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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1881
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[773]

No. 47.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Ein Friedensstörer.
Erzählung von Victor Blüthgen.
(Fortsetzung.)


5.

Curt fuhr am nächsten Tage doch nicht gleich nach Demmin, Irgend eine heimliche Macht zwang ihn, auf etwas Anderes zu denken, was etwa geeignet war den Onkel wirksamer zu beeinflussen, als dies Herrn von Pannewitz gelungen. Der Jurist und Mann des strengen Gesetzes wurde plötzlich von Scrupeln der Weichherzigkeit geplagt, über die er sich gegen Anne-Marie so wegwerfend geäußert.

Er besann sich, daß der Landrath des Kreises, Herr von Wedel auf Bornitz, der Vorgesetzte des Onkels in dessen Eigenschaft als Ortsobrigkeit von Pelchow, ein alter Freund der Familie war. Zu diesem fuhr er, setzte ihm die Verhältnisse aus einander und bat um sein persönliches Eingreifen. Ihn müsse der Onkel anhören; ihm werde er auch glauben, wenn er ihm die Consequenzen seiner Halsstarrigkeit klar mache.

„Vielleicht, und sicher zum Vortheil des Gelingens, erinnern Sie ihn auch an das Schicksal meiner Cousine Lebzow, die er bei sich hat und für die er eine große Vorliebe empfindet.“

Herr von Wedel ließ anspannen und fuhr sofort mit Curt nach Pelchow, während Jochen mit dem Pelchower Fuhrwerk in Bornitz verblieb. Der Baron war ausgeritten, und man griff den ersten besten Mann auf, um ihn durch diesen auf den Hof bitten zu lassen. In der Zwischenzeit unterhielt sich der Landrath mit Anne-Marie.

Curt ging im Garten mit Beiden auf und ab, froh, daß die Wege meist zu schmal waren, als daß er auf einer Linie mit ihnen hätte gehen können. Nur zuweilen wandte der Landrath den Kopf ein wenig und zog ihn zu ein paar flüchtigen Bemerkungen heran. Es schien ihm, als seien Anne-Marien’s bittere Klagen, wie sehr dem Onkel der Wechsel der Verhältnisse auf dem Gute nahe gehen, an seine Adresse gerichtet, und einmal war’s ihm sogar, als hätte das braune Auge, welches ihr Profil ihm zeigte, mit raschem Seitenblicke sein Gesicht gestreift. Uebrigens hatte sie andere Toilette gemacht; das mattgrüne Kleid mit weißem Spitzenbesatze erschien für die ländliche Umgebung vielleicht etwas zu anspruchsvoll, aber es stand ihr gut.

Endlich ließ Hufschlag jenseits der Mauer die Ankunft des Barons vermuthen.

„Erlauben Sie mir, daß ich Sie zu ihm führe, Herr Landrath!“ sagte Anne-Marie hastig; „Sie müssen ohnehin durch mein Zimmer gehen. Onkel hat die seltsame Angewohnheit, durch’s Fenster zu steigen, und ist nicht zu bewegen, sich einen besondern Eingang herstellen zu lassen.“

„Das kenne ich von früher her, liebes Kind; damals war überhaupt nicht anders zu ihm zu gelangen. Auf Wiedersehen, Herr von Boddin – ich gehe wohl klüger ohne Sie. Ich hoffe das Beste.“

Der Baron war in sehr übler Laune angelangt; denn er ahnte den Zweck dieses Besuches. Er war inzwischen bereits durch sein Fenster gestiegen und empfing den Landrath mit mürrischem Gesichte, was dieser indeß nicht zu bemerken schien.

„Lieber Boddin,“ setzte er gemüthlich und doch theilnahmsvoll von einem Stuhle her aus einander, den er sich herangezogen, „hier hilft kein Zittern vor’m Frost; Sie haben die Wahl: entweder Sie überliefern Ihrem Neffen das Gut und bleiben in aller Gemüthsruhe hier, oder Sie lassen sich von der Polizei einsperren und vielleicht einen Theil Ihrer Leute mit, leben viel, viel kümmerlicher in einem kleinen Neste und ziehen das Geschick Ihrer liebenswürdigen Nichte mit in diese Misere hinein.“

„Das ist aber eine offenbare Ungerechtigkeit,“ murrte der alte Herr aufgeregt, und die kleinen wässerigen Augen sahen aus, als ob sie die Absicht hätten, auf den Landrath zu springen. „Das ist mein Gut, und ich hätte die verdammten Juden auch bezahlt. Und das will ich mit meinen Leuten schon zwingen, daß mich keine Polizei hier wegholt. Soldaten schicken sie mir doch wohl nicht her.“

„Warum nicht, lieber Freund? Die können Sie in drei Tagen hier haben, wenn Sie’s darauf ablegen.“

Der Alte brummte wie eine knurrende Dogge vor sich hin.

„Wie lange können sie mich denn einspunden?“

„Je nachdem, Bester; ein paar Monate, auch ein paar Jahre, wie Sie’s haben wollen. Machen Sie sich keine Flausen vor, und stellen Sie sich vor die nackte Thatsache!“

In finsterem Nachsinnen brach der Widerstand des Barons.

„Dann hol’s der Teufel! Meinetwegen will ich dem Kerl die Papiere alle geben, die ich habe; damit mag er machen was er Lust hat. Aber ärgern kann ich ihn doch, Landrath – wie?“

„Wenn Sie in den Grenzen des Gesetzes bleiben, ohne Zweifel. Ich rathe Ihnen indessen nicht dazu, alter Freund; denn es könnte Ihrem Neffen eines Tages einfallen, das Gut nicht nur allein bewirthschaften, sondern auch allein bewohnen zu wollen.“

„Das soll er nur thun; er soll seinen alten Vatersbruder nur aus seinem ererbten Hause ’rauswerfen! Muß ich ihm die Tagelöhner auch übergeben, Landrath?“

„Soweit sie in festem Contract zum Gut stehen und nicht freie Arbeiter sind, ja. Ich denke aber, daß auch diese Arbeiter [774] hier in Häusern wohnen, welche Gutseigenthum sind; natürlich unter der Bedingung, daß sie für das Gut arbeiten. Weigern sie sich, weiter zu arbeiten, so entzieht man ihnen einfach die Wohnung.“

„Sonst passirt ihnen weiter nichts?“ fragte der Baron mit gespanntem Seitenblick.

„Ich denke, das wäre genug.“

„Nein, das reicht nicht,“ meinte der Alte trocken. „Dat is ’n Spaß, sägt Maaß.“ Und er lachte einen Augenblick kurz auf aber es war ein zorniges Lachen.

„Ich kann Ihnen nur rathen: ordnen Sie die Sache in Gutem, Boddin!“

„Na adschüs, Landrath! Nun ist’s mir leichter um das Herz.“

Die beiden Männer waren aufgestanden und schüttelten einander die Hände. Während der Landrath im Nebenzimmer noch ein paar freundliche Worte zu Anne-Marie sprach, ihr das tröstliche Resultat mittheilte und ihr zuredete, zu thun, was sie könne, um den Onkel von Plänen gegen Curt abzubringen, blieb der Baron zurück und begann sofort sein Schreibpult auszukramen. Die Abfahrt des Wagens störte ihn.

„Na, er will ja doch wohl nach Demmin, weil er Jochen in Bornitz gelassen hat,“ sagte er, überrascht zum Fenster hinausblickend, „da fährt er ja wieder mit dem Landrath ab.“

Er sah den Wagen im Thore verschwinden. Auf dem Steinpflaster vor dem Fenster lag sein der Bernhardiner, hatte den Kopf ein wenig erhoben und schaute gleichfalls hinterdrein.

„Faß, Dana!“ zischte der alte Herr unwillkürlich zwischen den Zähnen. Dann hörte er hinter sich die Thür gehen und Anne-Marie’s Kleid rascheln.

„Ich habe es nun doch gethan, mein liebes Anne-Marieken“ meinte er gedrückt. „Du kannst mir mal helfen, die Schreiberei für die Pogge auszusuchen; Du machst das fixer als ich.“ – – –

Curt war froh über die glückliche Lösung; selbst die Andeutungen des Landraths wegen drohender weiterer Schwierigkeiten vermochten nicht, ihm die Freude zu verkümmern. Aergern mochte ihn der Onkel soviel er wollte, wenigstens war ihm eine ersprießliche Thätigkeit, vor Allem die Erfüllung der übernommenen Pflicht seiner Meinung nach gesichert. Er hatte es so eilig, sich in die Arbeit zu stürzen, daß er es ausschlug, die Nacht auf Bornitz zu verweilen, und direct nach Demmin weiter fuhr, um im Verlaufe des nächsten Tages möglichst viel besorgen zu können.

Am liebsten wäre er den folgenden Abend schon wieder in Pelchow gewesen. Eine Unruhe, die er selbst nicht recht begriff, plagte ihn, und hinter der Unruhe stand das dürftige, ungastliche Gutshaus von Pelchow wie eine Heimath des Friedens. Und doch war jene Unruhe etwas Wohlthuendes, wie es der kühle, in sich abgeschlossene Mann noch nie empfunden:

Er hatte keine Ahnung, daß in seiner Abwesenheit zu Pelchow Minen gegen ihn gelegt wurden, indeß er selbst für den Ort wie für eine ferne Heimath zu fühlen begann.

Der Baron hatte mit Anne-Marie alles zusammengesucht und geordnet, was sich an Actenmaterial vorfand. Das junge Mädchen war mit großer Sorgfalt und Accuratesse verfahren; da lagen gesondert die Papiere, welche Gutsangelegenheiten betrafen dort alles, was mit der an die Gutsherrschaft geknüpften amtlichen Befugniß zusammenhing; jeder Stoß wieder mehrfach in sich geschieden und das Verwandte mit Band umschlungen und mit einem Zettel versehen, welcher den Inhalt angab. Anne-Marie schrieb die Notizen mit ihrer klaren, hübschen Handschrift. Der Baron saß zuletzt nur auf dem Kanapee oder er ging in der Stube auf und ab, Auskunft gebend und dazu in Pausen eine kurze Jagdpfeife rauchend. Bis in die Nacht hinein dauerte die Arbeit; denn wie Kraut und Rüben hatte alles durch einander gelegen; die ganze Schreiberei war dem alten Herrn ein Gräuel, und schon seit lange hatte Anne-Marie ihm helfen müssen. Manches Werk von ihrer Kinderhand fand sie jetzt wieder, das sie mit stillem Lächeln betrachtete.

In später Stunde näherte sich der Baron dem Fenster.

„Geh mal in Deine Stube, Döchting,“ sagte er. „Ich will hier was Luft herein lassen, daß Du nicht den Husten kriegst von dem Tabaksrauch. Du sollst mir nicht zu Schaden kommen. Nimm die Lampe mit ’rüber! Ich muß ’raussteigen; denn ich erinnere mich eben, daß ich was vergessen habe, was ich noch besorgen muß.“

Anne-Marie sah ihm befremdet zu, wie er das Fenster aufschob und hinausstieg.

„Setze doch Deine Mütze auf, Onkel! Es ist kalt draußen.“

„Laß nur, Döchting, ich gehe blos um das Haus zu den Knechten.“

Er stand draußen, zog wieder schnaufend die Luft ein, wie er gern that, und blickte in den klaren Sternenhimmel. Ein kühler Nachthauch wehte; es war so still; nur in irgend einer Hundehütte rasselte eine Kette und im Stalle brummte eine Kuh. Endlich seufzte er tief auf und begab sich zu der anderen Seite des Hauses, wo er hart an den Laden eines zur Knechtestube gehörigen Fensters klopfte.

„He, Leute! Kukt mal ’raus!“

Nach wiederholtem Pochen und Rufen klirrte endlich das Fenster, und hinter dem geöffneten Laden kam ein Gesicht zum Vorschein.

„Mein Sohn, bist Du auch munter, daß Du ordentlich hörst, was ich hier rede?“

„Ja wohl, Herr!“

„Na, dann sag mal morgen früh zu Drewes, wenn er kommt, daß ihr morgen nicht zu arbeiten braucht. Klock sieben soll alles, was auf dem Gute arbeitet, ausgenommen den Schulmeister und die aus dem Armenhause, sich vor meinem Fenster versammeln, indem daß ich eine Ansprache an sie halten will. Hast Du mich verstanden, mein Sohn?“

„Ja wohl, Herr!“

„Nun siehst Du, mein Sohn, nun leg Dich wieder hin!“

Der Laden schloß sich, und der Baron ging langsam zu seinem. Fenster zurück. Noch einmal blieb er stehen und sah zum Himmel auf. Der Orion blitzte in voller Pracht; da höher über das Gut hin, zog sich der weißliche flimmernde Streifen der Milchstraße. Es schwamm ihm vor den Augen.

„Herrgott,“ sagte er halblaut mit zitternder Stimme, „das hast Du mir nun anthun können, und ich habe Dir doch nichts zu Leide gethan.“

Damit stieg er in seine Stube und ließ das Fenster herunter. Anne-Marie kam mit der Lampe.

„Willst Du nicht zu Bette gehen, lieber Onkel?“ fragte sie weich. „Es ist schon spät.“

„Sieh erst mal zu, Anne-Marieken, ob Dürten noch auf ist! Sie soll das Zeug da Alles in die Eßstube schaffen; denn nun mag ich damit nichts mehr zu thun haben.“

Dürten flickte und stopfte noch. Nach ein paar Gängen war durch sie und das junge Mädchen die Umräumung bewirkt. Als Anne-Marie zuletzt zurückkehrte, brannte einsam die Lampe auf dem Tische und beschien den kraushaarig grauen Kopf des alten Herrn, den er in die aufgelegten Arme vergraben hatte. Anne-Marie erschrak; denn auf die Frage, ob ihm etwas fehle, rührte er sich nicht. Rasch trat sie näher und hörte einen tiefen zitternden Athemzug; da legte sie die weichen vollen Mädchenarme um den armen Baron und streichelte ihn mit der einen Hand so sanft über den Kopf und sagte:

„Mein guter armer Onkel!“

Langsam richtete sich der Alte auf. In dem fast burlesken Gesichte zuckte und bebte es, und das gewaltsame Vorschieben der Lippen und die gerunzelten Brauen bekundeten äußerste Anstrengung, die Herrschaft über sich zu behaupten.

„Siehst Du, liebes Anne-Marieken, nun ist Alles aus – nun bin ich ein armer Mann –“

Ein schmerzliches Stöhnen folgte, und dann ergab sich der Alte dem Uebermaße des Schmerzes; die Thränen quollen ihm reichlich aus den kleinen blinzelnden Augen und liefen die welken Wangen nieder und tropften in das dicke wollene Halstuch darunter.

„Meine Vorfahren haben auf Pelchow gesessen, und ich bin nun der Letzte, und sie haben mich nicht mal ruhig hier sterben lassen, sondern mir mein Erbtheil noch bei Lebzeiten aus den Händen genommen. Das thut mir sehr weh, mein liebes Anne-Marieken; ich glaube, das ist wohl das erste Mal seit meinen Kinderjahren, daß ich weinen muß; Du mußt mir das nicht übel nehmen“

Das junge Mädchen stand neben ihm, hielt seinen Kopf umfaßt und weinte mit, indem sie ihm zärtliche Namen gab wie einem Kinde.

„Du bist doch aber nicht der Letzte, mein guter Onkel; der [775] Onkel Albrecht in Teterow ist ja auch Deines Vaters Sohn, und der Vetter Curt wird schon so für Dich sorgen, daß Du nicht arm bist.“

„Sieh mal, das schmerzt mich, mein Döchting, daß Du so was sagst. Was mein Bruder, der Teterower, ist, den rechne ich gar nicht zur Familie, der ist auf die Hörtjes geschlagen – das sind reiche Holländer, von denen meine Mutter herstammte. Ich habe ihn auch von meiner Jugend her nicht leiden können; denn er ist ein Cujon, der mich immer geärgert hat. Und was seinen Sohn anbetrifft, das ist ein Rindvieh; der hat gar nichts für mich zu sorgen; der hat mir mein Theil auszubezahlen was mir zukommt. Laß Dich mit dem Kerl nicht ein, Anne-Marieken! Das ist so’n Glattschnacker; der redet Dir was vor, und nachher läßt er Dich sitzen –“

„Aber Onkel,“ rief Anne-Marie verwirrt, „wie kommst Du auf diese Idee! An so Etwas denkt Keiner von uns Beiden. Er hält mich für ein dummes Dorfmädchen und ich ihn für einen unverschämten Menschen. Wir sind schon ganz zerfallen mit einander, und ich rede kein Wort mit ihm und gehe ihm aus dem Wege, wo ich kann.“

Sie trat von dem alten Herrn zurück, der lebhaft aufsprang und, sich mit einem großen rothen Taschentuche über das Gesicht wischend, ein Mal über das andere ausrief:

„Das ist recht, das ist recht, mein Döchting; nein, das ist mir ’ne wahre Herzensfreude. Und nun sollst Du mal sehn, wie wir den Curt ärgern; ’n Spaß wird das‚ Kumm man ranner!’ sägt Zanner. Und morgen früh geht das los.“

Er ging mit den klirrenden Sporenstiefeln hin und her, rieb sich die runzligen Hände und hatte die ganze weichmüthige Stimmung überwunden.

„Aber Du nimmst Dich doch in Acht, Onkelchen, daß sie Dir nichts anhaben können?“ sagte Anne-Marie ängstlich.

„I wo werd’ ich nicht! Geh nur ganz ruhig zu Bett! Du hast Dich heut’ etwas übernommen. Steck mal das Licht an, Döchting!“

Noch geraume Zeit hörte ihn Anne-Marie von ihrem Zimmer aus herumwandern und Selbstgespräche halten. Sie stand vor dem Spiegel, ehe sie sich auszukleiden begann, in dem einfachen Kleide, das sie für’s Durchstöbern der staubigen Acten statt des eleganteren eingetauscht, und betrachtete sich aufmerksam. Sie lächelte, machte ein ernstes, dann wieder ein hochmütiges Gesicht, strich sich das strohblonde Haar tiefer in die Stirn und wieder hoch, daß das kleine wilde Gekräusel über der Stirn volle Freiheit erhielt; sie ließ, die Lampe in der Hand, den Schatten so und anders wirken und hielt am längsten an, als er das feine Grübchen im Kinn vertiefte. Alles das geschah nicht kokett, sondern mit prüfender Gewissenhaftigkeit.

„Gott – häßlich bin ich doch eigentlich nicht,“ flüsterte sie dann vor sich hin; „und dumm sehe ich auch gerade nicht aus, oder wie ein Kind. Ich begreife wirklich nicht, warum mich Curt so von oben herunter behandelt. Es ist zu peinlich, wenn wir nun wochaus, wochein mit einander auf dem Kriegsfuße stehen sollen. Aber gefallen lasse ich mir nichts.“ – Und dann dachte sie: „Dem Onkel hat er eigentlich direct nichts zu leide gethan, und er ist übrigens im Recht gegen ihn. Da sollte der doch den Widerstand nicht zu weit treiben.“ – Endlich begann sie die Nadeln aus dem Haar zu ziehen und lachte heimlich auf, nachdem sie einen tiefen Atemzug getan. „Die Hedwig ist köstlich!“

Der Morgen kam. Das Hofthor knurrte und ließ mit Gerät beladene Gestalten ein; die Botschaft des Barons flog von Mund zu Mund. Sie ward jedem neuen Ankömmling aus den am Thore harrenden Gruppen entgegengerufen und fast von jedem ungläubig begrüßt. Zuletzt lief man in’s Dorf und holte zusammen, was etwa noch vermißt wurde. Das seltsame Ereigniß war der Gegenstand verschiedener Muthmaßungen, welche dahin gipfelten, daß der alte Herr wohl „abdanken“ werbe.

„Ist denn der junge Herr da?“

„Nein, er ist gestern mit dem Landrath gefahren und noch nicht wiedergekommen“

„Das ist doch merkwürdig; der muß doch dabei sein.“

„Vorm Fenster vom alten Herrn sollen wir stehen? Das geht ja gar nicht wegen der Nesseln“

„Wir wollen ein Theil umhauen,“ commandirte Drewes. „Das alte Zeug steht auch für nichts da.“

Ein paar Leute nahmen ihre Sensen und hieben hinein; die anderen sammelten sich als Zuschauer. Bald war Platz geschafft und das Kraut zusammengehackt. Als die Uhr, welche Drewes in der Hand hielt, sieben zeigte, waren gegen hundert Leute da bei einander und blickten neugierig auf den Laden vor dem Eingangsfenster des Barons, welchen der Gutswächter, wie immer, in der Nacht geschlossen halte.

Kurz nach sieben wurde drinnen das Fenster aufgeschoben; der Laden flog auf und das Gesicht des alten Herrn nickte befriedigt heraus.

„Guten Morgen, Herr Baron!“ „Guten Morgen, Kinder!“

Einen Augenblick musterte er blinzelnd die Menge; dann blickte er prüfend nach dem Wetter. Er hatte wieder den grünen Rock mit Messingknöpfen an und das Tuch um den Hals gebunden, und sein Haar war wirr und struppig. Die Leute standen so still, daß man sein kurzes Schnaufen genau hörte.

„Ich habe Euch hierher bestellt,“ hub er endlich an, „wegen einer wichtigen Sache, und es ist mir lieb, daß Ihr Alle gekommen seid, indem daß ich daraus sehe, daß Ihr mich doch noch für Euren Herrn haltet, und das bleibe ich denn auch, ausgenommen die Leute, die hier auf dem Hofe dienen, was Knechte und Mägde sind, und was erst kündigen muß, wenn’s aus dem Hofdienst gehen will – denen habe ich nichts mehr zu sagen. Denn sie haben mir mein Gut abgenommen, weil ’n paar verdammte Juden in Demmin gegen mich klagbar geworden sind, und nun haben sie’s meines Bruders Sohn ans Teterow übergeben, daß er’s in Verwaltung nehmen soll, und der ist denn auch so schlecht gegen seinen eignen Vatersbruder und tut das. Was also die Leute sind, die müssen ihm nun mal pariren, da hilft das nichts, sonst werden sie eingespundet, hat mir der Herr Landrath gesagt. Die können höchstens kündigen. Aber Euch andern hat er nichts zu sagen, wenn Ihr nicht freiwillig aus meinem Dienst in seinen geht. Ihr seid nun viel über dreißig Jahre bei mir in Lohn und Brod gewesen, und nun will ich mal fragen, wer von Euch seinen alten Herrn verlassen will und auf die Seite treten, von der ihm Schimpf und Schande erwachsen ist. Ich wollte auch nichts darüber sagen, wenn Ihr wirklich für meinen Bruderssohn die Arbeit aufnehmen solltet. Aber was das Gut einbringt, das kriegen alles die vedammten Demminer Juden, die Halsabschneider, und für die arbeitet nun einer aus meiner leiblichen Verwandtschaft, und Ihr sollt nun auch für sie arbeiten“

Der Baron machte eine kurze Pause, und das ärgerliche Gemurmel unter den Leuten überzeugte ihn, daß seine Worte den gewünschten Erfolg hatten.

„Ich habe nun freilich nichts für Euch zu thun; ich will Euch aber das geben, was Ihr braucht, damit Ihr nicht hungern müßt. Mein Bruderssohn hat das Gut noch nicht angetreten und Ihr könnt Euch vom Felde das aufsammeln, daß Ihr eine Weile genug habt – das erlaube ich Euch, aber blos, wenn einer bei mir bleiben will. Sie hätten nun wohl ein Recht, Euch die Wohnung zu nehmen – das ist aber unmöglich; denn da müßten sie Euch von Gemeindewegen unterbringen, und dazu ist kein Raum da. Sie könnten hier auch andere Arbeiter nicht kriegen; wenn hier aber keine Arbeiter sind, da sind sie mit ihrer Weisheit am Ende und müssen thun, was ich will, und da glaube ich wohl, daß sie mir zuletzt noch mein Gut zurückgeben. Aber wenn das auch nicht wäre und sie hülfen sich mit der Arbeit hin, bis sie Arbeiter aus Schweden kriegten, dann gebe ich Euch das Geld, daß Ihr nach Amerika auswandern könnt, was freilich erst im Frühjahr möglich ist. und nun, meine alten Kinder, was wollt Ihr: daß ich Euer Herr bleibe, oder daß Ihr für die Demminer Juden arbeitet und daß die Euch commandiren lassen?“

„Unser Herr Baron soll leben!“ rief eine Stimme, und sie fand reichliche Nachfolge. „Wir wollen keinen andern Herrn!“

„Das ist mir lieb, Kinder, das ist mir sehr lieb zu hören. Ihr könnt Euch das aber in Ruhe überlegen; ich will keinen Zwingen daß mir keiner nachher abfällig wird. Drewes – komm mal her, mein Sohn! Ich habe hier ’nen Bogen Papier, den kannst Du in die Schänke legen, und da soll sich jeder aufschreiben, der zu mir halten will, und heute Abend bringst Du mir das. Nun dank’ ich Euch auch vielmal, Kinder. Jochen – ach, der ist nicht da – Drewes, laß mir mal in einer Stunde mein Pferd satteln!“

[776] Der Kopf des Barons verschwand in der Stube, wo er vergnügt die Hände auf dem Rücken herum ging, indeß die Leute sich in großer Aufregung zerstreuten. Es war ein richtiger Demagogenstreich, den der alte Kauz ausgebrütet hatte; einen Fehler zeigte die Rechnung freilich auf den ersten Blick: der Baron glaubte im Recht zu sein, wenn er die Plünderung auf dem Felde erlaubte, was keineswegs der Fall war. Ihm selber konnten daraus übrigens keine Verlegenheiten weiter erwachsen, Wohl aber den Leuten. Der Einzige, der das begriff, war der Radmacher. Er war etwas zu spät gekommen, um die Rede des Barons noch zu hören, aber er wußte eine Minute nach seinem Zusammentreffen mit den aus dem Thor strömenden Dorfbewohnern, um was es sich handle.

„Unser alter Heer weiß da nicht recht Bescheid,“ warnte er; „Ihr müßt vorsichtig sein.“

„Das ist dem Herrn seine Sache.“

„Nein, das haben wir zu verantworten. Und das hilft doch nun mal nichts; wir müssen für den jungen Herrn arbeiten; das mit den Juden ist nur so ’ne Vorspiegelung. Und wenn wir nicht arbeiten, verdienen wir nichts; der alte Herr hat gut reden; er kann uns nichts geben, er hat selber nichts mehr.“

„Sie müssen ihm doch was abgeben.“

„Das reicht aber nicht für uns Alle – das müßt Ihr doch einsehen.“

„Wir werden ja sehen. Andere Arbeiter kriegen sie nicht, und im Frühjahr gehen wir nach Amerika.“

Der Gedanke an die Auswanderung schlug durch; denn die Auswanderung nach Amerika ist der Traum der Nächte jener armen Tagelöhner; er bedeutet ihnen das Zusammentreffen mit vorausgegangenen Verwandten, Selbstständigkeit, eignen Besitz. – alles, was den Blumenstrauß ihrer Wünsche zusammensetzt. Jeder Brief, der von drüben anlangt, belebt den Traum auf’s Neue; jeder Auswanderer von gestern verdoppelt auf eine Weile die Kraft des Magneten. In diesen Gegenden giebt es noch ein Amerikafieber.

Ein Dutzend Leute etwa zog der Radmacher auf seine Seite, zaghafte, friedliebende; die anderen ergaben sich Drewes, dem Statthalter, welcher für den Baron war und selbst in unmittelbarem Dienste des Gutes stand. Stehlen gingen sie fast Alle: Kraut, Rüben, Kartoffeln, Heu, Getreide von den Diemen. Man schleppte den ganzen Tag, und nur die Dürftigkeit der Transportmittel und Gelegenheit zur Unterbringung verhinderten einen Raub in fühlbarerem Maßsstabe. Am Abend trug Drewes eine lange Liste zum Baron, und die auf derselben Verzeichneten machten dem Schänkwirth bis tief in die Nacht zu schaffen.

„Das gibt ’nen schlimmen Anfang für den jungen Herrn,“ sagte der Radmacher zu seiner Frau. „Aber ich will ihm beistehen. Daß auch das Anne-Marieken dem alten Herrn nicht abgerathen hat!“

„Sie wird es schon gethan haben,“ meinte die Frau. „Alles bringt sie auch nicht fertig.“

Am späten Nachmittag verdunkelte sich der Eingang zur Werkstatt des Radmachers plötzlich, und als er aufblickte, sah er Anne-Marie von Lebzow stehen. Er legte das Schnittmesser bei Seite, mit dem er Kienspäne schnitt, um ihr die Hand zu reichen. Ihr frisches Gesicht war ungewöhnlich ernst und bekümmert.

„Radmacher, ich wollte wegen des Onkels mit Euch reden. Ihr seid ein vernünftiger Mann: glaubt Ihr, daß er da etwas Gescheidtes angestellt hat?“

„Das glaube ich eben nicht, gnädiges Fräulein; ich wenigstens lasse mich darauf nicht ein.“

„Aber wie er’s darstellt, könnte man doch weder ihm noch den Leuten etwas anhaben.“

Der Radmacher strich sich über den krausen röthlichen Vollbart. Er war ein stattlicher Mann von ruhiger Haltung, bis auf die lebhaften Augen der Typus des blonden Nordländers.

„Kann sein – auch nicht, sagte Riedel, da lebte er noch,“ war seine lächelnde Antwort. Dann wurde auch er ernst. „Ich glaube, es ist nicht recht, daß die Leute Allerlei auf dem Felde zusammenschleppen, und was den Herrn Baron betrifft, so können sie ihm wohl zur Strafe die Wohnung auf dem Gute nehmen, daß er wegziehen müßte. Er hat auch das Geld nicht, um das durchzuführen.

„Mein Gott, ich glaube, das wäre sein Tod,“ rief Anne-Marie erblassend. „Nur daß er auf dem Gute bleiben darf!“

„In das ist so ’ne Sache. Der junge Herr steht nicht so aus, als ob er sich das gefallen ließe.“

„Der Onkel läßt sich aber nichts sagen, Radmacher,“ meinte sie plötzlich, und in ihrem Gesichte spiegelte sich schwer bekämpfte Verlegenheit, „Ihr müßt mit meinem Vetter Boddin reden. Er muß Geduld haben mit Onkels Launen. Sagt ihm, er soll’s nicht zum Aeußersten treiben, soll mit den Leuten vernünftig verhandeln; er gewinnt wohl einen nach dem andern und erhält sich hier die Arbeiter, die er doch sonst schwer bekommen kann. Der Winter ist vor der Thür; vom Felde ist fast Alles herein; das Ackern besorgen die Knechte; mit dem Dreschen wird er auch notdürftig fertig. Da kann er’s schon mit ansehen. Rührt ihm das Herz, Radmacher! Es handelt sich um einen alten Mann, der sein Verwandter und schwer verbittert ist, und ein Sonderling dazu.“

Sie hatte sich roth vor Erregung gesprochen und der Radmacher ihr mit geheimer Freude. zugehört.

„Sie sollten das dem jungen Herrn selber sagen, gnädiges Fräulein; Sie können das doch viel bester, als ich,“ meinte er mit einem Anflug von Schelmerei.

„Um Gotteswillen, er darf nicht erfahren, daß ich Euch das gesagt habe, Radmacher – hört Ihr wohl? Um keinen Preis! Er thäte das Gegentheil, um mich zu ärgern.“

„Na, da will ich schweigen Aber da muß er ein sonderbares Menschenkind sein. Wollen Sie nicht ein bischen zu meiner Frau gehen? Sie würden ihr eine große Freude machen.“ – –

Gegen Abend kam noch ein anderer Besuch zu Radmachers, der Schulmeister Mederow. Zwar hatte er schon unter den Kindern Nachmittags über eigenthümliche Vorgänge im Dorfe munkeln hören, aber erst von dem Maurer erfahren, um was es sich handelte. Er war verstört und zog das hagere Gesicht mit dem dünnen Backenbärtchen sorgenvoll in die hohen Vatermörder zurück.

„Das ist schlimm für mich, Heer Radmacher! Das Bedürfniß eines Schweinestalles erheischt dringende Befriedigung, aber nun ist wohl für diesen Winter jede Aussicht geschwunden. Ich meine so, Herr Radmacher: des alten Herrn Barons Gnaden werden und können mir nunmehr das Gelaß für die Thiere nicht mehr bauen; der neue Herr aber, den ich für meinen Theil gern willkommen heiße um christlicher Ordnung willen als rechtmäßige Obrigkeit, wird durch die Widerspenstigkeit des Dorfes in solchen Zorn versetzt werden, daß er als Entgelt für die ihm widerfahrene Unbill sich weigern wird, Handreichung zu thun, um wieder herzustellen was in Trümmer gesunken ist.“

Das flackernde Licht des Kienspans lief wie ein feuriger Thränenstrom über die ernsthaften Züge des Schulmeisters, während er dies auseinandersetzte. Der Radmacher tröstete ihn, indem er versicherte, der „junge Herr“ scheine ihm ganz verständig zu sein, wenn er auch etwas „lateinisch“ aussähe; er wolle so wie so mit ihm reden und werde sich dabei auch des Schweinestalles annehmen. Allein das verfing wenig.

„Auch daß wir ihm keinen festlichen Empfang bereiten,“ fuhr jener kopfschüttelnd fort, „wird dem neuen Gutsherrn eine Kränkung sein. Wie gern hätte ich den Kindern ein Liedchen eingeübt und für mich eine kleine Ansprache ausgearbeitet; nicht minder wäre einiger Schmuck zum Streuen und Bekränzen zu beschaffen gewesen. Es hätte sich da vielleicht ein Wort, das die vernichtete Baulichkeit betraf, an guter Stelle einflechten lassen und in dem Augenblicke herzlicher Rührung der Wirkung nicht verfehlt. Nun ist diese Hoffnung geschwunden.“

„Ja, können Sie denn das nicht in der Schule abmachen Herr Mederow?“ fiel hier die Radmacherin ein, welche, an ein Paar Strümpfen strickend, bei den Männern saß. „In die Schule muß er ja doch wohl mal kommen; veranstalten Sie doch da was!“

„Das war ein guter Gedanke zu rechter Zeit, Frau Radmacherin. Wohl dem, der ein verständiges Weib hast Herr Nachbar! Das werde ich wirklich thun.“

Seine Züge hellten sich auf; der Verklärungsglanz einer Offenbarung schien auf ihnen zu liegen, und diese versetzte doch zugleich den würdigen Mann in eine nervöse Unruhe. Es litt ihn nicht mehr in der Stube, und er empfahl sich.



(Fortsetzung folgt.)

[777]

Die Falknerin.
Nach dem Oelgemälde von L. Sorio auf Holz gezeichnet von J. v. Barbieri.

[778]
Vernünftige Gedanken einer Hausmutter.
Von C. Michael.
15. Ueberraschungen und Geschenke.

Wieder einmal nähern wir uns der lieben Weihnachtszeit, dieser Zeit der Geschenke und Ueberraschungen, des fröhlichen Gebens und Nehmens.

Die „vernünftige Hausmutter“ weiß, wie nur irgend Eine, die köstliche Poesie freudig zu schätzen, welche das deutsche Herz dem mit Tannengrün und Flittergold geheimnißvoll in’s Land ziehenden Weihnachtsfeste entgegenbringt; sie wünscht so innig, wie vielleicht keine Zweite, unserem Volke diesen mitten in der Winteröde sprudelnden warmen Born kindlicher Herzensfreude heute und immerdar erhalten zu sehen – aber sie kann ihre Augen auch nicht verschließen gegen einige Verkehrtheiten und Mißbräuche, welche sich bei uns in Deutschland mehr als anderswo an das schöne, liebe Weihnachtsfest knüpfen und nur allzu oft Mißbehagen und Kummer säen, statt Lust und Fröhlichkeit. Und auf diese Schatten, die das sonst so lichterfüllte Fest wirft, möchte sie im Folgenden flüchtig die Blicke richten, um abzuhelfen und zu bessern.

„Was soll ich nur meinem Manne, meinem Sohne, meinem Vater zu Weihnachten schenken?“ tönt es heute allerorten in den verschiedensten Variationen; denn der weibliche Theil der Familie ist schon leichter zu befriedigen – aber die Herren! Ach, die Herrengeschenke, so mühsam und kostspielig und so ganz verkehrt angebracht! Alle diese von zarter Hand verfertigten Schuhe und Pantoffel, Uhrhalter und Jagdtaschen, das ganze Heer von Reisegeräthschaften, Rauch-, Spiel- und Jagdrequisiten, kommen sie wohl immer an die richtige Adresse und kauft man sie nicht meistens viel hübscher, billiger und brauchbarer im nächsten Laden?

Sagt es Alle, die ihr Weihnachtsarbeiten gestickt habt, ob nicht jede dieser Arbeiten von manchem Seufzer, ja oft gar von heimlichen Thränen berichten kann? Freilich wird man mir erwidern: „Der Augenblick des Gebens macht Alles wieder gut; der froh überraschte Blick, der herzliche Dank des glücklichen Empfängers ist reicher Lohn für alle Mühen und Sorgen.“

Wie aber, wenn sogar dieser schwer erkämpfte Lohn euch fehlt, wenn statt froher Ueberraschung in dem geliebten Auge des galanten Bräutigams eine verlegene Frage zu lesen steht, wenn er sein mühsam erzwungenes: „Ach, wie hübsch!“ herauspreßt und dann verwundert fragt, wozu aber eigentlich dieses Ding gebraucht wird, über welches er sich pflichtschuldigst so sehr freuen muß. Vielleicht sah er das schöne Geschenk für eine Schlafmütze an und erfährt zu seinem Erstaunen, daß es ein Trinkbecher ist.

Das sind wohl Augenblicke bitterer Enttäuschung, und welche von uns Frauen hätte solche Momente nicht erlebt? Und ist es mit der richtigen Wahl des Geschenks ein mißliches Ding, so ist es dies mit der Ueberraschung meistens nicht weniger.

Suchen wir uns doch einmal klar zu machen, was eine Ueberraschung eigentlich ist und was sie vorstellen soll. Schon der Name spricht es aus: sie ist ein rascher Einfall des Augenblickes, der unerwartet über uns kommt und jenes freudige Staunen auf das menschliche Antlitz zaubert, das man so gern bei Anderen hervorruft und mit so eigenthümlichem Genusse auf fremden Gesichtern beobachtet.

Wenn aber ein Familienvater schon wochenlang bei der Heimkehr stets verlegene Mienen und eilig versteckte Arbeiten gesehen hat, wenn er wohl gar erst um das Geld für das ihm bestimmte Geschenk gebeten wurde, oder nachträglich die Rechnung dafür bezahlen muß, wie kann da überhaupt noch das Wort „Ueberraschung“ in Anwendung kommen?

Denkt man nicht unwillkürlich an die naive Bitte unserer Kinder:

„Nicht wahr, Mama, Du vergißt es wieder?“

Mit ernsthafter Miene verspricht die Mutter dem gekränkten Liebling, sein zu früh erschautes „Geheimniß“ wieder zu vergessen, und ist der festliche Tag gekommen, für den dasselbe bestimmt war, so läßt sie sich durch das Nadelkissen, den Lampenteller oder die Zeichnung, die sie wieder „vergessen“ hatte, vollständig „überraschen“.

Wollen wir unseren vielgeplagten Gatten, Vätern und Brüdern die gleiche kindische Komödienspielerei zumuthen? Ist es nicht viel angenehmer für alle Theile, wenn nahestehende Familienglieder sich einfach fragen: „Was wünschest Du Dir?“ Es muß nur nicht mit der plump in’s Haus fallenden Manier einer unverhüllt gestellten Frage geschehen. O, es giebt der lustigen Schleichwege und verkappten Fühlhörner genug, mittelst welcher solche Wünsche lieber Menschen zu erforschen sind. Und hat man dann glücklich spionirt und ist ein Gegenstand gewählt worden, der auch wirklich ein vorhandenes Bedürfniß befriedigt – ich sollte meinen, was da trotz aller Vorsicht des klugen Hinhorchens vielleicht an Ueberraschung fehlt, wird reichlich ersetzt durch wirkliche, ungeheuchelte Freude. Und wie viel Verkehrtheiten werden dadurch vermieden!

Wie kann sich zum Beispiel eine Hausfrau wirklich und herzlich freuen, wenn ihr der Gatte einen Parfümkasten oder eine kostbare Briefmappe schenkt, während sie sicher auf ein warmes Winterkleid gehofft hatte? Oft, sehr oft trübte die verkehrte Ueberraschung die Freude des Empfängers, anstatt sie zu erhöhen, was doch ihr Zweck ist.

Ich erinnere mich einer alten Tante, die zu Weihnachten gar nichts anderes als fünf Dutzend Taschentücher von fünf verschiedenen Verwandten bekam. Sie hatte einmal zufällig geäußert, daß sie welche brauche, und dieser Wunsch wurde so bereitwillig aufgefaßt, daß sie für alle kommenden Schnupfen ihrer alten Tage nun versorgt ist. – Ihr zur Seite stellen kann ich eine Braut, die als Hochzeitsgeschenke sieben Uhren bekam! Bei diesem jungen Paar ist wenigstens anzunehmen, daß sie stets wissen werden, was es bei ihnen geschlagen hat. Solche Fälle mahnen denn doch zu zarter Feinhörigkeit und tactvoller Spionage.

Nicht nur bei Geschenken, auch sonst im Leben ist es mit dem „Ueberraschen“ oft eine mißliche Sache. Wie wunderselten – um das häufigste Beispiel zu wählen – gelingt es uns ganz, unsere Lieben durch unsere unerwartete Ankunft freudig zu überraschen. In neun Fällen von zehn wäre die Freude über den Gast viel inniger gewesen, wenn er sich vorher angemeldet hätte. Wie herrlich ist es, sich Tage lang auf solch lieben Besuch zu freuen! Man richtet mit Eifer und Bedacht das Stübchen für ihn ein; man sinnt über ein Vergnügen, das man ihm bieten, über die Gegenstände, die man ihm zeigen, über die Ereignisse und Fragen, die man mit ihm besprechen will. Alle nöthige Arbeit wird vorher erledigt, und man weiß sich frei von Geschäften zu machen für die Zeit seines Aufenthaltes. Nun ist der Tag gekommen. Unter froher Aufregung rückt die Stunde immer näher; kaum kann man es noch erwarten, bis der Wagen angefahren kommt und der liebe, wohlbekannte Schritt auf der Treppe sich hören läßt. Wer jemals alle diese hundert kleinen Schattirungen und Abstufungen des frohen Erwartens durchgekostet hat, der wird sie nicht hergeben wollen für den einen einzigen Augenblick, wo plötzlich die Thür aufgeht und uns beim Anblick des überraschend Ankommenden fast etwas wie lähmender Schrecken befällt, der erst allmählich dem wirklichen Vergnügen Raum giebt.

Schon im Freudenrufe des ersten Willkommens zittert es leise durch unser Denken: „Wie schade, daß ich morgen Gäste habe,“ – „daß mein Mann eben verreist ist,“ – „daß wir gerade heut die große Wäsche anstellten“ – oder wie alle die vielen „daß“ und „wenn“ heißen mögen, die gleich fernen Nebelbildern in solchem Augenblick an uns vorüberziehen.

Noch seltener aber gelingt die Ueberraschung einer absichtlich verfrühten Ankunft. Nehmen wir an: Der Vater des Hauses würde zum Abend erwartet und käme zur „Ueberraschung“ schon Mittags an. Da kann er sicher sein, in seinem Zimmer eben das schönste Scheuerfest und den Mittagstisch karg bestellt zu finden; denn Alles wurde ja für den Abend gespart – und wenn er auch selbst auf das Heiligste betheuert, daß ihn nichts von allen diesen Unannehmlichkeiten stört, seine Frau stören sie doch, und verderben ihr alle die schönen Pläne, die sie mit so viel Liebe ausgedacht und vorbereitet hat. Wohl freut sie sich der Heimkehr des Gatten, der – „Ueberraschung“ aber freut sie sich nicht.

Eine Ueberraschung ist nur dann ganz und gar am Platze, wenn der Einfall selbst uns „überraschend“ gekommen ist. Dann spricht er auch unmittelbar aus dem Herzen und trägt die ganze prickelnde, zündende Gewalt des Frohseins hinüber in das befreundete [779] Gemüth. So ein „guter Gedanke“ des Augenblicks, augenblicklich ausgeführt – das ist eine Ueberraschung, die rasch über uns kommt und beide Theile gleich froh erregt. Wollt ihr auch von solchen echten und urwüchsigen Ueberraschungen ein Beispiel?

Ich äußere am Morgen meines Geburtstages bedauernd, daß unser Sohn heute nicht mit uns sein kann, und wie wir zu Tisch gehen wollen, sitzt der Junge an seinem gewohnten Platze und springt lachend auf, mich zu begrüßen. Der Vater hatte ein Telegramm daran gewendet, um mir die Freude dieses liebsten aller Geschenke zu bereiten.

Solche kleine wirkliche Ueberraschungen können einem dafür empfänglichen Gemüth gar innige Freude bereiten. Darum: Jedem sein Recht und Jedes an seinen Platz, auch die Ueberraschungen!

Und nun noch ein Wort von den Geschenken im Allgemeinen. Wie es nichts Vollkommenes in der Welt giebt, so entsteht auch beim Schenken fast immer ein Zwiespalt, der an den alten Spruch erinnert: „Der Eine hat ’n Beutel, der Andere ’s Geld.“

Der Eine – es giebt Tausende von dieser Sorte! – denkt: Was könnte ich nur wählen an Geschenken? Meine Familienglieder haben und besitzen schon Alles, was sie nur irgend brauchen. Auf das Geld kommt es mir nicht an. Und der Andere – er zählt nach Millionen – denkt: Welches von all den vielen Geschenken soll ich wählen, die ich so gerne geben möchte? Zu welchem von ihnen werden meine geringen Mittel wohl ausreichen?

Ich glaube fast, die letztere Verlegenheit ist die weniger leidige. Denn was dieser „Andere“ auch wählen mag, es wird willkommen sein und Freude bereiten, weil es in das Haus des Armen oder minder Begüterten kommt. Es wird ein Bedürfniß befriedigen, einen lange gehegten Wunsch erfüllen, und dies ist ja doch der Hauptzweck eines Geschenkes. Es wird nicht, wie die kostbare Gabe des übersättigten Reichen, als Plunder zu anderem Plunder gestellt werden.

Mit diesen überflüssigen Gaben des blasirten und raffinirten Luxus wollen wir uns denn auch nicht weiter befassen, sondern lieber überlegen, was wir „Andern“ aus dem besseren Mittelstande unsern Kindern geben wollen. Unsern „Kindern“ sage ich, denn mir schwebt ja vor Allem Weihnachten vor, das wunderliebliche Kinderfest.

Wenn man um die Zeit der Weihnachtsausstellungen durch die Straßen unserer Städte wandert, so möchte Einem diese Frage wohl recht überflüssig erscheinen. Brauchen wir doch nur in den nächsten besten dieser feenhaft ausgestatteten Läden einzutreten, dem dienstfertig herbei eilenden Commis zu sagen, in welchem Alter unsere Kinder stehen, und dann von dem für jedes Alter massenhaft vorgelegten Spielzeug das auszusuchen, was uns gefällt und unsern Mitteln entspricht. In Wahrheit aber ist die Sache nicht so leicht und will mit Verstand geübt sein. In Wahrheit sind die Weihnachtsgaben für unsere Kleinen hochwichtige Erziehungsmittel, und nicht weniger sorgfältig sollten wir Puppen und Bleisoldaten für sie auswählen als Schule und Erzieher.

Gar oft schon mag es vorgekommen sein, daß sich liebende Eltern den Kopf darüber zerbrochen haben, wodurch ihr Töchterchen so eitel und putzsüchtig, ihr Sohn so naschhaft und vergnügungssüchtig geworden ist. Sie haben vielleicht dem Umgange der Kinder oder deren Lehrern die Schuld gegeben; sie haben alle möglichen Maßregeln ergriffen, diesen Fehlern zu steuern; nur an die Grundursache der Verwöhnung an die Geschenke, die sie ihren Kindern geben, haben sie nicht gedacht.

Confect und Süßigkeiten sollten immer für die Kinderstube recht knapp bemessen sein; fast möchte ich jener Mutter Recht geben, die mir einst scherzend sagte: „Ich opfere mich auf und esse alles Zuckerzeug selbst, was meine Kinder von den Verwandten geschenkt bekommen.“

Was die Spielsachen betrifft, so dürfen nur einfach und solid gearbeitete den Kindern geboten werden. Eine von der Mutter selbst angezogene Puppe ist gewiß der theuren Pariser Modepuppe vorzuziehen. Für solch eine einfache Puppe wird das Kind sehr bald lernen, selbst neue Garderobe anzufertigen, und dieses Nähen für die Puppe ist eine gar prächtige Uebung, eine beständige Quelle der Beschäftigung und Unterhaltung. Dazu gehört aber auch, daß die Puppe mehrere Jahre heil und ganz bleibt und das Kind so Zeit gewinnt, sie lieb zu haben. Gar viele unserer schönsten weiblichen Tugenden sind schon an solch einer lieben alten Puppe groß gezogen worden.

Außer der Puppe sollte man nicht viel, aber nur gutes Spielzeug kaufen. Am besten solche Dinge, zu denen man dann alle Jahre etwas hinzufügen kann: Eine Puppenstube, in die jede Weihnachten nur einige wenige, aber gediegene neue Möbel zugekauft werden, für das Mädchen; ein Stereoskop, und alle Jahre ein paar neue Bilder dazu, eine Mineraliensammlung oder den Anfang zu einem Herbarium, das er selbst dann durch Sammeln vergrößern kann, für den Knaben; überhaupt nur solches Spielzeug, mit dem die Kinder sich anregend beschäftigen können. Alles was leicht zerbrechlich oder blos zum Hinstellen und Ansehen da ist, bleibe ausgeschlossen. Obenan wird in dieser Beziehung wohl für alle Zeiten der Baukasten stehen, der mit seinen einfachen Holzklötzchen schon dem zweijährigen Kinde fast ebenso viel Vergnügen bereitet wie dem halb- und ganz erwachsenen Jünglinge. Wer hätte es nicht schon erlebt, daß so ein Bruder oder Onkel unter dem Vorwande, den Kleinen ein Haus zu bauen, sich bei der kunstvollen Zusammenstellung der Klötzchen selbst am besten amüsirte? Dicht an den Baukasten schließt sich der Ball, der Malkasten, späterhin Damen- und Schachbret. Für die kleinen Mädchen giebt es Kochgeschirr, Buchstabenspiel, die unsterbliche Arche Noah mit ihren traditionellen Ungeheuern, die jede Mutter anders tauft; es giebt – im Falle ein Garten zur Verfügung steht – Spaten und Rechen, Cricket- und Kegelspiel; es giebt für die Kleineren alle die wunderhübschen Fröbel’schen Spiele; es giebt endlich für die Kinder beiderlei Geschlechtes eine ganze Literatur hübscher Bilder- und Lesebücher.

Von allen Gegenständen, die zur Selbstbeschäftigung dienen, sind die Bücher meist die beliebtesten und verdienen daher wohl eine besondere Aufmerksamkeit in der Auswahl. Viel Segen oder Fluch können sie unvermerkt in die Herzen unserer kleinen Lieblinge tragen. Wir halten es für einen großen Fortschritt, daß die „unzerreißbaren“ Bilderbücher für unsere Kleinsten von dem ganzen abscheulichen Spuk der alten Struwelpeter-Literatur gesäubert sind. Sie enthalten gegenwärtig meist Gegenstände, die das kindliche Auge ergötzen und den kindlichen Verstand schärfen.

Es folgen dann die A B C- und die vielen kleinen Geschichtsbücher, die man schon einer genaueren Durchsicht unterziehen muß, um dem albernen Geisterspuke oder dem läppischen Unsinn aus dem Wege zu gehen. Wie viel ist in dieser Beziehung noch auszumerzen aus der Kinderliteratur! Das ist ein Thema, das uns hier zu weit führen würde. Eines möge nur noch erwähnt werden: Fabeln kann ein Kind schon frühzeitig in die Hand bekommen; denn die sprechenden Thiere sind pädagogisch nicht zu verwerfen, und kein Kind wird diese Geschichten für Wirklichkeit nehmen. Märchen hingegen würde ich den Kleinen nicht vor dem zehnten Jahre in die Hand geben, und auch dann noch mit großer Vorsicht. Märchen verweben die Wirklichkeit so eng und so unmerklich mit der Dichtung, daß ein Kind schon gereifteren Verstand besitzen muß, um die Grenze zwischen denselben zu erkennen und die Schönheit eines Märchens zu begreifen. Aeltere Kinder mögen die wunderlieblichen Märchen von Andersen, Hauff und Anderen immerhin lesen, aber nicht als ausschließliche Lectüre, sondern gleichsam als Confect, als Nachtisch der kräftigeren Kost.

Für solche kräftige, Gemüth und Verstand speisende Kost sorgt in unsern Tagen eine solche Fülle guter Jugendschriften, daß es schwer wäre, einzelne Titel heraus zu greifen. Das prüfende Elternauge wird leicht das Passende finden. Auch hier aber gilt dieselbe Regel wie bei den Spielsachen: Lieber nur ein Buch, aber ein gutes!

Mögen die Eltern sich nicht blenden lassen durch die jetzt so häufig ausgebotenen Massen-Zusammenstellungen, durch den Schwindel von Annoncen, wie: „Zwölf schöne Kinderbücher für drei Mark“ oder: „Vierundzwanzig prachtvolle Bücher für fünf Mark“! Es werden unter diesen Sammlungen sicher nicht mehr als eines oder zwei wirklich gute, brauchbare Bücher sein, und wir thun unsern Kindern eine große Liebe, wenn wir die elf respective zweiundzwanzig andern in den Ofen stecken. – Mit diesem Rath wollen wir unsere Gedanken über Geschenke und Ueberraschungen schließen und nur noch allen Gebern und Empfängern, Groß und Klein, recht fröhliche Weihnachten wünschen.



[780]
Der Nestor der deutschen Rosengärtnerei.
Ein Lebensbild.

Am frühen Morgen des 25. October vergangenen Jahres wurde in dem allbekannten Orte Köstritz in Thüringen unter einem außerordentlich zahlreichen Trauergeleite ein Mann zu Grabe getragen, der in mehr als einer Hinsicht als eine seltene Erscheinung zu bezeichnen ist. Es war der Nestor der deutschen Rosengärtnerei, Dr. Johann Ernst Herger, derselbe, nach welchem die Franzosen neue Rosen getauft und dem mehrfach deutsche Gartenschriftsteller in dankbarer Anerkennung ihre Werke gewidmet haben. Der Wirkungskreis und die ganze Persönlichkeit dieses Mannes waren so bedeutend, dazu sein Entwickelungsgang so eigentümlich und interessant, daß ein kurzes Lebensbild desselben hier wohl am Platze ist.

Johann Ernst Herger wurde am 19. April 1812 zu Köstritz, der freundlichen Residenz des Fürsten Reuß-Köstritz, geboren. Sein Vater, Johann Gottlieb Herger, ein ehrenfester Mann, besaß daselbst ein Haus nebst Garten und einigen Feldgrundstücken und betrieb einen kleinen Materialwaarenhandel. Ernst war das dritte von fünf Geschwistern und wurde wie diese in die Dorfschule geschickt, wo er sehr bald durch seinen lebhaften Geist und seine vorzügliche Begabung die besondere Aufmerksamkeit seiner Lehrer auf sich zog, welche meinten, das Gescheidteste sei, den aufgeweckten Jungen „studiren zu lassen“. Seine Eltern waren indeß mit diesem Rathe wenig einverstanden; denn zu solchem Unternehmen fehlten ihnen die Mittel. Aber auch der Junge selber hatte durchaus keine Neigung zu derartigem Studium; zog er es doch vor, die Unterrichtsstunden im Lateinischen, die ihm, wie noch einigen anderen Knaben, der damalige Pfarrer des Ortes, der Pastor Schottin, unentgeltlich ertheilte, zum großen Leidwesen des liebenswürdigen Herrn zu schwänzen und dafür im Freien umherzustreifen. Der eigensinnige Knabe hatte sich’s nun einmal in den Kopf gesetzt, er müsse ein Gärtner werden. Und so geschah es auch. Nach dem Verlassen der Dorfschule, in seinem vierzehnten Jahren wurde er zu dem damaligen Hofgärtner Mulisch in Köstritz in die Lehre gethan, und dort erlernte er die Gärtnerei drei Jahre lang.

Alsdann kam er auf Empfehlung seines Lehrmeisters Mulisch als Gehülfe in den Garten des königlichen, sogenannten japanischen Palais in Dresden. Hier ging plötzlich eine neue Welt für ihn auf: die große Stadt mit all ihrem Leben und ihren mannigfachen Reizen. Im Besonderen waren es die reichen Kunstschätze Dresdens, die auf Herger den nachhaltigsten Eindruck übten.

Aber nicht eben lange war er in Dresden, wo er mit jugendlichen Architekten und Malern in nahe Beziehungen trat, als ihn ein heftiges Unwohlsein, das sich schon während seiner Lehrzeit fühlbar gemacht hatte, aus seiner Laufbahn riß. Durch den Aufenthalt in der feuchten Luft des in unmittelbarer Nähe der Elbe gelegenen Palaisgartens hatte sich Herger das kalte Fieber zugezogen, und nachdem er endlich dank der sorgsamen Pflege, die er im königlichen Krankenhause genossen, von dieser schweren Krankheit genesen war, mußte er seine Stellung und die schöne Stadt auf den Rath der Aerzte verlassen, um sich in der reineren Luft seiner Thüringer Heimath allmählich völlig zu erholen.

Hier, im lieblichen Köstritz, lebte und wirkte damals als Arzt der in weitem Umkreise berühmte fürstliche Hofrath Dr. Schottin, der Bruder des bereits erwähnten Pfarrers, ein seltener Herr, der sich neben viel feiner weltmännischer Art ein weiches, menschenfreundliches Gemüth und trotz der ländlichen Einsamkeit, in der er wohnte, und unter allen Mühen seines praktisch-ärztlichen Berufes ein warmes Interesse auch für die theoretische Seite seiner Wissenschaft, also die Physiologie, nicht minder aber auch für reine Physik bewahrt hatte.

An diesen geist- und liebevollen Mann, der im ganzen Fürstenthum Reuß als ein Magus von naturwissenschaftlicher Weisheit galt, wandte sich auch unser Reconvalescent alsbald nach seiner Rückkehr aus Dresden mit vollem Vertrauen, und wahrhaftig, was er von diesem empfing, war mehr als ärztlicher Rath. Die Lebhaftigkeit von Herger’s Geist, sein scharfer Verstand, verbunden mit einer außerordentlich lebendigen Phantasie, und sein Sinn für wissenschaftliche Fragen jeglicher Art erregten und fesselten sehr rasch des Alten tieferes Interesse, und so führten die anfänglich blos ärztlichen Besuche sehr bald zu einem regen geistigen Verkehre, welcher dadurch, daß sich der Aeltere nicht scheute, über Wissenschaft und Leben sich offen mitzutheilen, den Jüngeren zugleich erhob und zu selbstständigem Nachdenken anfeuerte. Es war ein seltsamer Freundschaftsbund, der so entstand, ein Bund, dem nicht nur der geistige Boden, auf dem er erwuchs, sondern namentlich auch die uneigennützige, werkthätige Fürsorge, die der Aeltere dem Jüngeren fortdauernd bewies, einen wahrhaft idealen Charakter verlieh.

Freilich der gärtnerischen Ausbildung Herger’s war dieser Verkehr nicht sonderlich förderlich; vielmehr lenkte ihn derselbe für eine Reihe von Jahren in ganz fremde Bahnen und führte ihn zuletzt sogar an einen Punkt, von wo nur ein richtiger Instinct und kräftiger Entschluß ihn zur endlichen Rückkehr leiteten.

Der Verkehr mit Schottin war ein wesentlich wissenschaftlicher, und zwar blieb es nicht bei wissenschaftlicher Unterhaltung im Gespräche; bald fingen sie auch gemeinschaftlich zu arbeiten, experimentell zu forschen an, und hierzu bot ein eiserner Mörser die nächste Veranlassung, der durch einen Blitzschlag, der ihn getroffen, zum bleibenden Magneten geworden und an Schottin aus einem oberreußischen Städtchen zur näheren Untersuchung gesandt worden war. Es wäre überflüssig, hier aus einander zu setzen, ob und was bei der Untersuchung jenes Mörsers gefunden ward; genug, daß sich Herger von jener Zeit ab mit wahrhaft erstaunlicher Ausdauer der Erforschung der sogenannten magnetischen Curven hingab, einer Arbeit, die er als neunzehnjähriger Jüngling begann und die er endlich nach fünfzehn Jahren als prächtig vollendetes Werk der Welt vorlegte.

Es war, wie er später oft versicherte, die glücklichste Zeit seines Lebens, damals, als er vom frühesten Morgen bis zum späten Abend einsam in einem Oberstübchen des kleinen väterlichen Hauses, und zwar meist hinter verschlossener Thür, mit Magnetnadel und Reißzeug hantirte; dort zählte er Schwingungen und maß Winkel, bis sich dann allmählich die Resultate seiner mühsamen Zählungen und Messungen in Gestalt von schönen und zu regelmäßigen Systemen vereinigten Curven anschaulich vor dem Auge entfalteten.

Bot so schon das bloße Forschen und Experimentiren Hergern den höchsten, weil reinsten, Genuß, so wurden ihm diese physikalischen Untersuchungen auch noch zu einer Quelle ganz neuer Freuden. Durch sie wurde er mit den berühmtesten Naturforschern, besonders Physikern und Mathematikern damaliger Zeit bekannt, und noch zeugen die Briefe, die er von Fries in Jena, von Wilhelm Weber, von dem Weltreisenden Adolf Erman und von Humboldt erhielt, ja selbst ein. Schreiben von dem größten Mathematiker Gauß, ebenso sehr von dem aufmunternden Wohlwollen, das diese großen Männer dem jungen Forscher entgegenbrachten, wie von der hohen Anerkennung, die sie seinem Fleiße, seiner Experimentirkunst und seinen Erfolgen zollten. Den Glanzpunkt aber in seiner damaligen Lebensperiode und einen steten Glanzpunkt in seiner späteren Erinnerung bildete der auf Schottin’s dringendes Anrathen unternommene Besuch der Naturforscherversammlung zu Jena im Jahre 1836, wo er, vom alten Fries freundlich empfangen, in einer Sitzung der physikalischen Section, der unter Anderem Humboldt und Wilhelm Weber beiwohnten, die erste Reihe seiner prächtigen Tafeln vorlegte und dann durch allseitigen Ausdruck freudiger Bewunderung belohnt ward.

Schottin’s steter Wunsch und geheime Hoffnung gingen dahin, sein junger Freund möge der Gärtnerei ein für alle Male entsagen und ganz die wissenschaftliche Laufbahn ergreifen. Auch Adolf Erman, den Herger ein Jahr nach der Jenaer Naturforscherversammlung in Berlin persönlich kennen lernte, wünschte sehr, ihn ganz für die physikalischen Wissenschaften zu gewinnen; unter Anderem machte er Hergern den verlockenden Vorschlag, er selbst wolle ihn in kürzester Zeit so weit mit den nöthigen Beobachtungsmethoden vertraut machen, daß er an der damals eben bevorstehenden französischen Erdumsegelung unter Dumont d’Urville als physikalischer Beobachter Theil nehmen könne. Dieser Versuchung hat Herger indeß widerstanden. Bedenken sehr ernster Art, vor Allem solche, die ihm durch das Fehlen der nöthigen materiellen Mittel, sowie durch den gänzlichen Mangel einer geeigneten Vorbildung nahe gelegt wurden, gewiß aber auch sein unbändiger Trieb nach [781] persönlicher Unabhängigkeit, bewahrten ihn glücklich vor dem gefährlichen Versuche, den sicheren Boden des einmal erlernten Gewerbes für immer zu verlassen. Zwar mit der Gärtnerei hatte er sich seit seiner Rückkehr aus Dresden nie mehr beschäftigt. Alsbald nach seiner Ankunft in Köstritz hatte er vielmehr unter der Leitung eines verwandten und befreundeten Malers das Landschaftszeichnen und Malen erlernt; mit Porcellanmalen erwarb er sich den Lebensunterhalt, während sein eigentliches Sinnen und Trachten physikalischen Studien gewidmet war.

Allein fünf Jahre nach Schottin’s Tode, im Jahre 1843, als er selbst eben einunddreißig zählte und noch ehe der Druck seines großen Tafelwerkes über die magnetischen Curven beendet war, keimte in ihm der Plan, ein Handelsgärtner zu werden, wobei er allerdings mit der bestimmten Aussicht rechnen konnte, für den ersten Anfang ein

Dr. Johann Ernst Herger.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Fleckchen des kleinen väterlichen Gartengrundstückes ohne Zinszahlung benutzen zu dürfen. Nun fiel denn auch den braven Eltern ein schwerer Stein vom Herzen. Lange genug hatten sie mit bangem Kopfschütteln den sonderbaren Bestrebungen ihres Sohnes zugeschaut, und nur die Autorität und innige Theilnahme des verehrten Hofrath Schottin hatte in früherer Zeit den öfteren Ausbruch sehr ernster Scenen verhütet.

Ernst Herger dachte zunächst an die gleichzeitige Pflege von Rosen und Nelken. Aber rasch, sobald der Entschluß erst einmal gefaßt war, ging er auch an’s Werk: für einen Thaler erwarb er sich in Dresden einige Moosrosenreiser und begründete mit solchem Anlagekapital sein später so weit ausgedehntes Rosengeschäft. Gleichzeitig pflanzte er ein kleines Beet mit Nelken an. – Doch wie sich nun bekannt machen, wie seine Zöglinge vertreiben, an wen sie verkaufen? Zu diesem Zwecke sandte er im nächstfolgenden Jahre Boten mit Mustern aus; die mußten in den Dörfern und Städtchen der Umgegend zuerst Aufträge auf Nelkensenker sammeln, und siehe: es gingen deren zum ersten Mal auf sechsundzwanzig Dutzend ein. Und ein Jahr später schickte er, einen Mann mit einem Rosenbäumchen aus, um nun auch Aufträge auf solche heimzubringen, und wieder war der Erfolg ein günstiger: es kamen Aufträge auf vierundzwanzig Stück zu je einem Thaler. Dies war der Anfang des später so großartigen Handelsgeschäfts.

Es war eine eigenthümliche energische Thätigkeit, die Herger in jenen Tagen zu entwickeln wußte. In Leipzig wurden eben die prachtvollen Tafeln zu seinen magnetischen Untersuchungen gestochen, und diese schwierige Aufgabe verlangte sehr häufig seine Gegenwart in der entfernten Stadt. Da machte er sich meist des Nachts auf den Weg und legte die vierzehnstündige Strecke von Köstritz bis dorthin zu Fuße zurück, und kaum war dann in Leipzig sein Geschäft beendet, so wendete er unverzüglich seine Schritte wieder der Heimath zu, wo nothwendige Gartenarbeit seiner harrte.

Seine Thätigkeit kannte kaum noch Grenzen. Zur Cultur hochstämmiger Rosenbäume brauchte er langaufgeschossene Rosenwildlinge. Zu ungeduldig, um lange zu warten, bis die von ihm ausgesandten Leute – meist Tagediebe, die gern vagirten – ihm solche brächten, machte er sich lieber sogleich selber an die Arbeit, und nun sah man den Mann, der noch vor Kurzem die Schwingungen der Magnetnadel gezählt, den Zeichenstift und Malerpinsel geführt hatte, mit einer schweren Hacke auf dem Rücken, die Wälder der Umgegend durchstreifen und auf die dornigen Ruthen fahnden, von deren Werth damals noch Niemand etwas ahnte. So viel ist gewiß: hatte Herger irgendwo vom Standorte eines prächtigen Rosenwildlings erfahren, und wäre dies der gepflegte Gartenzaun irgend eines grimmigen Hofbauern gewesen: der Wildling mußte heraus und sein eigen werden.[1]

Von nun an – das heißt von der Mitte der Vierziger Jahre an – gedieh die Herger’sche Rosenzucht und der Herger’sche Rosenverkauf zusehends. Schon nach zwei Jahren war das Fleckchen elterlichen Gartens, mit dessen Anbau er ursprünglich begonnen, für die erweiterten Bedürfnisse zu enge; es mußte mehr Raum geschaffen, neues Land erworben werden. Zuerst wurde nun von einem Nachbar ein schmales Streifchen für 140 Thaler erhandelt; von da ab aber, innerhalb fünfzehn Jahren, wuchs der Garten durch immer neuen Landankauf zu der beträchtlichen Größe von zwölf Morgen Grundfläche an, die er im Wesentlichen heute, wo er längst in andere Hände übergegangen, noch immer besitzt. Die Zahl der hochstämmigen Rosenbäume, die, veredelt und in sauberen und wohlgeordneten Schulen an einander gereiht, auf diesem Grundstücke standen, betrug längere Jahre hindurch mehr denn 70,000, und daneben wieder waren mehrere andere Morgen Landes mit wurzelechten Strauchexemplaren bepflanzt, sodaß dort zur Zeit der Blüthe ein wahrhaftes Meer von Rosen zu schauen war.

Wenn man fragt, durch welche Mittel denn die Rosenzucht Herger’s zu so rascher und glänzender Blüthe gelangte oder wie es kam, daß sich seine Rosen schon binnen weniger Jahre einen wahren Weltruf erwarben, so läßt sich dieser Erfolg, abgesehen von der damaligen Zeit, die vielleicht dem ganzen Unternehmen von vornherein günstig war, im Wesentlichen auf die tüchtige Art und die besondere Begabung des Mannes selbst zurückführen. Zunächst war Herger nicht etwa nur bestrebt, von allen namentlich in Frankreich und Belgien gezüchteten Rosen stets nur die neuesten in Deutschland einzubürgern; mit sicherem Blicke erkannte und wählte er hierzu vielmehr die tüchtigsten, besonders für deutsches Klima geeigneten. Er verschwendete nicht lange Zeit, Mühe und Geld vergebens an Sorten, die nun einmal in seinem Garten nicht gedeihen wollten; er vermehrte dauernd nur solche, die seine sorgfältigste Prüfung bestanden, und ließ, wie ein Vergleich seiner verschiedenen Kataloge erkennen läßt, mit Entschiedenheit fallen, was sich nicht als genügend kräftig bewährt hatte. Alsdann aber waren es auch hier wieder Herger’s erfinderischer Geist und sein bedeutendes Geschick im Experimentiren, wodurch das ganze Unternehmen von Anfang an sehr mächtig [782] gefördert ward. So ist z. B. allen Sachverständigen bekannt, welche sinnreiche Vorrichtungen er erdachte, um junge, auf Wildlinge oculirte Augen vor den schädlichen Einflüssen ebenso des grellen Sonnenlichtes wie der rauheren Winde zu bewahren, und allgemein wenden jetzt die Köstritzer Gärtner ein von ihm ersonnenes Verfahren an, um veredelte Kronenbäumchen zur Zucht wurzelechter Buschrosen zu verwerthen.

Aber bei seinem energischen Triebe nach immer erneuter Thätigkeit genügte Hergern die Zucht der Rosen zuletzt nicht mehr allein. Als begeisterter Freund der Landschaftsgärtnerei begann er im Jahre 1870 noch außerdem die Pflege von Ziergehölzen und besonders von buntblätterigen Eichen; binnen wenigen Jahren durfte er sich sagen, den Cultus auch dieser Gartenzierden in Deutschland, wenn nicht geschaffen, so doch am raschesten gefördert zu haben; denn schon im Jahre 1875, wo sein Verzeichniß dieser Zöglinge erschien, wanderten mit den Rosen auch bereits Tausende Herger’scher Eichen in alle Lande.

Endlich, im Jahre 1877, verkaufte er im Gefühle geschwächter Gesundheit den größten Theil des Gartens und des Geschäfts[2] aber durchaus nicht, um von nun ab träge und bequem der Ruhe des Alters zu genießen. Zwar pflegte er gern, wenn er jetzt langsamer dahinschreiten mußte, in seiner gemüthvollen Weise die Worte aus „Faust“ zu sprechen:

„Nun aber geht es weise, geht bedächtig –“

aber noch immer fühlte er „Kraft zu kühnem Fleiß“ und Drang zu neuem Schaffen. Er folgte diesem Drange, indem er auf einem Grundstücke, das er erst 1877 neu erworben und das halbinselartig auf zwei Seiten strömende Flüsse umgaben, eine kleine parkartige Anlage schuf, deren steter Erweiterung und Verschönerung nunmehr der Rest seines Lebens gewidmet war. Hier stand er an der Spitze einer kleinen Schaar rüstiger Erdarbeiter und kämpfte zunächst gegen die reißenden Fluthen. In der That, wie der gealterte Faust in noch einmal aufflammender Thatenlust seine letzte Lebensaufgabe darin sucht,

„Das herrische Meer vom Ufer auszuschließen,
Der feuchten Breite Grenzen zu verengen
Und, weit hinein, sie in sich selbst zu drängen“,

in gleichem Sinne, nur in kleinerem Kreise, schaffte Herger in seinem Alter. „Wie das Geklirr der Spaten mich ergötzt!“ rief er oftmals wie jener, und stolz und zufrieden sah er noch kurz vor seinem Tode auf den bezwungenen Elsterfluß.

Noch zweierlei Freuden seltener Art waren ihm in rüstigem Alter zu genießen vergönnt. Die erste wurde ihm durch eine späte wissenschaftliche Auszeichnung bereitet, welche ihm für seine Forschungen über magnetische Curven im Jahre 1877 zu Theil ward; es war die Belohnung mit dem Doctorgrade honoris causa von Seiten der naturwissenschaftlichen Facultät in Tübingen, bei Gelegenheit der Feier des vierhundertjährigen Jubiläums der Universität. Den zweiten, einen von ihm längst ersehnten Genuß empfand er aber noch wenige Wochen vor seinem Tode, und zwar, im Anschauen jener ewig klassischen Stätten und herrlichen Himmelsstriche Roms und des glücklichen Campaniens.

Nach längerem, wenn auch nur leichtem Unwohlsein lebte er noch einmal dort auf. Energisch wies er noch jede Unterstützung zurück, als es nach vollbrachtem Aufstieg mit der Drahtseilbahn die letzte Spitze des Vesuv in tiefer vulkanischer Asche mit eigenen Füßen zu erklimmen galt, und wenn gleich auf’s Aeußerste erschöpft, war er doch überglücklich, als er dann oben die große Erscheinung, unmittelbar vor sich sah. Vom Krater des Vesuv, wie von den Meerklippen des Sireneneilands Capri, wo er vier heitere Tage verlebte, brachte er eine Anzahl von ihm selbst gezeichneter Skizzen zurück, in der Absicht, dieselben während der nordischen Wintertage in vergnügter Erinnerung an den sonnigen Süden sorgfältig auszuführen, allein diesen Wunsch zu erfüllen war ihm nicht mehr gestattet.

Schon während der Heimreise, in Rom, erkrankte er, raffte sich indeß noch einmal empor und erreichte, scheinbar gesund, gegen Mitte October die thüringische Heimath. Hier aber befiel ihn nach wenigen Tagen eine schwere Krankheit, welcher er dann sehr bald erlag. Er starb am 21. October, nach vergeblichem Kampfe, am erneuten Anfalle eines chronischen Brustleidens, das er sich schon längst als Folge gärtnerischen Schaffens in Wind und Wetter zugezogen, im Alter von achtundsechszig Jahren.

Es hat etwas Tragisches, dieses rasche Ende eines mit energischer Thätigkeit erfüllten Lebens gerade zum Beschlusse einer Reise, auf welcher ein lebenslang sehnsüchtig gehegter Wunsch – der, jene schönsten Gegenden der Welt mit eigenen Augen zu schauen – noch endlich in Erfüllung gegangen, aber zugleich liegt doch auch in der Art, wie hier der Tod den Zeitpunkt seiner Heimsuchung gewählt hat, etwas Tröstliches: Herger starb, nachdem er sein Tagewerk im Großen und Ganzen vollendet, und nicht nur dies – er starb erst, nachdem er vorher noch den höchsten Genuß, der ihm beschieden war, voll empfunden; vom gebrechlichen Alter mit all seinen Leiden und bitteren Täuschungen ist er verschont geblieben.

Herger war eine energische, aber zugleich eine ideale Natur. Er besaß neben rastlosem Schaffenstrieb, neben hohem persönlichem Muth und einem stolzen Unabhängigkeitsgefühl ein weiches, poetisch gestimmtes Gemüth. Das haben nicht nur seine Angehörigen und nächsten Freunde, auch Fernerstehende haben es oft wohlthuend erfahren. Trockene geschäftliche Correspondenz füllte sein vielseitiges Interesse nicht aus; in seinen Briefen verbreitete er sich gern noch über andere als nur gärtnerische Fragen, und so erwuchs allmählich aus manchem anfangs blos geschäftlichen Verkehre mit Männern, die er nie gesehen, ein dauernder, inniger Freundschaftsbund. In der Sammlung interessanter und ihm theurer Briefe, die er wohlgeordnet hinterlassen, finden sich solche von ausgezeichneten Geschäftsfreunden, von Fürsten, Gelehrten und Dichtern, von hohen geistlichen Würdenträgern und Mönchen, vor allen aber fesseln darin neben den bedeutsamen Schreiben von Gauß und Weber zwei rührend freundschaftliche Briefchen, die er von Friedrich Rückert empfangen.

In der persönlichen Unterhaltung war Herger äußerst lebhaft; er sprudelte von harmlosem, gutmüthigem Humor und liebte es, wissenschaftliche Fragen aufzuwerfen; bei solcher Gelegenheit entwickelte er meist eine Fülle von Phantasien und eigenen Ideen.

Erst in seinem siebenundvierzigsten Jahre hat er sich verheiratet, aber seine Ehe war kinderlos. In der bewegten Mitte unseres Jahrhunderts hatte er auch am politischen Leben thätigeren Antheil genommen, und jederzeit war und blieb er ein warmer Verfechter freiheitlicher Institutionen.

Und nun zum Schlusse nochmals ein Wort über Herger’s Verhältnis zur Wissenschaft.

Man hat es oftmals bedauert, daß er sich nicht völlig der Wissenschaft und namentlich der Physik gewidmet, und kein Geringerer als Wilhelm Weber in Göttingen schrieb an Herger: „Bei dem von Ihnen bewiesenen großen experimentellen Talente wünschte ich von Herzen, daß Sie recht bald eine Stellung erhielten, die Sie nicht allein für Ihre großen Anstrengungen und Aufopferungen belohnte, sondern Ihnen auch die Freiheit verschaffte, Ihr Talent zum Besten der Wissenschaft ferner zu nützen. Es würde Ihnen gewiß nicht fehlen, einen neuen Gegenstand zu finden, der Sie befriedigte, wenn auch in einem anderen Gebiete der Physik, wo noch weniger vorgearbeitet und dadurch noch mehr die Möglichkeit gegeben wäre, durch genaue Erforschung der Thatsachen neue Bahnen zu brechen.“

Indeß, wer den Verstorbenen genauer gekannt, beklagt es nicht, daß derselbe dem praktischen Leben erhalten geblieben. Herger war eine durchaus künstlerisch und zugleich zum Schaffen im Großen angelegte Natur und nicht dazu veranlagt, als trockener wissenschaftlicher Arbeiter still dahin zu leben; er war erfinderisch und besaß viel schöpferische Einbildungskraft, aber er war nichts weniger als ein mathematischer Kopf. Herger genügte nicht – wessen sich ja, wie man sagt, gewisse Mathematiker so gerne rühmen – die bloße Gleichung des Kreises oder der Ellipse; er wollte den Anblick der schönen geometrischen Figur. Er war ein Mann der Anschauung, und weil dies der Fall und nur weil dies der Fall, fesselten ihn so lange jene Forschungen über magnetische Curven. Herger hatte nicht allein Freude am Gesetz, sondern auch an dessen schöner Form; im Gesetz, verlangte er, sollte sich immer zugleich etwas Schönes offenbaren; etwas Anderes, äußerte er oft, „genügte ihm nicht“.

Diese künstlerische Auffassung der Dinge machte sich auch in seinem gärtnerischen Schaffen entschieden bemerkbar. Wer von einer der zahlreichen angebrachten Lauben aus Herger’s Garten übersah, den berührte es wohlthuend, wie bald die leuchtenden Kirchthürme entfernter Dörfer, bald stattliche Baumexemplare auf den Wiesen im Thale als Visirpunkte gedient und die Anlage bestimmt hatten. Das Zufällige und Planlose war Herger’s Natur so zuwider wie das Ungraziöse und Unschöne, aber [783] ebenso haßte er auch das Unfertige, das Unvollendete. Er war darin nicht strenger gegen seine Arbeiter, wie gegen sich selbst. Es dauerte lange, bis er sich und den Anforderungen, die er an eigene Schöpfungen stellte, völlig Genüge gethan. Dafür liefert die Entstehung seines großen Tafelwerkes das beredteste Zeugniß; denn nachdem man ihn schon zur Publication desselben aufgefordert, arbeitete und feilte er noch acht Jahre daran, ehe er es der Welt vollendet vorzulegen wagte.

Wohl durfte man mit Wilhelm Weber zuversichtlich erwarten, daß ein so geschickter und findiger Experimentator, wie Herger, wenn ganz der Wissenschaft ergeben, noch vielerlei in der Physik erforschen, manch neuen Erscheinungen auf die Spur kommen werde, allein, ob Herger’s ausgesprochener Trieb, das Neugefundene nun auch allemal künstlerisch darzustellen, bei der wesentlich mathematischen Richtung der heutigen Physiker die verdiente Würdigung gefunden hätte, ist mehr denn zweifelhaft.

Mit Recht hat sich Herger dem freien Berufe eines Gärtners zugewandt, und anstatt dies zu beklagen, sollte man sich darüber vielmehr freuen; denn daß er hier, im freien Reiche des lebendig Schönen, für neuschaffende Thätigkeit, wie für künstlerisches Walten einen geeigneten Schauplatz gefunden, das hat ja die Folge bewiesen.

G. Hüfner.     




Zur Geschichte der öffentlichen Leihhäuser.

Millionen Kranker finden alljährlich in den öffentlichen Krankenhäusern Heil und Pflege; Millionen fleißiger Arbeiter legen von Woche zu Woche ihre Ersparnisse in den öffentlichen Sparkassen nieder; Millionen Kaufleute benutzen tagtäglich die zahlreichen Wechselbanken, aber diese Millionen Menschen gehen in diesen für die Cultur so wichtigen und unentbehrlichen Anstalten aus und ein, ohne zu wissen, wie dieselben entstanden, und ohne zu ahnen, welcher Kämpfe und Umwälzungen es bedurfte, bis alle diese Werke der Vorsorge und Humanität zur allgemeinen Anerkennung gelangten. Jahr aus Jahr ein drängen sich auch in den düsteren Räumen der öffentlichen Leihhäuser schaarenweise die „Enterbten der Gesellschaft“, all die Armen und Elenden, welche das harte Unglück schwer geprüft hat, oder die ihr eigener Leichtsinn unter die Proletarier sinken ließ, aber in den breiten Volksmassen weiß kaum einer, wie und wann das Leihhaus, diese große Creditbank der Unbemittelten, begründet wurde, und so dürfte ein Blick auf die Geschichte des Leihhauses hier von einigem Interesse sein.

Das für den Handel und Wandel so überaus wichtige Creditwesen hat selbst in unserer fortgeschrittenen Zeit keineswegs eine endgültige Regelung gefunden. Noch vor Kurzem bildeten reine Creditfragen den Gegenstand eifriger Agitation in den weitesten Volksschichten und das Ziel heftiger Kämpfe im deutschen Reichstage. Die Beschaffung eines gesunden Credits für die große Masse der kleinen Gewerbetreibenden wird noch heutzutage von dem auf Selbsthülfe beruhenden Genossenschaftswesen angestrebt, welches mit gegnerischen Principien manchen harten Strauß auszufechten hat. Creditfragen bewegten auch tief das volkswirthschaftliche Leben früherer Jahrhunderte, und mitten unter den heftigsten Zuckungen socialer Gestaltungen des Mittelalters wurde die Idee des Leihhauses geboren.

Abgesehen von geringen Ausnahmen, war in der alten Welt das Creditgeschäft unzertrennbar mit dem Pfandleihgeschäfte verbunden, das heißt, wer damals Geld borgen wollte, der konnte eine Anleihe nur gegen die Stellung eines Unterpfandes erlangen, und diese Ordnung der Dinge ging auch auf die sich neugestaltende christliche Welt über. So verpfändeten im Mittelalter weltliche und kirchliche Fürsten ihre Kronen und Insignien, die Städte ihre Ländereien und Stifte, die Ritter ihre Rosse und Rüstung, die städtischen Patricier ihre Kostbarkeiten und die Handwerker ihre geringfügigen Werthsachen. In dieses Geschäftsleben brachte nun die christliche Kirche eine zwar ideale und menschenfreundliche, aber durchaus unberechtigte und daher auf die Dauer unhaltbare Neuerung hinein: sie verbot den Christen das Zinsennehmen, da es dem Geiste der christlichen Lehre widerspräche, und gestattete es nur den Juden, um deren Seelenheil sie sich nicht kümmerte.

Dieser widersinnigen Gesetzgebung hatte man denn auch zu verdanken, daß das Pfandleihgeschäft bald fast ausschließlich in die Hände der Juden überging und ein Privilegium derselben wurde. Was in Folge dessen geschah, ist allgemein bekannt: die Juden wurden reich, und die fanatisirte Volksmenge suchte durch die berüchtigten Judenverfolgungen sich ihrer Schulden kurzer Hand zu entledigen. Später ersann man noch ein königliches Privilegium der Schuldencassation, welches in der Regel die Städte dem Könige abkauften. Auf Grund eines solchen Privilegiums mußten die Juden die sämmtlichen in ihrem Besitz befindlichen Pfänder und Schuldscheine der städtischen Behörde abliefern, und auf der Magistratur durften dann die Schuldner ihre Pfänder gegen die Hälfte oder ein Viertel der den Juden zugesagten Schuld einlösen, welche Summe die Stadtbehörde für sich behielt, während die Juden bei diesem Handel leer ausgingen.

Aber alle diese radicalen Maßregeln halfen wenig zur Besserung der socialen Zustände. Kaum hatte man die Juden aus der Stadt gejagt, so machte sich bald die Nothwendigkeit des Credits für den Gewerbetreibenden fühlbar, und die „Geldleute“ wurden wieder in die Stadt geladen. Der Wucher wurde alsdann selbstverständlich von Neuem und um so ärger getrieben.

Unter solchen Kämpfen und gewaltsamen Erschütterungen der Rechtszustände reifte allmählich die Erkenntniß, daß man das Creditbedürfniß auf andere, billigere Weise befriedigen müsse und daß das aus idealen Gründen erlassene Verbot des Zinsennehmens in das praktische Leben nicht gut hineinpasse. Laut und offen durfte zwar diese Meinung nicht hervortreten: denn das Verbot war dogmatischer Natur, und – der Scheiterhaufen drohte. Mit der Zeit wurde jedoch die Kirche mit diesem widersinnigen Dogma selbst fertig; denn um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts kam ein angesehener italienischer Franziskanermönch und Arzt, Barnabas Interamnensis, auf den Gedanken, eine öffentliche Anstalt zu begründen, in welcher auf Pfänder Anleihen gegeben wurden. Die Idee an und für sich war nicht neu; denn schon im heidnischen Rom hat der Kaiser Augustus aus den dem Staate anheim gefallenen Gütern der Verbrecher eine Casse errichten lassen, in welcher Jeder, der den doppelten Werth versetzte, umsonst Geld leihen konnte.

Aber Barnabas Interamnensis hatte bei der Ausführung dieses Planes mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen, als die römischen Kaiser. Wiewohl die Beschaffung des nöthigen Anlagekapitals dem feurigen Prediger, der an die Nächstenliebe der Reichen appellirte, leicht gelungen war, so sah er wohl voraus, daß die von ihm geplante Anstalt bald eingehen müßte, wenn in derselben das Geld umsonst vorgeschossen würde. Die Unterhaltungskosten der Anstalt müßten ja alsdann in wenigen Jahren das gesammte Anlagecapital verschlingen. Doch der gebildete Mönch wußte auch, daß die Dogmen vor dem heiligen Stuhl zwar unwiderlegbar, aber mit guten Gründen wohl dehnbar sind, und er eröffnete getrost das erste Leihhaus zu Perugia mit der Bestimmung, daß diejenigen, welche aus der Anstalt Geld auf Pfänder liehen, soviel an Gebühren zahlen müßten, wie die Unterhaltung der Anstalt kostete.

Gegen diese Neuerung erhob bald der den Franziskanern feindlich gesinnte Dominikanerorden eine Anklage vor dem heiligen Stuhl. Da wußte Barnabas den Papst zu überzeugen, daß die Gebühren keine Zinsen seien, sondern nur eine gerechte Zahlung von Seiten derjenigen, welche die Vortheile der Anstalt genössen und welche dadurch auch verpflichtet wären, die Unterhaltungskosten derselben zu decken; im Uebrigen wäre sein Unternehmen nur ein Werk der Nächstenliebe und dem Geiste des Christenthums durchaus entsprechend.

In Rom war man überhaupt froh, aus der unerquicklichen und unhaltbaren Angelegenheit des Zinsenverbots auf diese Weise endgültig herauszukommen, und der Papst ertheilte dem neuen Leihhause seinen Segen. Durch die Predigten der Franziskanermönche wurden diese Leihanstalten bald in Italien verbreitet und unter dem Namen montes pietatis (fromme Banken) allgemein bekannt.

Während auf diese Weise in den romanischen Ländern die Leihhäuser als ein Resultat socialer Kämpfe gewissermaßen öffentlich

[784]

Im Leihhause.0 Nach dem Oelgemälde von L. Bokelmann.

[785] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [786] Wohlthätigkeitsanstalten bildeten, wie dies schon ihre Benennung andeutet, verdankten sie ihren Ursprung in England und in den Niederlanden weltlichen, rein kaufmännischen Einflüssen. Wie in der Ostsee einst die Hansastädte die Träger und Vermittler des Handels waren, so beherrschten das westeuropäische Handelsgebiet im Mittelalter die Italiener, das einzige Volk, welches damals den Welthandel betrieb. Schon im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts ließen sich italienische Kaufleute in den englischen und niederländischen Städten nieder und wurden dort von den Behörden begünstigt, weil sie den Handel in’s Land brachten. Ihre angesehensten Firmen waren die Caorcini, Caturcini, Cavarcini, Bardi und Amanti, welche von der einheimischen Bevölkerung im Allgemeinen Longobarden oder Lombarden genannt wurden. Neben dem Handel betrieben sie in ausgedehnter Weise auch das Pfandleihgeschäft und hielten zu diesem Zwecke in den größeren Städten „Contore“, in welchen Pfänder zu geringen Preisen gegen unmäßige Zinsen als Versatz angenommen wurden; denn durch ihren regen Verkehr mit den orientalischen Völkern hatten sie sich von der Bedeutung des Geldes und von dem Zinsennehmen Begriffe gebildet, die von der damaligen christlichen Anschauung durchaus abwichen. Das päpstliche Verbot des Zinsennehmens wußten sie übrigens in schlauer Weise zu umgehen, indem sie sich die Provision im Voraus als Geschenk bezahlen ließen, aber gleich den Juden wurden auch die Langobarden, sobald sie den Wucher zu arg trieben, aus dem Lande gejagt, um nach kurzer Zeit auf Grund neuer Privilegien in dasselbe zurückzukehren. Seit dem vierzehnten Jahrhundert mußten sie für ihre „Contore“, welche man „Lombarde“ nannte, eine Steuer an die Obrigkeit entrichten, bis im Jahre 1611 der Magistrat der Stadt Amsterdam beschloß, das Pfandleihprivilegium den Italienern zu entziehen und die Leitung des Geschäftes selbst zu übernehmen. Drei Jahre hierauf wurde auch tatsächlich ein städtisches Leihhaus in Amsterdam eröffnet, welchem Beispiele bald andere niederländische Städte folgten.

Den ersten Anlauf zur Begründung eines Leihhauses in Deutschland nahm die Stadt Nürnberg, die schon im Jahre 1498 vom Kaiser Maximilian dem Ersten eine urkundliche Erlaubniß zur Anlegung einer öffentlichen Pfandleihanstalt erhielt. Der gemeinnützige Plan wurde von den Nürnbergern jedoch erst im Jahre 1618 verwirklicht, während inzwischen der Augsburger Magistrat bereits im Jahre 1591 das Pfandleihprivilegium den Juden entzog und 30,000 Gulden zum Anlagecapital eines Leihhauses bewilligte. Im Jahre 1607 wurde in der genannten Stadt die erste deutsche Leihhausordnung bekannt gegeben.

Da brachen die fortwährenden Kriegswirren herein, in welchen der Wohlstand des deutschen Volkes für lange Zeiten zu Grunde ging, und die Stürme des Dreißigjährigen Krieges vernichteten auch die ersten Leihhäuser Deutschlands. Wir begegnen ihnen in unserer Culturgeschichte wiederum erst um die Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts, in welchem neben communalen auch private Pfandleihanstalten unter staatlicher Aufsicht begründet wurden.

Die Errichtung der heute bestehenden deutschen Leihhäuser. fällt dagegen erst in den Anfang unseres Jahrhunderts und ist zum großen Theil dem bahnbrechenden Vorgehen der preußischen Regierung zu verdanken. In jener Zeit gelangte auch die in England in’s Leben gerufenen Sparkassen zur allgemeinen Verbreitung, und von nun an reichten sich die beiden Wohlfahrtsanstalten zum gemeinsamen Wirken die Hand. Schon im Jahre 1840 bestanden in vierzig preußischen Städten Leihhäuser, welche ihre Capitalien von den communalen Sparcasse bezogen, vor allen andern deutschen Staaten zeichnete sich aber auf diesem Gebiete Sachsen aus, in welchem bereits in dem dritten Decennium dieses Jahrhunderts Dresden, Leipzig und Chemnitz mustergültige öffentliche Leihhäuser aufzuweisen hatten.

Die Entwickelung des Pfandleihwesens überhaupt ist indessen in Deutschland keineswegs als abgeschlossen zu betrachten. Noch vor wenigen Jahren mußten gegen die wuchernden privaten Pfandleihanstalten neue Gesetze und Verordnungen erlassen werden, und auch auf diesem Gebiete treten sich die beiden unversöhnlichen volkswirtschaftlichen Principien der Freiheit und des Schutzes feindlich entgegen.

So viel aber steht fest, daß man die wohltätige Wirkung der öffentlichen, unter staatlicher oder communaler Aufsicht stehenden Leihhäuser heutzutage allgemein anerkannt hat und nicht gesonnen ist, ihre Existenz und Organisation zu bekämpfen.





Mutter und Sohn.

Von A. Godin.
(Schluß.)


35.


Siegmund, auf den die Gedanken so Vieler gerichtet waren, hatte inzwischen schwere Tage verlebt. Wenn der Mensch sich dazu verurteilt sieht mit dem zu brechen, was sein Leben ausmachte, so gilt es ein anderes Ufer zu gewinnen und dort mit dem Rest seiner Habe Hütten zu bauen. Bis dies erreicht ist, gilt es aber den Kampf mit der Brandung. Noch ward der Unselige auf und nieder geschleudert; das feste Land lag ihm noch fern. Alles, was ihm theuer gewesen, war ihm entrissen; Alles, was ihn berührte, reizte eine Wunde.

Er konnte sich nicht entschließen, die Moosburg zu verlassen, und doch trat ihm hier auf Schritt und Tritt die unvergeßliche Vergangenheit schmerzlich entgegen. Ihn quälte das Drängen seines Freundes Max, dessen ersten Brief er mit der strengen Bitte beantwortet, ihn sich selbst zu überlassen, weil er ihn bereits von dem Pariser Vorgang unterrichtet glaubte. Voll Scham und Scheu dachte er an Ottilie Seeon, gegen welche, trotz seines Protestes, vielleicht jetzt eben in seinem Namen vorgegangen wurde, und ach! an – Margarita.

Der einzige Mensch, dessen Nähe ihm wohl that, war Lois. Der stille Blick des jungen Priesters beruhigte momentan seine nagenden Qualen. Die sanfte, schonende Ruhe, mit welcher der Caplan seinen Pflichten nachkam, war Siegmund tröstlich, und dennoch hatte er sich bisher nicht entschließen mögen, ihm mitzutheilen, was er von Fügen erfahren; er fürchtete, Lois damit eine Waffe zu geben wider die Entschlüsse, an denen er festhielt.

Dann kamen die Briefe. Zuerst ein geschäftlich gehaltenes Exposé des Unternommenen und Erreichten, von Copien der Documente begleitet, welches der Anwalt seiner Mutter. ihm zusandte. Dann Ottiliens herzliche Zeilen.

Hatte Siegmund gemeint, schon alles Weh der Erde erschöpft zu haben, so traf ihn nun ein neuer Schmerz mit furchtbarer Gewalt: welches beneidenswerthe Loos wäre jetzt sein und seiner Mutter Theil gewesen, wenn Diese nicht zur Frevlerin geworden – und was sie auf so unreinem Wege vergeblich angestrebt, das hatte die heilige Hand des Schicksals durch einfachen Fingerzeig schnell erreicht; Alles war da: ein stolzer Name, Glück und Ehre, aber es war eine grausame Fügung, daß es für Den, welchen es zumeist hatte beglücke könne, unerreichbar war – ewig unerreichbar!

Siegmund schloß sich in seinem Zimmer ein; es war ihm nicht möglich, auch nur Lois zu sehen; jetzt erst ward ihm bewußt, daß dieser nur deshalb seinem schärfsten Schmerz den Stachel geschwächt, weil er wie ein lebendiger Gedanke einstiger Versöhnung neben ihm gegangen. In der herben Stimmung dieser Stunden wollte er sich weniger als je daran erinnern lassen, daß Vergeben und Milde möglich sei.

So gingen einige Tage hin. Siegmund saß eines Nachmittags auf der Terrasse, wohin der warme Maitag ihn gelockt, und versuchte seine Gedanken an ein Buch zu fesseln. Um ihn herrschte tiefste Stille. Der Knecht und sein Weib waren drunten auf der Wiese; nicht das leiseste Lüftchen bewegte sich. Da vernahm der junge Mann hinter sich ein schwaches Rauschen. Er wendete mechanisch den Kopf und sprang mit einem unwillkürlichen Ausrufe der Ueberraschung von seinem Sitze auf. Gräfin Seeon und Margarita standen vor ihm.

„Briefe führten uns nicht zusammen,“ sagte Ottilie mit ihrer klaren Stimme. „Darum kommen wir selbst.“

„Sie Sie hier – bei mir!“ stammelte Siegmund außer sich. „Gräfin! – – Sie hätte das nicht gethan, wenn Sie wüßten –“

[787] „Wir wissen Alles, was Sie uns sagen oder verschweigen könnten, Siegmund. Capellmeister Fügen, der kürzlich Ihre Mutter gesehen, war von ihr beauftragt, uns von jedem auf Sie Beide bezüglichen Vorgang in Kenntniß zu setzen. Dies bestimmte mich, die Antwort auf Ihren mir unverständlich gewordenen Brief nicht zu verzögern.“ Sie bot ihm beide Hände und sagte warm: „Du siehst mich mit unseres Vaters Augen an, Siegmund. Willkommen, mein Bruder!“

Er neigte sich sprachlos über die schwesterliche Hand, die er an seine Lippen, seine Augen preßte. Ottilie zog ihn an ihre Brust und küßte ihn herzlich.

Nun erst suchten seine Augen Margarita, die etwas zurück stand. Beide tauschten einen langen Blick. Ihr Begrüßen blieb aber stumm.

Ich fasse noch immer nicht –“ sagte Siegmund wie aus einem Traum heraus.

„Setzen wir uns!“ schlug Ottilie vor und nahm Platz. „Es giebt viel zu besprechen, vor Allem einen, den wesentlichsten Punkt.“ Sie hielt einen Moment inne und fuhr dann in festerem Tolle fort: „Ich verstehe sehr gut, welche Stimmung Deinen Brief dictirt hat, lieber Siegmund. Du hast aber außer Acht gelassen daß es sich in dieser Angelegenheit nicht um Deine persönliche Ansicht allein handelt. Es würde meinem Manne und mir nicht ziemen, ein Zurücktreten gelten zu lassen, wie Du es planst. Wir sind weder gewillt, noch berechtigt, Dir in Betreff Deiner Zukunft Vorschriften zu machen, gegenwärtig ist es aber notwendig und unumgänglich, die Thatsachen frei und öffentlich festzustellen. Seeon und ich waren nie gewöhnt, etwas, das unser Haus betraf, zu verbergen, und nehmen unser eigenes Recht in Anspruch, wenn wir auch jetzt in diesem Sinne handeln. Mein Mann, der unserem Rechtsbeistand bereits Aufträge zur Feststellung der materiellen Punkte gegeben hat, ersucht Dich, uns nach S. zurück zu begleiten.“

Siegmund erröthete heftig.

„Unmöglich!“

„Es ist notwendig,“ sagte Ottilie. „Daß es Dir schwer fällt, Deine Person, Dein Geschick gegenwärtig der Oeffentlichkeit auszusetzen, ist begreiflich, muß aber überwunden werden. Dein Ehrgefühl hat den schwersten Schritt bereits gethan: Du hast Dich von – Frau Genoveva geschieden. Um so weniger kannst Du für das, was ohne Dein Wissen geschah, verantwortlich gemacht werden. Du darfst den Kopf hoch tragen; denn kein Makel haftet an Deiner persönlichen Ehre. Laß mich zu Ende kommen!“ sagte sie, als er im Begriffe war, sie zu unterbrechen. „Als Beweis dafür, wie wir mit Dir stehen, aller Welt gegenüber, hat mein Mann gestattet, daß ich Dich hier aufsuchte und Deine Gastfreundschaft in Anspruch nehme. Als Beweis dafür, wie ich persönlich von Dir denke, und daß ich Dich fortan als unzertrennlich von uns betrachte, gestattete ich meiner Tochter, mich zu begleiten.“

Siegmund erhob lebhaft den gesenkten Kopf.

„Lassen Sie mir Zeit, so viel Unverhofftes zu bewältigen!“ sagte er nach schwerem Athemzuge. „Ich empfinde Alles – die Großmuth – das Opfer – ja, ja, auch die Notwendigkeit im Sinne Graf Seeon’s. Ich erkenne, was ich Ihnen schuldig bin – aber – ich habe viel gelitten – gönnen Sie mir Zeit!“

Minuten vergingen in einem Schweigen, das Allen natürlich war. Dann knüpften sich an ein hingeworfenes Wort der Gräfin einige abgerissene Bemerkungen über Naheliegendes, Aeußerliches. Siegmund besann sich darauf, einige Anordnungen zu treffen und ging, seine Leute zu rufen. Während eine ländliche Mahlzeit auf der Terrasse servirt wurde, suchten die gespannten Geister den Ton zu finden, der ihrem Verkehr sonst eigen gewesen. Das „Du“ seiner Halbschwester zu erwidern, war Siegmund noch unmöglich. Auch gelang es ihm nicht, mit Margarita in gewohnter. Weise zu sprechen. Alles war, statt näher zu rücken, so fremd geworden. Die Geliebte so verändert, so schweigsam und scheu.

Ein glorreicher Sonnenuntergang tauchte Thal, Fluß und Gebirge in wunderbare Farben. Margarita war aufgestanden und an die Brüstung getreten, und die Gräfin sprach den Wunsch aus, das Haus zu sehen; Siegmund führte sie durch die bewohnbaren Räume. Vor dem Zimmer, das für ihre Nachtruhe bestimmt ward, entließ sie ihn mit dem Bemerken, sich bald wieder auf der Terrasse einfinden zu wollen.

Nachdenklich kehrte Siegmund dorthin zurück. Wie seltsam gestalteten sich die Dinge! Aber die auf ihm lastende Schwere fühlte er dennoch nicht weichen.

Margarita stand noch auf dem vorigen Platze, und als sie seine Schritte vernahm, wendete sie den Kopf und wurde sehr blaß – sie waren allein. Stumm standen Beide neben einander, stumm aus Ueberfülle dessen, was sie sich zu sagen hatten.

„Hier, wo es so schön ist, wohnten Sie also früher, als Kind?“ unterbrach Margarita das herzklopfende Schweigen. „Das muß eine glückliche Zeit gewesen sein!“

„Es war eine glückliche Zeit,“ sagte Siegmund schwer.

„Und hierher kamen Sie dann immer im Herbste, um Ihre Mutter zu treffen?“ fuhr sie bebend fort.

Er fuhr zusammen und sah sie vorwurfsvoll an.

„Vergeben Sie mir!“ atmete sie, „aber ich muß mit Ihnen davon sprechen, muß Sie bitten –“ .

Er schüttelte heftig den Kopf aber sie ließ sich nicht beirren. Ihre lieben Augen standen voll Thränen, als sie mit den beiden Händchen seine abwehrende Hand erfaßte.

„Sie dürfen Ihrer Mutter nicht böse sein; ich verstehe das nicht, und mir ist bange vor Ihnen, wenn ich das glauben soll. O Siegmund! Was auch meine Mutter thun möchte, ich müßte sie doch immer lieb haben, und wären alle anderen Menschen ihr böse – dann noch viel mehr! Ich habe nicht zugehört, wenn der Herr Capellmeister erzählte, die Eltern sprachen aber nachher darüber, und Mama lobte es, daß Sie sich von Ihrer Mutter getrennt hätten und nie mehr mit ihr zusammen kommen wollten. Wie viel habe ich schon darum geweint!“

Sie sah das qualvolle Kämpfen im Gesicht des Geliebten, dessen kalte Hand in der ihrigen zuckte, und schmiegte ihr blasses Gesicht an seine Schulter. Dann sagte sie ganz leise:

„Siegmund, Sie haben mir erzählt, wie voll Liebe Ihre Mutter zu Ihnen, wie sie Ihnen über Alles teuer war –- das kann doch nicht auslöschen, weil sie etwas Unrechtes that? Sie jammert mich – wie muß sie warten, daß Sie kommen, und so viele Tage schon, und immer umsonst! Können Sie das ertragen? Ich könnte es um keinen Preis. Man muß ja doch treu sein.“

Er zitterte vom Kopfe bis zu den Füßen. Plötzlich schloß er das junge Mädchen einen Moment an sich, ließ sie dann los und bedeckte mit beiden Händen seine Augen, aus denen heiße, erlösende Tropfen fielen. Sein längst erschüttertes, lang widerstrebendes Herz schmolz dahin vor den schlichten Worten des liebreichen Kindes. – – –

Spät Abends, als Mutter und Tochter zur Ruhe waren, stieg Siegmund noch zu Thale und wanderte nach Lahnegg. Als er sich von Lois trennte, in dessen Behausung er eine Stunde zugebracht, schlossen sich die Beiden fest an’s Herz, wie Menschen, die einander nie verlieren können, wenn sie sich auch nicht wiedersehen sollten. Erhabene Freude leuchtete aus dem meist so stillen Auge des jungen Priesters.

Am folgenden Morgen verließ der Schloßherr die Moosburg zugleich mit seinen Damen und kehrte mit ihnen nach S. zurück. Ottilie war nicht auf ihr Verlangen zurückgekommen, dessen Erfüllung sie als selbstverständlich hinnahm, aber es entging ihr nicht, daß seit gestern Abend eine Veränderung mit Siegmund vorgegangen war. Sein Blick war freier, seine Stirn heller geworden obgleich tiefer Ernst ihn beherrschte. Mit innerer Genugthuung sagte sich Ottilie, wie richtig der immerhin gewagte Schritt dieser halb erzwungenen mündlichen Besprechung sich doch erwiesen, und wie zufrieden ihr Mann sein würde, dem feste Gestaltung und Ruhe in jedem Lebensverhältniß Bedürfnis war. Um so weniger war sie auf einen neuen Conflict gefaßt.

Siegmund’s Aeußerung, daß er sich von hier nach Wien begeben wolle, um sich mit seiner Mutter auszusprechen, fiel wie ein Funke in die freundschaftlichen Erörterungen zwischen ihm und dem Ehepaar Seeon, welche bald nach dem Eintreffen der kleinen Reisegesellschaft zur Sprache kamen. Der Graf und die Gräfin bekämpften lebhaft die Absicht dieser Reise, deren Endpunkt eine Versöhnung sein mußte. Ihre eigene Auffassung, ihre Pläne und Absichten waren auf die Voraussetzung gebaut, daß ein für allemal jeder Zusammenhang Siegmund’s mit dieser compromittirten Frau abgebrochen sein müsse. Namentlich bestand Ottilie darauf. So bereit sie zu jeder Gerechtigkeit, zu jedem Entgegenkommen gewesen, so starr hielt sie an dieser Forderung fest, die ihr Grundsätze und Anschauungen geboten.

[788] Siegmund’s Beharren, seine plötzliche Umstimmung in einem so wesentlichen Punkte, erschienen ihr unbegreiflich, machten sie fast an seiner Männlichkeit irre. Das Einzige, womit sie ihn hier entschuldigte, war seine Jugend. Und da sie den Schritt, welchen er vorhatte, als verderblich für ihn betrachtete, zögerte sie nicht ein mächtiges Argument wirken zu lassen: sie deutete Siegmund an, daß Margarita’s Hand ihm zugedacht sei, diese Hand aber nicht in die seinige gelegt werden könnte, wenn er mit der andern seine Mutter festhielt.

Siegmund ward aber von einer Macht beherrscht, gewaltiger als jedes Drohen oder Verheißen: seit Margarita’s liebe Hand die Bitterkeit fortgeschoben, die wie ein Riegel vor der Liebe lag, strömte sein altes, heißes, unaussprechliches Gefühl für die Mutter über jede Klippe hinweg. Galt es auch auf das schönste Glück zu verzichten, galt es den Verzicht auf Margarita’s Hand, so konnte ihn das nicht beirren; ihr Herz hatte ihn ja auf den Weg geleitet, auf welchem es ihn jetzt vorwärts trieb; dieses unschuldige, liebevolle Herz konnte ihm nur dann ohne Bangen gehören, wenn er that, was es ihn thun geheißen. Als ihr Bundesgenosse stand neben ihr Lois.

Verstimmt entließen Seeon’s den jungen Verwandten, als er sich aus ihrem Hause nach seiner Wohnung begab, um sich zu seiner Reise zu rüsten. Er sehnte sich nach Rücksprache mit Fügen, von dem er seit dessen kurzem Verweilen auf der Moosburg nichts mehr direct gehört, der inzwischen seine Mutter gesehen und ihm ihre Adresse mittheilen konnte. Bei dem ersten Worte, das er dem Meister über seine Absicht äußerte, fiel Dieser ihm mit einem kräftigen: „Gottlob!“ um den Hals. Nun erst erfuhr Siegmund im Zusammenhange, was den Seeon’s in Einzelnheiten und ungenügend bekannt geworden, erfuhr die volle Geschichte seiner Eltern, die Geschichte aller Leiden und Entbehrungen Genoveva’s aus dem Munde eines Mannes, der wiedergab, was er von ihr selbst erfahren.

„Und kein Wort zu mir!“ rief Siegmund mit leidenschaftlichem Vorwurf.

„Weil sie es mir verboten hat!“ erwiderte Fügen. „Wort und Handschlag forderte sie mir ab, durch keine Silbe Dir etwas abzuzwingen, was nicht aus Dir selbst kam. Und denk’ doch nur daran, wie Du mich aufgenommen hast, als ich Dir zuerst sagte, was Du ihr schuldig. Aber ich will nur der Wahrheit die Ehre geben: ich hab’ Dir’s zugetraut, Junge, daß Dein eigenes gesundes Herz den Rückweg schon finden würde, ohne Dreinreden. Was hätt’ es auch sonst helfen sollen! Nur um Eines war mir angst – ob Dir Zeit dazu bliebe.“

„Zeit?“ wiederholte Siegmund betroffen.

Fügen wendete das Gesicht ab.

„Du reisest ja nun,“ sagte er, „Du wirst schon sehen. Geh’ mit Gott! Dürft’ ich, so käm’ ich gern mit. Ich wollte ihr die Jana schicken, damit sie nicht so allein ist, und meine Frau sehnt und grämt sich nach ihr, aber sie will Keines um sich – glaub’s schon. Jetzt kommt, was sie braucht.“

„Sie ist krank?!“

„Nicht gerade! Aber leidend! Du wirst ihr Arzt sein.“

Die Unruhe, welche Siegmund ergriffen hatte, wuchs zu unbestimmten Bangen. Ihm war, als dürfe er. keine Minute verlieren. Wie Glockengeläute tönten unaufhörlich Lois’ Worte in seinem Ohre: „Bedenke, daß Deiner Mutter Gestalt einst neben Dir hergehen könnte, wie Maxi neben mir geht!“

Als er eben im Begriffe war, den Wagen zu besteigen, brachte ein Diener. des Seeon’schen Hauses ein kleines Paket mit seiner Adresse. Es enthielt Noten, die er Margarita früher geliehen. Zwischen den Heften lag ein weißes Blatt, und als er es aufschlug, fand er eine sorgfältig getrocknete, in unverändert tiefem Blau leuchtende Genziane.




36.

Genoveva saß, die Füße auf einem Kissen, den Kopf gegen die hohe Lehne ihres Sessels gestützt, in einem Hochpaterrezimmer, dessen geöffnete Fenster die Aussicht auf Gärten boten. Sie war allein. Gleichgültig hatte sie Fügen’s Drängen nachgegeben, den unruhigen Gasthof mit einer Privatwohnung zu vertauschen, welche er für sie aussuchte und in welche er sie brachte, ehe er Wien verlassen hatte. Nun ließ sie die Stunden kommen und gehen, ganz wehrlos, im Zustande äußerster Erschöpfung, in der man nichts mehr begehrt, weder Glück noch Tod. Ihre glanzlosen großen Augen waren nach dem Fenster gerichtet, zu dem maienhaftes Duften hereinströmte. Leiser Windhauch ging durch die lichtgrünen Blätter einer nahestehenden Akazie, aus deren luftigem Gezweige eben jetzt ein Vogel aufflog. Genoveva’s Blick folgte seinem himmelwärts gerichteten Fluge:

Wohin?

Ihre Gedanken wollten sich um diese Frage spinnen, so nahe ewig dem Geiste wie die Frage: warum? doch ließ sie müde davon ab. In ihr war es still, wie um sie her – sie hatte Alles losgelassen, sogar den Schmerz. Was sie gehofft, was sie gefürchtet, war erfüllt; nun galt es nur noch auf Eines zu warten, das ihr leise und sicher immer näher schlich, ohne daß sie nöthig hatte, einen Schritt entgegenzuthun.

Die Sonne funkelte herein – das blendete sie. Ihre Augen sanken leise zu und hoben sich nicht gleich, als sie nach einer Weile Schritte im Zimmer vernahm. So wenig sie derselben achtete, ließ sie doch ein instinctives Bewußtsein, daß nicht ihre Dienerin nahe sei, zwischen den Wimpern hervorblicken. Jäh richtete sie sich auf. Der vor ihr stand – war ihr Sohn.

Nur einen Augenblick stand er vor ihr. Im nächsten schon lag er ihr zu Füßen, beide Arme um die Zusammenbrechende geschlungen. Ein kurzer Wehelaut traf sein Ohr, wie ein Seufzer des Todes; er hielt eine Leblose in seinen Armen. Halb gelähmt vor Schreck, rieb er ihre eiskalten Hände, rief nach Beistand, ohne doch zu wagen, sich einen Moment von ihr zu entfernen. Er ward nicht gehört; die Dienerin, deren momentaner Abwesenheit zufolge er unbehindert eingetreten war, hatte sich noch nicht wieder eingefunden. In Todesangst lauschte er an der Brust seiner Mutter auf den Schlag ihres Herzens – es schien stille zu - stehen. Als er sich aufrichtete, hatte Genoveva die Augen geöffnet. Sie schien außer Stande, zu sprechen, ihn traf aber der alte Blick unsäglicher Liebe. Schluchzend, wie ein Kind, bedeckte er ihre Hände mit Küssen. Inmitten seines Jammers, sie so zu finden, so krank, so abgezehrt, durchjauchzte ihn ein übermächtiges Glücksgefühl: sie waren beisammen – jede Fiber in ihm flog ihr entgegen; Welt und Menschen, jedes Urtheil, jeder Vorwurf war zerstoben; die einzige Schuld, welche er empfand, war seine eigene, das einzige Wort, welches er stammelte: „Vergieb!“

Genoveva bebte zusammen.

„Mein Sohn,“ sagte sie leise, „Du willst nicht, daß Deine Mutter dieses Wort spricht, das gesprochen werden mußte. Ich danke Dir. Dich zu sehen, bevor ich sterbe, hoffte ich nicht“

„Sterben!“

„Ruhen, Siegmund, ausruhen vom Irrthum von allem Falschen. Was ein Frevel bessern wollte, ward nur verschlimmert; was ich blind übersah, gewann mühelos unser Recht. Und ich hätte das schwerlich übersehen, wäre ich nicht so schnell bereit gewesen, zu verdammen. Alle, die ich beschuldigt, sind rein geblieben, aber die Schuldige ward ich. Dein Großvater hat uns nicht wissentlich betrogen; Dein Vater hat uns nicht verleugnet.“ Ein unbeschreibliches Lächeln gab den zerstörten Zügen all ihren einstigen Reiz zurück. „Sein letztes Wort auf Erden, Siegmund, galt Dir.“

„Ich weiß.“

„Um seinetwillen versprich mir, sein Erbe nicht zurückzuweisen!“

„Dieses Versprechen gab ich bereits meiner Schwester.“

Genoveva’s Kopf sank zurück.

„Ihr seid einig?“

Siegmund zögerte einen Moment; dann sagte er mit fester Stimme: „Ja“

Sie schlug ihren Arm um des Sohnes Hals und zog seinen Kopf neben sich nieder.

„Fügen glaubt, Du liebst Margarita Seeon – liebt sie Dich?“ fragte sie kaum verständlich.

„Ja!“

Er wollte mehr sagen, aber der bald stockende, bald wilde Schlag ihres Herzens beängstigte ihn namenlos. So hing er denn schweigend an ihren Augen, die in wunderbarem Glanze aufstrahlten; plötzlich ging ein Schatten darüber hin. Er versuchte seinen Arm zurückzuziehen – Beistand herbeizurufen schien so dringend Noth, aber Genoveva ließ ihn nicht von sich; ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter, und wie ein Hauch wehte es an sein Ohr:

„Ich habe Dich über Alles geliebt.“

Es war ihr letzter Hauch.


[789]
Zum hundertjährigen Jubiläum der Gewandhaus-Concerte zu Leipzig.
Von Hermann Kretzschmar.

Einen sehr bedeutenden Platz nehmen die sächsischen Lande in der Geschichte der Tonkunst ein. Sie sind die Heimath der Schütz, Bach, Händel, Marschner, Schumann, Wagner und die Schaffensstätte einer erstaunlich großen Zahl von Männern, die sich in der Musik ausgezeichnet haben. Von den frühesten Zeiten an besaß Sachsen blühende Anstalten zur Pflege der Musik. Allberühmt sind die Dresdener Hofcapelle, die Sängerchöre der Kreuzschule und der Thomana. Jünger als diese Institute ist die Concertgesellschaft des Leipziger Gewandhauses, an Ansehen und Bedeutung ist sie jedoch eine der ersten Kunstanstalten Europas.

Am 25. November dieses Jahres sind hundert Jahre verflossen, seitdem das erste Gewandhaus-Concert stattfand, und man kann einen Jubilar nicht besser ehren, als indem man aus seinem Leben erzählt. Die Geschichte der Gewandhaus-Concerte ist der Ruhm aller Derer, welche an ihnen betheiligt sind, der Stadt, die von jeher mit Stolz dieses Institut in ihren Mauern sah, des Directoriums, welches die Einrichtungen dieser Concerte traf und überwachte, der Musiker, welche sie ausführten, und des Publicums, welches sie anhörte.

Sie Alle können sich die Gewandhaus-Concerte zur Ehre anrechnen; denn was hier durchgeführt wurde, ist in ganz Deutschland nur einmal gelungen. Was sagen wir, in Deutschland – in der ganzen Welt. Es giebt keine zweite Stadt, die jeden Winter zweiundzwanzig solche Concerte zu erwarten hat, wie sie in dem Leipziger Gewandhause nun seit einem Jahrhundert fast ohne Unterbrechung stattgefunden haben. Fragt man nach der Ursache dieser großen Zahl, so muß man zur Beantwortung dieser Frage noch eine Strecke hinter die Gründung der Leipziger Gewandhaus-Concerte zurückgreifen.

Wie bekannt, entstanden von der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts an wie in anderen Culturländern, so ganz besonders in Deutschland vielerlei sogenannte musikalische Collegien. Das waren Clubs, in denen sich die Musikfreunde eines Ortes vereinten, um mit einander zu musiciren – eine sehr heilsame Ergänzung der öffentlichen Musikpflege! Das Musiciren schloß anfänglich andere gesellschaftliche Bestrebungen nicht aus; denn neben der Musik hielt man wissenschaftliche Vorträge, tafelte und tanzte. Aber es liegt nun einmal im Wesen der Musik, daß sie eifersüchtig ist, dämonisch eifersüchtig. Sie verlangt den ganzen Menschen. So kam es, daß diese Collegien bald ausschließliche Musikabende wurden, die sich von den heutigen Concerten nur dadurch unterschieden, daß keine Proben abgehalten wurden. Ganz Deutschland war um die Wende des neunzehnten Jahrhunderts voll solcher Musikinstitute mit wöchentlichen Concerten. Wo sind diese nun hin? Wer trägt die Schuld, daß sie verschwanden? Die bösen Proben. Die wachsenden Ansprüche der Orchesterpartien wuchsen allmählich den Dilettanten über die Köpfe, und damit war es mit den musikalischen Collegien aus. Die einzige Stadt, welche die Krisis überstand und die wöchentlichen Winterconcerte rettete, war Leipzig.

Actenmäßig zu constatiren ist allerdings die Existenz von Musikcollegien in Leipzig erst mit dem Jahre 1741, wo der berühmte Telemann, damals Cantor an der Neukirche, ein solches Collegium gründete und leitete, welches besonders von Studenten unterstützt wurde, aus deren Reihe er selbst hervorging. Auch der große Johann Sebastian Bach war in der ersten Zeit seines Thomascantorats Director eines collegium musices. Wir wissen, daß mit seiner Gesellschaft eine zweite rivalisirte, welche unter dem Organisten der Nicolaikirche, einem gewissen Görner, stand.

Der siebenjährige Krieg gebot eine Pause, aber nach seiner Beendigung stand das Musikcollegium in imposanter Gestalt wieder auf. Der Kaufmann Zehmisch, derselbe vornehme Handelsherr, welcher das noch jetzt vorhandene sogenannte alte Theater erbaute, eröffnete im Jahre 1763 das Collegium unter dem Titel „Großes Concert“ in den „Drei Schwanen“ auf dem Brühl. Das Local scheint den Beschreibungen nach ziemlich primitiv gewesen zu sein: ein düsterer Saal von der Größe einer mittelmäßigen Wohnstube mit einem engen Zugang, der durch eine gemeine Herberge führte. Gleichwohl versäumte das vornehme Publicum nicht, sich allwöchentlich dort einzufinden, und auch der Kurfürst von Sachsen beehrte das dortige Concert mit seinem Besuche, so oft er in Leipzig anwesend war. Später zog man in ein Haus am Markte.

Das Orchester war für jene Zeit reich besetzt.[3] Die meisten Solisten traten zugleich als Solospieler auf, und mehrere unter ihnen erwarben sich als Virtuosen einen berühmten Namen. Dirigent war Johann Adam Hiller, ein Musiker, den die allgemeine Geschichte der Kunst immer mit Ehren nennen wird. Ein Zögling sächsischer Alumnate von Bautzen und Dresden, schwankte er lange zwischen Tonkunst und Jurisprudenz, wandte sich aber seit 1760 ausschließlich der ersteren zu. Er schrieb komische Opern zu Texten von Weiße, die seiner Zeit Aufsehen erregten. Hiller selbst war, trotz seiner launigen Musik, ein schwerer Hypochonder und lange nicht zu vermögen, eines seiner Werke, die alle Welt zum Lachen reizten, selbst anzusehen. Ja, man erzählt, daß ihn sein Arzt mit Gewalt in das Theater schaffen mußte. Als Dirigent hat sich Hiller namentlich um Händel’s „Messias“ Verdienste erworben.

Er ging 1785 wieder in’s Ausland, kam jedoch 1789 als Thomas-Cantor nach Leipzig zurück. Sein eifrigstes Bestreben war nun, in dem großen Concerte den Gesang auf gleich hohe Stufe zu bringen, wie die Instrumentalmusik, und umsichtig und thätig, wie er war, gelang es ihm auch bald, dieses Ziel zu erreichen, besonders da ihn das Glück begünstigte, eine Corona Schröter – 1764 – dann eine Schmehling, nachherige Mara, auf längere Zeit – 1767 bis 1771 – für dieses Kunstinstitut zu gewinnen. Beide Sängerinnen waren schon zu jener Zeit höchst ausgezeichnet, wenn auch ihr Ruf erst später sich allgemein verbreitete. Tenor- und Baßpartien übernahmen vorzügliche Schüler von Hiller, und die Chöre wurden von Alumnen der Thomasschule besetzt.

Jedes Concert enthielt zwei Theile, zwischen welchen eine Pause zur Erholung stattfand. Der erste Theil wurde mit einer Symphonie eröffnet; hierauf folgte eine Arie, dann ein Concert für ein Instrument, nun ein Divertissement für mehrere Instrumente und endlich ein Quartett, Ensemble oder Chor aus einer Oper. Der zweite Theil begann wieder mit einer Symphonie, der eine Arie sich anreihte, und das Ganze endete gewöhnlich mit einer Partie für das volle Orchester.

Die dirigirende Vorsteherschaft bestand von dieser Zeit an aus neun, später aus zwölf, der angesehensten Concertmitglieder, und so ging Zehmisch’s Alleinherrschaft in eine Vielherrschaft über, zu der gehörten: drei Gelehrte, drei deutsche, zwei französische, ein italienischer Kauf- und Handelsherrn. Diese Einrichtungen des „Großen Concertes“ lagen auch den 1781 in’s Leben gerufenen Gewandhaus-Concerten zu Grunde und bestehen an diesem Institute noch in allem Wesentlichen. Deshalb schien es nöthig, bei denselben zu verweilen.

Zunächst war demnach der Einzug in den Saal des Gewandhauses, welcher am 25. November 1781 erfolgte, nichts als ein Localwechsel. Die „drei Schwanen“ konnten die immer mehr sich steigernde Zahl der Kunstfreunde nicht länger fassen. Da erwarb sich der damalige Bürgermeister und Kriegsrath Müller, dessen Gemeinsinn Leipzig die große Bürgerschule, die Promenaden und die Restauration der Nicolaikirche verdankt, das Verdienst, im Gewandhause auf der Universitätsstraße, einem alten für Militär- und sonstige Lagerzwecke gebrauchten Gebäude[4], einen Concertsaal herstellen zu lassen, der zwar hinsichtlich der Größe nicht zu den ersten in Deutschland gezählt werden kann – er faßt nach mancherlei Vergrößerungen heute schließlich gegen eintausend Personen – wohl aber seiner akustischen Vortrefflichkeit wegen noch jetzt zu den ausgezeichnetsten Sälen gezählt werden muß. Der Bau wurde von dem kurfürstlichen Architekten Dauthe ausgeführt, und der aus Goethe’s „Dichtung und Wahrheit“ bekannte Akademiedirector und Professor Oeser malte die Plafonds. Diese Gemälde stellten die alte griechische und die neue Musik dar. Die alte wird verjagt und dagegen die neue eingeführt. Unter der letzten Darstellung hält ein Genius ein fliegendes Blatt mit der Inschrift „Bach“. Diese seiner Zeit bewunderten und wiederholt beschriebenen Allegorien ließ man 1833 leider übertünchen.

[790] Am 25. November 1781 wurde der neue Saal unter Hiller’s Direction mit folgendem Concertprogramm eröffnet:

 Erster Theil.
Symphonie von Joseph Schmitt.[5]
Hymne an die Musik von Reichardt.[6]
Concert auf der Violine („Schönste Tochter des Himmels“), gespielt von Herrn Berger.
Quartett mit dem ganzen Orchester von Stamitz.[7]
 Zweiter Theil.
Symphonie von J. C. Bach.[8]
Arie von Sacchini, gesungen von Madem. T. Podleska.[9]
Symphonie von E. W. Wolff.[10]

Der Concertsaal des Leipziger Gewandhauses.
Nach der Natur gezeichnet von Martin Laemmel.

Drei Symphonien an einem Abend! Man begann um fünf Uhr Nachmittags; das Billet kostete zwölf Groschen, und die Leistungen waren so glänzende, daß Mozart in der Probe zu seinem Concerte am 12. Mai 1789 den Musikern zurufen konnte: „Wenn die Herren so zu spielen vermögen, brauche ich mein Concert nicht zu probiren – denn die Stimmen sind richtig. Sie spielen richtig und ich auch; was braucht’s mehr?“

Wer in Leipzig auftreten wollte, dem war der Gewandhaussaal eine Nothwendigkeit, und was außerhalb dieser Räume concertirt wurde, das zählte nicht mit. Um aber das Verdienst zu verstehen, welches daran die Direction der Gewandhaus-Concerte hat, muß man auf die allgemeinen Concertverhältnisse Deutschlands um die Wende des Jahrhunderts einen Blick werfen. Man kann sagen: die in der Entwickelung begriffene neue Instrumentalmusik rang um ihr junges Leben. Ihre gutwilligsten Stützen waren die musikalische Collegien, die Dilettantenclubs und Liebhaberconcerte, die in den mittleren und kleinen Städten zu Hause waren und auf schwachen Füßen standen, wogegen in den großen Städten und an den Höfen die Virtuosen dominirten. Im Vergleiche mit jenen Liebhaberorchestern repräsentirten sie die vollendete Kunst im Gegensatz zum unfertigen Versuch, und kein Zweifel kann darüber bestehen, auf wessen Seite sich das Publicum wenden mußte, wo es zu wählen hatte.

Dieser Concurrenz zwischen Virtuosen und Orchester zu begegnen, hatte nun das Leipziger Gewandhausinstitut ein unfehlbares Mittel in seinem Saale, und es bediente sich desselben geschickt. Es ist höchst interessant, die verschiedene Erlasse und Maßregeln zu verfolgen, durch welche es diesen Kampf führte, aber das würde hier zu weit führen. Genug: die Virtuosen, welche in Leipzig auftreten wollten, benutzten den Gewandhaussaal, und die Besitzer dieses Saales, die Directorien des Instituts, sorgten dafür, daß durch die Virtuosen nicht die Theilnahme des Publicums für die Leistungen des Orchesters und des vocalen Ensembles geschwächt wurde. Einmal wurde der Saal den fremden Künstlern überhaupt versagt, dann nur unter der Bedingung zugestanden, daß dieselben vorher im öffentlichen Concerte aufträten. Auf diese Weise wurde das Leipziger Gewandhaus ein „Hort“ der höheren Instrumentalmusik, wie es öfters genannt worden ist, an dem die ganze Kunstgattung während der beiden ersten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts sich hielt.

Während wir um diese Zeit in anderen deutschen Städten die Symphonien sehr vernachlässigt finden, bilden sie in Leipzig den Stamm des Programms; das Publicum lernte diese Werke lieben. „Und wenn darüber nichts gedruckt würde,“ schrieb Beethoven in Bezug auf die Concerte an einen Leipziger Freund, „als die dürren Register, ich würde es doch mit Vergnügen lesen; man sieht doch, es ist Verstand darin und guter Wille gegen Alle.“

Das Orchester zeigte ursprünglich noch seinen Zusammenhang mit den alten Liebhaberconcerten. Ein Dilettant, Notarius Hofmann, trat noch in den Jahren 1805 und 1806 als Fagottsolist auf. Allmählich aber wurde das Orchester durch die Bemühungen der Direction und das Entgegenkommen der städtischen Behörde zu einer Künstlercorporation, die heute siebenzig und etliche Köpfe zählt. Im Jahre 1843 verdankte die Stadt der Concertdirection auch ein Conservatorium, das noch heute blüht.

Nach Hiller’s Abgang vom Dirigentenposten – er starb 1804 – übernahm denselben Johann Gottfried Schicht. Dieser, im Jahre 1753 zu Reichenau in der Lausitz als Sohn eines armen Leinwebers geboren, hatte eine den älteren Musikern gewöhnliche Carrière gemacht. Er war Alumnus des Gymnasialchors in Zittau gewesen und hatte dann die Universität Leipzig bezogen, um Jurisprudenz zu studiren. In seinen ersten Semestern schon kam er mit Hiller in Berührung, der ihn in das große Concert zog, wo er das Violinspiel und namentlich das zu jener Zeit sehr wichtige Amt eines Flügelaccompagnateurs versah. Er führte die [791] Direction bis zu seinem Tode, der im Jahre 1828 erfolgte, in den letzten drei Jahren in Gemeinschaft mit Christian J. F. Schulz. Schicht war für das Musikleben von Leipzig, wo ihm im Jahre 1810 auch das Thomas-Cantorat übertragen wurde, von großem Einfluß, welcher sich in Folge seiner Lehrthätigkeit auch weit über die Grenzen der Stadt erstreckte. Eine große Anzahl nachher berühmter sächsischer Musiker, wie Anacker, Reißiger, Franz und Julius Otto waren Schüler von Schicht, wie er auch als schaffender Künstler durch seine Kirchenwerke zu den Ersten seiner Zeit zählte. Das Oratorium „Das Ende des Gerechten“, die Motetten: „Nach einer Prüfung kurzer Tage“ und „Meine Lebenszeit verstreicht“ trifft man zuweilen noch heute auf dem Repertoire. Im Gewandhause erzielte namentlich sein „Vater unser“ einen großen Eindruck. Als Componist steht er noch mit einem Fuße in der Zeit der Schnörkel und Zöpfe, aus seinen mehrstimmigen Sätzen spricht aber eine milde und schöne Persönlichkeit.

 C. J. P. Schulz. J. G. Schicht. C. A. Pohlenz. J. A. Hiller.
 Carl Reinecke. Felix Mendelssohn Bartholdy. Julius Rietz.
Die Dirigenten der Leipziger Gewandhaus-Concerte von 1781 bis 1881.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

Schicht’s Directionszeit ist neben der späteren Mendelssohn’s die glänzendste Epoche des Leipziger Gewandhauses. Sie zeichnet sich durch die häufige Aufführung von Chorwerken aus; denn Messen, Motetten, Psalmen, Oratorien standen fortwährend auf dem Programm. Haydn’s „Stabat mater“, seine „Sieben Worte des Erlösers“, das „Tedeum“, „il Ritorno di Tobia“, seine Messen, „Schöpfung“ und „Jahreszeiten“, wurden unter Schicht dem Gewandhaus-Publicum vorgeführt, wie auch Händel’s „Messias“ damals zuerst zum Vortrag kam. Von der Bach’schen Familie ist nur der Hamburger, Philipp Emanuel, vertreten mit seinem zweichörigen „Heilig“ und der Londoner, Johann Christian, mit einem „Gloria“ in neun Sätzen, aber keineswegs war der alte Johann Sebastian in Leipzig vergessen; denn begegnen wir ihm auch nicht im Gewandhause, so war er um so häufiger mit seinen Motetten und auch einzelnen Cantaten in den Kirchenaufführungen der Thomaner zu finden. Von in neuerer Zeit weniger bekannten Chorcomponisten nennen wir aus der Schicht’schen Periode nur noch Bergt, Rolle und Rosetti; auch kam damals Romberg’s „Glocke“ zur Aufführung.

Von ganz besonderem Interesse ist die Periode der Schicht’schen Direction dadurch, daß in ihr fast sämmtliche großen Werke Beethoven’s ihren ersten Einzug in das Gewandhaus hielten. Die Aufnahme derselben durch das Gewandhaus-Publicum war eine durchaus entgegenkommende und auch da, wo man nicht sogleich klar sah, eine des Meisters würdige, zuweilen eine enthusiastische. Directorium und Orchester schienen von vornherein die Vorführung Beethoven’scher Werke als eine ernste Mission aufgefaßt zu haben.

Aeußerst wohlthuend stechen die Leipziger Urtheile über Beethoven’s Compositionen gegen die Berliner ab. Von der zweiten Symphonie, welche in beiden Städten gegen das Neujahr 1805 ziemlich gleichzeitig aufgeführt wurde, berichtet man aus Berlin: „Diese Symphonie erregte nicht solche Sensation als Mozart’sche und Haydn’sche.“ Aber aus Leipzig schrieb man: „Dies Werk eines Feuergeistes wird bleiben, wenn tausend jetzt gefeierte Modesachen längst zu Grabe getragen sind.“

Nur gegen den letzten Satz der neunten Symphonie sträubten [792] sich auch die Freunde Beethoven’s im Gewandhaus. Sie wurde hier 1827 – ebenfalls wieder zu derselben Zeit wie in Berlin – zum ersten Male aufgeführt, dann gleich darauf zweimal repetirt, einmal allerdings ohne Finale. Rochlitz, eine feine, durchaus Goethe’sche Natur, drückt das Fiasco in den Worten aus: „Der Meister aber bleibt, was er ist, ein Geisterbeschwörer, dem es diesmal gefallen hat, Uebermenschliches von uns zu verlangen.“ Wenn ein Jahr darauf, als Beethoven inzwischen gestorben, ein Anderer eben mit Bezug auf jenes Finale von „Gehörlosigkeit“ spricht, so ließ die Direction das Werk doch nicht fallen; denn es findet sich oft auf den Programmen.

Im Jahre 1850 widmete ein ungenannter Musikfreund bei Gelegenheit der Ausführung dieses Beethoven’schen Werkes eine Gratification von fünfzig Thalern, und später sicherte sogar ein hochherziger Förderer der Tonkunst die regelmäßige alljährliche Aufführung der neunten Symphonie durch eine besondere Stiftung. Bei ihrer Erwähnung wollen wir übrigens nicht vergessen zu bemerken, daß im Laufe der Zeit viel geschehen ist, die äußere Lage der Künstler im Orchester in ein entsprechendes Verhältniß zu ihren berühmten Leistungen zu setzen; denn von vornherein bestand ein Pensionsconcert, und später trat noch die Charfreitag-Aufführung zu einem ähnlichen Zwecke hinzu.

Unter den damals emporstrebenden Talenten sind Friedrich Schneider und Louis Spohr zu nennen, welche vom Anfang unseres Jahrhunderts an bis zu ihrem in den fünfziger Jahren erfolgten Tode dem Gewandhaus-Publicum stets willkommene Ehrengäste geblieben sind. Von den Ausländern faßte nur Cherubini festen Fuß; Spontini wurde mit seiner ersten Ouvertüre abgelehnt, ja, man verglich sie mit kaltem Wasser, das in gährendem Sprudel und mit schrecklichem Brausen verspritzt wird. Méhul, einer der wenigen Franzosen, welche früher überhaupt Symphonien schrieben, fiel im Gewandhaus fast regelmäßig durch, selbst noch als Mendelssohn für ihn in den historischen Concerten eintrat, dagegen erwarben seine Opern die verdiente Achtung.

Wenn die Gewandhausconcerte von Haus aus gegen das Virtuosenthum gerichtet waren, so schloß diese Tendenz doch die solistischen Leistungen nicht aus. Ja, später hörte das Gewandhaus-Publicum die berühmten Sänger und Spieler der Zeit fast alle. Von den großen Pianisten von Mozart an bis auf Karl Heymann fehlt fast Keiner. Dussek, Hummel, Moscheles, Kalkbrenner, Liszt, Thalberg, Döhler, Clara Schumann, Camilla Pleyel, Jaell, Bülow, Tausig und wie sie Alle heißen, sie haben sämmtlich im Gewandhaus gespielt, zum Theil sehr oft. Anton Rubinstein trat hier als dreizehnjähriger Knabe auf, auch Meyerbeer, der als Componist in diesen Räumen wenig zu suchen gehabt hat, zeigte sich als achtjähriges Wunderkind, und Karl Maria von Weber debütirte im Jahre 1811 hier vor dem Leipziger Publicum als Pianist in einem Privatconcert, das er mit seinem Freunde, dem Münchener Klarinettisten Bärmann, gab. Von den großen Geigern, die hier spielten, haben wir schon Spohr genannt, und Joachim, der Erste unter den jetzt lebenden Violinspielern, gehörte dem Orchester selbst im jugendlichen Alter längere Zeit an.

Unter den großen Sängern und Sängerinnen vermissen wir nur Henriette Sonntag. Die Schröder-Devrient, Pauline Viardot-Garcia, Jenny Lind traten sehr oft im Gewandhause auf. Von Sängern, die sich im Gewandhause hören ließen, sei noch der Wiener Wild genannt, der im Jahre 1815 als der Erste in diesen Räumen ein deutsches Lied erklingen ließ.

Aufsehen erregte das erste Posaunensolo: Der Berliner Kammervirtuos Belcke, von der Familie, die viele ausgezeichnete Musiker geliefert hat, führte es im Jahre 1815 aus, und später besaß das Leipziger Gewandhaus in dem vielseitigen Queisser selbst einen der berühmtesten Posaunenvirtuosen. Von heute nicht mehr gebräuchlichen Solo-Instrumenten nennen wir aus den älteren Gewandhaus-Concerten die Guitarre; sogar ein Symphoniestück mit Guitarre kommt einmal vor.

Von vornherein waren im Gewandhause die Einrichtungen so getroffen, daß man solistische Leistungen genießen konnte, ohne dabei von fremden Kräften abhängig zu sein. Die Mitglieder des Orchesters producirten sich mit Soli auf ihren Instrumenten, und etliche waren Virtuosen, die auch nach außen hin bekannt wurden; so Dotzauer, der Cellist, der obenan steht. Für den Gesang hatte man die Einrichtung getroffen, für ein oder mehrere Jahre eine Künstlerin fest zu engagiren, und unter diesen Concertsängerinnen des Leipziger Gewandhauses treffen wir einzelne hochberühmte Namen, die Mara, die Schröter, die Häser, die Neumann-Sessi, sehr beliebt und verdient in dieser Stellung war aber später Henriette Grabau.

Mit der Einführung der Eisenbahn erlosch der Brauch des festen Engagements einer ersten Concertsängerin. In der ersten Zeit wird der Posten von Angehörigen des Dirigenten und der Concertmeister bekleidet. Demoiselle Häser war die Tochter des Concertmeisters Häser; der Concertmeister Campagnoli sah seine beiden Töchter gleichfalls in dieser Stellung, und Schicht heirathete die Concertsängerin Valdesturla, die als Madame Schicht lange Zeit fast alle Arien vortrug. Später übernahm die Tochter Beider, Fräulein Schicht, diese Stelle. Sehr oft entnahm man die Kräfte für männliche Singpartien der Leipziger Oper, und auch Studenten traten hierfür ein; außerdem stand in jeder Stimme für die Soli auch noch ein Thomaner zu Gebote. Noch unter Mendelssohn singt das Concertsolo der neunten Symphonie der Thomaner Kurzwelly, und unter Schicht finden wir als Solo-Altisten den Thomaner Reißiger, den späteren Dresdener Hofcapellmeister.

Friedrich Schneider saß öfters am Flügel, später auch Riem, der nachmalige Bremer Musicdirector. Aber die Mehrzahl der bis zum Jahre 1809 vorkommenden Clavierconcerte, die Mozart’schen und Beethoven’schen zum großen Theile, spielt eine und dieselbe Künstlerin, Frau Müller. Sie war die Gattin des Musikdirectors, und ihr Weggang ward schmerzlich empfunden; denn es schien, als seien mit ihr auch die Mozart’schen Concerte weggegangen. Ihr Gatte, der Thomas-Cantor und Musikdirector C. F. Müller, ist als Componist nicht von Belang geworden, aber als ausübender Musiker war er unschätzbar; denn er spielte Orgel, Clavier, Violine und Flöte, und dieses letzte Instrument war es, welches er im Leipziger Gewandhause in ausgezeichneter Weise vertrat.

Als Müller Leipzig verließ, um das Capellmeisteramt in Weimar zu übernehmen, trat Schicht in seine Stelle als Thomas-Cantor. Am Gewandhause behielt Schicht nur noch die Direction von Chorwerken, die von da ab nicht mehr so regelmäßig und häufig gepflegt wurden. Den Haupttheil des Directionsdienstes übernahm mit der neuen Saison 1810 Christian (Johann Philipp) Schulz.


(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Die Falknerin. (Mit Abbildung S. 777.) Die Zeit, in welcher die französischen Barone noch das Privilegium hatten, ihre Falken während des Gottesdienstes auf den Altar zu setzen, ist längst dahin. Schon im vorigen Jahrhundert ist die Falkenbaize in Europa fast vollständig aus der Mode gekommen, und wie wir in unserem Artikel über die internationale Jagd-Ausstellung zu Cleve (vergl. Nr. 45) berichteten, ist selbst die berühmteste und älteste Falknerschule in Valkenswaard in neuester Zeit zu Grunde gegangen, da die Falkoniere ausstarben. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts jagte man hier und dort noch mit Edelfalken, so z. B. zu Bedford und zu Didlington Hall in England wie auch auf dem königlich holländischen Landgute Loo. Die anmuthige Falknerin also, welche unsere Illustration darstellt, dürfte heutzutage in der Wirklichkeit schwerlich gefunden werden – das reizende Bild ist eben nur ein frei erfundenes Erinnerungsblatt aus der Zeit der alten Jagdherrlichkeit. Dagegen florirt dieser Sport noch gegenwärtig unter den asiatischen Völkern, den Indiern, Persern, Baschkiren und Kirgisen sowie bei den unbändigen Beduinen der Sahara, und dort allein dürften noch schöne Damen mit Falken auf der Hand leibhaftig zu schauen sein.



Kleiner Briefkasten.

K. M. in Dresden. Ganz recht! Der anmuthigen Feder C. del Negro’s verdanken bereits die früheren Jahrgänge der „Gartenlaube“ eine Reihe feinsinniger Schilderungen und fesselnder Artikel. Ihren Wunsch nach „mehr von dieser Kost“, in welchem Sie sich durch das stimmungsvolle Gedicht „Resignation“ in Nr. 42 unseres Blattes so sehr bestärkt fühlen, hoffen wir bald erfüllen zu können, da wir einige neue Erzeugnisse dieses ebenso eigenartigen wie geistvollen Talents in petto haben. Uebrigens befindet sich ein längerer Roman C. del Negro’s, dem Vernehmen nach, in Vorbereitung für die Buchausgabe. Also wir gratuliren Ihnen und – uns.

E. L. in G. Robespierre’s Portrait finden Sie in Lamartine’s „L’histoire des Girondins“. – Fehlende Nummern der „Gartenlaube“ (soweit sie nicht vergriffen sind) können Sie, natürlich unter voller Angabe Ihrer Adresse, von der Expedition unseres Blattes jederzeit nachbeziehen.

Marie. Befragen Sie die Direction des dortigen Theaters!


Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Als später der Bedarf von starken Rosenwildlingen immer bedeutender wurde, reichte die nähere Umgebung zu deren Production bald nicht mehr aus, und einzelne vagirende Lieferanten Herger’s erstreckten nun ihre Streifzüge weit hinein in die Thüringischen Wälder, ja sogar bis in den nördlichen Harz, in die tiefen Waldschluchten am Fuße der Harzburg.
  2. Sein Nachfolger ist Herr Conrad von Borgsdorff, als Gärtner ausgebildet in den berühmten Gärtnereien zu Muskau.
  3. Es bestand aus 16 Violinen, 3 Violen, 2 Cellos, 2 Violons, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Fagotten, 2 Hörnern, einer Laute und einem Flügel.
  4. Dieses feiert am 25. November gleichfalls ein Jubiläum, und zwar das vierhundertjährige seiner Erbauung.
  5. Schmitt in Amsterdam, nachher Musikdirector in Frankfurt a. M.
  6. Reichardt, königl. preuß. Musikdirector, † in Halle an der Saale 1814.
  7. Wahrscheinlich Karl Stamitz in Mannheim, † 1801 in Jena.
  8. J. C. Bach, Sohn von Johann Sebastian Bach, der sogenannte Londoner Bach.
  9. Madem. Podleska war später in Prag als Frau Battka eine beliebte Sängerin und ließ mit ihrer Schwester dem wackern Hiller ein Monument in Leipzig errichten.
  10. Wolff starb 1792 als Capellmeister in Weimar.