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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1882
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[805]

No. 49.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Im Banne der Musen.

Novelle von W. Heimburg.

Es war vor ungefähr fünf Jahren, als ich vom Hofmarschallsamt zu Z. den ehrenvollen Auftrag erhielt, ein in der fürstlichen Sommerresidenz Falkerode belegenes Haus stilgerecht zu renoviren und zum künftigen Wohnsitze der Prinzessin einzurichten, welche nach kaum zweijähriger Ehe und noch nicht vierundzwanzig Jahre alt, verwittwet an den väterlichen Hof zurückgekehrt war.

Die hohe Dame hatte einen äußerst regen Kunst- und Schönheitssinn, der sich namentlich der altdeutschen Kunst zuneigte, und dem entsprechend wünschte sie ihren Wittwensitz eingerichtet zu haben. Sie schrieb mir persönlich:

„Das schöne alte Haus zu Falkerode, welches ich durch Sie, geehrter Herr, restaurirt und für mich ausgebaut haben möchte, steht seit vielen Jahren unbewohnt. Es ist ein Bau aus der besten Zeit der Renaissance und war einst die Wohnung des fürstlichen Hofpredigers. Als die Residenz vor mehr als fünfzig Jahren nach Z. verlegt wurde, hat Seine Durchlaucht, mein Vater, das Haus schließen lassen.

Mir ist das alte Gebäu von jeher interessant gewesen, und ich bitte Sie, mir dasselbe zu einem gemüthlichen Heim zu gestalten. Sie werden Vieles schadhaft und vernachlässigt finden, wie es nicht anders sein kann; ich bitte Sie, erstatten Sie mir deshalb zunächst Bericht, in welchem Zustande Sie das Gebäude gefunden haben …“

An einem nebeligen Septembermorgen, nicht lange nach Empfang dieser Zeilen, keuchte denn mühsam eine Extrapost, deren einziger Insasse ich war, den steilen Weg hinan, der, immer durch den herrlichsten Hochwald, nach Falkerode führt. Die Kuppen der Harzberge waren von dichtem Nebel umhüllt, aber schon zeigte er jenen silbernen Glanz, der das Hervorbrechen der Sonne jeden Augenblick erwarten läßt. Noch war das Laub der Buchen üppig und frisch; nur zur Seite des Weges schauten, an den Herbst mahnend, purpurn die Ebereschen aus grüner Blätterfülle hervor. Ein wunderbares Düften, wie ich es niemals anderswo, als gerade im Harz, wahrgenommen, quoll mir aus dem Walde entgegen. Rings umher feierliche Stille, nur unterbrochen durch den Schall einer Axt, der tief aus dem Buchenschlage zu mir herüber klang.

Ich war die Nacht hindurch gefahren, in Folge dessen müde und – daß ich es gerade heraus sage! – auch nicht sonderlich erbaut von der Aussicht, ein halbes Jahr oder länger inmitten der Harzwälder in einer ehemaligen Residenz zu sitzen, die, nach Allem, was ich davon gehört, das langweiligste Nest sein mußte, das auf der Welt existirt. Ich hatte mich vor einigen Wochen verlobt, und begreiflicher Weise kam mir der Auftrag Ihrer Durchlaucht jetzt nicht gerade gelegen; meine kleine Braut hatte sogar herzhaft gescholten über „Prinzessinnen-Launen“ – es klang fast hochverrätherisch, und um ein Haar hätte ich jetzt in meiner Extrapost das Scheltwort meiner Braut ingrimmig wiederholt, wäre nicht im Hintergrunde, wenn auch vorerst nur in äußerst blassen Farben, ein altes spitzgiebeliges Haus aufgetaucht, mit massivem Sandstein-Frontispiz, mit Eckthürmchen und all dem köstlichen Schmuck der edelsten Renaissance, das wohl im Stande ist, den Baumeister zu reizen, wie ein edles Wild den Jäger oder ein seltenes Gemälde den Sammler. Wenn es nur nicht gar so weit von D., wenn wenigstens Bahnverbindung vorhanden gewesen wäre, daß ich über Sonntag manchmal bei meiner Braut hätte sein können, in der gemüthlichen Wohnstube der Schwiegermutter, aber so? Weihnacht vielleicht, und das war noch so entsetzlich lange hin.

In diese Betrachtung verloren, hatte ich nicht bemerkt, daß wir auf der Höhe des Berges angekommen waren, und wurde erst durch die schmetternden Töne des Posthornes aufgeschreckt: der Schwager blies ein Liebesliedchen, als hätte er meine Gedanken errathen.

„Lebt wohl, ihr Augen, ihr schönen blauen,
Die ich nicht mehr bewundern kann –“

flüsterte ich mit, aber dann brach ich ab und vermochte kaum einen Ausruf des Erstaunens zu unterdrücken. Der Nebel hatte sich vertheilt; wie umflattert von weißen Schleiern thürmten sich bewaldete Berge nahe vor mir empor, und von einer dieser Kuppen grüßte im Glanz der Herbstsonne das weiße stattliche Schloß zu mir herüber, mit seinen schlanken Thürmen sich prächtig abhebend von dem dunklen Hintergrunde des mit Tannen untermischten Buchenwaldes. Ein feiner Duft lag über dem schönen Bilde, das mir nun plötzlich alle Sinne gefangen nahm. Der Wagen rollte rasch bergab und bog dann, ein Wildgatter passirend, in den Schloßgarten ein, der sich, Hunderte von Morgen groß, in schattiger Einsamkeit vom Schloßberge zu Thale zieht, stille Teiche umschließend, laubreiche Wildnisse und köstliche Blumenparterres bildend, in denen der plätschernde Springbrunnen oder die Gestalt eines Gärtnerburschen das einzige Lebende waren, was meine Augen erblickten. Dann gelangten wir durch eine kunstreiche schmiedeeiserne Gartenpforte, vorüber an den fürstlichen Marställen, auf einen freien Platz; links neben uns wird er von dem Bergkegel, der das Schloß trägt, vor uns und zur rechten Seite aber von mannigfachen Wirthschaftsgebäuden umgrenzt, und gerade abwärts führt eine üppige Kastanienallee in das winzige Städtchen, welches inmitten seiner Obstgärten am Fuße des Berges liegt.

[806] „Sie wissen Bescheid hier?“ fragte ich den Schwager auf dem Bock; „ich will im ,Hirsch’ absteigen.“

Das gebräunte Gesicht unter dem Wachstuchhut sah mich verschmitzt lächelnd an.

„Bin ein Falkeroder Kind, Herr Baumeister; meine Alte ist fünfunddreißig Jahr botenweis gegangen nach Bernerode hinauf, auf alle die Dörfer und Mühlen – kenne Weg und Steg hier herum; übrigens giebt’s nur ein Gasthaus hier; der Herr hat keine Wahl; es liegt gleich um die Ecke des alten Hofpredigerhauses.“

Er wies mit der Peitsche auf ein hohes, finsteres Gebäude. – Also das mein Reiseziel!

Massig hob es sich empor mit seinem spitzgiebeligen Dache und den altersgrauen gewaltigen Mauern; den erblindeten Butzenscheiben der zahlreichen kleinen Fenster vermochte selbst die funkelnde Herbstsonne kein Blitzen abzuschmeicheln. Ein mächtiges Frontispiz mit dem Wappen des fürstlichen Hauses, dem springenden Hirsch, geschmückt, krönte das Ganze, und den decorativen Schmuck vollendeten schiefergedeckte Eckthürmchen nebst kunstvoll gearbeiteten Nischen von Sandstein; sie befanden sich zur Seite der mächtigen Eingangsthür, auf deren Rundbogen ich im raschen Vorbeifahren las:

Anno Domini 1605.

Ich hatte nicht lange Ruhe in dem sauberen Gasthof, an dessen primitiver Table d’hôte, welche ich mit zwei Handlungsreisenden und einem Förster theilte, mich sogar die Krammetsvögel nicht zu fesseln vermochten. Ich schickte den Burschen in kurzer Jacke, der mir als Kellner vorgestellt worden, gleich nach Tische zum Schloßcastellan mit der Frage, wann er mich in das Hofpredigerhaus führen könne; denn mir war die Weisung geworden, mich an diesen zu wenden, auch habe er Befehl erhalten, mich zu geleiten.

Der Alte sei über Land zur Taufe eines Enkels, berichtete athemlos der Kellner; die Frau habe das Reißen und könne nicht wohl mitgehen, aber wenn der Herr bis vier Uhr warten wollte – um vier Uhr käme „die Dorchen“ aus der Stadt zurück und könne mir aufschließen.

Was blieb mir übrig? Ich mußte schon auf Dorchen warten, und die vier Stunden mußten auf irgend eine Weise todtgeschlagen werden. Ich schrieb einen längeren Brief an meine Braut, als ich aber nach dessen glücklicher Expedirung in den Postschalter ungeduldig nach der Uhr sah, war es eben fünf Minuten über halb Drei; ich ergriff daher Hut und Stock, um in den Straßen des Städtchens ein wenig zu flaniren.

Auf dem freien Platze unterhalb des Schlosses war es noch ebenso einsam, wie vorhin; nur einige beerensuchende Kinder zogen mit klappernden Pantoffeln in den Wald, und ein Jägerbursche, dem ein großer Hund auf den Fersen folgte, verschwand pfeifend in einem mit Hirschgeweihen decorirten Hause.

„Die Oberförsterei vermuthlich,“ sagte ich halblaut und ließ meinen Blick über die den Platz begrenzenden Gebäude schweifen. Welch wunderbare Zusammenstellung! An den alten Renaissancebau des Hofpredigeramtes lehnte sich ein zweistöckiges Gebäude, jedenfalls dem Rococo entstammend; es war, als suchte es, wie eine alternde Schöne, seine Hinfälligkeit unter blaßrothem Anstriche und weißen Stuckguirlanden zu verstecken; dann wieder die schmucke, in Schweizerstil erbaute Oberförsterei und Wildmeisterei, und hier – was war das?

Ich hatte dem alten Hause den Rücken zugewendet und sah hinüber nach einem Baue, der sich am Fuße des bewaldeten Kegels, welcher das Schloß trägt, aus üppigem Grün emporhob. Einem griechischen Tempel nachgebildet, trugen auf stufenförmigem Unterbaue sechs schlanke dorische Säulen das Architrav mit dem krönenden Giebelfelde, und von diesem leuchtete und funkelte in der Herbstessonne die goldene Inschrift zu mir herüber:

„Apollini et Musis,
Anno D. 1670.“

„Dem Apoll und den Musen geweiht,“ sagte ich halblaut, „das Theater des kleinen Hofes.“

Unwillkürlich sah ich mich um; gegenüber lag das ehrwürdige Pastorhaus und schaute fast verächtlich mit halbblinden Augen sein leichtsinniges vis-à-vis an, das ihm so ostentativ vor der Nase lag – in wahrhaft antiker Schönheit.

„Eine merkwürdige Nachbarschaft,“ setzte ich mein Selbstgespräch fort, und schritt nun zu meinem eigentlichen Reiseziele hinüber. Alte ausgetretene Sandsteinstufen führten zu einer mächtigen eisenbeschlagenen Hausthür; drohende Lindwurmköpfe aus kunstvoller Bronze-Arbeit bildeten den Drücker und Klopfer, und auf dem Rundbogen las ich fast andächtig eine lateinische Inschrift aus dem Jahre 1605 – ich glaube, sie besagte: „Du, Gott, bist mein Heil. Was kann der Mensch mir schaden?“

Ich betrachtete noch eine Zeitlang das Haus und dachte schon jetzt mit herzlicher Freude daran, den alten schönen Bau zu renoviren. Grün und schattig lag hinter den eisernen Gitterthoren der Schloßgarten. Ich durchwanderte die prachtvollen Alleen, erstieg die Terrassen und bewunderte die rauschenden Springbrunnen und Cascaden. Auch hier kein Mensch – eine fast spukhafte Einsamkeit allenthalben! Ich promenirte um das ganze Schloß herum, stand auf der prächtigen aussichtsreichen Rotunde vor demselben; ich sah zu den geschlossenen langen Fensterreihen empor und ging über den einsamen Schloßhof. Ein starker Zugwind strich mir entgegen. Am Schilderhaus stand schläfrig ein Posten; aus der Wachtstube erscholl ein herzhaftes Gähnen.

Vielleicht weist mich Jemand hier hinaus, dachte ich und hoffte im Stillen, ein lebendes Wesen zu erblicken, das mich, wenn auch grob, doch wenigstens anspräche. Umsonst – ich hätte ruhig in das geöffnete Portal treten, durch alle Gemächer wandern können; mir wäre höchstens eine gespenstige weiße Dame begegnet.

Und plötzlich fand ich mich wirklich eingetreten und schritt die breite mattenbelegte Treppe empor. Eine Flügelthür gerade vor mir stand offen und ließ mir den Eingang in einen Saal frei, dessen Wände mit Portraits fast bedeckt waren. Man schien hier beim Aufräumen zu sein; denn es lagen Besen und Tücher am Boden, und an einigen Fenstern hatte man die Wetterrouleaux emporgezogen. Ich sah das nur flüchtig; denn mich fesselte zunächst dem Eingange das prächtig gemalte Bild einer Dame in der Tracht aus der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts: aus purpurrothem Sammet hob sich ein wunderbar weißer Hals, auf dem ein von braunem Gelocke umwallter feiner Kopf saß, anmuthig etwas zur Seite geneigt. Das schmale Gesicht hatte etwas unendlich Anziehendes durch ein Paar schwärmerische blaue Augen, die unter dunklen Brauen aufblickten; nur die feine, kurze Nase und ein fast zu voller rother Mund wollten kaum zu dem sinnenden Ausdruck der Augen passen, und dennoch war das Gesicht von bestrickendem Reize. „Louise Charlotte, Prinzessin zu Z.,“ las ich an der Verzierung des Rahmens. „Sie starb unvermählet im fünfundachtzigsten Jahre ihres Lebens,“ hatte man daneben notirt.

Ich wagte nicht, weiter in den Saal vorzudringen, sondern wandte mich nur noch einmal im Hinausgehen nach dem schönen Frauenkopfe um, dessen sinnender Blick mir zu folgen schien, und während ich die Treppe wieder hinunterschritt, grübelte ich nach, warum denn wohl diese reizende Prinzessin einsam geblieben? Meine Phantasie fühlte sich in dem spukhaft einsamen Schlosse zu allerlei Spielereien angeregt, combinirte mir wahrhafte Romane, in denen natürlich die schöne Louise Charlotte immer die unschuldig Leidende blieb.

Ungesehen gelangte ich über den Schloßhof, suchte eine der reizenden Lauben auf, hob keck die seidene Schnur, welche die Landesfarben trug – sie suchte mir vergeblich ein mahnendes „Verbotener Eingang!“ zuzurufen – und setzte mich auf eine der bequemen Bänke, entzückt von der herrlichen Berglandschaft, die im glühenden Scheine der späten Nachmittagssonne vor mir lag. Ich dachte mir dieses Schloß um zweihundert Jahre zurück, in die Zeit, da die Prinzessin gelebt und das kleine Schauspielhaus dort unten erbaut wurde. Ich erinnerte mich, daß die fürstliche Familie noch heute stolz darauf ist, die edle Kunst des Schauspiels mit am ehesten in Deutschland gepflegt zu haben. Im Geiste sah ich einen ehrwürdigen Hofprediger an das Fenster seines dort unten gelegenen Hauses treten; betrübt gewahrte er, wie das Volk zur Kurzweil und sündlichen Narrethei in den griechischen Tempel strömte – ich meinte seine Seufzer zu hören. Wer weiß, ob nicht die schöne Prinzessin das Komödienspiel protegirte? Schon wieder spann ich einen neuen Roman, der ganz verwegen darauf hinauslief, daß sie heimlich einen Komödianten liebte und, weil sie nicht die Seine werden durfte, unverheirathet blieb. Und bei der weiteren Ausschmückung dieses Capitels überkam mich die Müdigkeit – ich schlief ein, auf der fürstlichen Bank, in der verbotenen Laube.

Es schlug sechs Uhr vom Schloßthurme, als ich erwachte — [807] um vier Uhr hatte das unbekannte Dorchen meiner warten wollen. Schon senkte sich leichte Dämmerung über die Berge; es war windig geworden, und im Westen hatte sich schwarzes Gewölk gelagert, von der untergehenden Sonne mit blendendem Scheine umsäumt. Hastig eilte ich durch die verschlungenen Gänge den Schloßberg hinunter, vorüber an dem Theater, und stand bald tiefathmend vor der Pforte des alten Predigerhauses. Sie war nur angelehnt, ein mächtiger Schlüssel steckte von außen im Schlosse; also man wartete meiner.

Ein unangenehmes Rasseln begleitete das Oeffnen der schweren Thür, und vor mir that sich ein weiter Hausflur auf, in dessen Ecken schon farblos die Dämmerung lag. Ich schloß die Thür hinter mir und wartete auf das Dorchen – kein Laut im ganzen Hause!

„Ist denn hier Alles verhext und verzaubert?“ raisonnirte ich ärgerlich und riß die Thür mit der rasselnden Schelle heftig noch einmal auf, um sie gleich darauf geräuschvoll wieder zu schließen; es lärmte gewaltig und klang verdoppelt von den Wänden zurück, aber es rührte sich nichts.

Ich hatte Muße, mich hier vollständig zu orientiren: unter der Decke mächtiges dunkles Balkenwerk, hüben und drüben Thüren im Rundbogenstil, zu denen einige Stufen emporführten; geradeaus eine breite Treppe mit kunstreichem Eisengeländer und links und rechts von ihr ebenfalls zwei Bogenthüren, wahrscheinlich zu den Wirthschaftsräumen oder in den Garten führend. Die einst weiß getünchten Wände schmückten lebensgroße Oelbilder in schwarzen schmalen Holzrahmen, von Staub und Spinnengewebe überzogen und nachgedunkelt; ich konnte in dem einen Bilde, vor dem ich gerade stand, nur mit Mühe das Portrait eines geistlichen Herrn aus längst vergessenen Zeiten erkennen. Ich betrachtete sie einen Augenblick, das Warten darüber vergessend.

„Alte Schinken!“ sagte ich halblant, „deshalb wahrscheinlich hier verblieben.“

Und noch einmal aufhorchend, ob nicht endlich Jemand komme, wollte ich mich schon zum Gehen wenden, um nicht gar noch in die Bude eingeschlossen zu werden, als ein leiser schlürfender Tritt an mein Ohr tönte und gleich darauf eine kleine gebückte Frauengestalt die breite Treppe aus dem obern Gestock herunter kam: ein Mütterchen in altmodiger Kattunhaube; die Brille auf die Stirn geschoben, trug sie einen langen weißen Strickstrumpf in den knöchernen Händen, den sie nun gewandt unter den Arm schob, um mit zitternden Fingern ein Schlüsselbund loszunesteln, das ihr zur Seite hing. Sollte das Dorchen sein? Ich hatte sie mir eigentlich anders vorgestellt.

Nun, gleichviel – sie wollte wenigstens aufschließen. Ohne ein Wort zu sprechen, stieg sie wieder treppauf, und ich folgte ihr die ächzenden Stufen hinan, über einen gypsgegossenen Flur; vor einer altersbraunen eichenen Thür blieb sie stehen und öffnete. Ich trat in ein fast leeres Gemach, in dem nur ein grüner ungeheuerlicher Kachelofen zu bemerken war, daneben ein Tischchen, bedeckt mit mancherlei Papieren, und ein Stuhl.

„Das Haus ist schon lange unbewohnt?“ fragte ich meine schweigsame Begleiterin.

Ein stummes Kopfnicken war die Antwort, aber sie rückte dabei den Stuhl, wie um mich einzuladen, ich solle Platz nehmen.

„Was sind das für Papiere?“ forschte ich.

„Ein alter Plan des Hauses,“ erwiderte sie, „den Durchlaucht vor Jahren hat anfertigen lassen, als Sie einen Umbau vorhatten.“

„Ah so, jedenfalls angenehm, daß er schon vorhanden; es erspart mir Arbeit. – Das Haus ist völlig leer?“ erkundigte ich mich weiter, „kein Geräth und keine Möbel mehr?“

„Etwas altes Gerumpel, Herr, und was so noch in den Wandschränken steckt – sonst nichts!“

Sie räusperte sich und fuhr dann fort:

„Dorchen hat vorhin erst noch einen Wust alter Papiere gefunden, in dieser Stube, dort im Spind am Ofen; sie hat’s zusammengeklaubt und wieder hineingethan. Den Schrank haben wir auch so zufällig entdeckt; er war mit Tapeten überklebt und mag lange nicht offen gewesen sein; denn die Schriftstücke sind gelb geworden, und die Würmer treiben ihr Wesen damit; sie sind morsch zum Zerfallen.“

Ich hörte schweigend zu – die Stimme der Alten klang so monoton; es war beinah finster geworden, und die dumpfe Luft lag erstickend und schwer auf mir.

„Ich kann das Haus heute Abend nicht mehr besichtigen,“ sagte ich dann.

„Ja, der Herr war nicht grad’ pünktlich; wer kann’s ändern,“ erwiderte die Alte mit einem gewissermaßen vorwurfsvollen Ton; „hat die Dorchen doch schon zwei volle Stunden vergebens hier gesessen! Da hat sie denn überall umher gestöbert; sie sagt, die Weil wär ihr nicht lang worden; sie hätt’ in den alten Papieren gelesen; indeß, sie mußt’ Abendbrod besorgen – da ist sie nun fort. Sie weiß besser Bescheid als ich; ich kann nichts dafür.“

Ich stand in Gedanken, ärgerlich, daß der Tag verloren. Der Prinzessin hatte ich versprochen, gleich über den ersten Eindruck zu berichten: ich hätte so schön einen Anschlag machen können während des langen Herbstabends; was sollte ich nun beginnen? Schlafen? Ich war so völlig munter geworden nach meinem Schlummer. Punsch trinken? Darnach war die Stimmung nicht. Irgend etwas mußte doch –

Da blitzte mir ein Gedanke durch den Kopf.

„Könnte ich wohl Licht, etwas Abendbrod und Feuerung hierher bekommen?“ fragte ich. „Ich möchte noch ein wenig arbeiten.“

Die Alte schwieg mürrisch.

„Werde Dorchen fragen,“ murmelte sie dann und schlürfte langsam aus der Thür.

Nach einer Weile klang das Rasseln der Schelle durch das stille Haus, und in dem spärlichen Dämmerlichte sah ich die Frau über den Platz schwanken; der Wind zerrte an ihren Kleidern, und die ersten Regentropfen schlugen klatschend an die Scheiben.

So stand ich lange und sah zu dem Schlosse hinüber und zu dem kleinen Theater. Es war mir seltsam zu Muthe in dem öden alten Hause, um das der Wind jetzt so merkwürdig heulte, in dem unheimlichen Zwielicht um mich her. Wie manches Stückchen Menschenleid und Menschenfreud’ mochten diese Räume gesehen haben, wie manch ein Kind mochte hier geboren, wie Mancher hinausgetragen worden sein, und Allen war wohl das gemeinsame Loos beschieden, jubelnd Glück und tiefer Jammer, Enttäuschung und immer wieder Enttäuschung! Wer das gleich so Alles wüßte – wenn die stummen Wände zu erzählen vermöchten!

Eine Stunde mochte vergangen sein – da rasselte die alte Schelle wieder; das klang viel frischer als vorhin; dann kam ein leichter Frauentritt die Stufen herauf und näherte sich meiner Thür; mit einem fröhlichen „Guten Abend!“ ward diese geöffnet, und ein junges Mädchen erschien auf der Schwelle, ein Windlicht in der Hand, dessen Schein voll ihr frisches Gesichtchen traf. Am Arm trug sie einen Henkelkorb, aus dem ein Flaschenhals verheißend hervorlugte.

Ohne sich mit langer Vorrede aufzuhalten, ging sie rasch an ein Gemüthlichmachen des Zimmers, zuerst an den Ofen, in dessen weitem Rachen bald prasselnd die Buchenscheite brannten; dann ward im Umsehen aus dem Nebenzimmer ein zweiter Tisch herbeigeholt, fingerdicker Staub abgewischt, ein blendend weißes Tuch aufgedeckt und gar appetitlich mit kalter Küche und Wein besetzt. Ein ungeheurer Ohrenstuhl mit defectem Ueberzug stand bald davor; die Läden wurden vor die Fenster geschlagen; die Lampe brannte, und so wohnlich es in einem leeren Zimmer nur je aussehen kann, war es hier geworden.

Als das hübsche Mädchen mit ihren Anordnungen fertig war, blieb sie stehen und sah mich lächelnd an:

„Wunderlich ist’s doch, Herr Baumeister,“ begann sie, „bei meinem Enkel, dem Hirschwirth, ist es so gemüthlich Abends in der Gaststube; er sticht heut echtes Bier an, und der Schloßteich ist gefischt: es giebt delicate Schleie und Karpfen; die sämmtlichen Beamten sind da, sogar der Herr Oberförster und der Rentmeister, und Sie setzen sich in das alte spukhafte Haus und wollen studiren, wie die Großmutter sagt?“

„Ich denke, Sie haben das heute auch gethan, Fräulein Dorchen? Sie haben ja wohl sogar einen Fund gemacht?“

Sie nickte.

„Freilich! Aber das ist nichts für Sie; das hat ein Frauenzimmer geschrieben; Christiane heißt sie, und hier im Hause wohnte sie – soviel habe ich herausgekriegt, und des Pastors Tochter ist sie gewesen. Da ist das Zeug.“

Sie öffnete mit Mühe einen schmalen Wandschrank; eine [808] Wolke von Staub zog ihr entgegen, und gelbes Wurmmehl stäubte auf ihr schwarzes Schürzchen. Sie legte einige ganz vergilbte, mit einem verblichenen Bande umwickelte Blätter vor mir hin.

„Vielleicht lesen Sie es doch, Herr Baumeister; wenn es hübsch ist, können Sie mir’s erzählen. – Gute Nacht! Die Hausthür bleibt offen; es ist nichts zu stehlen hier. Der Großvater kommt jeden Augenblick vom Taufen zurück,“ setzte sie hinzu, „da will ich daheim sein.“

Ich hörte sie die Treppe hinunter eilen und die Schelle rasseln; dann war ich allein. Ich aß zerstreut zu Abend; denn meine Augen hingen wie gebannt an den alten Blättern; ich zog den von Motten zerfressenen Lehnstuhl an den Ofen, holte das Tischchen mit den Papieren herbei und machte mich daran, mir die Pläne anzusehen, aber über sie hinweg griff ich doch mechanisch nach dem vergilbten Päckchen und begann zu lesen – ich vergaß alles Andere darüber.

Draußen rüttelte der Wind an den Läden, daß es ächzte und unheimlich durch das öde Haus scholl, mir aber war es gar bald nicht mehr öde zu Sinn; denn die, so einstmals hier gewohnt, wanderten wieder durch die Räume, in Leben und Wirklichkeit.

Und hier die einfache Geschichte, wie ich sie später abgeschrieben von den morschen zerfallenden Blättern, um sie meiner Braut auf den Weihnachtstisch zu legen, ein Stücklein Menschenleben aus längst vergangener Zeit:

„,Tu mihi Jova salus
quid mihi faxit homo?

Also stehet geschrieben über der Pfordten dieses Hauses, in welchem ich geboren und gelebet bis itzo, und das ich erst dann verlassen werde, so man mich hinausträgt, ein stilles Weib. Ich weiß, wann ich gestorben, wird ein Lächeln sein um meinen Mund; denn meine Sehnsucht ist sodann gestillet.

Ein schön und herrlich Sprüchlein das obige – ‚Du, Gott, bist mein Heil – was kann der Mensch mir schaden?‘ und dennoch ist lange Zeit verflossen, bis ich es verstehen lernte; denn bitter Leid ist mir widerfahren von den Menschen, so bitter und wehe, daß mein Herze selbst von Gott nichts zu wissen begehrete, dieweilen Er Solches zuließ.

Viel Trübsal und schwer Bedrängniß ward mir zu Theil, so mich jahrelang in dunklen Banden hielt, und als es heller um mich zu werden begunnte, und mein verdüstert Gemüth sich Dem wieder zuwendete, der jeglich Schicksal lenket, da erblickte ich in meinem Spiegelein ein verfallen Antlitz, und graue Haare auf meinem Haupte. Geht manch Einem so! Die Jugend ringet schier ungestüm und trotzig gegen hartes Loos, dann versagen mählig die Kräfte; Demuth und Milde kehren zurück, die so lang fern weileten, und zum Ende wissen wir dankbarlich die Hände zu falten und zu sprechen: ‚Du, Herr, bist mein Heil – was kann der Mensch mir schaden?‘

Darum vermag ich auch itzo ruhig das niederzuschreiben, was mir lange Zeit ein brennend Wehe schuf. Möchte wohl, daß Alle die es leseten, so ich in meines Herzens Leerheit und Bitterkeit wehegethan und so dennoch manch barmherzig und tröstend Wortlein hatten für das einsame herbe Weib, das fremd an ihnen vorüber zu schreiten pflegete. Möge es ihnen dereinsten reich vergolten werden, hienieden und dorten! Und so beginne ich denn in Gottesnamen:

Anno Domini 1699.     

An die fünfzig Jahre sind es her, daß meine Wiege hier im selbigen Zimmer ist geschaukelt worden. An einem Sonntag war es, im August; – Sonntagskinder sollen gemeiniglich Glück haben. Und es hat nicht gefehlet, daß man mir dieses oft genug erzählet und geweissaget hat; Base Wieschen meinte sogar, ein Sonntagskind, das, wie ich, beim Glockenläuten geboren, wisse mehr Dinge, denn andere Menschen, könne sogar verstehen, was die Vögel reden, – die Prophezeiung ist aber nimmer wahr geworden; ah, es giebt wohl Ausnahmen in der Regel.

Von meiner ersten Jugend weiß ich wenig, nur daß es sehr still war in unserem Hause; denn der Hofprediger, mein Vater, war ein finsterer Mann, dessen ernsten Mund ich niemalen habe lachen gesehen, saß stets vertiefet über den Büchern in seinem Studirstüblein, wenn ihn nicht sein geistlich Amt zur Schulen oder Kirchen rief – entsinne mich gar wohl der vielen stillen Stunden in der großen Wohnstube linker Hand mit dem schweren Eichentisch zwischen den Fenstern, dem bunten Kachelofen, dem schmalen Faulbette und dem knisternden Sand auf dem gypsgegossenen Estrich. Allda saß in der tiefgewölbten Fensternische spinnend oder nähend mein Mütterlein und ich zu ihren Füßen, eine Tannennadel an einem Faden gebunden und ein bunt Läppchen in den Kinderhänden, eifrig ihr nachahmend, indessen Base Wieschen, ein alt Weiblein aus der Mutter Sippe, so in unserem Hause Unterkunft gefunden, gar anmuthige oder schauervolle Märlein erzählte.

Die Lippen der Alten verstummeten freilich geschwind, sobald der Vater in’s Gemach trat; der nannte sie ein abergläubisch Weib, das arge Sünde thue und schwerlich droben in Gnaden eingehen werde, bleibe sie bei ihrem Unglauben. Die Alte pflegte dann den Kopf zu senken, um ihn, sobald der Vielgestrenge zur Thür hinaus war, desto sieghafter zu erheben.

‚Und es ist dennoch wahr,‘ behauptete sie kühnlich, ‚es giebt einen wilden Jäger; es giebt Hexen und Unholde da droben in den Bergen, davon selbst hochgelehrte geistliche Herren nichts hinwegzuspotten vermögen, ob sie gleich mit Bann und Segen, mit Kreuz und Wort dawider schaffen, und wenn ich nur ein Lossickelcken[1] hätt, es könnt auch diesem Hause nicht schaden.‘

Zur Zeit der Sommervacanz, dann ward’s lustig in Haus und Garten, dann kamen eines Abends mit Sonnenuntergang zween schlanke jungfeine Gesellen dahergewandert, bestäubet und heiß, aber mit heller Freude auf dem Antlitz, und die Mutter stund auf der Treppe, und ihr sonst so ernstes Gesicht lachte ihnen entgegen. Aus der Küche duftete es gar lecker nach Safranküchlein in Oel geschmälzet, so das Leib- und Magenessen meiner Brüder war.

Hei! Gab es da eine Lust für mich, die ich sonst jeder Jugendfreude entbehrete! Wenn die Söhne dann vom gestrengen Herrn Vater scharf examiniret waren, wenn das Mutterauge sich satt an ihnen gesehen und die Gute sich nun emsig mühete, die zerrissenen Kleider zu flicken und neue hinzuzuschaffen, o, dann zogen wir hinaus in das schattige Gärtlein, hinaus in die grünen Buchenwälder, so weit, daß uns nirgend mehr ein Mensch begegnete, und nur noch dann und wann ein flüchtend Reh vor uns durch das Gestrüppe brach, oder hoch oben in den Lüften ein Raubvogel schrie. Brauchte auch nimmer bang zu sein vor weiten Wegen; wenn meine Füße müd, so nahmen mich die Brüder empor und hoben mich auf ihre in einander geschränkten Arme. ‚Englein tragen‘, also nannten wir es, und da saß ich dann zwischen ihnen, einen grünen Kranz auf den blonden Zöpfen, einen Strauß Waldblumen in der Hand, schier wie eine Prinzessin in der Sänfte, und hüben und drüben lachten mich die liebjungen Augen der Beiden an.

Ein Paar schmucke Gesellen fürwahr, schlank wie die Tannen und biegsam wie die Birken, die in unserem Walde zwischen den Buchen allerorten stehen! Beide brav, Beide herzlieb, aber Conradus blieb mir jederzeit der Beste, der Schönste und Bravste. War er gleich stiller und neckete nicht so viel, konnte er gleich nicht so herzfröhlich lachen, so hat doch allezeit ein Wörtlein aus seinem Munde mich froher gemacht, denn die zärtlichsten Kosenamen, mit denen Walther sein Schwesterlein schier zu überschütten pflegte.

Mein liebster Aufenthalt aber war der fürstliche Lustgarten. Stundenlang konnte ich da in irgend einem heimlichen Winkel liegen, und blinzelnd durch dichtes laubiges Geäst auf das Schloß hinschauen, das gleichwohl gar hochmüthig mit seinen stolzen Fensterreihen an mir vorüber zu blicken schien. All was dorten geschah und geschehen mußte, wie ich es in meiner kindlichen Phantasie ausmalete, beschäftigte mich lebhaft, und kam mein Vater vom Schlosse zurück, allwo er wöchentlich zweimalen aufwartete, so wich ich nicht aus seinem Stüblein, bis ich erlauschet, ob er Prinzessin Liselotte gesehen.

Prinzessin Liselotte! Wie oft hab’ ich von ihr geträumt, wie oft stundenlang hinter den Büschen des Schloßberges gehockt, nur um sie rasch vorüberfahren zu sehen. Dann preßte ich die Hände zusammen und hielt den Athem an vor Lust; Schöneres konnt’ es ja nimmer geben in meinen Augen, als das runde, rosige Antlitz unter dem braunen Gelock, so sich nach neuster Mode à la paysanne gar anmuthig um den feinen Kopf bauschte, als die glänzenden tiefblauen Augen und das allzeit fröhliche Lachen um den vollen kleinen Mund. Ei, sie stehet noch heut so deutlich vor mir in dem rothseidnen Schnebbenleibchen, das tief den weißen Hals sehen ließ und sich so gar eng um den schlanken Leib spannete; ich sehe noch das glitzernde [809]

Album schöner Frauenköpfe: 0 5. Studienkopf.
Nach dem Oelgemälde von R. Beyschlag.




Spangenwerk und meine den sammten Schweif rauschen zu hören, hinter der schönen Prinzessin Liselotte.

Jedesmal wenn ihr Wagen an unserem Hause vorüber rollte, hob sich der seidene Vorhang ein wenig, und ihre Augen suchten unsere Fenster, und meine Mutter pflegte dann ehrerbietig aufzustehen und eine unterthänige reverence zu machen, so gewöhnlich mit einer gar lieblichen Bewegung des goldgestickten prinzlichen Lederhandschuhes erwidert wurde. O, Prinzessin Liselotte war unserem Hause allezeit zugethan, und sie war Pathin zu dem Conradus, und jedes Jahr verehrte sie ihm zehn blanke Mansfelder Thaler in sein Sparbüchslein, und von Serenissimo, dem Bruder der Prinzeß, hatte er eine Zusage für reiche Stipendien und das Versprechen, dereinsten nach des Vaters Emeritirung allhier Hofprediger zu werden.

[810] Gar oft sagte meine Mutter zu mir, wann die Karosse der Prinzessin mit dem Isabellengespann aus dem Schloßgarten durch die Gitterpforten rollte: ‚Geh vor die Hausthür, Christiane, faß Dein Röcklein und mach ein compliment! Prinzeß Liselotte kombt anitzt.‘ Und dann stand ich auf den Stufen der Treppe mit pochendem Kindesherzen und sah das schöne Frauenhaupt sich vorbeugen. Ich weiß nicht, wie es kam, aber es dünkte mich oftmals, es sei das Lachen von ihren Lippen gewichen, da sie unser Haus geschauet. –

Prinzessin Liselotte war unvermählet geblieben. ‚Sie schlägt alle Freier aus,‘ behauptete Base Wieschen. Base Wieschen wußte auch, sie sei hochmüthig und leichtsinnig. Das klang meinen Ohren nicht wohl, und ich begann zu weinen darum.

Die Sonntage meiner Kinderzeit, sie leuchten wie güldne Sternlein aus meiner Erinnerung. Wie feierlich war es schon beim Erwachen, wie schön erschien mir das Röckchen von grünwollnem Atlas, mit dem Base Wieschen mich schmückte! Im ganzen Hause duftete es gar lieblich nach frischen Tannenzweigen, die wir Tages zuvor aus dem Walde geholet, und die nun, klein zerpflücket, auf dem weißen Sande des Estrichs lagen. Kaum geredet wurde beim Morgensüpplein; das theilete der Vater heute nicht mit uns. Er pflegte beim ersten Anläuten langsam feierlich im schwarzen Talar aus seinem Studirstüblein zu treten und gemessenen Schrittes den Schloßberg hinanzuwandeln, denn dazumalen war noch der Gottesdienst in der Kapellen, innerhalb der fürstlichen Gemächer. Klangen zum drittenmale die Glocken, so folgten wir zur Kirche, auf meinem Gebetbüchlein aber fand ich jedesmal einen frischen Strauß, zumeist rother und gesprenkelter Nägelein, deren würziger Duft mir der liebste war unter den Blumen. Das hatte Conradus gethan. Und dann faßte ich seine Hand, so gingen wir zusammen, die Mutter mit Walther folgte.

Von des Vaters Predigten verstand ich nicht viel, von all seinen Reden ist mir nur eine erinnerlich geblieben, die, so er an dem Tage hielt, da Conradus und Walther confirmiret wurden. Alles andere flog wie leerer Schall an meinen Ohren vorüber, denn ich sah immer nur Eines in der Kirchen, und das war Prinzeß Liselotte. Gar oft beim sonntäglichen Abendbrode, wann der Vater uns über den Text seiner Predigt ausforschete, um zu sehen, ob das Samenkorn, so er gesäet, auf guten Boden gefallen, wußte ich nimmer Bescheid zu thun, und er zürnte dann:

‚Träumerin, woran denkst Du in unseres Gottes Hause?‘

Conradus aber erging es vielemale nicht anders, und das war schlimmer, da er doch dem geistlichen Stande bestimmet war. Und eines Sonntages geschah es, daß ein heftiger Auftritt uns Alle sehr erregete. Damals zählte Conradus sechszehn Jahre und gedachte im Herbst das Gymnasium zu absolviren, um darnach in Helmstedt seine studia theologica zu beginnen.

Es war nach der Abendmahlzeit und ein regnerisch Wetter hielt uns in der Stuben, nur Walther war in die Wildmeisterei geschlichen, den Fuchs an der Kette zu necken, mit den Hunden zu spielen und sich von den Jägerburschen sonderliche Abenteuer berichten zu lassen. In der Dämmerung hockte ich am Fenster und schauete nach dem Schlosse hinauf, wo ein Lichtlein nach dem andern aufflammete, Conradus aber lehnte mir gegenüber in der tiefen Wölbung und sah träumend hinaus, wo Regen und Wind selbander kämpften; die Mutter schaffte in der Gesindestube.

,Wie denkest Du, Conrade,’ fragte dann auf einmal des Vaters Stimme dicht neben uns, daß wir erschrocken emporfuhren; ‚wie denkest Du über die Auslegung des Vaterunser, wie ich sie heute vorgebracht in meinem Sermönlein? Es stehet geschrieben: Führe uns nicht in Versuchung! Unser Herr Christus hat siegreich bestanden, aber kann es dem schwachen Menschen als eine so große Sünde angerechnet werden, so er nicht standhaft ist, wiewohl er doch verlocket und verblendet wird von höllischer Macht?‘

Sein jung blaß Gesicht färbte sich dunkelroth, er schwieg.

‚Ich wage nicht, Entscheid zu thun,‘ antwortete er dann.

‚Weil Du zu faul bist zum Nachdenken!‘ brauste jäh der Vater auf, ‚sonsten würdest Du sagen müssen „mit unserer Kraft allein vermögen wir solches nicht, so uns Gott nicht gnädig hilft.“‘ Der Vater hatt' absonderlich heftig gesprochen. ‚Du solltest Dein Augenmerk mehr auf diese Materiam richten,‘ fuhr er fort. ‚Woran denkest Du, welch’ thörichte Sachen treibest Du? Ist es schicklich für einen angehenden Studiosum theologiae, Verse zu machen, die an Farbe und Gluth jene übertreffen, so Du im Ovidio liesest?‘

Und er hielt zorniglich ein Blättlein Papier dem Sohne vor die Augen, der aber war mit einem Satze vom Fenstertritt herunter, und lag auf den Knieen vor dem Vater.

‚Ich bitte Euch,‘ rief er schier außer sich, ‚lasset mich ein ander Studium erwählen, so paßlicher ist für mich!‘

Der ernste Mann antwortete nicht, es war ein unheimlich Schweigen in dem Gemach; nur der Regen schlug an die Fenster und der Wind rüttelte die Läden.

‚Geh' hinaus, Christiane,‘ gebot der Vater, da ging ich und setzete mich in der Küche auf die Herdbank und faltete die Hände; denn ich ahnete, daß sich dort innen das Glück oder Unglück eines Menschenlebens entschied.

Die Base saß und schlief, und ein Heimchen zirpete am Herde, dann schritt die Mutter leisen Fußes über den knisternden Sand des Flurs; eine Stubenthür knarrete, und jetzt ward es ganz stille, lange – lange. Und nun gingen wankende Schritte die Stiegen hinan – das war Conradus. Ich stund auf, ihm zu folgen, da hörete ich der Mutter flüsternde Stimme:

‚Conrade! Conrade! Laß mich noch reden mit Dir, mein herzliebes Kind! Haben wir nicht allzeit als treue Eltern gesorget für Dich?‘

Er aber stürmete hinauf, und die Mutter eilte ihm nach, eine Thür schloß sich oben, und bangen Herzens schlich ich in mein Kämmerlein, das ich mit Base Wieschen theilete, und dorten lag ich und kunnt nimmer schlafen.

Die Alte ruhete längst im Schlummer, als ich Tritte vernahm auf dem Vorplatze, ich warf mein roth Röcklein über und schlich hinaus, da sah ich Conradus in dem falben Dämmerlichte, das der Mond trotz der Regenwolken spendete, auf der obersten Treppenstufe sitzen, er hielt die Hände vor dem Antlitz. Ich lief zu ihm und schlug die Arme um seinen Hals, ‚Conrade, warum weinest Du?‘ Da hob er sein Gesicht, es sah schier aus wie das eines Todten. Ich hockte neben ihn und liebkosete ihn, und dabei tastete ich von ohngefähr auf etwas – was war das? sein Reisetäschlein, wohlgepackt und verwahrt, und sein Wanderstecken lag daneben.

‚Was willst Du thun, Conrade?‘ fragte ich erschrocken.

‚Ich weiß es nicht, Christiane, der Kopf ist mir gar so heiß – am liebsten ginge ich fort und käme niemalen wieder, am allerliebsten aber möcht' ich sterben –'

‚Aber hast Du denn die Mutter nicht lieb?‘ forschete ich in großer Herzensangst. Da fuhr er empor wie von Schlangenbissen gestochen, und dann senkete er den Kopf gegen die Säule der Stiege und begunnte bitterlich zu weinen.

So saßen wir stumm neben einander, und endlich küssete er mich auf den Mund und sagte: ‚Geh schlafen, Christel, Du verstehest nicht, weshalb ich weine.‘ Und er nahm mich auf den Arm, damit meine nackten Füße den kalten Gyps nicht berührten, und ich küssete ihn wieder und schlang die Arme um ihn und nennete ihn meinen lieben, herzlieben Bruder und fragte, ob er jetzund schlafen gehen werde und bei uns bleiben? Da vernahm ich ein ‚Ja!‘ aber es klang schier verzagend und leise.“

(Fortsetzung folgt.)




Populäre heimische Vögel auf der Anklagebank.
Eine praktische vogelkundliche Untersuchung.
Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.
(Schluß.)


3. Eisvogel und Wasseramsel.

Es ist im volkswirthschaftlichen Interesse freudig zu begrüßen, daß zum Zweck einer stärkeren Bevölkerung unserer Gewässer mit schmackhaften Fischen größere und kleinere Gesellschaften in neuerer Zeit eine segensreiche Arbeit beginnen. Zum Schutz der Fischereien reichen sich Regierungen und Freunde des Volkswohls die Hände, und man folgt dabei auch mit Recht den Winken der Autoritäten, um durch Verfolgung und Vertilgung [811] der Feinde der Fische die Schongesetze und die Schutzmaßregeln zu unterstützen.

Nun zählt man aber ganz irrthümlich unter die Feinde der Fische auch Thiere, deren Eingriffe in den Fischbestand nicht von solchem Belang sind, daß man berechtigt wäre, sie für vogelfrei zu erklären und so hat man denn auch, bewogen durch eine überspannte Liebe zum Fischereigewerbe und zur Fischzucht, neuerdings zwei Vögel ganz ungerechtfertigter Weise vor Gericht gezogen. Eisvogel und Wasseramsel - ja sie haben sogar an gewisser Stelle schon ihr Urtheil empfangen - das Todesurtheil.

Den Eisvogel, diesen fliegenden Edelstein, dessen Smaragd- und Lasurschiller das Auge des Menschen wahrhaft entzückt, brauchen wir nicht näher zu schildern denn alle Welt kennt ihn, und sein Bild ist dem Leser durch die „Gartenlaube“ (Jahrg. 1870,S. 388) bereits vorgeführt worden. Das Minnespiel eines Eisvogelpaares im Frühling oder das Treiben der Alten und der ausgeflogenen Jungen im Sommer prägen sich dem Naturfreunde unvergeßlich ein, wenn sein beobachtender Blick sich einmal daran ergötzt hat. Ein solches Juwel unserer Gewässer der Vernichtung preiszugeben - dieser Entschluß kann nur gebilligt werden, wenn der Verurtheilte des schweren Verbrechens völlig überwiesen ist und kein Milderungsgrund das Strafmaß oder die Strafart abzuschwächen vermag.

Wohl steht der Eisvogel seiner Natur und Körperbeschaffenheit nach als ausgeprägter Fischfresser in der Reihe der befiederten Fischjäger. Man betrachte nur den langen, geraden, vierseitigen Schnabel und den keilförmigen Bau seiner ganzen Gestaltung, und man wird hierin schon die typische Grundlage zu einem tüchtigen Taucher, Ruderer und Stoßfischer erblicken.

In der That liegt er der Fischjagd vom frühen Morgen bis zum späten Abend ob, und lauernd sitzt er an Wehren, auf Schleußen und seinen sonstigen Lieblingsplätzen, um sich kopfüber in das Wasser zu stürzen, sobald sich ihm ein Opfer darbietet. Doch stößt er auf seinen Fischjagden nach unserer sorgfältigen Beobachtung sehr oft fehl, zumal wenn das Wasser trüb ist. Auch betreibt er keineswegs ganz nebensächlich die Insectenjagd, mit Vorliebe sogar die Verfolgung der Libellen. Er erscheint überaus als rastloser Fischer, und da er ausgezeichnet verdaut und sich nach kurzer Siesta durch den Auswurf des Gewöllballens den Appetit immer wieder erneuert, so darf die täglich ihm zur Beute fallende Anzahl kleiner Fische nicht unterschätzt werden.

Nun entsteht die Frage, in wie fern ein solcher Raub den vorhandenen Fischbestand schädigt.

Zunächst fällt entlastend für den Schaden der Umstand ins Gewicht, daß die eigentliche Heimath des Eisvogels die Ebene bildet mit ihren größeren und breiteren Flüssen, welche reich sind an allerlei gemeinen Fischarten, besonders an kleinen Fischen, welche eben ihrer Unbedeutendheit wegen gar nicht oder nur in sehr geringem Umfange den Menschen zur Nahrung dienen und etwa nur als Futter für Raubfische willkommen erscheinen. Unter diesen Arten und weniger unter den edleren Fischen räumt der Eisvogel auf, aber seine Räubereien sind außerdem schon darum für den Fischer weniger empfindlich, weil er ein weites Jagdgebiet beherrscht, das oft eine viertel oder halbe Stunde Weges beträgt; denn die verschiedenen Paare grenzen eifersüchtig ihre Wohngebiete gegen einander ab. Die in der Nähe von großen Flüssen liegenden Teiche werden ab und zu auch von dem Eisvogel besucht, aber auch hier hält er sich hauptsächlich an die werthloseren Fische, wenn sie ihm durch Fürsorge der Teichbesitzer geboten werden.

Anders freilich verhält es sich mit seinem Raube in den Gebirgsgewässern, welche seicht sind und vorzüglich die edle Forelle beherbergen. Wäre er da so häufig vertreten, wie in der Ebene, so würde man genöthigt sein, sein Artcontingent zu beschränken. Aber wie wenige Paare trifft der Forscher und Beobachter im Gebirge an, wie hoch erfreut ist er, wenn er an einer Mühle endlich auf einen Eisvogel stößt! Und nun gar im Winter, wo die Nahrung des Eisvogels lediglich aus Fischen besteht! Er weicht alsdann dem Gebirgsklima aus oder wird oft, wie in dem kalten Jahre 1879, ein Opfer des Todes. Hier, wie in der Ebene hat die allwaltende, ausgleichende Natur Sorge getragen, daß seine Vermehrung nicht allzu bedenklich werde: den Bruten der Eisvögel drohen die Elemente und gewisse Thiere sehr häufig Zerstörung.

Nur an Fischzüchtereien soll man den Eisvogel nicht dulden. Da verurtheile und vertilge man ihn! Fern von denselben aber verdient dieser brillanteste der europäischen Vögel rücksichtsvolle Schonung. Nichtsdestoweniger hat der Fischerei-Verein in Kassel die Entfernung des Eisvogels aus der Reihe der durch das Gesetz geschützten Vögel bei der betreffenden Regierung durchgesetzt, sodaß seine Tödtung mit einer Prämie belohnt wird, und ein gleiches Schicksal theilt mit ihm die anmuthige, allerliebste Wasseramsel (Cinclus aquaticus), der Sänger der klaren, kies- und steinreichen, erlenbewachsenen Gebirgsflüßchen

Die Thierschutzvereine haben gegen diese unbillige Maßregel Protest eingelegt, und unser Gutachten über das Verhältniß beider Vogelgattungen erbeten. Wir haben uns mit den besten Gründen dem Proteste angeschlossen.

Wir sind es allerdings gewesen, die zuerst durch tagelange Beobachtungen mittelst des Doppelperspectivs im Freien zu der Einsicht gelangt sind, daß und wie die Wasseramsel die Fischjagd betreibt. Auf die von uns erlangten Resultate berief sich der Fischerei-Verein ohne zu vermuthen, daß der Vogel trotz seiner Vorliebe für Fischfleisch unserer warmen Fürsprache sicher sei.

Die Grundstimmung der weniger bekannten und nur im Gebirge heimischen Wasseramsel ist eine auffallend heitere und findet in den sich häufig wiederholenden Knicksen des Vogels ihren charakteristischen Ausdruck. Die Wasseramsel taucht vortrefflich, schwimmt mit raschen Ruderstößen, als ob sie durchs Wasser stiege, und läuft sogar ganze Strecken auf dem Boden der Gewässer. An klaren, seichten Stellen erbeutet sie die kleinen Fische durch raschen Sturz in das Wasser, jedoch nicht als Stoßfischer; an tieferen Plätzen, namentlich in der Fluth und an Orten, die von Wassergewächsen umgeben sind, gebraucht sie, schwimmend und am Ufer watend, den Schnabel, ähnlich der Ente, als Tastwerkzeug. Oder sie stürzt sich auch in die Tiefe und treibt die Fischchen in die Enge, wo sie dann leichter von ihr ergriffen werden können.

Die stecknadelgroßen Fischchen verschlingt sie ganz, die größeren zerstückt sie auf Steinen oder am Ufer mit Schnabelhieben. Im Frühjahre 1879 haben wir bei hoher, reißender Fluth im Flüßchen Schwalm bei Alsfeld mehrere Paare beobachtet, wie sie sich vereinigt der Fischjagd hingaben. Mit bewundernswürdiger Gewandtheit fingen die Wasseramseln die winzigen Fischchen, und da ihnen andere Nahrung mangelte, so war ihre Ausbeute eine beträchtliche. Nachdem aber der normale Wasserstand wieder eingetreten war, fanden wir die Paare auf je zwei Kilometer Entfernung von einander getrennt und hauptsächlich der Jagd auf den Flohkrebs (Gammarus pulex), ein zwanzig Millimeter langes Thierchen, welches unter Steinen, im Uferrasen und Schlamm des Flüßchens und der Mühlgräben lebt, eifrig hingegeben. Der Vogel wälzte sogar mit dem Schnabel faustdicke Steine am seichten Ufer um und pickte eilend die darunter befindlichen Flohkrebse im Wasser auf - ein Beweis seiner Vorliebe für diese Nahrung.

Im Winter bildet der Flohkrebs, wie wir uns unwiderleglich überzeugt haben, die Hauptnahrung der Wasseramsel, und was sie da an Fischchen erbeutet, berührt nur in verschwindendem Maße den Bestand der Forellen, die sich in der Tiefe halten. Im Sommer aber tritt die Fischjagd zurück vor der Menge der Wasserinsecten und den Weichtieren, die dieser Vogel nicht weniger als die Fische liebt. Hauptsächlich sind es dann auch Insecten und Flohkrebse, mit welchen er seine Jungen im Neste und bei der Führung außerhalb desselben füttert. Das Paar beherrscht die bereits angegebene Strecke von zwei Kilometern und duldet in seinem Jagdgebiete kein zweites Paar, es sei denn zur Zeit der Noth, welche im strengsten Winter eintreten kann, und außerdem bei Hochfluth. Die Schädigung des Fischlaichs durch die Wasseramsel ist kaum in Anschlag zu bringen, jedenfalls aber nicht im Entferntesten mit der Raubtätigkeit unserer zahmen Enten nach dieser Richtung hin zu vergleichen. Eine Uebervölkerung der Wasseramsel ist vermöge der Unduldsamkeit derselben gegen Ihresgleichen nicht möglich. Selbst die Jungen müssen, sobald sie selbstständig geworden sind, der rücksichtslosen Herrschsucht und Selbstsucht ihrer Artgenossen weichen und sehr oft in andere Fluß- oder Bachthäler auswandern.

Gestützt auf unsere gründlichen Untersuchungen und Beobachtungen rufen wir den Verfolgern der Wasseramsel ein ernstes Halt zu und alle Regierungen zum Schutze der verkannten und mißhandelten Vögel an. Wir wiederholen an dieser Stelle, was wir in unserem eben scheinenden illustrirten Werke „Thiere der [812] Heimath. Deutschlands Säugethiere und Vögel. Verlag von Theodor Fischer in Kassel“ zur Erhaltung der Wasseramsel sagen:

„So lange im Gebirge Krystallwellen über Kiesgrund rieseln, schaumbenetztes Felsgestein das bemooste Haupt aus der Strömung erhebt, geschwätzige Mühlen aus den Erlenwäldchen hervorschauen und die muntere Forelle aus der Stromschnelle emporspringt, so lange soll auch der Wasserschwätzer einstimmen in das Murmeln und Klingen hier oben und seine belebende Erscheinung der Gebirgsnatur Anmuth und Reiz verleihen.“ -


4. Haustaube.

Unter den Vögeln wird endlich noch unsere Haustaube angeklagt, sie fliege auf das Feld und suche dort ihre Nahrung. Das bestehende Gebot des Einsperrens der Haustauben zur Zeit der Aussaat der Feldfrüchte im Frühjahre und Spätherbste beruht auf der Annahme, daß die Tauben im Felde dem Landwirthe nicht unbeträchtlichen Schaden zufügen. Neuerdings haben sich von verschiedenen Seiten Stimmen gegen diese Maßregel erhoben, und die Opposition stützt sich auf die Behauptung, daß die Tauben durch Vertilgen einer Menge von Unkrautsamen beträchtlichen Nutzen stiften, die Fruchtkörner dagegen verschmähen oder doch wenigstens zur Zeit der Aussaat nur solche Saatfrüchte wegpicken, welche auf der Oberfläche der Aecker frei liegen bleiben, somit dort nicht aufkeimen können und ohnehin verloren sind.

Dagegen[s 1] läßt sich nun Manches einwenden. Untersuchen wir zunächst die Kröpfe der Tauben zur Ernte- und Saatzeit! Wir brauchen sie nicht einmal aufzuschneiden, sondern nur von außen aufmerksam zu befühlen, denn schon bei dieser Untersuchung erkennt man deutlich die Erbse, die Gerste, den Hafer und anderes Fruchtkorn zwischen den Fingern. Schlachtet man gar die Taube, so findet man den untrüglichsten Beweis in den unverdauten Fruchtkörnern des Kropfinhaltes. Namentlich fällt die Taube über die Frühjahrssaat her, weil ihr das Feld zu jener Zeit noch wenig oder keine andere Nahrung bietet. Was nun aber das Vertilgen des Unkrautsamens betrifft, so fällt diese Thätigkeit der Tauben nur zum geringsten Theil in die Saat- und Erntezeit für Feldfrüchte, vielmehr hauptsächlich in die Sommermonate, wo die Früchte des Feldes noch stehen und den gefräßigen Vögeln für sich und ihre Bruten keine andere Nahrung draußen erreichbar ist, als der Same des weitverbreiteten Unkrauts auf den Feldern auf Triften und Wiesen. Uebrigens reicht oft dieses Futter zur erwähnten Zeit nicht aus, und eine Folge davon ist das häufig vorkommende Verhungern der Nestlinge auf den Taubenschlägen, oder auch an sehr kühlen Tagen das Erstarren derselben, da sich sowohl das Männchen wie das Weibchen zugleich um Futter bemühen müssen und hierdurch die nothwendige Erwärmung der Brut zu lange unterbrochen wird. Aufmerksame Taubenzüchter helfen darum bei derartigen Anlässen durch Füttern auf dem Schlage nach. Auch an gelinden Wintertagen und im Frühjahre vor der Früchte-Aussaat eignen sich die Tauben Unkrautsamen an.

Ferner wird die Behauptung, daß die auf der Oberfläche des Bodens den Tauben zur Beute werdender Fruchtkörner doch verloren wären, durch die Erfahrung hinfällig, daß bei günstiger Witterung noch viele derselben zum Keimen gelangen können. Außerdem aber picken die Tauben die Fruchtkörner aus der Erde heraus, auch wenn sie zum Theil bedeckt sind und nur ein wenig hervorschimmern. Welche Emsigkeit aber die Taubenschnäbel auf einem frischbesäeten Acker entwickeln, ist jedem Landwirth zur Genüge bekannt. Gewöhnlich schaaren sich viele derselben zusammen und befallen als scharfsichtige Auskundschafter in stärkeren oder schwächeren Flügen die Saatäcker. Während der Sämann hier den Samen ausstreut, beeilen sich dort die dreisten Vögel, die lockenden Körner aufzulesen. Wo die Sämaschine nicht zugleich mit der Ausstreuung der Früchte auch die Unterarbeitung derselben bewerkstelligt, vermögen die Tauben sehr empfindlichen Schaden anzurichten.

Schließlich fallen sie sogar zur Erntezeit über die gemähten Garben und Erbsenschoten her und picken eifrig den Inhalt aus Aehren und Hülsen. Doch soll diese letztere Unart nicht in die Wagschale fallen.

Aus allen diesen Beobachtungen ergiebt sich nun die wohlberechtigte Forderung: wer Tauben zum Vergnügen oder zur Befriedigung des Gaumens oder auch zum Zweck des Handels züchtet, der muß sich das Opfer des vierzehntägigen Fütterns und Einsperrens seiner Pfleglinge ruhig gefallen lassen, hier hat das Sonderinteresse vor dem allgemeinen zurückzutreten. Natürlich richtet sich die Schutzmaßregel nach Ort und Verhältnissen. Unseres Wissens erachtet man z. B. in Sachsen, wo die Sämaschine den praktischstes Vortheil gewährt, gegenwärtig das Einsperren der Tauben für unnöthig.

Aber außer den genannten werden noch andere Einwände gegen dieses Einsperren der Tauben erhoben, von thierschutzvereinlicher Seite ist es als thierquälerischer Act bezeichnet worden. Zu einer derartiges Anschauung kann aber doch nur ausgeprägte Sentimentalität sich verirren. Die Taube ist auf dem Schlage geboren, er ist ihre Zufluchtsstätte bei Verfolgungen, ihr Schutzort bei tobenden Wettern, ihre Schlafkammer und das anheimelnde Plätzchen, wo sie die Tagesruhe hält und verdaut. Hier wird geruckst, und hier erfolgt die Paarung, hier wird der Kampf mit den Rivalen ausgefochten und die große Gemeinschaft zu Aus- und Einflügen gebildet. Die Entbehrung des Ausflugs auf kurze Zeit wird ja unstreitig von den die Freiheit gewohnten Tauben empfunden, aber sie geben sich bei guter Pflege und Fütterung alsbald auch mit einem längeren Aufenthalte im Schlage zufrieden. Müssen doch die Tauben im Winter bei tiefem Schnee und anhaltendem Frost wochen-, ja monatelang eingesperrt bleiben, warum also sollte gerade das Einsperren zur Frühjahrs- und Herbstaussaat eine besondere Qual für sie sein?

Hiermit beschließen wir unsere Betrachtungen über die „Populären heimischen Vögel auf der Anklagebank“. Wir fordern keine unbedingte Schonung und Hege für die Vögel und beweisen das gerade durch diese Abhandlungen in der Beurtheilung der Dohle, der Krähe und des Sperlings. Es leitet uns nur das Bestreben, das Verhalten der Menschen in ihren mannigfachen Interessen gegenüber der Thierwelt in maßvolle Grenzen zurückzuführen und der hierauf bezüglichen Gesetzgebung die gewissenhafteste Grundlage gerechter Abwägung und exacter Forschung zu bieten.


Anmerkungen Wikisource
  1. Vorlage: Dagen



Deutsche Asphaltwerke.

Von Alfred Schütze.

Etwa eine halbe Stunde von Hannover entfernt liegt im Westen der Stadt auf einem dichtbelaubten Hügel das Bad Limmer. Mitten unter den alten Buchen und Eichen sprudelt noch heute die Schwefelquelle empor, deren Heilkraft man einstmals in weitem Umkreise schätzte, aber schon seit langer Zeit hat der Besuch des Bades nachgelassen, sodaß es gegenwärtig nur noch Spaziergängern aus der Stadt Hannover als freundlicher Zielpunkt ihrer Wanderungen gilt. In den vierziger Jahren wohnte hier auf „Limmer Brunnen“ ein alter, ausgedienter Soldat Namens Henning. Er betrieb die kleine Gastwirthschaft des Curhauses und benutzte die viele freie Zeit, die ihm aus Mangel an Gästen sein Beruf ließ, zu Streifereien durch die nächste Umgegend.

Bei einer solchen Gelegenheit fand er auf der Höhe des Velber Berges Spuren eines Gesteins, dessen starker Petroleumgeruch wohl seine Aufmerksamkeit erregt haben mochte. Henning wandte sich mit seinem Funde an das Polytechnikum zu Hannover, hörte dort, daß er ein Asphaltlager entdeckt habe, und verstand später, diesen glücklichen Zufall in höchst gewinnbringender Weise für sich zu verwerthen. Bald bildeten sich Gesellschaften, welche die mächtigen Asphaltlager ausbeuteten und das gewonnene Rohmaterial in Fabriken verarbeiteten. So entstand hier eine neue deutsche Industrie, welche schnell genug erstarkte, um dem Auslande erfolgreiche Concurrenz machen zu können.

Heute sind in unseren großen Städten bereits zahlreiche Straßen mit Asphaltpflaster belegt, die Wagen rollen geräuschlos und mit außerordentlicher Leichtigkeit über die ebene Fläche, und ebenso nimmt auch der Fußgänger mit Vorliebe seinen Weg auf der dunklen, elastischen Bahn. Auch bei den Bauten findet Asphalt vielfache Verwendung, besonders da, wo es sich um Schutz gegen andringende Feuchtigkeit handelt.

[813] Trotzdem nun die Asphaltindustrie erst während der letzten Jahrzehnte in großem Maße Beachtung gefunden hat, ist die Verwendung dieses trefflichen Materials doch schon den ältesten Culturvölkern bekannt gewesen. Die Bauten von Babylon, die Paläste Ninives waren nach Mittheilungen aller Schriftsteller mit Asphaltmörtel gemauert, und Untersuchungen von Reisenden haben jetzt diese Angaben bestätigt. Mit dem Verfall der assyrischen Herrschaft ging indessen die Technik der asiatischen Baumeister verloren; denn in den Bauten der Griechen und Römer hat man keine Verwendung von Asphalt gefunden.


Asphaltwerke bei Limmer in Hannover.
Nach einer Skizze von A. Schütze.

So währte es bis zum Beginn des achtzehnten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, wo ein griechischer Arzt, Namens Eirinis, für das moderne Europa den Asphalt neu entdeckte. Bei einer Durchforschung des Val de Travers in der Schweiz fand Eirinis in den Kalkwänden des Jura große Lager von Asphaltstein und erkannte alsbald die Nützlichkeit desselben für Bauzwecke. Gestützt auf ein Privileg des Königs von Preußen, als des damaligen Fürsten von Neuenburg, begann Eirinis seine Arbeiten und stellte die Anwendung des Asphalts fest, ungefähr in der Weise, wie sie im Wesentlichen noch heute gebräuchlich ist. Die Früchte seiner Erfindung sollte der intelligente Grieche indessen nicht genießen. Der eidgenössische Schatzmeister de la Sablonière wußte ihm das gewinnbringende Unternehmen aus der Hand zu winden und zu seinem eigenen Vortheile auszunützen. Eirinis siedelte dann nach dem Elsaß über und entdeckte dort die Asphaltgruben von Lobsann, welche auch gegenwärtig wieder ausgebeutet werden. Inzwischen kamen die Werke des Val de Travers von einer Hand in die andere; die Production ging von Jahr zu Jahr zurück, und am Ende des vorigen Jahrhunderts war die Erfindung des griechischen Arztes in industriellen Kreisen bereits vollständig vergessen.

Da führten im Jahre 1802 die Theerbrunnen zu Seyssel, südlich von Genf an der französischen Grenze, zur Entdeckung eines Asphaltsteines und zu einer Reihe von selbstständigen Versuchsarbeiten, welche schließlich auf dieselben Ergebnisse, die einst Eirinis erzielte, hinausliefen. Auch die Seysseler Asphaltindustrie hatte anfangs in der Hand von Speculanten mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden, bis sich Graf Sassenay der Sache annahm, das junge Gewerbe durch rationelle Versuche vervollkommnete und zu voller Blüthe brachte. Jetzt nun erinnerte man sich auch wieder der lange vergessenen Gruben im Traversthale und begann 1838 sie von Neuem auszubeuten. Kurze Zeit darauf, im Jahre 1843, wurde, wie wir oben erzählten, mitten in Deutschland, zu Limmer bei Hannover, das erste Asphaltlager entdeckt, dem 1870 auch noch die Auffindung der bituminösen Kalksteinfelsen bei Vorwohle in Braunschweig folgte. Diesen deutschen Unternehmungen wollen wir jetzt unsere nähere Betrachtung widmen.

In sanfter Wellenform steigt das Land westlich von Limmer allmählich an und bildet mit dem Benther Berge die letzten Ausläufer des Deisters, dessen blaue Gebirgskette weiterhin den Horizont begrenzt. Bei einer Wanderung über die Limmer Hügel werden wir plötzlich durch einen unerwarteten Anblick überrascht; auf eine weite Strecke hin öffnet sich der Boden; steil fallen die Wände nach allen Seiten hin ab, und unten, in einer Tiefe von etwa 150 Fuß zeigt sich ein reges Leben. Schaaren von Arbeitern sind damit beschäftigt, den Felsen zu sprengen und die gelösten Blöcke zu zerkleinern: andere laden die Steine auf niedrige Wagen und führen sie auf Eisenbahnen den Förderschachten zu.

Das Gestein, von einer starken Schicht blauen Thones überdeckt, erscheint hier chocoladenbraun und nimmt nach der Tiefe zu eine immer dunklere bis in’s Schwarze gehende Färbung an.

Im Laufe der Jahrtausende drangen hier in den porösen Kalkstein je nach dessen Dichtigkeit größere oder geringere Mengen bituminöser Stoffe und unterlagen dann einem Oxydationsprocesse. Bitumen wird an verschiedenen Orten der Erde auch unvermischt gefunden und erscheint dann je nach seiner Flüssigkeit in Gestalt von Naphta, Petroleum und Erdpech (Asphalt). Die Verbindung von Asphalt mit Kalkstein hat man nun mit dem Namen „Asphaltstein“ belegt; noch häufiger aber nennt man sie – ziemlich unzutreffend – kurzweg „Asphalt“.

Auffälliger Weise hat sich eine gleich innige Verbindung zwischen gewöhnlichem Kalksteine und reinem Bitumen trotz vieler Versuche fabrikmäßig nicht herstellen lassen, während der auch nur in geringem Grade mit Bitumen geschwängerte Asphaltstein leicht zur Aufnahme eines größeren Zusatzes von Erdpech befähigt ist. In der richtigen Benutzung dieses Umstandes beruht der Schwerpunkt der ganzen Fabrikation. Hierbei mag erwähnt werden, daß sich eine der merkwürdigsten Erscheinungen von reinem Asphalt am Todten Meere zeigt. Dort steigt das Erdpech vom Grunde des Wassers auf und treibt, auf der Oberfläche schwimmend, an’s Ufer. Die Hauptbezugsquelle für Asphalt ist aber Trinidad, die südlichste Insel der kleinen Antillen. Daselbst bildet Asphalt die Oberfläche eines mitten in der üppigsten Vegetation liegenden Sees, welcher [814] in Folge dieser Asphaltdecke zur Regenzeit überschritten werden kann; unter den Strahlen der Sonne weicht dagegen diese Decke auf. Früher hatte der See aus der Tiefe so reichlichen Zufluß von Bitumen, daß das dickflüssige Pech überströmte, das dreiviertel Stunden entfernte Meer erreichte und dort Asphaltriffe in die See hinaus bildete.

In Limmer wird der rohe Asphaltstein gegenwärtig von zwei Gesellschaften ausgebeutet, welche auch die größeren Asphaltbrüche bei Vorwohle erworben haben. Während sich die eine dieser Gesellschaften, die „United Asphaltos-Company“, ein mit englischem Capitale betriebenes Unternehmen, bisher lediglich auf den offenen Tagebau beschränkte, ist auf ihren dicht angrenzenden Terrains die „Deutsche Asphalt-Actien-Gesellschaft“ schon seit Jahren zu dem rationelleren unterirdischen Betriebe übergegangen.

Unsere Abbildung zeigt uns den alten Tagebau der „Deutschen Gesellschaft“, von welchem zur linken Hand der Eingang in die unterirdischen Werke führt. Beim Schein der Grubenlampe treten wir in einen langen, von hölzernen Pfählen gestützten Gang, der sich bald bedeutend erweitert. Mächtige, hohe Hallen, von großen steinernen Säulen getragen, liegen vor uns. In pittoresken Formen springt das Gestein an den Wänden aus, und von den Decken tropft, mit Oel vermischt, das Wasser hernieder, mit dumpfem Ton gegen den Felsboden schlagend. Weiter schreiten wir durch die dunklen Gänge, da blitzen im Hintergrunde und in schmalen Seitengassen Lichter auf; Gestalten regen sich, und der dunkle Klang der Hacke, welche das weiße Gestein spaltet, ertönt neben dem regelmäßigen Stampfen der Dampfpumpen, die das andringende Wasser zur Erdoberfläche hinaufbefördern. Endlich dringt auch ein schwacher Schimmer des Tageslichts in die Tiefe herab; wir stehen vor einem Förderschacht, in dem das gewonnene Gestein durch einen Elevator gehoben wird. Auf schmalen Geleisen rollen kleine Wagen, mit Asphalt beladen, herbei, fahren auf eine Plattform und werden mit dieser emporgezogen. Auf demselben Wege verlassen auch wir die unterirdische Welt und gelangen nach wenigen Augenblicken oben in den Fabrikräumen an.

Die Fabrikationsmethode des Asphalts ist sehr einfach: Der rohe Asphaltstein wird durch Maschinen zerkleinert und kommt dann in eine Mühle, welche ihn zu Pulver zermalmt. Dem Pulver werden einige Procent Trinidad-Asphalt zugesetzt, und dann wird die Masse in großen Kesseln, in welchen eine Rührvorrichtung sich beständig dreht, zum Kochen gebracht. Bergtheer, Paraffin oder Rückstände der Petroleumraffinerie dienen dazu, die Masse leichter in Fluß zu bringen. Nach vierstündigem Kochen wird der Asphalt in Brodformen gegossen, welche dann unter dem Namen „Mastix“ in Schwere von siebenundzwanzig Kilo in den Handel kommen. Bei der späteren Verwendung zu Pflasterungen und baulichen Zwecken wird der Asphaltmastix abermals gekocht, erhält dabei einen Zusatz von dreißig bis vierzig Procent Kies und wird dann über eine Unterlage von Beton gegossen. Während nun zu Fußwegen fast ausschließlich der gegossene Asphalt gebraucht wird, hat man für Fahrstraßen seit einigen Jahren mit sehr günstigem Erfolge auch pulverisirten Asphaltstein ohne Zusatz von Kies verwendet, indem man denselben leicht erwärmt und durch heiße Walzen comprimirt. Für diese Zwecke zeigte sich indessen das Gestein von Seyssel und dem Val du Travers bisher geeigneter, als die an Bitumen bedeutend reicheren Asphalte von Limmer. Dagegen haben Mischungsversuche von Limmer Asphaltpulver mit dem mageren Steine von Vorwohle neuerdings zu Resultaten geführt, welche den schweizerischen Fabrikaten auch auf dem Gebiete der Stampfarbeiten gleichkommen.

Die Asphaltlager beider Gesellschaften in Limmer sind so ergiebig, daß selbst bei starkem Betriebe noch auf lange Zeit hin genügendes Rohmaterial zur Verfügung bleibt. Außerdem erstrecken sich die Asphaltflötze auch noch über die südöstlich angrenzenden Felder, deren Ausbeutung gegenwärtig von Privatunternehmern in Angriff genommen wird. Von Interesse werden daselbst auch die Ergebnisse von Tiefbohrungen auf Petroleum sein, welche man in dem ölreichen Gesteine auffälliger Weise früher noch niemals versuchte. Schon heute aber ist bei der Limmer Asphaltindustrie das rege Streben anzuerkennen, welches die Schwierigkeiten der großen ausländischen Concurrenz überwand und für das deutsche Fabrikat auch auf dem Weltmarkt einen guten Ruf und damit bedeutenden Absatz errungen hat.




Land und Leute.
Nr. 52. 0 Die Zuydersee und ihre Anwohner.
Von Julius von Altenau.

Zu den merkwürdigsten Flecken europäischer Erde gehört unstreitig das Königreich der Niederlande. Einem alten Sprüchworte zufolge sind bekanntlich diejenigen Frauen die besten, von denen am wenigsten gesprochen wird. Ist der Satz richtig und darf man, was er von den Frauen behauptet, auch auf die Länder anwenden, so wäre das Gebiet zwischen Nymwegen und Rotterdam, zwischen Groeningen und Breda ohne Zweifel den vortrefflichsten Ländern der Welt beizuzählen; denn gesprochen wird von den Niederlanden und ihren Bewohnern schon seit Langem selten genug, und noch seltener verirrt sich der Fuß des Reisenden in diese so nahen und doch von den großen Heerstraßen des europäischen Verkehrs so weit abseits gelegenen Gegenden. Dennoch bietet auch dieses kleine Stück unseres Erdtheils, wie in geschichtlicher und cultureller, so namentlich auch in geographischer und ethnographischer Beziehung des Bemerkenswerthen und Interessanten eine so reiche Fülle, daß eine kurze Beschäftigung mit ihm wohl kaum zu den unfruchtbaren Aufgaben gerechnet werden darf.

Was hier von den Niederlanden im Allgemeinen gesagt wurde, das gilt in verstärktem Maße von den flachen, unwirthlichen und melancholischen Gestaden, welche die Zuydersee umrahmen, jene tiefe, beinahe herzförmige Einbuchtung der Nordsee, welche das Königreich Holland sozusagen in zwei, an Größe sehr ungleiche Hälften trennt, die nur durch den schmalen Streifen der südlichen Provinzen mit einander in Verbindung stehen. Die heute einen Flächenraum von etwa sechszig Quadratmeilen bedeckende Zuydersee liegt demnach zwischen den Provinzen Nordholland, Utrecht, Gelderland, Overyssel und Friesland und wird von der Nordsee durch eine bogenförmige Inselreihe, die sogenannten friesischen Inseln, geschieden, welche auf den ersten Blick sich als die ursprüngliche Küste des Landes darstellt und somit die Zuydersee eigentlich nur als einen großen Binnensee erscheinen läßt.

In der That gab es eine Zeit, da die geographische Formation des nördlichen Theiles der Niederlande ein von der gegenwärtigen sehr verschiedenes Bild darbot. Wo heute die Zuydersee ihre trüben und von riesigen Sandbänken durchzogenen Fluthen wälzt, da prangten einst lachende und fruchtbare Fluren, da standen blühende Dörfer, da erhoben sich reiche und mächtige Städte, deren Ruhm weit hinaus drang in die Lande. Wer hätte nicht von der alten Hansastadt Stavoren gehört und von der stolzen Frau, deren frevelhafter Uebermuth der Sage zufolge den Zorn Gottes auf die ganze Stadt herabbeschwor?

„Im Südersee Stavoren, wer hat die Stadt geschaut?
Mit Thürmen und mit Thoren gar stolz ist sie gebaut;
Paläste siehst Du ragen noch heut’ so hoch als eh’,
Doch Alles hat beschlagen die unermeßliche See.“

Heute ist Stavoren nichts als ein verfallenes Nest von wenigen hundert Seelen, in dessen Straßen das Gras wächst, aber wenn das Bewußtsein, Unglücksgenossen zu haben, irgend welchen Trost zu verleihen vermag, so steht solcher den ärmlichen Einwohnern Stavorens in besonders hohem Maße zu Gebote, denn Enkhuizen, Medemblik, Hindeloopen und viele andere einst blühende Gemeinwesen theilten Stavorens Geschick und sind, wie dieses, heute kaum noch ein trostloser Schatten ehemaliger Größe. Ihre Häfen sind versandet: die Zeiten des Glanzes, der Macht und des Reichthums sind unwiederbringlich vorüber, und die lethargische Ruhe, welche seit Jahrhunderten das eigenthümliche Merkmal jener öden Ufer und ihrer Anwohner bildet, ist die unheimliche Ruhe eines einzigen großen Kirchhofs.

Was der Zuydersee ein ganz eigenthümliches Interesse verleiht, ist der Umstand, daß sie sozusagen ein historisches Meer ist; ihr Entstehen fällt durchweg in den Bereich der menschlichen Geschichte. Aus positiven Quellen wissen wir, daß, wie bereits [815] bemerkt, die niederländischen Küsten einst eine ganz andere Bildung als heute aufzuweisen hatten, und wir vermögen das Entstehen und die allmähliche Formation dieses Meerbusens fast Schritt vor Schritt zu verfolgen, wennschon manche Einzelheiten noch immer in Dunkel gehüllt oder streitig sind. Da jedoch die Geschichte der Zuydersee mit jener des Niederrheins unzertrennlich verschlungen ist, so werden wir des besseren Verständnisses halber auch die letztere mit der nachfolgenden Darstellung verbinden müssen.

Im Alterthume, zur Zeit der Römer, bestand die „Zuydersee“ noch nicht in ihrem gegenwärtigen Umfange. Der Name deutet jedenfalls auf friesischen Ursprung, da das Attribut „südlich“ nur vom Standpunkte Frieslands aus zutrifft; der mittelalterliche Name ist „lacus Almeri“ oder „Almari“. Wohl aber war schon zur Römerzeit ein See, „Flevo“ genannt, vorhanden, und in Willibald’s „Leben des heiligen Bonifacius“ wird erzählt, daß Letzterer über ein stillstehendes Wasser („stagnum Almeri“) gezogen sei. Hieraus darf gefolgert werden, daß die Zuydersee zu jener Zeit, das heißt im achten Jahrhundert nach Christus, noch keinen Meerbusen mit Ebbe und Fluth darstellte und daß damals der Durchbruch der Nordsee zwischen Stavoren und Enkhuizen ebenfalls noch nicht stattgefunden hatte, wennschon eine Verbindung mit der Nordsee durch eine schmale Meerenge bestanden haben mag. Ebenso war damals Friesland von der heutigen Provinz Nordholland noch nicht getrennt, sondern erst im dreizehnten Jahrhundert erhielt die Zuydersee im Wesentlichen ihre jezige Gestalt, wobei es sich natürlich von selbst versteht, daß schon frühere Ereignisse und Durchbrüche ihre definitive Bildung vorbereiten halfen. Im Jahre 839, am St. Stephanstage (26. December), überströmte eine gewaltige Wasserfluth ganz Friesland, sodaß sie beinahe die Höhe der Dünen erreichte, und wahrscheinlich hat damals schon ein theilweiser Durchbruch der Nordsee stattgefunden; eine zweite große Ueberfluthung aber trat im Jahre 1170 ein, in Folge deren die Meereswellen sogar bis nach Utrecht vordrangen, wo man bei dieser Gelegenheit Seefische unmittelbar vor den Stadtmauern fing.

Weitere Ueberschwemmungen werden sodann aus den Jahren 1195, 1203, 1237, 1250 und 1282 gemeldet, obwohl die gedachten Jahreszahlen, der sich häufig widersprechenden Angaben wegen, auf chronologische Genauigkeit keinen Anspruch machen können. Ob sonach, wie Manche behaupten, die Zuydersee schon im neunten Jahrhundert, und zwar in Folge der oben erwähnten Ueberfluthung von 839, im Wesentlichen ihre gegenwärtige Ausdehnung erhalten, oder ob allmählich jede neue Sturmfluth immer mehr Land von dem nördlich von Enkhuizen-Stavoren gelegenen Gebiete fortgespült habe, bis endlich im dreizehnten Jahrhundert auch noch das letzte Stück Land zwischen Stavoren und Enkhuizen hinweggerissen und so die Nordsee mit dem Flevosee zur Zuydersee vereinigt wurde, ist heute mit Sicherheit nicht mehr festzustellen. Nimmt man jedoch Letzteres an, so wäre den vorhandenen spärlichen Urkunden zufolge das Jahr 1282 aller Wahrscheinlichkeit nach als der eigentlich entscheidende Zeitpunkt und sozusagen als das Geburtsjahr der Zuydersee zu betrachten, die sonach gerade heuer das sechste Jahrhundert ihrer Existenz zurückgelegt hätte.

Dieselbe Ungewißheit wie hinsichtlich der Zuydersee herrscht auch bezüglich der näheren Bestimmung der Richtung, welche früher der Rhein in seinem Laufe durch die Niederlande genommen hat. Unbestreitbar ist die Thatsache, daß in jenen Zeiten der Niederrhein einen von seinem gegenwärtigen verschiedenen Lauf gehabt und wenigstens mit einem bedeutenden Arme seine nördliche Richtung beibehalten hat; allein die Angaben über die Mündung dieses Armes in die Nordsee sind außerordentlich verworren und widersprechend.

Während nach der Darstellung des Römers Plinius die heutigen Niederlande ein Delta bildeten, welches er eine Rheininsel nennt, die von zwei in nördlicher und westlicher Richtung strömenden Armen des Flusses gebildet wurde, läßt der spanische Geograph Pomponius Mela, ein Zeitgenosse des Kaisers Claudius, den Rhein durch den Flevosee in die Nordsee münden. Die letztere Annahme dürfte schon deshalb die meiste Wahrscheinlichkeit für sich haben, weil die Yssel und die Vecht, welche beide in die Zuydersee münden, thatsächlich gar nichts Anderes sind, als wahre Rheinarme mit veränderten Namen. So viel steht jedenfalls fest, daß der eigentliche Rhein längs Arnheim, Wageningen, Renen bis nach Wyk-by Duurstede gelaufen ist, wo er sich mit dem Lek vereinigte, um von hier aus über Woerden, Bodegraven und Alfen die Richtung nach Utrecht zu verfolgen. Ob der Rhein zwischen Alfen und Leyden ein festes Bette gehabt habe, ist mit Sicherheit nicht mehr zu bestimmen. Vermuthlich bildete er auf dieser Strecke verschiedene Eilande, während die Frage, ob er sich auch weiter bei Katwyk durch die Dünen einen Weg in die Nordsee gebahnt habe, wiederum sehr zweifelhaft, aus triftigen Gründen jedoch füglich zu verneinen ist. Ueber den uns hier vorzugsweise interessirenden nördlichen Stromarm giebt übrigens der schon erwähnte Pomponius Mela ziemlich deutlichen Aufschluß. „Nicht weit von der See,“ sagt er, „theilt sich der Strom; aber das linksseitige Bett behält den Namen Rhein bei bis zu seinem Ausfluß in’s Meer. Zur Rechten dagegen ist der Fluß zuerst eng und sich selten gleich; dann, seine Ufer gewaltig ausdehnend, ist er nicht mehr ein Strom, sondern ein großer See.“

Hiermit wäre also der Flevosee deutlich genug gekennzeichnet und zugleich gesagt, daß der Rhein mit ihm in Verbindung stehe.

„Nachdem er die Felder bedeckt hat,“ fährt Mela fort, „wird er Flie genannt, und nachdem er ein Eiland dieses Namens umflossen, fällt er, nunmehr wieder ein Strom geworden, in die See.“

Aus den angeführten beiden Stellen haben nun zwar Manche entnehmen wollen, daß schon zu Tacitus’ Zeiten die Zuydersee nicht allein ein großer See, sondern sogar schon ein offenes Meer gewesen sei, das vor seiner Eindeichung von Zeit zu Zeit seinen Busen vergrößert und durch das Abnagen der Ufer seine Grenzen mehr und mehr ausgedehnt habe: gleichwohl aber dürfte aus jenen Stellen mit Sicherheit nur so viel hervorgehen, daß damals ein starker Rheinarm nach Norden gegangen und den Flevosee durchflossen habe; dieser nördliche Arm aber wird, wie schon bemerkt, heute durch die Yssel repräsentirt.

Daß auch die Gestaltung der friesischen und nordholländischen Küsten während der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung eine von der gegenwärtigen sehr abweichende gewesen sein muß, ergiebt sich aus vorstehender Darstellung von selbst. Wir wissen, daß durch Stürme und Hochfluthen Dünen hinweggefegt und Inseln verschlungen wurden, daß sich von Zeit zu Zeit Sandbänke vor dem Strande und in den Fahrwässern ansetzten, von denen viele sich dauernd über Wasser erhielten und später eingedeicht wurden, während andere wieder verschwanden oder an andere Punkte sich verschoben, wodurch sich selbstverständlich auch jedesmal das Fahrwasser und die Meeresströmung an der Küste verändern mußten; da jedoch verläßliche historische Berichte über die nähere Art und Weise dieser Vorgänge fehlen und namentlich von den damaligen Strandbewohnern selbst aus naheliegenden Gründen keinerlei urkundliche Aufzeichnungen vorliegen, so sieht man sich auch in dieser Beziehung meistens auf bloße Muthmaßungen beschränkt.

Schon die Frage, ob die holländische Nordseeküste bereits vor dem elften Jahrhundert ebenso wie heute von einer Reihe selbstständiger, vom festen Lande losgetrennter Inseln umgeben gewesen, oder ob letztere mit dem Festlande zusammengehangen und vielleicht nur durch unbedeutende Untiefen von ihm getrennt gewesen seien, wird von den Chronisten verschieden beantwortet. Die Alten, besonders Plinius und Strabo, kennen und erwähnen eine Anzahl Inseln am „Cimbrischen Vorgebirge“, und ebenso werden im früheren Mittelalter verschiedene solcher Eilande namhaft gemacht, wobei jedoch zu bemerken ist, daß der von ihnen eingenommene Flächenraum damals ungleich bedeutender gewesen zu sein scheint, als gegenwärtig. Vor Allem gilt dies von den Inseln Texel und Wieringen, und gerade diese beiden sind es, die sich, wie ein Blick auf die Karte lehrt, schlagbaumähnlich quer vor die Einmündung der Zuydersee in die Nordsee legen, und die sonach als die nächstgelegenen Trümmerreste der früher bestandenen festländischen Verbindung zwischen den heutigen Provinzen Nordholland und Friesland zu betrachten sind. –

Ernst und schweigsam, düster und fast melancholisch wie die flachen Ufer der Zuydersee, ist auch der Charakter der Menschen, welche die umliegenden Gebiete bewohnen. Rauschenden Vergnügungen abhold, finden sie fast nur im winterlichen Schlittschuhlauf über unabsehbare beeiste Flächen ihre Lust und ihre Erholung. Aber es ist ein stolzer und überaus stattlicher Menschenschlag, diese Friesen, ein echter und unverfälschter Urtypus nordländischer Kraft und germanischen Selbstbewußtseins – man betrachte nur die kräftigen, schlankgewachsenen Gestalten auf der trefflichen Abbildung, die unsern Artikel schmückt! Der Jahrhunderte lange Kampf mit [816] einem tückischen Elemente hat sie gestählt. Besonders die Friesinnen standen von jeher und stehen noch heute mit vollstem Rechte im Rufe großer Schönheit. Hoher Wuchs und weiße Haut, blaue Augen und rosige Wangen sind ihre zumeist hervortretenden Vorzüge, die durch derbkräftige und breitschulterige Körperformen keineswegs beeinträchtigt werden. Schon zur Römerzeit war dieses Volk berühmt wegen seines „goldigen Haupthaares“, dessen künstliche Nachahmung in den vornehmen Gesellschaftskreisen der Hauptstadt Rom zum guten Ton gehörte und das selbst einen Kaiser Antoninus zum Anlegen einer blonden Perrücke bestimmte.

Durch alle Wechselfälle der Zeiten wußten die Friesen ihre Freiheit und Unabhängigkeit zu behaupten, und ebenso hielten sie von jeher auf eine gewisse individuelle Ueberlegenheit der Angehörigen ihrer Rasse; denn wenn bereits das alte friesische Volksrecht aus dem achten Jahrhundert christlicher Aera sich vor allen andern germanischen Gesetzgebungen damaliger Zeit durch das höchste „Wergeld“ auszeichnete, das heißt die Tödtung eines freien Friesen mit der höchsten Geldbuße belegte, so darf auch hierin ein unverkennbares Symptom jenes gesteigerten Selbstbewußtseins, durch welches sich dieses Volk von allen übrigen germanischen Stämmen unterschied, erblickt werden.

Auch die bis auf den heutigen Tag festgehaltene, wenn schon je nach der Verschiedenheit der einzelnen Gegenden mehr oder weniger von einander abweichende nationale Tracht der Anwohner der Zuydersee ist ein Beleg für die zähe Eigenart dieses Volkes und, namentlich bei der in den jetzigen Provinzen Nordholland und Friesland bemerkbaren großen Aehnlichkeit in der äußeren Erscheinung der Menschen, zugleich ein drastischer Beweis für die weiter oben motivirte Annahme, daß der gesammte nördliche Theil der Niederlande einstmals in unmittelbarem Zusammenhange gestanden hat. Erst neuerdings beginnt die erwähnte interessante Volkseigenthümlichkeit hier und da den modernen Nivellirungsbestrebungen zum Opfer zu fallen und namentlich beim männlichen Geschlechte der charakterlosen Tracht der übrigen europäischen Landbevölkerung zu weichen.

Aber noch heute, wie vor Jahrhunderten, herrscht bei den nordholländischen Bäuerinnen die merkwürdige, fast möchten wir sagen, barbarische Sitte, sich am Hochzeitstage das Haar abzuschneiden und sich so ihres schönsten natürlichen Schmuckes zu berauben. Der haarlose Kopf wird dann in eine helmähnliche goldene Haube (sogenannte oorijzer) eingekerkert, und Verzierungen aller Art werden verschwendet, um jenen Act des Vandalismus möglichst abzuschwächen: metallene Stirnbänder und goldene Korkzieher umschließen die Stirn, welche außerdem durch zwei nicht gerade geschmackvolle Zöpfe von schwarzem Pferdehaar verunziert wird, die mit den blonden Brauen und blauen Augen im sonderbarsten Contraste stehen. Dieser Goldschmiedsladen wird dann unter einer zierlichen Mütze versteckt, die aber ihrerseits sofort wieder unter einem riesigen, mit bunten Blumen und Bändern überladenen Hute verschwindet.

Aehnlich wie in Nordholland ist die Tracht der Bäuerinnen im eigentlichen Friesland. Auch sie haben den althergebrachten glänzenden Kopfputz beibehalten, und noch jetzt umfängt der Goldhelm ihr Haupt, nur daß letzteres hier von einer Mütze mit ungeheuren Spitzenbarben eingerahmt wird.

Besondere Eigenthümlichkeiten in Bezug auf nationales Costüm bieten die von der Zuydersee umschlossenen kleinen Eilande, von denen hier nur der nördlich von der Ausmündung des Y gelegenen Insel Marken um deswillen gedacht sein möge, weil die äußere Erscheinung ihrer Bewohner merkwürdiger Weise in fast gar nichts an die Bekleidung der übrigen Nachbarschaft erinnert. Auch hier ist die Tracht der Männer die bei weitem einfachere: auch sie ist übrigens schon im Verschwinden begriffen, wozu vermuthlich die Nähe der Hauptstadt Amsterdam das Ihrige beitragen mag. Gleichwohl ist der Markener noch heute regelmäßig mit einem Wamms von braunem Tuche mit zwei Reihen Knöpfen, zum Theil aus edlem Metall, Gold oder Silber, auch wohl aus alten Denkmünzen bestehend, bekleidet. Dieses Wamms wird in ein Beinkleid gesteckt, welches, weit und bauschig, kaum über das Knie hinabreicht und die Wade, die ihrerseits durch dicke, schwarzwollene Strümpfe geschützt wird, unbedeckt läßt: bei Fischern tritt als Untergewand noch ein rothes Tuchhemde hinzu. Die Füße stecken in weißen Holzschuhen oder auch in Schuhen, die mit türkischen Pantoffeln eine gewisse Aehnlichkeit haben, während als Kopfbedeckung im Sommer eine schwarze Kappe oder ein kleiner brauner Filzhut, im Winter aber eine niedrige Pelzmütze benutzt wird.

Ungleich complicirter und bunter als die der Männer ist die Kleidung der Markener Frauen. Die Unsitte des Haarabschneidens herrscht hier nicht, sondern die Marknerin läßt der natürlichen Zierde ihres Hauptes ihr ungeschmälertes Recht. Gold und Schmucksachen sind wenig bemerkbar, wohl aber eine gewisse Vorliebe für auffallende und grelle Farben. Als Kopfbedeckung dient eine ungeheure weiße, fast einer Bischofsmütze vergleichbare Haube, darunter ein brauner Stoff, welcher den Spitzen und Stickereien gestattet, ihre Arabesken wirksam hervortreten zu lassen. Unter dieser Mütze hervor, zu beiden Seiten des Gesichts, quellen zwei riesige Zöpfe natürlichen blonden Haares, welche, in Korkzieherform geflochten, bis mitten auf die Brust niederfallen, während auf der Stirn die nach vorn gekämmten Haare in gerader Linie oberhalb der Augenbrauen abgeschnitten sind, genau so, wie es die europäische Mode noch vor wenigen Jahren für das schöne Geschlecht insgemein vorschrieb. Die eigentliche Kleidung besteht aus einem ärmellosen Leibchen und einem Rock, beide von verschiedenem Stoff und Farbe, wobei sich jedoch Roth eines entschiedenen Vorzugs erfreut. Namentlich das Leibchen ist mit rothen Handstickereien reich verziert: die Aermel aber, welche einem Unterkleide angehören, zerfallen in zwei ungleiche Theile, deren einer, mit senkrechten rothen oder schwarzen Streifen, oberhalb des Ellenbogens aufhört, während der andere, dunkelblau, sich bis zum Handgelenke hinabzieht. Auch der eigentliche Rock selbst zerfällt in zwei ungleiche Hälften. Der längere, obere Theil stellt eine Art Rockschoß von heller Farbe mit schwarzen Streifen dar, wogegen das kürzere, untere Stück von dunkelblauem Stoffe ist und in einem doppelten braunrothen Streifen endet. Unsere sachverständigen Leserinnen werden zugeben, daß diese Tracht, deren Herrschaft sich, wie gesagt, auf die kleine Insel Marken beschränkt, eine ebenso eigenthümliche wie malerische genannt zu werden verdient; zu bemerken ist noch, daß dieselbe - wie dies vielfach im Umkreise der Zuydersee üblich ist - von allen Altersclassen der Bevölkerung, von den Kindern bis zu den Greisinnen, gleichmäßig angelegt wird.

Kehren wir jedoch nach dieser kleinen Abschweifung auf das Gebiet der Völker- und Costümkunde nochmals zur Zuydersee selbst zurück! Daß dieselbe in ihrem gegenwärtigen Umfange einen Flächenraum von nahezu 60 Quadratmeilen gleich 500,000 Hectaren, also genau den zehnten Theil des ganzen Königreichs der Niederlande bedeckt, wurde schon weiter oben bemerkt. Veranschlagen wir den ehemaligen Flevosee auf etwa 140,000 Hectaren, so ergiebt sich, daß ungefähr 360,000 Hectaren Land, das heißt ein Gebiet von der Größe der jetzigen Provinz Friesland, im Laufe der Jahrhunderte an das Meer verloren gegangen sind. Seit einem vollen Menschenalter beschäftigt unsere niederländischen Nachbarn die naheliegende Frage, ob und auf welchem Wege dieses bedeutende Territorium, entweder ganz oder wenigstens zum Theile, der menschlichen Cultur zurückzuerobern sei. Seit im Jahre 1849 ein holländischer Ingenieur zuerst einen flüchtigen Entwurf veröffentlichte, der die Zuydersee in ihrer gesammten Ausdehnung abdämmen und trocken legen wollte, ist über diesen Gegenstand unendlich viel gesprochen und geschrieben worden. Eine Anzahl Sachverständiger erwog die Schwierigkeiten des Unternehmens; Andere hoben das Wünschenswerthe der Sache hervor; während der Eine die Möglichkeit einer Bändigung der Wasserfläche prüfte, untersuchten Andere die Beschaffenheit des Bodens. Die Hydrographie gab Aufschlüsse durch ihre wissenschaftlichen Aufnahmen; die Wasserbau-Ingenieure begutachteten besonders schwierige Probleme der Technik; Gesellschaften bildeten sich, um sich die Concession zur Ausführung zu sichern - kurz, die Sache begann in Fluß zu kommen. Gleichwohl sollten noch Jahrzehnte verfließen, bevor diese hochwichtige Frage zum Eintritte in ein neues, praktisches Stadium gereift war.

Erst im Jahre 1875 veröffentlichte eine niederländische Staatscommission einen Bericht über die Möglichkeit und das Wünschenswerthe des großartigen Werkes, und bald nachher reichte die Regierung beim Staatsrathe einen Gesetzentwurf, die Trockenlegung der Zuydersee betreffend, ein, der in seinen wesentlichen Punkten von der Volksvertretung gebilligt und angenommen wurde. Seitdem darf das Unternehmen im Princip als gesichert betrachtet werden; die vorbereitenden Arbeiten haben begonnen, und die endgültige

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An der Zuydersee. Nach dem Oelgemälde von R. Jordan.

[818] Durchführung des Riesenwerkes erscheint lediglich noch als eine Frage der Zeit. Freilich nicht einer kurzen; umfaßt doch die Wasserfläche, welche man zu bändigen beabsichtigt, einen Raum von beinahe 200,000 Hectaren, wovon ungefähr 146,000 Hectare oder 32 geographische Quadratmeilen dem Grundgebiete des Staates als Bauland zu Gute kommen würden. Man denke sich nämlich eine ziemlich gerade Linie, welche von Enkhuizen über die Insel Urf nach der Mündung der Yssel führt: die gesammte südlich von dieser Linie gelegene Wasserfläche ist es, welche abgedämmt und trocken gelegt werden soll, während zahlreiche Canäle die Wasserverbindung zwischen den bedeutenderen Ortschaften aufrecht erhalten werden.

Man pflegt zu sagen: das Meer trennt nicht, es verbindet. Von der Zuydersee, wie sie heute ist, gilt das Umgekehrte. Es wird als ein großes Verdienst gelten müssen, diese hemmende Schranke des mitteleuropäischen Verkehrs wenn nicht ganz beseitigt, so doch möglichst eingeengt zu haben. Hoffen also auch wir das Beste und beschließen wir demgemäß diese Zeilen mit dem Ausdrucke der Zuversicht, daß unsern niederländischen Stammesverwandten der Sieg in dem aufgenommenen Kampfe mit einem feindlichen Elemente beschieden sein möge! Dieser Sieg wird dem kleinen Nachbarstaate eine neue Provinz eintragen, aber es wird eine Eroberung sein, die Niemanden neidisch verstimmt und die das „europäische Gleichgewicht“ nicht erschüttert.


Blätter und Blüthen.

Literarische Weihnachtsneuigkeiten. Wir beschließen heute unsern Ueberblick über die uns vorliegenden Novitäten für den Weihnachtsfesttisch mit einer Nachlese aus dem Gebiete der Romanliteratur und einem gedrängten Hinweis auf einige hervorragende Prachtwerke und illustrirte Kinderbücher. - Zuerst also zwei Prosadichtungen:

Eines der liebenswürdigsten Bücher, die jedem Familientisch zur Abendlust gereichen und folglich auch den Weihnachtstisch würdig schmücken, sind die „Altfränkischen Bilder und Geschichten aus dem Erinnerungsschatz meiner alten Tante“ (Coburg, I. G. Riemann’sche Hofbuchhandlung). Hier haben wir ein Muster von Memoiren aus dem Bürger- und Beamtenleben im patriarchalischen Kleinstaat, die bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück und nahe bis zur Gegenwart heranreichen. Aus einem protestantischen Pfarrhause, in welchem sich die städtische Bildung der lieblichen Pfarrtöchter mit bäuerlicher Beschäftigung verbindet, werden wir nach der Residenz Coburg und sogar in den erbprinzlichen Haushalt geführt. Er war sehr einfach, ja fast noch mehr als dies. Das Prinzeßchen Victoria hatte in den Unterrichtsstunden ein ausgewaschenes rosa Kattunkleidchen an, das mit Stücken neuen Kattuns ausgebessert war, und die Prinzen hatten gleichfalls in den Beinkleidern, da, wo sie von den Knieen durchgearbeitet waren, große Stücke eingesetzt, und es waren schon ziemlich lange junge Herrchen, als sie noch mit stark ausgebesserten Stiefeln einhergingen. Das könnte den Leser gleichgültig lassen, aber es erhält Bedeutung durch das, was aus diesen Kindern geworden ist. Das Prinzeßchen mit dem geflickten Kattunkleidchen wurde die Mutter der Königin Victoria, und von den Prinzen wurde der Aelteste Herzog Ernst der Erste von Coburg-Gotha, der zweite der Vater des Königs von Portugal und der Jüngste erster König von Belgien. - Die Fürsten waren damals mächtiger im Lande als jetzt, aber sie standen doch dem Volke näher. Dazu gab’s noch viele Originale, auch unter den Frauen, von denen das Buch die ehrwürdigsten, wie die ergötzlichsten Beispiele vorführt. - Auch die Geistiggroßen sind gut vertreten. An ihrer Spitze stehen Friedrich Rückert und Christian von Stockmar, König Leopold’s Freund. - Hinsichtlich Schad’s, des gewesenen Banzer Mönchs, ist die alte Tante im Irrthum. Er hieß nicht Bruder Placidus, sondern Pater Roman, und wurde nach seiner Flucht aus dem Kloster nicht Clavierspieler in Petersburg, sondern Professor erst in Jena, dann in Charkow, und starb in Jena 1834, wie dies in der „Gartenlaube“ 1869, Nr. 1, erzählt ist. - Wahrhaft erhebend und tiefergreifend äußert sich der Patriotismus der alten Tante in den Befreiungskriegen. Man muß an sich halten, die prachtvolle Stelle hier nicht abzuschreiben. Noch im hohen Alter sagte sie oft: „Ihr wißt gar nicht, Ihr junges Volk, was Freude ist; wer den Einzug unserer Truppen in Paris (1814) erlebt hat, der weiß es.“ - Die herrliche Frau hätte es verdient, noch 1870 mit uns zu jubeln.

Eine sehr beachtenswerthe Gabe der jüngsten Zeit ist: „Die Rose von Urach“. Historischer Roman von Franz Siking. (Mannheim, F. Nemnich.) Um das Leben einer einfachen Försterstochter, der frischen, liebreizenden Waldrose, gruppirt der nach ihr benannte Roman jene Scenen aus dem Hof- und Intriguanten-Treiben, welche mit der unglücklichsten Zeit des Schwabenvolkes beginnen und versöhnend enden mit der Rettung des Fürsten und des Landes durch Hand und Herz der zur Landesmutter erhobenen Franziska von Hohenheim. Die geschichtlichen Gestalten, vom Herzog Karl selbst bis zu jenen gewaltthätigen Männern, welche das Volk „Schwabens Landplage“ nannte, sind mit Portraittreue dargestellt, und die Schilderungen des Hofes und des Adels verrathen ebenso viel ernstes Studium, wie die Bilder aus dem Volke, denen man ansicht, daß sie mit genauer Kenntniß des schwäbischen Volksherzens ausgeführt wurden. Ein Held der Wahrheit, wie der Pastor Theuring, der selbst einem Herzog Karl Achtung abzwingt und ihn zur Einkehr in sich zu bewegen vermag, ist eine herzerhebende Erscheinung, wie kein gewöhnliches Talent sie in’s Leben ruft. Und wenn wir die schöne Waldrose selbst, die Emmy Theuring, vom höchsten Glück der Liebe bis zum tiefsten Wehe der Verlassenheit versinken und in Sehnsucht nach dem würdigen Gatten dahin siechen sehen, so hat doch Muth, List und Treue eines Mannes aus dem Volke sie davor bewahrt, als Betrogene und Entehrte unterzugehen: sie stirbt mit der reinen Würde einer Gattin und Mutter, und nach ihr waltet „die Hand der Vergeltung“. Wir freuen uns, ein solches Werk empfehlen zu können, um so mehr, als wir aus der Feder F. Siking’s bereits eine historische Erzählung für die „Gartenlaube“ erworben haben.

Aus der Zahl der uns vorliegenden Prachtwerke heben wir die folgenden mit Auszeichnung hervor:

Goethe’s Werke, illustrirt von ersten deutschen Künstlern“. Herausgegeben von Heinrich Düntzer (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt). Ein dankenswerthes Unternehmen, das sich den in demselben Verlage erschienenen früheren illustrirten Prachtausgaben bedeutender Dichter (Shakespeare und Schiller) als drittes würdig anschließt. Es liegen uns bis jetzt fünfzehn Lieferungen des Werkes vor, und wir dürfen auf Grund derselben diese Goethe-Ausgabe als eine literarisch-künstlerische Publication bezeichnen, die, was elegante Ausstattung und ästhetischen Werth betrifft, alle Achtung verdient, wenngleich wir uns nicht verhehlen können, daß die Illustrationen, die theilweise von bedeutenden Meistern herrühren, von einigermaßen ungleichem Werthe sind; neben ganz Vorzüglichem, wie es die Zeichnungen zum West-östlichen Divan sind, steht einiges Minderwerthige. Trotzdem aber hält sich alles hier Gebotene auf der achtbaren Höhe eines edlen Geschmackes, und dürfen wir daher die Aufmerksamkeit unserer Leser auf das Werk nachdrücklich hinlenken.

Gustav Freytag-Gallerie“. Nach den Originalgemälden und Cartons der ersten Meister der Neuzeit photographirt in 30 Blättern von F. Bruckmann in München. Mit begleitendem Texte von Johannes Proelß und Julius Riffert (Leipzig, Edwin Schloemp). Die längst im Buchhandel befindlichen, beliebten und bekannten Kunstblätter sind hier zu einem geschlossenen Werke vereinigt, in welchem sich zur Veranschaulichung des reichen poetischen Schatzes, welchen Gustav Freytag der deutschen Literatur zugeführt hat, die bildliche Darstellung mit der des literarischen Essayisten (Proelß-Riffert) verbindet. Es wird uns somit in dieser Textausgabe ein vollständiges Bild von des Dichters Enwickelungsgang und Bedeutung in artistisch reicher Form vorgelegt, womit die Verlagshandlung gewiß dem Bedürfnisse kauflustiger Besucher des Weihnachtsbüchermarktes in jeder Weise entgegenkommt.

Rom in Wort und Bild“ von Rudolph Kleinpaul (Leipzig, Schmidt und Günther). Diese Schilderung der „ewigen Stadt“ und der Campagna zeigt sich mit jeder neu ausgegebenen Lieferung ihrer Aufgabe mehr und mehr gewachsen: in Text und Illustrationen ein anschauliches und instructives Bild der Trümmer des alten und der Prachtbauten des neuen Rom zu bieten. Die durchaus auf Selbstanschauung und eingehenden Studien beruhenden Schilderungen werden durch eine Reihe von Bildern geschmückt, welche ausnahmslos eine gute technische Herstellung documentiren und dem Verständnisse des den Text studirenden Lesers auf das erfreulichste zu Hülfe kommen. Alle Freunde Roms werden in dem Kleinpaul’schen Werke eine willkommene Lectüre finden.

Griechenland in Wort und Bild“. Eine Schilderung des hellenischen Königreiches von A. von Schweiger-Lerchenfeld (Leipzig. Schmidt u. Günther). Ein Werk, welches sich dem soeben erwähnten in Idee und Anlage eng anschließt. „Es soll,“ heißt es in der Einleitung, „dem Leser in großen und erschöpfenden Zügen ein Gemälde der hellenischen Welt vorführen, und zwar vorwiegend, wie sie sich heute darstellt. Auf dieser reellen Unterlage soll dann die Erinnerung an das antike Leben ihre verschollenen Herrlichkeiten aufbauen, die Landschaften beleben, den Zusammenhang der Erscheinungen zwischen Ereigniß und Schauplatz herstellen und die Lücken zwischen Vorstellung und Wirklichkeit überbrücken.“ Das vollendet vorliegende Werk hat dieses Programm auf’s Beste verwirklicht und ist eine Publication von dauerndem Werthe.

An Rom und Griechenland fügt sich zwanglos an: „Palästina in Bild und Wort“. Herausgegeben von Georg Ebers und H. Guthe (Deutsche Verlagsanstalt, Leipzig und Stuttgart). Ein Prachtwerk im vollsten Sinne des Wortes, auf welches wir bereits im vorigen Jahre die Aufmerksamkeit unserer Leser hingelenkt. Der soeben erschienene erste Band enthält 21 Stahlstiche und an 300 Holzschnitte, welche fast ohne Ausnahme als Meisterwerke der vervielfältigenden Kunst bezeichnet zu werden verdienen. Aber nicht allein diese geschmackvolle, echt künftlerische Ausstattung und der Reiz der Geschichte sowie der biblischen Legende gestaltet das Buch zu einer äußerst anziehenden Erscheinung, sondern auch der textliche Theil desselben bietet einen fesselnden und gediegenen Inhalt. Der Name Georg Ebers bürgt schon allein für eine wahrheitsgetreue und meisterhafte Schilderung jenes „heiligen Landes“. Der Umstand aber, daß einer der Herausgeber, Hermann Guthe, im vorigen Jahre um wissenschaftlicher Forschungen willen Palästina bereiste, hat es noch ermöglicht, daß in diesem Werke überall den neuesten Zuständen in maßgebendster Weise Rechnung getragen wird. Wir finden in dem ersten Bande Schilderungen von Jerusalem und Bethlehem, von Judäa und Galiläa, von Sichem und Samaria, sowie von Damascus, Palmyra und Ba’albek. In dem geschmackvollen Einbande, welchen die Deutsche Verlagsanstalt ihren Abonnenten liefert, ist dieses Prachtwerk wohl geeignet, selbst den anspruchsvollsten Weihnachtstisch zu schmücken.

In der Sommerfrisch“. Federzeichnungen von Hugo Kauffmann (Stuttgart, Bonz u. Comp.) und „A Hochzeit in die Berg’“.

[819] Zeichnungen von Hugo Kauffmann (Stuttgart, ebendaselbst) – beide Werke mit Dichtungen in oberbaierischer Mundart von Karl Stieler. Wo sich Kauffmann und Stieler zusammenthun, ein Zeichner von so feinem instinctivem Gefühl für alles Volksthümliche und Charakteristische und ein Dichter von so innigem Verständnisse für die Eigenart seines Heimathsvolkes, da kann das Resultat kein anderes sein, als es hier in der That geworden ist: ein ebenso lebenswahres wie poesievolles, ebenso kräftiges wie zartsinniges Werk. Solche Werke sind die beiden oben bezeichneten gemeinsamen Hervorbringungen Stieler’s und Kauffmann’s in jeder Linie, in jeder Zeile. Es läßt sich gar nichts Anmuthigeres und Herzerwärmenderes denken, als diese auf das Sauberste ausgestatteten zwei Bücher – wahre Cabinetsstücke für den Weihnachtstisch.

Wilhelm der Erste, deutscher Kaiser“. Mit einer einleitenden Dichtung von Julius Wolff und Illustrationen von A. von Heyden. (München, Friedrich Bruckmann’s Verlag.) Ein schönes und würdiges Lorbeerreis für die Stirn unseres Kaisers Barbablanca! Zwanzig Lichtdruckportraits aus den Jahren 1862 bis 1882, welche Wilhelm den Ersten in allen Lebensaltern darstellen, und zwar von seinem fünften Jahre an bis heute. Das schwungvolle, warme Gedicht Julius Wolff’s und die arabeskenartigen einrahmenden Zeichnungen A. von Heyden’s verleihen dem schätzenswerthen Album einen erhöhten Reiz. Patriotische Leser und Beschauer werden ihre Freude haben an diesem Kaiserbuche.

Die deutsche Bühne, deren geschichtliche Entwickelung in Bild und Wort von einem Weimaraner“ (Dresden, Wilhelm Streit), darf allen Freunden der dramatischen Kunst als ein illustrirter Führer durch die allgemeine Geschichte des Theaters empfohlen werden. Das Buch erhebt keinen Anspruch auf wissenschaftliche Bedeutung, sondern will nur anregend unterhalten; es bietet dem Publicum den großen Stoff der Bühnengeschichte wohl zum ersten Male in leicht übersichtlicher und allgemein lesbarer Form. An wirklich Neuem enthält der Artikel „Italien“ mancherlei. Der Bericht über das Weimarer Liebhabertheater ist hier zum ersten Male im Original gegeben, wie auch die Mittheilungen über das verdeckte Orchester dem Leser viel des Interessanten bringen.

Eine anmuthige Weihnachtsgabe bringt uns ferner der Friedrich Bruckmann’sche Verlag in München. Es sind dies „Deutsche Lieblings-Lieder“. Mit zehn Vollbildern in Phototypie und zahlreichen Textbildern nach Alexander Zick. Die Auswahl der Lieder wurde sehr glücklich getroffen, und wir bedauern sehr, daß es uns unmöglich ist, den Reiz der größeren Illustrationen unseren Lesern vor Augen zu führen. Im „Blumengruß“ und „Mailied“ ist es dem Maler vor Allem gelungen, den poetischen Hauch, der in diesen kurzen Gedichten des Altmeisters Goethe weht, auch über die Gestalten seiner Bilder zu zaubern.

Hieran fügen wir den Hinweis auf das illustrirte Werk „Culturgeschichtliches Bilderbuch aus drei Jahrhunderten.“ Herausgegeben von Georg Hirth, dessen erster Band uns vorliegt. Es ist dies ein „Bilderbuch für Erwachsene“, und zwar für Solche, die der historischen Entwickelung der Kunst ein besonderes Interesse entgegenbringen. Der Herausgeber bietet uns Facsimilewiedergaben von Kupferstichen, Holzschnitten und Radirungen alter Meister, wie Dürer, Bergckmair, Cranach, Holbein, Schäufelein, Behaim etc. Wir erachten es für unsere Pflicht, den hohen kunsthistorischen Werth dieses seltenen Werkes ganz besonders zu betonen. Möchte doch demselben die Gunst des Publicums nicht fehlen!

Von allen Zweigen“ (Berlin, H. W. Müller). Unter diesem Titel veröffentlicht Sophie Verena eine beachtenswerthe Anthologie neuerer lyrischer Gedichte, welchen unsere besten Zeichner eine ansehnliche Reihe von Illustrationen hinzugefügt haben. Sind die meistens dem Gebiete der sangbaren Lyrik entnommenen Gedichte mit vielem kritischem Geschicke und Verständnisse ausgewählt und gruppirt, so verdienen die zeichnerischen Beiträge, unter denen wir die von Meister Woldemar Friedrich besonders auszeichnend hervorheben, zum großen Theil das Lob poetischer Empfindung und künstlerischer Ausführung. Wir legen diese elegant ausgestattete Anthologie namentlich den deutschen Frauen warm an’s Herz.

Original-Radirungen Düsseldorfer Künstler“ (Wien, Gesellschaft für vervielfältigende Künste). Ein reiches Leben und große Fülle der Gegenstände tritt uns in den künstlerisch auf’s Feinste ausgeführten Bilderheften des Düsseldorfer Radirclubs entgegen. Diese Original-Radirungen leisten an Feinheit der Ausführung etwas geradezu Bewunderungswürdiges. Die Düsseldorfer Künstler, welche sich vor vier Jahren bekanntlich zu einem eigenen Radirclub vereinigten, haben sich unlängst mit der „Gesellschaft für vervielfältigende Kunst“ in Wien in der Weise zusammen gethan, daß die genannte Gesellschaft die Platten der bereits ausgegebenen drei Jahrgänge der „Original-Radirungen“ als Eigenthum erworben hat und in Zukunft jährlich ein Heft mit mindestens zehn Platten der ausübenden Mitglieder des Clubs veröffentlichen wird. Zu dem soeben zur Ausgabe gelangten vierten Hefte, das mit den drei bisher erschienenen Heften ein imposantes Ganze bildet, finden wir die bekanntesten Namen der Düsseldorfer Schule mit zehn prächtigen Radirungen vertreten. Es geht ein vorwiegend realistischer Zug durch die Publicationen des Düsseldorfer Radirclubs; die Naturwahrheit in der Ausführung jeder Linie dieser ebenso präcis radirten, wie exact gedruckten Bilder deckt sich auf das Trefflichste mit dem Naturalismus der Sujets. Das Werk wendet sich an feinere Kunstkenner. Mögen diese es nicht unbeachtet lassen!

Als letztes, aber darum nicht als geringstes, heben wir aus der Reihe der heute von uns registrirten Prachtwerke hervor: den zweiten und letzten Theil des von der „Gartenlaube“ schon früher in seinem ersten Theile gewürdigten Werkes „Die Hohenzollern und das deutsche Vaterland“ von Dr. R. Graf Stilfried Alcantara und Professor Dr. Bernhard Kugler (München, Friedrich Bruckmann’s Verlag), illustrirt von den ersten deutschen Künstlern. Dieser Theil umfaßt den Zeitraum vom Tode Friedrich’s des Großen bis zur Gegenwart. Wir empfehlen das treffliche Werk der allgemeinen Beachtung.

Unter den Bilderbüchern für unsere Kleinen sticht uns besonders lockend in die Augen ein schönes Liederbuch von F. Werckmeister, mit Reimen von Victor Blüthgen: „Jung Mieze“ (Berlin. Photographische Gesellschaft). Die höchst liebreizenden, geschmackvoll colorirten Werckmeister’schen Zeichnungen und die im besten Sinne des Wortes naiven, eine wahrhaft bestrickende Anmuth athmenden Verse unseres allbeliebten Mitarbeiters Victor Blüthgen bilden ein anziehendes Ganze, dem so leicht kein Kinder- und – fügen wir es nur gleich hinzu! – auch kein Frauenherz widerstehen wird; denn nicht nur für die Kleinen ist „Jung Mieze“ geschaffen, auch für die Harmlosen unter den Großen, und das sind ja meistens unsere Frauen. Möge das prächtige Buch auf keinem Weihnachtstische fehlen!

Das Kind und seine kleine Welt“ nennt sich eine Sammlung von zweiunddreißig Originalzeichnungen in Farben von Wilhelm Claudius, mit Versen von Johannes Trojan (Dresden, C. C. Meinhold und Söhne), das in Wort und Bild dem Werckmeister-Blüthgen-Buche an Werth nicht viel nachsteht. Daran fügen sich:

Allerlei nette Pflanzen“. Heitere Kinderlieder von Schmidt-Cabanis, mit farbigen Bildern von Lothar Meggendorfer (München, Braun und Schneider), ein Werkchen, das in den Zeichnungen zwar viel burlesker und derber gehalten ist, als die eben erwähnten beiden Bücher, dem Texte nach aber so viel des Ergötzlichen und Humorvollen, des zart Empfundenen und Originellen bietet, daß wir uns freuen würden, diese „Netten Pflanzen“ zu Weihnachten in tausend und abertausend Kinderhänden zu sehen. Endlich:

Wer für ein illustrirtes Kinderbuch nur wenig Geld ausgeben kann und doch etwas wirklich Anmuthiges seinen Kleinen bieten möchte, dem empfehlen wir das reizende Büchlein: „Für kleine Leute. Bilder und Reime von L. v. Kramer“ (München, Fr. Bassermann); es wird am Weihnachtsabend Alt und Jung gewiß Freude bereiten.

Und damit der Gesang unter den lichterstrahlenden Weihnachtsbäumen nicht fehle, lenken wir zum Schluß die Aufmerksamkeit unserer Leser auf ein musikalisches Kinderbuch, auf das „Weihnachts-Album für die musikalische Jugend“ von Karl Seitz (Quedlinburg, Chr. Friedr. Vieweg), das eine reiche Auswahl von Gesang- und Clavierstücken bietet, unter deren Componisten wir den Namen Karl Reinecke’s und anderer bekannter Tondichter begegnen.



Erinnerungen eines liberalen Achtundvierzigers.[2] Wenn wir bei Erwähnung der „Erlebnisse eines alten Parlamentariers im Revolutionsjahre 1848, von Peter Reichensperger“ neulich (S. 771) den Wunsch aussprachen, es möge auch von freisinniger Seite aus recht bald eine Beleuchtung der denkwürdigen Zeit von 1848 im Buchhandel erscheinen, so ist dieser Wunsch überraschend schnell in Erfüllung gegangen: vor uns liegen die „Erinnerungen“ eines Mannes, welcher der Theilnahme unserer Leser sicher ist, weil er ein treuer Freund der Freiheit und der „Gartenlaube“ war. Als solchen haben wir ihn noch an seinem Grabe gefeiert, als wir ihm (Jahrg. 1881, S. 823) unsern Nachruf widmeten. Es ist unser J. D. H. Temme.

Temme’s „Erinnerungen“ beschränken sich zwar nicht auf die Darlegung seiner Erlebnisse während des Revolutionsjahres von 1848, sondern sie enthüllen uns das ganze Bild seines Lebens von seiner Kindheit auf der rothen Erde Westfalens an bis zu seinen Greisentagen auf dem freien Boden seiner zweiten Heimath, der Schweiz. Mehr als die Hälfte des Buches behandelt die Zeit der Revolution von 1848 und die Folgen derselben; da aber den heutigen Nachkommen seiner nunmehr größtentheils heimgegangenen Zeit- und Kampfgenossen Temme fast nur als Revolutionsmann und Romandichter vor Augen steht, so ist es ein besonderes Verdienst dieser „Erinnerungen“, auch die erste, vor der Revolutionszeit liegende Hälfte seines Lebens zu allgemeinerer Kenntniß zu bringen, die uns eine Reihe höchst interessanter Bilder erschließt und mit dem schnöden Lohn endigt, den die Reactions-Justiz jener Zeit ihm für dreiunddreißig in hohen Richterwürden und mit anerkannter Gewissenhaftigkeit vollbrachte Dienstjahre zu Theil werden ließ.

Wenn Reichensperger in seinem Buche aus der Geschichte von 1848 die Lehre zieht: „wie ohnmächtig sich der ungezügelte Freiheitsdrang der Völker erwiesen, aus sich heraus gesunde und dauernde Schöpfungen zu begründen“ - so zeigt uns Temme, wie schwach auf der entgegengesetzten Seite die Fähigkeit zur Gesetzgebung war und wie gemeine Wege oft die Reaction ging, um wieder obenauf zu kommen. Hier und da ergänzen sich auch Beide in Ver- und Enthüllungen.

Wir haben uns durch die lockende Parallele gleich in das Jahr 1848 leiten lassen. Der Raum gestattet uns nicht, den Leser an den zwanzig Abschnitten des Buches auch nur vorbeizuführen. Da aber Temme der gegenwärtigen Generation als Romandichter am nächsten steht, so wollen wir ihn hier lieber die Frage beantworten lassen, die er selbst stellt: „Wie ich belletristischer Schriftsteller wurde?“ Temme war als Marburger Student krank bei einem Freund in Halle. Als er sich im Zustande der Genesung befand und Beide der Geldmangel drückte, schlug der Freund vor, man solle gemeinsam einen Roman schreiben, in dem abwechselnd Jeder ein Capitel übernähme. Wirklich kam das Manuscript glücklich zu Stande, wurde an Gottfried Basse in Quedlinburg geschickt und erzielte ein hübsches Honorar und aufmunternde Einladung zu weiterem Schaffen. Dieser Erfolg gab Temme den Muth, später, nachdem er als Gerichtsassessor mit 600 Thalern Gehalt geheirathet hatte, seine Einnahme durch eine Reihe von Erzählungen und Novellen zu vermehren. Da er als Beamter seinen Namen nicht nennen durfte, schrieb er unter dem [820] Namen „Heinrich Stahl“ und später als „Verfasser der Neuen Deutschen Zeitbilder“. Die Fortsetzung dieser Thätigkeit geschah im Zuchthause zu Münster. Seine Autorschaft ward ruchbar, und sofort ging die Polizei mit allen Mitteln zur Unterdrückung derselben vor: es wurde, in aller Stille, sogar den Leihbibliotheken bei den härtesten Strafen verboten, Romane von Temme zu halten und auszugeben. Kein Buchhändler wollte und konnte noch etwas von ihm zum Drucke bringen.

„Endlich,“ erzählt er (S. 518), „fand ich einen Verleger in dem Verlagsbuchhändler Hermann Schultze zu Leipzig, dem früheren wegen seiner Freisinnigkeit gemaßregelten Berliner Stadtrathe, und Ernst Keil forderte mich auf, ihm Erzählungen und Novellen für die ‚Gartenlaube‘ zu schreiben. Durch die ‚Gartenlaube‘ wurde ich weithin bekannt. Dem deutschen Volke wurde ich durch sie wieder näher gebracht. Wie die ‚Gartenlaube‘ mich zur Mitarbeiterschaft aufgefordert hatte, so wurden mir Einladungen von manchen anderen angesehenen, selbst den am meisten verbreiteten Zeitschriften.“

Doch auch die Kehrseite sollte dieser glänzenden Medaille der Anerkennung nicht fehlen. Temme sollte die ganze Frechheit des Nachdrucks verspüren, durch den wenige Autoren so schwere Verluste zu erleiden hatten, wie gerade er, der plötzlich so viel und gern gelesene Romandichter. Er zählt eine lange Reihe von Kämpfen gegen den Nachdruck auf, die alle vergeblich waren bis auf einen, wobei ihm der Oberprocurator in Cleve zu seinem Rechte verhalf. Die Entschädigung, die ihm dieser von dem Nachdrucker erwirkte, ließ Temme der Wittwe eines Landwehrunterofficiers aus dem Wittgensteinischen zukommen, der bei dem Sturm auf die Düppler Schanzen im Jahre 1864 gefallen war.

Um das Jahr 1866 gab er jeden Schritt gegen seine Nachdrucker auf und verschaffte sich auf diese einfachste Weise Ruhe.

Ist auch das vorliegende Buch aus Theilen zusammengesetzt, die zu verschiedenen Zeiten niedergeschrieben worden sind, je nachdem diese oder jene Erinnerung besonders lebhaft in dem Verfasser auftauchte, so giebt das Ganze doch ein interessantes Bild des schicksal-, thaten- und leidenreichen Lebens eines Mannes, der zu den würdigsten Repräsentanten der großen Kampfzeit gehört, ohne welche die Sehnsucht der Nation nach „Kaiser und Reich“ schwerlich sobald erfüllt worden wäre. Wie Jeder von jenen hervorragenden Repräsentanten der freiheitlichen Bewegung von 1848 verdient auch J. D. H. Temme die dankbare Theilnahme der Nation und ein Denkmal in unserer Literatur.




Als Weihnachtsgeschenke empfohlen!
Verlag von Ernst Keil in Leipzig.

Gerstäcker, Eine Gemsjagd in Tirol. Brosch. 10 ℳ. 0 Eleg. geb. mit Goldschn. 12 ℳ. 50 ₰.

Godin, Mutter und Sohn. Roman. 2 Bände Eleg. brosch.0 6 ℳ. –– ₰.

Gottschall, Rudolf von, Friedens- und Kriegsgedichte. 2. Auflage des „JanusPrachtband.0 4 ℳ. 50 ₰.

Heimburg, Lumpenmüllers Lieschen. Roman. Eleg. brosch.0 5 ℳ. –– ₰.

––––––– Kloster Wendhusen. Roman. Eleg. brosch.0 4 ℳ. 50 ₰.

––––––– Aus dem Leben meiner alten Freundin. Roman. 3. Auflage. Eleg. brosch.0 5 ℳ. –– ₰.

v. Hillern, Aus eigener Kraft. Roman. 3 Bände Eleg. brosch.0 9 ℳ. –– ₰.

Horn, Georg, Bei Friedrich Karl. Bilder und Skizzen aus dem Feldzuge der zweiten Armee. 2 Bde. Eleg. brosch.0 9 ℳ. –– ₰.

Marlitt, Gold-Else. Volks-Ausgabe. 14. Auflage. Eleg. brosch.0 3 ℳ. –– ₰.

––––––– Gold-Else. Salon-Ausgabe. Illustrirt von P. Thumann. 2. Auflage. Eleg. geb. mit Goldschnitt 10 ℳ. 50 ₰.

––––––– Das Geheimniß der alten Mamsell. Roman. 10. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch.0 6 ℳ. –– ₰.

––––––– Reichsgräfin Gisela. Roman. 6. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch.0 8 ℳ. –– ₰.

––––––– Haideprinzeßchen. Roman. 5. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch.0 9 ℳ. –– ₰.

––––––– Die zweite Frau. Roman. 6. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch.0 7 ℳ. 50 ₰.

––––––– Im Hause des Commerzienrathes. Roman. 2. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch.0 8 ℳ. –– ₰.

––––––– Thüringer Erzählungen. Inhalt: Die zwölf Apostel. – Der Blaubart. 5. Auflage. Eleg. brosch.0 4 ℳ. 50 ₰.

––––––– Im Schillingshof. Roman. 2. Auflage. 2 Bände Eleg. brosch.0 9 ℳ. –– ₰.

––––––– Amtmanns Magd. Roman. 2. Auflage. Eleg. brosch.0 5 ℳ. –– ₰.

v. Meyern, Teuerdank’s Brautfahrt. Romantisches Zeitbild. Eleg. brosch.0 4 ℳ. 50 ₰.

Meyr, Gleich und Gleich. Erzählung aus dem Ries. Eleg. brosch.0 2 ℳ. 70 ₰.

Michael, Vernünftige Gedanken einer Hausmutter. Eleg. brosch. 3 ℳ. Eleg. geb.0 4 ℳ. –– ₰.

Rittershaus, Emil, Neue Gedichte. 4. Auflage Prachtband.0 6 ℳ. 50 ₰.

Schefer, Leopold, Für Haus und Herz. Gedichte. Eleg. geb. mit Goldschnitt0 5 ℳ. 70 ₰.

Scherenberg, Ernst, Gedichte. 2. Auflage. Prachtband.0 5 ℳ. 25 ₰.

–––– ––––– Neue Gedichte. 2. Auflage. Eleg. geb. mit Goldschnitt0 2 ℳ. 60 ₰.

Scherr, Johannes, Goethe’s Jugend. Eleg. geb. 0 4 ℳ. 50 ₰.

Schmid, Herman von. Gesammelte Schriften, in 69 Heften (à 30 ₰.) 20 ℳ. 70 ₰.

––––––– Gesammelte Schriften, Neue Folge. Heft 70 u. folg. à 30 ₰.

––––––– Gesammelte Schriften, Neue Folge. Band I (der ganzen Reihe 33. Band.) à 75 ₰.

Steub, Altbaierische Culturbilder. Eleg. brosch.0 3 ℳ. –– ₰.

Stolle, Palmen des Friedens. Gedichte. 5. Auflage. Eleg. geb. mit Goldschn.0 4 ℳ. 50 ₰.

––––––– Deutsche Pickwickier. Komischer Roman. 3. Auflage. 3 Bände. Brosch.0 3 ℳ. –– ₰.

Temme, Erinnerungen. Herausgegeben von Stephan Born. Mit Temme’s Bildniß. Eleg. brosch.0 4 ℳ. 50 ₰.

Traeger, Albert, Gedichte. 14. Auflage. Eleg. geb. mit Goldschn.0 5 ℳ. 25 ₰.

v. Weber, Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. 3 Bände. Brosch. 20 ℳ. 50 ₰.

Werber, Feuerseelen. Erzählungen. Brosch.0 5 ℳ. –– ₰.

Werner, E., Gartenlaubenblüthen. Inhalt: Ein Held der Feder. – Hermann. 2. Auflage. 2 Bde. Eleg. brosch.0 6 ℳ. –– ₰.

––––––– Am Altar. Roman. 3. Auflage. 2 Bände. Eleg. brosch.0 6 ℳ. –– ₰.

––––––– Glück auf! Roman. 3. Auflage. 2 Bände. Eleg. brosch.0 7 ℳ. 50 ₰.

––––––– Vineta. Roman. 3. Auflage. 2 Bände. Eleg. brosch.0 7 ℳ. 50 ₰.

––––––– Gesprengte Fesseln. Roman. 3. Auflage. 2 Bände. Eleg. brosch.0 7 ℳ. –– ₰.

––––––– Um hohen Preis. Roman. 2 Bände. Eleg. brosch.0 8 ℳ. –– ₰.

––––––– Frühlingsboten. Roman. Eleg. brosch.0 4 ℳ. 50 ₰.

Ziel, Ernst, Gedichte. 2. vermehrte Auflage. Eleg. geb. mit Goldschnitt0 5 ℳ. 25 ₰.


Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Lossickelcken, eine Art Hausgeist in den Harzbergen.
  2. „Erinnerungen von J. D. H. Temme“. Herausgegeben von Stephan Born. Mit Temme’s Bildniß. Leipzig, Ernst Keil, 1883.

Anmerkungen (s)