Die Gartenlaube (1882)/Heft 41
[673]
No. 41. | 1882. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.
Spätsommer.
Arndt hatte sich endlich in eine Ecke der kleinen Holzbank
geworfen, welche an den Wänden der Hütte entlang lief und fiel
jetzt ohne Widerstand seinen stürmischen Gedanken anheim. Er sagte
sich, daß er seit Kurzem an einem Wendepunkte seines Lebens stehe;
denn veränderte Familienverhältnisse hatten die bisherigen Lasten
von ihm genommen, und er warf die Frage auf, ob es ihm noch
möglich sein würde, die Ideale seiner Jugend zu verwirklichen.
„Ach!“ seufzte er leise vor sich hin, „Freiheit ohne Jugend ist doch wie ein edles Gefäß, dem der köstliche Inhalt mangelt.“
Leidenschaftlich bewegt hob er den intelligenten Kopf. Hatte er denn noch die Kraft, den Staub des Lebens von sich zu schütteln, noch den Schwung der Phantasie, etwas nennenswerth Neues und Großes zu leisten? Sollte er mit den Besten seiner Berufsgenossen in die Schranken treten, um – wie es nun einmal das Loos des Architekten ist – mit dem sprödesten Material die erhabensten Empfindungen und die feinst gegliederten Gedanken zu offenbaren? Sollte er noch jetzt versuchen, sich einen Namen zu machen und die innerste Befriedigung seines Lebens zu erringen?
Diese Reise hatte ihn zur Gewißheit über sich selbst bringen, ihm gleichsam eine Zwischenstation des Lebens sein sollen, auf welcher er sich vom Gerassel der Welt erholen und auf seine eigensten Angelegenheiten besinnen wollte. Der Anfang war kein ermuthigender – abscheuliches Wetter das!
Er stand ungeduldig auf und trat zum zweiten Mal an die Oeffnung; vielleicht versprach der Himmel, sich aufzuklären, und gestattete ihm, weiter zu gehen. Im körperlichen Ausschreiten war ihm schon oft Muth in die Seele gekommen, und Entschlüsse, deren schwankende Umrisse sein Gemüth in dumpfer Enge fruchtlos hin und her geschoben hatte, pflegten sich ihm unter freiem Himmel wie von selbst zu formen.
Aber noch hatte sich das Bild da draußen um keinen Schatten verändert: unaufhörlich strömte der Regen, und grau in grau dehnte sich die Landschaft bis an den enggesteckten Horizont. Er preßte die klopfende Schläfe gegen den Rand der Luke. Erst nach geraumer Zeit sprang plötzlich der Wind um, peitschte flüchtig gegen die schlaffe Oberfläche des Meeres und fuhr wie unmuthig über den dunklen Himmel, dessen Wolken er mit unstätem Athem aus einander trieb, sodaß die Gewalt des Regens nachließ und endlich nur noch einzelne große Tropfen laut und hart auf das Dach der Hütte niederfielen.
Arndt horchte erregt auf das einförmige Geräusch; ihm ward zu Muthe, als durchbohrten jene Tropfen die Decke über seinem Haupte, als fielen sie eiskalt und unaufhörlich in seine Seele; unwillkürlich knüpfte er daran eine sonderbare Reflexion: diese beharrlich fallenden eisigen Tropfen erschienen ihm wie die kleinen und darum desto empörenderen Leiden eines nüchternen, unliebsamen Geschäftslebens, unter dem er lange genug gelitten.
Er biß die Zähne zusammen und lächelte spöttisch.
„Wen der Satan nicht im Gewühl der Welt packen kann, den faßt er in der Phantasie! Ich werde hier noch zum sündlichen Träumer,“ murmelte er, blieb trotzdem unbeweglich an der kleinen Luke stehen, aber mit kräftigem Willen bannte er allen Mißmuth und Kleinmuth aus dem Gemüthe.
Aufmerksam verfolgte sein Blick, wie die frische Ostbrise immer neckischer über die graue See zog und das Wasser zu tausend und aber tausend flüchtig schäumenden Wellchen aufwiegelte. Plötzlich entlockte ihm ein anmuthiges Zukunftsbild ein flüchtiges Lächeln, um ihn gleich darauf von Neuem in ernstes Nachdenken und – mehr als das – in ein ihm sonst völlig fremdes Ueberlegen zu werfen: sei es nun, wie es sei; mochte er nun im Stande sein, in neue Bahnen seines Berufes einzulenken oder nicht, warum sollte er nicht seine reifen Mannestage durch den herzerfreuenden Zauber eines holden Frauenlächelns verschönen?
Er hatte in seinem Leben ja viele und mancherlei Frauen gesehen. Die Hübschen waren oft dumm und eitel, die Klugen meist häßlich und hoffärtig gewesen, und zwischen ihm und den Besten hatte gar zu häufig von vornherein jene Scheidewand der „Verhältnisse“ gestanden, über welche wohl ein leicht beschwingter Traum hinfliegen mag, an der aber alle weiteren Erwägungen abprallen.
Nun war er vor Kurzem einer jungen Dame begegnet, mit welcher eine Verbindung für’s Leben ebenso vernünftig gewesen wäre, wie sie ihm angenehm und schön erschien. Erna Lepel war wohlhabend, heiter, witzig, voll anziehender Freundlichkeit und natürlichen Wesens. Sie hatte ein hübsches Zeichen- und Maltalent, zu dessen Ausbildung sie in die Residenz gekommen war und das auch ihn gelegentlich sehr interessirt hatte. – In ihrem gemeinsamen Bekanntenkreise war er nicht der einzige Mann, welchem sie gefiel, aber er glaubte bemerkt zu haben, daß die hübsche junge Dame von vornherein nur ihn auszeichnete.
Dennoch wunderte er sich heute früh, daß er, der kaum Freigewordene, überhaupt an eine dauernde Verbindung, gleichviel welcher Art, denken mochte: vielleicht liebte er das Mädchen wirklich – oder beruhten seine Wünsche auf einer mehr allgemeinen, [674] mehr selbstsüchtigen Regung; war es das dunkle Gefühl, daß er, der bisher nur für Andere gelebt hatte, nun auch ein Herz sein eigen nennen wollte, das für ihn lebte? Der lieblich bewegte Flammenschein des häuslichen Herdes gaukelte zuweilen in heiteren Bildern durch seine Seele.
Alles das gestand er sich auch jetzt. Und – mochte er nun Erna Lepel leidenschaftlich lieben oder nicht: – sollte das überhaupt nöthig sein ....? Ja, vielleicht war es gar nicht einmal wünschenswerth. – – –
Er hatte bisher noch nicht geliebt; – und höchstens seine Phantasie hatte sich einmal lange – es war wohl Jahr und Tag gewesen – mit einer Frau beschäftigt – – –
„Doch hinaus aus dieser hölzernen Hütte, diesem Gedankenkasten!“ unterbrach er sich selbst, indem er, beinahe lächelnd, die Wände der kleinen Strandhütte betrachtete. „Der Regen scheint endlich abzuziehen.“
Eben wollte er Plaid und Hut von der Wand nehmen, als sein Blick auf einen groß und leserlich an die Bretter verzeichneten Namen fiel. Daß der Eigenthümer desselben ein noch unreifer Knabe war, konnte man wohl daraus schließen, daß er mit leuchtendem Rothstift geschrieben und mit allerlei symbolischen Initialien und Endschnörkeln in kindlicher Weise verziert war.
Arndt stutzte und starrte einige Secunden auf die Wand.
Doch er war des Nachdenkens müde.
„Wer sich mit Räthseln abgiebt, dem wachsen die Räthsel entgegen wie Hydraköpfe!“ meinte er unwillig und trat in’s Freie hinaus. Aber seine Gedanken gewannen damit nicht sogleich eine andere Richtung.
„Curt Brandenburg!“ sagte er laut vor sich hin und beschrieb mit seinem Wanderstabe einige weite Kreise in der Luft. Dann schritt er mit willenskräftiger Eile, wie Jemand, welcher findet, daß er sich zu lange mit sich selbst aufgehalten hat, von Neuem vorwärts.
Im Süden theilte sich die letzte Wolkenmauer. Sonnenstrahlen fielen schräg über die Dünen auf den Sand; fern im Westen dämmerte der Wald hervor, und ein weiches, verlorenes Grün schimmerte lebenverkündend durch die graue See. Flüchtig wie ein eilender Bote des Lichts wurde es bald hier, bald dort sichtbar und schlängelte sich in tausend flüchtigen Formen durch die mit weißen Schaumkränzchen geschmückte Fluth.
Arndt dachte, indem er weiter schritt, an Curt Brandenburg und an dessen Mutter. Während er seinen Weg nicht ohne schließliche Anstrengung auf dem vom Regen noch weichen Sandboden fortsetzte, erwachte in ihm eine Erinnerung nach der andern.
Merkwürdig, daß er heute, nach Jahren, auf einer entfernten Insel den Namen des Knaben lesen mußte! Und noch dazu in dem nämlichen Augenblicke, da ein flüchtiger Gedanke das früher einmal so lebhaft von ihm erfaßte Bild von Curt’s Mutter gestreift hatte – jenes Bild, das mit allen seinen Reizen und seiner feinen Individualität ihn einst monatelang beschäftigt. Der Zufall hatte da ein wunderliches Spiel mit ihm, dem ernsten Manne, getrieben.
Doch jeder anhaltenden Träumerei durchaus ungewohnt, blieb jetzt Arndt auf einmal förmlich befremdet stehen: ihm war, als habe sich die Landschaft um ihn her wie mit einem Zauberschlage verändert; denn ganz mit seiner Innenwelt beschäftigt, hatte er jenes Ringen von Licht und Schatten, jenes Wallen und Ziehen am Himmel und auf Erden, kurz, alle jene drastischen Schönheiten des Uebergangs von einer Naturstimmung in die andere übersehen.
Der Himmel strahlte jetzt im reinsten Azurblau, und die kühn aufgebauten Wolken am Horizont leuchteten silberhell über die lachende See und schienen in selbstbewußter Heiterkeit die stolzen Leiber in die freien Lüfte hinauszurecken.
Die Dünenkette lag bereits weit zurück, und während die Sonne unten auf dem Meeresgrunde unermüdlich ihre feinmaschigen Goldnetze zog, so oft auch eine heranplätschernde Welle ihr dieselben wieder zerreißen mochte, floß das Licht über die hohen Uferwände, welche sich nunmehr zur Linken des Wanderers erhoben, in breiten, sanften Strömen, sodaß ihre feuchten, tiefschluchtigen Hänge auf den buntsteinigen Strand herabschimmerten, als wären sie mit weichem, stellenweise schön gefaltetem Sammet umkleidet.
Arndt legte die Arme fest in einander, reckte sich, tief aufathmend, in die Höhe und sah lange um sich. Ihm ward zu Muth, als tränke er in diesen Augenblicken einen feierlichen Verjüngungstrank.
Dann – nachdem er eine gute Weile so gestanden hatte – bog er in einen kleinen Fußpfad ein, welcher sich das hohe Ufer hinaufschlängelte, warf, oben angekommen, noch einen letzten Blick auf die weite, leuchtende Meeresfläche zurück und wandte sich schnell landeinwärts, um geraden Weges auf das kleine Stranddorf loszuschreiten, welches das nächste Ziel seiner Wanderung war.
Im Speisezimmer des freundlichen Gasthofes zum „Schwarzen Seehund“ war es fast leer. Die meisten Badegäste, welche sich zur Zeit in dem Dörfchen aufhielten, dessen vornehmstes Local eben jener Gasthof war, hatten bereits früh zu Mittag gegessen, um ihren weiteren Tagesvergnügungen entgegenzueilen. So konnte sich denn die Sonne ungehindert auf dem schönen „eigengesponnenen“ Tischtuche breit machen, welches seiner ganzen Länge nach über der Haupttafel des Zimmers ausgespannt lag, obgleich nur noch an ihrem obersten Ende und zwar von einer einzigen Person gespeist wurde. Diese einzige Person war Herr Architekt Arndt, dem man hier nachträglich aufwartete und dem die Fürsorge der Wirthsleute nach seinem anstrengenden Marsche ganz ausnehmend wohl zu thun schien.
Der Wirth selbst, eine breitschulterige, ziemlich untersetzte Insulanergestalt, saß in unmittelbarer Nähe des Gastes rauchend am Fenster und sorgte für die Unterhaltung, so oft sich seine Frau entfernte, um ein frisches Gericht hereinzubringen. Er sprach wenig, aber seine Erscheinung war so originell, daß ein flüchtiger Blick auf dieselbe mehr Anregung und Zerstreuung bot, als ein stundenlanges Gespräch mit manchem Andern zu thun vermag: mit beiden Händen in den Hosentaschen, lag er mehr auf dem Stuhl, als daß er saß, und gab durch diese Haltung untrüglich zu erkennen, daß er vor Uebernahme des „Seehunds“ Schiffer gewesen war. Noch eigenthümlicher als seine nachlässige Stellung war sein höchst charakteristischer Kopf; jede Falte seines gelbbraunen, über und über runzligen Gesichtes verrieth einen ausgesprochenen Schifferhumor, und das dreist überlegene Lächeln seines breiten, etwas schief geschlitzten Mundes, sowie der lebhafte, halb schlaue, halb gutmüthige Ausdruck seiner Augen waren von besonderer Art.
Arndt hätte keine angenehmere Tischunterhaltung haben können, als den Anblick dieses Mannes, der größtentheils schweigend die „Honneurs“ machte und jeden beobachtenden Blick mit einem wohlgefälligen Blinzeln zurückgab, das nicht nur eine sehr ungenirte Gegenbeobachtung ausdrückte, sondern auch zu sagen schien: „Ick glöv woll, dat ick Die gefall! so ’nen Kierl as mie seh’n de Binnenländschen nich alle Daag.“
Redseliger als der Alte war offenbar die kleine blaubebrillte Wirthin, welche, sich einer „höheren“ Schulbildung erfreuend, ihrem neuen Gaste schon während der Suppe in sehr gespreiztem Hochdeutsch ihre eigene Lebens- und Familiengeschichte berichtet, sowie diejenige der verschiedensten Badegäste des Dorfes angedeutet hatte.
Soeben trat sie mit dem Braten ein, und Arndt erwartete mit ziemlicher Bestimmtheit nun auch den Namen „Brandenburg“ von ihr zu hören, als eine lebhafte Bewegung des Wirthes seine Aufmerksamkeit von der behende herantrippelnden Frau ablenkte.
„Rieken!“ sagte der Alte, mit dem Daumen über die Schulter fort nach draußen zeigend, ohne seine sonstige Stellung zu verändern.
Arndt sah hinaus und bemerkte, daß zwei nicht mehr junge Damen auffallend eiligen Schrittes am Fenster vorüber gingen.
„So hild (eilig) hebben de dat ümmer!“ fuhr der Wirth, zu Arndt gewandt, fort, schwieg dann wieder und blinzelte seinen Gast herausfordernd an.
„Wohnen die Damen hier bei Ihnen?“ fragte dieser mit der müßigen Neugier des Reisenden.
„Nein, aber sie nehmen hier ihre Mahlzeiten ein,“ erwiderte die kleine Wirthin, gewandt die Unterhaltung an sich reißend. „Und da sie schon so langjährige Kunden sind, Herr Architekt, nehmen wir Rücksichten und stellen das Essen warm, so lange es irgend gehen will. – Zuweilen freilich hat es große Bedenklichkeiten für eine Hausfrau, die doch stets –“
Die Zungenfertigkeit der gebildeten Rügianerin wurde kurz abgeschnitten; denn die Thür eines Nebenzimmers öffnete sich hastig, [675] und die beiden Damen trabten rasch hinter einander ein. Die voranschreitende nickte kurz dem Wirth und der Wirthin zu, warf von unten herauf einen beobachtenden Blick auf Arndt und sagte dann sehr vernehmlich: „Guten Tag!“, worauf auch die nachfolgende Dame in etwas zerstreutem Ton und mit einer auffallend tiefen, aber nicht unschönen Stimme die Anwesenden grüßte; dann schritten Beide in ungewöhnlicher Geschwindigkeit auf ein Nebentischchen zu, an welchem bereits für sie gedeckt war.
Es machte Arndt zunächst den Eindruck, als fühlten sich die Damen durch ihn irgendwie in ihren Rechten beeinträchtigt – vielleicht, weil sie sonst um diese Tageszeit hier im Speisezimmer die Alleinherrschaft zu haben pflegten und gerne ungestört waren, vielleicht auch nur, weil neben ihm weit aufgeschlagen das Unicum einer Gasthauszeitung lag, welches er vorhin ihrem Tischchen entnommen hatte.
Indessen verspürte er keine Lust, ihnen in irgend einer Weise zu weichen, und verzehrte mit völliger Muße seinen Braten, während die Wirthin hinauseilte, um alsdann mit vollen Tellern und überströmendem Redestrome zurückzukehren und die Damen zu bedienen. Ihr Mann sah inzwischen mit behaglicher Pfiffigkeit zu den beiden Damen hinüber, welche eifrig einige Worte mit einander flüsterten.
Arndt betrachtete die Letzteren mit jenem Gemisch von Neugier und Gleichgültigkeit, das man in öffentlichen Gastzimmern seinen Mitspeisenden gegenüber zu empfinden pflegt. Es schien ihm unzweifelhaft, daß Beide Schwestern waren; denn die höchst schlichte, aber geschmackvolle Kleidung der Einen sah derjenigen der Anderen zum Verwechseln ähnlich; auch waren sie Beide in gleicher Weise tief brünett und hatten die nämlichen ausgesprochen kräftigen Bewegungen.
Trotzdem mußten sie sehr verschiedenen Charakters sein; denn in den ziemlich regelmäßigen Zügen der etwas Jüngeren lag eine versteckte weibliche Anmuth, und ihre etwas melancholischen großen, braunen Augen verriethen, wenn sie einmal schnell vom Tischtuch aufblickten und zur Schwester hinübersahen, eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit. Von alledem zeigte das Gesicht der Aelteren, welche annähernd fünfzig Jahre zählen mochte, keine Spur; es hatte auf den ersten Blick etwas Trockenes, ernsthaft Entschlossenes, sah man aber aufmerksamer in die kleinen schwarzbraunen Augen, so blitzte darin ein ungewöhnlich scharfer Mutterwitz, der eine warme Herzensgüte mehr zu verdunkeln als auszuschließen schien.
Der Wirth, welcher Arndt’s Blicken gefolgt war, nahm wieder einmal das Wort, sprach aber diesmal etwas leiser, obgleich die Damen drüben mit seiner Frau redeten.
„Jung nich – hübsch ock nich – äwer pläsirlich,“ sagte er schmunzelnd.
„Wenn Sie sich selbst meinen, Herr Putbrese, so paßt Ihre Schilderung allerdings auffallend,“ antwortete Arndt lachend.
Der Alte grinste verständnißvoll.
„De nähmen mie nix äöwel,“ entgegnete er selbstbewußt. „Jä,“ fuhr er dann fort und verzog den Mund noch mehr als gewöhnlich, „blos üm mie sünd f’ nu all vier Manden hier – jä, jä!“
Dann stand er auf, wankte auf die Damen zu und fragte auf seine Weise nach ihrem Befinden und den Thaten des Vormittags. Die Schwestern antworteten mit vielem Humor, und die jüngere, welche sich sofort bei Putbrese’s Annäherung lebhaft in die Höhe gerichtet hatte, that es der älteren fast noch zuvor, als sich jetzt an dem Tischchen eine Unterhaltung zu Vieren entspann; ja, in dem ihr eigenthümlichen tiefen Basse ließ sie sogar von Zeit zu Zeit ein herzhaftes Lachen ertönen.
Arndt hatte sich in seine Zeitung vertieft und auch wohl gelegentlich einen belustigten Blick über die stark in Kreidefelsen und Grasgrün gearbeiteten Wandgemälde des Zimmers gleiten lassen, behielt dabei aber Aufmerksamkeit genug für die kleine Gruppe, um bald dem Gespräche zu entnehmen, daß beide Damen Malerinnen waren.
Nach einiger Zeit trat der Wirth wieder zu ihm heran.
„Jä,“ sagte er, mit seiner gewöhnlichen Daumenbewegung nach rückwärts auf die Damen deutend: „Sie glöben mie ’t woll nich?“
„Was?“ fragte Arndt und blickte unwillkürlich zum Fester hinaus, unter welchem soeben ein Schatten vorüberhuschte.
„Na nu!“ meinte der Alte und sah sich gleichfalls um, kehrte aber sofort wieder den Blick in’s Zimmer zurück. Dann kniff er das eine seiner weiten Schlitzaugen vollständig zusammen und sagte ziemlich laut:
„Jä, wat de Jüngste is, de het ’ne ‚unglückliche Leidenschaft‘ för mie – hähä!“
„Wen wollen Sie eigentlich zum Besten haben, Herr Wirth, sich oder mich?“ fragte jetzt Arndt, mehr ungeduldig als amüsirt.
„Na, na, man ümmer sachting (langsam),“ grinste der Alte. „Jä, jä, dat sünd so’n Saaken (solche Sachen).“
Dann zog er launig die Schultern auf und nieder und setzte sich wieder auf seinen Fensterplatz zurück.
Aber Arndt beachtete ihn nicht mehr; denn soeben war in der Thür des Nebezimmers ein blonder, ungefähr neunjähriger Knabe erschienen, der, ohne sich weiter umzusehen, schnell auf die beiden Malerinnen zuging.
„Na ja! Das wußt’ ich ja,“ sagte er. „Guten Tag! Es ist schrecklich heiß draußen.“
„Was wußtest Du?“
„Daß Ihr mit Eurem Mittagessen noch nicht fertig seid.“
„Du entschuldigst wohl, Curt,“ sagte die jüngere Dame lachend, „wenn wir uns im Essen nicht stören lassen?“
„Meinetwegen könnt Ihr so lange essen, wie Ihr wollt. Das alte Gemale ist das Langweiligste auf der ganzen Welt.“
„Du bist ja recht höflich. Willst Du nicht Platz nehmen?“
„Muß man höflich sein, wenn man …“ sprudelte der Knabe feurig heraus, brach dann aber kurz ab und setzte sich neben die ältere Schwester.
„Nun? Wenn man –“ fragte diese trocken.
„Ach! ich meine … wenn man sich ‚Du‘ nennt?“
Diese Worte warf der Junge gleichsam hastig hinter den Anfang seines Satzes her, und es schien fast, als ob sie ihn innerlich verlegen gemacht hätten; denn er lächelte, während er sprach, und fing gleich darauf an, mit großem Ernst eine Scheibe trockenen Brodes zu verzehren.
Arndt hätte gern ihn noch länger unbemerkt aus der Entfernung beobachtet, aber er fürchtete, die Damen möchten, wenn er mit seiner Annäherung zögerte, aufbrechen, bevor er sich genähert. So erhob er sich denn schnell und trat auf das Nebentischchen zu. Einen Augenblick stutzte Curt, aber nur einen Augenblick.
„Ah!“ rief er dann und flog vom Stuhl in die Höhe.
„Ja, wir sind alte Freunde,“ sagte Arndt. „Verzeihen Sie, meine Damen! Mein Name ist Arndt – Architekt Arndt.“
Die ältere der Damen erhob sich.
„Auguste Lappe!“ sagte sie mit Würde und setzte sich auf der Stelle wieder nieder. Dann hustete sie kurz an, zeigte auf ihre sich nur ein wenig erhebende Schwester und fügte hinzu: „Adelheid Lappe! Wir können wirklich nichts dafür!“
„Ich kenne auffallendere Namen,“ erwiderte Arndt etwas lächelnd, aber höflich.
„Das tröstet mich,“ sagte die eigentümliche Ceremonienmeisterin, ohne eine Miene zu verziehen.
„Aber schön ist es nicht, Lappe zu heißen, man denkt dabei an waschlappige Leute, an ganz andere Menschen, als Ihr seid!“ rief Curt eifrig dazwischen, während die beiden Malerinnen die Erscheinung des fremden Architekten einer halb scheuen, halb energischen Prüfung unterwarfen.
Arndt hielt noch immer die Hand des Knaben, der so aufgeregt zu ihm emporblickte, als wisse er vor lauter auf ihn einstürmenden Gedanken nicht, wo er anfangen sollte zu reden.
„Also, Du hast mich wirklich wieder erkannt, mein Sohn? Spielst Du denn noch fleißig Ball?“ begann Arndt.
„Gewiß nicht!“
„Schade! – Du bist wohl zu groß dazu geworden?“
„Nein, aber zu alt. Groß bin ich nicht. Sehn Sie nicht, daß ich ein Knirps bin?“
„Nein; das sehe ich wirklich nicht, aber ebenso wenig wäre mir Dein hohes Alter aufgefallen.“
„Meinetwegen können Sie lachen,“ sagte der Knabe. „Aber ich bin doch zu alt, um Ball zu spielen. Lachen Sie nur! Meine Mutter würde nicht darüber lachen; die ist ernsthaft, Herr Arndt.“
„Deine Frau Mutter konnte doch früher so schön lachen?“ fragte Arndt.
„Das kann sie auch noch!“ antwortete der Knabe. Dann sah er plötzlich zu Arndt auf und blickte ihn mit großen, wunderlich leuchtenden Augen trotzig an.
[676] „Aber ernsthaft ist sie doch,“ fügte er mehr unwillkürlich, als absichtlich hinzu; denn er wurde gleich darauf unruhig und fragte lebhaft: „Sie … woher kennen Sie denn meine Mutter?“
„Das kann ich Dir sagen; ich habe sie von meinem Garten aus reden und lachen hören, als ich Euer Nachbar war. – Doch jetzt, mein Knabe, will ich Dich nicht länger aufhalten“
Die Damen erhoben sich rasch, als hätten sie längst unwillig auf diese Aeußerung gewartet.
„Ich habe auf acht Tage bei Herrn Putbrese Quartier genommen und hoffe, wir setzen hier unsere Berliner Bekanntschaft fort,“ fügte er noch eilig hinzu. „Wo wohnst Du denn?“
„Wir wohnen nicht hier; wir wohnen im andern Dorf.“
„Diese Dörfer sind nämlich Zwillingsdörfer,“ warf Auguste ein.
„Und ich quäle ihn, jeden Nachmittag zu mir zu kommen,“ erklärte Adelheid. „Wir bilden uns ein, unser Freund Curt wird einmal ein großer Mann werden, und da möchte ich gerne sein Kindergesicht unsterblich machen – ihn malen.“
„Es wird eine Ueberraschung für meine Mutter,“ seufzte Curt mit ehrlichem Abscheu.
„Ja, das hilft Dir nichts, Curt; die Unsterblichkeit wird immer theuer erkauft,“ tröstete Adelheid.
„Sie sind also Portraitmalerin, mein gnädiges Fräulein?“
„Ja, meine Schwester ist Malerin!“ antwortete Auguste statt der Gefragten; sie sagte es mit mütterlichem Stolze.
„Sind Sie auch Malerin, gnädiges Fräulein?“
„Natürlich – ich auch.“
„Natürlich?“
„Sie kennen das also nicht? Das Malen ist ansteckend. – In Berlin ist es epidemisch.“
Arndt und Adelheid lachten herzhaft.
„Wenn die Damen erlauben, werde ich Ihnen meinen Besuch machen,“ sagte er. „Das Portrait meines jungen Freundes interessirt mich. Ich darf es doch sehen?“
„Es ist noch nicht fertig,“ beeilte sich Adelheid ängstlich hervorzuheben
„Fürchten Sie nichts, mein gnädiges Fräulein! Ich verspreche, mich auch im Stillen jedes voreiligen Urtheils zu enthalten. Darf ich kommen?“
„Gegen fünf!“ vermittelte Auguste, „dann wird das Atelier aufgehoben“
„Aber, wie gesagt, das Bild ist noch nicht fertig!“ betonte Adelheid noch einmal.
Arndt schien es zu überhören
„Auf Wiedersehen!“ sagte er und schüttelte Curt herzhaft die Hand; dann empfahl er sich auch den Damen.
Es war zwei Stunden später und genau um die angegebene Zeit, als der Architekt Arndt bei den Malerinnen erschien.
Wie erlöst, sprang Curt von seinem Portraitirsessel in die Höhe, als der Gast auf Augustens „Herein!“ das Zimmer betrat.
„Einen Augenblick noch!“ bat Adelheid, nachdem sich beide Damen gegen den Eintretenden verbeugt hatten.
„Curt, Du mußt noch einen Augenblick still sitzen.“
Arndt blieb im Hintergrunde des Zimmers stehen und trat vor das wirklich meisterhaft gemalte Bild des alten Putbrese, das dort auf einer Staffelei aufgestellt war.
„Ausgezeichnet!“ rief er. „Ein in’s Nordische übersetzter Silen.“
Adelheid ließ Palette und Pinsel freudig sinken. Diesen günstigen Augenblick benutzte aber Curt – mit einem Sprunge hatte er seinen Sitz verlassen, und nun stand er neben Arndt.
„Herr Arndt bewundert Tante Adelheid’s unglückliche Liebe,“ rief er ausgelassen.
Adelheid war ganz roth geworden. Die kindische Wiederholung eines offenbar familiären Scherzes vor fremden Ohren schien sie einen Augenblick heftig zu ärgern.
Aber die Freude, welche ihr Arndt’s Bewunderung gewährt hatte, hob sie schnell über jede kleinliche Empfindung hinweg.
„Es freut mich, daß Sie ihn ähnlich finden,“ sagte sie, rasch hinter den Architekten tretend. „Es ist das zweite Mal, daß ich den originellen Wirth vom ‚Schwarzen Seehund‘ portraitire, und es ist nicht leicht, das Gemisch von Gutmütigkeit und Schlauheit herauszubringen, das unsern Freund charakterisiert, nicht leicht, es auf diese breite Gesichtsfläche zu vertheilen.“
„Das kann ich mir denken,“ bestätigte Arndt; „denn beide Eigenschaften müssen so auch wieder in selbstständiger Prägnanz hervortreten. – Und,“ fuhr er, immer auf das Bild blickend, fort, „dabei ist der Kerl auch eitel – ganz abnorm eitel! Er kokettirt mit seinen nachlässig hingeworfenen plattdeutschen Brocken wie nur Einer. – Ein Elementarmensch mit den natürlichen Keimen zu allen conventionellen Sünden!“
Adelheid hatte ihre bisherige Zurückhaltung gegen Arndt plötzlich überwunden. Es hatte für den Architekten etwas halb Rührendes, halb Komisches, wie sie voll ernster Andacht zu dem Bilde des wunderlichen alten Kauzes aufsah und ausführlich in einer sonderbar begeisterten Weise mit ihm über dasselbe sprach.
Beide wurden erst von ihrem Thema abgelenkt, als Auguste sich an Arndt wandte.
„Verzeihen Sie, Herr Architekt – wir müssen jetzt aufbrechen. Wir unternehmen mit mehreren Damen und Herren eine Segelpartie. Wollen Sie sich der Gesellschaft anschließen?“
Arndt nahm die freundliche Einladung mit großer Bereitwilligkeit an.
„Tante Auguste, mein Hut! Wo hast Du meinen Hut hingelegt?“ rief jetzt plötzlich Curt. „Ich muß fort; sonst komm’ ich zu spät.“
„Hier, mein Junge!“ erwiderte das Fräulein, indem sie auf den auf einem Stuhle liegenden Hut wies. „Amüsirt Euch gut! Grüß’ auch Deine Mutter!“ –
Arndt fühlte sich auf einmal außerordentlich ernüchtert: Also Frau Brandenburg und ihr Sohn machten eine andere Partie? Das hatte er nicht erwartet – schade in der That, sehr schade!
„Kommt Deine Mutter Dir entgegen?“ fragte Adelheid.
„Ja, bis an’s hohe Ufer.“
„Adieu, Curt!“ sagten die beiden Damen. „Erinnere sie daran, daß wir sie übermorgen erwarten!“
„Und mich empfiehl Deiner Frau Mutter!“ warf der Architekt ein. „Unbekannter Weise! Hörst Du, mein Sohn?“
„Gar nicht unbekannt! Ich hab’ ihr früher tausendmal von Ihnen erzählt!“ rief der Junge zurück und erwiderte feurig Arndt’s Händedruck. Dann schoß er eilfertig davon.
Adelheid sah ihm vom Fenster aus nach und Auguste bemerkte:
„Ein verrückter Brausekopf! – nur seine Mutter vergißt er niemals. – Er hat uns auch erzählt, wie er mit Ihnen bekannt geworden ist.“
Nicht wahr, ein hübsches kleines Erlebniß inmitten der Großstadt, wo man sonst vor lauter Lärm nichts zu erleben pflegt, selbst wenn man die Zeit dazu hätte? – Und jetzt erlauben Sie ... ich interessire mich ungewöhnlich für diesen ‚verrückten Brausekopf‘ – –“ und damit trat Arndt vor Curt’s Portrait.
„Wir sind gleich wieder da,“ sagte Auguste und verließ mit ihrer Schwester das Zimmer.
Garibaldi.
Die Präliminarien von Villafranca (11. Juli 1859), denen der Friedensschluß von Zürich (10. November) als eine bloße Formalität nachhinkt, hatten Italien unfertig, in Verwirrung und Gereiztheit gelassen. Der meineidige Decembermann in den Tuilerien glaubte ein wahres Wunderwerk von schlauer Staatskunst zuwegegebracht zu haben, als er nach den Tagen von Magenta und Solferino jählings einen Frieden schloß, welcher die Oestreicher im Festungsviereck und in Venedig, den Flüche speienden Pius in Rom, den König Bomba in Neapel ließ, die
[677][678] Despoten Mittelitaliens auf ihre Thrönlein zurückzuführen versprach und alle diese widerhaarigen Elemente mit dem widerhaarigsten, dem um Mailand vergrößerten konstitutionellen Piemont, in eine italische Konföderation zusammenbinden wollte. Ein absurder Gedanke, der lächerlich gewesen sein würde, falls er nicht zu dumm war, um komisch sein zu können! Der Aushecker dieser Absurdität wähnte damit drei Fliegen mit einem Schlage getroffen zu haben: Er glaubte erstens, mittels Schaffung dieser Mißgeburt von einem geeinten Italien sich vor der Wiederholung einer Orsini’schen Bombenmahnung gesichert zu haben. Er glaubte zweitens, den Papst und somit auch die französische Klerisei auf’s neue und fest sich verpflichtet zu haben. Er glaubte drittens, der Selbstsucht Frankreichs eine wirksame Schmeichelei dargebracht zu haben, indem er Italien so zerrissen und ohnmächtig ließ, wie es vorher gewesen. Man weiß ja, daß es von jeher das Dogma aller französischen Parteien war und bis zur Stunde blieb, Frankreich müsse schlechterdings ein zerstückeltes und machtloses Deutschland und ein zerrissenes und ohnmächtiges Italien zur Seite haben, um sich in aller Bequemlichkeit als „la grande nation“ aufspielen zu können.
Nun aber geschah wieder einmal etwas in der Welt, was den Beweis erbrachte, daß der Gedanke doch mächtiger sei als die materielle Gewalt, die Begeisterung weiser als die List und die Kraft des von einem großen Wollen und Wagen erfüllten Gemüthes stärker als alle Fädengespinnste und Maschenknüpfungen der Diplomatie. Ein Realpolitiker würde nie zu denken gewagt haben, was der Idealpolitiker Garibaldi im Jahre 1860 kurzweg that, indem er nach Sicilien jene „Tausend von Marsala“ führte, die in ihrer Art ein nicht minder ehrenvolles Gedächtniß in der Geschichte für immer sich gestiftet haben als vordem die dreihundert Spartiaten des Leonidas.
Grollend über die Abmachungen von Plombières, wo Cavour Savoien und Nizza an den Kaiser der Franzosen verschachert hatte, um dessen Beistand gegen Oestreich zu erlangen, war Garibaldi aus dem turiner Parlament weggegangen. Er war dort überhaupt nicht an seinem Platze gewesen. Männer der That scheinen ja überhaupt nicht an ihrem Platze zu sein in diesen Versammlungen, welche namentlich während des letzten Jahrzehnts, als wären sie mit Blindheit geschlagen, leider so eifrig daran gearbeitet haben, das Ansehen und die Geltung des Parlamentarismus in den Augen der Völker abzuschwächen oder ganz zu ruiniren.
Das Jahr 1882 hat Enthüllungen gebracht, die ein helles Licht werfen auf die eigenartigen und wohlthuenden Beziehungen zwischen Garibaldi und dem König Vittorio Emanuele, welchem Italien so großen Dank schuldet. Der König-Ehrenmann („il rè galantuomo“), wie ihn Garibaldi zu nennen pflegte, hatte in seinem Wesen manche Aehnlichkeit mit diesem. Vor allen die, daß auch ihm Italien über alles ging. Nur kleine Seelen konnten die Meinung verlautbaren, der König sei durch eine kleinlich-ehrsüchtige Hauspolitik geleitet und getrieben worden. Er war vielmehr ein italischer Patriot, wie einen solchen Italien unter seinen Fürsten noch niemals gesehen hatte. Als zu Anfang des Jahres 1860 Garibaldi von dem Cavour’schen Schachergeschäft zu Plombières erfuhr, schrieb er am 17. Januar aus Fino nach Turin an den Oberst Türr: „Haben Sie die Güte, Seine Majestät zu fragen, ob die Abtretung Nizza’s an Frankreich eine beschlossene Sache sei! Diese Frage wird von meinen Mitbürgern“ – (Garibaldi war bekanntlich 1807 in Nizza geboren) – „in dringender Weise an mich gerichtet: Antworten Sie sofort durch den Telegraphen! Ja oder Nein!“ Türr begab sich in’s Schloß und suchte eine Audienz nach. Der König, unbässlich, empfing ihn im Bette liegend, mit aufgekrämpelten Hemdsärmeln. Er ließ sich den Brief Garibaldi’s geben, las denselben und sagte, die scharfen Augen auf Türr geheftet: „Durch den Telegraphen? Ja oder Nein? Sehr gut!“ Dann nach einer kurzen Pause: „Nun denn, Ja! Aber sagen Sie dem General: Nicht allein Nizza, sondern auch Savoien! Und wenn ich mich entschlossen habe, die Heimat meiner Ahnen, den Stammsitz meines Geschlechtes dahinzugeben, so wird er sich wohl bequemen können, den Ort zu verlieren, wo er geboren ist.“ Endlich, nach einer abermaligen Pause, sagte der König noch in schmerzbewegtem Ton: „Ja, es ist ein grausames Geschick, daß ich und er für Italien das größte Opfer bringen müssen, welches man von uns verlangen kann.“ Italien hat bekanntlich seit 1850 viel Glück, außerordentlich viel Glück gehabt: sein größtes aber war, daß es zu gleicher Zeit einen Garibaldi, einen Cavour und einen Viktor Emanuel besaß.
Die unmittelbaren Folgen des Friedens von Zürich zeigten die angebliche Staatskunst Napoleons des Dritten in ihrer ganzen Nichtigkeit auf. Es folgte dann der frevelhafte Schwindel des mexikanischen Abenteuers, den Anfang vom Ende der pseudobonaparte’schen Herrlichkeit zu markiren. Die Zustände in Italien waren unleidlich. Die Bestimmungen des züricher Friedens flatterten als werthlose Papierfetzen im Winde. Von dem Spottgebilde eines italischen Staatenbundes keine Rede! Die Bevölkerungen von Mittelitalien fielen mittels feierlicher Volksbeschlüsse dem König Viktor Emanuel zu, und die von Unteritalien und Sicilien lechzten nach Erlösung aus bourbonischer Pein. Die im Vatikan arbeitende Flüchespritze goß aber nur Oel in das Feuer nationaler Begeisterung. Dieses Feuer im Geheimen zu schüren, war der im Januar 1860 nach kurzer Unterbrechung wieder an’s piemontesische Staatsruder zurückgekehrte Cavour eifrig bemüht. Zugleich wusste der große Minister dem Despoten in den Tuilerien, welcher Italien noch immer unter seiner Hand zu haben wähnte, ein Beschwichtigungsgaukelspiel von vollendeter Meisterschaft vorzumachen. Der Sohn der Hortense Beauharnais, welchen in den Tagen seiner Macht so viele feile Zungen und Federn für ein politisches Genie ausgegeben haben, war dazumal gerade so der Narr Cavours, wie er etliche Jahre später der Narr Bismarcks gewesen ist.
Aber alle diplomatische Kunst hätte doch nicht ausgereicht, der auf’s Höchste gespannten Lage eine entschiedene und entscheidende Wendung zu geben. Es war wieder einmal ein Draufgänger und Durchfahrer vonnöthen, ein Knotenzerhauer, und der kam im April von 1860 von seiner Ziegeninsel nach der Villa Spinola unweit von Genua herüber. Diese Villa wurde das Hauptquartier zur Rüstung des Unternehmens, im Verlaufe dessen der Stern Garibaldi’s zu seiner Zenithhöhe hinanstieg. Hier sammelten sich um den General alle die aus früheren Kämpfen mit dem Leben davongekommenen Führer der Rothhemden, die Bertani, Stocco, Bixio, La Masa, Cairoli, Crispi und andere manche. Es kam auch der Ungar Türr, etwas später der Deutsche Rüstow. Die Mannschaften eilten in kleinen Trupps, um Aufsehen zu vermeiden, herbei, viele der besten Männer und Jünglinge Ober- und Mittelitaliens, fast lauter gediente und erprobte „Bersaglieri“, und bald war das „Tausend“ voll. Nach Sicilien sollte die kühne Kriegsfahrt gehen. Dort sollte der Hebel angesetzt werden zum Sturze des Bourbonenthrons in Neapel, zur Vernichtung der Priesterherrschaft in[WS 1] Rom, zur vollen Lösung der italischen Einheitsfrage, zur endlichen Verwirklichung der stolzen Losung von 1848: „Italia farà da se.“
Es steht fest, daß Garibaldi sein kühnes Wagniß hätte weder vorbereiten noch durchführen können, so die turiner Regierung dasselbe nicht stillschweigend gebilligt und so der italische „Nationalverein“, also die konstitutionell-monarchische Partei, das Unternehmen nicht ausgiebig unterstützt hätte – selbstverständlich in der Meinung und Absicht, daß die Sache zum Vortheile der Monarchie ausschlagen sollte und müsste. Cavour wusste demnach um alles. Die ihm zugetheilte Rolle in diesem neuen Aufzug des Drama’s der italischen Bewegung war sicherlich eine ungeheuer schwierige. Er sollte den anerkannten Bannerherrn des italischen Republikanismus in einem Unternehmen, das hochroth den republikanischen Stämpel trug, gewähren lassen, ja sogar unter der Hand fördern. Zugleich aber sollte er sich fertigmachen, im gegebenen Augenblick mit überlegener Macht einzugreifen, um die von Garibaldi erlangten Erfolge zum Vortheil der Monarchie auszubeuten und überhaupt der ganzen Sache eine nationale zwar, aber auch entschieden monarchisch-dynastische Wendung zu geben. Endlich musste er gleichzeitig den ganzen Apparat diplomatischer Kniffe und Pfiffe, worüber er verfügte, in Anwendung bringen, um den Argwohn des Verbrechers vom 2. December einzulullen, wenigstens soweit, daß Frankreich von einer thatsächlichen Einmischung in den Gang der Dinge auf der apenninischen Halbinsel abgehalten werden könnte. Erfolganbeter haben natürlich den Minister um dieses Doppel- oder Tripelspiels willen gepriesen, weil es eben Erfolg hatte. Altfränkische Menschen jedoch, welche des bescheidenen Dafürhaltens sind, daß es nicht nur im privatlichen, sondern auch im öffentlichen Leben etwas wie Moral geben sollte, werden es sehr
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: ir
[679] begreiflich finden, daß die Papalini, die Borbonici und die Austriaci in ganz Italien den ministerlichen Doppel- und Tripelspieler keineswegs einen „gran uomo“, wohl aber einen „gran birbante“ nannten. Mit Garibaldi war es etwas ganz anderes: Von dem wusste alle Welt, daß er kein doppeltes Spiel spielte. Der ging nicht im Zickzack, sondern gradaus. Da es kein Italien geben konnte, sei es ein Reich Italien oder eine Republik Italien, so lange der Thron der Bourbons in Neapel und der Stuhl Petri in Rom stand, so mussten seiner Meinung zufolge diese beiden hinderlichen Möbel umgeworfen, zerschlagen und weggeschafft werden. In Stunden kühnsten Hoffens mochte der General wohl auch mit der Vorstellung sich tragen, daß die Erschütterung, welche der Sturz dieser beiden Thronstühle hervorbringen würde, gewaltig genug wäre, um noch einen dritten in’s Wanken und zum Fallen zu bringen, den des nachgemachten Bonaparte an der Seine, auf welchen Garibaldi mit nicht geringerem Abscheu blickte, als mit welchem etwa in Alt-Eran strenge Ormuzdbekenner auf den Ahriman und seine Dews hingesehen hatten. Uebrigens ist auch behauptet worden, Cavour hätte das sicilische Abenteuer des großen Freischärlers nur darum unter der Hand unterstützt, weil er gehofft hätte, der unbequeme Idealpolitiker würde in diesem Abenteuer zu Grunde gehen. Ein auch nur halbwegs bindender Beweis für diese Behauptung ist aber nicht beigebracht worden, und Cavours zweifelloser Patriotismus verbietet, daran zu glauben. Dagegen ist erwiesen, daß Garibaldi wenigstens stillschweigend damit einverstanden war, es müsste die nach vielen Weiterungen zwischen der republikanischen und der monarchischen Partei vereinbarte Losung des Unternehmens sein: „Das Italien der Italiener, geeint unter der konstitutionellen Krone Viktor Emanuels!“ und Cavour wusste dafür zu sorgen, daß diese Losung eingehalten und verwirklicht wurde.
Der Verlauf des großen Abenteuers von 1860 ist allbekannt. In der Nacht vom 5. auf den 6. Mai schiffte sich Garibaldi im Hafen von Genua auf zwei, zum Schein gewaltsam weggenommenen Dampfern mit seinen „Tausend“ – (eigentlich 1067) – ein und am 11. Mai landete er zu Marsala an der Westküste Siciliens.[1] Drei Tage später erklärte er sich zum Diktator der Insel „im Namen Viktor Emanuels, des Königs von Italien“. Auf dem Marsche gen Salemi begrüßte ihn ein begeisterter Mönch, Pantaleone, als den Erlöser seines Heimathlandes, geradezu wie einen Heiland und Messias. Es muß überhaupt als denkwürdig hervorgehoben werden, daß auf Sicilien die niedere Weltpriesterschaft und die Mönche ganz entschieden für die nationale Sache eintraten. Die meisten der sicilischen Freischarenbanden, welche zur Fahne des Diktators eilten, wurden von Mönchen und Pfarrern geführt. Auch anderwärts hat ja die Geschichte der Umwandelung Italiens eine stattliche Reihe von Beispielen geliefert, daß italische Priester das Vaterland über die Kirche zu stellen wussten, und einer der edelsten Blutzeugen für die Sache der Einheit und Freiheit Italiens war jener Priester Ugo Bassi, welcher 1849 Rom gegen die Franzosen vertheidigen half und den dann beim Rückzuge nach San Marino die Oestreicher fingen und erschossen.
Am 15. Mai jagte Garibaldi bei Calatafimi die erste ihm entgegengestellte neapolitanische Truppenschar in die Flucht. Am 6. Juni war Palermo in seiner Gewalt. Am 28. Juli kapitulirte Messina. Am 19. August fuhr der General mit 5000 Mann über die Meerenge nach Kalabrien. Am 21. hatte er Reggio. Das bei Salerno stehende Heer König Franz des Zweiten lief vor dem „Rothen Teufel“ davon. Am 1. September brach Garibaldi von Cosenza gegen Neapel auf. Am 6. floh der Bourbon aus der Hauptstadt. Am 7. hielt der „Rothe Teufel“ seinen Triumpheinzug unter einem so wahnsinnigen Volksjubel, wie er nur am Fuße des Vesuvs ausbersten kann.
Dieser 7. September von 1860 war der eigentliche Höhe- und Glanztag in Garibaldi’s Dasein. Auf so einer Höhe und in solchem Glanze lange sich zu halten, ist aber dem Menschen nicht gegeben. Von jenem Tag an ging die Laufbahn des Generals nicht mehr aufwärts, sondern abwärts. Den Bourbonenthron in Neapel hatte er umgeworfen, aber sein Vorsatz, auch den Stuhl Petri in Rom umzustürzen, blieb eine Phantasie. Den staatsmännischen Forderungen der Lage zeigte er sich nicht gewachsen. Sein Talent für die Organisation und den Betrieb des Civildienstes war gleich Null. Berufene Urtheiler haben auch gemeint, Garibaldi wäre zwar groß im kleinen Kriege gewesen, aber klein im großen. Eine Arme von 100,000 oder auch nur von 50,000 Mann zu führen – wohlverstanden einem tüchtigen Gegner gegenüber – sei weit über sein Vermögen gegangen. Die überlegene Geisteskraft und Geschicklichkeit Cavours hat er thatsächlich zugestanden und anerkannt. Denn er machte ja keinen Versuch, zu verhindern, daß der piemontesische Minister in seiner Art das von Garibaldi heroisch angefangene Unternehmen diplomatisch und militärisch zu Ende brachte. Die Einheit Italiens war hergestellt, Rom und Venedig ausgeschlossen. Das blieben freilich zwei offene und schmerzhafte Wunden, wie an dem neuen italischen Staatskörper, so in der Seele Garibaldi’s, und man kann sich leicht vorstellen, welchen bittern Groll er in sich bemeistern musste, bevor er die Stimmung fand, so herzlich, wie er that, den ihm auf der Walstatt am Volturno begegnenden Viktor Emanuel als „Rè d’Italia“ zu begrüßen. Dann kehrte er arm, wie er gekommen, mit leeren und reinen Händen nach seinem Eiland Caprera zurück, er, dem als Diktator Siciliens und Neapels die Reichthümer dieser Länder monatelang zur Verfügung gestanden hatten.
Und nun begannen Alter und Krankheit ihre traurigen Rechte an dem Manne geltend zu machen, für dessen Ruhm es gut gewesen wäre, so er nach seiner Heldenfahrt von 1860 gestorben. Es war ihm ja nur noch gegeben, Mißgriffe zu thun und Fehlschläge zu erleben: – Aspromonte, Stelvio, Mentana. Dann die Thorheit der Thorheiten, aus Gründen der Vernunft, der Sittlichkeit und der Politik gleich verwerflich, die Narrenfahrt nach Frankreich i. J. 1870, zum Dank dafür, daß die Deutschen so eben den Italienern die ihnen durch die Franzosen so lange versperrten Thore Roms von Sedan her aufgeschossen hatten. Auch sonstige Altersschwächen des Alten von Caprera machten sich unangenehm bemerkbar. So seine mehr oder weniger absonderlichen schriftlichen Stilübungen, so seine hetzenden Zurufe an die italischen Republikaner, während er sich doch von der italischen Monarchie eine Jahrespension von 100,000 Lire gefallen ließ.
Aber alle diese Mängel, Schwächen und Fehle waren weggewischt aus dem Gedächtniß der Menschen, als der elektrische Draht über und um den Erdball die Botschaft blitzte, daß Garibaldi am 2. Juni 1882 in seinem bescheidenen Haus auf Caprera gestorben sei. Da wurde offenbar, daß die Gesellschaft von heute doch auch Stunden hat, wo sie noch an etwas Besseres glaubt als an den allmächtigen Kurszettel. Man fühlte, daß ein großer und guter Mann dahingegangen. Ja, Freunde und Feinde fühlten so. Es gereichte einem italischen Hauptorgan der päpstlichen Kurie, der „Voce della Verità“, wahrlich nur zur Ehre, daß sie dem Papstbekämpfer diesen Nachruf widmete: „Mit Garibaldi verschwindet einer der größten Männer der Revolution, einer der größten Gegner des Papstthums. Wir beugen die Stirn vor der Majestät des Todes und erinnern uns der Worte des göttlichen Lehrers: ‚Liebet eure Feinde!‘ Wenn Garibaldi der heftigste Feind der Kirche gewesen, so war er zugleich auch der loyalste. Er bekämpfte die Kirche mit offenem Visir und kannte keine Heuchelei.“ Von allen Huldigungen aber, die dem lebenden und dem todten Helden dargebracht worden sind, dürften wohl die edelste jene Strophen sein, welche ihm der genialste Poet, den Italien seit dem Hingange Manzoni’s, Leopardi’s und Giusti’s vorgeschickt, Giosuè Carducci, geweiht hat ….
Fern vom gemeinen Kreise der Seelen ruft
Dich die Geschichte stralend zu jenen Höhn,
Zu jenem fleckenlosen Kreise,
Unter des Vaterlands heim’sche Götter.
Du kommst, und Dante spricht, zum Vergil gewandt:
‚Wir haben niemals edleres Heldenbild
Ersonnen.‘ Livius sagt lächelnd:
‚Er ist geschichtlichen Stamms, o Dichter!
Die zähe Kühnheit dieses Liguriers
Gehört Italiens Bürgergeschichte an;
Sie ruht im Rechte, strebt nach Hohem
Und sie verklärt sich im Idealen.‘“
Ja, das ist’s. Im Idealen hat Giuseppe Garibaldi gelebt und gewebt. Der Glaube an das Ideal, welcher seine selbstlose Seele bis in die letzte Falte füllte, war seine Stärke. Er war, was Göthe mit einem jener Worte, wie nur er sie zu finden wusste, bezeichnen und kennzeichnen wollte, eine Natur – eine wahre und wirkliche Heldennatur. Unter ihm lag tief, wie unter unserem Helden Schiller, „in wechsellosem Scheine das Gemeine“. Sein Tod hat eine ungeheure Lücke gerissen. So weit ich überall hin die Blicke schweifen lasse, ich sehe Keinen, der ihn ersetzen könnte.
Land und Leute.
Nicht ohne Berechtigung hat man die „Magdeburger Börde“ eine fruchtbare Wüste genannt, in der das Auge zur Sommerzeit weit und breit nichts erblicke, als Himmel und Zuckerrüben. In der That kann man jene eigenthümliche Landstrecke tagelang durchwandern, ohne Baum und Strauch anzutreffen. Nur an den großsteinig gepflasterten Chausseen paradiren die stereotypen Baumreihen, welche das liebe Deutschland so langweilig durchziehen. Aber nicht die Pappel flüstert daselbst mit neugierigem Geplapper zum Wanderer herunter, sondern breitästig, wie übermüdet von der alljährlich hervorgebrachten Last ihrer Früchte, verträumen Obstbäume hier im trägen Halbschlafe ihr einsames Dasein. „Verdeinen, wei mott’n verdeinen (verdienen, wir müssen verdienen)," scheinen sie stummen Mundes predigen zu wollen, und sie sagen damit das, was eine große Anzahl von Bewohnern jener Gegend als einzige Lebensaufgabe betrachtet.
Die „Magdeburger Börde“[2] breitet sich am linken Elbufer von der Mündung der Saale bis zu derjenigen der Ohre um die alte Feste Magdeburg aus, und wenn man den Fuß über das rechte Ufer des Stromes setzt, so befindet man sich gleich in „des heiligen römischen Reiches teutscher Nation Sandstreubüchse“. Berg und Hügel, lauschige Wäldchen und saftig-grüne Wiesen oder gar Brachen, diese Idyllen inmitten sprossender Getreidefelder, gehören nun freilich nicht zum Typus der Magdeburger Börde. So überaus munter die Bode in fröhlicher Jugendlust vom Brocken herunterhüpft, so altersträge schleicht sie durch dieses einförmige Flachland. Sie scheint es selber einzusehen, daß es verlorene Liebesmüh’ ist, diese prosaische Gegend durch schmale, üppige Wiesenstreifen an ihrem Uferrande verschönern zu wollen. Auch ihre Schwester, die Saale, hat in der Börde nicht jenen „kühlen Strand, an dem Burgen stolz und kühn“ stehen. Kann somit die Magdeburger Börde auf landschaftliche Reize nicht Anspruch erheben, so kann sie es mit vollstem Rechte auf landwirthschaftliche; denn man braucht nicht Bauersmann zu sein, auch sein ganzes Leben lang nicht ein einziges Mal agrarische Anwandelungen erduldet zu haben, und doch muß Einem das Herz aufgehen, wenn man zur Frühlings- oder Sommerszeit durch die sorgfältig bestellten Ackerflächen, an den wogenden Getreidefeldern und den weiten Breiten kräftig geblätterter Zuckerrüben und Turnipse (Runkelrüben) vorbei wandert. Ist gerade ein erfrischender Regenschauer niedergegangen und will ein Fußwanderer mit einem für Ackerbau gar zu wenig empfänglichen Gemüthe etwas übereilig vorbei an dem Segen, den die Natur so reichlich gespendet, so mahnt ihn der fast moorig-schwarze Boden zu ruhigerem Naturgenusse, indem er, ein fettig-weicher Kleister, seine Füße an die Erde festzuheften sucht.
„Vorwärtsschreiten –
Rückwärtsgleiten,“
heißt es dann bei jedem Schritte. Zum Segen für Ritter auf Schusters Rappen ist indessen Regenwetter in der Börde etwas Selteneres als in waldreichen Gegenden und in Flußniederungen. Darin aber offenbart sich die Güte des Bodens so recht, daß auch bei anhaltend trockener Witterung die Feldpflanzen nicht so bald, vor Durst verwelkend, Stengel und Blatt neigen.
Wohl selten hat eine Culturpflanze auf Lebensweise und Beschäftigung der Bewohner einer Gegend so großen Einfluß ausgeübt, wie die Zuckerrübe in der Börde; denn sie hat in einem Zeitraume von wenig mehr als einem Vierteljahrhundert die Physiognomie derselben völlig umgestaltet: in fast allen größeren Dörfern sind zur Verarbeitung dieser zuckerhaltigen Wurzelpflanze Fabriken entstanden. Bauern, die in den fünfziger Jahren noch tief verschuldet waren oder ihr bares Vermögen nach Hunderten, höchstens nach Tausenden zählten, beziffern es jetzt als Zuckerfabrikanten auf Hunderttausende, ja, übersteigen damit mitunter gar die Million. Erhielt doch die Tochter eines solchen Zuckerbauern etwa vierzig Jahre nach der Vermählung unseres Kaiserpaares dreimal so viel Mitgift, als die Kaiserin dereinst als Heirathsgut bekommen, also 300,000 Thaler. Daß verheirathete Töchter aus geschwisterreichen Familien zu Lebzeiten ihrer Eltern jährlich bis zu 10,000 Mark „Nadelgelder" beziehen, ist dort ebenso wenig eine Seltenheit, wie ein Erbtheil von 300,000 Mark, das auf jedes Kind eines verstorbenen Zuckerfabrikbesitzers entfällt, der von seinen Eltern nichts weiter erbte, als einen nur 100 Morgen großen Ackerhof. Bewirthschaftet doch unter Anderem eine Fabrik, die in den fünfziger Jahren mit keinem einzigen Morgen eigenen Ackerlandes ihre Thätigkeit eröffnete, jetzt über 10,000 Morgen. Beispiele von gleich großen Oekonomien bei einer Fabrik sind übrigens nicht selten. So sind z. B. auf einer Oekonomie für Inspectoren und Verwalter allein 26 Reitpferde in stetem Gebrauche. Es giebt einige Fabriken, welche im Durchschnitt täglich 500 bis 600 Arbeiter, Männer, Frauen und Kinder, beschäftigen, und ganze Familien vom Eichsfelde und aus der Gegend von Landsberg stehen auf ihnen in Lohn und Brod. Für diese wurden eigens große Casernen errichtet. Doch es würde uns zu weit führen, wollten wir hier über den Reichthum der Bodenproducte dieses gesegneten Landstrichs genauere volkswirthschaftliche Studien anstellen und über
[681] die verschiedensten Anbaumethoden der Zucker- und Runkelrübe berichten. Vieles davon dürfte dem größten Theil unserer Leser übrigens schon ebenso bekannt sein, wie das berühmte „Magdeburger Sauerkraut“, die Cichorie und die Zwiebeln der Börde.
Der Werth von Grund und Boden ist hier ein besonders hoher, und wer in der Magdeburger Börde 100 Morgen Acker – den Durchschnitt der Morgenzahl eines dortigen Bauerngutes – besitzt, ist seinem Vermögen nach kaum mehr das, was man anderswo unter einem Bauer versteht. Die Bördebauern wollen aber vielfach auch gar nicht Bauern oder Ackerleute sein; sie nennen sich: Ackergutsbesitzer. Ich habe mich stets an dem erstaunten Gesichte geweidet, das Fremde aufsteckten, wenn ich mit ihnen einem Bördebauern einen Besuch abstattete. „So wohnen hier zu Lande Bauern!?“ sprach’s da immer aus ihren verwunderten Mienen, und dabei sahen sie dann erstaunt um sich, wie ich es auch that, als ich – selbst Sohn eines Bauern, dessen Hof aber leider nicht in der Börde liegt – zum ersten Mal ein solches Bauernhaus betrat. Paläste, nicht Bauernhäuser sind das. Fehlt doch gar in mehreren nicht einmal ein großer Speisesaal. Es giebt Wohnhäuser auf Bauernhöfen, in denen Decorationsmaler fast ein Jahr lang an der Ausschmückung gearbeitet haben. Für ein Fach Fenster hat man das Paar Vorhänge mitunter mit 300 Mark bezahlt, und manches gräfliche Schloß hat in seinen Gemächern nicht so stattliche Möbel aufzuweisen, wie die Zimmer in diesen Bauernwohnungen, deren Fußböden mit dicken Teppichen belegt sind, über die man dann wohl noch kostspieligere Läufer gebreitet sieht.
Nun ist aber der Wohlstand oft genug der Tod eigenartiger und markiger Volkskraft, und so lichtet sich denn auch in der Magdeburger Börde mit dem zunehmenden Reichthume der Bewohner mehr und mehr der Stamm derber, biederer Bauern von altem Schrot und Korn. Die heranwachsende männliche Generation ist vielfach „wissenschaftlich“ gebildet, d. h. sie hat sich oftmals von höheren Schulen eine abgeknickte Quartanerbildung geholt, und die weibliche Jugend bezieht ihren Bildungsbedarf aus einer „Benehmigte“ (Pensionat, Anstalt, in der man lernt, sich zu benehmen) in Magdeburg oder Gnadau, wobei für Mägdelein wie Knäbelein gar oft die liebe Muttersprache, das Platt, gänzlich verloren geht.
Und wie mit der Sprache, so ist’s auch mit der Kleidung: auf den Straßen der Bördedörfer kann man die neuesten Moden und die theuersten Stoffe studiren, und dies um so besser, als das Auffassungsvermögen des Betrachtenden an dem sich überall aufdrängenden Contraste die beste Unterstützung findet.
Jeder Freund volksthümlichen Wesens muß mit uns tief beklagen, daß mit dem Zunehmen dieser Art von „Bildung“ unter der bördischen Landbevölkerung eigenartige Sitten und Gebräuche immer mehr schwinden. Nur eine einzige Volkssitte hat sich aus früherer Zeit ungeschwächt in die jetzige hinein gerettet, und auch sie hat gewiß diese Rettung allein ihrem realen Untergrund zu danken. Bei „Schlachtefesten“ oder bei wirklichen Festen schickt man nämlich seinen Nachbarn und Bekannten, Freunden und Verwandten die „Kenzelië“ in’s Haus – ein Geschenk vom geschlachteten Stück Vieh oder vom frischen Festkuchen.
[682] Ueberhaupt werden die Familienfeste von den Bördebewohnern in fashionabler Weise begangen. So hatten z. B. zwölf Decorateure ganze acht Tage zu arbeiten, um den Saal zu einer Bauernhochzeit in Stand zu setzen, und höchst kostbar waren bei dem in Rede stehenden Feste die Geschenke.
Mir liegen ferner wählerisch gedruckte Speise- und Weinkarten und ebenso ausgestattete Tanzordnungen von Bauernhochzeiten der Börde aus den allerletzten Jahren vor. Schade, daß man Sprachlaute nicht bildlich darstellen kann! Sonst würde ich dem Leser an dieser Stelle ein Bild liefern, wie die Hochzeitsgäste Zungenverrenkungen übten bei Bezeichnungen wie Round of beef oder Beignets à l’Anglaise oder Bombe à la vanille resp. Palombe oder Potage pure de volaille. Auf der Magdeburger Messe hatten Hochzeitgeber im Circus künstlichen Schnee fallen sehen, und so fehlte natürlich in dem Hochzeitsprogramme die Einlage „Schneewetter“ nicht. Als die Rollschlittschuhwuth am ärgsten grassirte, konnte man auf Bauernhochzeiten in der Nähe Magdeburgs die gesammte geladene Jugend Fallübungen auf dem Skating-Rink produciren sehen.
Wie der Sinn für moderne Cultur, laut der mitgetheilten Beispiele, in der Börde im Wachsen begriffen ist, so schwindet das Interesse am Althergebrachten dort mehr und mehr: Sinn für Sagen und Volksmärchen existirt in dieser Gegend fast gar nicht mehr, und das Volkslied findet außer in der Schule keine Pflege. Möchte man doch einsehen, daß es hohe Zeit ist, die spärlichen Reste volksthümlicher Ueberlieferungen, der alten Sitten und Gebräuche, Sprüchwörter und Redensarten vor Untergang und Vergessenwerden zu retten! Lehrer und Geistliche haben das zum Theil auch erkannt und sind deshalb hier und da bereits an’s Sammeln gegangen, und daß dieses auch in der Börde sich noch lohnt, mag der nachfolgende Beleg aus dortigem Volksmunde darthun, der einigermaßen an Chamisso’s Riesenspielzeug erinnert:
Als der Magdeburger Dom erbaut wurde, half der große Halberstädter Roland, der ja noch bis auf den heutigen Tag am dortigen Rathhause steht, Steine herbei tragen. Eines Abends verspätete sich der Riese bei der Arbeit, und er mußte darum den Weg von Magdeburg nach Halberstadt in der Dunkelheit zurücklegen. Als er da über Egeln, eine kleine Stadt der Börde, hinwegschritt, gewahrte er die Thurmspitze nicht und stieß mit der kleinen Zehe seines linken Fußes dagegen. Die Zehe blutete ein wenig, und das Blut tropfte auf die Wiesen von Westeregeln. Von diesem Riesenblute nun, das nach unseren lilliputanischen Begriffen in Strömen darauf hernieder floß, ist alles Wasser und aller Boden der Wiesen dieses Dorfes noch röthlich bis auf den heutigen Tag.[3]
Noch eine andere Sage!
Bei dem Dorfe Borne befindet sich ein Hünengrab (vergl. unsere Abbildung S. 681). Dasselbe ist noch jetzt, nachdem es von den dortigen Bauern – um mit einem nicht gerade schmeichelhaft gewählten Ausdrucke des ortsgeschichtskundigen Pastors Winter zu reden – „vandalisirt“ worden ist, bei 5 bis 10 Fuß Höhe über 100 starke Mannsschritte lang. Der Natur der Gegend gemäß, welcher Kieselsteine und erratische Blöcke gänzlich abgehen, ist es von Erde hausdachartig mit einem Einschnitte am Südende aufgeschüttet. Im Hünengrabe haben, nach der Volkssage, Zwerge ihre Wohnstatt. Sie backen sich da unten selber ihr Brod, holen aber den Teig dazu frühmorgens von den Leuten in Borne.
Ein gut Stück Poesie sprudelt übrigens den Börde-Bewohnern noch aus einem andern Born als aus dem der Volkssage – nämlich aus den Kinderliedern, welche mit demselben Rechte, kraft dessen man die Sprüchwörter die Weisheit der Gasse nennt, wohl auf das Prädicat: Poesie der Gasse Anspruch erheben dürfen. Aus dem reichen Schatze, den wir in der Börde an Kinderliedern gehoben haben, möge hier nur eine einzige Probe mitgetheilt werden:
„Puije (schlafe in der Wiege), puije, Soldatenkind,
Schlaope, bet (bis) Dien Vader kimmt!
Vader sitt (sitzt) in Schenken,
Springt äwwer (über) Disch und Bänken,
Lett (läßt) de Gläser rummer (herum) gahn,
Lett Dien Puije (Wiege) stille stahn.“
Das überall verbreitete Bedürfniß kleinerer Ortschaften, sich unter einander zu necken, scheint in der Magdeburger Börde das Dorf Borne ganz allein befriedigen zu müssen, wobei es aber nur eine passive Rolle spielt.
An der Dorfstraße in Borne sprudelt aus einer klaren Quelle vortreffliches Trinkwasser hervor. Die Quelle nennt man den Bornschen Spring, und redet man seinem erfrischenden, kühlen Wasser nach, daß es dumm mache. Weit und breit heißt es darum: „In Borne sind sie dumm.“ Kein Einwohner des Ortes giebt sich draußen gern als solchen zu erkennen, und Jeder will aus Bisdorf sein, welches mit Borne geographisch eine Ortschaft bildet. Neuerdings scheint man jedoch Bisdorf in Betreff dieses Bornschen Erbübels in Mitleidenschaft gezogen zu haben. Hörte ich doch jüngst die „Kahlen“ (kleinen Kinder) Straße auf und ab ganz vergnüglich singen:
„Rum, rum, rum!
In Borne sind sie dumm.
In Bisdorf sind sie ganz verrückt;
Da hat der Knecht den Herrn geschickt.“
Einige sprüchwörtliche Redensarten der Bördedörfler sind von erfrischender Natürlichkeit. Zum Beispiel von einem Trägen sagt man:
„Der denkt auch, unser Herrgott guckt alle Jahre einmal vom Himmel herunter, und wen er dann bei der Arbeit sieht, der muß immer arbeiten.“ In Gedanken setzt man hinzu: „Darum arbeitet er an keinem einzigen Tage im Jahre; nun mag der Herrgott gucken, wann er will – ihn sieht er dann niemals an der Arbeit.“
Die Bördedörfer haben meist eine beträchtliche Einwohnerzahl, die sich selten unter Tausend bewegt, meistens aber zwei, drei, ja vier Tausend erreicht. Eigenthümlich baut man in diesen Dörfern: da dort Holzarmuth herrscht, so sind alle Häuser massiv, und als Baumaterial hat man früher fast ausschließlich Bruchsteine verwandt, die mit Kalk, oft recht primitiv, verputzt worden sind. Bei den alten Häuschen scheint das Strohdach den winzigen grauweißlichen Unterbau jeden Augenblick niederdrücken zu wollen. Die neueren Gehöfte mit den pompösen Einfahrten und den stattlichen Wohnhäusern heben sich dagegen vortheilhaft von den zusammengeklebten alten Gebäuden und niedrigen Häuschen ab. Die Ortschaften sind geschlossen. Nur an den alten großen Verkehrsstraßen, wie an der Magdeburg-Leipziger Chaussee, stehen Einzelgehöfte, in denen Gastwirthschaft betrieben wurde und hier und da noch betrieben wird. Stundenweit sind die Dörfer von einander entfernt, und wohl keine Gegend Deutschlands hat bei gleich starker Bevölkerung so weit von einander liegende Dörfer, Flecken und Städte aufzuweisen. Aber auch hier war in früherer Zeit die weite Feldmark mit Einzelgehöften in eben der Weise übersäet, wie noch heute in einem Theile von Westfalen und am Niederrhein. Die Bewohner zogen im Laufe der Zeit näher zu einander, und es entstanden so kleinere Dörfer.
Kaum irgendwo giebt es so viele wüste Dorfstätten wie hier; finden sich deren auf vielen Feldmarken doch bis zu einem halben Dutzend. Bei Borne ragt als solch ein einsames Denkmal eines untergegangenen Dorfes der stark verwitterte Rest eines Kirchthurmes gegen 80 Fuß in die Höhe (vergl. das Initial am Anfang dieses Artikels). Das Dorf, zu dem er gehörte, hieß Nalbke und wird als wüste Stätte urkundlich schon 1509 erwähnt. Auch knüpfen sich einige Sagen an diese Ruine: wer an dem Thurm um Mitternacht der Jahreswende einen ganz schwarzen Kater trägt, der wird dort den leibhaftigen Gottseibeiuns treffen. Der tauscht ihm dann den Kater gegen ein blinkendes Geldstück um, welches für alle Zukunft immer wieder sofort in die Tasche der betreffenden Person zurückwandern wird, mag sie es ausgeben, so oft sie will. Leider ist das Geschäft mit dem „rothen Heinz“ aber nicht ohne Gefahr für Leib und Leben. Bringt ihm nämlich Jemand einen Kater mit einem einzigen weißen Härchen im Pelze, so ist’s um den Hals des armen Menschen geschehen. – –
Aber nicht nur über der Erde bietet die Magdeburger Börde manches interessante Denkmal vergangener Zeit – auch unter dem Erdboden fand man dort Zeugen aus alten Tagen; denn während man früher der Ansicht war, die Börde sei an Denkmälern der Cultur vergangener Zeiten vollständig arm, hat ein eifriger Sammler, Lehrer Rabe in Biere, auf der Berliner Alterthumsausstellung die Gelehrten vom Gegentheil überzeugt. Aus Kiesgruben der Umgegend Magdeburgs legte er Funde vor, die unstreitig [683] zu dem Aeltesten gehören, was in Deutschland an Alterthümern bis jetzt bekannt geworden ist: Messer, Sägen, Schaber, Bohrer, Polirer aus Feuerstein, sämmtlich nur geschlagen, nicht geschliffen, sämmtlich Spuren des Gebrauchs tragend, befinden sich darunter. Das Magdeburger Provinzialmuseum und das Museum in Quedlinburg weisen eine Anzahl dieser alten Geräthe aus den Sanddünen und Kiesgruben von Biere auf.[4]
Von historischem Interesse aus neuerer Zeit ist Dodendorf, eine Meile vor den Festungsmauern Magdeburgs.
„Bei Dodendorf färbten die Männer gut
Das fette Land mit französischem Blut;
Zweitausend zerhieben die Säbel blank,
Die übrigen machten die Beine lang –“
singt Ernst Moritz Arndt in seinem „Lied von Schill“. Die Gemeinde Dodendorf hat dem Andenken jener Tapfern, die in der Schlucht des Hohlweges vor dem Dorfe den Heldentod fanden, ein schmuckloses Kreuz gestiftet, das auf der Vorderseite seines Sockels die Inschrift: „Dem Gedächtnisse der am 5. Mai 1809 hier gefallenen und in Gott ruhenden 21 Preußen vom Schill’schen Corps“ trägt, während auf der Rückseite zu lesen ist: „Gewidmet von der Gemeinde Dodendorf am 5. Mai 1859“ (vergl. unsere Abbildung S. 681).
Zum Schluß noch ein Wort über die Thierwelt der Börde! Hier muß vor Allem des Hamsters gedacht werden, welcher in den Getreidefeldern nicht geringen Schaden anrichtet. In einem Hamsterbau, der bis zu zwei Fuß Tiefe in der Erde mit mehreren Kammern ausgeschichtet ist, findet man mitunter einen ganzen Scheffel Gerste, Hafer oder Weizen, welches das gegen ¾ Pfund schwere Thierchen in seinen Backentaschen in emsiger Thätigkeit für die ungastliche Jahreszeit eingeheimst hat. Roggen verschmäht der Felddieb. Unter diesen Umständen ist der Hamsterjäger eine wichtige Persönlichkeit in der Reihe der Angestellten der Zuckerfabrik-Oekonomien. Er beginnt seine Thätigkeit, sobald „der erste Frühlings-Donnerschlag den Hamster aus dem Winterschlafe geweckt hat“, und setzt dieselbe fort, bis der Winter mit Schnee und Eis Einzug gehalten. Wie mir ein Hamsterjäger berichtete, hatte er noch drei Tage nach dem letzten Neujahrsfeste sieben Hamster gefangen; er hatte an dem Tage, an dem ich ihn besuchte, 107 Hamster erlegt, und der Durchschnitt des täglichen Fanges betrug bei ihm 60 Stück. Das Fell dieser Nager wird, nachdem es vom Weißgerber bearbeitet, zu Tafeln von einem Schock Häute an einander genäht und dann auf der Leipziger Messe als weiß Gott was für russisches Pelzwerk in den Handel gebracht. In rohem Zustande variirt der Preis für das Schock zwischen zwei und zehn Mark.
Fast nicht minder zahlreich als der Hamster ist Meister Lampe in der Börde vertreten.[5] Wer nicht Gelegenheit gehabt, sich durch Augenschein zu überzeugen, wird es für „Jägerlatein“ erklären, wenn man ihm erzählt, daß man auf Breiten von etwa 50 Morgen mitunter 60, 70, 80 Hasen hüpfen und spielen sehen kann. Solcher Hasenreichthum veranlaßt denn auch den Kaiser Wilhelm, in Barby fast alljährlich einer Jagd anzuwohnen.
Einen eigenartigen Reiz hat es, in dieser hasenüberfüllten Gegend „auf den Anstand zu gehen“. Man gräbt sich ein halbmannstiefes Loch mit Sitzvorrichtung und setzt sich bei Eintritt der Dämmerung in demselben auf Stroh nieder. Nicht lange, und den verborgenen „unterirdischen“ Jäger umhüpfen auf allen Seiten Häslein im harmlosen Spiel; er streckt ein „Häselein“ nach dem andern auf’s Gras respective auf den Schnee nieder. Bei eingetretener Dunkelheit kann ein solcher Jägersmann – wenn’s Glück gut war – bis zu 10 Hasen erlegt haben.
Von befiedertem Wilde ist neben Rebhuhn und Wachtel besonders die Trappe zu nennen. Diese Thiere leben bekanntlich in Schaaren. Auf dem Eickendorfer Felde zählte ich einst 104, die bei einander saßen. Beim Niederlassen wählen sie sich gern ein freies, blaches Feld, von dem aus sie weithin Auslug halten können, und damit nicht ein unliebsamer Störer ihrem friedlichen Beisammensein ein Ende mache, stellen sie stets eine Wache aus. Harmlos lassen sie sich dicht bei Feldarbeitern nieder, und Fuhrwerke und Pfluggespanne stören sie nicht im mindesten. Sobald aber ein Jäger naht, erheben sie sich mit mächtig rauschendem Flügelschlage und setzen sich vor mindestens einer halben Stunde Weges nicht nieder. Des Jägers List übertrifft denn aber doch mitunter der Trappe Klugheit. Auf Wagen, die mit Ochsen bespannt sind, oder als Frauen verkleidet, mit einer Tragkiepe auf dem Rücken, oder gar – wie ich es einmal sah – in einem Gestell verborgen, das äußerlich einem Ochsen ähnelt, nahen die Schützen den schlauen Thieren. Es bildet stets ein Ereigniß im Jägerleben, einen glücklichen Treffer auf Trappen gethan zu haben; von Nah und Fern wird Kunde davon getragen, und mit Festessen und Weintoasten wird ein solcher Held gefeiert. Selbstverständlich fehlt dabei der Trappenbraten auf der Tafel nicht, und einmüthiglich haben mir stets alle Schmauser versichert, nichts in der Welt schmecke besser als so ein Trappenbraten. Ich habe das aber nie recht finden können; mir hat’s immer scheinen wollen, als ob ein Stück gebratenes Trappenfleisch ebenso gut schmecke, wie nicht gerade allzu zähes Rindfleisch. Habe ich Recht? Mit dieser offenen Frage – alle Fragen des Geschmacks sind bekanntlich offene – schließe ich meine Schilderung aus der Magdeburger Börde.
Nicht war es einer jener „verlornen Winkel“ in deutschen Landen, zu dessen Durchwanderung ich den Leser einlud, nein, ein Landstrich an befahrenster Verkehrsstraße war es, ein Landstrich, der allerdings nicht dazu beiträgt, Deutschlands landschaftliche Schönheit zu erhöhen, der aber Deutschlands Nationalwohlstand stetig mitgehoben hat und mitheben wird. Möge dieser Vorzug der Magdeburger Börde den Leser mit dem Gedanken aussöhnen, sich ein Stündchen auf recht einförmigen Gefilden bewegt zu haben!
Die Temperenzbewegung in der nordamerikanischen Union.
Es gehört zu den Eigenthümlichkeiten der sonst so praktischen Amerikaner, daß sie von Zeit zu Zeit an sensationellen Bestrebungen der widersinnigsten Art Geschmack finden und sich denselben mit einem Eifer hingeben, der einer bessern Sache würdig wäre. Zu diesen sich regelmäßig wiederholenden Sensationsgelüsten ist nun gegenwärtig die Temperenzbewegung zu rechnen, die seit einiger Zeit in verschiedenen Unionsstaaten Platz gegriffen hat und im öffentlichen Leben hochgehende Wogen aufwirft. Unter Temperenz verstehen aber jenseits des Oceans die Anhänger und Vertheidiger derselben nicht etwa blos ein vernunftgemäßes Maßhalten, also Mäßigkeit im gewöhnlichen Sinne des Wortes, wogegen kein verständiger Mensch etwas einzuwenden haben würde, sondern gänzliche Enthaltsamkeit von allen geistigen Getränken.
Als der eigentliche Herd des Temperenzunwesens dürfen die Neu-Englandstaaten angesehen werden, in denen das engherzige Puritanerthum am meisten in Blüthe steht. Der politische Unabhängigkeitssinn der Puritaner, ihr ausdauernder Fleiß und ihre gewandte Betriebsamkeit sind Tugenden, welche ihnen die unparteiische Geschichte nicht absprechen kann, allein zu diesen Tugenden gesellten sich schon in den ersten Zeiten der Colonialperiode grobe Fehler, so namentlich betrügerische Heuchelei und religiöser Fanatismus, der sich in blutigen Hexenverfolgungen äußerte und den edlen Roger Williams als einen Märtyrer religiöser Freiheit mitten im Winter in die Urwälder trieb.
Da nun im Laufe der Zeit das Yankeethum seine Vertreter in nicht geringer Anzahl auch über die anderen Theile der Union verbreitete, so ist es begreiflich, wenn wir die heuchlerische Temperenzelei und das scheinheilige Muckerthum Neu-Englands in den verschiedensten Unionsstaaten Wurzeln schlagen sehen. Im Jahre 1851 gelang es der Temperenzpartei im Staate Maine,
[684]
die dortige Gesetzgebung so zu beeinflussen, daß sie ein Gesetz annahm,
welches den Verkauf berauschender Getränke verbot. Von
dieser Zeit an griff die genannte Bewegung immer weiter um sich;
es erschienen mehrere ihren Grundsätzen gewidmete Journale, und
einige religiöse Secten schlossen sich ihr vollständig an. Vorzüglich
waren es ältere, meistens unverheirathete Frauen und frühere
Trunkenbolde, welche die Temperenzlehren predigten.
Als einer der hervorragendsten Temperenzapostel jener Zeit kann z. B. ein gewisser Francis Murphy, von Geburt ein Irländer, bezeichnet werden, der weder ein ordentliches Gewerbe gelernt hatte, noch irgendwelche Bildung besaß. Als Trunkenbold und Vagabonde kam er in’s Gefängniß, wo er „innere Selbstschau“ hielt. Nachdem er seine Freiheit wieder erlangt hatte, widmete er sich in den Staaten Maine, New-Hampshire, Iowa, Illinois [685] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.
und Pennsylvanien der Verbreitung von Temperenzlehren. Das
Geschäft war lohnend, und so fand er denn auch bald Gehülfen
und Nachfolger.
In neuester Zeit, etwa vor einem Jahre, wurde in den Staaten Kansas und Iowa in öffentlicher Abstimmung ein äußerst strenges Temperenzgesetz angenommen, dem gemäß nicht nur das Verschänken und der Verkauf, sondern auch die Zubereitung von Bier, von Branntwein und selbst von Wein, kurz von allen nur irgendwie berauschenden Getränken mit sehr hohen Steuern belegt wurde. In manchen Gegenden sollte es fast zur Unmöglichkeit werden, Bier und Branntwein herzustellen und zu verschänken, da nach dem sogenannten „Local-Option-Gesetz“ in einzelnen Districten oder Ortschaften nicht nur von den stimmberechtigten Männern, sondern auch von Frauen, die das einundzwanzigste Lebensjahr erreicht hatten [686] sonst aber kein öffentliches Stimmrecht besaßen, darüber abgestimmt wurde, ob überhaupt die Schankgerechtigkeit verliehen werden sollte oder nicht.
In diesem Jahre hat nun die Temperenzbewegung so große Dimensionen angenommen, wie nie zuvor, weshalb denn auch die beiden großen politischen Parteien der Vereinigten Staaten, die der Republikaner und die der Demokraten, davon nicht unberührt geblieben sind. In einer ganzen Reihe von Staaten, z. B. in Ohio, New-York, Pennsylvanien, Michigan, Illinois, Kansas, Missouri, Indiana, Vermont, Maine und Californien, werden im October und November dieses Jahres wichtige Staatswahlen stattfinden, die mit Recht als Vorläufer der im Jahre 1884 vorzunehmenden Präsidentenwahl angesehen werden. Fast überall kämpft das deutsche Element gegen die Temperenzbewegung; dasselbe wird sich daher von der republikanischen Partei, für die es bis dahin in seiner Mehrzahl einzutreten pflegte, lossagen, sobald diese Partei die Temperenzler unterstützt; es wird, so lange keine dritte große Partei in’s Leben gerufen ist, mit den Demokraten stimmen, wenn diese nur irgendwie ehrenhafte und fähige Candidaten für die öffentlichen Aemter in’s Feld stellen.
Die Temperenzfrage hat nun, wie theilweise schon aus dem Gesagten hervorgehen dürfte, nicht nur eine hohe sittlich-politische Bedeutung, insofern sie die individuelle und municipale Freiheit nahe berührt, sondern sie ist auch von großer finanzieller Wichtigkeit. Suchen wir diesen letzten Punkt durch wohlverbürgte statistische Angaben etwas näher zu begründen!
Die Ausgaben für die Verwaltung der Vereinigten Staaten, ohne die Abzahlung der Zinsen der öffentlichen Schuld der Union, betrugen im Jahre 1879 die Summe von 161,619,934 Dollars; im Jahre 1881 beliefen sie sich auf 178,204,146 Dollars; in dem am 30. Juni 1883 abschließenden Fiscaljahre endlich, für welches der letzte Congreß, der im August dieses Jahres aus einander ging, Verwilligungen gemacht hat, summiren sich die gewöhnlichen Ausgaben, die Zinsen auf die Nationalschuld immer abgerechnet, auf 294,513,639 Dollars. Das sind extravagante Verwaltungskosten, die, statt abzunehmen, stets größer wurden. Zur Bestreitung der für das Jahr 1879 genannten Verwaltungsausgaben zahlten nun die von den Temperenzlern bedrohten Getränke 63,299,605 Dollars; nehmen wir dazu die Eingangszölle etc. auf fremde Biere und Weine, so kommen wir zu einer Summe von mehr als[WS 1] 70 Millionen Dollars; mithin deckten die Steuern und Zölle auf Getränke im Jahre 1879 fast die Hälfte der Administrationskosten der Vereinigten Staaten. Aehnlich verhält sich dies im Jahre 1882, da nach uns vorliegenden officiellen Zahlen die Bierproduction in Amerika ganz bedeutend gestiegen ist. Falls nun die Temperenzbewegung in der ganzen Union siegte, so müßte der dadurch hervorgerufene Ausfall von Steuern durch anderweitige neue Steuern gedeckt werden, obgleich man schon jetzt mit Recht im Volke eine Herabminderung der Steuern verlangt. Aber hiermit nicht genug, auch eine ganze Reihe von Gewerbe- und Productionszweigen würde durch die Temperenzpolitik, wenn sie auch nur in mehreren Einzelstaaten der Union siegte, schwer leiden müssen: die Farmer, welche Gerste, Roggen, Mais, Hopfen, Wein etc. bauen, ferner die zahlreichen Inhaber von Brennereien, Destillerien, Hopfenhandlungen und Mälzereien, die Küfer, die Kupferschmiede, die Messinghändler, die Angehörigen der Baugewerke, der Eisgeschäfte, die Kohlen- und Holzhändler – alle diese Leute und zahllose Arbeiter, die in Brauereien und Brennereien beschäftigt sind, würden durch einen weitgreifenden Sieg der Temperenzler und ihrer Prohibitionspolitik, wenn nicht geradezu brodlos, so doch arg geschädigt werden. Mehr aber noch, als diese finanziellen und materiellen Schäden hat die Beschränkung der individuellen und municipalen Freiheit, hat ferner die Gefährdung der wahren Sittlichkeit durch das Temperenzunwesen zu bedeuten, und dies ist der Hauptgrund, weshalb das deutsche Element in den Vereinigten Staaten die Temperenzbewegung so bitter bekämpft.
Mit Recht sagte der alte, unlängst verstorbene Friedrich Münch, der in den dreißiger Jahren nach Amerika ausgewandert war, sich als Farmer und Weinbauer im Staate Missouri niedergelassen hatte, und während des Secessionskrieges dem Schreiber dieser Zeilen nahe befreundet wurde:
„Ein Volk, welches sich seiner Freiheit rühmt, muß auch bereit sein, den freiheitlichen Grundsatz folgerichtig, nicht etwa nur stückweise, zur Ausführung zu bringen. Der Bürger eines freien Gemeinwesens ist berechtigt, in allem seinem Thun sich selbst zu bestimmen, vorausgesetzt, daß er den Rechten keines Andern zu nahe tritt und daß er seine bürgerlichen Verpflichtungen erfüllt. Gegen die letztere Voraussetzung wird nicht dadurch verstoßen, daß ich mich kleide und bette, daß ich esse und trinke, wie ich will – dies ist allein meine eigene, keines Anderen Sache. Wo bliebe die Folgerichtigkeit und wo wäre die Grenze, wenn in diesen und ähnlichen Dingen der freie Bürger unter Bevormundung gestellt werden sollte? Freilich mag bei dieser Zwanglosigkeit manches Unerwünschte vorkommen, wie Verweichlichung, Prunksucht, Schlemmerei, Trunkenheit etc., aber der äußere Zwang bessert hier nicht das innere Wesen oder die sittliche Gesinnung, woraus unser Handeln fließen soll – er befördert vielmehr nur Heuchelei und heimliche Sünden.“
Und diese Heuchelei, diese heimlichen Sünden sind es gerade, welche die Deutschen in den Vereinigten Staaten gegenwärtig, wie sie es früher bei ähnlichen Gelegenheiten thaten, den Temperenzlern gegenüber bekämpfen, die sich namentlich auf den bigotten, frömmelnden Puritanismus des heuchlerischen Yankeethums stützen. Dazu kommt, daß mit diesem Yankeethum sich auch am liebsten das fremdenhasserische Knownothingthum (Nichtswisserthum) verbindet, welches nichts mehr haßt als den deutschen Freisinn und die deutsche Gradheit. Die Auswüchse der natürlichen Selbstbestimmung sollen und müssen beseitigt werden durch geistige und sittliche Emporhebung des ganzen Volkes, durch vernünftige Bildungs-, Erziehungs- und Unterrichtsanstalten, durch ein veredeltes Familienleben, durch Weckung des Pflichtgefühls, durch jede Art von wohlthätiger Anregung, nicht aber durch unsinnige Zwangsgesetze, welche verbieten wollen, daß man statt Wasser oder Buttermilch einmal ein Glas Wein oder Bier genießt. Eine heuchlerische Frömmigkeit, eine durch Staatsgesetze erzwungene Enthaltsamkeit hat so ganz und gar nichts mit wirklicher Religiosität und Sittlichkeit zu schaffen, da sie vielmehr häufig dazu beiträgt, dem Menschen das letzte Fünkchen gesunder Moral auszulöschen.
Treffend sagt der Berliner Professor Dr. Berner in seiner „Lehre von der Theilnahme am Verbrechen“:
„Wir finden noch täglich eine abergläubisch-pietistische Religiosität Arm in Arm verschlungen mit der größten Nichtswürdigkeit. Lebt doch die giftige Kröte des Pietismus und des Muckerthums nirgends lieber, als in dem versteckten, schlammigen Sumpfe der Unsittlichkeit. Das vernunftstrahlende helle Auge des Geistes, der das Maß der Dinge erkennen und bewahren soll, ist ja durch die dichten Nebel dieser unheimlichen Atmosphäre umnachtet und eine vollständige Erblindung desselben, eine klägliche Verwirrung der Begriffe von gut und böse, von heilig und unheilig ist das nothwendige Resultat eines längern Verweilens in diesen stehenden moralischen Pfützen.“
Eine Illustration zu diesen vielleicht harten, aber jedenfalls wahren Worten des genannten Rechtslehrers an der Universität zu Berlin lieferte in der im Juli dieses Jahres abgehaltenen Staatsconvention der demokratischen Partei in Missouri der frühere Sclavenhalter und heimliche Trunkenbold Henry Clay Dean. In der erwähnten Convention, deren Aufgabe es war, für die bevorstehenden Wahlen eine Principienerklärung abzufassen, kam auch die Temperenzfrage zur Sprache. Alsbald erhob sich ein heftiger Streit darüber, ob diese Frage politischer Natur sei oder ob sie nicht vielmehr dem Bereich der Moral angehöre, womit eine politische Partei als solche nichts zu thun habe.
Die Vertreter der Stadt St. Louis, der großen und reichen Metropole des Mississippithales, in welcher das Deutschthum durch Intelligenz, Handel und Industrie seit Jahren stark vertreten ist, sprachen sich dahin aus, daß man die Temperenzfrage fallen lassen solle, weil jeder Versuch, die Tugend der Mäßigkeit durch Zwangsmaßregeln zu erzwingen, die freiheitliche Basis einer weisen republikanischen Regierung untergrabe.
Da erhob sich der alte, aus dem Secessionskriege bekannte Rebell und heimliche Whiskyfreund Dean und erklärte unter Anderem:
„Wenn die demokratische Partei nichts weiter sein soll, als ein Bollwerk für das deutsche Votum, dann hat sie keinen Werth. Die Weigerung, für die Temperenzbewegung Partei zu ergreifen, soll nur dazu dienen, die Stimmen der deutschen Ungläubigen (Infidels) zu gewinnen. Wir haben lange Zeit ohne die deutschen Stimmen gelebt und werden es auch fernerhin können. Die [687] Deutschen haben stets mit den Republikanern gestimmt, jetzt aber kommen sie zu uns Demokraten und verlangen, daß wir ihnen eine Maßregel durchsetzen helfen, welche die Republikaner nicht durchführen wollen, eine Maßregel, bei der sie pecuniär interessirt sind. Ich sage: laßt sie gehen! Wir haben ohne dieses deutsche Votum gelebt, und wenn die Deutschen drohen, uns zu verlassen, falls wir ihnen nicht zu Hülfe kommen und das Temperenzgesetz nicht niederstimmen, dann laßt sie gehen und verdammt sein!“
Diese rohe und brutale Sprechweise wird ihre Früchte tragen. Der Rebellendemokrat Dean kann es den Deutschen nicht vergessen, daß sie unter der Präsidentschaft von Abraham Lincoln den Herrsch- und Sondergelüsten der Sclavendemokratie gegenüber für die Befreiung der Negersclaven und für die Einheit der Union in die Schranken traten; darum unterstützt er in seinem blinden Deutschenhasse die den Deutschen so verhaßte Temperenzbewegung, obschon er persönlich dem Trunke ergeben ist. Das Knownothingthum oder die Feindschaft gegen das eingewanderte Element, namentlich gegen die Deutschen, im Bunde mit den einer heuchlerischen Frömmigkeit ergebenen Temperenzlern wird und kann keiner politischen Partei in Amerika auf die Dauer von Nutzen sein.
Eine Verbindung solcher problematischen, keiner wahren Sittlichkeit und Religiosität huldigenden Elemente kann immer nur durch selbstsüchtige Motive der Furcht und der Herrschsucht, immer nur durch den Vortheil der Einzelnen, nicht der Gesammtheit einer Nation aufrecht erhalten werden; sie muß nothwendig zerfallen, sobald die Einzelnen nicht mehr ihren Vortheil darin finden. Das Wesen aller Schlechtigkeit ist die Lüge und die Selbstsucht.
Das Treiben pietistischer Politiker, deren Hauptziel nur der Besitz der Macht ist, steht warnend in der Geschichte da; es hat dem Staatsverbande, in welchem es, durch die Umstände begünstigt, zum vorübergehenden Siege gelangte, noch immer früher oder später die schwersten Wunden geschlagen. Wie in Missouri, so hat die demokratische Partei auch im Staate Indiana ein höchst dehnbares Parteiprogramm angenommen, welches den Temperenzlern nur von Vortheil sein kann. In der Staatsconvention der dortigen Demokraten hielten sogar zwei Frauen Reden, von denen die eine eindringlich ein strenges Temperenzgesetz empfahl, während die andere für das politische Wahlrecht der Frauen eintrat.
Aber auch die Partei der Republikaner ist nicht in allen Unionsstaaten gesund; wie sie z. B. in Kansas und Iowa den Temperenzleuten zum Siege verhalf, so hat sie sich auch in Ohio, in Pennsylvanien etc. zu Gunsten dieser heuchlerischen Fanatiker erklärt. Erfreulich ist es dagegen, daß fast alle bedeutenden deutsch-amerikanischen Blätter dem eigenthümlichen Kleeblatt, nämlich dem Knownothingthum, dem Temperenzunwesen und dem politischen Frauenstimmrecht, mit größter Entschiedenheit entgegengetreten sind und daß sie dabei von manchen der besten englisch-amerikanischen Zeitungen unterstützt werden.
Die Blüthezeit des Knownothingthums ist vorüber, und wenn vor dreißig Jahren noch an manchen Orten eine Fremden- oder namentlich eine Deutschenhetze möglich war, so ist dies in Folge der vor längerer Zeit stattgefundenen starken deutschen Einwanderung nicht mehr recht zu fürchten. Der bekannte Ausspruch: „Nur Amerikaner sollen in Amerika herrschen“, hat nicht mehr die Kraft, amerikanischen Bürgern deutscher Abkunft ihre Bürgerrechte zu entziehen. Mit wenigen Ausnahmen sind sämmtliche Bewohner der Vereinigten Staaten Nordamerikas Eingewanderte oder Abkömmlinge von Eingewanderten, und wie Heinrich Börnstein, seiner Zeit amerikanischer Consul in Bremen, etwas derb, aber mit Recht erklärte: „Die wirklich Eingeborenen in den Vereinigten Staaten sind die Indianer und die Büffelochsen; alle Anderen sind Eingewanderte“, so werden die Deutsch-Amerikaner der Union sich ihre Stellung als freie Bürger dieser Republik zu sichern wissen. Daß die deutsch-amerikanischen Bürger ihre Anhänglichkeit und Liebe für ihr Adoptivvaterland hinlänglich gezeigt haben, dafür lieferte der blutige Secessionskrieg, wo Tausende in besonderen Regimentern für die Einheit und Freiheit der Union in’s Feld zogen und Tausende sich in amerikanische Regimenter einreihen ließen, hinlängliche Beweise. Die Thaten der Deutschen gehören der Geschichte der Vereinigten Staaten an, und sie haben keine Ursache, sich derselben zu schämen. Wenn heute die Union auf dem europäischen Markte, ja, auf dem Weltmarkte eine Rolle spielt, so ist dieses Resultat nicht zum wenigsten den deutschen Farmern zu verdanken, welche aus der Wildniß blühende Felder und Gärten machten und selbst solche Landstrecken, die von den Amerikanern als unfruchtbar verlassen wurden, vortheilhaft zu verwerthen verstanden. Dies beweisen unter Anderem die früher kahlen Hügel am Ufer des Missouri bei der Stadt Hermann und am Ohio bei Cincinnati, wo deutscher Fleiß und deutsche Willenskraft die schönsten Weinberge geschaffen hat – und dieser Wein soll jetzt durch die Temperenzler werthlos gemacht werden? In allen größeren Städten des Landes haben sich der Fleiß, die Energie und die Kenntnisse der Deutschen in Fabriken und kaufmännischen Geschäften jeder Art bewährt; in den Schulen und Bildungsanstalten nehmen deutsche Lehrer hervorragende Stellen ein; in den Gesetzgebungen und auf den Richterstühlen erwerben sich Deutsche Achtung und Ehre – und sie sollen nicht gleiche Berechtigung mit ihren Mitbürgern amerikanischer Abkunft haben, weil sie das stärkende Bier dem berauschenden Whisky vorziehen?
In der Stadt St. Louis allein beträgt das in den dortigen Brauereien angelegte Capital mehr als 15 Millionen Dollars, und ähnlich ist es in vielen anderen Städten, z. B. in Milwaukee, Cincinnati, New-York etc.
Und wahrlich! Es erwächst daraus der Sittlichkeit kein Schaden; denn bei den von den Deutschen arrangirten Sänger- und Turnfesten, wo Bier getrunken wird, geht es ordentlicher und anständiger her, als in den Whiskykneipen der Amerikaner. Statistische Untersuchungen haben es festgestellt, daß in den Gegenden, wo das Bier den Whisky verdrängt hat, weniger Verbrechen und weniger Krankheiten des Körpers und des Geistes vorkommen, als dort, wo der sogenannte Bourbon-Whisky die Hauptrolle spielt. Mehr als unangenehm aber berührt es, wenn die Frauen sich in öffentlichen Versammlungen auf die Rednertribüne drängen, um dort den Männern vorzuschreiben, was sie thun und lassen sollen, oder um selbst die Rolle des Gesetzgebers zu spielen.
Unzweifelhaft haben die Amerikaner vieles Werthvolle selbst geschaffen; ihre Unabhängigkeitserklärung und der ruhmwürdige Kampf für dieselbe stehen leuchtend in der Geschichte da. Sie haben auch von den Errungenschaften der Alten Welt viel Gutes über den Ocean gebracht und fahren mit Recht fort, von den Bildungsmitteln der vorgeschrittensten Völker Gebrauch zu machen; sie haben sogar in manchen Dingen andere Nationen überflügelt; aber es ist eine lächerliche und verderbliche Anmaßung, wenn sie sich für berufen halten, das als schädlich und Verderben bringend über Bord zu werfen, was die Weisesten und Besten aller Zeiten und aller Völker nicht abgeschafft haben. Keinem Staatsmann, keinem Könige oder Kaiser im Abendlande der Alten Welt ist es jemals beigekommen, den Genuß anregender Getränke von Staatswegen verbieten zu wollen. Niemals hat sich auch selbst die größte Willkürherrschaft so weit verstiegen. Der hart Arbeitende muß seinen stärkenden Trank haben, wenn auch die Uebel des unmäßigen Bier- und Branntweintrinkens nicht zu leugnen sind. Man strafe die Gesetz und Ordnung störende Unmäßigkeit, lege aber darum dem gesitteten Menschen, hoch oder niedrig, keinen Zwang auf in Bezug darauf, was er trinken soll oder darf. Auch die von den Amerikanern, äußerlich wenigstens, dem weiblichen Geschlechte erwiesene Achtung ist gewiß nicht zu tadeln; wenn sie aber den Frauen erlauben oder sie gar dazu anreizen, Gesetze machen zu helfen, welche darüber Bestimmung treffen, mit welcher Art von Flüssigkeit der Mann sich erlaben soll, so treiben sie die Frauen aus der von der Natur ihnen angewiesenen Sphäre hinaus. Den öffentlichen Angelegenheiten des Vaterlandes gegenüber sollen sich auch die Frauen nicht gleichgültig verhalten, aber sie werden hier am besten und wirksamsten ihre Pflicht erfüllen durch die Erziehung ihrer Kinder, durch ein weises und verständiges Schalten und Walten am häuslichen Herde. Der dort von ihnen in der richtigen Art geübte Einfluß ist segensreich und nicht hoch genug anzuschlagen. Jede Art sinn- und geiststörender Frömmelei ist vom Uebel, am meisten aber diejenige, welche sich mit politischen und communalen Dingen befaßt und das Frauenelement dabei zu Hülfe ruft. Hoffentlich werden sich auch die jetzt jenseit des Oceans hochgehenden Temperenzwogen bald wieder legen; der Temperenzrausch wird in der großen transatlantischen Republik vorübergehen, ohne dem amerikanischen Gemeinwesen allzu großen Schaden bereitet zu haben.
Der Begründer und langjährige Herausgeber der „Gartenlaube“ war ein schlichter, aber zugleich ein kluger Mann, wie nicht Viele. Als er sein Blatt in’s Leben rief, entschlossen, sein Herzblut daran zu geben, bot er Alles auf, um sich mit einem Kreis von talentvollen Mitarbeitern zu umgeben, aber selbst im Verein mit diesen wäre es der „Gartenlaube“ wohl nicht gelungen, die beispiellose Verbreitung und Beliebtheit überall da zu erwerben, wo Deutsche weilen, wenn nicht Ernst Keil vom Beginn an darauf bedacht gewesen wäre, um vor allem eine Mitarbeiterin an sein Unternehmen zu fesseln, die der „Gartenlaube“ bis zur Stunde treu geblieben und heute frischer wirkt als je. Wir meinen die Xylographie, die Holzschneidekunst.
Und doch, trotz der allgemeinen Beliebtheit dieser Mitarbeiterin, wie klein ist die Zahl derjenigen Leser, welche vom eigentlichen Sein, vom Charakter und der Arbeitsweise derselben einen klaren Begriff haben! In der Regel erfährt ja der Leser eines Blattes erst etwas Näheres über die Mitarbeiter desselben, wenn diese dahingeschieden sind.
Da nun die Redaction der „Gartenlaube“ trotz der eigenen Jugendfrische wenig Aussicht hat, lange genug zu leben, um den Nekrolog der Genannten zu schreiben, so war es ein sehr natürlicher Wunsch derselben, dieser verehrten Mitarbeiterin noch bei deren Lebzeiten ein kleines Denkmal zu setzen. Dieser Wunsch gab Veranlassung zu den folgenden Zeilen, die niedergeschrieben wurden von einem alten Bekannten der Dame, der manche Stunde in ihrer Gesellschaft zugebracht hat und die Verehrung der Redaction für sie theilt, der aber trotzdem nicht zu den Eingeweihten gehört, sondern nur das mittheilen kann, was er bei seinen wiederholten Besuchen erfahren hat. Also zu Sache!
Es giebt drei verschiedene Arten, Illustrationen durch den Druck zu vervielfältigen: den Hochdruck, den Tiefdruck und den Druck in der Ebene.
Was zunächst die Vervielfältigung mittelst des Hochdrucks auf der Buchdruckpresse betrifft, so geschieht sie durch den Holzschnitt oder durch eine Metallhochätzung, während der dem Holzschnitt vorangegangene Metallhochschnitt sowie die eine Zeitlang geübte lithographische Hochätzung für die heutige Praxis keine Bedeutung mehr haben.
Für den Tiefdruck auf der Kupferdruckpresse ist ein durch Gravirung oder Radirung und Aetzen in einer Kupfer- (oder Stahl-)Platte hergestelltes Bild erforderlich; denn anderes Material, als das genannte, kommt jetzt wenig in Frage.
Der Druck in der Ebene endlich, die jüngste der erwähnten drei Verfahrungsarten, dessen Erfinder Alois Senefelder (geboren 1771, gestorben 1834) ist, kann nur von einer Zeichnung auf dem lithographischen Stein oder auf Zink, die mit besonders dazu präparirter Kreide oder Tinte hergestellt wurde, auf der lithographischen Presse bewerkstelligt werden. Auf die vielseitigen photomechanischen und photochemischen Illustrationsmethoden ist hier nicht besondere Rücksicht zu nehmen, da sie nur zur Umwandelung der Photographie in eine nach der einen oder der anderen der erwähnten Methoden druckbare Platte dienen.
Sehen wir von dem chinesischen Holztafeldruck und den allerursprünglichsten Anfängen, einen hoch- oder tiefgeschnittenen Stempel zu benutzen, ab, so liegen die drei großen Erfindungen: die Kupferstechkunst, die Xylographie und die Typographie, nicht weit von einander ab und gehören der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts an. Daß die Typographie und die Xylographie deutsche Erfindungen sind, darüber herrscht schon lange kein Zweifel mehr. Ueber die Erfindung der Kupferstechkunst wird zwar noch gestritten: jedenfalls ist sie in Deutschland eine ursprüngliche, mag sie auch ebenfalls in Italien und den Niederlanden selbstständig erfunden sein.
Den Metallhochschnitt, welcher älter als der Holzschnitt ist, gab man sehr bald auf. Das theure und schwerer zu behandelnde Metall mußte dem so gut wie nichts kostenden und leicht zu behandelnden Holze weichen, so daß heutzutage, wo mittelst Clichiren und Galvanisiren von einem Holzschnitte leicht eine Metallplatte hergestellt werden kann, der Metallschnitt nur noch für Gravirarbeiten Bedeutung hat.
Alle die erwähnten Illustrationsverfahren haben das Endziel mit einander gemein: ein Bild durch den Druck herzustellen; die Wege jedoch, die sie einschlagen, um dieses Ziel zu erreichen, sind, wie schon angedeutet worden, von einander durchaus abweichend.
Für den Kupferstich wird die Zeichnung, welche im Abdruck dunkel auf weiß erscheinen soll, in die mit Deckgrund überzogene Platte mit dem Stichel gravirt oder mit der Nadel radirt und dann geätzt, oder es findet eine Verbindung der erwähnten mit anderen Verfahren statt (Schabkunst, Aquatintamanier). Das Charakteristischste bei allen Arten des Kupferstiches aber ist, daß das zu druckende Bild erst vertieft sein muß, und zwar um so mehr, je kräftiger der Ton werden soll.
Um eine Platte mit vertiefter Zeichnung drucken zu können, muß die flüssige Farbe angetupft werden, sodaß sie in alle Vertiefungen eindringt. Die auf der glatten Oberfläche der Platte zurückgebliebene Farbe wird mit leichter Hand, aber sorgfältigst abgewischt, alsdann aber die Platte mit dem darauf gebreiteten und noch mit einem Filz bedeckten Papier einem kräftigen Druck zwischen Walzen ausgesetzt, wodurch das Papier durch die eigene Schmiegsamkeit und den weichen Filz in die Vertiefungen hinein gedrängt wird und die in diesen befindliche Farbe aufnimmt. Das ist das Verfahren bei einer Platte mit vertiefter Zeichnung.
Der Druck in der Ebene von einer Kreide- oder Federzeichnung auf dem lithographischen Stein beruht auf der Eigenthümlichkeit des letzteren, besonders nach erfolgtem leichten Aetzen und Anfeuchten die fette Druckfarbe an allen denjenigen Stellen abzustoßen, auf welche sich nicht die mit der fetten Kreide oder Tusche hergestellte Zeichnung erstreckt, während die bezeichneten Stellen das Feuchtwasser wieder abstoßen. Die Zeichnung wird mit dem Bogen bedeckt, durch einen Stoffdeckel geschützt und mit dem Stein einer starken Reibung in der Presse ausgesetzt. So wird der Druck erzielt. Dieselbe Eigenthümlichkeit wie der lithographische Stein hat eine Zinkplatte, die sich demgemäß in derselben Weise wie der erstere behandeln läßt.
Indem wir uns nunmehr zu unserm eigentlichen Thema, zur Betrachtung der Holzschnitt-Technik wenden, bemerken wir zunächst, daß die Herstellung eines Bildes in Holzschnitt im Princip der eines Kupferstiches diametral entgegengesetzt ist. Bei dem Holzschnitte wird die Zeichnung mit der Feder oder dem Bleistift auf einer polirten Platte von Buchsbaumholz ausgeführt, die zur leichteren Beurtheilung der Effecte in der Regel mit einem weißen Grund leicht überzogen wurde. Statt nun wie beim Kupferstich diese Zeichnung zu vertiefen, läßt sie der Holzschneider vollständig unberührt stehen, vertieft dagegen durch Wegstechen mit dem Stichel alles die Zeichnung umgebende Holz. Hätte man es also beim Drucken mit einer Kupferdruckpresse zu thun und behandelte man den Stock bei der Einfärbung wie eine Kupferdruckplatte, so würde man ein negatives Bild erhalten, in welchem Alles, was dunkel hätte erscheinen sollen, weiß geblieben wäre und umgekehrt.
In der Buchdruckerpresse bekommt die Sache ein anderes Ansehen. Die schwerere Buchdruckfarbe, welche durch eine Walze von elastischer, aber fester Masse aufgetragen wird, färbt nämlich nur den hochstehenden Schnitt ein und dringt nicht in die Tiefen; folglich zeigen sich im Abdruck auch nur die Erhabenheiten schwarz. In [689] der Voraussetzung, daß der Zeichner jeden Strich correct gezeichnet und daß der Holzschneider ebenso correct geschnitten hat, giebt es demnach keine Reproductionsweise, welche das Original so genau wiedergiebt, wie der Holzschnitt; denn selbst, wenn der Künstler eine eigenhändige Radirung liefert, die also ein Originalbild ist, spielt der Zufall bei dem Aetzen immer noch eine nicht leicht zu berechnende Rolle. Der Kupferstecher aber, der ein Gemälde oder eine Zeichnung eines anderen Künstlers wiedergiebt, ist in derselben Lage wie ein Uebersetzer, der ein Original aus einer anderen Sprache überträgt. Mag die Uebersetzung noch so vortrefflich, mag der Uebersetzer sogar in der Behandlung der Sprache dem Verfasser überlegen sein, sodaß die Uebersetzung wirkliche Vorzüge vor dem Originale hat, so bleibt sie doch immer ein fremdes Werk. Ebenso geht es dem Stecher: ist sein Werk auch ein an und für sich bewundernswerthes Kunsterzeugniß, es bleibt doch nicht das eigene Werk des Schöpfers des Originals.
In dem Obenerwähnten hatten wir nur den Holzschnitt vor Augen, wie er seinem Wesen nach sein sollte, wie er auch in den Meisterwerken Albrecht Dürer’s, Hans Holbein’s des Jüngeren und anderer Künstler des sechszehnten Jahrhunderts war (was auch zu der Annahme führte, daß der Zeichner zugleich der Holzschneider gewesen) und wie er sich heute noch mitunter findet. Es gehören jedoch hierzu einerseits Meister, die jeden Strich so zeichnen, wie er im Schnitt stehen muß, die also mit der Technik des Holzschnitts vollständig vertraut sein müssen, andererseits aber auch Holzschneider, die selbstlos ganz in dem Künstler aufgehen, nicht im Geringsten von der vorgezeichneten Linie abweichen, derselben in allen Anschwellungen und Abschwächungen auf das Genaueste folgen und die Zeichnung nicht nur als „schätzenswerthes Material“ betrachten, welches sie je nach ihrer technischen Begabung in der ihnen am besten convenirenden Weise benutzen können.
Die neuere Praxis sowohl der Künstler wie der Xylographen, und die an Umfang enormen Aufgaben die heute dem Holzschnitt gestellt werden, haben jedoch eine andere Arbeitsweise nöthig gemacht, durch welche wir zwar oft bewundernswerthe Holzschnitte erhalten, aber – wie beim Kupferstich – Uebersetzungen, nicht Originale.
Selten nämlich arbeitet heute der Künstler noch in der oben angedeuteten Weise, vielmehr liefert er sehr oft die Zeichnung auf Papier und überläßt entweder einem anderen Zeichner oder dem Holzschneider die Uebertragung auf Holz: wenn er aber selbst auf Holz zeichnet, so arbeitet er gewöhnlich nur einige Haupttheile mit Bleistift genau aus und behandelt das Uebrige als Tuschezeichnung, giebt nur die Töne durch Wischen an, setzt diese auch mitunter mit weißen Lichtern auf und überläßt die Durcharbeitung in Linien dem Holzschneider, der dann, wenn er gute Technik mit Geschmack verbindet, oft in der Lage ist, aus einer leicht hingeworfenen, sogar aus einer mittelmäßigen Skizze ein gutes Bild zu schaffen, andererseits aber auch eine geistreiche Zeichnung leicht verderben kann. Oft wird auch dem Holzschneider als Vorlage nur eine auf Holz übertragene Photographie geliefert.
Diese freiere Behandlung des Holzschnitts verdanken wir einem Lande, das zu der Zeit, wo Deutschland, Frankreich und Italien schon Meisterwerke der Typographie und der Xylographie in großer Zahl geliefert hatten, in diesen Künsten sich noch auf einer sehr niedrigen Stufe befand. Erst als gegen den Schluß [690] des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts die Technik und Mechanik zur Hauptsache wurden und die Individualität in der fabrikmäßigen Gesammtthätigkeit aufging, da war es England, welches Plötzlich reformatorisch in alle graphischen Künste eingriff. Fast alle hier einschlagenden Verbesserungen verdanken wir ihm: die eiserne Presse, die Stereotypie, die Druckwalzen, die Verschönerung der Schriften, die Vervollkommnung des Papiers und der Farbe, den Stahlstich, die rasche Aufnahme der Erfindung des Deutschen Friedrich König – der Schnellpresse – und, worauf es hier zunächst ankommt, die Wiederbelebung des im siebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert nach und nach so gut wie verloren gegangenen Holzschnittes, von dem das sechszehnte Jahrhundert so wunderbare Erzeugnisse aufzuweisen und der einen so mächtigen Einfluß auf die Bildung und den Geschmack des Volkes geübt hatte. Er war im Laufe der Zeit so weit herunter gekommen, daß sogar die Anfangs-, Schluß- und Titelvignetten in gewöhnlichen Büchern durch Kupferstich eingedruckt wurden und daß fast zwei Jahrhunderte nicht ein einziges xylographisches Werk von künstlerischer Bedeutung hervorgebracht haben.
Da trat zu Ende des vergangenen Jahrhunderts der Engländer Thomas Bewick (geboren 1753, gestorben 1828) mit seiner radikalen Reform der Technik des Holzschnitts auf. In früherer Zeit hatte man den Effect erzielt durch neben einander geschnittene Linien von größerer oder geringerer Stärke, bald näher an einander gelegt, bald weiter von einander gehalten, je nachdem Schatten oder Licht hervorgebracht werden sollten. Erst später erlaubte sich der Zeichner eine sehr sparsame Kreuzung der Linien, um größere Tiefe des Schattens zu erzielen, eine Selbstbeschränkung, welche durch den damaligen Zustand der Technik und Mechanik geboten war. Der Holzblock war von Birn-, Aepfel- oder Lindenbaumholz, später wohl auch schon von Buchsbaum, jedoch in Längenschnitten, da Querschnitte (Hirnholz) sich nicht mit dem einzigen Hülfsmittel des Holzschneiders, dem Messer, hätten bearbeiten lassen. Die Druckpresse war noch sehr primitiver Natur, und die ganze Kunst, die der Drucker entwickeln konnte, bestand darin, daß alle Linien voll und in gleicher Schärfe, wie sie der Holzschneider geschnitten hatte, zur Geltung kamen. Das war nicht schwer; denn der Druck des Tiegels war durch eine Anzahl in den Pressendeckel eingelegter Papierbogen und durch eine Filzdecke so elastisch geworden, daß der zu bedruckende Papierbogen sich nothwendig an den Holzschnitt fest anschmiegen mußte. Nur in den damals zum Auftragen der Schwärze gebräuchlichen pilzförmigen Handballen hatte der Drucker ein Mittel einen Effect zu erreichen, indem er nur eine Stelle der Druckform kräftiger, eine andere aber schwächer mit Farbe einzureiben brauchte.
Diese Technik änderte nun Bewick vollständig. Er verwarf jedes andere Holz als Buchsbaum und bediente sich nur der Querschnitte. Eine Folge davon war, daß das Messer beseitigt und zu dem Stichel gegriffen werden mußte, mit welchem sich gegen den Strich, ohne Gefahr des Abbröckelns des Holzes, arbeiten ließ. Man sollte von da ab also eigentlich nicht mehr vom Holzschnitt, sondern vom Holzstich sprechen. Statt einer Linearzeichnung als Vorlage führte Bewick die getuschte oder estampirte Zeichnung unter Vermeidung aller Contourlinien ein, und damit die in der Zeichnung licht gehaltenen Stellen auch nur ganz leicht im Druck erschienen, flachte er an solchen vor dem Schnitt das Holz ab und erzielte damit, daß diese vertieften Stellen in der Presse weniger stark von dem Druck des Tiegels getroffen wurden. Für die tiefen Schatten ließ er die Holzfläche ganz unberührt stehen und arbeitete die Lichter durch Ausstechen einzelner Punkte hinein. Mit einem Worte: er übertrug die ganze Technik des Kupferstiches auf den Holzschnitt, selbstverständlich in der umgekehrten Weise, wie es ja auch nach dem Obengesagten der principielle Unterschied zwischen Hoch- und Tiefdruck verlangte.
Doch dies Alles reichte noch nicht hin, um bei den zarten Tonschnitten den vollen Effect des Kupferstiches hervorzubringen. Dazu gehörte noch die kunstgemäße Nachhülfe des Druckers, das sogenannte „Zurichten“. Es genügte nicht der einfache Zug am Preßbengel, damit jede Linie kräftig zum Vorschein kam, und eine weiche Unterlage, wodurch dies früher ermöglicht worden war, würde ein vollständiges Verschmieren der fein und eng angelegten Linien und der Kreuzschraffirungen verursacht haben – der weiche Deckel mußte dem harten den Platz räumen.
Um nun zu verstehen, worin eigentlich die Kunst des Druckers liegt, ist es nothwendig, sich die Construction der Schnellpresse, die jetzt fast ausnahmslos selbst für den Druck der feinsten Prachtwerke benutzt wird und ohne welche Unternehmungen wie die „Gartenlaube“ eine faktische Unmöglichkeit wären, zu vergegenwärtigen. Wir dürfen wohl annehmen, daß die große Mehrzahl der Leser eine Schnellpresse – die Handpressen fangen schon an seltener zu werden – gesehen hat, und daß es genügt, mit kurzen Worten die Erinnerung daran aufzufrischen, ohne in eine lange Beschreibung, die außerhalb der diesem Artikel gesteckten Grenzen liegen würde, einzutreten.
Auf einem starken eisernen Fundament, das auf Schienen sich hin- und herbewegt, ruht die Druckform. Wird nun das Fundament in Bewegung gesetzt, so passirt diese Druckform zuerst einen Complex von elastischen Farbenwalzen, um die für den Druck eines Bogens genügende Farbe zu empfangen. Die Weiterbewegung führt die Form unter den Druckcylinder, eine glatte um ihre Achse sich drehende, sonst aber festliegende eiserne Walze, auf welche vorher der zu bedruckende Papierbogen, glatt und durch metallene Greifer festgehalten, gelegt wurde. Beim Rotiren der Walze drückt alsdann der Cylinder den Papierbogen an die Druckform an, welche die Schwärze an das Papier abgiebt. Der fertig gedruckte Bogen wird darauf auf endlosen über Rollen geleiteten Bändern aus der Presse geführt. Der Cylinder ruht nun für einen Augenblick, um mit einem neuen Bogen belegt zu werden; inzwischen hat das Fundament mit der Form seinen Rückweg angetreten, um die Wanderung nach vorwärts wieder zu beginnen.
Beim Druck kommt es vornehmlich darauf an, daß Schrift und Holzschnitte in der Höhe ganz genau mit einander übereinstimmen, da sonst die ganze Wucht des vom Cylinder ausgeübten Druckes zuerst nur die hochstehenden Theile treffen und diese flach quetschen würde.
Nun haben zwar die Buchstaben alle eine gleiche Höhe, und hebt einer derselben in der Druckform etwas vorwitzig den Kopf über die anderen heraus, so verweist ihn der Drucker mit einem leichten Hammerschlag auf sein Klopfholz in die Tiefe zurück. Dagegen ist die Stärke (Höhe) der Holzblöcke verschieden und eine niedrigere, als die der Schrift. Indeß ist hier eine Abhülfe leicht gefunden, und zwar durch Unternageln von Holzplatten oder Unterlegen von Metall- oder Pappenstücken, bis die normale Höhe erreicht ist. Schlimmer ist es schon, wenn der Holzstock sich krumm gezogen hat; er würde, wenn der Druck die hochstehenden Ränder oder die hochstehende Mitte träfe, aus einander gesprengt werden, und so muß der Drucker ihn erst durch Dämpfe elastisch machen und durch allmähliche Belastung gerade ziehen.
Ist die vollständig gleichmäßige Höhe aller Theile der Form sowohl der Schrift wie der Holzschnitte erreicht, so geht der Drucker oder, wie er titulirt wird, der Maschinenmeister daran, einen ersten Abzug auf einen über den Cylinder gespannten Bogen zu machen. Dieser Abzug („Margebogen“ genannt), der, wie wir später sehen werden, für die weiteren Manipulationen beim Drucken nothwendig ist und deshalb auf dem Cylinder liegen bleibt, wird sich als ein höchst mangelhafter herausstellen, namentlich was die Bilder betrifft; einige Stellen werden zu schwarz, andere zu blaß erscheinen; wieder andere werden kaum zum Vorschein kommen. Der Laie, der einen solchen Bogen sieht, wird an der Hoffnung verzweifeln, daß sich je ein guter Druck daraus entpuppen werde. Doch der Drucker, der dies Alles voraussah, verzweifelt nicht; denn er weiß, daß seine Kunst ihm die Mittel zur Abhülfe bietet.
Er fertigt, während er den ersten Abdruck, wie erwähnt, auf dem Cylinder beläßt, noch ein halbes Dutzend solcher mangelhaften Abzüge an, nimmt den Probe-Abzug des Bildes zur Hand, den der Holzschneider mittelst eines Falzbeines und mit allem Raffinement hinsichtlich der Einfärbung auf chinesischem Papier zur Anschauung gebracht hat, und prägt sich die Effecte desselben wohl ein. Aus einem der rohen Abzüge schneidet der Drucker nun die Stellen, welche zu stark gekommen sind, aus dem Papier ganz heraus oder schabt dieses dünner. Die Stellen aber, welche sich nicht kräftig genug gezeigt haben, schneidet er aus einem anderen Abzug silhouettenartig heraus und klebt sie genau auf die correspondirenden Stellen des ersteren Abzuges und er fährt mit diesem Unterlegen (correcter müßte es Ueberlegen heißen) fort, bis damit, nach seinen Erfahrungen, der richtige Effect an Schatten und Licht erzielt werden kann. Das Wie haben wir weiter unten zu erklären.
Seine Ausschnitte (die „Zurichtung“), die ungefähr das Aussehen [691] eines Schattenbildes haben, aus welchem die Stellen, die an der Wand als Lichter erscheinen sollen, ausgeschnitten sind, klebt er nun auf den auf dem Druckcylinder zurückgebliebenen „Margebogen“, indem er ganz genau mit den Contouren seiner „Zurichtung“ denen auf dem „Margebogen“ folgt. Fände die geringste Abweichung statt, so würde der Effect des Bildes ganz gestört werden, und zwar aus folgendem Grunde: mit der „Zurichtung“ wurde durch das Aufkleben und Ausschneiden eine Art von Relief geschaffen; der Druck des Cylinders wird natürlich die größten Erhöhungen des „Zurichtung“-Reliefs am stärksten treffen, weßhalb diese Stellen im Druck am kräftigsten erscheinen werden, während umgekehrt die ausgeschnittenen tiefer liegenden Stellen einen schwächeren Druck empfangen, demgemäß zarter erscheinen. Wie subtil aber der Drucker zu Werke gehen muß, läßt sich daraus beurtheilen, daß das dünnste Seidenpapierblättchen zu viel oder zu wenig den Eindruck schädigen wird, ja selbst ein Papierstreifen, unter den zolldicken Holzblock gelegt, übt durch diesen hindurch eine Wirkung auf die correspondirende Stelle des Abzuges.
Hieraus erhellt, wie wichtig das oben erwähnte genaue Zusammenpassen der Contouren war, und wie sehr jedes Verrücken während des Drucks den Eindruck ändern würde. Um solches zu vermeiden, wird der „Margebogen“ daher auch mit anderen glatten Bogen oder mit einem feinen Stoff überspannt, welcher die Zurichtung festhält.
Wenn nun endlich alles in Ordnung ist, veranstaltet der Drucker einen neuen Abzug und stellt einen nochmaligen Vergleich mit dem Musterabdrucke des Xylographen an. Auch dieser Abdruck wird in den seltensten Fällen ein befriedigendes Resultat geben, schon weil der Drucker sich bei der Zurichtung hat in Acht nehmen müssen, nicht des Guten zu viel zu thun, und deshalb vorsätzlich eher etwas zu wenig thut; denn hat er die richtigen Grenzen von Licht und Schatten einmal überschritten, so ist es viel schwieriger, rückwärts auf das richtige Maß zu kommen, als durch nochmaliges Auflegen diese Grenze zu erreichen, wenn er noch nicht an sie gelangt war. Hat er jedoch so weit nachgeholfen, daß er die Grenze, die er für die richtige hält, erreicht hat, so kann der Druck, nachdem die Form sorgfältig gereinigt worden, beginnen. Nachbesserungen sind freilich fast immer noch während des Drucks nothwendig, wenn die Zurichtung durch diesen zusammengepreßt worden ist („sich gesetzt hat“). Um dem Leser die Wirkung der beschriebenen Manipulationen zu veranschaulichen, bringt die heutige Nummer der „Gartenlaube“ auf Seite 689 zwei Abdrücke eines und desselben Holzschnittes, von denen der eine ohne und der andere mit „Zurichtung“ gedruckt wurde.
Herbst-Lied.
Im zerborst’nen Fensterbogen
Lehn’ ich müd’ – der Uhu schreit – –
Herbstesabend, grau umzogen,
Liegt auf Wald und Wiesen weit.
Sehnt die Erde fröstelnd sich,
Sehnt sich, in der tiefsten Stille
Auszuruhen winterlich.
Sterbenssehnsucht hat durchzogen
All dein Glück, es ist verflogen
Mit des kurzen Sommers Pracht.
Nun du sel’gen Kosestunden
Heiß nicht mehr entgegenschlägst,
Die du tief im Innern trägst.
Und auf der Erinn’rung Stätten
Seufzest du der Sehnsucht „Ach!“,
Und in dürren Blätterbetten
Da – fernab, wie ich noch träume,
Glüht das Abendroth empor;
Goldbestrahlte Wolkensäume
Gaukeln mir den Frühling vor.
Und mit ihm mein todtes Glück –
Herbstwind mußt’ es mir verwehen;
Lenzeshauch bringt’s mir zurück.
Neue Lieb’ ist dann erstanden;
Wieder liegt das Herz in Banden,
Wonnebebend, lieb’ umstrickt .....
Im zerborst’nen Fensterbogen
Lehn’ ich müd’ – der Uhu schreit – –
Naht dein Bild mir – süße Maid!
Blätter und Blüthen.
Geschwänzte Menschen. Bis auf unsere aufgeklärte Zeit hat sich die Fabel erhalten: daß es irgendwo in fernen Ländern Völker gebe, denen die Natur einen wirklichen Schwanz verliehen habe. Die oft behauptete Thatsache hatte für den Naturforscher sogar etwas Verlockendes; denn nach der Darwin’schen Theorie könnte man ja eine derartige geschwänzte Menschenrasse für den Vorläufer der Gattung „Mensch“ halten, für eine Uebergangsstufe zwischen dem modernen Europäer und der großen Zahl der geschwänzt einherwandernden Vierfüßler. Einst war der Glaube an die Wahrheit dieser Fabel allgemein verbreitet, und im Alterthume huldigten ihm selbst die aufgeklärtesten Geister. Gelehrte, wie Plinius und Ptolemäus, erzählten in ihren Werken, daß es im Innern Afrikas und auf Inseln, die hinter dem Ganges liegen sollten, Menschen mit Schwänzen gebe, und auch griechische Schriftsteller berichteten von derartigen Völkern, welche gewöhnlich Satyrn genannt wurden. Sie sollten bald Hunde-, bald Ziegenschwänzchen haben oder auch Schwänze viel kleiner als die der Pferde.
Die geistige Richtung des Mittelalters war am wenigsten dazu angethan, in diese phantastischen Erzählungen Licht zu bringen. Die Geister jener Zeit hielten an diesen Ueberlieferungen mit besonderer Vorliebe fest, und so trieben sich neben dem geschwänzten Teufel auch ganze geschwänzte Völker in der Phantasie unserer Vorfahren herum. Mit dem Vorrücken der Wissenschaft und der geographischen Entdeckungen wich aber auch das muthmaßliche Vaterland jener merkwürdigen Rasse in immer weitere Fernen zurück. Bald tauchten derartige menschliche Wesen in Amerika, bald in Afrika, bald in Asien auf, und schließlich wurde ihre Heimath auf den engen Bezirk des Hinterindischen Archipels reducirt, wo noch in jüngster Zeit verschiedene Reisende Menschen mit Schwänzen gesehen haben wollen.
In manchen Fällen ist der Irrthum durch genauere Nachforschung aufgeklärt worden. So deutet z. B. Schweinfurth in einfacher Weise die Entstehung der Fabel von den Schwänzen der Niam-Niam im Innern Afrikas folgendermaßen: Die Krieger jenes Stammes schmücken ihre nackten Hüften mit dem Fell der Zibethkatze oder demjenigen einen langgeschwänzten Affen und lassen nun den Schwanz dieser Thiere von hinten herabhängen. Aus der Ferne gesehen, erscheinen diese Wilden wirklich als geschwänzt – nur sind die Schwänze künstlich und nicht natürlich. Jedenfalls ein sonderbarer Modegeschmack!
Sehr heiter verlief dagegen die Expedition, welche in jüngster Zeit unser Landsmann Carl Bock[7] auf der Insel Borneo organisirte, um das Land der geschwänzten Rasse aufzusuchen. Als er das Sultanat Kutei bereiste und in die Nähe von Tangarung kam, erfuhr Carl Bock, daß er sich nur in geringer Entfernung von der Heimath diesen Volkes befände, das im Sultanat Passir und an dem Teweh-Flusse leben sollte.
Die Eingeborenen waren von der Wahrheit ihrer Erzählung nicht weniger fest überzeugt, als weiland Plinius und Ptolemäus. Tjiropon, ein alter und treuer Diener den Sultans, versicherte unserm Landsmann in Gegenwart seiner Hoheit, er selbst hätte die „Orang-buntut“, das heißt das Schwanzvolk, vor einigen Jahren in Passir gesehen. Das schwanzartige Anhängsel dieser Leute sollte nach der ernsthaften Versicherung Tjiropon’s zwei bis vier Zoll lang sein, und außerdem hätten diese Menschen in ihren Häusern kleine Löcher im Fußboden, in welche sie den Schwanz hineinsteckten, um bequem sitzen zu können.
[692] Der humoristische Schluß dieser Erzählung schien dem deutschen Reisenden die Glaubwürdigkeit des Berichtes sehr in Frage zu stellen, da aber der Sultan versicherte, Tjiropon habe nie gewagt ihm in’s Gesicht zu lügen, so entschloß sich Bock, den Genannten durch große Geschenke zu einer Expedition nach Passir zu bestimmen. Tjiropon wurden außerdem fünfhundert Gulden Belohnung zugesagt, wenn er ein Paar von diesen Menschen wohlbehalten auf das holländische Gebiet bringen würde. Mit Empfehlungsschreiben des Sultans und einer Geleitschaft von fünfzehn Mann ausgerüstet, begab sich Tjiropon auf seine wichtige Mission.
Sehr niedergeschlagen kehrte der alte Diener nach langer Zeit zurück und erklärte, er hätte den Sultan von Passir gesehen und ihm auch den Brief Seiner Hoheit von Kutei zugestellt, aber kein geschwänztes Volk zu Gesicht bekommen.
Mit Hülfe des Residenten von Bandjermasin wurde jedoch eine zweite Expedition von vier Malayen nach Passir mit einem Briefe an den dortigen Sultan entsendet, in welchem derselbe gefragt wurde, ob wirklich eine Rasse geschwänzter Menschen in oder bei Passir wohne. Man bat gleichzeitig Seine Hoheit, womöglich einige dieser Menschen zu schicken. Nach fünfundzwanzig Tagen kehrte die Expedition zurück und brachte einen interessanten Aufschluß: Tjiropon hat wirklich dem Sultan von Passir den Brief übergeben, in welchem ihn der Sultan von Kutei um zwei Schwanzmenschen ersuchte. Aber über dieses Schreiben gerieth der hochmögende Herr in großen Zorn. Sein Gefolge oder seine Hofbedienten wurden nämlich sämmtlich mit dem Namen „Orang-buntut di Sultan di Passir“, das heißt „Schwanzvolk des Sultans von Passir“, bezeichnet, und Seine Hoheit hielt es für eine Beleidigung, daß sein königlicher Vetter zwei Mann seiner Leibgarde verlangte. Er befahl Tjiropon, sofort abzureisen.
„Wenn der Sultan von Kutei meine Orang-buntut braucht,“ sprach er, „so soll er sie selber holen“
Inzwischen aber rüstete er zum Kriege; denn er hielt jenen Brief für eine Herausforderung. Der zweite Brief klärte jedoch den Irrthum auf, und der Sultan ließ sagen, er kenne keine anderen Orang-buntut als seine Suite, die so bezeichnet würde.
Dies war also das Resultat der neuesten Expedition nach dem Lande der Schwanzmenschen. Ist denn aber damit schon gesagt, daß alle jene Reisenden überhaupt keinen mit einem Schwanze ausgestatteten Erdensohn gesehen haben? Wir haben keinen Grund zu einer solchen Annahme; denn es giebt wohl zuweilen Menschen, die mit einem schwanzähnlichen Fortsatze zur Welt kommen, und man braucht nicht nach den malayischen Inseln zu fahren, um sie zu finden. Nur die Erzählungen von ganzen Rassen, die mit diesem Attribut der Thierwelt ausgestattet sein sollen, sind wohl in das Gebiet der Fabel zu verweisen.
Die allerdings sehr selten vorkommenden Fälle, in denen man wirklich bei Menschen auch in Europa schwanzartige Fortsätze oder sogar wirkliche Schwänze beobachtete, dürfen wir übrigens als ebenso bekannt voraussetzen, wie die Thatsache, daß jedes menschliche Wesen in seinen Steißbeinwirbeln einen verkümmerten Schwanzansatz mit sich trägt.
Ein Meßapparat für Elektricitätsentnahme. Wie wir in unserm Artikel über das Edison-Licht in New-York berichteten (vergleiche Nr. 37), zahlen die Consumenten, in deren Häusern die elektrische Beleuchtung eingeführt worden, an die Edison-Compagnie monatlich eine gewisse Summe, welche nach der Menge der von ihnen verbrauchten Elektricität berechnet wird. Die zu diesem Zwecke in allen Häusern aufgestellten Meßapparate, welche ähnliche Dienste wie unsere Gasuhren verrichten, sind auf der gegenwärtigen internationalen elektrischen Ausstellung in München dem Publicum bekanntlich vorgeführt worden; sie beruhen auf einem einfachen, längst bekannten Princip, und es dürfte nicht uninteressant sein, hier einiges über dieselben mitzuteilen
Durchschneidet man nämlich einen Leiter, durch welchen der elektrische Strom kreist, an einer beliebigen Stelle, bringt an seinen Enden Kupferplatten an und taucht sie in eine Lösung von schwefelsaurem Kupferoxyd (Kupfervitriol), so löst sich ein Theil des Metalls an der einen, der positiven Platte, ab, während an der anderen, der negativen, genau dieselbe Menge Metall niedergeschlagen wird. Die abgelösten oder niedergeschlagenen Mengen des Metalls stehen immer in einem gewissen Verhältniß zu der Stärke des Stromes, welche den Leiter durchkreist, und entsprechen daher der Elektricitätsmenge, welche durch den Leiter gegangen ist.
Auf diesem Principe beruht nun, wie gesagt, die Herstellung der Edison’schen Meßapparate. Dieselben bestehen aus einem Kasten, der in zwei Abtheilungen, in eine obere und in eine untere, getheilt ist. In dem oberen Schränkchen befinden sich nun zwei besonders verschließbare Flaschen, die mit einer Lösung von Kupfervitriol gefüllt sind, und in jeder derselben zwei Kupferplatten von bestimmtem Gewicht. Diese Platten stehen mit der Hauptleitung in Verbindung.
Wägt man nun dieselben nach Ablauf einer gewissen Zeit, so kann man aus der inzwischen stattgefundenen Gewichtsveränderung die Menge von Elektricität berechnen, welche der Consument in diesem Zeitabschnitte verbraucht hat.
Von den beiden Flaschen dient die eine zur Feststellung des Verbrauchs bei den monatlichen Abrechnungen, während die Platten der zweiten Flasche in größeren Zeiträumen z. B. jährlich, von einem Controleur gewogen werden, wobei dann das Resultat dieser Wägung gleich sein muß der Summe der zwölf monatlichen Einzelwägungen.
In neuester Zeit benutzt man statt der Kupferplatten Zinkplatten und statt der Lösung von schwefelsaurem Kupferoxyd eine solche von schwefelsaurem Zinkoxyd mit dem besten Erfolge.
In der unteren Abtheilung des Schrankes befindet sich eine Glühlichtlampe, welche das Gefrieren des Flascheninhaltes im Winter verhindert. Darum brennt die Lampe gewöhnlich nicht. Sinkt aber die Temperatur in dem Schränkchen bis zu einer gewissen Grenze hinab, so entzündet sich die Lampe, dank einer sinnreichen Vorrichtung, von selbst, indem sie in den Stromkreis eingeschaltet wird. Ist aber die Temperatur im Schränkchen wieder gestiegen, so wird der Strom in der Lampe unterbrochen, und sie erlischt wieder von selbst. Die automatische Ein- und Ausschaltung dieser Lampe wird durch eine Feder besorgt, die aus zwei in der Wärme sich verschiedenartig ausdehnenden Metallen zusammengesetzt ist.
Wir sehen also, daß auch in dieser Hinsicht die Anlage der elektrischen Hausbeleuchtung diejenige des Leuchtgases an Vollkommenheit übertrifft.
Die Staatslotterien in Deutschland. Bekanntlich ist es im deutschen Reiche gesetzlich verboten, aus dem Glücksspiel ein Gewerbe zu machen. Nichtsdestoweniger unterhalten einige deutsche Staaten ständige Classenlotterien, aus deren Ertrag sie nicht unerhebliche Summen in ihre Cassen abführen. Der Gesammtumsatz der in Preußen, Sachsen, Hamburg, Braunschweig und Mecklenburg-Schwerin bestehenden Staatslotterien beziffert sich auf etwas mehr als neunzig Millionen Mark jährlich, von welcher Summe gegen zehn Millionen den Staatscassen zufallen. Preußen erzielt durch seine Lotterie eine Einnahme von rund vier Millionen, Sachsen eine solche von fünf Millionen und die freie Hansastadt Hamburg streicht jahraus jahrein auf diesem Wege rund eine Million Mark in ihren Säckel ein. So hoch ist der Zoll, welchen die „Dummen“, wie der Volksmund in derber Weise sagt, jährlich der Spielwuth entrichten.
Die oben genannten Lotterien geben zusammen gegen 750,000 Loose aus, und da an jedem Loose sich in der Regel mehrere Personen betheiligen, so beträgt die Zahl der Lotteriespieler im deutschen Reiche gewiß mehrere Millionen. Dabei ist aber das Lotteriewesen keineswegs im Rückgange begriffen; es hat vielmehr in den letzten Jahrzehnten an Ausdehnung gewonnen; denn die Zahl der Loose der sächsischen Lotterie ist in diesem Zeitraume von 34,000 auf 100,000, die der Braunschweiger von 25,000 auf 84,000 und die der Hamburger von 22,300 auf 84,000 gestiegen.
Von den verderblichen Wirkungen des Lotteriespiels im Allgemeinen brauchen wir nicht ausführlich zu berichten, da dieselben zur Genüge bekannt sind. In Deutschland werden sie noch dadurch verstärkt, daß einige Staaten das Verbot erlassen haben, in fremden Lotterien zu spielen. Um dieses Verbot kümmern sich aber bekanntlich die Wenigsten; man macht kein Hehl aus solchem ungesetzlichen Handeln, welches im Volke durchaus mild beurtheilt wird. Wahrlich! die Lotterien widersprechen den Grundsätzen der Volkswohlfahrt, die aus der Sparsamkeit und Vorsorge ihre Kraft schöpft, und es ist darum zu wünschen, daß auch wir in Deutschland bald dem Vorgange anderer Länder folgen und dieselben abschaffen.
Weinlese im Kloster. (Mit Abbildung Seite 684 und 685) Wenn Eduard Grützner uns in der Nähe eines Klosters winkt, so folgen wir ihm unbedingt; denn wir sind von Haus aus überzeugt, daß er uns etwas Sehenswerthes zeigen wird. Auch nicht ein einziger unserer Leser bleibt in solchem Falle wohl zurück, seitdem wir mit ihm eine baierische Klosterbräustube besucht haben (1870, S. 413) und dann an seiner Hand zu Mephisto hinter die Coulissen geschlichen sind (1872, S. 65), vor Allem aber, seitdem Karl Stieler den Künstler als „Unsern Falstaff-Maler“ uns vorgestellt und (1878, S. 659) seinen Lebens- und Bildungsgang erzählt hat.
Diesmal gewährt Grützner uns den Einblick in das bunte Treiben der Weinlese in einem Klosterkeller. Der Meister hat in diesem Bilde alle Vorzüge seines humoristischen Griffels leuchten lassen und mit echter Künstlerhand in der gruppenreichen Scenerie scharfe Contraste und sprechende Gestalten in das rechte Licht gestellt, und zwar nicht wie eine lose Phantasie sie schafft, sondern wie das Leben sie darbietet. Selbst die Hauptgruppe des Bildes, der die Trauben segnende Abt, läßt die ernste Handlung nicht ohne ein Streiflicht der Heiterkeit: der Kellermeister, der im Schweiße seines Angesichts die Trauben in der Schale des schönen Kindes als besonders segenswürdig zu empfehlen scheint, und der Alte, der das freudenhelle Gesichtchen des Mädchens anlacht, lassen den Humor nicht von der Stelle weichen. Eine zweite Gruppe des Vordergrundes bilden die schmucke Winzerin, die der Alten eine Bemerkung zuflüstert, deren Inhalt Jedermann zu errathen freisteht, und der greise Klosterbruder, dessen Eselein eine Doppellast von Trauben herbeigeschleppt hat. Aus dem Hintergrunde tritt uns überall fröhliches Treiben und Schaffen entgegen, das sich selbst erklärt. Nur das Gesellschäftchen bei dem Fasse zur Linken des Bildes kommt uns zweideutig vor: Most trinken die Leute offenbar nicht; es scheint an leeren Fässern für den neuen Erntesegen zu fehlen, und der Eifer des Mannes am Faß, die vielen Humpen zu füllen, könnte demnach auf einen besonders einladenden Berufszweck der ehrenwerthen Versammlung hindeuten. – Unsere frommen Altvordern waren kluge Leute: sie sorgten mit gleicher Gewissenhaftigkeit für die himmlische wie für die irdische Seligkeit; sie hielten standhaft auf reinen Glauben und auf – reinen Wein.
„So bannen die zwei Starken
Der Menschen Ungemach,
Und wenn der eine schwach wird,
so hilft der andre nach.“
B. G. in Odessa. Ein treffliches Porträt Ch. Darwin’s, in Kupferstich ausgeführt, wollen Sie von Schweizerbart in Stuttgart beziehen. Dasselbe stammt aus dem weitgekannten und altbewährten Atelier von August Weger sen. und Theodor Weger jun. in Leipzig.
Langjähriger Abonnent in Aachen. Allerdings! Bei der Expedition des Blattes.
R. S. in Breslau. Marlitt’s „Goldelse“ finden Sie im Jahrgang 1866, „Das Geheimniß der alten Mamsell“ aber im Jahrgang 1867.
A. E. in Hamburg. Als Scherz passable!
Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
- ↑
Eine Episode aus dieser Landung stellt unser Holzschnitt auf Seite 677 dar, welcher nach dem trefflichen Aquarell des berühmten Professor Karl Werner ausgeführt wurde. Unter der stilvollen Klosterruine di Santa Maria delle Pallude empfängt Garibaldi einige ihn begrüßende Landleute Siciliens, die ihn beim Bereiten der Mahlzeit antreffen. Um ihn versammelt sind seine Getreuen: Bixio sieht über die Schulter des Generals hinweg; der Deutsch-Ungar Colonel Türr sitzt, seine Pfeife stopfend, ihm zur Rechten, während Caceri zu seiner Linken an einer Säule der Ruine lehnt; der mit entblößten Armen Garibaldi gegenüber Sitzende ist sein intimer Freund, der Engländer Capitain Peard.
Die Red.
- ↑ Das Wort „Börde" wird von germanischen Sprachkundigen erklärt als „die sich hinziehende Ebene, besonders an einem Flusse, also Flußebene“. Man ist geneigt, es etymologisch auf das gleichbedeutende niederdeutsche bœrde zurück zu führen, das von bord „Rand“, angewandt auf Flußrand, stammen soll. Keltische Forscher leiten es vom irischen und gälischen buar, „Vieh", und vom irischen bu, „Land“, her, wonach es also „Viehland“, das ist: fruchtbares, zur Viehzucht geeignetes Land heißen würde. Immer aber bedeutet Börde fruchtbares Feldland, und außer der Magdeburger Börde giebt es noch die Warburger, die Soester und unterhalb Bremens im Binnenlande die Lamstedter und die Beverstedter Börde.
- ↑ In der „Edda“ heißt es:
„Eikthyrnir heißt der Hirsch vor Heervaters Saal,
Der an Lärad’s Laube zehrt;
Von seinem Horngeweih tropft es nach Hvergelmir,
Davon stammen alle Ströme.“
(Simrock’s Uebersetzung, Seite 17.) - ↑ Professor Klopffleisch in Jena arbeitet gegenwärtig an einem ausführlichen Berichte über diese Funde, denen Abbildungen beigegeben werden sollen.
- ↑ Bei Staßfurt wurden in einem einzigen Jagen gegen 400 Hasen geschossen. In Biere, dessen Jagdgebiet 3000 Morgen groß ist, erlegte man bei der Treibjagd im Herbste 1880 1000 Hasen. Der Hasenmenge auf den Gefilden entsprechen denn auch die Jagdpachte. So ist die Jagd einer 3400 Morgen großen Feldmark augenblicklich für 1300, eine andere 2300 Morgen große für 660, eine dritte, etwa 5000 Morgen große etwas höher als für 2000 und endlich eine vierte von 3000 Morgen gar für 10,000 Mark verpachtet worden.
- ↑ Wir verweisen bei dieser Gelegenheit auf Carl B. Lorck’s soeben erschienenes, höchst beachtenswerthes „Handbuch der Geschichte der Buchdruckerkunst“ I. Theil (1450 bis 1750) (Leipzig 1882, J. J. Weber), welches auch eine eingehende Geschichte des Holzschnittes in seinen Anfängen und seiner in das sechszehnte Jahrhundert fallenden Glanzepoche bietet. Allen, die sich für dieses Thema interessiren, sei das genannte Werk, von welchem der II. Theil die neue Blüthe und höchste Vollendung der Druckkunst (1750 bis 1882) schildert, auf das wärmste empfohlen. D. Red.
- ↑ Wir weisen bei dieser Gelegenheit auf das soeben erschienene Werk „Unter Cannibalen auf Borneo“ hin, in welchem Carl Bock die Resultate seiner zu wissenschaftlichen Zwecken unternommenen Reisen auf Borneo und Sumatra in äußerst anziehender und allgemein-verständlicher Form mittheilt. Die sehr geschmackvolle Ausstattung diesen an Abbildungen reichen Werken gereicht der Firma, in deren Verlage es erschienen (Hermann Costenoble, Jena), zur vollen Ehre.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: ols