecken verordnen. Also noch einmal, lassen Sie sich warnen vor so gefährlichen Versuchen!
R. P. in Markneukirchen. Wir empfehlen Ihnen das Studium der einschlägigen Abschnitte in dem Buche von Süersen, „Anleitung zur Pflege der Zähne und des Mundes“, (Leipzig, Ernst Keil’s Nachfolger.)
E. K. in Lyon. Wenn Sie über Ausdrücke in Artikeln der von Ihnen genannten Zeitschrift im unklaren sind, so müssen Sie schon so freundlich sein, sich an die Redaktion dieses Blattes zu wenden.
Inhalt: Lea und Rahel. Roman von Ida Boy-Ed. (2. Fortsetzung). S. 309. – Die Tarockbrüder. Bild. S. 309. – Pfingstblume. Bild. S. 313. – Zur Jubelfeier des weimarischen Hoftheaters. Von Johannes Proelß. S. 314. Mit Abbildungen S. 314, 316 und 317. – Eine unbedeutende Frau. Roman von W. Heimburg (18. Fortsetzung). S. 318. – Helmuth von Moltke †. Bild. S. 321. – Am Sarge eines Helden. S. 322. Mit Abbildung S. 321. – Blätter und Blüthen: Uralter Brauch und Glaube. Von Dr. F. Weineck. S. 323. – Die Krankenpflege im Frieden und im Kriege. S. 324. – Giftpflanzen und Viehweiden. S. 324. – Fuchs und Schildkröte. Eine indische Fabel. S. 324. – Kleiner Briefkasten. S. 324.
Vollständig in 75 Lieferungen à 40 Pfennig, alle 14 Tage eine Lieferung.
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Vollständig in 10 Bänden, vierteljährlich ein Band.Inhalt: Band 1. Aus dem Leben meiner alten Freundin. Mit Illustrationen von W. Claudius. – Band 2. Lumpenmüllers Lieschen. Mit Illustrat. von R. Wehle. – Band 3. Kloster Wendhusen. – Ursula. Mit Illustrationen von A. Zick. – Band 4. Ein armes Mädchen. – Das Fräulein Pathe. Mit Illustrationen von A. Wandlick. – Band 5. Trudchens Heirat. – Im Banne der Musen. Mit Illustrationen von E. Ravel. – Band 6. Die Andere. – Unverstanden. Mit Illustrationen von W. Claudius. – Band 7. Herzenskrisen. Mit Illustrationen von C. Zopf. – Band 8. Lore von Tollen. Mit Illustrationen von M. Flashar. – Band 9. Eine unbedeutende Frau. Mit Illustrationen. – Band 10. Unter der Linde. Elf Novellen. Inhalt: Am Abgrund. Unsere Hausglocke. Unser Männe. Jascha. In der Webergasse. Großmütternchen. Nachbars Paul. Aus meinen vier Pfählen: 1. Dorotheens Bild. 2. Onkel Leos Verlobungsring. 3. Flickdorchen. Auf schwankem Boden. Mit Illustrat. v. A. Zick, C. Koch, R. wehle, C. Zopf und W. Claudius.
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- ↑ Näheres findet der Leser in den Schriften „Goethes Theaterleitung in Weimar“ von Ernst Pasqué (Leipzig 1863) und „Das Repertoire des weimarischen Theaters unter Goethes Leitung“ von Archivdirektor Burkhardt (Leipzig 1891).