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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1884
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
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Quelle: commons
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[245]

No. 15.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.

Ostern.
Von
Eduard Paulus.

Nach des Winters langer Plage
Diese lichten Ostertage,
Sanftes Grün auf sanften Matten,
Weiche Luft und klare Schatten;
Traumhaft aus der Erde Kräften
Quillt es auf in Lebenssäften,
Daß die zarten Knospen glänzen,
Die den Lindenbaum bekränzen.

Rauschend über Stein und Wiesen
Brünnlein von den Bergen fließen,
Und mit stillen Augen schauen
Veilchen schon — und leuchtend blauen
Dort die schönen kühngezackten
Felsgebirge, ihre nackten
Stirnen, fast im Himmel droben,
Noch vom letzten Schnee umwoben.

Drüben von des Waldes Saume,
Auf dem höchsten Eichenbaume,
Singt die Drossel ihre Lieder,
Und mit neuem Glanze wieder
Aus des Himmels kühler Ferne
Blicken groß die Abendsterne,
Die aus fremden Paradiesen
Strahlen auf dir Erde schießen.

Und die lieben Osterglocken
Läuten wieder mit Frohlocken
Aus dem Thal mit vollen Klängen,
Alle Kerkernacht zu sprengen,
Dir noch stockt in Menschenherzen —
Jedem seine Osterkerzen,
Siegend über Tod und Sünden,
Flammend wieder anzuzünden.




[246]

Salvatore.

Napoletanisches Sittenbild.0 Von Ernst Eckstein.
(Fortsetzung.)


2.

Oberhalb der sogenannten Marina Piccola, mit dem Ausblick nach Süden, lag völlig vereinsamt die steingemauerte Hütte Alberto Petagna’s.

Der Insasse – der Sohn jenes gesprächigen Silvio – war mit seinen drei- oder vierundzwanzig Jahren ein Sonderling. Er hauste hier ganz allein, und fuhr auf eigene Faust in die offne See. Nur wenn die Fahrt sich besonders weit von der Küste entfernte, begleitete ihn wohl ein Knabe, der sich bald hier, bald dort auf der Insel herumtrieb und von Zeit zu Zeit bei Alberto anfragte.

Neben dem Fischerkahn besaß Alberto eine zierliche Barke, die in den Nachmittagsstunden ab und zu von den Fremden benutzt wurde; denn das Gestade ist hier auf der Südseite besonders reich an großartigen Naturschönheiten.

Nach dem Städtchen jenseits des Bergrückens kam Alberto fast nur des Sonntags, wenn er im kurzen Wams, den breitkrämpigen Filzhut über der Stirn, zur Messe ging. Dann verweilte er bis zum Abend, brachte die Mittagsstunden im Hause des Vaters, die späteren auf einem der Plätze zu, wo die jüngeren Leute sich am Spiel der Morra ergötztem und genoß wohl in der Osteria zum Falken ein Glas Vesuvwein. Geflissentlich aber mied er die Gesellschaft der jungen Mädchen; er sah nicht zu, wenn zum Klange des Tambourins der Reigen getanzt wurde, – geschweige denn, daß er selbst sich jemals betheiligt hätte. Nur seine Cousine, die dunkelzöpfige Zingarella, traf er zuweilen im Elternhause, bis das Verhältniß Maria’s zu dem apulischen Schreiber hier eine Aendrung hervorbrachte, indem es zwischen ihr und dem greisen Silvio eine immer wachsende Spannung hervorrief.

An jenem Nachmittag saß Alberto vor der Thür und las. Gleich den meisten capresischen Fischern war auch er, wie die Statistik es ausdrückt, alphabetlos aufgewachsen; aber seit Zingarella den Unterricht jenes Fremdlings genossen hatte, ließ es ihm keine Ruhe mehr. Voll verzehrender Neugier hatte er die Bücher bestaunt, die Maria einst in das Haus seines Vaters gebracht, um daraus vorzulesen und dem Zweifler so zu beweisen, daß nichts Unrechtes und Sündhaftes in denselben enthalten sei. Und da nun Alberto sie darum anging, brachte sie eins dieser Bücher auch am folgenden Sonntage mit, und so fort, und Alberto fragte sie, wie zum Spiele, nach der Bedeutung der einzelnen Lettern, die er bald unterscheiden lernte, ohne daß sie sich träumen ließ, die Belehrung werde ihm haften bleiben. Und dann geschah es, daß er insgeheim dem Steuermanne des Marktschiffs den Auftrag ertheilte, ihm ein ähnliches Buch aus Neapel mitzubringen, und späterhin andre, bis der alphabetlose Fischer fließend las und den Inhalt dieser Bücher begriff und sich nun ernstlich mit dem großen Gedanken trug, auch die Kunst des Schreibens zu lernen.

Das Buch, das er jetzt mit beiden Händen gepackt hielt, als gelänge es ihm so besser, das Alles, was er hier fand, in sich aufzunehmen, war ein classisches Werk, weit berühmt im liederfrohen Italien: die Sonette des liebeskranken Petrarca.

Für ein Geringes hatte der Steuermann das fleckige, umschlag-entblößte und verstümmelte Exemplar bei einem der Straßen-Buchhändler in der Molo-Straße gekauft, ohne sich vorzustellen, wie wenig diese schmelzenden Klänge gerade jetzt in die Gemüthsverfassung Albertos paßten.

So oft das Wort „Laura“ in den Sonetten wiederkehrte, las Alberto mit heimlicher Gluth „Maria“; denn er liebte seine Cousine, so lange er denken konnte.

Schon als elfjähriger Knabe, da sie, sechs oder sieben Jahre alt, an seiner Hand nach Anacapri gewandert, um dort die Großmutter zu besuchen, die nun seit lange schon todt war, hatte er die Blicke nicht wegwenden können von dem reizenden, sonnverbrannten Gesichtchen, von den nachtschwarzen Augen, die so trotzig rings in die Welt schauten, und den prächtigen Zöpfen, die ihr so breit und schwer über das rothe Kleidchen mit dem citronenfarbenen Bund fielen.

Wenn sie dann müde war oder der Bergpfad sich gar zu steinig und schroff nach der Höhe wand, wie glückselig hatte er sie mit beiden Armen umklammert und hinaufgetragen bis zur nächsten Terrasse, wo sie im Schatten eines großblätterigen Feigenbaums ruhen und plaudern konnten!

Die Kleine war launisch und übermüthig; oft zerzauste sie ihm das Haar; oft schalt sie ihn, wo er freundlichen Dank erwartet hatte; ja einmal, als er in gutem Glauben ihr eine Frucht bot, die ihr nicht mundete, schlug sie ihm mit der kleinen Hand in’s Gesicht, mitten auf’s Auge, daß ihm das helle Feuer heraussprang. Und dennoch: er konnte nicht zürnen; ihr Uebermuth, ja selbst ihre Unart beglückte ihn. Sie war doch da, sie saß neben ihm; er hörte die klare, tiefe Stimme, fast zu tief für ein siebenjähriges Mädchen, aber so zauberisch, so unsagbar berückend!


Dann später, als sie heranwuchs und immer schöner ward, so schön, daß ihr Anblick ihn fast mit bangender Scheu erfüllte – wie verzehrte er sich in quälenden Widersprüchen! Denn – sagte er sich – je vollkommner sie ist, um so weniger wird sie Acht haben auf Dich und Deine heimliche Liebe. – Er hätte, Gott weiß was, darum gegeben, wenn er irgend etwas hätte entdecken können, was ihren Liebreiz verringerte, – eine Narbe vielleicht, wie er sie links auf der Stirn trug als Erinnerung an den ersten Ritterdienst, den er dem Mädchen geleistet, da es sich nämlich um die Abwehr eines zudringlichen Napoletaners handelte; oder ein Muttermal; oder selbst Schlimmeres; denn er meinte, er würde sie lieben, und wenn ihr ein Felsstück von der Höhe des Salto herab beide Füße zerschmetterte, oder die schrecklichste Krankheit ihr das Antlitz für immer zerrisse! Die Augen würden doch bleiben, und die Stimme, die er vergötterte, die er nicht hören konnte, ohne ergriffen zu werden, wie vom Klange der Orgel! Dann schält er sich wieder, daß er so gottlose Thorheiten denke, und suchte sich einzureden, trotz ihrer Schönheit und trotz der Bewunderung, die ihr allenthalben zu Theil wurde, möchte Maria wohl die Ehrlichkeit seiner Gesinnungen und die Unermeßlichkeit seiner Hingebung höher schätzen, als die kecke Beweglichkeit Derer, die sie mit lockenden Schmeichelworten tagtäglich umschwärmten. Er konnte nicht schmeicheln; er war froh, wenn er in ihrer Gegenwart überhaupt nur ein vernünftiges Wort über die Lippeu brachte. Als er nun eines Tages dazu kam, wie sie drunteu am Ufer im Schatten der altersgrauen Olivenbäume mit dem hübschesten Burschen von Capri, dem hochgewachsenen Masetto, sich im Wirbel der Tarantella schwang, da gelobte er sich, die Stätten, wo die Jünglinge und Mädchen mit einander verkehrten, nie wieder aufzusuchen. Der Anblick hatte ihm tief in das Herz geschnitten.

Von jenem Tage an trug er sich mit dem Plane, das Haus des Vaters, sobald es anginge, zu verlassen und sich jenseits des Bergrückens eine Art von Einsiedelet zu gründen.

Schon im folgenden Herbst führte er diesen Plan aus. Der Pfarrer, ein leutseliger, freundlicher Herr, der ihm besonders wohlwollte, streckte ihm gern die geringe Summe vor, die zur Erbauung der dürftigen Steinhütte nöthig war; auch für das Uebrige fand sich Rath, und so entzog sich denn Alberto mit Gewalt der Nähe des Mädchens, dessen sein Herz so voll war.

Ursprünglich hatte er die Absicht gehegt, sie ganz zu meiden, und wochenlang war er ihr aus dem Wege gegangen. Dann aber fühlte er die innere und äußere Unmöglichkeit, das auf die Dauer so durchzuführen. In dieser völligen Trennung fand er nicht Ruhe; die Sehnsucht verzehrte ihn; überdies hatte er Pflichten gegen den Vater, dessen einziger Sohn er war, nachdem die beiden älteren Brüder an den Klippen der Punta di Campanella den Tod gefunden.

So ergab sich nachgerade die Lebensführung, die er noch jetzt befolgte: die Woche hindurch blieb er für sich; des Sonntags weilte er bis zum Abend im Städtchen.

Für den Silvio war es ein Freudenfest, wenn sein Alberto herüberkam; denn ihm selbst war der steile Pfad über den Bergrücken zu beschwerlich, und seine Zeit war beschränkt.

[247] Natürlich hatte er die Beweggründe dieser einsiedlerischen Neigung von Anfang durchschaut. Wie er den Sohn kannte, wäre es vergeblich gewesen, ihn zur Rede zu stellen; Alberto hätte ihm hocheeröthend in’s Antlitz gestarrt und keine Silbe der Entgegnung gefunden. Wohl aber sprach Silvio rückhaltslos mit Maria, und diese, anfangs erstaunt und dann, wie es schien, recht wohl geneigt, ihm Gehör zu geben, ward plötzlich rebellisch: denn in diese Zeit fiel der erste Besuch des Apuliers ...

Nun kam für Alberto eine Reihe unerhörter Gemüthsbewegungen. In starrer Verzweiflung folgte er den Phasen dieses Verhältnisses; denn ob sein Vater auch schwieg: der Knabe, der dem Einsiedler beim Fischen half, erzählte ihm in seiner Harmlosigkeit mehr, als er zu wissen begehrte. – Zum ersten Male, seit er dachte und fühlte, goß sich etwas wie Haß durch die Brust Alberto’s. Das Vorurtheil des Inselbewohners gegen den Fremdling, der auf die Tochter Capri’s kein Recht hatte, trug dazu bei, diese Empfindung zur Wuth zu steigern. – Er hätte den glücklichen Nebenbuhler erdrosseln, er hätte ihm an den Klippen des Felseneilandes die übermüthige Stirn zerschmettern mögen!

Zwischen solchen Momenten des innern Aufruhrs lagen dann viele Tage schmerzlich-stiller Entsagung und phantastischer Wehmuth. Alberto hatte entdeckt, daß ein Stück Poet in ihm schlummere; wenigstens war ihm jede Zeile seines Petrarca aus der Seele geschrieben, und wenn er des Abends sein Lager aufsuchte, klangen die Verse, die er gelesen, in hundertfacher Variation durch sein Hirn, und es drängte ihn, Aehnliches aus dem Eignen zu schaffen und es mit Zügen zu schmücken, die an die schönen Tage seiner ersten Jugend erinnerten.

Eine so traumhafte Stimmung beherrschte ihn auch in jener Nachmittagsstunde vor seiner Hütte. Um diese Zeit kam selten Jemand über den Bergrücken. So brauchte er nicht geheim zu thun mit seiner Lectüre. Ohne Scheu saß er auf dem niedrigen Felsstück, das ihm die Stelle der Bank vertrat, – mit einem Ausdruck der Sicherheit, als sei das Alles ringsum – der Strand, die zerklüfteten Bergwände, die umbrandeten Klippen und landeinwärts die fernen Olivengärten und Vignen – nur die Decoration seiner Bühne, nur der Zubehör seines verschwiegenen Heims.

Von Zeit zu Zeit hob er den Blick von den halb vermoderten Blättern und schaute sinnend ins Blau der offenen See, die, eine scharf begrenzte Wand, vor ihm aufstieg, ohne Segel, einsam und schweigend, ein rechtes Bild seines stillen, abgesonderten Daseins.

Da raschelte von dem Pfad, der in mannigfachen Windungen über den Kamm führte, etwas Geröll über die Böschung. Aufhorchend vernahm Alberto dann Schritte. Er schob das Buch in die Tasche und machte Anstalten, die Fremdlinge zu empfangen; denn er vermuthete, es seien Inglesi, die seiner Dienste bedürften. Blaß aber und ohne die Fähigkeit, sich zu regen, blieb er auf halbem Weg stehen: die da leichtfüßig über die rohen Felsstufen herabschritt, war seine heißgeliebte Maria, und hinter ihr stirnrunzelnd, als ob ein schwerer Gedanke ihn ganz gebannt hielte – kam Salvatore, der verhaßte Apulier.

Das war zuviel! Hatte er sich um deswillen hier in die Wildniß der Felsenküste geflüchtet, damit die grausame Zingarella ihm nachzöge, um ihr Glück ihm zu zeigen und ihn vor den Augen des Nebenbuhlers zu höhnen? Oder was wollte sie sonst, die Undankbare, die immer schöner wurde, je mehr sie sein Herz bluten ließ? Aber sie sollte sich irren, falls sie den Knaben zu finden hoffte, dem ihre übermüthige Kinderhand einst ins Auge geschlagen! Wenn’s denn nicht anders war, wenn man den Streit und die Rache ihm aufdrängte – so mochten sie ernten, was sie gesäet hatten! Wie der Blitz konnte er den Apulier ergreifen, ihn herüberzerren zum Abgrund, wo die Felswand lothrecht in die brandende See fiel, und dann – ein letzter Ruf: „Maria, Dich allein habe ich bis zum Tode geliebt!“ – und hinab in die grausige Tiefe! Mochte die Meerfluth so die zerschmetterten Glieder des Glücklichen wie des Verschmähten in tödtlicher Umarmung begraben!

Das zuckte ihm so heiß durch den Sinn. Unwillkürlich strafften sich ihm die Muskeln.

Da klang ihr Gruß an sein Ohr, und alle Wuth und Qual schmolz dahin. Diese Stimme war allmächtig über sein Herz; sie verzauberte ihn so vollständig, daß jede Erinnerung an das Erlittene verlosch, daß er selbst für den Apulier nicht einen Schimmer von dem herausfordernden Blick übrig hatte, mit dem er den Gegner erwarten wollte.

„Du bist’s, Marie?“ sagte er beinahe demüthig. „Was führt Dich hierher – und wen hast Du da bei Dir?“

„Salvatore Padovanino, meinen Verlobten,“ versetzte Maria. „Er kommt von Neapel, um das Meer zu genießen, – nicht nur den Golf, und deshalb komme ich zu Dir: Du sollst uns die Barke leihen – ich will ihn rudern.“

„Ich grüße Euch!“ sprach der Apulier, zu Alberto herantretend. „Die Zingarella hat mir Manches von Euch erzählt; Ihr seid ihr Vetter, und so – wenn Gott will – bald auch der meinige. Hier, meine Hand!“

Alberto zögerte; aber das Auge der Zingarella sah ihn so freundlich und doch so gebietend an, daß er sein Herz bezwang. So reichte er denn, einen schweren Seufzer verschluckend, dem Apulier die Rechte.

„Wo liegt die Barke?“ frug Salvatore.

Alberto deutete schweigend die Stufen hinab nach einer kleinen Bucht, wo am Rande der schmalen Uferfläche ein Pflock aufragte.

„Dort hinter dem Buschwerk,“ sagte Maria. „Du verlierst doch nichts, guter Alberto? Nach der Stadt zu wenigstens sah ich Niemand, und von Anacapri her kommt selten ein Fremdling. Du weißt“ – fuhr sie erröthend fort – „wie’s vom Apostel heißt: Gold und Silber habe ich nicht ...!“

Alberto machte eine Bewegung, als rede sie thöricht, da es doch klar auf der Hand liege, daß er von ihr, seiner Jugendgespielin, keine Bezahlung annehme. Der Apulier aber nagte heftig die Lippen. Ein dunkles Roth ergoß sich über sein Antlitz: die Scham der Armuth, die sich gedemüthigt sieht. Er besaß in der That nur gerade so viel, um die Rückfahrt nach Neapel bestreiten zu können. – Wie ein Mensch, dem der Boden unter den Füßen brennt, fragte er unsicher, ob die Kette der Barke mit dem Schlüssel befestigt sei, und da Alberto verneinte, eilte er hastig die Stufen hinab, seine Braut mit kurzem Zuruf bedeutend, daß sie ihm folgen möge.

Die Zingarella jedoch verweilte noch einige Augenblicke bei ihrem Vetter.

„Weißt Du, Alberto,“ sagte sie, „daß ich Dir’s übel nehme? Hier in der Einsamkeit muß ich Dich aufsuchen, um Salvatore mit Dir bekannt zu machen, und viermal schon ist er seit jenem ersten Tage auf Capri gewesen. Was hast Du nur? Wir waren ehedem Freunde, Alberto; ja, ich glaube, nächst der guten Bertalda meint es Keiner auf der ganzen Insel so ehrlich mit mir, wie Du. Soll denn das Alles vorüber sein? Du bist so gut, und mehr als Eine würde sich glücklich schätzen, wenn Du ihr einen Blick gönntest. Giulietta zum Beispiel! Also laß die Kopfhängerei und gieb mir offen und ehrlich die Hand, – nicht so bang und verstört, wie Du sie eben meinem Apulier gereicht hast, sondern geradezu und von Herzen. Du wirst schon wieder froh werden, wenn’s denn wahr ist, was Dein Vater behauptet.“

„Oh! Wie konnte er . . .!“

„Hat er sich gar getäuscht . . .? Um so besser für Dich! Gleich das erste Mal gab ich ihm rundweg zur Antwort: er müsse wohl träumen; wenn es so wäre, dann hätte ich all die Jahre her doch was merken müssen. Aber wie er nun ist: er bestand darauf!“

„Er hat die Wahrheit gesprochen,“ fuhr Alberto heraus. „Ja – Du . . . Du . . .“

Er wandte sich nach dem Eingang der Hütte. Sein Herz pochte; sein Auge umdunkelte sich. Er fühlte, daß er nicht mehr im Stande war, sich zu bändigen. Eine Secunde noch, und er wäre vor der grausamen Zingarella auf den steinigen Boden gestürzt und hätte sein thränenbeströmtes Antlitz wider den Saum ihres Kleides gepreßt.

Er trat in die Hütte. Maria folgte ihm.

„Alberto,“ sagte sie mild, „zürne mir nicht, wenn das Schicksal uns trennt! Oder nein –: was red’ ich von Trennung! Vereint wollen wir bleiben, wenn auch anders, als Dein treues Herz es geträumt hat. Gieb mir die Hand, Alberto! Versprich mir, daß Du mir immer gut sein willst – wie ein Freund, wie ein Bruder, und daß Du um meinetwillen die Eifersucht auf den Apulier bezwingen willst! Siehst Du“ – ihre Stimme ward [248] mit jedem Worte tiefer und seelenvoller – „ich könnte nicht glücklich sein, wenn ich mir sagen müßte, daß Du mir grollst, mir und Dem, den ich liebe.“

Sie nahm seine Hände zwischen die ihren.

„Willst Du, Alberto? Willst Du mir’s zugeloben? Ich bitte so flehentlich! Wenn Du mich wirklich lieb hast –“

„Mehr als mein Leben,“ raunte Alberto leidenschaftlich.

Er sah ihr zum ersten Male seit ihrem Erscheinen ganz und voll ins Gesicht, in die großen herrlichen Augen, und mit einem Male überkam’s ihn, wie ein überirdischer Bann. Er bedeckte ihre Hände mit Küssen.

„Ich gelobe Dir’s!“ stammelte er fieberhaft. „Du, Maria, sollst glücklich sein, wenn auch ich vor Weh und Elend zu Grund gehe. Dein Freund will ich sein, so lange ich athme, – treu, treu, Maria, – bis in den Tod! Du bist ja die Herrin, die mir befiehlt! Dir muß ich gehorchen!“

Unter den Wimpern Maria’s blitzte es feucht. Ein Lächeln wehmuthsvoller Befriedigung bebte über ihr Antlitz.

„Zingarella! Wo bleibst Du denn?“ erklang jetzt die Stimme ihres Verlobten, der die Barke vom Pflocke gelöst hatte.

„Ich komme! Also: gute Freundschaft, Alberto, für jetzt und allezeit!“

Ein letzter Händedruck, ein freundliches Nicken – dann eilte sie an’s Gestade.

„Ich habe ihm zugeredet, daß er sein junges Leben nicht so vertrauern soll,“ sagte sie zum Apulier. „Sein Vater sorgt sich um ihn, weil er allen Verkehr flieht, – und so nützte ich die Gelegenheit. Jetzt aber: hinaus in die See! Ich vergehe vor Ungeduld. Was Du mir unterwegs so flüchtig bedeutet hast, – ach, Salvatore . . .!“

„Ich erzähle nicht eher, als bis wir weit ab sind vom Ufer! Das ist mir jetzt wie ein Aberglaube, – und dann auch beinah’ wie eine Vorübung; denn wie ich Dir sagte: beim Zweiten, was ich im Sinn führe, heißt’s: die Zunge gehütet!“

Er hatte die letzten Worte geflüstert, als fürchte er selbst hier, in der Einöde der schweigenden Felsenküste, Verräther und Lauscher.

Jetzt stieß die Barke vom Strand. Mit kräftigem, gleichmäßigem Schlage theilten die Ruder Maria’s die blaugrüne Fluth. Salvatore saß am Steuer, das er bald darnach festband.

Von seiner Hütte aus folgte Alberto dem Fahrzeuge mit dem Blicke. Was hätte er Alles dahingegeben, wenn er an Stelle dieses verhaßten Fremdlings mit ihr hinaus hätte steuern dürfen in die Einsamkeit der freien, leuchtenden See! Seine erregte Einbildungskraft malte sich alle erdenklichen Scenen. Bald sah er sich in den Kahn gestreckt, wie ein Kind in der Wiege, sein Haupt in Maria’s Schooß gelegt – über sich nur die Sonne, den Himmel und ihre leuchtenden Augen. Dann wühlte plötzlich ein Sturm die Gewässer auf, und die Barke mit Zingarella und dem Apulier ward hin- und hergeschleudert, wie ein elender Spielball. Sie rief um Hülfe, und bleich und rathlos rang der noch eben so übermüthige Salvatore die Hände. Da – ein letzter Anprall – der Kahn schlug um, und er, Alberto, stürzte sich wie ein Pfeil in die rollenden Wogen. In kurzer Frist hatte er Maria erreicht. Sie lebte noch; ihr triefendes Haar legte sich wie liebkosend um sein Gesicht; Salvatore aber schrie noch einmal auf und versank – versank, um nie wieder aufzutauchen! Und nun war sie sein. Er trug sie in seine Hütte, er hegte und pflegte sie; er küßte sie auf den blühenden Mund, und sie umschlang ihn zärtlich im Ueberschwange des Dankes …

So träumte er, dem Fahrzeuge nachstarrend. Aber kein Sturm erhob sich von der weiten azurblauen Fläche; der Sturm tobte nur drinnen in seiner pochenden Brust.

Er legte die Hand vor die Angen und schritt dann, tief erschauernd, in die Hütte zurück.

Unterdeß erreichte die Barke einen Punkt, der die größere Hälfte der Südküste in weitem Panorama entrollte, – ein Anblick von unbeschreiblicher Großartigkeit: himmelhoch ragten die lotrecht aufsteigenden Felswände aus den Wassern empor; die schmale Niederung an der Bucht, wo die Hütte stand, war für das Auge verschwunden; eine einzige gigantische Mauer, scharf gezackt, und darüber der blaue Octoberhimmel – so erhob sich das Bild der Insel über den weißlichen Saum der Brandung.

Trotz der Gedanken, die ihn erfüllten, war Salvatore von der Erhabenheit dieses Anblicks erschüttert; seine Phantasie arbeitete unaufhörlich; seine Stimme klang hohl und feierlich, als er nun endlich anhub, von dem zu sprechen, was er der Geliebten eröffnen wollte.

„Zunächst das Leichtere,“ sagte er nachdrücklich. „Du weißt – denn ich sandte Dir oft genug die ‚Gazetta del Regno‘ – daß in Griechenland der Kampf wider die Ungläubigen auf’s Neue entbrannt ist. Gestern erst schifften sich am Uferdamme von Santa Lucia zwanzig vornehme Napoletaner ein, um theilzunehmen an diesem Gott wohlgefälligen Kriege. In der Osteria des Paolo Maddaloni traf ich nun vor einiger Zeit einen Sulioten, der mir besser als irgend sonst wer im Weichbilde Neapels Auskunft ertheilen konnte über Alles, was hier in Betracht kommt. Aus Frankreich, aus Deutschland, ja selbst aus England und Dänemark strömen die jungen Leute herzu, um mit Hand anzulegen bei der Niederwerfung der Heiden. Von Einem besonders erzählte mir der Suliote, von dem Sohne eines nordischen Bauern, der kaum einige Monate Dienste gethan auf einem griechischen Fahrzeuge, und jetzt wie ein Fürst glänzend und herrlich dastehe vor aller Welt; – der unermeßliche Schätze erworben und die Hand einer der reichsten Erbinnen von Korinth. Der Suliote zeigte mir das Bildniß des Mannes, und wie ich’s erblickte, da sagte ich mir: was Der vermag, das gelingt mir im Handumdrehen! Der Suliote – seinen Namen behielt ich nicht, denn er hat zehn oder zwölf Silben – versprach mir, Alles vorzubereiten, damit ich zu Anfang des nächsten Monats mit einigen dreißig Genossen nach einer der griechischen Inseln aufbrechen könnte; er bot mir sogar als eifriger Patriot ein Darlehn an, falls ich Geld brauche zur ersten Ausrüstung. Ich bat mir natürlich Bedenkzeit aus, denn ich wollte erst hören, was Du dazu sagst, – aber das hielt uns nicht ab, einen Plan zu entwerfen, der die unglaublichsten Erfolge verspricht. Ich zweifle nicht, Maria, daß ich binnen weniger Monate mehr erreicht habe, als jener nordische Bauernsohn; daß ich vielleicht schon zu Anfang des neuen Jahres zurückkehre – reich und mit Ruhm bedeckt. Nur der Gedanke, so weit hinweg zu sollen von Deiner Heimath, läßt mich noch schwanken. Was meinst Du, Maria?“

Die Zingarella schüttelte heftig den Kopf.

„Krieg – jenseits des Meeres . . .? Nein, Salvatore: der Einsatz scheint mir zu hoch. Zudem habe ich ein Vorzeichen, das mir abräth, – und Du selber hast mir’s gegeben. Wolltest Du nicht erreichen, was dem nordischen Bauernsohne geglückt ist? Zu den Gewinnen aber, die der erobert hat, gehörte auch die korinthische Erbin, – und wahrlich, das wäre ein schlechter Lohn, daß ich hier in Capri mich abhärmte und Todesangst für Dich litte, während Du, von einer Griechin bethört . . .“

„Zingarella!“ rief der Apulier.

„Ich scherze ja; denn ich weiß: mein Salvatore kann mir nicht treulos werden! Aber ich bleibe dabei: daß Dir die Wendung von der korinthischen Erbin so unterlief, obgleich sie doch gar nicht auf Dich und Deine Verhältnisse paßt, das nehme ich für ein Zeichen der Abmahnung. Ein Krieg mit den Heiden – das wäre zu viel der Umwege! Mag sein, daß Mancher bei dem wüsten Getümmel zu Geld und Gut kommt; aber die Andern, die elend zu Grunde gehen, beraubt und verstümmelt oder gar weggeschleppt in die Sclaverei, die nennt und kennt man nicht!“

„Also Du meinst, ich soll’s dem Sulioten ablehnen?“

„Rundweg!“

Salvatore holte tief und bedächtig Athem.

„So bleibt nur das Andere,“ sagte er; „aber dies Andere, ich weiß es im Voraus, wird Dich noch mehr erschrecken, als der Kampf mit den Türken. – Gleichviel: mein Entschluß ist gefaßt. Ich muß endlich an’s Ziel gelangen!“

„Ist die Sache so schwer und gefahrvoll?“

„Weder schwer noch gefahrvoll – aber so eigenartig, so unerhört . . . Und dann: Schlauheit wird sie schon kosten und große Geduld und Verschwiegenheit. Ja, wenn ich’s recht bedenke, so waltet auch eine Gefahr ob – allerdings nicht so –“

„Sprich nur ganz ohne Umschweife!“ unterbrach ihn Maria. „Wenn Du’s beschlossen hast – so wird’s wohl das Rechte sein.“

(Fortsetzung folgt.)




[249]

Der Kinder Osterfest.
Originalzeichnung von Fritz Bergen.

[250]

Heinrich Heine’s Memoiren über seine Jugendzeit.

Herausgegeben von0 Eduard Engel.
Nachdruck verboten. Uebersetzungsrecht vorbehalten. 
VII.

Die meisten Klienten meines Vaters waren Frauen und zwar alte, und auch in späteren Zeiten, selbst damals als seine Umstände sehr unglänzend zu seyn begannen, hatte er eine solche Klientel von bejahrten Weibspersonen, denen er kleine Pensionen verabreichte. Sie standen überall auf der Lauer, wo sein Weg ihn vorüberführen mußte, und er hatte solchermaßen eine geheime Leibwache von alten Weibern, wie einst der selige Robespierre.

Unter dieser altersgrauen Garde war manche Vettel, die durchaus nicht aus Dürftigkeit ihm nachlief, sondern aus wahrem Wohlgefallen an seiner Person, an seiner freundlichen und immer liebreichen Erscheinung.

Er war ja die Artigkeit in Person, nicht bloß den jungen sondern auch den älteren Frauen gegenüber, und die alten Weiber, die so grausam sich zeigen, wenn sie verletzt worden, sind die dankbarste Nazion, wenn man ihnen einige Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit erwiesen, und wer in Schmeicheleyen bezahlt sein will, der findet in ihnen Personen, die nicht knickern, während die jungen schnippischen Dinger uns für alle unsere Zuvorkommenheiten kaum eines Kopfnickens würdigen.

Da nun für schöne Männer, deren Spezialität darin besteht, daß sie schöne Männer sind, die Schmeicheley ein großes Bedürfniß ist und es ihnen dabey gleichgültig ist, ob der Weihrauch aus einem rosigten oder welken Munde kommt, wenn er nur stark und reichlich hervorquillt, so begreift man, wie mein theurer Vater, ohne eben darauf spekulirt zu haben, dennoch in seinem Verkehr mit den alten Damen ein gutes Geschäft machte.

Es ist unbegreiflich, wie groß oft die Dosis Weihrauch war, mit welcher sie ihn eindampften, und wie gut er die stärkste Porzion vertragen konnte. Das war sein glückliches Temperament, durchaus nicht Einfalt. Er wußte sehr wohl, daß man ihm schmeichle, aber er wußte auch, daß Schmeicheley, wie Zucker, immer süß ist, und er war wie das Kind, welches zu der Mutter sagt: schmeichle mir ein bischen, sogar ein bischen zu viel.

Das Verhältniß meines Vaters zu den besagten Frauen hatte aber noch außerdem einen ernsteren Grund. Er war nämlich ihr Rathgeber, und es ist merkwürdig, daß dieser Mann, der sich selber so schlecht zu rathen wußte, dennoch die Lebensklugheit selbst war, wenn es galt, anderen in mißlichen Vorfallenheiten einen guten Rath zu ertheilen. Er durchschaute dann gleich die Position, und wenn die betrübte Klientinn ihm auseinandergesetzt, wie es ihr in ihrem Gewerbe immer schlimmer gehe, so that er am Ende einen Ausspruch, den ich so oft, wenn alles schlecht ging, aus seinem Munde hörte, nemlich: „in diesem Falle muß man ein neues Fäßchen anstechen.“ Er wollte damit anrathen, daß man nicht in einer verlorenen Sache eigensinnig ferner beharren sondern etwas Neues beginnen, eine neue Richtung einschlagen müsse. Man muß dem alten Faß, woraus nur saurer Wein und nur sparsam tröpfelt, lieber gleich den Boden ausschlagen und „ein neues Fäßchen anstechen!“ Aber statt dessen legt man sich faul mit offenem Mund unter das trockene Spundloch und hofft auf süßeres und reichlicheres Rinnen.

Als die alte Hanne meinem Vater klagte, daß ihre Kundschaft abgenommen und sie nichts mehr zu brocken und, was für sie noch empfindlicher, nichts mehr zu schlucken habe, gab er ihr erst einen Thaler und dann sann er nach. Die alte Hanne war früher eine der vornehmsten Hebammen, aber in späteren Jahren ergab sie sich etwas dem Trinken und besonders dem Tabakschnupfen;[WS 1] darum ward die Frau überall abgeschafft.

Nachdem mein Vater nun reiflich nachgedacht, sagte er endlich: Da muß man ein neues Fäßchen anstechen, und diesmal muß es ein Branntweinfäßchen sein; ich rathe Euch, in einer etwas vornehmen, von Matrosen besuchten Straße am Hafen einen kleinen Liquörladen zu eröffnen, ein Schnapslädchen.

Die Ex-Hebamme folgte diesem Rath, sie etablirte sich mit einer Schnapsboutique am Hafen, machte gute Geschäfte und sie hätte gewiß ein Vermögen erworben, wenn nicht unglücklicherweise sie selbst ihr bester Kunde gewesen wäre. Sie verkaufte auch Tabak, und ich sah sie oft vor ihrem Laden stehen mit ihrer roth aufgedunsenen Schnupftabaksnase, eine lebende Reklame, die manchen gefühlvollen Seemann anlockte.

Zu den schönen Eigenschaften meines Vaters gehörte vorzüglich seine große Höflichkeit, die er, als ein wahrhaft vornehmer Mann, ebenso sehr gegen Arme wie gegen Reiche ausübte. Ich bemerkte dieses besonders in den oben erwähnten Sitzungen, wo er, den armen Leuten ihre Geldtüte verabreichend, ihnen immer einige höfliche Worte sagte.

Ich konnte da etwas lernen, und in der That mancher berühmte Wohlthäter, der den armen Leuten immer die Tüte an den Kopf warf, daß man mit jedem Thaler auch ein Loch in den Kopf bekam, hätte hier bei meinem höflichen Vater etwas lernen können. Er befragte die meisten armen Weiber nach ihrem Befinden und er war so gewohnt an die Redeformel: „ich habe die Ehre“, daß er sie auch anwandte, wenn er mancher Vettel, die etwa unzufrieden und patzig, die Thüre zeigte.

Gegen die alte Flader war er am höflichsten und er bot ihr immer einen Stuhl. Sie war auch wirklich so schlecht auf den Beinen und konnte mit ihrer Handkrücke kaum forthumpeln.

Als sie zum letzten mahl zu meinem Vater kam, um ihr Monathsgeld abzuholen, war sie so zusammenfallend, daß ihr Enkel, der Jupp, sie führen mußte. Dieser warf mir einen sonderbaren Blick zu, als er mich an dem Tische neben meinem Vater sitzen sah. Die Alte erhielt außer der kleinen Tüte auch noch eine ganz große Privattüte von meinem Vater und sie ergoß sich in einen Strom von Segenswünschen und Thränen.

Es ist fürchterlich, wenn eine alte Großmutter so stark weint. Ich hätte selbst weinen können, und die alte Frau mochte es mir wohl anmerken. Sie konnte nicht genug rühmen, welch ein hübsches Kind ich sey, und sie sagte, sie wolle die Muttergottes bitten, dafür zu sorgen, daß ich niemals im Leben Hunger leiden und bey den Leuten betteln müsse.[1]

Mein Vater ward über diese Worte etwas verdrießlich, aber die Alte meinte es so ehrlich; es lag in ihrem Blick etwas so geisterhaftes aber zugleich frömmiges und liebreiches, und sie sagte zuletzt zu ihrem Enkel: geh, Jupp, und küsse dem lieben Kinde die Hand. Der Jupp schnitt eine säuerliche Grimasse, aber er gehorchte dem Befehl der Großmutter: ich fühlte auf meiner Hand seine brennenden Lippen, wie den Stich einer Viper. Schwerlich [251] konnte ich sagen, warum, aber ich zog aus der Tasche alle meine Fettmännchen und gab sie dem Jupp, der mit einem roh blöden Gesicht sie Stück vor Stück zählte und endlich ganz gelassen in die Tasche seiner Bux steckte.

Zur Belehrung des Lesers bemerke ich, daß „Fettmännchen“ der Name einer fettigdicken Kupfermünze ist, die ungefähr einen Sou werth ist.

Die alte Flader ist bald darauf gestorben, aber der Jupp ist gewiß noch am Leben, wenn er nicht seitdem gehenkt worden ist. – Der böse Bube blieb unverändert. Schon den andern Tag nach dem erwähnten Begegniß bey meinem Vater traf ich ihn auf der Straße. Er ging mit seiner wohlbekannten langen Fischerruthe. Er schlug mich wieder mit diesem Stecken, warf auch wieder nach mir mit einigen Roßäpfeln und schrie wieder das fatale Haarüh! und zwar so laut und die Stimme des Dreckmichels so treu nachahmend, daß der Esel desselben der sich mit dem Karren zufällig in einer Nebengasse befand, den Ruf seines Herren zu vernehmen glaubte und ein fröhlich wieherndes I-A erschallen ließ.

Wie gesagt, die Großmutter des Jupp ist bald darauf gestorben und zwar in dem Ruf einer Hexe, was sie gewiß nicht war, obgleich unsere Zippel steif und fest das Gegentheil behauptete.

Zippel war der Name einer noch nicht sehr alten Person, welche eigentlich Sibille hieß, meine erste Wärterin war und auch später im Hause blieb. Sie befand sich zufällig im Zimmer am Morgen der erwähnten Scene, wo die alte Flader mir so viele Lobsprüche ertheilte und die Schönheit des Kindes bewunderte. Als die Zippel diese Worte hörte, erwachte in ihr der alte Volkswahn, daß es den Kindern schädlich sei, wenn sie solchermaßen gelobt werden, daß sie dadurch erkranken oder von einem Uebel befallen werden, und um das Uebel abzuwenden, womit sie mich bedroht glaubte, nahm sie Zuflucht zu dem vom Volksglauben als probat empfohlenen Mittel, welches darin besteht, daß man das gelobte Kind dreymal anspucken muß. Sie kam auch gleich auf mich zugesprungen und spuckte mir hastig dreymal auf den Kopf.

Doch dieses war erst ein provisorisches Bespeien, denn die Wissenden behaupten, wenn die bedenkliche Lobspende von einer Hexe gemacht worden, so könne der böse Zauber nur durch eine Person gebrochen werden, die ebenfalls eine Hexe, und so entschloß sich die Zippel noch denselben Tag zu einer Frau zu gehen, die ihr als Hexe bekannt war und ihr auch, wie ich später erfahren, manche Dienste durch ihr Geheimniß und verbotene Kunst geleistet hatte. Diese Hexe bestrich mir mit ihrem Daumen, den sie mit Speichel angefeuchtet, den Scheitel des Hauptes, wo sie einige Haare abgeschnitten; auch andre Stellen bestrich sie solchermaßen, während sie allerley Abrakadabra-Unsinn dabey murmelte, und so ward ich vielleicht schon frühe zum Teufelspriester ordinirt.

Jedenfalls hat diese Frau, deren Bekanntschaft mir seitdem verblieb, mich späterhin, als ich schon erwachsen, in die geheime Kunst inizirt.[2]

Ich bin zwar selbst kein Hexenmeister geworden, aber ich weiß wie gehext wird,[3] und besonders weiß ich, was keine Hexerey ist.

Jene Frau nannte man die Meisterin, oder auch die Göchinn, weil sie aus Goch gebürtig war, wo auch ihr verstorbener Gatte, der das verrufene Gewerbe eines Scharfrichters trieb, sein Domizil hatte und von nah und fern zu Amtsverrichtungen gerufen wurde. Man wußte, daß er seiner Wittwe mancherley Arkana hinterlassen und diese verstand es, diesen Ruf auszubeuten.

Ihre besten Kunden waren Bierwirthe, denen sie die Todtenfinger verkaufte, die sie noch aus der Verlassenschaft ihres Mannes zu besitzen vorgab. Das sind Finger eines gehenkten Diebes und sie dienen dazu, das Bier im Fasse wohlschmeckend zu machen und zu vermehren. Wenn man nemlich den Finger eines Gehenkten, zumal eines unschuldig Gehenkten, an einem Bindfaden befestigt im Fasse hinabhängen läßt, so wird das Bier dadurch nicht bloß wohlschmeckender, sondern man kann aus besagtem Fasse doppelt, ja vierfach so viel zapfen, wie aus einem gewöhnlichen Fasse von gleicher Größe. Aufgeklärte Bierwirthe pflegen ein razionaleres Mittel anzuwenden, um das Bier zu vermehren, aber es verliert dadurch an Stärke.

Auch von jungen Leuten zärtlichen Herzens hatte die Meisterin viel Zuspruch und sie versah sie mit Liebestränken, denen sie in ihrer charlatanischen Latinitätswuth, wo sie das Latein noch lateinischer klingen lassen wollte, den Namen eines Philtrariums ertheilte; den Mann, der den Trank seiner Schönen eingab, nannte sie den Philtrarius, und die Dame hieß die Philtrariata.

Es geschah zuweilen, daß das Philtrarium seine Wirkung verfehlte oder gar eine entgegengesetzte hervorbrachte. So hatte z. B. ein ungeliebter Bursche, der seine spröde Schöne beschwatzt hatte, mit ihm eine Flasche Wein zu trinken, ein Philtrarium in ihr Glas gegossen und er bemerkte auch in dem Benehmen seiner Philtrariata, sobald sie getrunken hatte, eine seltsame Veränderung …

(Es folgt im Manuskript eine derbkomische Stelle, die sich der Wiedergabe hier entzieht.)[WS 2]

Die Meisterinn rettete dann den Ruf ihrer Kunst, indem sie behauptete, den unglücklichen Philtrarius mißverstanden und geglaubt zu haben, er wolle von seiner Liebe geheilt seyn.

Besser als ihre Liebestränke waren die Rathschläge, womit die Meisterinn ihre Philtrarien begleitete; sie rieth nemlich, immer etwas Gold in der Tasche zu tragen, indem Gold sehr gesund und besonders dem Liebenden Glück bringe. Wer erinnert sich nicht hier an des ehrlichen Jagos Worte im „Othello“, wenn er dem verliebten Rodrigo sagt: Take monney in your pocket![4]

Mit dieser großen Meisterin stand nun unsere Zippel in intimer Bekanntschaft, und wenn es jetzt eben nicht mehr Liebestränke waren, die sie hier kaufte, so nahm sie doch die Kunst der Göchinn manchmal in Anspruch, wenn es galt, an einer beglückten Nebenbuhlerin, die ihren eigenen ehemaligen Schatz heurathete, sich zu rächen.[WS 3]

Ich unterhielt die Bekanntschaft mit der Göcherinn, und ich mochte wohl schon in einem Alter von sechzehn Jahren sein, als ich öfter als früher nach ihrer Wohnung ging, hingezogen von einer Hexerey, die stärker war als alle ihre lateinisch bombastischen Philtraria. Sie hatte nemlich eine Nichte, welche ebenfalls kaum 16 Jahr alt war, aber plötzlich aufgeschossen zu einer hohen schlanken Gestalt, viel älter zu sein schien. Das plötzliche Wachsthum war auch Schuld, daß sie äußerst mager war. Sie hatte jene enge Taille, welche wir bei den Quarteronen in Westindien bemerken, und da sie kein Corset und kein Dutzend Unterröcke trug, so glich ihre enganliegende Kleidung dem nassen Gewand einer Statue. Keine marmorne Statue konnte freylich mit ihr an Schönheit wetteifern, da sie das Leben selbst und jede Bewegung die Rhythmen [252] ihres Leibes, ich möchte sagen sogar die Musik ihrer Seele offenbarte. Keine von den Töchtern der Niobe hatte ein edler geschnittenes Gesicht; die Farbe desselben wie ihre Haut überhaupt, war von einer etwas wechselnden Weiße. Ihre großen tiefdunklen Augen sahen aus, als hätten sie ein Räthsel aufgegeben und warteten ruhig auf die Lösung, während der Mund mit den schmalen hochaufgeschürzten Lippen und den kreideweißen, etwas länglichen Zähnen zu sagen schien: du bist zu dumm und wirst vergebens rathen.

Ihr Haar war roth, ganz blutroth und hing in langen Locken bis über ihre Schultern hinab, so daß sie dasselbe unter dem Kinn zusammenbinden konnte. Das gab ihr aber das Aussehen als habe man ihr den Hals abgeschnitten und in rothen Strömen quölle daraus hervor das Blut.

Die Stimme der Josepha, oder des rothen „Sefchen“, wie man die schöne Nichte der Göcherinn nannte, war nicht besonders wohllautend und ihr Sprechorgan war manchmal bis zur Klanglosigkeit verschleyert; doch plötzlich, wenn die Leidenschaft eintrat, brach der metallreichste Ton hervor, der mich ganz besonders durch den Umstand ergriff, daß die Stimme der Josepha mit der meinigen eine so große Aehnlichkeit hatte.

Wenn sie sprach, erschrak ich zuweilen und glaubte, mich selbst sprechen zu hören, und auch ihr Gesang erinnerte mich an Träume, wo ich mich selber in derselben Art und Weise singen hörte.

Sie wußte viele alte Volkslieder und hat vielleicht bei mir den Sinn für diese Gattung geweckt, wie sie gewiß den größten Einfluß auf den erwachenden Poeten übte, so daß meine ersten Gedichte der „Traumbilder“, die ich bald darauf schrieb, ein düstres und grausames Kolorit haben[5] wie das Verhältniß, das damals seine blutrünstigen Schatten in mein junges Leben und Denken warf.

Unter den Liedern, die Josepha sang, war ein Volkslied, das sie von der Zippel gelernt, und welches diese auch mir in meiner Kindheit oft vorgesungen, so daß ich zwey Strophen im Gedächtniß behielt, die ich um so lieber hier mittheilen will, da ich das Gedicht in keiner der vorhandenen Volksliedersammlungen fand. Sie lauten folgendermaßen – zuerst spricht der böse Tragig[6]:

„Otilje lieb, Otilje mein,
Du wirst wohl nicht die letzte seyn –
Sprich, willst du hängen am hohen Baum?
Oder willst du schwimmen im blauen See?
Oder willst du küssen das blanke Schwert,
Was der liebe Gott bescheert?“

Hierauf antwortet Otilje:

„Ich will nicht hängen am hohen Baum,
Ich will nicht schwimmen im blauen See,
Ich will küssen das blanke Schwert,
Was der liebe Gott bescheert!“

Als das rothe Sefchen einst das Lied singend an das Ende dieser Strophe kam und ich ihr die innere Bewegung abmerkte, ward auch ich so erschüttert, daß ich in ein plötzliches Weinen ausbrach und wir fielen uns beide schluchzend in die Arme, sprachen kein Wort, wohl eine Stunde lang, während uns die Thränen aus den Augen rannen und wir uns wie durch einen Thränenschleier ansahen.

Ich bat Sefchen, mir jene Strophen aufzuschreiben, und sie that es, aber sie schrieb sie nicht mit Tinte, sondern mit ihrem Blute; das rothe Autograph kam mir später abhanden, doch die Strophen blieben mir unauslöschlich im Gedächtniß.

(Fortsetzung folgt.)


  1. „Ich ward bedrängt von schwarzen Sorgen,
    Ich mußte lügen, ich mußte borgen
    Bei reichen Buben und alten Vetteln –
    Ich glaube sogar, ich mußte betteln“

    klagt Heine in einem seiner „Lazarus“-Gedichte (Band XVIII, S. 147).

  2. Gallicismus anstatt „eingeweiht“.
  3. Natürlich nur scherzhaft gemeint; aber Heine hatte allerdings die merkwürdigsten Studien über Hexenwesen gemacht, sein Buch „Elementargeistesr“ (Werke, Band VII) ist ein wahres Handbuch des Volksaberglaubens.
  4. „Thu’ Geld in deinen Beutel!“ Abgesehen von dem kleinen orthographischen Fehler in monney ist das Citat auch sonst nicht genau; Jago sagt: „Put money in your purse!“ – Heine citirte aus dem Gedächtniß; einen englischen Shakespeare habe ich in seiner Bibliothek, wie sie heute noch beisammen, nicht entdeckt.
  5. In der Vorrede zu der französischen Ausgabe seiner Gedichte (vom Juni 1855) bemerkt Heine: „Meine ersten lyrischen Produktionen finden sich in den ‚Nachtstücken‘ – (den ‚Traumbildern‘ der deutschen Ausgabe) – und datiren von 1816. Es sind die vier ersten Gedichte und sie gehörten einem Cyklus toller Traumbilder an. Zu derselben Zeit schrieb ich ‚Die beiden Grenadiere‘.“
  6. Deutlich so im Manuscript; vielleicht weiß einer der Leser Auskunft über den Namen zu geben?

Der deutsche Reichsadler und die deutsche Kaiserkrone.

Eine historisch-politische Plauderei von0 Karl Braun-Wiesbaden.
Zweites und letztes Capitel.

Die deutsche Kaiserkrone ist von der freien Reichsstadt Nürnberg Jahrhunderte lang aufbewahrt worden, nämlich von 1424 bis 1796. In dem letztgedachten Jahre – zu einer Zeit, da man bereits die Befürchtung hegte, das alte heilige römische Reich werde in Trümmer gehen, weil seine morschen Wände nicht im Stande seien, den Stürmen der Epoche zu widerstehen – flüchtete man die Kaiserkrone nebst den übrigen von mir im ersten Capitel beschriebenen Reichskleinodien und Insignien nach Wien, wo man sie in der kaiserlichen Schatzkammer hinterlegte. Am 6. August 1806 legte Franz II. die deutsche Kaiserkrone (oder genauer ausgedrückt: die Krone des heiligen römischen Reichs deutscher Nation) nieder, aber die alte Kaiserkrone nebst Zubehör behielt man zu Wien in der Schatzkammer. In der That war auch Niemand da, an welchen man sie hätte abliefern können. Das alte Reich existirte nicht mehr. Ein neues hatte sich noch nicht gebildet. Der Rheinbund war nicht begierig nach einer deutschen Kaiserkrone. Hatte er doch genug an seinem französischen Protector. Auch die gute alte freie Reichsstadt Nürnberg hatte mit ihren eigenen Nöthen und Drangsalen genug zu schaffen und gar keine Zeit, an die Reichskleinodien zu denken. Ebenso wenig hat der Frankfurter Bundestag sich derselben angenommen. Er war ja auch kein Staat, sondern eine Versammlung von Diplomaten, welche auf Grund eines sehr dürftigen föderativen Verhältnisses oder Vertrages (lien fédératif) eine Anzahl souverainer Staaten vertraten.

Auch Oesterreich hatte kein Recht an den Krönungsinsignien. Kaiser Franz wollte sich anfangs „Kaiser von Böhmen und Ungarn“ nennen, und nannte sich, als dies nicht den Beifall Napoleons fand, „Kaiser von Oesterreich“; 1806 erklärte er, daß er mit seinen sämmtlichen deutschen Erblanden aus dem Reichsverbande für immer ausscheide. Das Kaiserreich Oesterreich, das sich zwischenzeitig in die österreichisch-ungarische Monarchie verwandelt hat, ist keine Fortsetzung des heiligen römischen Reichs deutscher Nation, und will es nicht sein. Der Kaiser von Oesterreich hat für Cisleithanien seine Reichskleinodien. Er hat für Transleithanien, das heißt als „apostolischer König“ von Ungarn und den dazu gehörigen Ländern, die in Ofen aufbewahrten Reichs- und Krönungskleinodien, die „heilige Stephans-Krone“ nebst Krönungsmantel und sonstigem Zubehör, welche eine besondere politische Wichtigkeit dadurch gewinnen, daß nach ungarischem Staatsrechte die Krönung in Pest einen zur verfassungsmäßigen Herrschaft erforderlichen Inaugurationsact bildet. (Das Nähere darüber findet man in meinem Buche „Reise-Eindrücke aus dem Süd-Osten – Ungarn, Istrien, Dalmatien, Montenegro, Griechenland und der Türkei“ – Band I. S. 3 bis 63.) Aber irgend einen rechtlichen Anspruch auf Eigenthum, Besitz und Gebrauch der alten deutschen Reichskleinodien hat der Kaiser von Oesterreich nicht.

Dem entsprechend kommen sie denn auch niemals öffentlich zum Vorschein; auch ist es mir, einiger Bemühungen ungeachtet,

[253]

Der Osterhase.
Originalzeichnung von Carl Voß.

[254] niemals gelungen, derselben ansichtig zu werden, und andere wißbegierige Touristen versichern dasselbe.

F. Warnecke in seinem unter den Auspicien des deutschen Kronprinzen und unter Beihülfe der preußischen Regierung herausgegebenen Prachtwerke, welches den Titel führt: „Heraldisches Handbuch für Freunde der Wappenkunst, sowie für Künstler und Gewerbetreibende bearbeitet und mit Beihülfe des König. Preuß. Cultusministeriums herausgegeben von F. Warnecke, mit 313 Handzeichnungen von C. Doepler und sonstigen Abbildungen in Lichtdruck von C. A. Starke“ (2. Auflage. Görlitz 1880[WS 4]), giebt uns eine Abbildung der alten Kaiserkrone, welche in der Wiener Schatzkammer verwahrt wird. Er bemerkt dabei jedoch ausdrücklich, der Künstler habe nicht nach dem Originale gezeichnet, „welches wohl selten Jemand zu Gesicht bekommen habe“, sondern nach der bildlichen Darstellung, welche sich in dem alten Wappenbuche des Conrad von Grünberg vom Jahre 1483 vorfinde.

Krone des heiligen römischen Reichs deutscher Nation.

Nach dieser Darstellung ist denn auch die Abbildung gezeichnet, welche wir hier den Lesern der „Gartenlaube“ geben.

Danach besteht die Krone in einer runden Kappe, umgeben von acht goldenen Schildern, welche unten eine gerade und oben eine halbkreisförmige Linie haben und im Ganzen ein Achteck bilden. Vier davon sind mit Bildern in Email und die vier andern mit Perlen und Edelsteinen geziert, und zwar so, daß die Perlenschilder und Emailschilder mit einander abwechseln. Diese Kappe, oder richtiger das sie bildende Achteck, ist mit einem Bügel überspannt, an dessen vorderem Fuße sich ein aufrecht stehendes Kreuz befindet, welches sich darnach über der Stirn des Gekrönten emporhebt.

Als die Kriegsstürme der Franzosenzeit vorüber waren und die freie Reichsstadt Nürnberg, nachdem man sie mediatisirt und dem Königreiche Baiern zugetheilt hatte, wieder etwas zu Kräften und zum Selbstbewußtsein gelangt war, meldete sie sich 1824 bei dem Kaiser von Oesterreich, indem sie die Reichskleinodien herausverlangte und vorstellte, dieselben seien ihr seit dem Jahre 1424 zur Aufbewahrung anvertraut gewesen, dieser Hinterlegungsvertrag sei niemals erloschen, auch seien ihr die Reichskleinodien niemals auf rechtliche Weise entzogen; wenn man dieselben, ohne Nürnberg zu fragen, vor Kriegsgefahr nach Wien geflüchtet, so sei dies selbstverständlich nur in vorübergehender Weise geschehen und mit dem Vorbehalte, sie nach vorübergegangener Gefahr nach dem Orte, von wo man sie entnommen, zurückzubringen (ad locum unde zu restituiren), die Gefahr sei nunmehr gänzlich beendigt, und mache daher Nürnberg sein Aufbewahrungsrecht auf’s Neue geltend.

Allein der Kaiser (früher als deutscher Kaiser Franz II., jetzt als österreichischer Kaiser Franz I.) ließ der guten Stadt Nürnberg sagen: Früher sei sie allerdings eine freie Reichsstadt gewesen und als solcher habe ihr jenes Aufbewahrungsrecht zugestanden, allein jetzt sei sie mediatisirt und nur eine gemeine baierische Stadt, wie jede andere auch, sie könne daher die öffentlichen Rechte und Privilegien der vormaligen freien Reichsstadt nicht für sich reclamiren; sie könne dies auch nicht im Namen des „Römisch-deutschen Reichs“, denn dies Reich habe aufgehört zu existiren.

Der Kaiser bestritt also der Stadt Nürnberg jede Legitimation zur Sache und hatte daher auch keine Ursache, sich über sein eigenes Recht auszulassen.

Ueber letzteres ließe sich streiten.

Rechtlich war vormals das römisch-deutsche Reich der Eigenthümer der Krone nebst Zubehör. Der jeweilige Kaiser war nur der Nutznießer oder Gebrauchsberechtigte (der beneficiatus). Er wurde damit gekrönt, er durfte sie bei den herkömmlichen Gelegenheiten öffentlich tragen, aber über das Eigenthum daran konnte er nicht verfügen. Er konnte sie weder veräußern noch verpfänden. Das Eigenthumsrecht des Reiches stand über seinem Gebrauchsrecht.

Wenn Kaiser Franz die Krone und die Insignien von 1796 bis 18006 in Besitz hatte, so geschah dies nur im Namen des noch bestehenden deutschen Reichs und nicht in eigenem Namen. Ebenso wenig konnte er 1806 durch Niederlegung der Krone die Krone erwerben; er konnte sich nicht aus einem Inhaber kraft staatlicher-öffentlicher Gewalt in einen Privateigenthümer verwandeln.

Auf der andern Seite aber ist es schwer, Jemanden zu finden, der legitimirt wäre, die Krone nebst Zubehör dem österreichischen Herrscherhaus abzuverlangen.

Das jetzige deutsche Reich ist etwas ganz Anderes, als das alte „Heilige römische Reich“. „Leider“, sagen die Einen, „Gott sei Dank“, die Andern. Die Ersteren bilden nur eine kleine Minorität.

Abgesehen davon, daß das Gebiet und die Verfassung ganz anders geworden, ist auch der Charakter des Reichs nicht mehr derselbe. Das alte römische Reich strebte nach Universalherrschaft und zwar unter Anderem auch mit theokratisch-hierarchischen Mitteln. Das neue deutsche Reich verschmäht solche Mittel und setzt seinen höchsten Stolz darein, ein geschlossener Nationalstaat zu sein, und nicht ein kosmopolitischer Allerweltsstaat. Dies ist namentlich auch bei der Erwägung über das Wappen des neuen Reichs hervorgehoben worden.

Der Freiherr von Köhne in St. Petersburg, der, obgleich ein hoher russischer Beamter, nicht ganz vergaß, daß er von Herkunft ein Deutscher ist, sagt in seiner heraldischen Abhandlung „Vom Doppeladler“ schon im Jahre 1871: „Nun ist unter den Mauern von Paris durch Fürsten und Volk ein neues Deutsches Reich geschaffen worden. Welch ein Wappen hat dasselbe anzunehmen? An den alten Doppeladler mit Heiligenschein darf man nicht denken, denn dieser gebührte dem römisch-deutschen Kaiser; mit Italien hat aber Kaiser Wilhelm nichts zu schaffen.“

Aehnlich sagt Friedrich Karl Fürst zu Hohenlohe-Waldenburg in seiner Abhandlung über den Doppeladler: „Was Deutschland Noth thut, ist die einheitliche Leitung. Diese soll auch im neuen Wappen ausgedrückt werden. Mit dem verderblichen Dualismus ist auch der Doppeladler gefallen!“

Noch treffender und schärfer hät sich darüber der berühmte Staatsrechtslehrer Dr. Hermann Schulze, Professor in Heidelberg und preußischer Kronsyndikus, ausgesprochen. Er sagt:

„Die Continuität unseres Kaiserthums ist eine geschichtliche Thatsache, kein juristisches Princip. Im staatsrechtlichen Sinne ist das Reich, die Kaiserwürde von 1871 eine völlige Neuschöpfung. Es wäre eine bedenkliche Verirrung, wenn man unser nationales Kaiserthum vom 18. Januar 1871 als eine staatsrechtliche Fortsetzung des am 6. August 1806 zu Grabe getragenen römischen Kaiserthums ansehen wollte. Könnte ein starrer Legitimist nicht etwa behaupten wollen, die ganze Aufhebung des römischen Reichs im Jahre 1806 sei illegal, sei eine Revolution gewesen, die Zeit von 1806 bis 1871 nichts als ein Interregnum? Könnte man dabei nicht etwa so weit gehen, zu sagen: die Majorität der neun Kurfürsten (wobei Böhmen, als ausgeschieden, nicht mitgerechnet wird), Pfalzbaiern, Sachsen, Brandenburg, Württemberg und Baden habe den neuen Kaiser reichsconstitutionsmäßig, wenn auch mit einigen unvermeidlichen Formfehlern, erwählt?

An Velleitäten dieser und ähnlicher Art wird es in manchen Kreisen nicht fehlen. Schon berufen sich Aachen und Frankfurt am Main auf die Ehre, die Krönungsstadt zu sein. Könnten sich nicht die Bischöfe des Rheins auch wieder darum streiten, wem das Vorrecht zustehe, den Kaiser zu krönen und zu salben, könnte sich nicht vielleicht ein ehrgeiziger Prälat auf dem Stuhl zu Mainz daran erinnern, daß der Moguntinus ‚des Reiches Erzkanzler durch Germanien‘ war?

Es wird darauf ankommen, mit sicherem Tacte gleich von vornherein alle derartigen Restaurationsgedanken zurückzuweisen. Selbst jede Anknüpfung an die veraltete Krönungsceremonie der römischen Kaiser wäre ein folgenschwerer politischer Fehler. Abgesehen von den zu befürchtenden Rang- und Etiqettestreitigkeiten, diesen wunderlichen Auswüchsen unserer ehemaligen Reichswirthschaft, machen unsere confessionellen Verhältnisse in Deutschland jeden Krönungsact im alten Stile unmöglich. War es schon den alten Reichspublicisten bedenklich, ob ein Protestant zum Kaiser gewählt und gekrönt werden könnte, so ist es hente geradezu undenkbar, daß ein evangelischer Kaiser consecrirt werde in der Bartholomäuskirche zu Frankfurt von den Händen katholischer Bischöfe. Eine specifisch evangelische Kirchenfeier würde ebenso den Charakter der Einseitigkeit tragen und nach der anderen Seite [255] hin unnöthig verletzen. Bedarf der inmitten seiner Heerführer und Krieger, wie ein altgermanischer Heerkönig im Lager, auf’s Schild gehobene Kaiser noch einer andern Weihe, so organisire man, statt leeren byzantinischen Formengepränges, ein großes Friedens- und Kaiserfest unter Gottes freiem Himmel, ein wahres Volksfest aller deutschen Stämme in so großem Stile, wie es die deutsche Geschichte noch nie gesehen. Es zeige sich gleich von vornherein, daß der neue dentsche Kaiser nicht blos der von Fürsten erwählte Kaiser der Fürsten, sondern ein wahrer Volkskaiser ist, welchen die Stimme der ganzen Nation nicht durch das trügerische Gaukelspiel eines Plebiscits, sondern durch ihre gesetzmäßigen Vertreter auf den mächtigster Thron der Erde berufen hat.“

Soweit damals (1871) der Geheime Justizrath Professor Dr. Schulze in Heidelberg.

Wir haben ein altes Bild, welches darstellt, wie Kaiser Karl V. vom Papst zum Kaiser gekrönt wird. Er war der Letzte, der sich dieser Ceremonie unterzog. Die Krönung erfolgte am 24. Februar 1530 in Bologna. Der Kaiser ist dabei mehr kirchlich als weltlich gekleidet. Er trägt „Alba“, „Stola“ und „Pluviale“, rothe Handschuhe, Strümpfe und Sandalen. Er küßt dem Papst knieend den Fuß. Erst dann wird er mit der „Dalmatica“, dem Leviten-Kleide, angethan und muß, dergestalt in einen Domherrn der Peterskirche verwandelt, vor dem Papst das Evangelium singen. Schließlich muß er geloben, „bei dem katholischen Glauben zu verbleiben und stets dem Papste gehörige Treue zu leisten“. – Das Alles paßt natürlich nicht für das neue deutsche Reich und seinen Kaiser. Das jetzige deutsche Kaiserthum ist weder katholisch noch evangelisch. Es ist confessionslos oder vielmehr supraconfessionell und interconfessionell, und muß es bleiben, im Interesse der Erhaltung des Friedens im Reiche.

Deutsche Kaiserkrone.

Man sieht oft auf modernen Bildern, namentlich auf Oeldrucken und Lithographien, den Kaiser dargestellt in einem kirchlich-mittelalterlichen Krönungsornat, welcher an die oben beschriebene Kleidung Karl’s V. erinnert, oder an die officiellen Abbildungen des Kaisers Matthias oder Ferdinand’s II. und anderer habsburgischer Kaiser, wie wir solche in den illustrirten Werken des siebenzehnten Jahrhunderts finden, wie z. B. auf den Kupfern zu Adolf Brachel’sHistoriae nostri temporis“.

Alle diese Bilder sind falsch. Unser Kaiser hat einen solchen Ornat niemals getragen und wird ihn nicht tragen.

Die officielle Form der Krone des Kaisers und der Kaiserin sind durch kaiserlichen Erlaß festgestellt worden (accurat fünfundsechszig Jahre später, als Kaiser Franz die „römische“ Krone niedergelegt hat). Ebenso ist die Krone des Kronprinzen festgestellt. Wir geben hier eine bildliche Darstellung derselben.

Krone der deutschen Kaiserin.

Krone des Kronprinzen
des deutschen Reichs.

Die Krone des Kaisers zeigt im Wesentlichen die Form der alten byzantinisch-mittelalterlichen Kronen: Runde Kappe mit acht Schildern, deren Rand nach unten eine gerade Linie, nach oben einen Bogen bildet. Auf den Schildern wechselt das Kreuz und der Adler ab. Die Kappe ist von zwei Bügeln überspannt, welche auf vieren der acht Schilder ruhen. Da, wo die Bügel einander kreuzen, ruht der Reichsapfel, und auf diesem steht das Kreuz. Die Krone ist eine „schwebende“, das heißt sie sitzt oder ruht nicht, weder auf dem Kopfe des Adlers, noch auf dem Helme oder Schild, noch auf dem Wappenzelt oder Wappenmantel, sondern sie schwebt frei über dem Ganzen, wie dies aus der unserm ersten Eapitel beigegebenen Abbildung des deutschen Reichsadlers zu ersehen ist. Unten gehen zwei breite Goldbrocat-Bänder von ihr aus, welche seitwärts flattern und mit Arabesken und Franzen geziert sind.

Die Krone der deutschen Kaiserin ist von Gold, reich mit Brillanten und Rubinen besetzt, und wird mit vier durch den Reichsapfel überhöhten Bügeln geschlossen. Im Innern der Krone befindet sich eine Mütze von Goldbrocat.

Die Krone des Kronprinzen des deutschen Reiches zeigt einen goldenen mit Brillanten besetzten Stirnreif, aus dem sich viermal abwechselnd je ein Kreuz und ein Reichsadler, beide mit Edelsteinen geschmückt, erheben. Die Kreuze stützen vier halbrunde goldene mit Perlen besetzte Bügel, welche den Reichsapfel tragen. Die Krone ist mit einer Mütze von purpurfarbigem Sammet gefüttert.

Einen Ersatz oder ein Aequivalent für die seit 1796 in der Schatzkammer in Wien befindlichen Reichskleinodien von ehedem hat das neue deutsche Reich noch nicht. Es bedient sich hierin, wie in so manchen anderen Dingen, der Aushülfe Preußens. Bei besonders feierlichen Gelegenheiten, zum Beispiel zur Reichstags-Eröffnung, werden die preußischen Reichsinsignien – bestehend in Krone, Scepter, Reichsapfel, Schwert und Fahne – dem Kaiser vorgetragen. Dies geschah namentlich am 21. März 1871 bei der Eröffnung des ersten deutschen Reichstages. Es geschah auch schon am 24. Februar 1867, als der jetzige Kaiser Wilhelm in seiner Eigenschaft als König von Preußen den verfassunggebenden Reichstag des norddeutschen Bundes eröffnete. Es war ein imponirendes Schauspiel. Zuerst marschirte das Corps der Pagen auf: junge preußische Edelleute in weißen Halskrausen und rother mittelalterlicher Tracht. Dann kamen die preußischen Großwürdenträger mit den oben aufgezählten Insignien, die, abweichend von den Krönungskleinodien anderer Länder, einen vorwiegend militärischen Charakter besitzen. Die preußische Fahne trug damals der alte Reiter-General Wrangel, der in ganz Berlin, und namentlich bei der Jugend, unter dem Namen des „Papa Wrangel“ persönlich bekannt und beliebt war. Er hat noch Jahre lang darnach gelebt, war aber damals schon sehr alt[1], und es wurde ihm ein wenig schwer, die mächtige Fahne zu handhaben. Um sich dies zu erleichtern, hatte er die Fahnenstange in einen seiner hohen Kürassierstiefel gesteckt. Es war ein wahrhaft rührender Anblick: das alte Preußen, wie es dem herannahenden neuen Deutschland die Fahne vorausträgt.

Zum Schluß noch eine Bemerkung über das Recht von Privaten, den Reichsadler zu führen.

In Deutschland kann sich Jeder für sich ein Wappen fabriciren, wie er will, mag er Edelmann sein oder nicht; und von dieser Freiheit wird der ausgiebigste Gebrauch gemacht. Man sieht oft die komischsten Einfälle und die unsinnigsten Combinationen im Wappen verkörpert, welche allen Regeln und Ueberlieferungen der Heraldik Hohn sprechen. Das ist erlaubt, wenngleich nicht geschmackvoll. Dagegen darf man sich nicht ein bestehendes Wappen aneignen, das sich bereits im rechtlichen Besitze eines Anderen befindet.

Der Kaiser hat jedoch durch Erlaß vom 16. März 1872 allen deutschen Fabrikanten die Abbildung und den Gebrauch des kaiserlichen Adlers zur Bezeichnung ihrer Waaren und Etiquetten gestattet, jedoch, wie der kaiserliche Erlaß vom 11. April 1872 erläuternd hinzufügt, ist diese Erlaubniß auf den Adler zu beschränken, der Gebrauch des Wappenschildes ist und bleibt verboten.




[256]

Ein armes Mädchen.

Von0 W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Acht Tage später fuhr ein Herr mit dem Schnellzuge an dem kleinen einsamen Herrnhuter Dörfchen vorüber. Der Train hielt nicht an, aber der junge Mann stand am Fenster des Coupé’s und sah so aufmerksam dorthin, als wäre es die schönste Stelle des grünen Thüringerlandes, das er eben durcheilte. Dann setzte er sich wieder, schob einen Violinkasten etwas bei Seite und zog seine Brieftasche hervor, entnahm ihr einen Brief und begann zu lesen:

 „Mein lieber Bernardi!
Du hast mir die Pistole auf die Brust gesetzt, und obgleich ich nicht gern Briefe schreibe, am wenigsten gern Briefe mit sentimentalem Inhalt, so will ich es doch versuchen, wenn es Dich beruhigen kann, wie Du sagst.

Viel Beruhigendes ist freilich nicht an der Sache, für Dich nämlich. Ich gestehe sogar, daß mein abgebrühtes Soldatenherz ein klein wenig gerührt wurde, als ich eines gewissen Ballabends gedachte, an dem ich Dir einen vernünftigen Rathschluß zu geben mich berufen fühlte.

Es ist wirklich so – die kleine Else von Hegebach verließ eines Morgens in aller Frühe ihr warmes Nestchen auf der Burg, die sorgsamste der Tanten und einen väterlichen Bräutigam, um in der Stille einer Herrnhutercolonie über – ich weiß nicht was, vielleicht weißt Du es – zu weinen. Alle vernünftig denkenden Leute, und Du weißt, wie viele dergleichen zu bergen unsere Mauern das Glück haben, zucken die Schultern und lächeln. Es ist so gar nicht mehr Fashion heutzutage, vor einem reichen Freier Reißaus zu nehmen; der Roman fängt ja jetzt erst jenseits des Altares an, und dann ist er um so pikanter. Das kleine resolute Mädchen hat sich die allerhöchste Ungnade der alten Frau von Ratenow zugezogen, die in ihrer praktischen Lebensauffassung an dem gesunden Verstande ihres Pflegekindes gerechtfertigte Zweifel hegt. Sie selbst ist todtkrank von ihrer Verfolgungstour zurückgekehrt; man hat sie aus dem Wagen in das Bette getragen. Heutigen Nachrichten zufolge geht es noch immer nicht gut.

Daß unsere Geselligkeit, besonders die kleinen Causerien der Damenwelt, ausreichenden Stoff zum Medisiren haben, brauche ich Dich nicht zu versichern; daß der Name ‚Bernardi‘ vielfach mit genannt wird, ahnest Du vielleicht. Und leider wohl mit Recht. ‚Das ist’s, was mir die Stirne trübt,‘ sagt ein Dichter. Denn was nun? Es ist schade um das hübsche Mädchen; wen aber, um Gotteswillen, soll ein Vorwurf treffen? Es ist nicht Deine und nicht ihre Schuld. Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch Alles! Warum bist Du nicht ein Reichsbaron mit einem halben Dutzend Gütern? Warum braucht der Mensch soviel zu seinem jammervollen Dasein? Ja, warum? Ich will aufhören zu fragen, ich werde wahrhaftig sentimental. Das kleine Mädchen mit den suchenden braunen Augen will mir nicht aus dem Sinn; Du hättest sie erst am Begräbnißtage sehen sollen.

Denke nicht, daß ich bereue Dir damals die Wahrheit gesagt zu haben, gewiß nicht; es war meine Pflicht. Sie wird ja hoffentlich vergessen, wenn auch schwerer als Andere. Und laß Du den Kopf nicht hängen; Du kannst ihr nicht helfen, man ist der Sclave seiner Verhältnisse.

Lebewohl, Bernardi.
Dein von Rost.“ 

Wie oft der Brief schon gelesen war, wie oft! Nun wurde er wieder in die Tasche gelegt, und der Besitzer dieser Tasche saß und schaute auf einen Fleck, als könne er dort die Antwort finden auf die „Warum?“, die in dem Schreiben gefragt waren. Eine Unzahl von Plänen ging abermals durch des jungen Mannes Kopf; es war, als knirsche er mit den Zähnen im ohnmächtigen Zorn, „der Sclave seiner Verhältnisse“!

Der Zug sauste an einem Wärterhause vorbei, am Waldesrand; in der Maiensonne, unter zartbelaubten Birken, saß auf der Thürschwelle ein junges Weib und hielt ein Kind im Schooß; der Mann stand salutirend an der Barrière, und die Blicke der Frau sahen lachend auf die vorüberfliegende Wagenreihe. Es überkam ihn auf einmal ein bitterer Neid. Die Kinder des Volkes, die lieben sich und heirathen sich und sind glücklich; wenn sie nichts zu essen haben, hungern sie mit einander, wie sie mit einander arbeiten. Und warum nicht? Else hätte auch mit ihm gearbeitet und mit ihm gehungert, das hatte er in den lieben Augen gelesen. Lächerlich! Hinter den Kindern der Vornehmen schleppt es hinterdrein, das schwere samtene Kleid der Standespflichten, das aus tausend Lappen und Läppchen zusammengesetzt ist zu einem prächtigen Ganzen, das den Reichen so unvergleichlich wohlthuend und bequem dünkt und den Unbemittelten niederdrückt, daß er es nur mit Müh und Noth auf seinen Schultern festhält, und ohne welches man sich nicht sehen lassen darf in jenen Kreisen – ja nicht! Wie viel Elend und Kummer, wie viel getäuschtes Hoffen, wie viel Entsagung bedeckt es!

Freilich, es ist so nöthig; ohne dieses Kleid ist die Gesellschaft nicht denkbar, es gehört zum Ganzen, es wäre lächerlich dies zu bestreiten. Die Meisten tragen es ja auch leicht, die Wenigen, die darunter zu ersticken meinen – pah! Nun, sie ersticken eben, oder sie werden’s auch schließlich gewohnt. Else wird sich trösten, und für ihn – es kommt vielleicht bald ein Krieg.

„Else wird sich nicht trösten!“ sagte eine innere Stimme da. „Else wird ihre Jugend vertrauern und ein einsames, verbittertes altes Mädchen werden, das sonnige reizende Geschöpf.“ Und er dachte weiter, fast fieberhaft, wie alle Tage bisher. Ja, was dann? Sollte er einen andern Beruf wählen?

Da stand plötzlich die Frau von Ratenow vor ihm, und die Funken ihrer Brillantbroche spielten zu ihm herüber, wie an jenem Abend.

„Glauben Sie denn, daß man in einem andern Stande von der Luft lebt? Und glauben Sie, daß Sie sich befriedigt fühlen, wenn Sie den bunten Rock ausziehen?“

Und nun rechnete er sich vor, wie schon unzählige Male: Kaufmann – ohne Capital? Oekonom – um zeitlebens Inspector zu bleiben? Künstler – wollte er das Heer Mittelmäßiger vermehren, die in sich selbst zusammengedrückt sind, weil sie fühlen, sie erreichen das Ziel nimmer, das sie gewollt? Erbarmungslos klang es, und dennoch wahr!

Am liebsten nähme er den Abschied und ginge nach drüben, aber sein alter Vater und die Mutter, die sich so jeden Pfennig abgedarbt, um seinen brennenden Wunsch zu erfüllen, Soldat zu werden!

Fahrt wohl, ihr Träume, fahr wohl, Else! Der Sclave seiner Verhältnisse – was kann ein Sclave thun?

„Er ist noch verdrießlicher wiedergekommen, als er ging,“ sagten die Cameraden, als sie am andern Morgen nach dem Dienst plaudernd die Straße entlang schritten, um in ihr Stammlocal zu gehen. „Närrischer Kerl! Er klaubt wahrhaftig noch immer an seiner unglücklichen Liebe,“ fügte der Eine lächelnd hinzu, „unglaublich heutzutage!“




Es war wiederum Herbst. Im Burggarten trieben die Winde ihr Spiel mit den Blättern, und purpurroth hingen die Reben des wilden Weines um die Veranda. Im Zimmer der alten Frau von Ratenow flackerte ein leichtes Kaminfeuer, und die Bewohnerin saß, aufrecht wie sonst, am Fenster und schaute strickend über den Hof hinweg. Das Gesicht war nicht mehr so voll, sie hatte gealtert; die fatale Krankheit im Frühjahre war nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Langsam, langsam hatte sie sich erholt. Sie war dann im Sommer in Baden-Baden gewesen, um sich dort grenzenlos heim zu sehnen. Frieda und Lili, die sie begleiteten – Moritz war zu Hause geblieben – hatten gänzlich freien Willen gehabt, des Tages dreimal die Toilette zu wechseln, Brunnenpromenaden und Nachmittagspartien mit den schnell geschlossenen Bekanntschaften zu machen. Sie war schon froh, wenn sie allein im Garten vor dem Hause saß und nichts von dem albernen Trubel und Lärm sah und hörte.

Zu Hause ging es besser. Tante Lott war wieder da, und nun konnte sie sich aussprechen, wenn einmal die Rede auf Else kam; so recht ordentlich. Und Tante Lott war unermüdlich, dies Thema immer und immer wieder anzuschlagen.

[257]

Der Riesenalk.
Originalzeichnung von Fr. Specht.

[258] „Du mußt mir doch in der Sache Recht geben, Lott, das Kind hat in sündhaftem Uebermuthe ihr Glück mit Füßen getreten.“

„Ja, Ratenowchen – aber –“

„Aber? Hier giebt’s kein ‚Aber‘, dächte ich –; jetzt laß sie ausessen, was sie sich eingebrockt. – Sich und uns Alle so zu compromittiren!“

„Ratenowchen, wie kannst Du nur so sprechen!“ schloß Tante Lott dann weinerlich; „wie kannst Du nur ihre Briefe nicht lesen wollen! Sie schreibt so, daß mir die Thränen in die Augen kommen, wenn ich sie mlr ansehe.“

Und dann erfolgte keine Antwort, und das Gespräch war einmal wieder vorüber, um nach ein paar Tagen just wieder so zu beginnen und zu enden.

Tante Lott correspondirte sehr fleißig mit dem armen Liebling. Sie berichtete jede Kleinigkeit von der Burg und beförderte gewissenhaft alle Grüße an ihre Adresse, die Else ihr auftrug. Nur einen Wunsch konnte sie dem Kinde nicht erfüllen; ein freundliches Wort von Tante Ratenow für sie erlangte das alte Fräulein nicht. Und ob der Bennewitzer nicht allzu böse auf Else sei, darüber konnte sie sich auch keine Gewißheit verschaffen.

Der Bennewitzer war völlig undurchdringlich. Er kam nach wie vor zu Frau von Ratenow, und neuerdiugs spielten sie Schach zusammen. Er rauchte im Salon ruhig seine Cigarre und überraschte einst die alte Dame mit der Mittheilung, daß er sich zu Hause jetzt, wie ein richtiger Großpapa, Schlafrock und lange Pfeife angeschafft habe.

„Aber bester Hegebach!“ Frau von Ratenow sah ihn ungläubig an; er war noch so jung und so hübsch in ihren Augen; dabei kam es ihr aber doch vor, als säßen an den Schläfen dort bedenklich viel graue Haare. Nach Else hatte er nie wieder gefragt. Wenn aber Tante Lott, die auf des Mädchens Bitten die Gräber der Eltern hin und wieder besuchte, an die Hügel kam, so waren sie immer mit den schönsten Blumen geschmückt, und die Todtengräberfrau erzählte, das lasse der Bennewitzer Herr thun. Tante Lott hatte dies gewissermaßen gern gehört und ihm einmal dafür gedankt. „Wozu das?“ fragte er da, „es sind ja meine Verwandten!“

Im Uebrigen war Alles beim Alten auf der Bnrg. Frieda hatte jetzt eine Gouvernante für die Kinder, tanzte und ging in Gesellschaft noch ebenso gern, wie im vorigen Jahre. Moritz spielte sein Whist und hielt sein Plauderstündchen mit der Mutter, – nur der Zankapfel war aus dem Hause verschwunden. Der leichte Mädchentritt erscholl nicht mehr auf der Treppe; sie konnte so hübsch die Treppe hinuntergehen, die Else; es war eigentlich kein Gehen, es war ein Fliegen oder Huschen, die schöne Gestalt war plötzlich unten, man wußte nicht wie. Sie sang nicht mehr ihre kleinen Lieder im Salon und spielte nicht mehr Verstecken mit den Kindern in den tiefen Fensternischen. Es fehlte doch etwas, etwas Holdes, Liebliches, das empfanden sie Alle; aber Keiner sprach es aus. Zuweilen nur meinte Tante Lott in der Dämmerung, die Thür müsse aufgehen und sie hereinspringen und mit der hellen klingenden Stimme „Tantchen Lott, liebes Tantchen Lott!“ sagen. Und zuweilen schrak Frau von Ratenow empor, dann hörte sie auch jene Stimme, aber angstvoll und flehend: „Tante, nur ein Wort, ein Wort!“ Und dann ward ihr so unsagbar zu Muthe, halb zornig, halb weh.

Nein! Wenn allerwege noch etwas aus dem Mädchen werden sollte, so mußte die Strenge sie ziehen. Der Bennewitzer war sicher auch ihrer Meinung; und sie könute vielleicht doch noch nachgiebig werden in dem melancholischen Neste dort.

Heute. war es still im Hause; Frieda und Lili waren vorhin bei der alten Dame gewesen, um sich zu zeigen in knisternder schwerer Seide, in Blumen und Spitzen, in dem vollsten Glanz einer Festtoilette; Beide ganz gleich in Hellblau und Silber, bis auf die zierlichen Stiefelchen. Sie hielten Wagenräder von Bouquets in den Händen, und die gelbliche gloire de Dijon schaute aus dem dunklen Haar und schmückte den Ausschnitt der Kleider.

Annie Cramm heirathete heute.

Die Trauung sollte um drei Uhr stattfinden, das Diner um vier Uhr, und die ganze Stadt war auf den Füßen, um brautschauen zu gehen. Man hatte sich so fabelhafte Dinge erzählt von der Pracht, die dort zu sehen sei, und Tante Lott saß schon seit halb zwei Uhr in der Kirche, um ja noch einen guten Platz zu bekommen.

Die alte Frau von Ratenow war ganz allein; sie dachte an das Brautpaar, das eben getraut wurde, und was für ein erbärmlich Ding von einer Frau doch eigentlich diese Annie Cramm sei, und wenn sie noch soviel Spitzen und Brocat an sich habe. Das würde nun so ein gleichgültiges Nebeneinanderher, eine Ehe ohne Salz und Schmalz. Nun, sie wollten’s nicht besser, und – sie können sich ja das Leben so behaglich machen; Sorgen haben sie wenigstens nicht. Und ihre Gedanken flogen zu Else; sie sah das Mädchen neben Bernardi, und sie hörte ihr Lachen, und unwillkürlich drängte ihre Phantasie die Beiden an Stelle des andern Paares, das wohl jetzt an der reichbesetzten Tafel im Hochzeitshause die Ehrenplätze einnahm. Und plötzlich stand diese Tafel drüben in der Halle, und sie saß ihnen gegenüber, und –

„So ein Unsinn!“ Sie räusperte sich ganz laut und begann zu stricken. Aber das Bild war so reizend, es kam wieder. Als ob es etwas Schöneres giebt, wie so ein junges, eben getrautes Paar, das sich von Herzen lieb hat!

„Ja, ja, die Else war doch eigentlich nicht schlechter, als die Annie Cramm – nur kein Geld hatte sie. Unsinn! Man soll eben den Verhältnissen Rechnung tragen.“

Es wurde allmählich dämmerig, da rollte ein Wagen auf den Hof.

„Der Bennewitzer? Ei, ich meine, er ist zum Diner?“ – Aber da kam er schon herein und küßte ihr die Hand. „Was denn?“ fragte sie. „Ist’s schon vorbei?“

„O, nicht doch, Gnädigste,“ und er zog sich den Stuhl ganz nahe an den Fensterplatz der alten Dame. „Ich halte nur Sehnsucht, mit Ihnen zu plaudern, Ihnen mein Herz auszuschütten.“

Sie horchte auf endlich sprach er! Sie konnte Else entschuldigen, sie konnte – Herr Gott – vielleicht – sie wagte nicht, es auszudenken.

„Das Diner war wirklich vorzüglich und die Weine exquisit; man muß es dem alten Commerzienrath lassen, er hat Geschmack. Uebrigens ein merkwürdiger Mann, der Bräutigam respective junge Ehemann; beim Dessert verließ er plötzlich seine schönere Hälfte und setzte sich zu mir.“

„Allerdings merkwürdig!“ gab die alte Dame zu.

„Ja, nicht wahr? Er spricht indessen nicht schlecht, hat vernünftige Ansichten und scheint praktisch.“

„Das hat er heute bewiesen,“ bemerkte Frau von Ratenow trocken.

„Wie? Ach so – na ja – chacun à son goût. - Er sprach übrigens auch von Else.“

Da war es heraus, endlich ihr Name von seinen Lippen!

„Sie hatte nämlich gestern ein kleines Präsent geschickt. Aber davon wollte ich ja gar nicht reden mit Ihnen, gnädige Frau, verzeihen Sie die Abschweifung.“

Frau von Ratenow sah ihn verdutzt an; hatte der Bennewitzer zu viel von dem „exquisiten“ Weine?

„Ich weiß nicht, ob Sie sich in meine Lage versetzen können,“ fuhr er fort, behaglich rauchend, „ich glaube es fast nicht – oder doch? Die Frauen haben darin etwas voraus, sie sind mitleidiger, als das sogenannte starke Geschlecht. Ich fühle mich so unsäglich vereinsamt; ich weiß nicht, für wen ich arbeite und lebe; es ist, als ob mein ganzes Haus mich melancholisch ansieht, als ob jede Kaminöffnung den Mund zu einem ungeheurer Gähnen aufthut, um mich zu fragen: wozu sind wir eigentlich da? Es kann nicht mehr so fortgehen, Gnädigste, denn es macht körperlich und geistig krank.“ Er schwieg einen Augenblick. „Auf dem Halse hab’ ich das Bennewitz ja doch, und da ist mir nun der Gedanke gekommen, noch einmal –“

Er verstummte. Die Asche seiner Cigarre war abgefallen und glimmend auf seine Kleider und den Teppich gestiebt; er schnippte sie mit den Fingern ab und trat die Funken aus.

„Zu heirathen –“ ergänzte die alte Dame gepreßt.

„Nein!“ sagte er kurz, und lehnte sich in den Stuhl zurück.

Frau von Ratenow fuhr herum und sah ihn an; es war schon zu dunkel, sie konnte nur erkennen, daß er an ihr vorüber wieder zum Fenster hinausschaute.

„Nein?“

[259] „Sicher nicht, gnädige Frau; ich denke etwas Anderes zu thun, etwas, womit unsere Persönlichkeit nicht in so nahe Beziehungen zu treten braucht und keine herbe Abweisung zu fürchten hat – denn das thut weh. – Sie wissen, ohne Eitelkeit ist kein Mensch, und bei allem vernünftigen Raisonnement – ein kleiner Stachel bleibt.“

Die alte Dame saß in athemloser Erwartung.

„Ich will es noch einmal versuchen, ein junges Leben an mich zu ketten, aber auf andere Weise, – ich will ein Kind adoptiren.“

Wie ein Blitz fuhr es vor den Augen der alten Frau hernieder.

„Hegebach, Sie wollten, Sie könnten –?“ rief sie freudig. Dann verstummte sie. „Aber, mein Gott, Mädchen gelten ja nichts nach dem Erbvertrage?“ sagte sie zweifelnd.

„Mädchen? Wer spricht von einem Mädchen?“ fragte er.

Keine Antwort, nur ein rasches heftiges Athemholen. Je nun, der Mann war im Rechte; warum hatte Else sich so unverantwortlich benommen? Aber bitter, bitter ist es! O, das unselige Kind!

„Was sagen Sie zu meinem Plan, gnädige Frau?“

„Vortrefflich!“ erwiderte sie mühsam, und der Jammer um das arme Mädchen, das sich nun wirklich ganz allein durch das Leben schlagen sollte, erlöschte fast allen Zorn in ihrem Herzen.

„Jetzt aber gilt’s zu suchen,“ sprach der Bennewitzer.

„Sie werden viel Bewerber finden.“

„O sicher!“ Er lachte kurz auf. „Das bischen Hab und Gut lockt sie hervor, wie der Regen die Pilze. Es müßte ordentlich erquickend sein, Menschen zu finden, die Nein! sagten. Was? Nun, auf jeden Fall, Gnädigste, ich stelle meine Auserkorenen zu Ihrer Begutachtung, und ich werde in der nächsten Zeit suchen. Apropos, wie geht es eigentlich meiner Nichte?“

„Ich – ich weiß es nicht; vermuthlich gut,“ antwortete Frau von Ratenow. Des Bennewitzers Benehmen empörte sie heute förmlich.

„Mein Gott, gnädige Frau, Sie zürnen ihr noch immer? Es ist unrecht von Ihnen, wahrhaftig! Wissen Sie auch, daß ich dem Kinde tausendfach in Gedanken abgebeten habe, was wir an ihr sündigten? Ja, wir, sag’ ich, Gnädigste, Sie und mein Vetter und ich. Die einzige Entschuldigung ist, wir meinten es gut.“

„Was hat sie davon!“ klang es in der Seele der alten Frau.

„Ich muß mich empfehlen.“ Er stand auf. „Nicht wahr, Sie sagten doch, ich thue recht daran, gnädige Frau? Man muß Etwas haben, woran das Herz hängt.“

„Ja, ja, bester Hegebach, und möge es Sie nie gereuen.“

Und als sich die Thür hinter ihm geschlossen, da blieb die alte Dame mitten im Zimmer stehen. „Entweder hat er ein bischen im Kopfe, oder er hat den Hegebach’schen Sparren nun noch auf seine alten Tage bekommen; einen Sparren haben sie Alle, die Hegebachs, weiß Gott!“ – Sie schrieb noch an demselben Abend einen Brief an Else. Das arme Kind! So um Alles zu kommen! Aber sie war ja selbst schuld. Das wurde ein wunderliches Schreiben, halb vorwurfsvoll und halb zärtlich, und die Bitte enthaltend, das Mädchen möge zurückkehren.

Die alte Dame that kein Auge zu in dieser Nacht; sie ging am andern Tage tief nachdenklich umher, sie sprach bei Tische fast kein Wort, und das Hauptthema des Gespräches bildete doch des Bennewitzers neuestes Project.

„Der Mann hat vollkommen Recht,“ sagte Moritz, „es versteht sich doch von selbst, daß er sein Gut einem Menschen vererben will, der ihm nahe steht; es fällt ja sonst dem Fiscus anheim. Aber er hätte Else irgend ein Nadelgeld auswerfen können aus seinem Privatvermögen,“ setzte er hinzu.

„Ja,“ stimmte Tante Lott bei, „es ist eine unedle Rache, sie so ganz ihrem Schicksal zu überlassen; er ist doch ihr Onkel.“

„Als ob Else das annehmen würde!“ Lili verzog ihren kleinen Mund verächtlich.

„Oho!“ sagte Frau von Ratenow, die bis dahin geschwiegen, „sie wird es jetzt wohl wissen, was es heißt, durch eigne Kraft für sich zu sorgen; gern wird sie es nehmen – aber er wäre ein Narr, wenn er es geben wollte, das meine ich.“

„Das glaubst Du ja selbst nicht, Mutter,“ sagte Moritz, und faßte nach ihrer Hand.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Unsere Osterbilder. (Illustrationen auf S. 249 und 253.) Auf der Winter- und Sommerscheide liegt es, das geheimnißvolle Fest der Weltauferstehung, unruhig bald früher, bald später auftauchend, eine Verlegenheit für Wetterpropheten und Festordner. „Weiße Ostern? Grüne Ostern? – das ist hier die Frage,“ würde Hamlet sagen. Wir haben’s gefeiert in dickem Schnee, mit Pelzen und rothen Nasen, unwissend, woher die für eine Chardonnerstagmahlzeit so unumgänglich nöthigen Rapunzeln hernehmen – und wieder in luftiger Gewandung und sonnengestreichelt, die berühmten „ältesten Leute“ sogar unter blühenden Apfelbäumen. Das Normalostern der Poeten und Maler fordert bedeckten Himmel, glänzende Baumknospen, grüne Stachelbeersträucher und sprossende Saaten – „jedes Blatt ein grünes Ohr“.

Ob es diesmal Blüthen schneit? Wer weiß es?

Niemand. Nicht einmal Er.

Er ist ein merkwürdiges Geschöpf. Daß er zu Ostern kommt und dann bis auf das nächste Osterfest verschwindet, wäre nicht ohne naturgeschichtliche Analogie: es giebt Zugvögel und Eintagsfliegen. Freilich: Er ist weder ein Vogel, noch eine Fliege. Er ist ein Monstrum, das größte Kreuz für Zoologen. Darwin und Häckel haben klüglich vermieden, sich mit ihm zu beschäftigen.

Ein Hase, der Eier legt! Unerhört. Aber es ist so. Er kommt und nistet, ob im Schnee, in Stuben, in sprossendem Grün, das ist ihm gleichgültig. Jedenfalls an versteckten Orten.

Es giebt mehrere Arten dieser Gattung, das steht wohl außer Zweifel. Zum mindesten zwei. Die gewöhnlichen Eier gleichen täuschend den Hühnereiern, selbst in der Farbe. Es ist ein offenes Geheimniß unter den Kindern, daß die bunten Farben der Eier auf Rechnung menschlicher Einwirkung kommen, indem man in der Osternacht Gefäße voll kochenden Wassers aussetzt, welches letztere mit Rothholz-, Blauholz- oder Zwiebelschalensaft, jetzt auch mit Anilinfarben, gefärbt ist. Derartige Gefäße zieht der Osterhase als Niststätte jeder andern vor – nein, nur als Ort zum Eierlegen, denn er pflegt später die Eier herauszunehmen – wie? das ist sein Geheimniß – und zu „verschleppen“, wie die Hühnerzüchter sagen, oder auch in einem Nest zu vereinigen. Zuweilen wird er vorher überrascht, dann bleibt der Mutter die Aufgabe, die Eier selbst aus der Brühe zu nehmen, wie unser eines Bild dies vor Augen führt.

Die zweite Hasenart, von der ich sprach, legt Eier von höchst mannigfaltiger Beschaffenheit. Die Schale der meisten besteht, wie chemische Untersuchungen nachgewiesen, aus Zucker. Fast immer zeigen sie bunten plastischen Schmuck. Der Inhalt ist unberechenbar. Viele sind leer, in anderen finden sich Confect, Blumen, junge Hasen, Kücken, kleine Kinder, ausgewachsene Gnomen u. dergl. Ich möchte diese zweite Art von Osterhasen den gebildeten oder Kunsthasen nennen. Er legt vorwiegend in den Läden der Conditoren, meist schon vor Ostern, und diese Eier werden für[WS 5] schweres Geld verkauft.

Ich meinerseits ziehe die erstere Art vor; die Personen auf dem Bilde von F. Bergen auch – überhaupt, wie ich beobachtet habe, die Kinder. Diese Eier sind weniger werthvoll, aber man hat eben darum den Muth, mit ihnen zu spielen und sie aufzuessen, und man findet sie im Freien.

Welch ein Zauber liegt in diesem Eiersuchen unter werdendem Grün, in weicher Frühlingsluft! Die Kinder nur genießen ihn voll, wir großen Zuschauer aber, so wir das Herz auf dem rechten Flecke behalten haben, genießen mehr durch etwas anderes dabei. Unser Herz bekommt Besuch, Besuch von seiner Jugend. Sie ist so helläugig begehrlich, ungeduldig, so übermüthig lachlustig und gläubig, wie diese Kinder da. Sie kommt nur auf Stunden, aber schon diese Stunden sind unvergleichlich.

Sie gehört mit in das große Auferstehungswunder des Osterfestes, diese Auferstehung unserer Jugend! Victor Blüthgen.     


Eine ausgestorbene Vogelart. (Mit Illustration S. 257.) Strauße, Kasuare, Schnepfenstrauße etc. bilden bekanntlich ganze Vogelgruppen, denen in Folge der Verkümmerung der Flügel die Flugkraft genommen ist, während sich bei ihnen das Gehvermögen durch die kräftigere Entwickelung der Beine gesteigert zeigt. Eine ähnliche Erscheinung findet sich innerhalb anderer Vogelfamilien, wie z. B. bei der Gattung Strigops unter den Papageien, bei den Dronten unter den Tauben etc.

Auf der andern Seite giebt es Vögel, deren Gliedmaßen sich nach Art der Fischsäugethiere in Schwimm- und Ruderapparate umwandeln, sodaß denselben das Fliegen zur Unmöglichkeit und das Gehen wenigstens sehr erschwert wird: die Pinguine der südlichen Halbkugel, bei denen die Flügel als Flossen, die Schwungfedern als schuppenartige Gebilde erscheinen. Diese merkwürdigen Vögel, welche mit einer ganzen Reihe von Arten und in einer sehr großen Individuenzahl die antarktischen Inseln bevölkern und sich durch ihre bedeutende Gewandtheit im Schwimmen und Tauchen auszeichnen, fehlen vollständig auf der nördlichen Halbkugel und werden hier, in gewissen Beziehungen wenigstens, durch die dem Norden eigenthümlichen Alken vertreten, die übrigens neben einer beträchtlichen Fähigkeit zum Schwimmen und Tauchen im Allgemeinen sich noch das Flugvermögen bewahrt haben. Nur eine einzige, und zwar die größte Alkenart, die man in der Größe mit einer Gans vergleichen kann, ist es, welche in der Verkümmerung der Flügel die Pinguine, wenn auch nicht ganz, so doch beinahe erreicht hat: dies ist der Riesenalk, der von Linné den wissenschaftlichen Namen Alca impennis, das ist flügelloser Alk, erhalten[WS 6] [260] hat, und den man auch wegen der brillenartigen weißen Flecken vor den Augen als Brillenalk, und wegen der Analogie mit den südlichen flügellosen Pinguinen als nordischen Pinguin bezeichnen kann.

Der Name Pinguin ist dem Vogel besonders von denjenigen Seefahrern gegeben, welche an den Küsten Neufundlands verkehrten und hier vor vielen Jahrzehnten und nachweislich schon vor Jahrhunderten einzelne Inseln ebenso von Riesenalken bevölkert fanden, wie sie dies auf den antarktischen Inseln mit den eigentlichen Pinguinen zu beobachten offenbar häufig Gelegenheit gehabt hatten. Auch hier wurden die Vögel zur Verproviantirung der Schiffe massenhaft ge[m]ordet. Natürlich war es, daß auch bei den Einwohnern von Neufundland und überhaupt Nordamerika der Name „Pinguine“, in englischer oder französischer Schreibweise, für unsern Riesenalk der gebräuchliche wurde. Die Bewohner von Island und den Faröern, denjenigen Plätzen, wo der Vogel auf europäischer Seite in früherer Zeit gleichfalls eine von ihm zahlreich bewohnte Heimath gefunden hatte, gaben demselben auch ihrerseits einen besonderen Namen und nannten ihn Geir-Fugla oder Geir-Vogel nach dem isländisch-dänischen Ausdrucke „Geir“, d. h. Lanze, mit deren Spitze sie den Schnabel verglichen. Eben derselbe Name oder der daraus abzuleitende Ausdruck „Gare-fowl“ ist die Benennung, welche dem Vogel an den schottischen Küsten, auf den Hebriden (besonders der Vogelinsel St. Kilda) und den Orkney-Inseln zu Theil geworden ist, lauter Plätzen, an denen die Art in historischen Zeiten zahlreich gelebt und gebrütet hat.

Diese Zeiten sind schon lange vorüber. Denn bei dem Mangel des Flugvermögens und bei der geringen Fähigkeit, durch Laufen sich auf dem Lande den Verfolgungen zu entziehen, denen er hauptsächlich von Seiten des Menschen während der Zeit des ihn an das Land fesselnden Brutgeschäftes ausgesetzt war, ist der Vogel schrittweise mit der Ausbreitung der Cultur und der Steigerung des menschlichen Verkehrs von den europäischen Küsten vertrieben, bis ihm zuletzt nur noch in nördlicheren Breiten und auf entlegenen einsamen Scheeren eine letzte Zufluchtsstätte geblieben war.

Noch im vorigen Jahrhundert und bis in den Anfang unseres Jahrhunderts dienten die genannten Inseln an den schottischen Küsten als Brutstätten des Vogels, in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts dagegen waren nur noch einige Vogelscheeren bei Island als solche zu bezeichnen; denn weiter nach Norden konnte der Vogel wegen der klimatischen Verhältnisse keine Zuflucht mehr finden, da er entschieden ein gemäßigtes Klima zum Gedeihen nöthig hat.

In Folge der beständigen Nachstellungen von Seiten der Menschen, die nur durch die Unzugänglichkeit der Brutklippen etwas gemildert wurden, und besonders auch in Folge von vulcanischen Naturereignissen, durch welche die Brutplätze zerstört und zum Theil in’s Meer versenkt wurden, ist die Individuenzahl auch bei Island schon in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre bedeutend zusammengeschmolzen, bis zuletzt, ein Jahrzehnt später, nur noch wenige Paare übriggeblieben waren und, soviel man weiß, das letzte Paar 1844 auf Eldey, einer im Süd-Westen von Island gelegenen Vogelscheere, erwürgt worden ist. Nach dieser Zeit ist es wenigstens nicht möglich gewesen, einen lebenden oder frisch erlegten Riesenalk mit Sicherheit wieder nachzuweisen.

So hat unter den Augen der Naturforscher unseres Jahrhunderts unsern Vogel wahrscheinlich dasjenige Geschick erreicht, dem etwas früher, zu einer Zeit, wo in jenen Ländern die Naturforschung noch im Argen lag, die Dronte auf Mauritius, die Moas auf Neu-Seeland etc. zum Opfer gefallen sind. Gerade daß sich beim Riesenalk der Proceß des Aussterbens gewissermaßen unter unsern Augen abgespielt hat, dies macht die Geschichte desselben so interessant.

Der Schluß des Trauerspiels fiel in die Zeit der modernen Naturforschung; der Anfang dagegen reicht in vorhistorische Zeiten zurück. Sind doch in den vorgeschichtlichen Muschelhaufen und Küchenabfällen, welche zuerst an den Küsten Dänemarks die Aufmerksamkeit der Alterthumsforscher auf sich lenkten, an den verschiedensten Stellen südlicherer Breiten so zahlreiche Knochenreste von Riesenalken gefunden, daß sich daraus auf ein früheres massenhaftes Vorkommen des Vogels in diesen Gegenden schließen läßt! Dies gilt vor Allem wiederum von Dänemark (Jütland und Seeland), ferner von Maine und Massachusetts in Nordamerika, von den südlicheren Inseln und Küsten Schottlands und endlich auch von England, wo in einer Kalksteinhöhle wenigstens einige Knochenreste von Alca impennis gefunden worden sind.

Fast alle in unseren Sammlungen befindlichen Bälge tragen das Sommer- oder Hochzeitskleid, wie es in dem diesem Aufsatze beigegebenen Bilde von Fr. Specht, welches das Zusammenleben dieser Vögel anschaulich vor Augen führt, zur Darstellung gebracht ist. Dieses Kleid ist charakterisirt durch die deutliche Entwickelung der weißen Brillenflecke und durch die dunkele Färbung von Kinn und Kehle. Nachweislich stammen die allermeisten unserer Sammlungsstücke von Island und zwar aus dem Anfange der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts, und es scheinen die isländischen Vögel fast nur im Sommer erbeutet zu sein und daher das Sommerkleid zu tragen. Exemplare, die mit Sicherheit nicht von Island herrühren, giebt es nur zwei, nämlich eins im Brittischen Museum, das 1812 bei Papa Westra (Orkney-Inseln) erbeutet ist, und eins in Dublin, das 1834 in der Bucht von Waterford lebend gefangen und eine Zeit lang am Leben erhalten wurde. Dieses letztere trägt ein Winter- oder Uebergangskleid, welches durch die weniger deutliche Ausbildung des weißen Brillen-Fleckes und eine unregelmäßig begrenzte weiße Befiederung hinter dem Auge, sowie durch rein-weiße Färbung des Kinns, der Kehle und der diese Gegend begrenzenden unteren Theile der Kopfseiten sich auszeichnet.

Ein ähnliches Exemplar des Kopenhagener Museums im Uebergangskleide, sowie ein noch sehr jugendlicher Vogel im Museum zu Newcastle und ein das Hochzeitskleid tragendes Individuum im städtischen Museum zu Straßburg, das schon 1776 in den Catalogen erwähnt worden ist und vermuthlich das älteste bekannte Sammlungsstück dieser Art sein dürfte, sind andererseits mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit auf amerikanischen beziehungsweise grönländischen Ursprung zurückzuführen.

Prof. Dr. W. Blasius.     



Allerlei Kurzweil.


Quadraträthsel.

Die mit einem Stern bezeichneten Felder der nebenstehenden Figur sind mit je einem Buchstaben so auszufüllen, daß die sechs wagerechten Reihen und ebenso die erste und letzte senkrechte Reihe bekannte Wörter ergeben. Diese acht Wörter, jedoch in anderer Reihenfolge, nennen: 1. einen Tanz, 2. eine Oper, 3. eine andere Oper, 4. einen der Vereinigten Staaten von Nordamerika, 5. eine Stadt in Italien, 6. eine Bezeichnung für Tracht, 7. eine der Personen in Schiller’s „Räubern“, 8. eine Stadt in Deutschland.


Akrostichon.

a, bo, dau, e, e, el, i, is, la, lu, li, lin, me, ma, ma, mi, now, nenz, ro, rith, se, tik, ter, va.

Aus den obigen 24 Silben lassen sich acht Wörter zusammenstellen, deren Anfangs- und Endbuchstaben ein beliebtes Plätzchen in der „Gartenlaube“ nennen. Die acht Wörter, jedoch in anderer Reihenfolge, bezeichnen: 1) einen namhaften Schriftsteller und Dichter unserer Zeit, 2) eine der Personen in Schiller’s „Kabale und Liebe“, 3) einen bekannten schweizer Theologen des vorigen Jahrhunderts, 4) einen Theil der Mathematik, 5) einen Vicekönig, 6) ein Fürstengeschlecht, 7) eine der Personen in Schiller’s „Don Carlos“, 8) einen Titel.


Auflösung der Schachaufgabe Nr. 4 in Nr. 14:
Weiß: Schwarz:
1. S c 6 – e 5 K f 6 : S e 5
2. D b 5 – e 8 † K e 5 – d 4, f 4
3. S e 3 – c 2 resp. g 2 † beliebig.
4. D oder L matt.

Auf 2. . ., K f 6 folgt 3. L h 4 †0 4. S f 5: matt.

Varianten: a) 1. . ., h 5; 2. D d 7, L b 8; 3. S d 5: † etc. oder 2. . ., K : S; 3. D d 6 † etc. oder 2. . ., K g 5; 3. D e 7 † etc. – b) 1. . ., K g 5; 2. D e 8, K f 4; 3. S g 2 † etc. oder 2. . ., h 5; 3. D e 7 † etc. – c) 1. . ., d 4; 2. D c 6 †, K g 5; 3. S f 7 † etc. oder 2. . ., K g 7; 3. S f 5: † etc. – d) 1. . ., f 4; 2. D c 6 †, K : S; 3. D d 6 † etc. – e) 1. . ., L b 8 (b 6 : c 5); 2. D e 8 etc.


Kleiner Briefkasten.

Herrn N–g in Breslau. Wir danken Ihnen für Ihre freundliche Aufmerksamkeit und veröffentlichen an dieser Stelle die folgende uns von Ihnen eingesandte Notiz, die gewiß viele Leser interessiren wird: „In Nr. 8 der ‚Gartenlaube‘, Nr. II der Memoiren (S. 133), erwähnt Heinrich Heine der Mutter des Dichters Grabbe und widerlegt die allgemeine Annahme, sie selbst habe den Grund zu der Säufermanie ihres Sohnes gelegt. Dieses Urtheil Heine’s steht nicht vereinzelt da. Auch Johannes Scherr ist in seinem Werke ‚Dämonen‘ (Nr. 4. Ein deutscher Dichter.) in ähnlicher Weise für diese Frau eingetreten. Johannes Scherr sagt von ihr S. 220 wörtlich: … ‚Daß sie ihren Sohn schon in seiner Kindheit zum Feuerwassertrinken förmlich angeleitet und verführt habe, ist nur ein boshaft dummer, von Grabbe’s Wittwe gethaner Aufschnitt! Dagegen ist es wahr, daß Vater und Mutter den Sohn, der ihr einziges Kind war, von früh auf zu nachsichtig behandelten und so ziemlich verhätschelten!‘ … Also sehen wir hier eine doppelte Ehrenrettung der vor Jahrzehnten so vielgeschmähten Mutter des Dichters Grabbe durch zwei bedeutende Männer, von denen jeder dieses Urtheil selbständig, ohne Wissen von den Aufzeichnungen des anderen abgegeben hat.“

M. L. in Bischweiler. Sie haben Recht, der am 19. März in Mülhausen gestorbene Dichter ist nicht Karl, sondern August Stöber, der aber mit seinem jüngeren Bruder Karl im Streben und Wirken viel Gemeinsames besitzt. Die Pflege der Wissenschaft und Dichtkunst bildete in dem Geschlecht der Stöber eine Familientradition; seit Jahrhunderten glänzt dieser Name in der geistigen Geschichte des Elsaß. Das Brüderpaar August und Karl empfing schon im Vaterhause reiche poetische Anregung. August Stöber (geb. 9. Juli 1808), der nicht wie sein Bruder die Prediger-, sondern die Lehrerlaufbahn einschlug und vierzig Jahre hindurch als Professor am Colleg zu Mülhausen wirkte, hat sowohl durch seine Sammlungen der Sagen und Volkslieder seiner schönen elsässischen Heimath, wie durch eigene poetische Beiträge, in denen er den volksthümlichen Ton auf das Glücklichste traf, viel dazu beigetragen, im Elsaß während der Franzosenherrschaft deutsches Wesen und das Bewußtsein der Zugehörigkeit zum deutschen Mutterlande zu erhalten. Man kann ihn und seinem Bruder Karl die Gebrüder Grimm des Elsaß nennen.

G. R. in Prag. Der bezeichnete Roman ist überhaupt nicht in unserem Blatte erschienen.



Inhalt: [ verzeichnet den Inhalt von Heft 15/1884, z. Zt. nicht transkribiert. ]



Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart.0 Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.

  1. Friedrich Graf von Wrangel wurde gerade vor hundert Jahren, am 13. April 1784, zu Stettin geboren. Seine militärische Laufbahn begann er bereits im Jahre 1796 als Junker in einem ostpreußischen Dragonerregiment. Er kämpfte mit Auszeichnung in den Napoleonischen Kriegen und trug am 23. April 1848 bei Schleswig den Sieg über die Dänen davon. Schon im Jahre 1856 feierte er sein sechszigjähriges Dienstjubiläum und wurde damals zum Generalfeldmarschall ernannt. Bis zu seinem Tode, der am 1. November 1877 erfolgte, blieb er eine der populärsten Personen der Kaiserstadt Berlin. D. Red.     

Anmerkungen (Wikisource)

  1. [im Manuskript geht es weiter:] da in ihrer rothen Nase immer Thauwetter war und der Tropfenfall die weißen Bettücher der Wöchnerinnen sehr verbräunte, so ward die Frau überall abgeschafft.
  2. [Sie lautet:] eine seltsame Veränderung, eine gewisse Benautigkeit, die er für den Durchbruch einer Liebesbrunst hielt, und sich dem großen Momente nahe glaubte – aber ach! als er die Erröthende jetzt gewaltsam in seine Arme schloß, drang ihm ein Duft in die Nase, der nicht zu den Parfümerien Amors gehörte, er merkte daß das Philtrarium vielmehr als ein Laxarium agirte und seine Leidenschaft ward dadurch gar widerwärtig abgekühlt.
  3. [folgende Passage des Manuskriptes ist ausgelassen:] sich zu rächen, indem sie ihr Unfruchtbarkeit oder dem Ungetreuen die schnödeste Entmannung anhexen ließ. Das Unfruchtbarmachen geschah durch Nestelknüpfen; das ist sehr leicht, man begiebt sich in die Kirche, wo die Trauung der Brautleute statt findet, und in dem Augenblick wo der Priester über dieselben die Trauungsformel ausspricht, läßt man ein eisernes Schloß, welches man unter der Schürze verborgen hielt, schnell zuknappen; so wie jenes Schloß verschließt sich auch jetzt die Gebärmutter der Neuvermählten. Die Ceremonien welche bei der Entmannung beobachtet werden, sind so schmutzig und haarsträubend grauenhaft, daß ich sie unmöglich mittheilen kann. Genug der Patient wird nicht im gewöhnlichen Sinne unfähig gemacht, sondern in der wahren Bedeutung des Wortes seiner Geschlechtlichkeit beraubt, und die Hexe welche im Besitze des Raubes bleibt, bewahrt folgendermaßen dieses corpus delicti dieses Ding ohne Namen, welches sie auch kurzweg das Ding nennt; (die lateinsüchtige Göcherinn nannte es immer einen Numen Pompilius, wahrscheinlich eine Reminiscenz von König Numa dem weisen Gesetzgeber der gewiß nie geahnt wie schändlich sein Namen einst mißbraucht würde.) Die Hexe verfährt wie folgt: Das Ding dessen sie sich bemächtigt, legt sie in ein leeres Vogelnest und befestigt dasselbe ganz hoch zwischen den belaubten Zweigen eines Baumes; auch die Dinger, die sie später ihren Eigenthümern entwenden konnte, legt sie in dasselbe Vogelnest, doch so daß nie mehr als ein halb Dutzend darin zu liegen kommen. Im Anfang sind die Dinger sehr kränklich und miserabel, vielleicht durch Emozion und Heimweh, aber die frische Luft stärkt sie und sie geben Laute von sich wie das Zirpen von Zikaden. Die Vögel die den Baum umflattern werden davon getäuscht und meinen es seien noch unbefiederte Vögel, und aus Barmherzigkeit kommen sie mit Speis in ihren Schnäblein um die mutterlosen Waisen zu füttern, was diese sich wohlgefallen lassen so daß sie dadurch erstarken ganz fett und gesund werden und nicht mehr leise zirpen, sondern laut zwitschern. Drob freut sich nun die Hexe und in kühlen Sommernächten, wenn der Mond recht deutsch sentimental herunterscheint, setzt sich die Hexe unter den Baum, horchend dem Gesang der Dinger, die sie dann ihre süßen Nachtigallen nennt. Sprenger in seinem Hexenhammer, malleus maleficarum, erwähnt auch diese Verruchtheiten der Unholdinnen in Bezug auf obige Zauberey. Die Hexe begeht den Mannheitsdiebstahl aber meistens in der Absicht von den Entmannten durch die Restituzion ein sogenanntes Kostgeld zu erpressen. bei dieser Zurückgabe des entwendeten Gegenstands giebt es zuweilen Verwechselungen und qui pro quos die sehr ergötzlicher Art und ich kenne die Geschichte eines Domherrn, dem ein falscher Numa Pompilius zurückgeliefert ward, der, wie die Haushälterinn des geistlichen Herren, seine Nymphe Egeria behauptete, eher einem Türken als einem Christenmenschen angehört haben mußte.
  4. Vorlage (Satzfehler): 1808
  5. Vorlage: fur
  6. Vorlage: rehalten