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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1883
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[301]

No. 19.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Pfingstglaube.

Weit durch die Lande mit Donnergebraus
Toben die Wetter und Stürme,
Flammende Blitze umzucken das Haus,
Züngeln um Zinnen und Thürme.

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Und durch die Lande, die Lande weit,

Hin über Märkte und Gassen
Hallt es vom Völkerhaß und Streit,
Dröhnt es vom Kampfruf der Rassen...

Siehe, da bricht, ein Friedensheld,

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Leuchtend hervor die Sonne,

Und das thränende Antlitz der Welt
Lächelt in Maienwonne.

Und wie die Wunder der Lenzeslust
Zauberisch mich umspinnen,

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Regt sich tief innen in klopfender Brust

Heimliches Sehnen und Sinnen.

Ob auch in Traumesscenen noch
Ruht die erlösende Stunde,
Kommen, ja kommen wird sie doch,

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Klingt es im Herzensgrunde.


Heiliges Pfingsten der Zukunft du,
Kleinod den Enkeln beschieden,
Freudigen Glaubens jauchz’ ich dir zu,
Leuchtender Völkerfrieden!

 Edwin Bormann.




Alle Rechte vorbehalten.

Gebannt und erlöst.

Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Die gnädige Frau war nicht zu Hause,“ fuhr Arnold fort, „auch die Gesellschafterin nicht, nur die Kleine war im Garten.“

„Welche Kleine?“ fragte Paul.

„Die Schwester der Frau von Hertenstein, das kleine Fräulein Lily. Sie warf mit Schneebällen nach den Krähen auf den Bäumen und schließlich auch nach uns Beiden, sodaß wir ganz durchnäßt wurden. Nun, Kindern muß man das Vergnügen gönnen.“

„Sprich nicht in solchen Ausdrücken von der jungen Dame,“ sagte Paul sehr ungnädig. „Fräulein Vilmut ist sechszehn Jahr.“

„Wirklich? Ich hätte sie für weit jünger gehalten, und sie tollt ja auch noch umher wie ein Kind. Nun, hoffentlich wird sie noch etwas wachsen!“

Paul hatte sich noch nie so über die Naseweisheit seines alten Dieners geärgert, wie in diesem Augenblick, und die Behauptung, daß Lily noch wachsen müsse, brachte ihn nun vollends außer sich. Er fuhr auf und forderte so nachdrücklich Respect für die „junge Dame“, daß Arnold ihn ganz verwundert ansah.

„Sie sind ja ganz wüthend, Herr Paul,“ sagte er. „Freilich wird man nervös und aufgeregt in diesem Werdenfels, wo man keine Stunde seines Lebens sicher ist. Der ganze Lärm gilt zwar dem gnädigen Herrn Onkel, aber bei uns heißt es ‚mit gefangen – mit gehangen‘. Der Haushofmeister behauptet, die Rotte da unten wäre im Stande, uns das Haus über dem Kopfe anzuzünden, oder in hellen Haufen das Schloß zu stürmen. Wenn wir doch nur erst in unserem schönen ruhigen Buchdorf wären!“

„Mache Dir keine Illusionen,“ sagte Paul, der heute in einer sehr kriegerischen Stimmung war. „Wenn ich erst in Buchdorf regiere, ist es mit der Ruhe vorbei. Ich werde dem Herrn Pfarrer Vilmut die Spitze bieten, wir haben uns bereits gegenseitig die Fehde angekündigt.“

Der alte Diener schlug entsetzt die Hände zusammen.

„Um des Himmels willen! Müssen Sie denn dem gnädigen Onkel Alles nachmachen, sogar den Skandal, den er mit seinen Bauern hat?“

„Ich werde den meinigen schon die Köpfe zurechtsetzen,“ rief Paul kampflustig, „hoffentlich sind sie nicht ganz so hart, wie die der Werdenfelser; aber von Ruhe wird trotzdem keine Rede sein. Merke Dir das, Arnold, und jetzt geh und laß mich allein.“

Arnold war so erschrocken über die ihm eröffneten Aussichten, daß er diesmal ausnahmsweise gehorchte. Er seufzte tief auf und ging dann, um seinem Vertrauten, dem Haushofmeister, mitzutheilen, daß es nächstens in Buchdorf auch losgehen werde, ebenso wie in Werdenfels, und daß der junge Herr sich geradezu darauf freue. –

Die Nacht war schon ziemlich weit vorgerückt, das Schloß lag still und dunkel da, und selbst im Zimmer des Freiherrn war [302] das Licht längst erloschen. Paul, der sich sonst eines festen und ungestörten Schlafes erfreute, träumte diesmal viel und unruhig. Die Erregung des Tages drängte sich bis in seine Träume, und mitten in der Nacht wachte er auf, ohne sogleich wieder einschlafen zu können. Dabei fiel ihm plötzlich ein, daß Lily’s Brief offen in einem Fache seines Schreibtisches lag. Er pflegte diese Correspondenz sorgfältig vor den neugierigen Augen seines Arnold zu sichern, wenn dieser aber morgen früh das Wohnzimmer betrat, um aufzuräumen, mußte er jedenfalls den Brief entdecken. Das durfte natürlich nicht geschehen, der junge Mann erhob sich sofort und ging in das anstoßende Gemach. Er zündete kein Licht an, denn das Mondlicht, obgleich durch Wolken verschleiert, erhellte das Zimmer hinreichend, und er wußte ja genau, wo der Brief lag. Er fand ihn auch sofort, legte ihn in ein verschlossenes Fach zu der übrigen Correspondenz und war im Begriff, in sein Schlafzimmer zurückzukehren, trat aber vorher noch einen Augenblick an das Fenster, um nach dem Wetter zu sehen.

Die Nacht war stürmisch, wie gewöhnlich in dieser Jahreszeit, der Mond verschwand hinter den jagenden Wolken, und draußen im Parke herrschte ein ungewisses Halbdunkel, das nichts deutlich unterscheiden ließ. Auf einmal stutzte Paul, und seine Augen hefteten sich scharf auf einen Punkt. Es war ihm, als ob irgend etwas sich da draußen regte, als ob es leise und vorsichtig unter den Fenstern des Schlosses entlang schleiche, freilich nur eine Minute lang, dann verschwand jenes Etwas im Dunkel der Mauer, in der Richtung, wo die Zimmer des Freiherrn lagen.

Es konnte eine Täuschung gewesen sein, vielleicht der Schatten eines Baumes, den der Wind bewegt, und unter anderen Umständen würde Paul es schwerlich beachtet haben, aber die letzten Ereignisse in Werdenfels hatten ihn argwöhnisch gemacht, und in seinen Ohren klang noch die Bitte Anna’s: „Wachen Sie über ihn!“ Er beschloß, sich auf jeden Fall zu überzeugen, und unerschrocken, wie er war, fiel es ihm nicht ein, sich erst irgend eine Hülfe zu sichern. Er kleidete sich rasch an, nahm die Pistole, die geladen über seinem Bette hing, um für alle Fälle bereit zu sein, und verließ das Schloß, indem er eine kleine Seitentreppe und eine Ausgangsthür benutzte, die gewöhnlich für die Dienerschaft bestimmt und nur von innen verriegelt war.

Draußen war Alles still und ruhig, nichts regte sich in der Nähe des Schlosses, nur der Wind rauschte in den Bäumen des Parkes, und wahrscheinlich hatte ihr Schattenspiel auf dem Rasen die Täuschung veranlaßt. Paul war jetzt auch dieser Meinung, aber ehe er den Rückweg antrat, wollte er der Sicherheit wegen noch einmal die Wohnung seines Onkels recognosciren; langsam und leise schritt er an der Mauer entlang, deren tiefer Schatten ihn völlig barg, während der Wind seine Schritte verwehte.

Die Zimmer des Freiherrn lagen auf derselben Seite, nach dem Parke hinaus, und von seinem Schlafzimmer führte eine Glasthür auf eine Veranda, deren zierlicher Holzbau im Sommer über und über von blühenden Gesträuchen beschattet wurde. Es waren theils ausländische Schlingpflanzen, theils seltene Spalierrosen, die man hier angepflanzt hatte und die zum Schutz gegen die Winterkälte jetzt mit dichtgeflochtenen Strohmatten bedeckt waren. Auch das hölzerne Spalierwerk, das sich zwischen den Fenstern hinzog und bis in das erste Stockwerk hinauf reichte, war sammt den daran hängenden Ranken sorgfältig mit Stroh umwunden, und unter dem Balcon war trockenes Laubwerk aufgehäuft, um den Boden, der die Wurzeln barg, zu schützen.

Paul hatte sich der Veranda bis auf wenige Schritte genähert, als er plötzlich stehen blieb. Er sah wieder, und diesmal ganz deutlich, daß sich dort etwas regte, und jetzt erkannte er auch, daß es eine menschliche Gestalt war, die am Boden kauerte, wo sie sich irgend etwas zu schaffen machte. Mehr ließ sich bei dem ungewissen Mondlicht nicht unterscheiden. Der junge Mann glaubte natürlich, daß es sich wieder um ein Attentat auf die schönen Pflanzen handle, und war entschlossen, diesmal ohne Rücksicht auf den Wunsch des Freiherrn den Uebelthäter zu ergreifen, als ihm dessen Vorhaben in anderer, schrecklicherer Weise klar wurde.

Am Fuße der Veranda flammte ein Lichtschein auf, Paul sah deutlich eine Hand, die ein brennendes Schwefelholz hielt, er sah, wie es den Strohmatten genähert wurde, die sofort zu glühen begannen, und wie es dann in das trockene Laub geworfen wurde.

„Elender!“ rief der junge Mann hinzuspringend, indem er den Brandstifter, der ihm ahnungslos den Rücken zukehrte, bei den Schultern packte und zu Boden warf. „Also darauf war es abgesehen? Rühr’ Dich nicht!“ fuhr er drohend fort, als Jener eine krampfhafte Bewegung machte. „Bei dem ersten Versuche zur Flucht fliegt Dir meine Kugel nach, und ich weiß gut zu treffen!“

Er ließ den Hahn der Pistole knacken, um seiner Drohung mehr Nachdruck zu geben, aber das schien kaum nöthig zu sein. Der am Boden Liegende war offenbar so betäubt durch den unerwarteten Ueberfall, daß er gar keinen Versuch machte, sich zur Wehr zu setzen, er regte sich nicht mehr und ließ nur ein dumpfes Aechzen hören.

Jetzt wandte sich Paul um und riß mit kräftigem Griffe die Strohmatte herab, an der eben die helle Flamme aufzuschlagen begann. Er schleuderte sie weit hinaus in den Schnee, wo sie zischend erlosch, und stieß dann mit dem Fuße das Laubwerk aus einander, wo der Funke noch nicht gezündet zu haben schien.

Das Alles war das Werk weniger Minuten, dennoch mußte der Freiherr davon erwacht sein. In seinem Schlafzimmer wurde es plötzlich hell, die Glasthür öffnete sich, und gleich darauf fragte seine Stimme von der Veranda:

„Was giebt es da draußen?“

„Eine Niederträchtigkeit ohne Gleichen!“ antwortete Paul mit zornbebender Stimme. „Man hat das Schloß anzünden wollen, und wahrscheinlich war es in erster Linie auf Dich abgesehen. Aber ich habe den Mordbrenner, er soll uns nicht entgehen! Rufe die Dienerschaft herbei, Raimund, so lange werde ich schon allein mit dem Buben fertig.“

Werdenfels gab keine Antwort, aber er rief auch Niemand zu Hülfe, sondern kam die Treppe herunter, die von der Veranda in den Park führte, und stand in der nächsten Minute neben dem jungen Manne.

„Was ist geschehen? Wen hast Du da ergriffen?“

„Wahrscheinlich einen der Werdenfelser. Ich traf ihn gerade, als er dabei war, die Strohmatten anzuzünden. Wenn ich fünf Minuten später kam, so brannte die ganze Veranda lichterloh.“

„Steh’ auf!“ sagte Raimund kurz und befehlend zu dem am Boden Liegenden, dessen sich Paul bereits wieder versichert hatte. „Gieb Antwort, wer bist Du?“

Der Mann gehorchte, es wurde ihm augenscheinlich schwer, sich aufzurichten, er half sich mühsam an dem Holzwerke empor. Der Antwort wurde er überhoben; denn gerade in diesem Augenblicke trat der Mond klar hervor aus den Wolken und sein heller Schein beleuchtete das graue Haar und das braune, verwitterte Antlitz des alten Eckfried.

„Eckfried!“ rief Werdenfels zurückweichend, mit einem Tone des Entsetzens.

„Ja, der Eckfried ist’s,“ entgegnete dieser mit halberstickter Stimme. „Nun wißt Ihr es – und nun laßt mich gehen!“

„Unverschämter! Das heißt denn doch die Frechheit zu weit treiben!“ rief Paul. „Wir werden Dich zuvörderst dingfest machen, damit Du die verdiente Strafe –“

„Still, mache keinen Lärm!“ unterbrach ihn Raimund halblaut, aber in einem Tone, der keinen Widerspruch duldete. „Wir wollen die Sache vorläufig allein untersuchen. Bringe den Mann nach meinem Zimmer.“

„Aber ich bitte Dich, Raimund –“

„Ihr geht voran, Eckfried, die Treppe dort hinauf. Du folgst ihm, Paul, und sorgst dafür, daß er bleibt. Ich komme sogleich nach, ich will mich nur überzeugen, ob die Gefahr für das Schloß vollständig beseitigt ist.“

Paul hätte es weit zweckmäßiger gefunden, die Dienerschaft zusammenzurufen und sie zu Zeugen des beabsichtigten Verbrechens zu machen; da indessen bei dem Gebrechen des alten Bauers kein Fluchtversuch zu fürchten war, so fügte er sich dem Befehle seines Onkels.

Werdenfels blieb zurück und untersuchte rasch, aber sorgfältig die Veranda und deren Umgebung. Der Frevel war noch rechtzeitig verhindert worden, nirgends zeigte sich mehr ein Funke oder ein Brandgeruch, und die losgerissene Strohmatte lag mitten im Schnee, wo sie keinen Schaden anrichten konnte. Im Schlosse blieb Alles still und dunkel, Niemand schien die nächtliche Störung bemerkt zu haben, und das war auch kaum möglich, da die [303] Zimmer der Dienerschaft nach der andern Seite lagen. Nur der Hund im Schloßhofe schlug an, beruhigte sich aber bald wieder, als er keinen Laut weiter vernahm.

Jetzt kehrte auch Werdenfels wieder in das Schlafzimmer zurück. Der flackernde Schein der Kerze, die er beim Aufstehen angezündet hatte, beleuchtete die gebeugte Gestalt Eckfried’s, der mitten im Zimmer stand, während Paul neben ihm jede seiner Bewegungen bewachte.

„Das ist ein verstockter Sünder!“ sagte er zornig. „Nicht ein Wort, nicht eine Silbe ist ihm zu entreißen. Und bei aller Schändlichkeit hat er die Sache so ungeschickt wie nur möglich angefangen! Das von außen angelegte Feuer mußte bald bemerkt werden, und den Mauern konnte es auch nicht viel Schaden thun, höchstens brannte die Veranda nieder. Ich habe ihm das eben zu Gemüth geführt, aber er verharrt in seinem trotzigen Schweigen.“

„Mir wird er Rede stehen,“ erklärte Raimund kalt. „Laß uns allein, Paul!“

„Dich mit dem Mordbrenner? Auf keinen Fall.“

„Was befürchtest Du denn? Dem alten Mann werde ich im Nothfall doch gewachsen sein.“

„Gleichviel! Er kann ein Messer bei sich haben, er kann hinterrücks einen Angriff auf Dich versuchen. Diesem Menschen ist alles zuzutrauen, und ich habe versprochen, über Dich zu wachen.“

„Versprochen? Wem?“

„Anna von Hertenstein! Sie hat Deinen Schutz in meine Hände gelegt, und ich werde ihr Wort halten.“

In dem Gesichte des Freiherrn zeigte sich eine fliegende Röthe, aber er erwiderte keine Silbe auf die Eröffnung, dennoch sah man es, daß die Ruhe erzwungen war, mit der er antwortete:

„Sei unbesorgt, es ist keine Gefahr bei dieser Unterredung, aber sie verträgt keine Zeugen. Bleibe im Nebenzimmer, wenn es Dich beruhigt, ich habe nichts dagegen.“

„Der Mann haßt Dich,“ sagte Paul bedeutungsvoll. „Er haßt Dich mit einer so blinden Wuth, daß ich schon einmal glaubte, einen Wahnsinnigen vor mir zu sehen, als ich zufällig Deinen Namen aussprach.“

„Ich weiß es, eben deshalb muß ich ihn sprechen. Geh’, ich bitte Dich.“

Die Unterredung war mit gedämpfter Stimme geführt worden, sodaß Eckfried nichts davon vernahm. Paul gehorchte nur ungern und zögernd, er trat allerdings in das Nebenzimmer, aber er lehnte die Thür nur an, um bei dem geringsten verdächtigen Laut sofort herbeieilen zu können.

Jetzt wandte sich Werdenfels zu dem Bauer, der bisher regungslos und theilnahmlos dagestanden hatte, und fragte langsam, aber mit schwerem Nachdruck:

„Was wolltet Ihr thun, Eckfried?“

Der Angeredete hob den Kopf, es lag weder Furcht noch Reue in seinen Zügen, nur der Ausdruck eines verbissenen Trotzes, und derselbe Trotz klang auch aus seiner Stimme, als er antwortete:

„Das haben Sie ja gesehen! Leugnen kann ich’s nicht – und will’s auch nicht.“

„Das sieht Euch ähnlich! Mein Neffe hat Recht, wenn Ihr das Schloß anzünden wolltet, so seid Ihr ungeschickt zu Werke gegangen, aber der Brand wurde vor den Fenstern meines Schlafzimmers gelegt, das erklärt die Ungeschicklichkeit. Antwortet! Wem galt der Plan, mir oder dem Schlosse?“

„Euch Beiden!“

Es waren nur zwei Worte, aber es sprach ein grenzenloser Haß daraus, es klang wie das Zischen einer verwundeten Schlange.

Werdenfels schwieg, er richtete nur einen langen düsteren Blick auf den alten Mann, der jetzt mit einer Art wilder Genugthuung wiederholte:

„Ja, Euch Beiden! Das Schloß für unser Dorf und Sie für meinen armen Buben! So wär’ es recht gewesen und so wollt’ ich es. Jetzt zeigen Sie mich an bei den Gerichten, Sie können mich ja in das Zuchthaus bringen, ich denke aber, Sie lassen es bleiben, denn dann würde ich reden und ganz Werdenfels würde reden, und dann könnte es dem hochgeborenen Freiherrn auch einmal an den Kragen gehen.“

„Eckfried!“ fuhr der Freiherr auf, seine Hand ballte sich krampfhaft und hob sich wie zum Schlage, während er mit so furchtbar drohendem Ausdruck vor den Bauer hintrat, daß dieser zurückwich.

„Schlagen Sie nur zu!“ sagte er dumpf. „Thun Sie mir, wie ich Ihnen thun wollte – mir ist’s recht, wenn das Elend mit einem Mal ein Ende nimmt.“

Die Worte schienen Raimund zur Besinnung zu bringen, seine Hand sank nieder, er rang augenscheinlich schwer mit sich selber, aber es dauerte Minuten, ehe er die verlorene Selbstbeherrschung wiederfand.

„Weshalb seid Ihr im Elend geblieben?“ fragte er endlich. „Ich habe Euch schon damals vor Jahren die reichste Hülfe geboten, Ihr wolltet sie nicht annehmen.“

„Nein, und ich will sie auch jetzt nicht. Eher verhungere ich sammt meinem Enkelkinde.“

„Ihr wäret im Stande dazu! Damals habt Ihr mir mit dem Stutzen geantwortet, und Ihr hättet losgedrückt, wenn ich nicht gegangen wäre, um Euch einen Mord zu sparen. Heut war es nahe daran, daß der Mord wirklich vollführt wurde, an Euch lag es nicht, wenn der Plan mißglückte.“

„Nein,“ sagte der Alte mit herber Bitterkeit, „aber mißglücken mußte er, das hätt’ ich wissen können! Ich habe es den Anderen nicht glauben wollen, daß Sie ‚fest‘ sind, jetzt sehe ich’s mit eigenen Augen. Ihnen kann nichts beikommen, weder Kugel noch Feuer, Sie haben sich gesichert.“

Werdenfels zuckte verächtlich die Achseln.

„Wieder der alte, unsinnige Aberglaube! Wer hat es Euch denn eingeredet, daß ich ein Hexenmeister sei? Euer Pfarrer vielleicht?“

Eckfrieds Augen glühten seltsam und unheimlich, als er sie auf das Gesicht des Freiherrn heftete.

„Eingeredet hat uns das Niemand, aber wir wissen es ja, warum der Herr Pfarrer Ihnen Beichte und Absolution verweigert, wir haben es erlebt, was Sie uns von Ihrem Felseneck mit herunterbrachten. In Sturm und Unwetter sind Sie gekommen, wie Ihr Herr und Meister, dem Sie sich verschrieben haben, und von dem Tage an war das Unglück losgelassen in Werdenfels. Da kamen die Stürme und der Schnee, die Krankheiten und das Elend, und das wird kein Ende nehmen, so lange Sie unter uns sind, das wissen wir Alle. Was Sie mir auf den Hals schicken werden nach dieser Nacht, darnach frage ich nicht, ich habe nicht viel mehr zu verlieren im Leben. Aber den Anderen hab’ ich helfen wollen, und sie hätten es mir Alle gedankt, es hätte mich Keiner verrathen. Und unser Pfarrer – nun, der würde mich strafen vielleicht. aber die Absolution würde er mir nicht weigern. Er hat es ja selbst gesagt: All das Unheil kommt von dem Felsenecker!“

Die anfangs dumpfe und gebrochene Stimme des Alten steigerte sich allmählich bis zur wildesten Leidenschaftlichkeit, und die Gluth in seinen Augen wurde zur Flamme. Es war der wahnsinnige Fanatismus des Hasses und des Aberglaubens, der auf kein Wort der Vernunft mehr hört, der nur ein Ziel noch kennt, die Vernichtung des Feindes, und überzeugt ist, damit ein gutes Werk zu thun.

„Also soweit hat es Gregor Vilmut gebracht!“ sagte Raimund mit zuckenden Lippen. „Und mit diesem Menschen wollte ich Versöhnung suchen – es ist genug und übergenug!“

Er richtete sich zu seiner vollen Höhe empor, es lag ein fremder, eisiger Klang in seinen Worten, aber sie hatten nichtsdestoweniger den vollen Ton des Gebieters.

Hört mich an, Eckfried, und wiederholt Euren Genossen da unten im Dorfe Wort für Wort, was ich Euch jetzt sage. Ich bin der ewigen Quälereien müde! Ich kam von Felseneck, um Frieden mit Euch zu suchen. Ihr botet mir statt dessen den Krieg, und es war nicht einmal ein ehrlicher, offener Krieg. Was ich in Werdenfels erfahren habe, das ist nur eine einzige Kette von Beleidigungen gewesen, und jetzt scheint Euer Pfarrer mich für vogelfrei erklärt zu haben, es gilt Euch als eine verdienstliche That, mich aus dem Wege zu räumen. Jetzt aber ist auch meine Geduld zu Ende! Wenn von heute an noch ein Angriff erfolgt, sei es gegen mich, das Schloß oder die Gärten, so werden die Thäter unnachsichtlich ergriffen und der verdienten Strafe überliefert. Da meine Schonung Euch nur für Furcht und Schwäche [304] gilt, so sollt Ihr die Hand Eures Herrn kennen lernen. Hütet Euch, mich oder mein Eigenthum wieder anzurühren! Ich schone hinfort Keinen mehr – Keinen, und wenn es Euer Pfarrer selber wäre. Ihr zwingt mich, dem Namen Werdenfels wieder seinen alten Klang zu geben – nun denn, so sollt Ihr auch spüren, was das Regiment eines Werdenfels bedeutet, vielleicht kommt Euch mit der alten Furcht auch die verlorene Vernunft wieder zurück!“

Es lag ein furchtbarer Ernst in diesem drohenden Ausbruch des auf’s Aeußerste gebrachten Mannes, das mochte auch Eckfried fühlen, denn er blieb die Antwort schuldig. Seine Augen hingen starr an dem Gesichte des Freiherrn, als könne er das eben Gehörte nicht fassen und begreifen, aber man sah es, daß der gebieterische Ton ihm trotz alledem imponirte. Der Ausdruck des Hasses wich nicht aus seinen Zügen, aber es mischte sich eine unverkennbare Scheu mit demselben.

„Ganz wie sein Vater!“ murmelte er vor sich hin. „Jetzt gleicht er ihm – zum ersten Male!“

„Habt Ihr mich verstanden?“ fragte Werdenfels nach einer kurzen, drückenden Pause.

Der Alte raffte sich zusammen.

„Ja, ich hab’s verstanden, und ich werd’ es auch bestellen – verlassen Sie sich darauf.“

Er wandte sich zum Gehen, aber die Aufregung und vielleicht auch der Schlag, den der alte Mann beim Niederwerfen erhalten hatte, machten jetzt ihre Wirkung geltend. Er schwanke und hielt sich krampfhaft an der Lehne eines Stuhles fest, um nicht niederzustürzen. In dem flackernden Lichtschein erschienen seine tiefdurchfurchten Züge so gramvoll, so finster und hoffnungslos, daß Werdenfels unwillkürlich seinen Ton milderte.

„Ich werde Euch den Gerichten nicht anzeigen und auch meinen Neffen veranlassen, über den Vorfall der heutigen Nacht zu schweigen. Wenn man die Spuren der Brandstiftung finden sollte, so wird Niemand den Thäter kennen, damit ist aber auch getilgt, was noch von alten Zeiten her zwischen uns lag. Ihr geht frei aus, und ich dächte, Eurem Haß und Eurer Rache wäre genug geschehen. Jetzt sind wir Beide quitt mit einander!“

„Meinen Sie?“ rief der Alte mit einem lauten, höhnischen Auflachen. „Nun, wenn Sie mit mir quitt sind, ich bin es noch nicht mit Ihnen, Freiherr von Werdenfels. Geben Sie mir meinen Buben wieder, meinen Einzigen! Sie wissen es ja, daß er mit zerschmettertem Kopfe unter den brennenden Balken hervorgezogen wurde. Wenn Sie mir meinen Toni wieder heil und gesund in die Arme legen können, dann sind wir quitt, eher nicht – das habe ich mir und Ihnen zugeschworen!“

Und als hätte der Haß ihm neue Kräfte gegeben, raffte er sich empor, wankte aus dem Zimmer und verschwand draußen auf der Veranda.

Kaum eine Minute später öffnete sich die Thür des Nebengemaches, und Paul trat ein.

„Du läßt ihn wirklich gehen, Raimund?“ fragte er vorwurfsvoll. „Welche unzeitige Großmuth!“

Raimund folgte dem sich Entfernenden mit den Augen. Es war wieder jener dunkle, räthselvolle Blick, mit dem er damals in Felseneck in die Flammengluth des Kamins starrte. Bei der Anrede fuhr er wie aus einem Traume auf und strich mit der Hand über die Stirn.

„Laß das, Paul,“ sagte er. „Der Mann hat ein Recht auf meine Schonung, aber auch nur der allein. Du hast unsere Unterredung ja wohl theilweise mit angehört? Ich gebe Dir mein Wort darauf, ich werde diesen Menschen, denen ich für vogelfrei gelte, die Antwort nicht länger schuldig bleiben. Sie haben meinen Vater gehaßt, wie mich, und doch beugten sie sich vor ihm in sclavischer Furcht. Ich habe es lange genug mit der Güte versucht – jetzt werde ich ihnen zeigen, daß ich auch ein Werdenfels bin!“

Paul stimmte bei, aber auch ihm drängte sich jetzt dieselbe Beobachtung auf, wie vorhin dem alten Eckfried. So wenig Aehnlichkeit Raimund auch mit seinem Vater haben mochte, in diesem Augenblicke glich er dem Bilde, das drüben im Salon hing. Es war derselbe Zug von Härte, von rücksichtsloser Energie, der sich zum ersten Mal auch in dem Antlitz des Sohnes ausprägte – der alte Familienzug des Geschlechtes der Werdenfels.

(Fortsetzung folgt.)




Allerlei Hochzeitsgebräuche.

Nr. 3.0 Rumänische Hochzeit.

Es scheint das Bestreben unserer Zeit zu sein, all die nationalen Eigenthümlichkeiten, welche sich in der Tracht oder in besonderen Gebräuchen zu erkennen geben, so eilig und so gründlich wie möglich zu verwischen. Dem Cultus unserer faden, langweiligen Mode, welche in Paris ihre Tempel hat, bringt sie die reizendsten, kleidsamsten Trachten ebenso kaltblütig zum Opfer, wie sie dem gedankenlosen Ceremoniell und der Etiquette zuliebe die allerschönsten und originellsten Sitten und Gewohnheiten vernichtet. Bis in die stillen Thäler der Alpen und der Pyrenäen, bis in die Steppen Polens und Ungarns, bis in die entfernteste Bauernhütte und den verborgensten Weiler Norwegens und der Walachei dringen sie vor, diese falschen Propheten des Geschmackes, und wo sie erscheinen, da wirft die Dirne den Halsschmuck und das Mieder weg, der Bursche zieht die Sporenstiefel aus oder hängt das bunte, gestickte Wamms an den Nagel: jetzt, wo ihnen das Evangelium der Spitzenkrause und des Kleides à la princesse, des schwarzen Rockes und der Gummistiefel gepredigt worden, da schämen sie sich ihres alten Glaubens, den sie von den Ureltern ererbt haben, und eilen, ihn abzuschwören.

Die rumänischen Städte sind, was Mode, Ceremoniell und Etiquette betrifft, französischer als Paris. Es herrscht da eine fieberhafte Hast, den französischen Idealen in den äußeren Formen des gesellschaftlichen Lebens so nahe als möglich zu kommen, weil französischer Firniß von jeher das geeignetste Mittel ist, den Mangel an wahrer Bildung und wahrer Cultur zu übertünchen. Die alten schönen nationalen Gebräuche bei Verlobungen und Hochzeiten sind der modernen Gesellschaft viel zu massiv, zu barbarisch; sie haben sich also auf das Land zu den Bauern geflüchtet, kaum daß wir ihnen noch dann und wann einmal in einer Mahala, in einer Vorstadt begegnen.

Zur rumänischen Nationaltracht eines jungen Mädchens gehört unerläßlich die salba, ein Halsschmuck aus Henkelducaten, aus türkischen Goldmünzen oder aus Perlen. Der Bursche nun, welcher liebt, wagt es, seinen Arm so um den Hals der Geliebten zu schlingen, daß er dabei die salba ergreift; läßt sie es geschehen, ohne daß sie mit schnellem Gegengriff die Schleife löst und so der Schmuck zur Erde fällt, so darf er ihrer Zuneigung sicher sein. Dann bekränzt er ihr Haupt mit Blumen oder Bändern, und wenn er nicht zu schüchtern, zu befangen ist, so kniet er vor seiner Veneri, seiner Venus, nieder und betheuert ihr seine Liebe in den unendlich zarten Schmeichelworten, an denen die rumänische Sprache ebenso reich ist, wie an den schauderhaftesten Flüchen und Schimpfreden.

Anders verfährt der Bursche, dem es an selbstbewußter Zuversicht und an Muth gebricht, mit seinem Liebesleid vor das Mädchen hinzutreten. Er miethet sich einen cimpoeru (tschimpojehr), einen Dudelsackpfeifer, und dieser kramt aus dem Arsenal seiner Liebeslieder diejenigen hervor, welche dem Verliebten als die wirksamsten erscheinen, das Herz der Angebeteten zu gewinnen. Und mit diesen Liedern zieht dann der gemiethete Troubadour vor das Haus des Mädchens; umständlich genug und mit viel Behagen bläst er da, umringt von der neugierigen Dorfbewohnerschaft, seinen Dudelsack auf, und in dem lamentablen Tone, der den rumänischen Liebesliedern eigenthümlich ist, singt er dann von dem Liebesschmerz des armen Burschen, wobei er als gewandter Improvisator nicht vergißt, den vollständigen Vor- und Zunamen und die Familienverhältnisse desselben einzuflechten. Man muß ihn sehen, den cimpoeru, wie er im Vollbewußtsein seiner wichtigen Sendung erst dem Dudelsack ein geeignetes Vorspiel entlockt, um dann mit den lebhaftesten Gesten und im rührendsten Tremolo um Erhörung zu flehen.

[305]

Rumänische Hochzeitsfahrt.
Nach einer Skizze auf Holz gezeichnet von W. Heine.

[306] Nimmt das Mädchen die vorläufige Bewerbung durch den Dudelsackpfeifer günstig auf, so darf der Bursche doch noch nicht selber kommen. Er muß nun Brautwerber schicken, welche der cimpoeru in das Haus der Begehrten führt. Im Sonntagsschmuck, ein Sträußchen am Hute, ein Sträußchen am Wamms und ein Sträußchen in der Hand, so treten sie vor die versammelte Familie hin, und der sprachgewandte, sangeskundige Pfeifer beginnt salbungsvoll:

„Hier, in dem Lande unserer Vorfahren, sind wir auf die Jagd gegangen. Im Walde, am See und auf der Haide sind wir dem Wilde nachgezogen, indem wir uns vom Honig der Bienen, von der Milch der Schafe und von den Eiern der Vögel nährten. Da trafen wir endlich, nachdem wir nur häßliche Schildkröten gefunden, auf ein edles, schlankes Reh; aber es ist entflohen, und als wir seiner Fährte folgten, so gelangten wir hierher. Und hier muß sich unsere Beute verborgen halten; sagt an, habt ihr es nicht gesehen, das schlanke Reh?“

Nach dieser Anrede wird der Dudelsack so lange bearbeitet, bis sich das Mädchen entfernt hat und in eine Kammer eingeschlossen worden ist. Dann antwortet der Vater oder die Mutter:

„Ihr seid auf falscher Fährte, edle Jäger. Ein solches Wild birgt unsere Hütte nicht; doch sehet selbst!“

Dabei wird die Großmutter vorgeführt.

„Sucht Ihr diese?“ fragt der Vater.

Ein energisches, stummes Kopfschütteln der Brautwerber verwahrt sich gegen diese Beute.

„Oder diese?“ fährt das Familienhaupt fort, indem die Mutter des Mädchens hervortritt.

„Das ist es nicht, das schlanke Reh,“ antwortet der Pfeifer.

„So kann es nur noch diese sein“ – und eine häßliche, schmutzige Magd wird mit der ernsthaftesten Miene vorgestellt.

„O nein, o nein,“ entgegnen die Burschen abwehrend und sichtlich entrüstet. „Unser Wild hat Haare, gelb wie Gold, hat Augen wie ein Falke, hat Perlenzähne in dem kirschrothen Mündchen, hat den Körper einer Löwin, die Brust einer Gans, den Hals eines Schwanes und Finger, zarter als Wachs; sein Antlitz aber ist leuchtender als Sonne und Mond. So gebt es denn heraus, denn es hat sich hier verborgen.“

Was thun? Der Dudelsack mahnt stürmisch zur Auslieferung, und so tritt sie denn hervor, züchtig und verschämt. Sie wird dem abwesenden Liebhaber feierlich zugesprochen, dann kehrt sie sogleich in die Kammer zurück, welche sie bis zum Hochzeitstage nicht mehr verläßt.

An diesem Tage hat der Bräutigam seine Ankunft im Hause der Braut durch Hochzeitsboten, colaceri, anzumelden. Die Verwandten des Mädchens stellen sich aber auf dem Wege auf, ergreifen die colaceri, und führen sie als Gefangene in das Haus.

„Was habt Ihr hier vor unserer Hütte zu suchen, Ihr fremden Eindringlinge?“ fragt der Vater der Braut.

„Wir kommen, Euch den Krieg zu erklären,“ ist die Antwort. „Wir werden nicht ruhen noch rasten im Kampfe, bis wir die Festung im Sturme erobert haben.“

Unterdessen ist auch der Bräutigam, hoch zu Roß und begleitet von der Cavalcade seiner Freunde, eingetroffen, und sogleich beginnt der Kampf. Die Verwandten der Braut auf der einen, die Begleiter des Bräutigams auf der andern Seite – sie schwingen sich auf die bereitgehaltenen, kleinen, munteren Klepper und ordnen sich zum Streite, das heißt zum Wettrennen; Frauen und Mädchen zeigen sich da als ebenso gewandte Reiterinnen, wie die Burschen. Am Ziele steht die Braut mit den zwei Ehrenpreisen; der beste Reiter erhält auf den Hut ein langes, dreifarbiges Band, die schnellste Reiterin wird mit der mahrama geschmückt, jenem kleidsamen, golddurchwirkten und seidegestickten Schleier, wie er zur Nationaltracht gehört.

Jetzt erst, nach beendetem Wettkampfe, in welchem nach stillschweigendem Einverständnis gewöhnlich der Bräutigam als Sieger hervorgeht, erfolgt der Kirchgang zur Trauung. Vor dem Altare ist ein Teppich ausgebreitet, und unter diesen Teppich werden Geldstücke so ausgestreut, daß die Brautleute während der kirchlichen Feier dieses Geld mit Füßen treten. Es soll damit angedeutet werden, daß die Neuvermählten ihr Glück nicht im Gelde, nicht im Reichthum suchen sollen und wollen, sondern nur im stillen Frieden des Hauses; nur das Flittergold, welches der Braut (auch in den Städten noch) in die Zöpfe geflochten wird, soll symbolisch auch das materielle Wohlbefinden in der Ehe andeuten.

Zum Schluß der kirchlichen Ceremonie setzt der Pope einen Kranz, die cununa, dem jungen Ehepaar auf die Häupter, während einer der Hochzeitsgäste Haselnüsse ausstreut; diese gelten als Symbol des kindischen Spieles, und wie bei den alten Römern die Braut am Hausaltare den Penaten ihr Spielzeug opferte, wenn sie dem Hymen ihr Gelübde bringen wollte, so vernichtet sie heute bei den Daco-Romanen symbolisch ihr Spielzeug, indem sie die Haselnüsse zertritt.

Im Hause ihrer Eltern ist unterdessen die Hochzeitstafel angerichtet. Das junge Brautpaar nimmt die Ehrensitze ein, die Verwandten und Gäste ihnen zur Seite. Der cimpoeru darf hier selbstverständlich auch nicht fehlen; er hat sogar ein halbes Dutzend Zigeunerlautare (die lautari sind die nationalen Musikanten) mitgebracht, und Laute, Dudelsack, Geige und Hirtenflöte überbieten sich in den verworrensten Phantasien. Jede Lautarbande hat ihren Sänger, der sich selbst mit der Laute, mit der Guitarre begleitet. In theatralischer Position, die dunklen Gluthaugen unverwandt auf die Neuvermählten geheftet, singt er seine Liebeslieder, welche in ihrer urwüchsigen Naivetät und Derbheit allerdings nicht hoffähig sind; dazwischen brummt der Dudelsack, jauchzt die Fiedel, klagt die Flöte.

Ist die Tafel aufgehoben, so geht es zum Tanze, vorher aber erfolgt die Vertheilung der Hochzeitsgeschenke. Es ist in der That eine Vertheilung, denn nicht nur die Brautleute nehmen die Angebinde der Gäste in Empfang, sondern jeder Theilnehmer am Hochzeitsfeste erhält von Braut und Bräutigam ein Geschenk zur Erinnerung an den Freudentag.

Ein geeigneter Raum im Hofe ist zum Tanzplatze hergerichtet worden, und es ordnet sich der Zug – die Lautare an der Spitze – zum Aufbruch dahin. Vor der Thür aber, welche aus dem Gastzimmer führt, steht ein riesiger Topf, gefüllt mit Wasser; daneben liegt ein Stück Brod mit Honig bestrichen. Mit einem kräftigen Tritte wirft die Braut das Gefäß um, sodaß sich sein Inhalt weithin ergießt: so viele Tropfen den Boden befeuchten, so viele Jahre soll die glückliche Ehe währen, so viele Kinder und Kindeskinder sollen sie segnen. Und das honigbestrichene Brod? Der Kampf um des Leibes Nahrung und Nothdurft ist schwer; darum soll Mann und Weib treu und fleißig zusammen schaffen und arbeiten, und wie jetzt Braut und Bräutigam das Honigbrod mit einander theilen, so wollen sie auch künftighin immer in Freud’ und Leid, in Arbeit und Genuß zusammenhalten.

Der Tanz währt bis zum Abend, es ist der Chorus der alten Römer, die Hora. Die Arme gegenseitig über die Schultern geschlungen, bilden Tänzer und Tänzerinnen einen großen Kreis, und nach einer eigenthümlich eintönigen, dabei aber leidenschaftlich wilden Melodie bewegt sich dieser Kreis rhythmisch bald nach rechts, bald nach links, während der Vortänzer, wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf, in gewissen Zwischenräumen die Strophen eines Liebesliedes declamirt, dessen Refrain unter kräftigem Fußstampfen von Allen nachgesprochen wird.

Ermüdet und erschöpft kehrt endlich die Gesellschaft in das Haus zurück, und noch einmal, wie bei der Verlobung, wird die Braut in eine Kammer eingeschlossen. Der junge Mann verlangt seine Frau. Da stellen sich die Verwandten derselben, mit Beilen und Säbeln bewaffnet, vor der Kammerthür auf; er muß sich die Angetraute mit einem Geschenke an diese waffenstarrende Garde erkaufen. Vor dem Thore steht der Wagen bereit, welcher die junge Frau in das Haus ihres Gatten führen soll. Die Sestra, die Mitgift, ist bereits aufgeladen; jetzt wird sie in das Gefährte gehoben, in welchem Mutter und Schwiegermutter neben ihr Platz nehmen.

Der Bräutigam und seine Freunde schwingen sich auf ihre Pferde und begleiten den vom Ochsengespann oder von munteren Rossen gezogenen Brautwagen. (Vergl. Abbildung S. 305.) Peitschen knallen, Pistolenschüsse krachen, Hurrahrufe und Jauchzer beleben die wilde, fröhliche Fahrt bis an die Schwelle des Hauses. Und selbst hier wird dem jungen Eheherrn sein Weib noch einmal streitig gemacht; noch einmal stellen sich ihre Verwandten vor der Kammerthür auf, hinter welche sie sich geflüchtet hat. Er muß sie [307] sich erobern, wie einst die Römer sich die Sabinerinnen eroberten; gewaltsam dringt er in die Kammer ein, hebt sie hoch auf seinen Arm, und ohne daß ihr Fuß die Schwelle berühren darf, trägt er sie heraus, und jetzt erst gehört sie ihm.

Die rumänische Bauernsitte verlangt, daß ein Mädchen unter allen Umständen so lange ihr Haupt nicht mit einem Schleier oder einem Kopftuche bedecken darf, so lange sie nicht verlobt ist. Im Sommer geht die Bauerndirne barhäuptig, im Winter trägt sie einen runden Filzhut, wie ihn die Männer tragen; verheirathete Frauen dagegen sind sogleich am Schleier oder an dem Tuche zu erkennen, welches ausnahmslos und bedingungslos als das privilegirte Abzeichen des Ehestandes gilt.

Allerdings giebt es bei diesen Hochzeiten auch noch Gebräuche, deren Verschwinden keinesfalls bedauerlich, ja sogar wünschenswerth ist; aber wenn die Alles verflachende Zeit an dem Sinnigen und Zarten rüttelt; wenn sie dem starren nichtssagenden Ceremoniell und der faden, abgeschmackten Mode die allerliebsten Eigenheiten des Volkslebens zum Opfer bringt – da möchten wir dieser unerbittlichen Vernichterin gern ein gebietendes Halt! zurufen.
J. Kraner.     




Der chaldäische Zauberer.

Ein Abenteuer aus dem Rom des Kaisers Diocletian.
Von Ernst Eckstein.
(Schluß.)

„Einfach genug erklärt sich diese räthselhafte Schrift,“ entgegnete Olbasanus. „Aus Milch, Salzwasser und einem dritten Stoffe, dessen Zusammensetzung ich mühsam erfunden habe, bereite ich eine farblose Tusche, die sich schwärzt, sobald sie erwärmt wird. Das Blatt aus dem Buche des Gottes Amun war natürlich vorher beschrieben; die Hitze der Herdplatten erzeugte das Wunder, das die arme Thörin so in Verzweiflung brachte.“

„In der That verwünscht einfach!“ sagte Bononius beschämt. „Nenne mir jenen dritten Stoff!“

„Wie kann ich nennen, was keinen Namen hat? Mir allein ist diese Masse bekannt; ihre Bereitung aber aus einander zu setzen …“

„Du hast Recht. Es erübrigt uns noch Gewichtigeres. Zunächst das Eine: wie konntest Du wissen, daß der Jüngling, der mich begleitete und den ich nur durch Zufall getroffen hatte, Lucius Rutilius war? Er schwört mir, daß er Dir niemals begegnet sei. Kanntest Du ihn?“

„Nein. Aber all’ die Tage her war ich auf seinen Besuch gefaßt. Uebrigens, Agathon kannte ihn, und Agathon war Euch beim Heraustreten aus meiner Pforte begegnet. Während mein Diener Euch auf Umwegen in die Halle der Beschwörungen führte, kehrte Agathon eilends zurück und setzte mich von der bevorstehenden Ankunft des Rutilius in Kenntniß.“

„Der Diener konnte doch unmöglich voraussetzen, daß die Verzögerung unserer Ankunft in Deinem Interesse läge. Weshalb also wählte er diesen Umweg?“

„Das ist die Regel. Alle Fremdlinge wandern durch diese Gänge; nur wer mit Aufträgen kommt, wie Agathon, wird je nach Befund ohne Weiteres in meine Gemächer geführt.“

„Ich verstehe,“ sagte Bononius. „Wie aber – wäre uns Agathon nicht begegnet?“

„So hätt’ es mich freilich größere Mühe gekostet, die Persönlichkeit Deines Begleiters festzustellen – und andere Wunder hätt’ ich in Scene gesetzt.“

„Wie geschah es, daß die Leuchter sich rings entzündeten, als Du den Stab erhobst?“

„Ihre Säulen sind hohl. Mit kleinem Dochte brannten die Lampen bereits im Innern der Schäfte. Ein dichtes Drahtgeflecht hemmt den Lichtschein, den sie sonst auf die Decke würfen. Wenn ich den Stab erhebe, dreht mein Gehülfe hinter den Vorhängen ein eisernes Rad. Dieses Rad bewegt eine Vorrichtung, welche vom Boden her die Lampen emporschiebt, das verhüllende Gitter öffnet und die Dochte herauszieht.“

„Weiter!“ forschte Bononius. „Die metallenen Klänge, die Dein Stab der Platte des Altars entlockte –?“

„Rühren von einem kupfernen Becken her, das im Innern des Altars verborgen ist. Ein Knabe sitzt mit eisernem Stäbchen davor.“

„Dergleichen hab’ ich vermuthet. Jetzt aber: das plötzliche Zusammenbrechen des Opferthiers! Hat auch hier jener verborgene Knabe die Hand im Spiele?“

„Auch hier!“ versetzte der Zauberer. „An der Seitenwand des Altars befindet sich eine kleine verschiebbare Platte. Dieselbe ist mit einer dünnen Schicht gewöhnlichen Salzes bedeckt. Sobald das Thier mit dem Kopfe in die Nähe dieser Platte geräth, beginnt es, der Neigung seiner Natur entsprechend, an dieser Platte zu lecken. Geb’ ich das Zeichen, so schiebt der Knabe mit einem plötzlichen Rucke die Platte nach seitwärts, wo sich zwischen dem Marmor ein ihrer Größe entsprechender Raum befindet. Es kommt nunmehr an der Stelle, die eben noch von der salzüberschichteten Platte gedeckt war, eine zweite Platte zum Vorscheine, deren Oberfläche gleichfalls mit Salz, dazu aber mit einem augenblicklich wirkenden Gift überkleidet ist. Die Folgen habt Ihr gesehen.“

„Wie aber,“ fiel der Centurio ein, „wenn das Lamm Dir nicht den Gefallen thut? Wenn es müde oder gesättigt ist oder sonst sich störrisch erweist?“

„Dafür ist Sorge getragen. Das Thier muß seinen Lieblingsgenuß seit lange entbehrt haben. Schlimmsten Falles hatte ich ja Nichts in Aussicht gestellt. Wenn die Sache mir fehlschlug, so blieb sie Geheimniß; das Thier aber ließ sich tödten, wie jeder Priester sein Opfer schlachtet.“

„Du entnahmst nun dem Opferthiere das Herz und die Leber,“ fuhr Bononius fort. „Ich habe Dich auf’s Genaueste beobachtet. So lange Du die Eingeweide mit der Linken umspannt hieltest, trug die Rechte den Stab; also kann die Schrift, die dem guten Rutilius so die Fassung benahm, diesem Stab nicht entflossen sein. Noch weniger konnte das Thier die schon beschriebene Leber in der Brusthöhle tragen. Wie geschah das Unglaubliche?“

„Nicht mit der rechten Hand, die den Stab trug,“ lächelte Olbasanus; „mit der Linken vielmehr, in der ich die Leber hielt.“

„Unmöglich!“

„Versteh’ mich recht! In der Fläche der Linken stand das Wort ΘΑΝΑΤΟΣ mit eigens dazu hergerichteter Schwärze verkehrt geschrieben, ehe Ihr noch die Halle betratet. Die feuchte Leber sog diese Schwärze begierig ein, und als ich sie auf die Platte legte, war das Wunder vollendet.“

Es entstand eine lange Pause. Die lächerliche Einfachheit auch dieses scheinbar so unergründlichen Wunders und die kraftbewußte Dreistigkeit, mit der es der Chaldäer in Scene gesetzt, wirkten verblüffend. Selbst Lydia schämte sich jetzt, daß sie eine Zeit lang das entsetzte Grauen der armen Hero getheilt und nur mit Zittern und Zagen ihre Zustimmung zu dem Plane gegeben, der den Zauberer entlarven sollte.

„Fürwahr ein Meisterstück!“ sagte Bononius, beinahe ingrimmig. „Nun soll mich’s nicht überraschen, wenn ich erfahre, Dein sprechender Todtenschädel sei ein Gebilde aus Nebel oder aus Rauch gewesen! Allerdings: einfach sind die Dinge erst dann, wenn sie durchschaut sind. Verbleiben wir jedoch in der zeitlichen Reihenfolge! Nach den Donnerschlägen und Lichterscheinungen frage ich nicht; dergleichen hört und sieht man, wenn auch unvollkommener, selbst bei den Aufführungen läppischer Pantomimen. Wie aber erklärst Du uns die gespenstische Bewegung, die in dem Kohlenbecken entstand? Dies Phänomen war staunenerregend.“

„Auf dem Grunde des Beckens lag eine Schicht von Alaun, die durch die Hitze in’s Schmelzen und Brodeln gerieth und ihre Bewegung den Kohlen mittheilte.“

„Nun also zum Todtenschädel. Sein Sprechen war täuschend – so deutlich, wie ich jetzt Deine eigene Stimme vernehme.“

[308] „Es war die Stimme eines Gehülfen. Vom Boden aus mündete ein Rohr in der Kopfhöhle. Der Gehülfe sprach unten hinein, und so schienen die Worte direct aus dem Schädel hervorzuquellen.“

„Und sein Verschwinden?“

„War ein Zerschmelzen. Der Schädel war aus Wachs modellirt, und die Platten der Nische wurden von unten erhitzt.“

„Aber man sah doch nicht …“

„Ihr saht überhaupt nicht deutlich,“ fiel Olbasanus ihm in die Rede. „Ein Vorhang aus dünnem coïschem Gewebe schloß die Nische ab, ohne daß Ihr’s gewahrtet. Die Täuschung ward auf diese Weise erleichtert. Aehnlich wirkte nachher draußen im Park das vielverschlungene Netzwerk der Baumzweige, hinter denen die flammensprühende Hekate über den Himmel fuhr.“

„Erkläre uns auch diese flammensprühende Hekate!“

Der Chaldäer lachte hell auf. Dann sprach er mit eigenthümlicher Selbstironie:

„Verzeiht mir; aber es ist ein sonderbares Verhängniß, daß mein gewaltigstes Meisterstück mich immer zum Lachen reizt. Hunderte von Gläubigen hab’ ich auf dem Rundplatze meines Parks am Boden geschaut, wie sie verhüllten Hauptes stöhnten und ächzten, wenn das grausige Phänomen am nächtlichen Himmel aufstieg. Und dennoch – oder vielleicht gerade deshalb … der Contrast ist zu schneidig. Diese Hekate, die scheinbar mit rasender Schnelligkeit am Firmament einherzieht, ist nichts Anderes, als ein bedauernswürdiger Hühnergeier, mit brennendem Werg umwickelt. Einer meiner Gehülfen läßt das unglückselige Thier, das durch enganschließende Lederkappen am Schreien gehindert wird, aus einem gewaltigen, zwanzig Ellen langen Rohre entweichen. Der geängstigte Vogel behält so die Richtung bei, die er eingeschlagen. Ehe das Werg erlischt, hat der Geier bereits die Stelle erreicht, wo er aufhört, sichtbar zu sein. Durch die Aeste der zahlreichen Bäume getäuscht, versetzen die ehrfurchtsvollen Beschauer das Flammengebilde weit hinaus in den Luftraum und schreiben ihm so eine gigantische Größe und überraschende Schnelligkeit zu – ähnlich wie der Blick, wenn er in Gedanken dahinstarrt, eine Fliege, die nahe am Auge vorüberschwirrt, für den unklar gesehenen Schatten eines mächtigen Vogels hält. Das, o Bononius, ist Hekate, die Herrscherin über uns Alle, die Fürstin der Nacht, die grausenhafte Tyrannin der Unterwelt.“

„Genug,“ sagte Cajus Bononius. „Ich sehe es jetzt, uns Allen wohnt ein Hauch jenes gewaltigen Dämons inne, der Dein mächtigster Verbündeter ist: Aberglaube geheißen und menschliche Dummheit. Auch ich bekenne mich schuldig, unter dem Eindrucke dessen, was Du uns vorgegaukelt, für Augenblicke irre geworden zu sein an dem, was ich in langen Jahren angestrengter Arbeit errungen habe. Ich bin ein Mensch, darf ich hier mit dem Dichter sprechen; nichts Menschliches acht’ ich mir fremd, auch nicht die menschlichen Schwächen und Irrthümer. Du aber, Olbasanus, fürchte dereinst die erwachenden Qualen Deines Gewissens! Vermöge Deines unverkennbaren Scharfsinns berufen, ein Führer dieser irrenden Menschheit zu werden, die Nacht ihrer Irrthümer zu erhellen und ihr die Wahrheit zu bringen, verschmähst Du es nicht, aus ihren Schwächen Vortheil zu ziehen, jenem elenden Räuber vergleichbar, der einen Kranken und Wehrlosen plündert. Verlaß uns jetzt – sonst ergreift mich der Ekel, und ich vergesse, was ich Dir zugelobt. Andere Gefühle sollen jetzt meine Seele beherrschen – vor Allem die Freude über die glückverheißende Wendung im Schicksal Deiner betrogenen Opfer.“

„Ich gehe,“ sprach Olbasanus. „Bequem ist’s und wohlfeil, mich des Frevels zu zeihen. Eins aber frage Dich, o Cajus Bononius: wie viele von der ungezählten Schaar, die mir folgt auf dem Wege der Täuschung, würden meine Begleiter werden, wenn ich’s versuchte, sie mit Ernst und Eifer in’s Reich der Wahrheit zu führen? Einer von Tausenden! Der Trug ist farbenglühend und prächtig; seine schwülen Lüfte berauschen; auf den Höhen der Wahrheit weht es schneidig und kalt, und die Menschheit ist ein armes, frierendes Bettelkind.“

Cajus Bononius drehte ihm ohne Weiteres den Rücken. Stolzen Hauptes verließ Olbasanus die Exedra.

*               *
*

Sechs Wochen später, in den ersten Tagen des Monats December, prangte das Haus des Heliodorus in leuchtendem Festschmuck. Laub- und Blumengewinde rankten sich an den korinthischen Säulen empor; unzählige Lampen schmückten die weiten Räume des Atriums und des Peristyls. Eine auserlesene Gesellschaft in glänzender Modetracht, Damen in farbig geblümter Palla, blitzende Diademe und Goldnadeln im Gelock, Senatoren in purpurstreifigem Festgewand und halbmondverzierten Schuhen, reiche Kaufherren in tyrischer Synthesis und lorbeergeschmückte Dichter drängten sich durch die schimmernden Colonnaden. Heliodorus feierte die Vermählung seiner Tochter Hero mit Lucius Rutilius. Der wackere Bononius aber, der die Reise nach dem fernen Massilia nicht gescheut hatte, um den Freund zurück zu holen nach der Stätte des neuerblühenden Glückes, ward – ein unbegreifliches Räthsel – von der Braut schier mit größerer Aufmerksamkeit behandelt als der Bräutigam, und Lucius Rutilius, weit entfernt, über diese scheinbare Vernachlässigung in Eifersucht zu entbrennen, mühte sich gleichfalls, dem jungen Weltweisen bei jedem Anlasse die herzlichste Sympathie zu bekunden. Cajus Bononius war augenscheinlich zerstreut. Sein Herz theilte sich seit geraumer Zeit schon zwischen der Befriedigung über den glücklich gelösten Bann, der auf Hero und Rutilius gelastet, und einer anderen Empfindung, die während der wenigen Tage seines Verkehrs mit Lydia herangereift war. Wie es kam, das wußte wohl Eros, der einzige Zauberer, an dessen Allmacht zu glauben der skeptische Bononius sich fürder gezwungen sah. Kurz, der junge Mann begehrte nichts Besseres, als in Lydia’s dunkeltiefe Augen zu schauen, ihre Stimme zu hören oder beim Wandeln durch die Säulengänge des Peristyls ihre langhin fluthende Stola zu streifen. Das war im Hinblick auf seine Vergangenheit höchst unphilosophisch – aber die Thatsache ließ sich nicht ändern.

Der Hochzeitstag des Rutilius gab ihm sattsam Gelegenheit, seine Sehnsucht in dieser Hinsicht zu stillen. Auch Lydia, die zuerst nur eine stille Bewundrerin seiner echt freundschaftlichen Gesinnungen und seiner rastlosen Energie gewesen, trat nach und nach in ein anderes Stadium … Als der Wegzug Hero’s aus dem Vaterhause erfolgt war, fühlte Lydia sich eigenthümlich vereinsamt … Da sie sich ausmalte, daß es doch ganz allerliebst sein würde, wenn auch sie, wie die Tochter des Heliodorus, ein eigenes Heim besäße, wo sie als Gattin eines hübschen, klugen und tüchtigen Mannes walten könne, da nahm die Gestalt dieses imaginären Mannes unwillkürlich die Züge des Cajus Bononius an … So war es keines der größten Wunder, die Eros zu Stande gebracht, wenn Bononius und Lydia im April des folgenden Jahres ein glückliches Paar wurden.

Vorher noch war die vornehme Gesellschaft der Siebenhügelstadt durch zwei Nachrichten überrascht worden, die eine Zeit lang das Tagesgespräch bildeten. Die eine bezog sich auf das plötzliche Verschwinden des chaldäischen Zauberers, der all seine Güter mitsammt dem orientalischen Prunkpalaste am quirinalischen Hügel verkauft und Rom ohne Abschied verlassen hatte; die andere auf den Selbstmord des Agathon, der sich im Warmbade seines über und über verschuldeten Wohnhauses die Adern geöffnet.




Auch eine Erinnerung an unsern großen Krieg.

Hut ab, lieber Leser! Wir treten vor die ältesten Soldaten der deutschen Armee im Kriege von 1870 und 1871.

Diese Zeit, deren Thatenfülle im Ring von acht Monaten an Wucht des Erfolgs und der Folgen Jahrzehnte früherer Perioden der Weltgeschichte aufwiegt, wird durch die Raschlebigkeit unserer Tage den Blicken des Volkes so weit entrückt, daß es Menschen in Deutschland geben kann, denen schon jetzt die Feier des Sedanfestes zu viel ist. In dem durch das gemeinsam im heldenmüthigsten Kampfe vergossene Blut aller deutschen Stämme zur Einheit geretteten deutschen Reich ist ein Kleinkrieg ausgebrochen, welcher von der hohen Politik bis zum untersten Tagewerk [309] die Geister bedrückt und verwirrt und die Gefühle der Freude an jener großen Zeit und des Dankes für diejenigen, die ihr Bestes für sie gewagt und geopfert, immer weiter in den Herzen zurückdrängt.

Da muß wohl der treue Vaterlandsfreund es als ein Gebot der Pflicht erkennen, von Zeit zu Zeit wieder ein Bild aus jenen großen Tagen dem Volke vor Augen zu bringen, um die einst so warmen Gefühle des Dankes und der Erhebung nicht ganz erkalten zu lassen. Oder wäre wirklich aus dem Geiste der Gegenwart jedes Andenken an jene unsägliche Sehnsucht gewichen, mit welcher die Edelsten und Besten unserer Nation über ein halbes Jahrhundert lang nach dem einen Ziele strebten, das durch unsern großen Krieg endlich erreicht worden ist? Die Sehnsucht aller Vaterlands- und Freiheitsfreunde – denn in beiden waren alle eins, und der Wahlspruch: „Freiheit, Ehre, Vaterland“, war der aller wahrhaft deutschen Männer – sie ließ die letzte Hoffnung Aller in einem großen nationalen Krieg erkennen: noch einmal ein Jahr Dreizehn! Das war der tiefinnigste Wunsch aller Patrioten – ein Jahr Dreizehn mit seiner allgemeinen Erhebung aus der tiefsten Erniedrigung! Und es kam dieses Jahr des unerhörten Aufschwungs des deutschen Volksgeistes: wir haben es erlebt im Jahre 1870. Alles, was die Väter uns noch in ihren ältesten Tagen gepriesen und was die Geschichte verherrlicht von der Einmüthigkeit aller Herzen, von der Opferfreudigkeit aller Stände in jenem deutschen „Befreiungskriege“ – wir haben es wieder gesehen mit den eigenen Augen, wir haben die ungeheuersten Thaten im Sturme, im unaufhörlichen Wehen der Siegesfahnen miterlebt.

Ferdinand Wiest.   Fritz Orlin.       Ferdinand Roggisz. 0 Peter Göttling.
Die ältesten Soldaten der deutschen Armee im Kriege von 1870 und 1871.
Nach Photographien auf Holz gezeichnet von G. Sundblad.

Und wie im Jahre Dreizehn haben mir abermals erfahren, daß der furor teutonicus, die alte germanische Kampfwuth, wo das Höchste und Heiligste mit dem Schwerte zu schützen ist, noch forttobt in den deutschen Adern. Aus weitester Ferne, über das Meer her eilten die Kampfpflichtigen zu ihren Fahnen, Knaben verleugneten ihr Alter und flehten um Waffen, und Männer, die keine Pflicht mehr zwang, den Regimentern zu folgen, sie hielten nun erst recht die Treue fest, und freiwillig setzten Väter an der Grenze des Greisenalters Pickelhaube und Raupenhelm auf die grauen Häupter und zogen mit der Jugend der Linie und den Männern der Landwehr in den Krieg.

Und von diesen alten Helden wollen wir heute erzählen, von ihnen stellen wir die Aeltesten, soweit wir dies vermögen, im Bilde dar. Selbstverständlich müssen wir bei der Alterswürdigung uns auf die Soldaten vom Feldwebel abwärts beschränken. Nur eines Einzigen müssen wir hier gedenken, der freilich auch über dem Officiercorps steht: es gehört zu den fast wunderbaren Auszeichnungen, die das Schicksal dem deutschen Heere in seinem größten Kampfe zu Theil werden ließ und die auch auf die Reihe der dargestellten alten Helden einen weihenden Strahl wirft, die in der Weltgeschichte einzig dastehende Thatsache, daß seines Reiches ältester Soldat unser Kaiser selbst ist!

Um unsere Leser nicht mit der Hinweisung auf die einzelnen, diesen Gegenstand behandelnden Notizen im vorigen Jahrgang der „Gartenlaube“ zu behelligen, geben wir hier über das Ganze einen vollständigen Bericht.

Die Anregung zu der Frage nach dem ältesten Soldaten der deutschen Armee im französischen Kriege von 1870/71 verdanken wir – dem jüngsten freiwilligen Mitkämpfer in diesem Feldzug, Herrn Theodor Hofmann, gegenwärtig Stadtschreiber zu Forchheim in Baiern. Mit einem Alter von 15 Jahren [310] und 27 Tagen (er ist am 3. August 1855 geboren) wußte der kaum der Knabenzeit entwachsene, aber kräftig gebaute Jüngling sich im baierischen Heere einreihen zu lassen. Er machte alle Kämpfe seiner Truppe mit, und er würde mit mehr als nur der Kriegsdenkmünze auf der Brust heimgekehrt sein, wenn sein Hauptmann nicht zu früh schweren Wunden erlegen wäre. Wir wissen von Th. Hofmann, daß er in der Schlacht bei Sedan verwundet wurde, aber, kaum von einem französischen Arzt verbunden, in’s Gefecht zurückkehrte und tapfer aushielt, bis der Blutverlust ihn kampfunfähig machte. Dennach kehrte er nicht in das Lazareth zurück, ohne mit Aufbietung seiner letzten Kraft einen schwerer verwundeten Cameraden dorthin zu tragen. Auf diesem Gange erhielt er noch einen Schuß in den Tornister, in welchem jedoch die Kugel in ein Paar französischen Handschuhen stecken blieb. Jetzt ist Th. Hofmann selbst schon Vater von zwei strammen Jungen, die er sicher nicht aus seiner tapferen Art schlagen läßt.[1]

Auf unsere Frage nach dem ältesten Soldaten (Jahrg. 1882, S. 120) meldeten sich drei im Jahre 1821 Geborene (Friedrich Wilh. Alex. Borghard in Löderburg bei Staßfurt, Wachtmeister Dürr zu Ludwigsburg in Württemberg, der schon sein vierzigjähriges Dienstjubiläum gefeiert hat, und der in Pommern geborene Aug. Friedr. Wilh. Neplin, Invalide, Vicefeldwebel und Divisionsküster der 31. Division zu Mühlhausen im Elsaß), von deren Berechtigung wir, trotz ihrer persönlichen Verdienste und Auszeichnungen, für den vorliegenden Fall jedoch absehen mußten, als endlich die in den Zeiten der Befreiungskriege Geborenen hervortraten.

„Hurrah, Gtoßvater!“ lautete der Jubelruf, der gleich den Ersten begrüßte: den alten preußischen Husaren Ferdinand Roggisz. In Rudersdorf bei Berlin am 15. Januar 1814 geboren, war Roggisz im Herbst 1836 bei dem dritten Ulanenregiment in Fürstenwalde eingetreten und 1839 als Unterofficier zur Reserve entlassen. Als ihm aber 1859 mit der Mobilmachung die Aussicht winkte, gegen die Franzosen zu fechten, meldete er sich freiwillig und wurde Sergeant bei dem sechsten Ulanen-Landwehrregiment in Langensalza. Seine Hoffnung ging damals nicht in Erfüllung, und er begab sich in seine Stellung als Land-Feuersocietäts-Beamter zurück. Er war siebenundfünfzig Jahre alt geworden, als der König gegen Frankreich sein Volk zu den Waffen rief. Nichts konnte da den alten Helden zurückhalten, er trat abermals freiwillig und nun als Sergeant bei der vierten Schwadron des zweiten Reserve-Husarenregiments in Merseburg ein und durchlebte und durchkämpfte mit demselben den ganzen Krieg und zwar gerade in seinem schwersten Theile. Denn nachdem er die Belagerung von Straßburg mitgemacht, hatte er bei der Division Schmeling des Werder’schen Armeekorps sämmtliche Gefechte desselben und namentlich die dreitägige Schlacht vor Belfort (15. bis 17. Januar 1871) vom Anfang bis zum Ende, mit all den furchtbaren Strapazen jener Tage mit zu bestehen und verfolgte schließlich noch die Franzosen Bourbaki’s mit bis an die Schweizergrenze.

Mitten im Kriege, im November 1870, wurde ihm sein erster Enkel geboren, und da die Feldpostkarte mit dieser Nachricht aus der Heimath lange von Truppe zu Truppe wanderte, ehe sie ihn traf, so erlebte er dafür auch die Freude, daß seine Großvaterschaft bei vielen Regimentern bekannt und er mit dem Zuruf „Hurrah, Großvater!“ von Cameraden aller Farben und Waffen begrüßt wurde. Auch seine beiden Söhne standen im Felde, der eine als Zahlmeister bei einem westfälischen Landwehrbataillon, der andere als Feuerwerksmaat bei der Marine. Nach der Siegerheimkehr hing der alte Held den Säbel wieder an die Wand und handhabte die friedliche Feder bis 1880; seitdem genießt er den wohlverdienten Ruhestand in Burg bei Magdeburg.

Es war keine geringe Freude, als zu diesem preußischen Alten sich ein baierischer gesellte und so Nord und Süd des Vaterlandes Vertretung fand. Herr Peter Göttling, Stabstrompeter vom sechsten Chevauxlegers-Regiment in Bayreuth, ist zwar an Lebensjahren nahezu zwei Jahre jünger, dagegen an Dienstjahren ebenso viel älter, als sein preußischer Camerad. Am 1. November 1815 in Bamberg geboren, trat er daselbst 1834 freiwillig als Trompeter zu demselben Regiment, zu dessen Stabstrompeter er 1855 erhoben wurde und das seit 1866 in Bayreuth steht. Mit demselben erlebte er manches interessante Ereigniß. Das Jahr 1848 führte ihn in die bewegte Rheinpfalz; während der hessischen Unruhen von 1850 stand er als Ordonnanztrompeter bei dem General von Heilbronner, und damals war es seine Trompete, welche die Signale zu der Affaire von Bronnzell gab, durch welche ein Stiefelbalg und ein Schimmel zu so seltsamer geschichtlicher Berühmtheit gelangten. Ganz anders schmetterte sein Instrument dagegen im deutschen Kriegsjahre 1866, wo er bei Hettstädt sich besonders dadurch auszeichnete, daß er im richtigen Moment zum Sturmangriff der baierischen Kürassiere und Chevauxlegers blies, durch welchen die preußische Cavallerie geworfen wurde. Bei diesem Sturmritt gerieth er selbst in Gefangenschaft, konnte aber von den Seinen rasch wieder herausgehauen werden. Den französischen Feldzug machte der alte Held, trotz seiner Jahre und trotz der vielen schweren Strapazen, kerngesund vom ersten bis zum letzten Tage mit.

So steht Peter Göttling als Soldat da, dessen Brust vier wohlverdiente Ehrenzeichen schmücken. Aber auch als Künstler und Mann verdient er unsere besondere Hochachtung. Wer die Schwierigkeiten kennt, welche bei dem oft rasch wechselnden Personal der Militärmusiken sich der Durchführung höherer Leistungen entgegenstellten, wird seinem Musikkorps, das er für die neuesten und schwierigsten Aufgaben der Wagner’schen Tonwerke glänzend schulte, und ihm als Dirigenten Anerkennung zollen. Als charaktervoller, gemüthreicher und allezeit schlagfertiger Mann ist Peter Göttling nicht nur der Liebling seines Regiments, sondern der ganzen Stadt, für die das fünfzigjährige Dienstjubiläum, das er am 23. October des vorigen Jahres feierte, sich zu einem allgemeinen Freudenfeste gestaltete. Kennzeichnend für ihn ist sicher auch seine Erklärung, als er zur Liquidation für die von ihm zum Leichenzuge Richard Wagner’s gestellte Musik aufgefordert wurde: er und sein Corps könnten sich die Ehre, dem Meister den letzten Liebesdienst erwiesen zu haben, nicht bezahlen lassen.

Neben dem Stabstrompeter der Cavallerie begrüßen wir als ebenbürtigen Cameraden desselben einen Musikmeister der Infanterie: den königlichen Musikdirektor Fritz Orlin in Stettin, der zugleich der Aelteste der bisher Genannten ist. Am 24. December 1812 in Delitzsch geboren, trat er am 1. Januar 1835 in das Musikcorps des ersten Grenadierregiments zu Potsdam und wurde am 1. Januar 1852 als Musikmeister zum Grenadierregiment „König Friedrich Wilhelm IV“ (dem 1. Pommerischen) Nr. 2 in Stettin versetzt. Seine Tüchtigkeit als Künstler erwies Orlin durch weitverbreitete Kompositionen, namentlich von Märschen und Tänzen; als Soldat folgte er der Fahne seines Regiments in den Krieg von 1866 und nach Frankreich, wo der schon nahezu Sechszigjährige, allezeit zu Fuß vor seinem Corps, den ganzen Feldzug in voller Rüstigkeit bestand. Orlin hat sich Achtung und Liebe in reichem Maße erworben, außer vielen andern Ehrenzeichen auch das Eiserne Kreuz verdient und lebt seit dem 1. April 1880 im Ruhestand.

Auch das badische Armeecorps konnte in der Reihe dieser ältesten deutschen Kriegshelden nicht unvertreten bleiben. Ist der Feldwebel Ferdinand Wiest auch erst am 12. Oktober 1819, und zwar zu Rothweil im Amt Breisach, geboren, so steht er, da er die Fahne nie verließ, im Dienstalter reich an Jahren da. Er hat 1848 in Schleswig-Holstein und 1866 in Deutschland mitgefochten, und wenn er für den französischen Feldzug dem fünften Infanterieregiment als Oberlazarethgehülfe beim ersten badischen Feldlazareth bestellt wurde, so war das ein schwerer und verantwortlicher Dienst, für den das Eiserne Kreuz, welches er neben sieben anderen Ehrenzeichen trägt, ein gerechtes Zeugniß ablegt. Der alte Soldat verrichtet noch heute bei der fünften Compagnie des fünften badischen Infanterieregiments Nr. 113 seinen Dienst.

So weit konnten wir unseren Lesern die alten Herren im Bilde vorführen. Von vier Anderen ist uns Nachfolgendes mitgetheilt worden.

Das Rheinland findet in der Reihe unserer ältesten Soldaten von 1870 seine Vertretung in dem Wachtmeister a. D. Heinrich Lüttgen aus Bonn, der, am 5. Juni 1819 geboren, 1836 als Dreijährig-Freiwilliger beim rheinischen Ulanenregiment Nr. 7 eintrat [311] und in diesem Regiment ununterbrochen bis 1874 diente. Er nahm Theil an den Feldzügen 1848 in Baden, 1866 in Oesterreich und 1870 und 1871 in Frankreich. Während sein Regiment im Norden Frankreichs focht, starb ihm am 1. Januar 1871 die Gattin. Er erhielt Urlaub, um sein Haus daheim zu ordnen, aber schon nach zehn Tagen war er wieder bei seiner Fahne, der Pflicht für das Vaterland getreu. Der alte Held hat seinen Wohnsitz jetzt zu Forbach in unserm Lothringen.

Aus Württemberg, dem alten Schwabenlande, das einst die Reichssturmfahne trug, werden uns die Namen dreier alter Soldaten von 1870 genannt: 1) J. Heller, am 30. November 1813 geboren, 1834 ausgehoben, bis 1848 zum Oberfeldwebel avancirt, von 1859 an Profos und gegenwärtig Assistent an der Württembergischen Hypothekenbank. Zu seinen fünf Kriegsmedaillen gehört auch das Ehrenzeichen für den französischen Feldzug. – 2) Joseph Friedrich Stucke, geboren zu Haßbach im Oberamt Herrenberg am 9. März 1812, diente vom 12. April 1833 bis zum 30. September 1871 im dritten württembergischen Infanterieregimente Nr. 121. Auch er machte als Profos (eine jetzt nicht mehr bestehende Charge im Feldwebelsrange) die Feldzüge l866 gegen Preußen und 1870 auf 1871 gegen Frankreich mit. – 3) Johannes Knöller.

Bei diesem letzten, den wir zu nennen haben, trifft in der That das Sprüchwort ein: „Die Ersten werden die Letzten sein“, denn er ist wirklich der Aelteste aller Soldaten des großen Krieges: am 3. Februar 1809 geboren, und zwar zu Höfen im Oberamte Neuenbürg. Um sein Bild würden wir uns dringend beworben haben, wenn die Nachricht über ihn nicht zu spät zu uns gekommen wäre. Herr Knöller, seines Zeichens Büchsenmacher, wurde in seinem einundzwanzigsten Jahre zum württembergischen Militär ausgehoben, leistete seine normale Dienstzeit ab, blieb vier Jahre vom Militär weg, und diente dann wieder im sechsten Infanterieregimente Nr. 124 ununterbrochen bis zu seinem Abschiede 1881, also achtunddreißig Jahre. Als Regimentsbüchsenmacher machte er die Feldzüge 1848 nach Schleswig-Holstein und Baden, 1866 gegen Preußen und 1870 nach Frankreich mit. Während des Krieges erlebte er in Coulommiers seinen zweiundsechszigsten Geburtstag; in diesem Jahre hat er den vierundsiebenzigsten in der Garnisonsstadt seines Regiments, in Ulm, gefeiert, wo er nun den Lebensabend in Ruhe genießt.

Das sind die acht der ältesten Soldaten unseres letzten Krieges, von denen wir Kunde erlangt haben. Ein neunter wäre „der alte Dettloff“ in Potsdam gewesen, der uns leider während der Vorbereitung zu diesem Artikel gestorben ist. Wenn wir dennoch hier erwähnen, daß er, am 28. Mai 1813 geboren, als Wachtmeister von der zweiten Escadron des Garde-Husarenregiments alle Feldzüge desselben mitgemacht, seit 1879 pensionirt war und am 18. August 1882 zur großen Armee einberufen wurde, – so geschieht dies, weil uns zugleich berichtet wird, daß derselbe eine Wittwe mit zahlreicher unversorgter Kinderschaar hinterlassen habe. Vielleicht ist das doch nicht in solchen Kreisen bekannt, wo man noch ein warmes Herz für das Wohl und Wehe aller Soldaten und ihrer Hinterbliebenen hat.

Der Werth der Schicksale Derer, die wir hier genannt, ist wohl verschieden; Alle aber haben ihr Leben preisgegeben in dem großen Kampfe, dessen Segnungen Millionen zu Theil geworden sind, und sie tragen keine Schuld daran, wenn die Früchte ihrer Thaten verdorben werden. Möge unser Volk sich wieder mit vollem Ernste der Schwere der Gefahr und des erlösenden Gefühls des Umschwungs im Weltgeschicke jener Zeit erinnern: es wird dann besser würdigen, was es hat, und die Blicke schärfen für Das, was ihm Noth thut. In allen Orten aber, wo ergraute Kämpfer aus jener großen Zeit leben, sollte man die Mahnung nie vergessen: Ehret eure alten Helden, denn sie sind eure Ehre! Fr. Hofmann.     




Wo unsere Frauen Hülfe suchen.

Aus der Mappe eines Bade-Arztes.

Ein eigenartiger Zauber liegt in dem Worte „Badereise“, denn gar viele Wünsche und Hoffnungen sind mit demselben eng verknüpft. Und was für Hoffnungen sind das!

Den langen Winter hindurch bleibt die bevorstehende Badereise der Rettungsanker vieler Unglücklichen, und die Familie spart sorgfältig monatelang, um die Leidenden an die Stätten zu bringen, wo aus dem Schooß der Erde die heilenden Quellen springen. Was wird da nicht geopfert, um die Badereise zu erzwingen!

Endlich, endlich kommt der Lenz mit seiner belebenden, alles verjüngenden Macht, und wenn die Nachtigallen schlagen und Menschenherzen aufjauchzen, dann schnüren auch die Ungleichen ihr Ränzlein, um das verlorene höchste Gut der Gesundheit oft in fern gelegenen Orten wiederzuerlangen. Ein wahrer Strom von Reisenden ergießt sich nach den zahlreichen Heilstätten, bald wendet er sich gegen die Meeresküsten, bald klimmt er die Höhen der Berge hinauf. Es sind zumeist blasse, niedergebeugte Gestalten, in deren matten Augen nur ein schwacher Hoffnungsstrahl schimmert. Folgen wir heute einem Theil derselben, gehen wir an die Orte, an welchen vornehmlich unsere Frauen Hülfe suchen.

Auf unserm heutigen Bilde sind jene Stätten bei dem üblichen Namen genannt: es sind „Deutsche Frauenbäder“, die den Gegenstand unserer Betrachtung bilden. Da wird wohl Mancher nicht mit Unrecht fragen: Giebt es denn überhaupt Bäder, die im vollen Maße auf diese Benennung Anspruch erheben dürfen?

Die Erfahrung lehrt uns täglich, daß, so wichtig und bedeutungsvoll das rechtzeitige und energische Eingreifen des Arztes mit seinem medicamentösen Heilschatze für den kranken weiblichen Organismus auch sein mag, dennoch hygienische und psychische Einflüsse, welche der Receptur der Apotheke fernliegen, bei der Behandlung von Frauenkrankheiten eine außerordentlich wichtige Rolle spielen.

Jedermann weiß, wie nutzbringend und oft den Erfolg allein bedingend eine zweckmäßig veränderte Lebensweise und Diät ist, wie wichtig die Abhaltung von zu Hause einwirkenden Schädlichkeiten, Ruhe und Entfernung von häuslichen Geschäften und Sorgen, der Aufenthalt in anderer Umgebung, in Wald- und Bergluft, am Strande des Meeres oder in der Alpenwelt für das erkrankte Nervensystem werden, wie gesteigerte und geregelte körperliche Bewegung in freier Luft bei vielen Frauen, die das Haus und die Kinderstube selten verlassen, oft allein genügt, den gesunkenen Appetit zu heben und bessere Ernährungsverhältnisse herbeizuführen. Der Erkenntniß der hohen Wichtigkeit dieser Einflüsse verschließt sich heutigen Tags kein einsichtsvoller Arzt mehr, denn gerade er ist es, welcher solche hygienische und psychische Einwirkungen in das Bereich seiner ärztlichen Hülfsmittel hereinzieht. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß jene Orte, wo die obengenannten Einflüsse in ungestörter und eingreifender Weise zur Geltung kommen, für den kranken weiblichen Organismus von besonderer Wichtigkeit sind und von Frauen viel und gern aufgesucht werden.

Fragen aber die Frauen, wo sie diese Plätze finden, so müssen sie zunächst auf die beliebten Sommerfrischen des Gebirges, welche schon gewisse Ansprüche auf klimatische Curorte erheben, hingewiesen

[312]

Deutsche Frauenbäder.
Originalzeichnung von Hermann Heubner.
Franzenbad.
Ems. Franzensbrunn. Schlangenbad.
Elster. Kreuznach.

[313] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [314] werden. Viele von ihnen vereinigen in sich die oben erwähnten so wichtigen Eigenschaften und werden im wahren Sinne segenspendende Stätten. Aber nicht in allen Fällen, vielmehr nur bei den leichteren Erkrankungen des Weibes, insbesondere denen des Nervensystems reichen solche Sommerfrischen aus, um den kranken Organismus in normale Lebensbahnen zurückzuführen. Für eine große Anzahl der Frauenkrankheiten sind energischere Heilmittel nothwendig, und diese gewähren am ausgiebigsten jene Bade-Orte, deren Heilquellen im Verein mit den erwähnten Vorzügen der Sommerfrischen in Form von Trink- und Badecuren den in Rede stehenden krankhaften Vorgängen des weiblichen Körpers energisch zu begegnen vermögen.

So kommt es, daß eine gewisse Classe von Bädern den Ruf als Frauenbäder sich erworben hat, obschon, streng genommen, es Curorte, die ausschließlich für Frauen bestimmt sind, nicht wohl geben kann.

Die Zahl derselben ist eine sehr beträchtliche, aber nicht alle verdienen diese Bezeichnung, nicht alle rechtfertigen das Vertrauen, welches die Frauen in sie setzen. Oft haben nur Zufälligkeiten dazu geführt, oft nur geringe Erkrankungen hochgestellter Persönlichkeiten, daß ein Curort ein Frauenbad geworden ist. Den meisten aber hat der positive Nutzen, den sie gegen Frauenkrankheiten hatten, dieses Epitheton gebracht. Je nach der Beschaffenheit ihrer Quellen werden diese Curorte von den Aerzten in verschiedene Gruppen eingetheilt, und wir heben im Nachstehenden einige Repräsentanten der einzelnen Gruppen hervor. Der Leser möge uns ein näheres Eingehen auf die chemische Zusammensetzung und die heilenden Eigenschaften derselben erlassen, denn es soll und darf nicht die Aufgabe dieses Artikels sein, irgend Jemand zu bewegen, in dieses oder jenes Bad zu reisen. Im Gegentheil müssen wir hier den Rath geben, daß man über die etwaige Wahl des Curortes stets den Hausarzt befrage, welcher nur allein auf Grund seiner Erfahrungen die für jeden Einzelfall zweckmäßigste Auskunft zu ertheilen vermag.

Von Eisenquellen, die einen besonderen Ruf gegen Frauenkrankheiten genießen, sind besonders die Quellen von Pyrmont, Driburg, Spaa, Schwalbach, Franzensbad und Elster zu nennen. Die ersteren sind bei ihrem mehr als hundertjährigen Bestehen hinreichend bekannt und so oft beschrieben worden, daß es genügend erscheint, auf sie hingewiesen zu haben. Dasselbe aber läßt sich nicht in gleicher Weise von Elster, dem jüngsten Gliede in der Kette dieser Bäder, behaupten, und da seine Quellen den anderen berühmten Eisenquellen in keiner Weise nachstehen, so möge es uns erlaubt sein, etwas näher auf diesen Curort einzugehen und als Uebergangsrepräsentanten der Eisenquellen zu den salinischen Wassern das ihm nahe verwandte Franzensbad anzuschließen.

Der Curort Elster liegt in der weit nach Böhmen hineinragenden Spitze des zum Königreiche Sachsen gehörenden Voigtlandes, etwa drei Meilen von der Stadt Plauen entfernt und breitet sich in einem von der Elster gebildeten höchst anmuthigen, ziemlich breiten, den Sonnenstrahlen vollkommenen Eintritt gewährenden Thale aus, mitten unter duftigen Nadelholzwaldungen ein überaus freundliches Bild friedlicher Ruhe bietend.

Der Ort selbst, welcher gegenwärtig die Benennung „Bad Elster“ führt, besteht als Curort seit etwa dreißig Jahren, obschon man seine Quellen lange vorher kannte und eine derselben bereits im Jahre 1669 von einem Arzte beschrieben wurde. In diesen letzten drei Decennien ist das frühere alte Elster, welches bis dahin ein kleines bescheidenes Dörfchen war, durch eine große Anzahl Neubauten, welche namentlich in der Nähe der Quellen entstanden, nachdem die Staatsregierung ein großartiges Bade-Etablissement gegründet hatte, zu einem stattlichen Bade-Orte herangewachsen und zählt gegenwärtig mehr als 130 fast durchgehends von wohlgepflegten Gärten umgebene Villen, welche, zur Aufnahme von Curgästen bestimmt, etwa annähernd 2000 Personen auf einmal zu beherbergen vermögen. Ihre inneren Einrichtungen sind fast durchgehends vorzüglich zu nennen und können an Comfort mit den besteingerichteten und renommirtesten Curorten Deutschlands concurriren. Hierzu kommen noch mehrere sehr gute Hotels, welche für Verpflegung und ebenso für Unterkommen in vorzüglicher Weise Sorge tragen. Dabei ist das Leben in Elster kein theures zu nennen, und die Miethpreise für Wohnungen sind meist sehr civile.

In Einklang mit dieser Entwickelung des Orts steht selbstredend auch die Zunahme der Frequenz. Sie ist im stetigen Steigen begriffen und hat nach etwa dreißig Jahren die Ziffer von 5300 Curgästen bereits erreicht, welche aus dem nördlichen Deutschland, Rußland und anderen Ländern dahinströmen, ein Aufschwung, dessen sehr wenige Curorte sich rühmen können, und welchen Elster namentlich der unermüdlichen Fürsorge der Regierung verdankt.

Die Bade-Anstalt, welche Eigenthum des Staates ist, bildet den Mittelpunkt des Curlebens. Sie besitzt sechs große Badehäuser, von denen drei zu Wasserbädern, drei zu Moorbädern eingerichtet sind, außer verschiedenen Nebengebäuden, und ist mit allen Utensilien, welche die neuere Badetechnik fordert, und mit allem Comfort ausgerüstet. Schmucke Brunnenmädchen, in ihrer eigenartigen Volkstracht, verabreichen den Curgästen das Quellwasser. (Vergl. unser Initial, welches nach einer Photographie von A. Tietze in Elster gezeichnet ist.)

Der chemischen Zusammensetzung und Wirkung der Mineralquellen Elsters entsprechen auch die Krankheitszustände, welche hier vorzugsweise vertreten sind. Es finden sich in diesem Bade besonders jene Frauenkrankheiten ein, welche mit höheren Graden der Blutarmuth sich verbinden und bei welchen Blutstockungen im Unterleibe und verlangsamte Thätigkeit des Darmrohrs sich in besonders störender Weise entwickelt haben. Die Curerfolge sind meist höchst befriedigender Art. So kehrt manche junge, dem Siechthume verfallene Frau mit rothen Wangen und neuer Gesundheit nach vollendeter Cur in ihre Heimath zurück, aber auch manche andere begrüßt mit Dank die endliche Erfüllung langgenährter Wünsche.

Schließlich müssen wir noch bemerken, daß es in Elster nicht an Vergnügungen und Zerstreuungen aller Art fehlt, wie sie die meisten Bäder Deutschlands zu bieten pflegen, und auch die nächste Umgebung dieses idyllischen Ortes verlockt den Curgast zu zahlreichen Ausflügen. Da blühen nämlich die Industrien des sächsischen Voigtlandes. Im nahen Adorf wird eifrig die Fabrikation der Perlmutterwaaren getrieben, denn die weiße Elster wird von zahlreichen echten Perlmuscheln bewohnt (vergl. „Gartenlaube“, Jahrg. 1878, S. 120), in den Häusern der Einwohner der umliegenden Dörfer und kleinen Städte fertigen Frauen die weit und breit bekannten Weißstickereien, und schließlich lockt auch den Wanderer das nicht weit entfernte Markneukirchen, berühmt durch die Fabrikation verschiedenartigster Musikinstrumente, bekannt unter dem stolzen Namen des „deutschen Cremona“.

Eng mit Elster verbunden ist, wie schon oben angedeutet, das unweit davon, aber in Böhmen liegende, auf der Ebene des fruchtbaren Egerlandes sich ausbreitende, von wogenden Saatfeldern umgebene Franzensbad. Es ist ein alter Curort mit vortrefflichen Cureinrichtungen und gehört unleugbar zu den hervorragenderen der österreichischen Monarchie, worauf schon die Frequenz an Curgästen, die bis zu 8000 Individuen sich erhebt, hinweist. In den letzten Decennien hat Franzensbad sich durch eine große Anzahl prachtvoller, mit großem Luxus ausgeführter Neubauten wesentlich vergrößert und verschönert, hat neue Anlagen und in mancher Beziehung Verbesserungen erfahren. Es stellt eine kleine Stadt mit hübschen Straßen dar und bietet dem Fremden schon alle Genüsse, die sonst nur eine größere Stadt zu gewähren vermag, denn Franzensbad ist eben eine Stadt, eine Oase in weit sich ausdehnenden Kornfeldern, aller Naturreize entbehrend, soweit sie die Kunst nicht hat schaffen können, und unterscheidet sich dadurch wesentlich von Elster, welches ungeachtet seiner raschen Entwickelung seinen ländlichen Charakter sich zu wahren gewußt hat.

Das Leben ist in Franzensbad nicht billig, aber die Bade-Anstalten sind vorzüglich und besitzen eine große Anzahl zweckmäßig eingerichteter Badestuben, in welchen neben Mineralbädern auch Moorbäder verabreicht werden. Ihre Anzahl ist zur Zeit fünf, welche, mit Ausnahme des städtischen Badehauses, in Privathänden sich befinden. Mit besonderem Luxus ist das neue Singer’sche sogenannte Kaiserbad, das neueste der hier vorhandenen Etablissements, eingerichtet.

Auch die Franzensbader Mineralquellen, deren Anzahl eine sehr große ist, werden, wie die von Elster, meist zu den alkalisch salinischen Eisenwässern gezählt, ihr Eisengehalt aber ist kein so hoher, daß er mit den renommirteren Eisenquellen, wie wir sie in Deutschland besitzen, mit Erfolg concurriren könnte, und deswegen ist ihr eigentliches Wirkungsgebiet auch weniger das der Eisenquellen, als vielmehr das der salinischen Wasser. Ihr Ruf, [315] den sie sich bei verschiedenen Frauenkrankheiten erworben haben, fällt auch mit dieser ihrer chemischen Beschaffenheit zusammen, und diese führt ihnen bei dem Reichthnm an Kohlensäure, den sie besitzen, mehr nervenleidende und an Verdauungsbeschwerden leidende Frauen zu.

Eine andere Richtung in der Heilung und Behandlung der Frauenkrankheiten wird durch die akalischen Wässer vertreten, welche in den Thermen von Ems einen würdigen Vertreter finden. Es sind vorzugsweise die katarrhalischen Erkrankungen der Frauen, welche hier Gegenstand der Behandlung werden.

Der alte Curort Ems, dessen Quellen schon seit mehreren Jahrhunderten bekannt sind und auf den sich durch die öftere Anwesenheit unseres Kaisers die öffentliche Aufmerksamkeit mehr hingezogen fühlt, liegt in einem schönen, von der Lahn durchflossenen Thale des früheren Herzogthums Nassau, der jetzigen Provinz Hessen-Nassau, und gehört bei seiner hohen Frequenz, die jährlich auf etwa 15,000 Curanten und Passanten sich beläuft, zu den renommirtesten Bädern Deutschlands. Ems besitzt gegen zwanzig Natronthermen von sehr verschiedenen Temperaturgraden, von denen aber nur neun medicinische Benutzung finden. Alle Einrichtungen in den verschiedenen Badchäusern verdienen alles Lob, die Privathäuser bieten meist gute Wohnungen von großer Einfachheit an bis zum höchsten Luxus und die zahlreichen Hôtels vorzügliche Verpflegung. Das Leben ist hier das einer großen Stadt mit allen seinen Vergnügungen und dem entsprechend auch der Kostenaufwand, den eine Cur daselbst nothwendig macht.

Von der Lahnbrücke, die im Ganzen eine ziemlich beschränkte Aussicht bietet, konnte man einst, wie Bädecker berichtet, in acht verschiedener Herren Länder blicken, nämlich in die von Mainz, von Stein, von der Leyen, Trier, Metternich, Nassau-Weilburg, Nassau-Oranien und Hessen-Darmstadt. Die Zeiten der alten Zerrissenheit unseres Vaterlandes sind gottlob! für immer dahin, und die große Zeit, welche das Einheitsband in siegreichem Ringen flocht, hat nicht die unbedeutendste ihrer Thaten in Ems geschehen lassen.

In dem Curgarten, unweit des Musikpavillons, finden wir eine im Boden angebrachte Marmortafel, auf der die einfachen Worte zu lesen sind: „13. Juli 1870, 9 Uhr 10 Minuten Morgens.“ Das ist die denkwürdige Stelle, an welcher König Wilhelm den Gesandten des corsischen Kaisers in gebührender Weise abfertigen ließ.

Noch andere geschichtliche Erinnerungen knüpfen sich an die nächste Umgebung von Ems. Eine Familiengruft liegt auf der Höhe zwischen Ems und Braubach in dem Dorfe Frücht. Dort finden wir eine Marmorplatte, deren Inschrift lautet: „Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr von und zum Stein, geboren 27. October 1757, gestorben 29. Juni 1831, ruhet hier; der Letzte seines über sieben Jahrhunderte an der Lahn blühenden Rittergeschlechtes; demüthig vor Gott, hochherzig gegen Menschen, der Lüge und des Unrechts Feind, hochbegabt in Pflicht und Treue, unerschütterlich in Acht und Bann, des gebeugten Vaterlandes ungebeugter Sohn, in Kampf und Sieg Deutschlands Mitbefreier.“ In derselben Capelle ist auch das Grab des Vaters des Ministers; es trägt eine sinnreiche Inschrift, welche wörtlich lautet:

„Sein Nein war Nein gerechtig,
Sein Ja war Ja vollmächtig,
Seines Ja war er gedächtig,
Sein Mund, sein Grund einträchtig,
Sein Wort, das war sein Siegel.“

Doch wir verlassen das an Erinnerungen reiche Ems, um den Hauptrepräsentanten einer anderen Quellengruppe, der indifferenten Thermen, aufzusuchen. Es ist das berühmte Schlangenbad, welches ebenso wie Ems zu Hessen-Nassau gehört und das unter allen Quellen der zuletzt genannten Art von Frauen mit besonderer Vorliebe besucht wird. Ein krankes Rind, welches sich täglich von der Heerde trennte und an der warmen Quelle Hülfe für sein Leiden suchte, soll einen Hirten zunächst zur Entdeckung derselben geführt haben.

Dies geschah vor mehr als zweihundert Jahren, und bald darauf entstand an jener Stelle ein Bade-Ort, zu dem Fürsten, Geistliche und Stiftsdamen herbeiströmten. Auch Prinz Eugen, der edle Ritter, verweilte im Jahre 1708 längere Zeit in Schlangenbad, um hier eine Cur durchzumachen.

Dem seltsamen Namen Schlangenbad gaben die Gelehrten verschiedenartige Deutung. Nach der Meinung der Einen wurde es also genannt, weil in seiner Nähe eine Schlangenart (coluber flavescens) sich vorfand, nach dem Urtheile Anderer aber, namentlich nach dem Simrock’s, verdankt der Ort diese Benennung „der Schlangenglätte der Haut, welche dieses Schönheitsbad seinen von allen vier Enden der Welt herbeiströmenden Nixen verleiht.“ Bekanntlich erklärt man die ähnliche Bezeichnung einer Quelle in Schönau bei Teplitz (Schlangenbad) durch die früher beobachtete Thatsache, daß um die warme Quelle herum sich massenhaft Schlangen ansammelten.

In der That ist die Wirkung dieser Bäder eine wohlthuende, die Haut angenehm berührende, ihr eine gewisse Zartheit und Weichheit verleihende. Darum ist auch dem berühmten Curorte die Benennung eines kosmetischen Bades beigelegt worden. Ueberhaupt sind es Nerven- und Hautkranke, welche sich vorzugsweise hierher zur Cur wenden.

Schlangenbad ist Ems gegenüber nur ein kleiner Curort, aber durch die prächtigen Buchenwaldungen, in deren Mitte er liegt, bietet er vor vielen anderen Bädern manchen Vortheil. Die Bade-Anstalten sind zweckmäßig eingerichtet, Häuser und Hôtels sind durchaus befriedigend.

Wesentlich andere Zwecke werden in den Soolbädern, zu denen eine große Anzahl kranker Frauen wandern, verfolgt. Es sind mehr chronisch entzündliche Zustände und Schwellungen gewisser Organe, Ausschwitzungen in inneren Räumen des Körpers und andere ähnliche Krankheitszustände mehr, welche durch sie Heilung, wenigstens Erleichterung finden.

Die Zahl dieser Quellen ist eine außerordentlich große, und wenn wir aus ihr Kreuznach herausheben, so geschieht es, weil dieser Curort von altersher einen besonderen Ruf gegen verschiedene Frauenkrankheiten genießt.

Kreuznach, eine Stadt mit 15,000 Einwohnern in der preußischen Rheinprovinz, im schönen Nahethale gelegen, hat ein großartiges Bade-Etablissement, verschiedene stoffreiche, durch ihren Gehalt an Bromverbindungen und Chlorcalcium sich auszeichnende Kochsalzquellen und eine Jahresfrequenz von etwa sechstausend Curgästen. Alle Bade-Einrichtungen, Hôtels und Privathäuser sind gut. Das Klima ist mild und angenehm, aber das Leben soll in Kreuznach ziemlich theuer sein.

Ihren Namen erhielt die Stadt einer alten Ueberlieferung zufolge von einem Kreuze, welches auf der Nahe-Insel von den ersten Aposteln des Christenthums in Deutschland aufgepflanzt wurde.

Auf dieses Ereigniß beziehen sich die folgenden Verse von G. Pfarrius:

„Sie kamen zu der Insel gepilgert durch den Wald,
Belehrt durch’s Kreuz, bekehret zum Kreuz ward Jung und Alt,
Und eine Stadt erhob sich, wo einst die Hütte stand:
Vom nahen Kreuz der Insel ward Kreuznach sie genannt.“

In der Fischergasse ist das Haus, in welchem 1507 hier der Schwarzkünstler Joh. Georg Sabellicus Faust wohnte, welcher als Rector am Gymnasium angestellt war, bald aber aus der Stadt flüchten mußte.

Die nächste Umgebung von Kreuznach bietet Manches, was nicht nur durch den romantischen Reiz der Landschaft verlockt, sondern auch von geschichtlichem Interesse ist. Da erheben sich auf hohem Felsen die von drei Seiten unzugänglichen Reste der Burg der einstmaligen Reichsgrafen, der „Rheingrafenstein“, und im Huttenthale steht noch die Ebernburg, in welcher der wackere Sickingen hauste und die im Volksmunde den Namen der „Herberge der Gerechtigkeit“ führte. Auf dieser Burg weilte einst Hutten, unter des Sickingen Schutz für die Geistesfreiheit kämpfend, hier fanden Zuflucht die Streiter der Reformation Oecolampadius, J. Schwebel und auch Ph. Melanchthon.

Wir schließen hiermit unsere flüchtige Rundschau der deutschen Frauenbäder. Die Illustration, welche unseren Artikel schmückt, wird wohl Viele an freudig verlebte Tage erinnern, und allen Denjenigen, welche sich jetzt zur Reise in irgend eines der genannten Bäder rüsten, geben wir den herzlichsten Wunsch auf den Weg, daß sich ihre Hoffnungen erfüllen und sie gesund und zum Kampf des Lebens gestärkt heimkehren mögen.

[316]

Hermann Schulze-Delitzsch ist todt!

Ein Nachruf von A. Bernstein.

Viele sind berufen, ihren Zeitgenossen voranzuleuchten auf der Bahn der sittlichen Veredelung und der materiellen Verbesserung, aber nur Wenige sind auserwählt, neue Lehren der Culturentwickelung aufzufinden, die dem erstrebenswerthen Ziele näher führen als die bisherigen.

Wohl dem Lande, das sich des Daseins solcher Auserwählten erfreuen kann! Heil dem Auserwählten, dem es vergönnt war Unsterbliches zu schaffen! Sein Name wird fortleben im segnenden Angedenken seiner Zeitgenossen und im Nachruhm leuchten kommemden Geschlechtern!

In diesem Wahrspruch liegt der Trostspruch, mit dem wir schmerzerfüllt unseren Lesern den Tod des Auserwähltesten unserer Tage verkünden. Schulze-Delitzsch weilt nicht mehr unter den Lebenden. Er hinterläßt eine Lücke im Gefühl und im Bewußtsein Aller, die ihn kannten und erkannten, eine Lücke, die man vergeblich bestrebt sein wird auszufüllen. Aber sein Schaffen und Wirken wird in uns fortleben und befruchtend auf die Ausbreitung seines edlen und freien Geistes einwirken. Der schmerzensreiche Tag ist gekommen, an dem wir ihn ruhmvoll in das Grab senken; aber der Tag wird kommen, wo wir es Alle empfinden werden: er lebt in unserem Herzen, in unserem Geiste, in unserem besseren Wirken und Schaffen fort.

In dem herrlichen Mann stand nicht das Nachbild einer bereits vorangegangenen ruhmvollen Persönlichkeit da. Er hatte kein Vorbild, dem er nachstrebte. Er war selber ein Original, der, wie ein Künstler, von einem eigenen Ideal getrieben, seine Bahn betrat. Der Weg, den er einschlug, war so neu, daß er selber nur wie von edelsten Instinkten sich getragen fühlte, seinen Nebenmenschen treue Dienste zu leisten. Er ging schöpferisch mit Neugestaltungen vor, zu welchen ihn Niemand aufforderte und für welche er sich erst die Personen suchen, sie belehren, heranbilden und thatsächlich leiten mußte.

Er war anders als tausend Andere, edlen Willens.

Seinem thatkräftigen Charakter genügte es nicht gleich vielen Edlen, die Erstrebenswerthes erdacht haben, sein Ideal theoretisch zu gestalten und es Andern anheim zu geben, den Versuch der Verwirklichung anzustellen. Er griff selber persönlich thatenfroh ein und versuchte stets erst im Kleinen, was Großes in seinem Herzen lebte.

Dem hochgebildeten Manne, der Lebenssphäre der gebildetsten Classen angehörig, wurde nicht die Gunst zu Theil, mit gleichgebildeten Standesgenossen seine Ideen auszutauschen, um gemeinsam mit ihnen die Ideale seines Geistes zu verwirklichen. Er stellte sich die unvergleichlich schwierigere Aufgabe, in das Kleinleben des Bürgers, des Handwerkers, des Arbeiters hineinzugreifen und in den schlichtesten Kreisen sich Genossen zu suchen, die vorerst lernen mußten, was ihnen fehlt und wer ihnen helfen kann.

Dreißig Jahre hat er im deutschen Vaterland gewirkt unter den verschiedensten politischen Epochen. Sein freiheitlicher Sinn und das Volksvertrauen riefen ihn oft und unabweisbar an die Spitze der Kämpfe für Recht und Gesetz, und er trat im vollen Bewußtsein des geistigen Sieges muthiger als je einer seiner Genossen für die Volksrechte auf. Aber in seinem eigensten Gebiete, dem des wirthschaftlichen Fortschrittes und des materiellen Volkswohls, war von Beginn ab und blieb bis an sein Lebensende die politische Kampfesleidenschaft ihm fern. Er war und blieb ein Feind des Demagogenthums, das die Noth ausbeutet, um politischen Fanatismus zu entzünden.

Er trat nicht unter dem Schutz einer mit Voksbeglückungsplänen schwangeren Regierung, oder gar mit ihrer versäumten Begünstigung auf. Die ersten Jahre seiner Wirksamkeit auf wirthschaftlichem Gebiete waren die finstersten Jahre einer racheschnaubenden Reaction, die es als ein verbrecherisches Gelüste ansah, das Volk zur Selbsthülfe und Selbstbestimmung anzuregen. Auch von politischen Parteigenossen wurde er hierin nicht unterstützt. Er trat in Jahren auf, in welchen ein schwerer Druck und ein tiefer Unmuth die freiesten Geister gefesselt hielt und sie verstummen ließ in dem Schmerz der traurigen, Deutschlands Hoffnungen zerrüttenden Olmütz-Epoche.

Gar oft spornt die Noth eines Mannes Thätigkeit zu wirksamen glücklichen Versuchen an; gar oft bietet auch ein glücklicher Zufall einem begabten Geiste eine Gelegenheit dar, eine erfolgreiche Laufbahn mit Muth einzuschlagen. Bei Schulze-Delitzsch war beides nicht der Fall. Er stand bereits im Staatsamt als Kreisrichter, als eine jämmerlich kleinliche Maßregelung von Seiten des Justizministers ihn in seiner Würde und der Ehre seines Richterstandes verletzte. Um sich dieser Verletzung seines höchsten Ideals, der richterlichen Unabhängigkeit, nicht zu unterwerfen, opferte er freiwillig sein Amt und begann im Vollbewußtsein dessen, was er dem Volke sein kann, das im Beginn so kleine, aber im Verlauf der Jahre so glückliche Wirken.

Wurde er von der Aussicht auf eine lohnende, erfolgreiche Laufbahn zu diesem Beginnen bewogen? Die Thatsachen haben es gelehrt, daß er volle zehn Jahre ohne die allergeringste Vergütigung in beispielloser Uneigennützigkeit im Dienste der bereits zu einer bedeutenden Macht erwachsenen Genossenschaften stand, und – erzählt es Kind und Kindeskindern! – man mußte zu einer heimlichen, ohne sein Vorwissen unternommenen Capitalssammlung Zuflucht nehmen, um ihn in die Lage zu versetzen, sich sorgenlos seinem herrlichen Beruf hingeben zu können!

Das Capital kam schnell zusammen. Nahm es der herrliche Ehrenmann als sein Eigenthum an, wie man es ihm angeboten, ja dringend von ihm verlangte?

Er wies es entschieden ab! Er widmete das Capital zu einer Stiftung, um von den Zinsen die Herstellung eines Anwaltbureaus zu gründen, von welchem er nur, so lange er dasselbe zu leiten im Stande sein würde, ein mäßiges Gehalt beziehen wolle. Das Capital selbst verbleibt der Stiftung, um von den Zinsen die Nachfolger in seinem Amte besolden zu können.

Sind all dies erhabene Merkmale für den eigenartigen sittlichen Charakter und den edlen Sinn seines Wirkens, so bekundet ein Blick auf die Lebensgeschichte dieses herrlichen Mannes, wie er bei all dem epochemachenden Schaffen in tiefinnerster Seelenbescheidenheit nur danach strebte, im Dienste des Volkes sich die Liebe desselben zu erobern.

So spricht denn auch bereits eines seiner Gedichte aus der allerersten Zeit seines wirthschaftlichen Wirkens den edelsten Drang seiner Seele deutlich in folgenden Versen aus:

„– – – Drum ob sie auch des Kriegers Lorbeer preisen,
Weil er des Landes Feind bestand als Held:
Um Menschenwohl, zu seiner Brüder Segen,
Da giebt’s zu wirken noch ein heil’ges Feld,

Und einen schlimmen Feind noch zu bekämpfen,
Der tückisch schleichend seinem Opfer naht.
Das Elend ist’s, die Noth, der bleiche Mangel,
Ach, Tausende ganz ohne Hülf’ und Rath!

Ja, hier, hier braucht’s ein opfernd treues Mühen
– Wer ist’s, der mit mir seinen Beistand leiht? –
Ich fühl’s, viel Säumniß hab’ ich einzuholen:
Drum den Bedrängten sei mein Thun geweiht.

Und was ich von den Menschen einst ersehnte,
Der heiße Wunsch, der schmerzlich mich bewegt –
Ich ruhe nicht, ich will es mir verdienen,
Daß ihre Brust mir warm entgegen schlägt,

Daß fremd ich unter Fremden nicht mehr stehe,
Daß sie den Freund, den Bruder in mir schau’n,
Daß frei sich mir ihr Inneres erschließe,
Vereint in Lieb’ und herzlichem Vertrau’n.“

Die wenigen Worte, sie sind in ihm zum Lebensprogramm geworden, dem er treu blieb bis zur letzten Stunde! Sie sind das edelste Diplom des reinsten Herzens, das nun ausgeschlagen! Sie sind das Zeugniß eines segensreichen Geistes, dem wir den feierlichen Ruf im Namen des dankbaren Volkes nachsenden: Segenvoll war sein Dasein! und gesegnet wird sein Angedenken im Herzen des Volkes fortleben für und für!




Unter Verantwortlichkeit von Dr. Friedrich Hofmann in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Auch zu diesem „Jüngsten“ hat sich noch ein, nur um 8 Monate 42 Tage älterer Camerad. ein Württemberger, der Hoboist Karl Friedrich Deiß, eingestellt, der noch im Oktober 1870 einem Württemberger Feldspital als Signalbläser nächgesandt worden war.