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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1879
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[377]

No. 23. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


„Da sind wir, cher Baron!... Ach Gott, wie muß ich an den armen Felix denken, wenn ich Sie sehe!... O, nicht wahr, wer hätte damals sagen sollen, daß ich so jung Wittwe werden würde? So jung! – Der Arme, nun liegt er drüben so allein! Und was hat er leiden müssen! Es war furchtbar, sag’ ich Ihnen.... Wissen Sie, für mich ist Felix eigentlich schon gestorben in dem Augenblick, wo er die schwere Wunde erhalten hatte. Ich kann Niemand leiden sehen; eine Krankenstube ist mir fürchterlich wie die Hölle – so dunkel und dumpf; dazu das schmerzliche Stöhnen, dazu die schleichenden Tritte, die gedämpften Stimmen der Pflegenden – das Alles wirkt so furchtbar deprimirend auf mich, daß ich auf und davon laufe.“

Sie unterbrach sich und wandte den Kopf zurück – ein metallbeschlagener Koffer wurde eben über die Stufen der Säulenhalle gehoben; er war gewichtiger als die anderen; man hörte das an dem Keuchen und den schwerfällig schwankenden Schritten der Diener, die ihn heraufschleppten.

„Wir beanspruchen viel Raum, nicht wahr?“ fuhr die kleine Frau lebhaft fort und deutete lächelnd auf das Gepäck. „Wir haben auch Malheur gehabt. Sehen Sie das unbeschreibliche Etwas, das meine Jungfer dort so trübselig hin- und herwendet – das war einmal ein Hut, ein allerliebstes Barett, das ich mir in Hamburg zur Austrauer gekauft hatte.... Man hat mir den Koffer scheußlich zugerichtet – eine fabelhafte Tölpelei!“

Baron Schilling ließ ihre Rechte, die er unwillkürlich zwischen seinen Händen festgehalten, plötzlich sinken. Das zierliche Wesen da vor ihm kam – wenn auch vielleicht ein wenig bleicher und schmalwangiger – genau so wieder zurück, wie es über das Meer gegangen war, als die leicht beschwingte Schmetterlingsseele, die nur um die Blumen des Lebens flattert und sich scheu von dem unwirthlichen Feld der Kümmernisse wegwendet.... Die zwei Thränen um den Todten, die sich vorhin über ihre Wangen gestohlen, waren gewiß aufrichtig gemeint gewesen, aber fast zugleich mit ihnen vertieften sich bereits die Wangengrübchen im halb schmollenden, halb schalkhaften Lächeln über die lächerliche Form eines mißhandelten Hutes.

„Haben meine Leute das verschuldet?“ fragte Baron Schilling kurz, fast finster.

„Nein, o nein! Es ist aus dem Bahnhof geschehen.... Ah bah, es hat nichts zu bedeuten! Ich werde gleich morgen nach Berlin schreiben, an meine ehemaligen Putzlieferanten, die jedenfalls noch existiren und sich närrisch freuen werden“ – sie verstummte, als habe sie sich verplaudert, und sah verstohlen seitwärts; Baron Schilling folgte der Richtung dieses Blickes, und jetzt erst bemerkte er die Gruppe, die sich nach dem Eingang des großen Corridors zurückgezogen hatte und dort in lautlosem Schweigen verharrte.

Die Hüterinnen der Flurhalle, die Karyatiden mit ihren strenggeschnittenen, weißen Steingesichtern droben am Plafond, hatten wohl noch nie auf ein solch ebenholzschwarzes, krausköpfiges Menschenwesen niedergesehen, wie es dort auf den Marmorfließen stand. Eine Negerin im Schillingshof!... Die ab- und zugehenden Leute des Hauses starrten sie an, und ihr spielte ein gutmüthiges Lächeln um den dicken, rothlippigen Mund.

Sie trug ein kleines Mädchen auf dem Arme, ein blasses, dunkeläugiges Kind in weichfallendem Cachemirüberwurf – es sah aus, als schmiege sich ein großer, weißer Falter an das Negerweib.... Das Kind hatte offenbar Furcht vor dem fremden Hause; sein dünnes Aermchen umklammerte den Hals der Trägerin, und das kleine Gesicht unter einer niedersinkenden Fluth goldblonder Haare drückte sich fest an die schwarze, feiste Wange.

Und dort, hart an der ersten Marmorstatue, stand eine Dame. In der Rechten hielt sie die Hand eines ohngefähr siebenjährigen Knaben, und die Linke stützte sich auf das hohe Piedestal des Götterbildes.... Während im Anzug der jungen Wittwe bereits das Grau und das Weiß der Halbtrauer vorherrschten, unterbrach an dieser Erscheinung auch nicht eine helle Linie das strenge Schwarz tiefer Trauer – wie eine Statue der Nacht stand sie, in ihren langwallenden Gewändern und Schleierfalten, neben der hellen Steinfigur.... Es waren zwei mächtige Augen, die unter leichtzusammengezogenen Brauen in diesem ernsten, wunderschönen Frauengesicht die lebendigen, gaukelnden Bewegungen der jungen Wittwe verfolgten.

„Mein Zuchtmeister ist ungnädig,“ murmelte Lucile mit unterdrücktem Aerger. „Kommen Sie, Baron! Meine Schwägerin, Dame Mercedes, liebt es nicht, zu warten – sie ist über alle Beschreibung hochmüthig, diese spanische Baumwollenprinzessin.“

Baron Schilling trat rasch auf die stille Gruppe zu, in die jetzt auch Leben und Bewegung kam. Die Dame legte ihren Arm um die Schultern des Knaben und bog sich so tief über ihn, daß der schwarze Krepp, der wie eine Mantille von dem schneppenartig in die Stirn gebogenen Hütchen niederhing, ihr Gesicht [378] vollkommen verdeckte. Sie flüsterte dem Kinde einige Worte zu und führte es dem Herrn des Schillingshofes um einen Schritt entgegen.

„Mein Papa läßt Dich grüßen, Onkel Arnold; er hat mir das immerfort gesagt, ehe er zum Großpapa in den Himmel gegangen ist,“ sagte der Knabe im reinsten Deutsch.

In tiefer Bewegung hob ihn Baron Schilling empor und küßte ihn wiederholt. Der Kleine, den er mit leidenschaftlicher Innigkeit an seine breite Brust drückte, glich auffallend dem blondlockigen Knaben im blauen Sammetröckchen, dem hartbehandelten armen „Colibri“, dem das rauhe Falkennest drüben nie zur Heimath geworden war – seinem Kinde sollte es besser werden....

„Du bist nun mein Junge, mein kleiner, braver José,“ sagte er.

„Ach ja, ich bitte sehr darum, cher Baron, nehmen Sie sich seiner an!“ rief Lucile. „Ich kann ihn nicht erziehen – unmöglich! Ich bin noch viel zu jung – eine so kleine, kindische Mama, wie Felix immer sagte.... Wir stehen wie Bruder und Schwester zusammen José und ich; er lacht mich geradezu aus, wenn ich einmal vernünftig sein will – bah, den Jahren nach könnten wir ja auch ganz gut Geschwister sein.... Da sehen Sie her! Paula paßt besser zu ihrem Mamachen – gelt, mein süßes Baby?“ Mit schmeichelnder Hand fuhr sie über die blonden Locken des kleinen Mädchens. „Das ist mein Abgott, müssen Sie wissen; sie soll mir Zug für Zug gleichen – finden Sie das nicht auch, Baron?“

Er antwortete nicht. Den Knaben neben sich auf den Boden stellend, trat er rasch zur Seite. Die schwarzgekleidete Dame hatte sich bis dahin vollkommen passiv verhalten, nun aber winkte sie, daß man den metallbeschlagenen Koffer, der erst jetzt aus der Säulenhalle hereingetragen wurde, zu ihren Füßen niedersetzen möchte – es war die heroische, kurzbefehlende Handbewegung einer echten Plantagenfürstin, die gewohnt ist, ein Heer von Sclaven zu commandiren. Vor dieser Geberde wich der Herr des Schillingshofes unwillkürlich zurück.

Lucile sah das und lächelte boshaft. Erst jetzt bequemte sie sich zu einigen vorstellenden Worten; fast zugleich kam auch Mamsell Birkner vom äußersten Ende des Corridors her. Durch offene Thüren hatte man das eilige Zurückschlagen der Fensterladen und das Zurechtrücken von Möbeln gehört – die Reisenden waren ja früher eingetroffen, als man erwartet – und nun meldete die Wirthschaftsmamsell, daß Alles bereit sei.

„Gottlob, daß wir unter Dach sind!“ rief Lucile und machte eine Geberde wie ein kleiner, matter Vogel, der von einem versagenden Beinchen auf das andere trippelt. „Ich bin todtmüde. Ah, ich lechze buchstäblich darnach, mich auszustrecken. Gehen wir, Mercedes!“

Mercedes bewegte sich nicht von der Stelle. „Ist die Dame des Hauses krank?“ fragte sie und richtete zum ersten Mal den Blick voll auf das Gesicht des Hausherrn.

Er kämpfte mit einer sichtlichen Verlegenheit. „Meine Frau ist augenblicklich in Rom,“ versetzte er zögernd.

Lucile lachte laut auf. „Ach, was Sie sagen! Gerade jetzt? Ja, ja, das ließ sich denken – sie ist immer so apart, Ihre Frau, cher Baron!“

Mercedes schwieg. Sie knöpfte den Handschuh an der Linken zu, zog den schützenden weißen Tüllstreifen wieder über das zarte Gesicht der kleinen Paula und ergriff José’s Hand.

„Wollen Sie die Güte haben, uns das nächste Hôtel zu bezeichnen, Herr Baron?“ fragte sie kalt höflich, aber aus ihren Augen flammte tiefverletzter, unbändiger Stolz. Schwebenden Schrittes, den Blick auf den Ausgang der Flurhalle richtend, wollte sie unverzüglich an ihm vorübergehen, aber er hob, als wolle er sie zurückhalten, unwillkürlich die Hand.

„In jeder anderen Lage würden Sie vollkommen Recht haben, die Gastfreundschaft eines Hauses zurückzuweisen, das keine Herrin hat,“ sagte er ernst und bestimmt in gedämpftem Tone. „Aber bedenken Sie wohl, gnädige Frau, daß Sie nicht als Besuch, sondern in einer Mission kommen, zu deren Ausführung gerade dieses Terrain unumgänglich nöthig ist.... Mein armer Freund hat sicher nicht gedacht, daß sein heißester Wunsch durch ein solches Bedenken in die Gefahr gebracht werden würde, zu scheitern.“ Diese letzte Bemerkung klang scharf. „Ich weiß nicht, wie lange meine Frau ausbleiben wird,“ setzte er hinzu; „aber bis zu ihrer Zurückkunft werden Sie, mit Ausnahme der nöthigen Dienerschaft, die einzigen Bewohner des Schillingshofes sein – ich selbst wohne weit drüben im Garten in meinem Atelier.“

Schon bei dem Hinweis auf ihre Mission hatte sich die Dame mit einem sprechenden Blicke auf die Kinder zurückgewendet, und nun neigte sie kurz entschlossen und zustimmend den Kopf.

Baron Schilling schritt voraus, und Lucile hing sich an seinen Arm; die Anderen folgten – auch die Kammerjungfer Minna, die den Inhalt des zertrümmerten Koffers in ihren Reisemantel zusammengerafft hatte – während Mamsell Birkner nach dem Souterrain eilte, um Erfrischungen zu beschaffen.

Draußen fuhr der Wagen fort, der die Reisenden gebracht hatte. Die Leute des Hauses – es war keiner mehr von denen dabei, die vor acht Jahren im Schillingshofe gedient hatten – standen in der Säulenhalle und blinzelten den im Corridor Verschwindenden nach.

„Der Kammerjungfer ist’s auch nicht eingefallen, den Wagen zu bezahlen; ich hab den Thaler aus meiner Tasche geben müssen – ob ich ihn wiederkriege?“ zischelte achselzuckend der Bediente. „Na, ich schreib’ ihn unserer Gnädigen in die Auslagen – die wird schöne Augen machen. Am letzten Abend vor ihrer Abreise hab’ ich’s beim Serviren mit meinen eigenen Ohren gehört, wie sie zu Fräulein von Riedt sagte, es seien spanisch-amerikanische Bettelleute. Und sie kann Recht haben. Was wird denn in dem Kofferwerk sein? Kleiderfähnchen, weiter nichts, und in dem dort“ – er zeigte auf den metallbeschlagenen Koffer – „sind Bücher und ein Bischen Wäsche; man hat das so im Griff. Unser Herr hätte die Leute in Paris kennen gelernt, sagt die Birkner; es kann sein – ich war nicht mit auf der letzten Reise. Aber die Gnädige ist toll und böse über die Einladung, das sieht ein Blinder. Hurrjeh, sechs Stück!“ zählte er an den Fingern her. „Die wollen essen und trinken. Und die Gnädige rechnet scharf – sie bekümmert sich um jeden Pfennig, der in der Küche zuviel aufgeht, und läßt keine angebrochene Flasche Wein aus den Augen. Paßt nur auf, die Gesellschaft, mit sammt ihrem Mohrenscheusal, werden wir nicht wieder los – das giebt noch einen Mordspectakel zwischen der Herrschaft.“




14.

Inzwischen hatte Baron Schilling die Angekommenen durch den Corridor geführt. Die Flügelthür am äußersten Ende stand zum Empfang weit offen; man konnte das ehemalige Familienzimmer mit seinen mächtigen Deckenbalken und holzgeschnitzten Wänden vollkommen übersehen. Es zeigte noch genau die Ausstattung wie vor acht Jahren; nur das reiche Silbergeschirr auf den Credenztischen fehlte; es war durch altes chinesisches Porcellan ersetzt worden. Hannchen schien eben noch einmal Musterung zu halten – sie stand mit dem Staubtuch neben einem der Tische.

Mit einem Blick überflog Lucile das Zimmer und fuhr zurück.

„Aber ich bitte Sie, Baron,“ rief sie ganz entsetzt und indignirt, „Sie werden uns doch nicht in den gräßlichen Salon stecken, wo es Nachts ‚trab, trab’ hinter den Wänden geht? Wissen Sie noch, wie Ihre Frau damals aufschrie? Puh, was für ein finsteres Gesicht Sie machen – man könnte erschrecken. Kann ich’s denn ändern, daß ein dummer Kindskopf solche entsetzliche Dinge niemals vergißt? Da, da ist die Stelle“ – sie zeigte nach der Wand, wo die Ruhebank mit den grünseidenen Polstern stand – „da hat es gestanden und Ihrer Frau eiskalt in das Genick gehaucht.“

„Lucile, sei kein Kind – denke an José!“ unterbrach Mercedes die Schilderung. Ihr volles Organ, das den deutschen Lauten einen fremdartigen Zauber verlieh, hatte in diesem Augenblick eine hörbare Beimischung lebhaften Verdrusses. Sie ergriff die kleine Frau sehr energisch bei der Hand und führte sie über die Schwelle.

Das wurde aber sehr übel vermerkt. Lucile lief wohl in das Zimmer hinein, aber sie riß in der That wie ein recht unartiges, verzogenes kleines Mädchen ihre Hand los.

„Ach was, ich will doch tausendmal lieber kindisch sein, als die weise Großmutter spielen“ rief sie mit hoch hinaufgeschraubter Kinderstimme. „Bah, warum soll denn José nicht wissen, daß es hier spukt? Lächerlich! Frage doch Deine Deborah!“ – sie [379] zeigte kichernd nach der Negerin – „sie weiß fabelhaft viel Gespenstergeschichten, eine gruseliger als die andere, und während Du Felix in der Krankenstube die Zeitungen vorlasest, habe ich gar oft neben José draußen in der Veranda gekauert und Deborah zugehört. Wir haben uns stets um die Wette gefürchtet, gelt José?“

Die Schwarze sah erschrocken nach ihrer Herrin und stellte schleunigst Paula auf einen Stuhl, um ihr Hut und Reisemantel abzunehmen. Lucile aber streifte die Handschuhe ab, nahm mit graziös übermüthiger Geberde den Hut vom Kopf und das Jaquet von den Schultern und warf Stück um Stück der Kammerjungfer hin, die es auffing – dann ließ sie sich in die Kissen der nächsten Ruhebank sinken. „Meinetwegen! Ich bin sterbensmüde und habe vorläufig nur das eine brennende Verlangen, zu ruhen.“ Sie drückte sich, gliedergeschmeidig wie eine kleine Katze, in die Seidenpolster. „Ihr Poltergeist wird ja wohl so viel Tact haben, uns wenigstens am hellen, lichten Tage ungeschoren zu lassen, cher Baron!“ ironisirte sie selbst ihre Furcht mit einem Schelmenblick von unten herauf. „Pah, ein Selbstmörder ist er gewesen! Ach ja, wie war denn das eigentlich? Hatte der Mann nicht gestohlen oder den lieben, alten, prächtigen Freiherrn betrogen –“

„Er hat weder gestohlen noch betrogen, der ehrliche, brave Adam,“ schnitt Baron Schilling rauh das Geplauder ab und blickte besorgt nach dem jungen Mädchen am Credenztische, unter deren Händen das aufgestellte Porcellan plötzlich stark an einander klirrte. Aus ihrem erblaßten Gesicht glühten die Augen in verhaltenem Grimme die kleine Frau in der Polsterecke unverwandt an.

Baron Schilling winkte ihr, die bepackte Kammerjungfer in das anstoßende Zimmer zu führen, und als sie mit gesenkten Lidern an ihm vorüberging, da strich seine Hand lind und tröstend über ihren dunklen Scheitel.

„Gelt, Hannchen, wir wissen das besser,“ sagte er mit seiner schönen, mitleiderfüllten Stimme.

Lucile fuhr empor.

„Wie, Hannchen sagen Sie? Die große, hübsche Person da wäre das barfüßige, kleine Ding, sein Kind, das damals so –“

Er trat ihr rasch näher.

„Gnädige Frau, ich muß Sie dringend bitten, mit dergleichen Reminiscenzen zurückzuhalten,“ fiel er ihr in’s Wort, ohne die Indignation, die Ungeduld zu verbergen die ihm in jedem Nerv zu prickeln schien. „Sie wissen, warum Sie hierher gekommen sind; Sie wissen auch, daß die Leute im Schillingshof vorläufig nicht ahnen sollen, wer Sie sind –“

„Ach ja, ich weiß meine Lection schon,“ unterbrach sie ihn mit einer lässigen Handbewegung. „Ich habe Sie und Ihre Frau in Paris kennen gelernt, bin einfach hier, um mich zu erholen und in der kräftigen, urdeutschen Luft robuste Nerven zu bekommen, und so weiter; – eine haarsträubend langweilige Rolle, wie Sie mir zugeben werden.“

Zuerst hatte sie ihn mit großen Augen angesehen – diese energische Zurechtweisung von Seiten eines Mannes mochte „das vergötterte Elfenkind“ ein wenig verblüffen. Nun aber warf sie sich zurück und legte die hoch gehobenen Arme verschränkt unter den Kopf.

„Ich will Ihnen etwas sagen, Baron Schilling. Hätte mich nicht seit Jahren die Sehnsucht nach Europa, nach den alten Verhältnissen, die ich dummer Backfisch damals wahnwitziger Weise aufgegeben hatte, insgeheim gepeinigt und verzehrt, ich wäre nicht um die Welt hierher gegangen – darauf können Sie sich verlassen. Die Idee an sich ist mir immer unfaßbar gewesen – der arme Felix hatte sich eben mit der ganzen Fieberhitze seiner Krankheit hinein verrannt. Ich frage – was gewinnen wir denn damit? Wir sind reich –“

Baron Schilling sah überrascht empor; – Mercedes, die in eine der Fensternischen getreten war, wie um einen Blick in den Vorgarten zu werfen, blickte ihn mit ihren großen, stolzen Augen ausdrucksvoll an; sie legte flüchtig den Zeigefinger auf die Lippen.

„Immense reich, sag’ ich Ihnen,“ fuhr Lucile fort, die diesen Austausch der Blicke nicht bemerkt hatte. „Felix war stets in der Lage, alle meine Wünsche zu erfüllen, und wenn mein toller Kindskopf auf den Einfall gekommen wäre, unseren Wagenpferden massiv goldene Hufeisen zu geben und das Riemenzeug mit Brillanten besetzen zu lassen, er hätte es gedurft. Augenblicklich werde ich freilich knapper gehalten; die dumme Vormundschaft, von der ich rein gar nichts verstehe und die mich deshalb dupiren und an der Nase führen kann, wie sie gerade Lust hat, und auch andere widerwärtige Schulmeister“ – sie verstummte und streifte mit einem feindseligen Blick die Fensternische – „bah, das wird sich ja schließlich auch abschütteln lassen – mir ist nicht bange,“ setzte sie gleich hinzu, übermüthig die Locken zurückwerfend und mit dem kleinen Absatze auf den Fuß der Ruhebank hämmernd. „Enfin, wir brauchen die zusammengescharrten Milch- und Buttergroschen, von denen mir Felix einmal erzählt hat, absolut nicht.“

Inzwischen hatte Mercedes Hut und Reisemantel abgelegt. Der alte Miniaturmaler, den der reiche Plantagenbesitzer in Südcarolina so hoch geschätzt hatte, war in der That ein Meister gewesen. Das dreizehnjährige Mädchengesicht auf der Elfenbeinplatte und der junge Frauenkopf dort unter der grünen Seidengardine zeigten heute noch die gleichen wunderbar zarten Linien, das seltsame Colorit, das an die leuchtende hellste Nüance des Bernsteins erinnerte. Nun war sie, deren Augen einst aus fast märchenhafter Ferne her vorausgeleuchtet hatten, leibhaftig unter dem nordischen Himmel erschienen; das überreiche, nachtdunkle Haar voll aufgestreuter blauflimmernder Reflexe, die Gestalt schlank und biegsam, mit herrlich stolzer Nackenwölbung – so stand sie in demselben Zimmer, wo damals ein übermüthiger Mädchenmund von ihr als „der kleinen Buckligen“ gesprochen hatte.

Langsam zog sie die Handschuhe von den Händen und rückte den verschobenen Trauring sorglich wieder an Ort und Stelle; dabei sagte sie zu ihrer Schwägerin hinüber mit seltsam frostiger Zurückhaltung:

„Es handelt sich in erster Linie um die Zuneigung der Großmutter.“

Lucile schnellte empor und preßte beide Hände auf die Ohren.

„Wenn ich nur diese Phrase nicht mehr hören müßte!“ rief sie ärgerlich. „Ach, cher Baron, was hat man in diesem Amerika aus der kleinen, muthwilligen Lucile gemacht! Es ist zum Erbarmen. Monatelang vor Felix’ Tode war diese widerwärtige Großmutterversöhnung das stehende Thema in der Krankenstube, und ich armer Wurm mußte zu Allem pflichtschuldigst mit dem Kopfe nicken, wenn ich nicht haarsträubende Grobheiten von den Aerzten und Zurechtweisungen von Dame Mercedes schlucken wollte. Aber nun bin ich wieder ich; nun spiele ich nicht mehr, ‚und damit Punctum!’ hieß es allemal beim alten, guten Freiherrn, der nun auch todt ist. Ich möchte wohl wissen, was er sagen würde, daß meine Kinder hierhergeschleppt werden, damit sie um ,Zuneigung’ betteln bei dem ordinären Weibe, das er nicht ausstehen konnte, das er genau so grimmig haßte wie ich! Aber sie soll mir nur kommen! Sie soll sich nur unterstehen, meine süße Paula mit ihren groben Küchenhänden anzufassen!“

Sie unterbrach sich und streckte die Hand triumphirend gegen ihre Schwägerin aus.

„Drüben hattest Du immer nur ein stolzes Aufwerfen der Lippen oder eine messerscharfe Bemerkung als Antwort, wenn ich mich gegen den unsinnigen Plan sträubte – Du wußtest es ja besser, natürlich! Als ich Dir aber vorhin im Vorüberfahren das kostbare, alte Mönchsnest zeigte, da war es aus und vorbei mit dem Heldenmuth, den Illusionen – da wurdest Du leichenblaß. Du sahst aus wie der Schrecken selbst.“

Mercedes biß sich auf die Lippen und bog ihr Gesicht einen Moment über José, der in sichtlicher Scheu vor der neuen Umgebung zu ihr geflüchtet war und die kleinen Arme um ihre Hüften gelegt hatte.

„Um dieses Erbleichen weiß ich – ich fühle, wie mir immer das Blut nach dem Herzen zurückdrängt, seit die deutsche Luft mich anweht,“ sagte sie nach einem augenblicklichen Schweigen gepreßt, und ihr finsterer Blick sah über den ihr ziemlich nahestehenden Herrn des Schillingshofes hinweg, wie in eine schrankenlose Weite hinein. „Ich dachte nicht, daß sich meine ganze Natur gegen sie empören würde, weil ich ja vom Vater her deutsch bin – jetzt weiß ich, daß er mir weder Sympathie, noch Heimgefühl vererbt hat für dieses Land, in welchem er so unglücklich gewesen ist.“ Sie hatte nicht zu versichern gebraucht, daß ihr das heiße Blut überwältigend durch das Herz stürme; man hörte es aus diesen tiefen, leidenschaftlich gefärbten Tönen. „Ich bin mir genau bewußt, was ich Felix versprochen habe, aber – mir graut vor dem verfallenen Hause; es sieht aus, als wohne der Hunger darin und die Armseligkeit, die Gemeinheit – und dort soll ich die Großmutter unserer Kinder suchen?“ Beide Hände um den [380] Blondkopf des Knaben verschlingend, drückte sie ihn an sich in leidenschaftlicher Zärtlichkeit, aber auch voll des ausgesprochensten beleidigten Hochmuthes. „Ich kenne die Vergangenheit meines Vaters,“ fuhr sie nach einem tiefen Athemzuge mit tonlos fallender Stimme fort, „und doch ist mir jetzt, als sähe ich eine verleugnete dunkle Stelle seines Lebens, weil er sich aus dem obscuren Winkel die Vorgängerin meiner stolzen Mutter geholt hat.“

Lucile hatte sich anfänglich mit lächelndem Behagen wieder zurückgelehnt und ließ die Silberquaste des Kissens, auf welches sie den Arm stützte, durch die Finger laufen. Ihr pikantes Gesichtchen mit den boshaften Augen strahlte förmlich – „Dame Mercedes“ blamirte sich ja gleich in der ersten Stunde gründlich mit ihrem spanischen Dünkel vor dem deutschen Edelmann. Schon jetzt mußte es ihm klar werden, was man unter diesem Zuchtmeister zu leiden hatte. Aber sie fand plötzlich, daß er gar nicht mehr der nette Baron Schilling sei, dem man einst gut sein mußte wie einem wackeren, verträglichen Cameraden. Sie fand ihn impertinent in seiner Haltung, impertinent in seinem Wesen – was brauchte er denn so andächtig auf die erbitterte Philippika der gelben Spanierin gegen Deutschland zu lauschen, als sei sie ein Evangelium? Und sie, die Hauptperson, Lucile Fournier, Lucian’s Wittwe, die er beschützen sollte als das hinterlassene Kleinod des Freundes, sie ließ er unbeachtet in ihrem Sophawinkel sitzen, wie die hölzerne Ankleidepuppe in seinem Atelier – der Unmensch!

Die Silberquaste in ihrer Hand schwirrte an der langen Schnur wie ein toller Kreisel in der Luft, und der kleine Fuß trommelte in beschleunigtem Tempo gegen das Ruhebett. „Armseligkeit, Gemeinheit, obscurer Winkel!“ wiederholte sie mit Pathos; dann lachte sie laut auf. „Das Klostergut hat sich ja ganz nett präsentirt – ich bin gerächt, furchtbar gerächt! – Ach, wie muß ich an den Abend denken, wo wir – der arme Felix und ich – aus der schauderhaften, dunklen Höhle flüchteten! Dann kamen wir hierher wie ein paar verirrter Kinder, und da war lauter Licht und Glanz. Ihre Frau, cher Baron, saß dort auf dem Lehnstuhle und stickte – sie stickt wohl immer noch? – und – ach, da fällt mir ein: existirt denn die kleine Bestie, die Minka, noch, die eine so besondere Liebhaberei für Miniaturportraits hatte?“

Jetzt wandte er ihr mit einer jähen Bewegung das Gesicht zu.

„Aber ich bitte Sie, wollen Sie mich denn mit Ihrem Blicke aufspießen?“ fuhr sie mit einer drolligen Entsetzensgeberde zurück. „Mein Gott, was hab’ ich denn nun wieder verbrochen? – Es scheint, man wird hier stumm sein müssen wie ein Karthäuser, wenn es schon Sünde ist, nach dem Affen Ihrer Frau zu fragen. Sagen Sie mir, weshalb alteriren Sie sich denn eigentlich, cher Baron? Mercedes’ wegen? Da können Sie ganz ruhig sein – ich habe ihr die amüsante Geschichte längst erzählt. Sie nimmt zwar stets eine gelangweilte Miene an, wenn man ihr vorplaudert – wissen Sie, so eine Art Grandenmiene, die furchtbar imponirt – aber die Geschichte mit der Elfenbeinplatte hat sie doch ohne Gnade zweimal hören müssen.... Ah bah – Sie werden doch nicht dafür büßen wollen, daß Ihre Frau damals Minka’s Amüsement in der Fensterecke stillschweigend begünstigt hat, weil sie das Bild in Ihrem Besitz nicht dulden wollte?“

Sie hatte Recht, wenn sie meinte, der Baron alterire sich – bei ihren letzten Worten wurde er ganz blaß. „Ihr lebhaftes Naturell schafft sich einen weiten Spielraum bezüglich der Auffassung, Frau Lucian,“ sagte er gereizt.

„Wie, Sie wollen doch nicht sagen, das Alles sei nicht wahr?“ fuhr sie auf und stand mit einem Rucke auf ihren beiden kleinen Füßen. „Gehen Sie doch!“ setzte sie erbittert hinzu. „Haben Sie nicht selbst die Splitter aufgelesen? Und wollten Sie nicht das Elfenbein wieder zusammenleimen für den alten Freiherrn, oder für“ – sie zuckte die Achseln – „nun meinetwegen – was weiß ich!“

„Für mich selbst,“ fiel er ruhig ein.

Sie lachte gezwungen auf. „Ach ja, ich erinnere mich – und es existirt wirklich noch?“

„Ja.“

Bei dieser lakonisch gegebenen Antwort trat Donna Mercedes rasch näher. Die boshafte Schilderungsweise der kleinen Frau hatte ihr im stürmischen Wechsel Glut und Blässe über das Gesicht gejagt. Mit einem kalten Lächeln, aber stolz, trat sie auf den Baron zu.

„Ich darf mir wohl gelegentlich das Portrait zurückerbitten,“ sagte sie mit gedämpfter Stimme.

Er griff in die Brusttasche und überreichte ihr schweigend ein kleines, schmuckloses Etui. Fast sah es aus, als weiche sie zurück vor dieser raschen, kühlen Art der Erfüllung. Sie schlug die Augen bestürzt, aber auch pikirt zu ihm auf, und ein feiner Zug von Caprice flog um ihren kleinen Mund, während sie das Etui nachlässig in die Tasche gleiten ließ.

In diesem Augenblicke trat der Bediente mit einem vollbesetzten Kaffeebrete in den Salon. Mamsell Birkner kam auch nach – sie trug ein Körbchen, das mit Beerenobst gefüllt war. Zugleich ließ sich draußen in der Flurhalle die mächtige Stimme eines Hundes hören.

„Pirat ist endlich da, Tante,“ rief der kleine José jubelnd und rannte hinaus in den Corridor. Gleich darauf kam er wieder herein – die Arme um die breite Brust der riesenhaften Dogge geschlungen, ließ er sich von dem Thier förmlich in das Zimmer schleifen. Hinter dieser Gruppe trat ein großer, breitschulteriger Neger auf die Schwelle; er verbeugte sich tief vor Donna Mercedes und entschuldigte sein verspätetes Nachkommen vom Bahnhof mit der Umständlichkeit, welche die Bahnbeamten wegen des Hundes und einiger zurückgebliebener große Gepäckstücke gemacht hätten. José war plötzlich wie umgewandelt. Nun Pirat’s Stimme in dem fremden Hause laut geworden und seine Riesengestalt in plumper Wiedersehensfreude genau so zuversichtlich durch den Salon trabte, wie im Familienzimmer weit drüben über dem großen Wasser, nun fühlte er sich auch heimisch.

„Ach, ich hatte schreckliche Angst um Pirat!“ sagte er sichtlich erleichterten Herzens zum Baron, der mit der Rechten schmeichelnd über den Kopf des schönen Thieres strich. „Er heulte so furchtbar im Hundewagen, und da bellten alle anderen Hunde auch wie wüthend; ich dachte, sie würden sich alle todtbeißen. Pirat ist sehr wild, mußt Du wissen; Jak sagt“ – er zeigte nach dem Farbigen, der Mercedes eben einen mitgebrachten kleinen Handkoffer übergab – „er bekäme zu viel Fleisch, immer eine ganze Schüssel voll. Wird er das hier auch bekommen, Onkel? Und wo ist denn sein Haus? Bei Tante Mercedes war sein Haus so groß, daß ich mich auch mit hineinsetzen konnte.“

Baron Schilling lachte. „Sorgen Sie dafür, daß drüben aufgeschlossen und frisches Stroh eingestreut wird!“ befahl er dem Bedienten, der bei Erwähnung der vollen Fleischschüssel höhnisch unter den gesenkten Lidern hervor nach dem Hunde geschielt und schon einige Mal mit entschiedener Indignation seine Beine in Sicherheit zu bringen gesucht hatte, wenn das Thier ihm zu nahe gekommen war.

„Zu Befehl!“ sagte er unterwürfig. „Aber verzeihen der gnädige Herr – es ist nur von wegen der gnädige Frau Baronin – der kleine Stall ist zu nahe beim Hause; die Leda, die der gnädige Herr vom Herrn Grafen Rainer bekommen hatten, bellte nicht halb so laut wie der Hund da, und mußte doch fort, weil die gnädige Frau den Spectakel nicht vertragen konnte.“

„O, muß Pirat auch fort, Onkel?“ rief José in athemlosem Schrecken.

„Ei was denkst Du, mein Junge?! Dein Spielcamerad bleibt im Schillingshof so gut wie Du selbst. – Komm! Wir wollen ihm drüben bei mir ein behagliches Absteigequartier zurecht machen.“

Er nahm das Kind bei der Hand, winkte dem Neger, ihm zu folgen, und verabschiedete sich mit einer Verbeugung von den Damen, während der Hund mit einem betäubenden Freudengebell voraussprang.


(Fortsetzung folgt.)
[381]

In der Kirche.
Nach dem Gemälde von O. Wergeland auf Holz übertragen.

[382]
Verbesserte Kochapparate.

Einiges aus der Physik der Küche.

Von Fr. Dornblüth.


Trotz aller Fortschritte der Technik lassen die heutigen Heiz- und Kocheinrichtungen noch außerordentlich viel zu wünschen übrig, auch in den Häusern des sogenannten gebildeten Mittelstandes.

Beim Heizen wie beim Kochen wird ganz ungeheuer viel Brennmaterial verschwendet, und zwar leider am allermeisten von denjenigen Theilen der Bevölkerung, die ganz vorzüglich auf sparsame Ausnutzung der kostbaren Feuerung angewiesen sind. Hier finden wir noch die schlechtesten, wahre Unmassen von Feuerung verschlingenden Oefen, die oft nur jähen Wechsel von kalter und überhitzter Luft zulassen und daneben noch die Zimmerluft durch ihre Ausdünstungen verderben; hier finden wir noch immer den offenen oder schlecht geschlossenen Kochtopf auf offenem Feuer mehr im Gebrauch, als alle anderen Kocheinrichtungen und Kochweisen zusammengenommen. Und doch ist dieser Gebrauch mit einer ganz unglaublichen Wärmeverschwendung verbunden, ganz abgesehen von der Schwierigkeit, das Feuer gehörig in Brand zu bringen, von der Belästigung der Köchin und Hausfrau, die nur zu oft mit thränenden Augen und keuchendem Husten gegen den Rauch ankämpfen oder zwischen offenen Fenstern und Thüren einerseits und einem riesigen Rauchfang andererseits in fliegendem Zuge verweilen müssen, von einer mangelhaften Zubereitung und häufigem Rauchigwerden der Speisen, endlich von der Nothwendigkeit einer fortgesetzten Aufmerksamkeit, um bald das Kochen gehörig im Gange, bald das fast unvermeidliche Ueberkochen in Schranken zu halten.

Denn was ist jener dichte Qualm und Rauch, der von diesem Feuer aufsteigt, obgleich es ja nur mit leicht brennender Feuerung gespeist werden kann, in der Hauptsache anderes, als unverbrannte Theile der Feuerung, die nicht nur ohne Nutzen fortgehen, sondern auch noch Hitze bei ihrer Austreibung verzehren? Die Verbrennung der Feuerung besteht ja bekanntlich darin, daß der Kohlenstoff und der Wasserstoff derselben sich unter Entwickelung von Licht und Wärme mit dem Sauerstoff der Luft zu Kohlensäure und Wasser verbinden. Kann nun nicht genügend Sauerstoff an die Kohlentheilchen hinantreten oder ist andererseits der Luftzug zu stark, so entweichen unverbrannte Kohlentheilchen, die sich als Ruß niederschlagen, und unvollständig verbrannte Verbrennungsgase, wie Kohlenoxydgas u. dergl. m.

Mit diesen Stoffen gehen fünfzehn bis zwanzig Procent der Heizkraft verloren. Der am Boden des Kochgeschirres sich absetzende Ruß verhindert als schlechter Wärmeleiter den Uebergang der Wärme auf den Inhalt des Topfes und trägt auch hierdurch zum Verlust an Heizkraft bei. Hiervon kann man sich leicht überzeugen, wenn man ein blankgeputztes und ein berußtes Gefäß von übrigens gleicher Beschaffenheit, welche gleichviel Wasser enthalten, über zwei Spiritus- oder Gasflammen von der nämlichen Stärke erhitzt: das Wasser in dem blanken Gefäß wird rascher zum Kochen kommen, als das in dem berußten.

Hiermit ist aber der unnütze Wärmeverlust noch keineswegs erschöpft: außer der strahlenden Wärme, die sich nach allen Seiten hin verbreitet, nimmt die rasche Strömung der erhitzten Luft und der Brenngase, welche neben den Wänden des Kochgefäßes aufsteigt, sehr viel Wärme mit sich fort, von der nur ein äußerst geringer Bruchtheil zur Erwärmung des Gefäßes beitragen kann. Genaue Beobachtungen ergeben, daß hiermit noch fünfundsiebenzig bis achtzig Procent der erzeugten Wärme verloren gehen, sodaß schließlich von dem ganzen kostbaren Feuer nur fünf Procent oder der zwanzigste Theil, oder selbst noch weniger zur nutzbaren Verwendung kommen.

Diese Mängel des offenen Feuers können vermindert werden, wenn man das Brennmaterial auf einem von niedrigen Wänden umgebenen Rost entzündet, durch welchen von unten her die erforderliche Menge Luft hinzutritt, während ein Kaminhut von der Form eines umgekehrten Trichters, dessen Rand sich etwa drei Fuß über dem Herde befindet, den Rauch ableitet. Auch Spiritus-, Gas- und Petroleumkocher erhalten ihre Luftzufuhr von unten, während seitliche Luftströmungen durch Blechcylinder und andere Schutzwände abgehalten werden.

Durch diese Einschließungen sucht man gleichzeitig die zur vollständigen Verbrennung erforderliche Luft- oder vielmehr Sauerstoffmenge an die Stelle der Verbrennung zu bringen. In den Gaskochern vermischt sich schon unter dem Drahtnetze, über welchem die Flamme brennt, Luft mit dem Gase und bildet eine Art leicht brennlichen Knallgases, welches bei seiner Entstehung explodiren würde, wenn es nicht durch das Drahtnetz gegen die Entzündung geschützt wäre. Die niedrigen Flammen, in welchen eine vollständige Verbrennung des Leuchtgases (Kohlenstoff- und Wasserstoffgas) zu Kohlensäure und Wasser stattfindet, entwickeln die größtmögliche Wärme, viel größere als leuchtende Gasflammen, weil in diesen wegen ungenügenden Sauerstoffzutritts Brenngase, besonders Kohlenstoff, in beträchtlicher Menge verloren gehen.

In den Erdöl- oder Petroleumkochern brennt das Erdöl unter einer gespaltenen, den Schnitt- oder Spaltbrennern der Lampen ähnlichen Blechkuppel, welche, wenn Erdöl und Docht gut sind und die Lampe nebst Umgebung rein gehalten wird, eine ziemlich vollkommene Verbrennung mit bedeutender Wärmeentwickelung bewirkt. Die Umgebung der Flammen mit einem Blechmantel sowie das Aufsetzen von Cylindern bezwecken die Abhaltung seitlicher Luftströmungen, die Verstärkung des zur Speisung der Flamme ansteigenden Luftstromes, endlich die Richtung des heißen Luftstromes gegen den Boden des Kochgefäßes.

Bei dem jetzt so niedrigen Preise des Petroleums und bei der bequemen Handhabung und Verwendbarkeit der Petroleumkochmaschinen haben sich dieselben rasch eine außerordentliche Verbreitung errungen. Aber auch bei ihnen findet, wie wir bald sehen werden, wegen der mangelhaften Einrichtung der Kochgeschirre noch eine große Vergeudung von Wärme statt.

Sparsame Leute benutzen im Winter vielfach den Zimmerofen zum Kochen, wobei sie aber unbewußt meistens große Verschwendung begehen und Uebelstände in den Kauf nehmen müssen, welche die vermeintlichen Vortheile völlig aufheben.

Am unzweckmäßigsten ist unbedingt die Benutzung des Feuerraums der Oefen zum Kochen, was ja überhaupt nur in den alten Oefen mit großem Feuerraum angeht. Der Topf steht vor dem Feuer; er bekommt also wenig mehr als die strahlende Wärme, während er von der andern Seite und oben durch den Luftzug abgekühlt wird, der zugleich, über die Flammen hinweggehend und deshalb nichts zu ihrer Speisung beitragend, die Brenngase abkühlt und viel Wärme zum Schornstein hinausführt. Auch das Kochen auf eisernen Oefen oder auf eisernen Platten von Kachelöfen verzehrt wegen der Entfernung der Kochfläche vom Feuer viel mehr Feuerung, als wenn das Kochen auf eigenem, richtig wirkendem Feuer geschieht. Die Verderbniß der Zimmerluft durch Wasserdämpfe und Speisedünste ist auch ein großer Uebelstand dieses Verfahrens, das nur deshalb für sparsam gehalten werden kann, weil die Hitze unbemerkt zum Schornstein hinausgeht. Zimmeröfen können nur dann einigermaßen zweckmäßig zugleich zum Heizen und Kochen dienen, wenn sie einen geschlossenen, von Zügen umgebenen und nahe über dem Feuer liegenden Raum (sogenannte Röhre) besitzen, aus welcher ein Rohr die aus den Speisen entwickelten Dämpfe in den Schornstein hinausführt, wie ich es in meiner „Schule der Gesundheit“ beim russischen Ofen und bei „Ritzenfeld’s Kochofen“ beschrieben und abgebildet habe. Immerhin wird höchst wahrscheinlich auch bei dieser Einrichtung beträchtlich mehr Feuerung, als nöthig, verbraucht.

Die sogenannten geschlossenen Kochherde, in denen Holz, Torf, Braun- und Steinkohlen oder Coaks gebrannt werden, haben in neuerer Zeit wesentliche Verbesserungen erfahren. Der möglichst enge Feuerraum wird jetzt hauptsächlich von unten und nur aushülfsweise von vorn, durch Regulirthüren, mit so viel Luft gespeist, wie gerade zur vollständigen Verbrennung nöthig ist, und die Gefäße hängen theils nahe über dem Feuer, theils werden die zu erhitzenden Flächen und Innenräume Brat- und Backöfen etc.) von der in engen und gewundenen oder gebrochenen Canälen strömenden heißen Feuerluft be- und umspült. Ob diese Herde von Eisen oder aus Backsteinen construirt sind, macht keinen wesentlichen Unterschied; die Hauptsache ist: möglichst vollständige Verbrennung der Feuerung und Ausnutzung der erzeugten Hitze für die Zwecke des Kochens. Die erzeugten Dämpfe [383] können auch hier entweder durch einen Kaminhut, oder durch eine mit stellbarer Jalousieklappe versehene Oeffnung im Schornstein abgeleitet werden.

Die Thatsache, daß auch in diesen Herden theils durch die zur Unterhaltung des Feuers nothwendige Luftströmung, theils durch Mittheilung und Ausstrahlung in den Küchenraum, theils endlich durch zu starkes und zu langes Kochen noch viel Hitze verloren geht, hat zu besonderen Vorrichtungen Anlaß gegeben, in welchen diese Uebelstände auf ein sehr geringes Maß eingeschränkt sind. Solche sind die sogenannten Gruden oder Pfennigherde, bis auf ein Dunstrohr geschlossene Kästen, auf deren Boden ein Gluthfeuer von Braunkohlencoaks gemacht wird, während die Kochgeschirre auf einem Roste über demselben stehen. In dem „Lehrreichen Bilderbuch für Hausfrauen“ etc. (Zürich, Schmid, 1878) sind solche Gruden aus der Fabrik von Senking in Hildesheim abgebildet und beschrieben. Für einen einfachen Haushalt von zehn bis zwölf Personen soll man täglich nur für ungefähr zwölf Pfennig Coaks verbrauchen.

Die Erfahrung, daß zur Unterhaltung des Kochens viel weniger Wärme gehört, als zur vorgängigen Erreichung des Siedepunktes, und ferner, daß heiße Körper ihre Wärme sehr lange bewahren, wenn der Wärmeverlust durch Einhüllung in schlechte Wärmeleiter möglichst verhindert wird, hat zu der Erfindung des Norwegischen Selbstkochapparates von Sörensen geführt. Dieser besteht aus einem genau verschließbaren, inwendig mit einer dichten Filzmasse aus Thierhaaren ausgekleideten Holzkasten, in welchem ein oder mehrere Räume zum Hineinstellen passender Kochgeschirre enthalten sind. Diese aus Weißblech angefertigte Geschirre werden auf dem Feuer oder im Kochofen nur bis zum Sieden ihres Inhaltes erhitzt und dann in den Kasten eingeschlossen. Erbsen, Fleisch, weiße Bohnen und trockene Gemüse durch fünfzehn Minuten, Milchreis durch zehn Minuten angekocht, finden sich nach drei bis fünf Stunden in dem Apparate gar. Kartoffeln brauchen nur acht Minuten zu kochen und sind schon nach einer Stunde gar.

Diese Apparate theilen den Mangel einer größeren Verbreitung mit vielen Verbesserungen auf anderen Gebieten, die auch wohl nur durch Vervollständigung des Unterrichts besonders in Bezug auf Haushaltskunde und Kochkunst dort Eingang finden werden, wo derselbe am meisten nöthig thut, nämlich im Haushalt der Unbemittelten.

Wenig beachtet ist die große Wärmeverschwendung durch Verdampfung des Kochwassers. Im offenen oder lose bedeckten Kochtopf verwandelt sich das Wasser bekanntlich in Dampf, sobald es die Wärme von 80° Réaumur oder 100° Celsius erreicht hat; alle von da ab noch zugeführte Hitze bewirkt nur, je verstärkter, eine desto raschere und stürmischere Dampfbildung, die oft zugleich werthvolle Bestandtheile der Speisen (im Küchendunst erkennbar) mit sich fortreißt. Die überflüssig zugeführte Hitze steckt in dem Dampf, und zwar ist zur Verwandelung einer gewissen Menge Wasser in Dampf ebenso viel Wärme nöthig, wie zur Erwärmung einer fünfeinhalbmal größeren Wassermenge von 0° bis auf 80° Réaumur.

Wird aber durch Verschließen des Topfes das Entweichen des Dampfes und wegen des dadurch entstehenden höheren Druckes die Dampfbildung verhindert, oder wenigstens erheblich erschwert, so bleibt die zugeführte Wärme in dem Topfe, das Wasser in demselben wird heißer und gewinnt dadurch eine beträchtlich größere Lösungsfähigkeit. Das geschieht im Digestor oder Papinianischen Topf, auch Bouillontopf genannt. Diese Töpfe und starke, eiserne Gefäße mit luftdicht schließendem Deckel und einer kleinen, vermittelst eines Druckventils geschlossenen Oeffnung, durch welche der Dampf bei zu hoher Spannung entweicht, um das Sprengen des Topfes zu verhüten. Der gleiche Zweck wird auch durch eine Druckfeder erreicht, welche den Deckel so fest gegen den Rand des Topfes preßt, daß er erst bei einer gewissen Höhe der Dampfspannung aufgehoben wird und den Dampf entweichen läßt. Gute Fabriken geben nur sichere und erprobte Töpfe ab. Die Gefahr ist alsdann ausgeschlossen, wenn das Ventil in Ordnung, das heißt die Oeffnung durchlässig und das dieselbe verschließende Gewicht hinlänglich beweglich, beziehentlich die Druckfeder nachgiebig genug ist. Im entgegengesetztem Fall kann allerdings durch die Erhitzung eine Explosion mit Zersprengung des Topfes stattfinden, wobei nicht nur durch die Stücke des letzteren, sondern auch durch den gewaltsam entweichenden heißen Dampf böse Verletzungen verursacht werden können. Solche Verbrennungen können auch vorkommen, wenn der erhitzte Topf geöffnet wird, ehe derselbe sich unter Entweichen des Dampfes durch das Ventil hinlänglich abgekühlt hat.

Im Digestor läßt sich die Hitze so hoch steigern, daß man Knochen und sogar Holz in Brei verwandeln kann; bringt man seinen Inhalt aber nur zum Sieden und läßt ihn dann auf gelindem Feuer so weiter kochen, daß der Dampf in gleichmäßiger Stärke aus dem Ventil abströmt, so erreicht die Hitze im Wasser etwa 85 Grad Réaumur und ist dann am geeignetsten zur Bereitung von Fleischbrühe, Hülsenfrüchten u. dergl. m.

Den Digestor kann man auch benutzen, um auf sehr sparsame und für den Geschmack und Nahrungswerth der Speisen sehr vortheilhafte Weise dieselben in heißem Dampf statt in Wasser gar zu machen. Zu diesem Zwecke wird in den Digestor, etwa in einem Drittel seiner Höhe, eine Art Rost oder Sieb angebracht, auf welchen die Nahrungsmittel (Fleisch, Kartoffeln, Gemüse etc.) gelegt werden, während nur der untere Raum Wasser enthält, sodaß die Speisen nicht von letzterem, sondern nur von dem beim Kochen aus ihm aufsteigenden heißen Dampf umspült und durchdrungen werden.

Beim Digestor beruht die Ersparung an Feuerung darauf, daß nur ein kleiner Theil des erzeugten Dampfes durch das Ventil entweicht, während die hohe Wärme im Innern des Topfes zum raschen Garwerden der Speisen vollständig ausgenutzt wird; sie gestatten eine sehr mannigfaltige Verwendung und ersetzen die Anschaffungskosten in kurzer Zeit durch ersparte Feuerung.

Auf etwas andere Art wird der beim Kochen erzeugte Wasserdampf in den Etagengeschirren ausgenutzt, als deren Muster der Warren’sche Kochapparat angesehen werden kann. Dieser Apparat besteht aus drei oder vier auf einander zu stellenden, genau in einander gefugten und mit einem ebenfalls dichtschließenden Hohldeckel versehenen Gefäßen. Das unterste Gefäß enthält das zur Dampferzeugung bestimmte Wasser und ist durch ein aufsteigendes Rohr mit den anderen Gefäßen und dem Deckel verbunden, durch welches der Dampf aufsteigt und, nachdem er durch die Abkühlung im Deckel zu Wasser verdichtet ist, wieder heruntertropft. Das zweite Gefäß mit einem Siebboden ist für das Fleisch bestimmt; läßt man den Saft heruntertropfen, so erhält man schließlich eine fleischextractartige Brühe im untern Gefäß; will man solche nicht, so legt man das Fleisch auf ein Schälchen, welches den Saft auffängt; der dritte Raum ist für Kartoffeln, der vierte für Gemüse bestimmt.

Das Fleischgefäß wird zuerst mit dem Deckel bedeckt und eine Stunde lang gekocht; dann wird das Gemüsegefäß und nach abermals einer Stunde das Kartoffelgefäß eingeschaltet; in zwei und einer halben bis drei Stunden ist mit einem äußerst geringen Verbrauch von Feuerung die Mahlzeit fertig.

Dieser Apparat kann auf jedem Herde gebraucht, aber auch mit Petroleumheizung versehen und dann ohne irgend welche Entwickelung von Dampf oder Geruch im Zimmer benutzt werden, wie ein auf der Hamburger Gewerbe-Ausstellung 1876 ausgestellter und in Betrieb gesetzter Apparat bewies. Seine Handhabung ist leicht zu erlernen, seine Verwendung sehr bequem und äußerst sparsam.

Denkende Hausfrauen werden leicht den Nutzen dieser verbesserten Kochapparate einsehen, den für ihre besonderen Zwecke geeigneten auswählen und dessen Anwendung lernen. Die so höchst wünschenswerthe allgemeine Verbreitung werden diese Einrichtungen aber wohl nur durch Kochschulen finden, welche zugleich die zweckmäßige Auswahl und Bereitung der Nahrungsmittel lehren und, wie einzelne rühmliche Versuche darthun, sehr gut mit Volksküchen oder ähnlichen Unternehmungen verbunden werden könnten.


[384]

Dem deutschen Kaiserpaare.
Zum 11. Juni.


Vom grünen Rhein bis zu der Weichsel Borden,
Vom Fels zum Meere tönet Festgeläute –
Mit Deutschlands Völkern grüßen wir Dich heute,
Du stolzes Adlerpaar im deutschen Norden.

In lauter Wundern bist Du alt geworden,
Wie Gott sie selten um ein Dasein streute –
Ein Wunder auch, das golden Dir erneute
Der Jugend Myrthenkranz, den längst verdorrten.

Den Wunsch, den heute wir im Herzen tragen,
O laß ihn Dir in schlichtem Worte sagen,
Den heißen Wunsch, den innigen, den einen:

Daß niemals zwischen uns ein Zweifel stände,
Daß wir Dich lieben müssen bis an’s Ende,
Daß, wenn Du scheidest, uns’re Augen weinen!




Berliner Bilder.
2. Der Strohmann.


Eines Tages erhielt ich von einem alten Freund aus der Provinz einen Brief, in welchem er mich ersuchte, ihm in einer wichtigen Angelegenheit mit Rath und That beizustehen. Sein Sohn besuchte nämlich die Kriegsschule in Berlin. Von seinem Vater an mich empfohlen war der junge Officier selbstverständlich von mir freundlich aufgenommen worden. Er hatte sich, wie es schien, in meinem Hause wohlgefühlt, bis er plötzlich ohne jeden mir bekannten Grund fortgeblieben war und alle meine an ihn gerichteten Aufforderungen unbeantwortet gelassen hatte. Aufgebracht über diese mir unerklärliche Unhöflichkeit, hatte ich mich nicht weiter um ihn gekümmert, war überdies gezwungen gewesen, wegen meiner angegriffenen Gesundheit auf längere Zeit zu verreisen.

Wie ich jetzt nach meiner Rückkehr aus dem Briefe meines Freundes zu meinem Bedauern erfuhr, war der junge, leichtsinnige Mann in schlechte Gesellschaft gerathen und hatte so bedeutende Schulden gemacht, daß sich der arme, mit einer zahlreichen Familie gesegnete Vater außer Stande sah, die unbesonnener Weise ausgestellten Wechsel des noch minderjährigen Sohnes zu decken. Da er aus diesem Grunde die Zahlung verweigerte, drohten die ihm selbst völlig unbekannten Gläubiger, wenn er nicht innerhalb der gegebenen Frist das Geld einschicken würde, bei der vorgesetzten Militärbehörde unter Vorlegung der in ihrem Besitz befindlichen Ehrenscheine Anzeige zu machen, was den jungen Officier für immer ruiniren mußte.

Dem Briefe entnahm ich die Adressen der Biedermänner, mit denen ich es zu thun hatte. Ich wollte jedoch kaum meinen Augen trauen, als ich darunter die Namen zweier Herren von angesehener gesellschaftlicher Stellung fand. Der eine war ein vermögender Rentier, der bei allen Sammlungen für wohltätige Zwecke in den Zeitungen paradirte, der Andere ein Doctor der Philosophie, ein höchst gebildeter und feiner Mann, der sich besonders für die sociale Frage interessirte und in verschiedenen volkswirthschaftlichen Vereinen das große Wort führte.

Obgleich ich einen Irrthum annehmen mußte, begab ich mich doch zunächst zu dem ehrenwerthen Rentier, der in meiner Nähe in seinem eigenen Hause wohnte. Auf meine Frage, ob der Herr zu sprechen sei, wurde ich von einer ältlichen, sauber gekleideten Wirthschafterin höflich in ein freundliches Zimmer geführt, dessen einfache, aber gediegene Einrichtung den besten Eindruck auf mich machte und mir gewissermaßen zu bürgen schien für die Solidität des Gesuchten, welcher kurz darauf in das Zimmer trat und mich mit leiser, sanfter Stimme begrüßte.

Vor mir stand ein Mann von etwa sechszig Jahren, dessen würdige Erscheinung, dessen graues Haar insbesondere mir unwillkürlich Achtung und Vertrauen einflößte. Die graublauen Augen strahlten förmlich von Wohlwollen und Freundlichkeit, und um den etwas eingefallenen Mund schwebte ein überaus gutmütiges, fast süßliches Lächeln. Jede Miene, jede Bewegung verrieth einen Ehrenmann und ein reines Gewissen. So konnte unmöglich ein gewöhnlicher Wucherer aussehen. Ich befand mich in der größten Verlegenheit.

„Wollen Sie nicht Platz nehmen?“ sagte er höflich, mir einen Stuhl anbietend. „Was verschafft mir die Ehre?“

„Verzeihen Sie,“ antwortete ich verwirrt, „wenn ich Ihnen lästig falle! Ich komme nicht in eigener Angelegenheit –“

„Geniren Sie sich nicht! Wenn Sie für einen wohltätigen Zweck einen Beitrag wünschen, so werde ich mit Vergnügen unterschreiben. Geben Sie mir die Liste her –“

„Sie sind zu gütig, aber es handelt sich nicht um die Armen, sondern um den Sohn eines meiner Freunde, um den Lieutenant von Wolfenstein –“

„Von Wolfenstein!“ rief der alte Herr erstaunt. „Der Name ist mir völlig unbekannt.“

„Ich muß,“ sagte ich verlegen, „nochmals um Entschuldigung bitten. Mein Freund scheint Ihren Namen verwechselt zu haben. Wie er mir schreibt, schuldet sein Sohn Ihnen gegen Wechsel und Ehrenschein fünfzehnhundert Thaler.“

„Mir! – Fünfzehnhundert Thaler – Lieutenant von Wolfenstein!“ murmelte der Rentier verwundert.

„Ich bin beauftragt, die Angelegenheit mit den Gläubigern des jungen Mannes zu ordnen. Da Sie aber die Sache nicht weiter interessiren kann, so erlauben Sie –“

„Warten Sie!“ versetzte er, mich zurückhaltend. „Ich erinnere mich jetzt, den Namen Wolfenstein auf einem Wechsel gesehen zu haben. Mein Gedächtniß ist schon schwach. Das macht das Alter. Ich muß einmal nachsehen, ob ich mich nicht irre.“

Mit einer Hast, die mit seiner sonstigen würdevollen Ruhe auffällig contrastirte, zog der Rentier aus der Seitentasche seines Rockes ein gesticktes Portefeuille hervor, in dem er eifrig nach einer Notiz zu suchen schien, bis er dieselbe gefunden.

„Richtig! Wie kann man nur so vergeßlich sein! Ich habe freilich so viel im Kopf zu behalten. Der Wechsel ist den dritten December fällig, und heute haben wir erst den dreizehnten November. Die Sache hat keine solche Eile. Es war freundlich von Ihnen, daß Sie sich selbst herbemühten. Wenn Sie durchaus wünschen, können wir das Geschäft auf der Stelle abmachen. Sie werden dem Herrn Lieutenant damit alle weiteren Unannehmlichkeiten ersparen.“

Sprachlos vor Ueberraschung starrte ich den würdigen Greis an, der sich plötzlich in einen gemeinen Wucherer und Halsabschneider verwandelte, obgleich er noch immer bemüht war, die Maske des Biedermannes vorzuhalten und die ihm zur Natur gewordene Rolle des wohlthätigen Menschenfreundes fortzuspielen.

„Mein Freund,“ sagte ich, nachdem ich mich wieder gefaßt hatte, „hat mich beauftragt, Ihnen die Hälfte der schuldigen Summe für den Wechsel zu bieten, da er weder in der Lage, noch verpflichtet ist, für die Schulden seines minorennen Sohnes aufzukommen.“

„Das thut mir herzlich leid,“ entgegnete der Wucherer sanft. „Ich kann unmöglich Ihren Vorschlag annehmen und auch nicht einen Pfennig von der Summe ablassen.“

„Sie werden mit sich handeln lassen. Man weiß ja, wie es bei solchen Geschäften zugeht. Nach meiner Ueberzeugung hat der junge Mann nicht den vierten Theil des Geldes erhalten und Sie haben noch immer einen schönen Profit, wenn Sie auch nur die Hälfte bekommen.“

„Halten Sie mich für einen Wucherer?“ fragte der Ehrenmann mit der Miene beleidigter Unschuld. „Gott bewahre! Ich habe den Wechsel von dritter Hand gekauft und begnüge mich nur mit einer kleinen Provision. Sie werden doch nicht von mir verlangen, daß ich mein baares Geld verlieren soll?“

„Trotzdem werden Sie gut thun, die gebotene Hälfte zu

[385] nehmen, da die Unterschrift des minderjährigen Ausstellers keine Gültigkeit hat.“

„Ich kann es beschwören, daß ich davon nichts gewußt und den Wechsel rechtmäßig erworben habe. Außerdem,“ fügte er lächelnd hinzu, „bürgt mir der Ehrenschein des Herrn Lieutenant dafür, daß Ihr Freund die ganze Summe zahlen wird, wenn er nicht seinen Sohn unglücklich machen will.“

„Sie irren sich,“ versetzte ich mit geheuchelter Ruhe. „Mein Freund ist entschlossen, es lieber zum Aeußersten kommen zu lassen und sich an den Staatsanwalt zu wenden.“

„Das mag er thun,“ erwiderte der Wucherer, ohne eine Miene zu verziehen. „Ich habe Gottlob ein gutes Gewissen und fürchte mich nicht. Ich habe den Wechsel gekauft und baar bezahlt.“

„Dann ersuche ich Sie, mir den Verkäufer zu nennen, damit ich mich an ihn halten kann.“

„Das habe ich nicht nöthig. Wenn der Wechsel präsentirt wird, werden Sie den Namen schon erfahren. Jetzt aber müssen Sie mich entschuldigen; ich habe zu thun. Freut mich, Ihre werthe Bekanntschaft gemacht zu haben. Aeußerst angenehm!“

Unter diesen Verhältnissen blieb mir nichts übrig, als mich dem würdigen Greise zu empfehlen, der mich höflich bis zur Thür begleitete und sich mit demselben süßen Lächeln, mit welchem er mich empfangen hatte, nun von mir verabschiedete. Ich suchte zunächst den Lieutenant auf, um von ihm den Namen des wahren Gläubigers zu erfahren, auf den er den Wechsel ausgestellt hatte.

Wie ich vermuthete, fand ich den jungen Mann in der größten Verzweiflung, fest entschlossen, den Verlust seiner Ehre nicht zu überleben. Mit vieler Mühe gelang es mir, ihn so weit zu beruhigen, daß er mir das feste Versprechen gab, keinen übereilten Schritt zu thun und erst den Erfolg meiner ferneren Verhandlungen abzuwarten. Zugleich erhielt ich von ihm die gewünschte Auskunft und die Adresse seines eigentlichen Gläubigers, zu dem ich mich sofort fahren ließ.

Der Mann hieß Joseph Schwalbe und wohnte in einem jener traurigen Hinterhäuser, in denen die Armuth und das Verbrechen sich vor den Augen der Welt oder den Nachforschungen der Polizei zu verbergen suchen. Auf mein lautes, wiederholtes Klopfen – eine Klingel war nicht vorhanden – öffnete eine unsichtbare Hand die verschlossene Thür und ließ mich in ein niedriges, dunkles Parterrezimmer treten, das, mit wurmstichigem Gerümpel angefüllt, einer elenden Trödelbude glich.

Bei meinem Eintritt erhob sich ein kleiner, schwächlicher Mann, der mich mit ängstlichen, mißtrauische Blicken anstarrte. Wieder glaubte ich, irre gegangen zu sein, da das jämmerliche Aussehen und die ärmliche Umgebung in diesem elenden Menschen eher einen Bettler als einen Geldverleiher vermuthen ließ. Trotzdem machte ich ihn mit der Veranlassung meines Besuches bekannt, nachdem ich mich versichert hatte, daß er der Gesuchte sei.

„Ich bedaure,“ sagte er, verlegen die Augen niederschlagend, „daß ich Ihnen bei dem besten Willen nicht dienen kann. Der betreffende Herr hat den Wechsel von mir gekauft und ist in seinem Recht.“

„Das scheint mir kaum glaublich,“ versetzte ich, die traurige Einrichtung musternd. „Eine so bedeutende Summe –“

„Ich genieße Credit,“ erwiderte er erröthend, „und mache Geschäfte mit den mir anvertrauten Geldern.“

„Um so leichter wird es Ihnen fallen, den Inhaber des Wechsels zur Annahme meines Vorschlags zu bewegen.“

„Unmöglich! Wo denken Sie hin? Sie kennen nicht den Herrn. Er läßt nicht mit sich scherzen.“

„Dann wird uns nichts übrig bleiben, als der Sache ihren Lauf zu lassen, da mein Freund die volle Summe weder zahlen kann noch will.“

„Er wird doch nicht seinen Sohn unglücklich machen!“

„Mein Freund hat noch mehr Kinder und darf nicht einem derselben ein solches Opfer bringen und sich selbst ruiniren.“

„Mein Gott!“ stöhnte Herr Schwalbe, sichtlich bestürzt. „Haben Sie das dem Herrn gesagt?“

„Allerdings!“

„Und er wollte nicht auf Ihre Propositionen eingehn?“

„Unter keiner Bedingung!“

„Der Schurke! Das sieht ihm ähnlich.“

Obgleich mich dieser unwillkürliche Ausruf überraschte, hielt ich doch die moralische Entrüstung des Herrn Schwalbe für nichts weiter als für pure Heuchelei, da ich von dem Einverständniß der beiden Biedermänner überzeugt war. Ich machte Herrn Schwalbe auf die Folgen seiner Weigerung aufmerksam und wies auf die unausbleibliche Einmischung des Staatsanwalts hin, was er jedoch nicht zu hören oder nicht zu beachten schien, so laut und dringlich ich auch in meinem Eifer sprach.

Empört über seine Gleichgültigkeit und Härte, wollte ich mich entfernen, als aus dem anstoßenden Alkoven, der nur durch einen dünnen Vorhang vom Wohnzimmer getrennt war, eine junge Frau stürzte, deren bleiches, bekümmertes Gesicht die Spuren früherer Schönheit verrieth. Auf ihrem Arme trug sie ein kleines Kind, das sich an ihre Brust zärtlich anlehnte.

„Joseph!“ rief sie mit schmerzlich bewegter Stimme.

„Was willst Du?“ fragte er verwirrt, ohne sie anzusehen.

„Ich habe Alles mit angehört. Hab’ ich Dir nicht immer gesagt, daß es mit Dir ein schlechtes Ende nehmen muß? Sie werden Dich in’s Zuchthaus schicken. Die Schande überleb’ ich nicht. Lieber spring’ ich mit dem Kind in’s Wasser.“

„Was fällt Dir ein? Du bist eine Närrin!“

„Nein, nein! Ich weiß, was ich sage. Wenn die Geschichte vor den Staatsanwalt kommt, bist Du verloren. Der scheinheilige Duckmäuser und der feine Herr Doctor mit den schönen Redensarten lachen sich in’s Fäustchen, und Du mußt für sie Alle bluten.“

„Was soll ich thun?“ murmelte er, die Hände ringend.

„Gestehe dem Herrn die Wahrheit und hilf ihm, die Sache in Ordnung zu bringen! Er wird Dir dafür dankbar sein und Dich nicht verrathen.“

Die von Thränen und Schluchzen begleiteten Worte seiner Frau schienen einen tiefen Eindruck auf den schwachen, keineswegs verhärteten Mann zu machen. Ich benutzte seine Verwirrung, um ihn zu einem offenen Geständnis zu veranlassen, indem ich ihm mein Wort gab, ihn zu schonen, wenn er mir beistehen wollte, die beiden Wucherer zu entlarven und zu einem billigen Vergleich zu bewegen.

Herr Schwalbe selbst war, wie er mir mittheilte, nur der vorgeschobene Strohmann, hinter dem die beiden Biedermänner ihr gefährliches Treiben verbargen. Gegen einen geringen, kaum nennenswerthen Lohn mußte er seinen Namen zu den verächtlichen Geschäften hergeben und im Nothfall die Verantwortung übernehmen, während sie den Gewinn mit einander theilten und vor jeder Verfolgung sicher waren.

„Um so weniger,“ versetzte ich, „kann ich es begreifen, daß Sie sich zu diesem schändlichen Treiben hergaben.“

„Ach!“ seufzte er, „Sie wissen nicht, wie weh der Hunger thut und wozu das Elend einen Menschen treiben kann, noch dazu, wenn man Weib und Kinder hat. Meine Frau wird mir bezeugen, daß ich mich als Privatschreiber redlich ernährt habe, bis ich vor einem Jahr am Typhus erkrankte. Länger als drei Monate lag ich fest, ohne einen Groschen zu verdienen. Wir mußten Alles versetzen und verkaufen, was wir noch besaßen. Da kam eines Tages der Ihnen bekannte Doctor zu mir, für den ich früher verschiedene Actenstücke copirt hatte. Er benutzte meine verzweifelte Lage für seine Pläne. Hundertmal hab’ ich es bereut und die Stunde verwünscht, wo ich mich von ihm überreden ließ, aber die Noth war zu groß.“

„Das ist wahr,“ bestätigte die weinende Frau. „Mein Mann ist nicht schlecht, nur schwach gewesen und hat sich lange dagegen gesträubt. Er hätt’ es gewiß nicht gethan, wenn er eine andere Aussicht gehabt hätte. Lieber aber will ich mit den Kindern betteln gehen, als die Angst länger ertragen.“

Ich beruhigte die armen Leute und versprach ihnen, mich für sie nach Kräften zu verwenden. Nachdem ich noch mit Herrn Schwalbe das Nöthige verabredet hatte, begab ich mich nach der mir bezeichneten Villa des Doctors.

Ein galonnirter Bedienter, dem ich meine Karte gab, ersuchte mich, in den elegante Empfangssalon einzutreten. Da hingen an den stilvoll decorirten Wänden in breiten Goldrahmen ausgezeichnete Oelgemälde und seltene Kupferstiche von berühmten Meistern. Der parquetirte Fußboden war mit einem echt persischen Teppich belegt. Ueberall, wohin mein Auge blickte, geschnitzte und ausgelegte Möbel, herrliche Bronzen, Marmorstatuen und Elfenbeinschnitzereien, Mappen mit Photographien und Prachtwerke in kostbaren Einbänden. In einer Ecke stand ein hoher Bücherschrank [386] mit einer auserlesenen Bibliothek, deren Inhalt für die wissenschaftliche Bildung des Doctors sprach. Ringsum die Zeugnisse, wie der moderne Wucherer eine gefällige Maske trägt und sein schmutziges Treiben unter einer glänzenden Hülle verbirgt. Der alte „Harpagon“ im abgetragenen Rock, mit den stechenden Blicken, den eingefallenen Wangen, der Geiernase, den gekrümmten Händen und langen Nägeln ist dem respectablen Biedermann, dem eleganten Roué in feiner Toilette und mit guten Manieren gewichen. Die Seelenverkäufer und Halsabschneider sind salonfähig geworden und bewegen sich in der besten Gesellschaft, wenn sie nur den äußeren Schein zu wahren und jede unangenehme Collision mit dem Staatsanwalt zu vermeiden wissen.

Aus diesen nahe liegenden Betrachtungen wurde ich durch den Eintritt des Herrn Doctor geweckt, der mich mit der ihm eigenen Liebenswürdigkeit begrüßte und mich einlud, an seiner Seite auf dem bequemen Divan Platz zu nehmen. Wie er mir jetzt gegenüber saß in dem kurzen Jaquet, unter dem das schneeweiße Oberhemde und die Brillantknöpfe hervorblitzten, mit der behaglichen Wohlbeleibtheit der untersetzten Figur, mit dem runden, glatt rosigen Gesicht, den frischen, kecken Augen, dem verbindlichen Lächeln um den feinen Mund, mußte er jedem oberflächlichen Beobachter als der Typus und das Muster eines liebenswürdigen, guthmüthigen und geistvollen Lebemannes erscheinen.

Bevor ich noch zu Worte kommen konnte, überhäufte er mich mit einer Fluth von Artigkeiten und Complimenten über meine bescheidenen schriftstellerischen Leistungen, wobei er selbst eine wirklich bewunderungswürdige Kenntniß der Literatur und viel Urtheil entwickelte. Fast vergaß ich über seine interessante Unterhaltung den eigentlichen Zweck meines Besuches, bis eine kleine Pause eintrat, die ich dazu benutzte, um mich meines Auftrags zu entledigen. Ohne aus der Fassung zu gerathen, sah er mich verwundert an und sagte dann leichthin: „Sie werden mir einen Gefallen erweisen, wenn Sie sich wegen dieser Lumperei an meinen Rechtsanwalt wenden wollen. Ich bin in Geschäften so unerfahren wie ein neugeborenes Kind.“

„Dann wundere ich mich nur, daß ein gewisser Herr Schwalbe, mit dem Sie in Verbindung stehen, mich an Sie gewiesen hat –“

„Das muß ein Irrthum sein. Ich kenne keinen Herrn Schwalbe. – Wer ist dieser Mensch?“

„Ihr Strohmann!“ versetzte ich, empört über eine solche Unverschämten „Der arme, unglückliche Schwalbe muß für Sie und Ihren würdigen Compagnon die gebratenen Kastanien aus dem Feuer holen und für einen Sündenlohn Ihnen als Prügeljunge dienen.“

„Ich verstehe nicht –“

„Ersparen Sie sich die unnöthige Mühe, mich täuschen zu wollen! Sie sehen, daß ich genau von Allem unterrichtet bin und Ihr Treiben hinlänglich kenne.“

„Mein Herr! Ich muß Sie dringend bitten –“

„Danken Sie Gott,“ unterbrach ich ihn heftig, „daß mich die Rücksicht auf meinen Freund und den armen Schwalbe nöthigt, Sie zu schonen. Wenn Sie sich aber weigern sollten, meinen Vorschlag anzunehmen, so gebe ich Ihnen mein Wort –“

„Sie brauchen sich nicht wegen einer solchen Bagatelle so zu ereifern. Geben Sie die Hälfte, und ich bin zufrieden. Sie sehen, daß ich im Grunde eine gute Seele und ein anständiger Kerl bin. Kein vernünftiger Mensch kann es mir verdenken, daß ich mir mein Capital verzinsen lasse. Das Geld ist eine Waare wie jede andere und richtet sich nach Anfrage und Angebot. Es giebt keinen Wucher, und selbst unsere Gesetzgebung hat mit den alten Traditionen gebrochen. Schon Adam Smith –“

In dieser Weise suchte der Herr Doctor mit einem Schwall von volkswirthschaftlichen Phrasen und geistreichen Paradoxen sein schändliches Treiben zu entschuldigen und sich zu rechtfertigen, ohne jedoch seinen Zweck zu erreichen, obgleich ich von Neuem seine Beredsamkeit, seine Kenntnisse und vor Allem seine Unverschämtheit bewundern mußte.

Voll Ekel entfernte ich mich, nachdem ich von dem Doctor gegen Zahlung der ihm angebotenen Summe die Wechsel und Ehrenscheine erhalten hatte. Beides übergab ich dem glücklichen Lieutenant, der es in meiner Gegenwart vernichtete und zugleich mir feierlich gelobte, jeder derartigen Versuchung zu widerstehen. Durch meine Verwendung erhielt auch Herr Schwalbe eine einträgliche Beschäftigung bei einem mit mir befreundeten Rechtsanwalt, dessen Bureau er augenblicklich zu voller Zufriedenheit leitet. Von den beiden Ehrenmännern habe ich nichts mehr gehört, doch zweifle ich nicht daran, daß sie ihre Geschäfte mit Hülfe eines neuen Strohmanns noch immer fortsetzen, bis sie eines Tages, wie ich hoffe, die wohlverdiente Strafe ereilen und die Verachtung der Welt treffen wird.
Max Ring.


Das erste Lied.


Wer hat das erste Lied erdacht,
    Das in die Lüfte scholl?
Der Frühling fand’s in lauer Nacht,
    Das Herz von Wonne voll;
Er sang es früh im Fliederbaum
    Und schlug den Tact dazu;
„O Maienzeit, o Liebestraum,
    Was ist so süß wie Du?“

Da kamen Mück’ und Käferlein;
    Waldvöglein sonder Zahl;
Die übten sich die Weise ein
    Wohl an die tausend Mal.
Sie trugen’s durch den Himmelsraum
    Und durch die Waldesruh:
„O Maienzeit, o Liebestraum,
    Was ist so süß wie Du?“

Mir sang’s am Bach die Nachtigall,
    Da ward mir wonnig weh;
Nun folgt das Lied mir überall
    Durch Duft und Blüthenschnee.
Ich pflück’ den Zweig vom Fliederbaum
    Und sing’ es immerzu:
„O Maienzeit, o Liebestraum,
    Was ist so süß wie Du?“

Victor Blüthgen.




Literaturbriefe an eine Dame.

Von Rudolf von Gottschall.

XX.

Aus meinem langen Schweigen, verehre Freundin, mögen Sie nicht schließen, daß auch die Musen auf dem deutschen Parnaß verstummt sind; da geht es so laut und rüstig her wie immer, und für ein Gestirn, das im Niedergange begriffen ist, tauchen immer zehn andere auf mit verheißungsvollem Aufgang, mindestens wenn man den kritischen Sternwarten glauben darf und ihren Beobachtungstabellen.

Gewiß, Sie finden viel Schönes auf dem deutschen Parnaß zur Schau gestellt, aber auch „manche Waldteufel“, wie Fürst Bismarck sagt.

Haben Sie einmal einen Roman oder Gedichte von Wilhelm Jensen gelesen? In vielen derselben weht ein frischer Meereshauch, der Sie am Gestade des Baltische Meeres heimathlich gemahnen wird; vor allem aber gehört Jensen nicht zu den Poeten, von denen zwölf ein Dutzend ausmachen, und das ist ein großes Lob in einer Zeit, in welcher so viel nach der Schablone producirt [387] wird. Er ist ein „aparter“ Dichter und hat eine originelle Physiognomie. Die blaue Blume der Romantik trägt er im Knopfloch, aber wenn ihr Duft auch seine Phantasie anregt, so umnebelt er doch nicht seinen Geist; er entlehnt der Romantik das Colorit, aber nicht die Gedankengänge; er geht gern in der „mondbeglänzten Zaubernacht“ spazieren, aber seine Ritter sind Ritter des Geistes. Gleichwohl besteht seine Eigenthümlichkeit in dieser Vorliebe für die romantische Darstellungsweise bei einem Gedankeninhalt, welcher der Neuzeit angehört; etwas Phantastisches, Verschwommenes oder traumhaft Verworrenes zieht sich durch seine Dichtungen; bisweilen sind sie gespenstig, wie die Erzählungen von Amadeus Hoffmann, oder grotesk schauerlich, wie diejenigen von Clemens Brentano, oder märchenhaft und verträumt, wie die von Achim von Arnim, aber aus diesem Phantasiegespinst flattert ein Falter hervor, der kein Nacht- und Dämmerungsfalter, sondern ein Tagfalter ist und seine Flügel im geistigen Sonnenlicht unseres Jahrhunderts regt.

Wilhelm Jensen hat viel geschaffen; eine reiche Phantasie ist immer schaffensfreudig. Sie fragen mich, verehrte Freundin, welche seiner Dichtungen Sie zuerst lesen sollen?

Sein Hauptwerk bleibt immer die große Revolutionssymphonie: „Nirwana“; hier finden Sie die bedeutendsten Leitmotive des Gedankens, hier die glänzendste Instrumentation. Auch tritt die Eigenart des Dichters hier am meisten hervor. Denken Sie sich ein Gemälde der Schreckensscenen der französischen Revolution, aber getaucht in das traumhaft visionäre Licht der romantischen Dichtung, eine Welt blutiger Gräuel, die sich vor uns entrollt, aber darin aufleuchtend die edle Begeisterung der Menschheitsapostel, bis sie der hochgehende Wogenschlag der Massenbewegung begräbt, und vor allem das Bild schöner Weiblichkeit, welches mit idealer Hoheit mitten in einer Bewegung steht, der sie volle Sympathie entgegenbringt, alles aber beleuchtet wie vom Dämmer einer Mondnacht, durch welche im Ost traumhaft der rothe Schein des Morgens aufzuckt – das ist Jensen’s „Nirwana“.

Die Heldin Diana, ein französisches Edelfräulein, erinnert an George Sand’s „Lelia“, und auch eine Pulcheria fehlt in dem Roman nicht, doch im Ganzen treten die Herzensgeschicke zurück hinter der großen Volksbewegung. Nur hin und wieder führt uns der Dichter nach Paris und läßt ein Streiflicht fallen auf die weltbewegenden Ereignisse, deren Echo das Gebirgsthal der obern Loire, den Schauplatz der Haupthandlung, erschüttert. Hier verleben wir den raschen Wechsel der Zeiten: am Anfang herrscht noch die Blüthe der Rococozeit in dem herrschaftlichen Schloß und Park. Diese Bilder sind meisterhaft ausgeführt; die Stimmung der leichtlebigen, frivolen, mit tiefen Gedanken spielenden Zeit und ihrer Lebensgewohnheiten ist vorzüglich getroffen; wir halten das erste Buch der „Nirwana“ für das Beste, was Jensen geschaffen. Schon gährt es in den Tiefen; im Keller des Pfarrhauses wachen die Propheten der Zukunft, der Pfarrer Guéraud, einer jener Alten vom Berge, wie sie Zacharias Werner zu schildern liebt, verkündet hier das Evangelium der Zukunft, der Freiheit, während er auf seiner Kanzel die Lehren des blindesten Gehorsams vorträgt. Die Heldin, Diana von Hautefort, ist seine Schülerin, doch als sie, in Gemeinschaft mit ihrem Bruder, ihre Ideale in’s Leben führen will, dem Volke, das von den Banden der Unterthänigkeit befreit ist, ihre menschenfreundlichste Fürsorge zuwendet, da tritt der furchtbare Rückschlag ein; nur die Rohheit der Menge wird entfesselt; sie wendet sich gegen ihre Wohlthäter, aufgehetzt von abtrünnigen Priestern und verkommenen Adligen. Das Schloß von Hautefort wird gestürmt und in Brand gesteckt; in Le Puy, der Hauptstadt des Velay, herrscht der Schrecken; die Hefe des Volkes gewinnt die Oberhand, Carrier’s Noyaden finden ihr Widerspiel an der obern Loire, Diana und die andern Hauptgestalten des Romans einen gewaltsamen Tod: grelle Bilder von intensiver Farbengluth, wie von Makart’s Pinsel gemalt.

Jensen hat eine gewisse Aehnlichkeit mit Jean Paul: die eigentlich stützenden Motive, die Tragpfeiler der Handlung, sind so überkleidet mit phantastischen Arabesken, daß die Architektur des Ganzen schwer zu überschauen ist. Darum behält auch die Heldin, deren innere Entwickelung nirgends in durchsichtigem Zusammenhang uns vorgeführt wird, etwas Mystisches, Sphinxartiges. Dafür entschädigt Jensen durch eine Fülle von Geist und Phantasie, durch berauschende, hinreißende Naturschilderungen, ebenfalls im Stile Jean Paul’s. Die Begegnung Diana’s und Urbain’s auf dem Felsblock des Hochgebirges ist stimmungsvoll und hochpoetisch. Freilich, das Ende ist „Nirwana“: der Untergang des Edeln und Gemeinen, des Schönen und Häßlichen, der Ideen und ihrer Träger und Trägerinnen, die allgemeine Vernichtung. Kann uns über die Orgien des Saturnus, der seine eigenen Kinder verschlingt, das Alpenglühn der Schweizer Berge trösten, welches der Dichter Salis am Schluß des Romans als die verheißungsvolle Glorie der reinen Freiheit begrüßt?

Gleichen Stil, gleiche Vorzüge und Schattenseiten hat Jensen’s kürzerer historischer Roman „Um den Kaiserstuhl“, der im dreißigjährigen Kriege spielt und dessen Held Herzog Bernhard ist. Auf die Katastrophe von Breisach und den Untergang des deutschen Heerführers steuert dieser Roman von Anfang an hin; doch erscheint es uns als ein Fehler im Bau desselben, daß der geschichtliche Hauptheld so spät auf die Bühne tritt, daß unsere Pfade so lange durch romantische Dämmerungen führen, ehe der geschichtliche Tag uns aufleuchtet. Auch ist Bernhard nicht in seiner ganzen geschichtlichen Größe aufgefaßt; es fehlt uns der Einblick in sein inneres Leben und Streben, der imperatorische Zug, er ist nur ein frischer Reiterheld mit Kriegs- und Herzensabenteuern; aber die Zeit des dreißigjährigen Krieges, die Epoche des Simplicius mit ihrer grenzenlosen Verwilderung, das Marodeur- und Brandstiftertreiben, diese Zeit der Auflösung mit ihren tumultuarischen Volks- und Heereszügen ist mit echt poetischer Intuition geschildert. Auch hier fehlen die geistigen Apostel nicht, die Söhne der Zukunft im Kloster von Thennenbach. Der Brand dieses Klosters, die Belagerung der Hochburg, der Hexenproceß bei Beginn des Romans, die Mord- und Schreckensscenen im Verlauf desselben: das sind alles Pracht- und Meisterstücke einer glühenden Phantasie, die oft eine erdrückende Gestaltenfülle vor uns hinzaubert; doch es fehlt die klare Gliederung, der schlank sich emporgipfelnde Bau des Ganzen.

Schon des Contrastes wegen, verehrte Freundin, erinnere ich Sie an den neuesten Band der Gustav Freytag’schen „Ahnen“; ich weiß nicht, ob Sie sich durch die Jahrhunderte deutscher Geschichte bis zu diesem Bande durchgearbeitet haben, doch wird Ihnen diese Arbeit nicht erspart werden; denn Sie müssen im Salon über die „Ahnen“ Rede stehen, und ich weiß, Sie haben ein gutes Gedächtniß und werden Ingo, Immo und Ivo nicht mit einander verwechseln, so groß diese Gefahr auch ist bei der durch den Atavismus erklärbaren Familienähnlichkeit der Helden. In diesem neuesten Bande „Die Geschwister“ hat die Erzählung denselben geschichtlichen Hintergrund wie in Jensen’s „Um den Kaiserstuhl“; sie spielt in der gleichen Epoche des dreißigjährigen Krieges. Herzog Bernhard ist todt; ein Theil seiner Truppen entzieht sich den Fesseln der französischen Allianz, und die Abenteuer dieser herrenlosen Soldateska, die sich in Deutschland einen Kriegsherrn sucht, bilden den Hauptinhalt der Erzählung; auch ein Hexenproceß fehlt nicht. Doch welcher Gegensatz zwischen den beiden Autoren! Jensen erscheint als ein Maler von glühendem Colorit, Freytag als ein feiner, sauberer Kupferstecher; bei Jensen wildbewegte Gruppenbilder à la Tintoretto, bei Freytag Schlacht- und Lagerbilder à la Wouverman. Der Inhalt seiner Erzählung ist kaum bedeutender als derjenige einer beliebigen Geschichte von Tromlitz, deren Stoff der Zeit des dreißigjährigen Krieges entnommen ist; doch Tromlitz ist ein anspruchsloser Erzähler, Freytag spielt sich auf die Classicität hinaus; die knappe Manier seines vielsagenden Stils tastet nach der Lapidarschrift der Unsterblichen. Der poetische Hauch, der einzelne Scenen durchweht, der feine Humor in andern, die saubere Ciselirarbeit der Detailmalerei werden die Leser stets freundlich anmuthen, doch die kühle Haltung bewirkt keine warme Theilnahme, und wo er sich auf das Gebiet des Phantastischen begiebt, wie bei den Abenteuern seiner Sibylle, da wirkt seine Nüchternheit geradezu befremdend. Wenn Jensen einen Hexenproceß darstellt, so fühlt jeder Leser Schauder und Grauen; bei Freytag ruft eine solche Darstellung gar keine Spannung hervor, stört kaum das Behagen, das dieser ganzen Genremalerei eigen ist. Die zweite Erzählung ist ein Rattenkönig von Genrebildern und Anekdoten aus der Zeit Friedrich Wilhelm’s des Ersten; vieles ist recht ergötzlich und charakteristisch; nur fehlt die Einheit der Stimmung, und die tragischen Episoden und Abschlüsse lassen uns durchaus gleichgültig.

[388] „Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!“ rufen wir aus, wenn wir einen Roman von Friedrich Spielhagen in die Hand nehmen: da ist doch keine trockene Pastellmalerei, da ist frische Farbengebung; freilich, wie bei Jensen, oft ein Zuviel der sich überstürzenden Ereignisse, ein übersprudelnder Phantasiereichthum. Im Vergleich mit Freytag kann man jedem dieser beiden Dichter zurufen, was Schiller in seinem Distichon Jean Paul zuruft:

„Hieltest du deinen Reichthum nur halb so zu Rathe, wie Jener
    Seine Armuth, du wärst uns’rer Bewunderung werth!“

In die meisten Romane Spielhagen’s rauscht ja das baltische Meer herein, auf dessen sturmbewegte Wogen wie auf den friedlichen Spiegel der geglätteten Fluth die Fenster Ihres Schlosses schauen. Das Localcolorit dieser Romane muß für Sie etwas durchaus Anheimelndes haben; es ist in der That von großer Treue und intensiver Färbung. Wenn die Schöpfungen eines Dichters so mit dem heimathlichen Boden verwachsen sind, so liegen in der That darin die starken Wurzeln seiner Kraft. „Die Sturmfluth“ freilich, die über die pommersche Insel dahinbraust, war zugleich ein Sinnbild der gesellschaftlichen „Sturmfluth“, welche zur Zeit der Gründungen über alle Dämme des wirthschaftlichen Lebens brach. Sie kennen das geniale Zeitgemälde, welches diese geistreiche Parallele zwischen den elementarischen Gewalten der Natur und der Gesellschaft zieht und in den beiden großen Katastrophen der Handlung auslaufen läßt … schade, daß diesem Romane der eigentliche Held fehlt, daß an seine Stelle gesellschaftliche Gruppen treten.

Dies ist anders in dem Romane „Plattland“, den man eigentlich einen biographischen Roman nennen könnte; es passirt in demselben alles nur in Gegenwart des Helden oder wird ihm erzählt. Der ganze Roman könnte als Schilderung des Selbsterlebten von ihm vorgetragen werden, hätte sich der Autor entschlossen, ihn in der ersten Person sprechen zu lassen. Das würde der Darstellung große Lebendigkeit geben, aber es hat auch seine Schattenseiten. Wir werden nicht so in das innere Leben der anderen Charaktere eingeführt, wir sehen alles nur mit den Augen des Helden. Und diese Charaktere des Romans haben zum Theil etwas Räthselhaftes, wie die kleine Sphinx Maggie, deren Motive man sich mühsam zusammenbuchstabiren muß, statt sie vom Blatt zu lesen, und dabei bleibt immer am Schluß noch etwas Unerklärliches übrig.

Außer dem Helden stehen im Vordergrunde des Romans zwei urwüchsige pommersche Gutsbesitzer, Hünengestalten von eigenthümlicher Romantik. Die beiden Zempins, der Eine ein Vogelsteller mit Anwandlungen des Irrsinns, der Andere ein burschenschaftlicher Romantiker, aber zerfahren, wüst, Freund des Trunkes und Don Juan, in zerrütteten Vermögensverhältnissen lebend. Die Töchter des Ersteren, die edle Edith und die zaubermächtige, intriguante Maggie, sowie die Frau des Letzteren, die kokette Julie, welche dem Helden gegenüber die Rolle der Potiphar spielt, bilden die Gruppe der weiblichen Charaktere, welcher sich noch die urwüchsige Gräfin von Basselitz mit ihrer schlechten Grammatik und ihrem guten Herzen, und die unglückliche verführte Försterstochter anschließt, die als Selbstmörderin endet.

Etwas wird Ihnen in dem Romane auffallen, verehrte Freundin: das ist die unglaubliche Schnelligkeit, womit der Held, Baron Gerhard, Frauenherzen erobert. Am Abend seiner Ankunft hat er es bereits allen drei Frauen, die ihm begegnen, angethan, und zwei von ihnen lassen ihn darüber auch keinen Augenblick in Zweifel. Diese pommerschen Ladies sind jedenfalls sehr abenteuerlustig, die Spielhagen’schen Helden aber haben alle etwas Unwiderstehliches. Kann der Dichter ihre Liebenswürdigkeit besser schildern, als durch die Wirkungen, die sie ausübt? Das ist ja eine Art und Weise der Schilderung, die schon Lessing empfohlen hat.

Spielhagen weiß spannend zu erzählen; das bewährt er auch in diesem Roman. Man ist im Leben oft der Langenweile ausgesetzt, aber niemals ist diese empfindlicher als dann, wenn man die Absicht und das Recht hat, sich zu amüsiren. Das ist in vielen Salons und in vielen Romanen der Fall: man kann geistreich sein und doch langweilige Romane schreiben, wenn ihnen die Spannung fehlt. Wie viele berühmte Classiker von heute habe ich oft verzweifelt in die Sopha-Ecke geworfen! In „Plattland“ wird die Spannung nach allen Regeln der Romandichtung durch ein dunkles Ereigniß der Vergangenheit hervorgerufen, das immer mehr in den Brennpunkt unserer Theilnahme rückt, auf das immer mehr erhellende Strahlen von allen Seiten fallen. Das geheimnißvolle Romangesicht des schweigsamen Vadder Deep, die Melancholie des Försters weisen auf diese dunkle That hin: der Vater der beiden Zempin’s hat sie in Gemeinschaft mit ihnen vollführt; sie haben zwei Officiere in französischen Diensten, darunter einen Deutschen, getödtet und sich ihrer Kriegscasse bemächtigt: daher stammt das Vermögen der Zempin’s. Der deutsche Officier war Gerhard’s Großvater. Mit den Enthüllungen überstürzen sich indeß die Ereignisse am Schluß: Entführung, Mord und Brand, wenn auch gerade keine politische oder baltische Sturmfluth zu den beliebten Massenkatastrophen anderer Spielhagen’scher Romane führt. „Plattland“ ist eine Idylle mit criminalistischem Hintergrund und hat keine tiefgreifende sociale Tendenz, sondern nur die moralische: „Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher.“

Nur noch wenige Worte, verehrte Freundin, über meine eigenen beiden Romane. Sie haben dieselben gelesen, schon aus dem Pflichtgefühl der Freundschaft; ich kenne Ihr Urtheil nicht, und doch weiß ich, wenn Sie mein einziges Publicum wären, dürfte ich meinen Proceß vor dem kritischen Tribunal für gewonnen halten. Mein Roman „Welke Blätter“ spielt auch an den Gestaden des baltischen Meeres, doch weiter nordöstlich, wo es sich an den samländischen Küsten bricht. Es sind ostpreußische Lebensbilder aus meiner Jugendzeit, aus der Zeit jener liberalen Bewegung, welche für ganz Deutschland die politische Sturm- und Drangperiode war. Einige Persönlichkeiten haben mir Modell gesessen, aber nur zu freier poetischer Behandlung, alle Ereignisse des Romans aber sind selbsterfunden, auch der träumerische Held desselben, dem so oft Mangel an Energie vorgeworfen wurde; doch kann man nicht auch Hamletnaturen zu Helden wählen? Die Tendenz des Romans war, nachzuweisen, wie die „welken Blätter“ der Vergangenheit oft die Blumen der Gegenwart verschütten. Die Betheiligung des Helden an der pietistischen Gemeinde Königsbergs und ihren sittlichen Licenzen ist ein Hemmniß für die politische Laufbahn, die er geläuterten Sinns sich erwählt, und eine voreilige Ehe mit einem Unwürdigen, welche die Heldin, die gefeierte Sängerin, geschlossen, treibt sie zu bedenklichen Schritten. Auf dem Felde der That finden sich die Getrennten wieder, und im fernen Asien suchen sie eine neue Heimath. Die humoristischen Strandbilder, die Sittenschilderungen aus dem Kreise des ostpreußischen Gutsbesitzerlebens dürfen auf Wahrheit und Treue Anspruch erheben, mindestens im Punkt des Zeitcolorits. So war das Leben in jener Epoche.

Was meinen geschichtlichen Roman „Im Banne des schwarzen Adlers“ betrifft, so spielt die Handlung desselben zur Zeit des ersten schlesischen Kriegs und kurz vor demselben. Der Held ist ein Adliger, der bei einem Besuche in Rheinsberg, wo er den jungen Kronprinzen Friedrich und seinen geistreichen Kreis kennen lernt, zu den Fahnen des schwarzen Adlers schwört, hingerissen von dem Zauber der Musen und Grazien, welche dort heimisch sind, und von dem freien Geist des Denkens und Wollens, der mit dem dumpfen, auf seinem heimathlichen Schlesien lastenden Drucke in so auffallendem Widerspruche steht. Durch Zufälligkeiten, deren Beweiskraft er nicht zu entkräften vermag, in den Verdacht gerathen, ein österreichischer Spion zu sein, scheidet er von Rheinsberg mit der Ungnade des Prinzen. Später hat Friedrich den Thron bestiegen und rückt in Schlesien ein; die Verhandlungen mit Breslau, das sich nach altem Rechte für neutral erklärt, die Agitation in der Stadt zu Gunsten der Preußen, die Schlacht bei Mollwitz, die gewaltthätige Besetzung der schlesischen Hauptstadt, die Verschwörung der Frauen und Geistlichen zu Gunsten der Oesterreicher: das sind die geschichtlich überlieferten Thatsachen, welche für die frei erfundenen Erlebnisse den Hintergrund bilden. Arthur’s Unschuld wird nachgewiesen; er tritt in preußische Kriegsdienste, kämpft tapfer bei Mollwitz mit und steigt in der Gunst des Königs. In Rheinsberg hat er die anmuthige, geistig bewegliche Agnes von Walmoden kennen gelernt, welche für Friedrich und Preußens Sendung begeistert ist; er sagt sich von der schönen, bigotten Isabelle von Poparell los, welche für Maria Theresia und Oesterreich schwärmt und jetzt in den Händen der Jesuiten ist, denen sie auch zum Opfer fällt. Die Tragödie des verfolgten Schwenckfelder Predigers

[389]

„Maikäfer, flieg!“
Originalzeichnung von Emil Schmidt.


und seiner spät und erst bei ihrem Tode wiedergefundenen Tochter Marie zieht sich durch den ganzen Roman als eine unheimliche Illustration der damaligen schlesischen Zustände, für welche erst mit Friedrich’s Regierung die Sonne der Toleranz aufgeht. Freude hat es mir selbst gemacht, mit dem Machtspruche des Dichters das alte Breslau mit seinen Thoren und Thürmen, seinem Dom und Rathhaus, seinen Zünften, Rathsherren und Bürgergarden wieder in’s Leben zu rufen und zugleich die landschaftlichen Reize des schlesischen Gebirges im sommerlichen und winterlichen Gewande mit warmer Hingebung zu schildern.

[390] Das Eine hoffe ich, verehrte Freundin: Sie werden diese Romane nicht zum genre ennuyeux zählen. Wenn für Sie der „Bann des schwarzen Adlers“ zugleich ein Bann der Langeweile ist, so lösen Sie diesen Bann, machen das Buch bei Zeiten zu und gedenken ohne Groll des Verfassers, welcher für die Todsünde, Ihnen köstliche Stunden nutzlos gestohlen zu haben, jede Buße thun will, die seine liebenswürdige Freundin ihm auferlegt.



Clotilde.

Novelle von L. Herbst.

(Fortsetzung.)


Clotilde sah ihren Vetter so tief traurig an, daß sich in seinen undurchdringlichen Zügen doch etwas wie Theilnahme zu regen begann.

„Ich darf Dir nicht verargen,“ sagte er, „daß Du in Deiner gegenwärtigen Gemüthsstimmung mich so ganz verkennst. Aber es wird noch einmal eine Zeit kommen, wo Du mir Gerechtigkeit widerfahren lässest.“

„Diese selben Worte hast Du mir schon einmal gesagt,“ entgegnete sie, „in jener Stunde, wo ich gegen Euer starres Vorurtheil um mein Lebensglück kämpfte.“

„Dein Lebensglück! Ja, so nanntest Du es damals,“ sagte er mit langsamer Betonung und blickte sie dabei forschend an, als wollte er ihre verborgensten Gedanken ergründen.

„Und so nenne ich es auch heute noch und werde es so nennen bis an das Ende meiner Tage. Ein langes ferneres Leben von Kummer und Elend könnte die Seligkeit der Jahre nicht auslöschen, die Rudolph’s Liebe mir bereitet hat. Er ist der beste, treueste, edelste Mann; nur Du hast das niemals glauben wollen.“

Um Leonhard’s Mund zuckte es wie verhaltener Schmerz; nach einer Weile brachte er kalt hervor:

„Du wirst mir erlauben, daran heute noch mehr zu zweifeln als je. – Er ist ein schöner, liebenswürdiger, talentvoller Mann, aber ein Egoist, ein leichtsinniger Verschwender ist er, der nicht einmal Dir zu Liebe seinen Hang zum Luxus einschränken konnte.“

„Wie ungerecht Du bist!“ entgegnete sie mit edlem Unwillen; „gerade seine Liebe zu mir hat ihn zu Schritten verleitet, die ihn in sein Unglück führten.“

„Ich hörte ihn so etwas auch zu meinem Vater sagen, den dieses Bekenntniß eines edlen Herzens fast zu Thränen rührte. Mich empörte es; ich meinte, er müsse Dich besser kennen.“

„Und da hieltest Du es für Deine Pflicht, Dich in Deiner schroffen Weise meinem guten alten Onkel zu widersetzen, als er ihm seine Hülfe zusagte. Mit bösen Worten brachtest Du es dahin, daß ihm die rettende Hand wieder entzogen ward, und daß er einsam und elend in die Welt hinausging.“

„Das heißt, er machte sich auf und davon und überließ seine Frau und sein Kind ihrem Schicksal,“ entgegnete Leonhard.

„O Gott, sein Kind!“ schluchzte Clotilde. „Es bedarf keines Vaters mehr! Es schläft den ewigen Schlaf!“

„Deine Kleine todt?“ fragte er mit lebhaftem Erschrecken; „davon wußte ich kein Wort. Ich komme erst in diesem Augenblicke in die Stadt und hörte nur, daß Dein Mann fort ist. Da wollte ich Dir meine brüderliche Hülfe für alle seine verwickelten Angelegenheiten anbieten –“

„Ich danke Dir,“ sagte die junge Frau kalt. „Soweit es meinem verstörten Geiste möglich war, habe ich mich nach seinen schriftlichen Angaben über Alles orientirt, und hoffe, ohne Hülfe mit dem Geschäftlichen fertig zu werden.“

Leonhard machte eine steife Verbeugung und schwieg. Auch Clotilde blickte schweigend vor sich hin.

Endlich sagte der junge Mann mit weicher Stimme:

„Bei der traurigen Lage der Dinge, Clotilde, würde ein längerer Aufenthalt in diesem Hause, auf das die Gläubiger selbstverständlich Beschlag legen werden, vollkommen ungeeignet für Dich sein. Ich biete Dir daher in meines Vaters Namen für Dich und Deine Mobilien die Aufnahme in seiner Villa an.“

„Auch das muß ich dankend ablehnen,“ entgegnete sie. „Es wäre mir unmöglich, in einem Hause zu athmen, aus dem mein Mann mit so liebloser Härte in die hoffnungsloseste Verzweiflung getrieben worden ist.“

Ueber Leonhard’s Gesicht ging bei ihrer Antwort ein schnelles, heftiges Zucken, doch er schwieg.

„Nachdem ihm durch Dich jede Hülfe abgeschnitten, ist es ihm noch an demselben Abend gelungen, den gefährlichen Wechsel auf acht Tage zu prolongiren. Er wollte versuchen, ob er vielleicht bei einem Freunde in Hamburg Hülfe finden könnte, und fuhr in der Nacht dorthin. Auch das war vergebens; durch die Ungunst der Zeiten, nicht aus Mangel an Freundschaft. … Und so blieb ihm in seinem Vaterlande keine Hoffnung mehr, der Schande zu entgehen. Ohne einen Abschiedsblick, ohne ein letztes Wort an mich hat der Unglückliche das Schiff bestiegen, das ihn auf Jahre von mir trennt.“

Teilnehmend wollte Leonhard ihre Hand erfassen, doch sie entzog sie ihm.

„Der Prolongationstermin wird abgelaufen sein,“ fuhr sie mit bewunderungswürdiger Fassung fort, „nachdem ich mein Kind der Erde übergeben habe. Dann räume ich dieses Haus und werde mir in Dresden mit Hülfe meiner Freunde einen Wirkungskreis suchen.“

„Ah, ich verstehe; Deine schöne Stimme –“ sagte Leonhard mit finsterm Blick.

Clotilde sah mit Entsetzen zu ihm auf.

„Du kannst glauben, daß ich mit diesem Kummer im Herzen mir singend mein Brod erwerben will? Gott sei Dank, ich habe auch Anderes gelernt, und meine Kenntnisse werden für mich sorgen. Die allerunentbehrlichsten Dinge nehme ich mit. Alles, was ich sonst noch mein Eigenthum nenne, übergebe ich dem Gericht zur theilweisen Befriedigung der Gläubiger.“

„Es fragt sich, ob mein Vater als Dein Vormund zu diesem Schritte seine Einwilligung geben wird,“ versetzte Leonhard.

Clotilde erhob sich und sagte kalt:

„Wenn Du es für Deine Pflicht hältst, Dich auch diesem meinem Wunsche zu widersetzen, so kann ich Dich vermuthlich nicht daran hindern. Freilich würdest Du dadurch nichts erreichen als den Aufschub eines Jahres.“

„Wie verstehst Du das?“

„Wenn ein Jahr verflossen ist, werde ich frei sein von jedem vormundschaftlichen Zwange, und dann wird mich Niemand mehr hindern können, mit meinem elterlichen Erbtheil nach eigenem Ermessen zu schalten.“

Ueber ihr schönes, trauriges Gesicht ging ein Zug freudiger Verklärung. „Und nun,“ fuhr sie fort, als er, sie stumm betrachtend, regungslos vor ihr stand, „und nun gönnt mir ungestört die wenigen Tage, die ich noch im Anblicke meines Kindes verleben kann!“

„Ich ehre Deinen Schmerz,“ sagte Leonhard nicht ohne Bewegung. – „Ich gehe. Doch wenn Du eines Freundes bedarfst – Du weißt, daß Einer für Dich lebt.“

Er reichte ihr die Hand und sah sie aus seinen grauen Augen so unheimlich leidenschaftlich an, daß sie in Widerwillen ihre langen schwarzen Wimpern senkte. Leise, fast unhörbar erwiderte sie sein „Lebewohl“ und athmete erleichtert auf, als er die Thür hinter sich schloß. – –

In stiller Morgenstunde hatte Clotilde ihre entschlafene kleine Tochter zur Ruhe gebettet, nur von den Dienern und Dienerinnen begleitet. Als sie, auf ihre alte Hanna gestützt von dem schweren Gange heimkehrend, die Schwelle ihres Hauses überschritt, widerhallten ihre Tritte in den öden Räumen, und sie schauderte.

In der Halle reichte sie jedem ihrer Begleiter die Hand und sagte mit bewegter Stimme:

„Ich danke Euch! Ihr habt mein süßes Kind geliebt; ich wollte Niemand als Euch zu seinem Geleite haben! – Und nun lebt wohl! Alle, Alle lebt wohl!“ –

Sie entließ ihre Dienerschaft auf Niewiedersehen; sie hörte die Fortgehenden schluchzen, denn sie hatten Alle diese gütige, sanfte, [391] ruhig feste Herrin geliebt, und nun war sie allein. Wenigstens dachte sie so. Ihr Blick vergrub sich in den bunten Teppich unter ihren Füßen, und unaussprechliche, schwarze Gedanken bemächtigten sich ihrer. Doch als sie endlich aufblickte, sah sie, daß die alte Hanna noch an den Thürpfosten gelehnt unbeweglich dastand und in kummervollem Schweigen vor sich niederstarrte.

„Du noch nicht fort?“

„Nein“ antwortete Hanna.

„Hanna, was Du von mir willst, weiß ich sehr genau. Du willst mir sagen, daß Du bei mir bleiben, mich nicht verlassen willst.“

Die Alte nickte stumm.

„Das geht aber nicht, meine gute Hanna. Ich habe jetzt nichts, gar nichts mehr, wovon wir Beide leben könnten; Alles, was ich mir von meinem Nadelgeld ersparte, habe ich eben vor Deinen Augen an die guten Leute gegeben, die bei uns gedient – auch durch unser Unglück mitzuleiden haben. Ich besitze nun nichts mehr, als mein Reisegeld und einen kleinen Zehrpfennig. In Dresden wird es mir schon gelingen, meinen Unterhalt zu erwerben, aber eine Dienerin kann ich mir nicht halten.“

„Und was soll denn aus mir werden, gnädige Frau?“ gab die Alte zur Antwort. „Soll ich in meinen alten Tagen noch zu fremden Leuten gehen, oder meine letzte Lebenszeit hier ganz verlassen hinbringen? Soll ich ohne eine Menschenseele, die mich lieb hat, all das viele Geld in Gram und Scham verzehren das ich mir in Ihrem und in Ihrer seligen Eltern Hause erworben habe? Das wäre ja eine Grausamkeit,“ setzte sie fast trotzig hinzu, „und die hätte ich eigentlich nicht verdient.“

„Hanna, meine gute alte Hanna, mußt Du mir das Herz auch noch schwer machen?“ – Clotilde brach in lautes Weinen aus.

„Ach, du meine Güte, davor soll mich Gott bewahren! Wie könnte ich wohl so etwas wollen!“ rief die Alte und trocknete der Weinenden mit dem Tuche, das sie ihr aus der Hand nahm, mütterlich die Thränen. „Ich hab’ meine Sache wohl recht ungeschickt angefangen? Seien Sie mir nicht böse, gnädige Frau! Sehen Sie, ich wollte nur sehr bitten, daß Sie mich mitnehmen, wohin Sie gehen, daß Sie mir erlauben, mein Stübchen ganz in Ihrer Nähe zu miethen, und meine paar Sechser unter Ihren Augen zu verzehren. Und wenn dann Eine von uns krank ist oder sonst eine hülfreiche Hand gebraucht, dann helfen wir uns gegenseitig aus.“

Sie blickte in bescheidener Einfalt vor sich hin, als hätte sie das Allernatürlichste von der Welt gesagt.

„Meine alte Hanna,“ sagte Clotilde und schloß die Alte in die Arme – „das sehe ich schon, Dich werde ich nicht los. Du wirst auch in Zukunft keiner fremden Hand gestatten, mir einen Liebesdienst zu erweisen.“

Sie hauchte einen Kuß auf die runzelvolle Stirn der Getreuen und überließ diese mit tiefer Rührung im Herzen ihrer kindischen Freude.




4.

Ein Jahr war vergangen, ein Jahr, das der muthig ringenden Clotilde wie ein schwerer Traum entschwunden war. Der sehnliche Wunsch ihres Herzens war erfüllt. Sie hatte mit dem Gelde, das ihr Oheim und Vormund ihr heute ausgezahlt, sich mit den Gläubigern ihres Mannes völlig abgefunden. Niemand warf mehr einen Stein auf ihn. Nun durfte er wiederkehren, konnte Allen frei in’s Auge sehen. Er würde mit ihr arbeiten, mit ihr leben – in bescheidenen Verhältnissen freilich – aber seine Sehnsucht müßte so groß wie die ihre sein. Mit ihr vereint, würde er auch in der so ganz veränderten Lebenslage wieder glücklich werden.

Sie saß heute in der Villa ihres Onkels in demselben Stübchen, wo sie ihren holden Mädchentraum geträumt, wo sie ihm den Brief geschrieben hatte mit dem jubelnden „Ja“, das sie zu seiner Braut gemacht. Nun saß sie nach sechs Jahren an demselben Tischchen und schrieb wieder an den theuren Mann. Und wie vor sechs Jahren ihr Brief den Harrenden in das Haus gerufen, wo sie lebte, so sollte heute ihr Schreiben ihn aus weiter, trauriger Ferne in ihre Arme zurückführen.

Ihre Stimme klang so fröhlich, als sie auf ein Klopfen an der Thür ihr munteres „Herein!“ rief. Ein kleines Mädchen brachte einen Brief, den Clotilde glückselig an die Brust drückte. Er war von ihm. Mit ungeduldigen Fingern zerriß sie das Couvert. Sie las und las – doch sie kam nicht über die erste Seite fort. Alles Blut wich ihr aus dem Gesicht, und das Blatt zitterte in ihrer Hand. Kein Laut kam über ihre weißen Lippen, keine Thräne in ihre großen, versteinerten Augen. Unbeweglich blieben sie auf den Zeilen haften, die in schöner klarer Schrift ihr furchtbare Dinge sagten. Nach langem Starren wandte sie das Blatt um und um, griff bald nach ihrem Kopf, bald nach ihrem zuckenden Herzen und glaubte, sie sei von Sinnen.

Trotz der Erstarrung vernahm ihr Ohr Tritte, die sich ihrer Thür hastig näherten, und mit fast übermenschlicher Kraft suchte sie sich äußerlich zu fassen.

Dasselbe junge Mädchen, das ihr vor wenig Augenblicken den Brief übergab, brachte ihr nun die Nachricht, daß der Oheim seinen Kaffee in ihrer Gesellschaft zu trinken wünsche.

Warum sah die Kleine sie mit so beunruhigten Augen an? Clotilde zwang sich, ihr zuzulächeln und sagte, sie käme gleich. Zufällig blickte sie in den Spiegel und sah mit Schrecken ihr marmorweißes Gesicht. Sie rieb ihre blassen Wangen mit kaltem Wasser; sie übte sich eine freundliche Miene ein, und als sie an ihres Oheims Lehnstuhl trat, kam zu ihrer großen Beruhigung sogar ein leidlich natürlicher Ton aus ihrer zusammengeschnürten Kehle.

Doch als sie ihm die Tasse Kaffee bereiten wollte, zitterte ihre Hand so heftig, daß selbst die alten Augen es bemerkten. Der gute Graukopf betrachtete sie lange; endlich sagte er:

„Mein armes Kind, Du hast Dir heute zu viel zugemuthet! Warum ließest Du Dir nicht wenigstens von Leonhard helfen, wenn es durchaus geschehen sollte? Warum mußtest Du allein alle die großen Geldgeschäfte machen? Das war zu viel für Deinen jungen Frauenkopf.“

„O nein, mein lieber Onkel, Du irrst,“ entgegnete sie so überzeugend, wie sie es vermochte. „Das war ja reine Freude; die schadet keinem Menschen.“

„Das sagst Du wohl, Kind,“ meinte der Oheim kopfschüttelnd, „aber ich lasse es mir doch nicht ausreden: wenn man, von Jugend auf an Ueberfluß gewöhnt, Alles hingiebt, was man besaß, und nun für seine künftigen Tage nichts mehr hat, als was man bei voller Gesundheit mühsam erwerben kann – leicht muß das doch nicht sein. – Aber Du hast es so gewollt,“ fuhr er fort, als sie etwas entgegnen wollte. „Die Bitten und Vorstellungen des alten Mannes halfen nichts, und nun ist es geschehen. Ich will auch nichts mehr darüber reden. Wenn Du Deinem Onkel, der Dich wie ein Vater liebt, nur gestatten wolltest, daß er von seinem Ueberfluß zu Deiner Erleichterung eine kleine Summe jährlich –“

„Nein, nein, nein!“ fiel sie ihm bittend in die Rede. „Ich danke Dir tausendmal, aber davon darfst Du mir nichts mehr sagen. Glaube mir, ich bedarf dessen nicht. Du hast einen Sohn, dem ich nichts entziehen will.“

„Ich merke wohl, Du kannst mir nicht vergeben, Kind, daß ich mich in der entscheidenden Stunde von Leonhard beeinflussen ließ,“ sagte der Alte halblaut und legte seine welke Hand auf ihre zarten Finger. „Glaube mir, ich gewann selbst die Ueberzeugung, daß ich ein Unrecht und eine Pflichtverletzung begehen würde, wenn ich allem Verlorenen auch noch Dein väterliches Erbtheil nachwürfe. Hätte ich gewußt, daß Du es heute selber thun würdest –“

„Laß das Vergangene ruhen, lieber Onkel, und sorge Dich nicht um mich! Was ich Dir verdanke – meine Kenntnisse, für deren Erwerbung Du so väterlich gesorgt hast, die sind mir mehr werth, als alles Geld und Gut.“

Dem alten Manne traten die Thränen in die Augen. Er streichelte der jungen Frau die Wangen und schüttelte ungläubig und unzufrieden den Kopf.

„Es steht in Deinem lieben Angesicht geschrieben,“ sagte er mit Wehmuth, „daß Du Dir zu Schweres aufgebürdet hast. Gebe der Himmel Dir die Kraft!“

Der Eintritt Leonhard’s überhob Clotilde einer Antwort. Er sah sie forschend an. Sie ahnte, was kommen würde, und es blieb ihr nicht erspart.

„Du hattest wohl eine unverhoffte Freude, liebe Cousine?“

[392] fragte Leonhard mit seiner scharfen Stimme – „einen Brief von Deinem Rudolph?“

„Ja! Er kam mir sehr überraschend.“

„Du hast einen Brief von Deinem Manne?“ fragte der alte Herr und sah sie verwundert an – „und davon sagten Du mir nichts?“

„Ich las ihn noch nicht vollständig, lieber Onkel. Der Ruf zu Dir unterbrach mich.“

„Das thut mir leid, mein liebes Kind. Da geh’ doch gleich auf Dein Zimmer und stärke Dich an der Freude! Du siehst so angegriffen aus –“

„Ja, Du bist seltsam bleich,“ setzte Leonhard, sie fixirend, hinzu. „Der Brief trug keinen amerikanischen Stempel – Dein Mann scheint schon auf dem Heimwege zu sein.“

„Es scheint so,“ sagte das gequälte junge Weib mit schmerzlicher Anstrengung. „Ich möchte jetzt weiter lesen; bitte, beurlaubt mich!“

Und ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie hinaus. Auf ihrem Zimmer sank sie erschöpft in die Kniee; sie rang nach Athem und hob die Hände, wie um Auflösung flehend, gen Himmel. Dann zog sie den Brief aus der Tasche und las ihn mit starren, trockenen Augen vom Anfang bis zum Ende, aber auch nicht der leiseste Schein von Tröstung klärte ihre verstörten Züge auf. Mechanisch erhob sie sich, hüllte sich in ihren Shawl, verdeckte das Gesicht mit dem Schleier ihres Hutes und schlich durch das Haus und die Gartenpforte in’s Freie. Sie ging fort und fort, bis sie den Friedhof und das kleine wohlgepflegte Grab erreichte, in dem ihr Kind ruhte. Dann aber war ihre Kraft dahin; bewußtlos sank sie auf dem kleinen Hügel nieder.

Eine mitleidige Frau, die in der Nähe an einem Grabe weinte, eilte hinzu, als sie die schöne junge Frau wanken und fallen sah. Ihren Bemühungen gelang es bald, sie wieder in’s Bewußtsein zurückzurufen. Ueberrascht erblickte Clotilde sich in den Armen einer Fremden. Ihre trostlosen Augen sagten mehr, als Worte: „O, wär’ ich nie wieder erwacht!“

„Kann ich Ihnen helfen?“ fragte die Frau theilnehmend. „Soll ich Sie begleiten?“

„Wohin?“ murmelte Clotilde leise vor sich hin. „Wieder zurück? Ihnen Rede stehen? Ich kann nicht. Meine gute Frau,“ sagte sie nach kurzem Bedenken, „Sie würden mir einen großen Dienst erweisen, wenn Sie mir zu einer Droschke verhelfen wollten. Ich fühle mich zu schwach zum Gehen.“

„Man glaubt es Ihnen schon, liebe Dame, so bleich wie Sie sind. Sie sollen nicht lange warten; dort in der Nähe ist eine Haltestelle.“

Die Fremde ging. Als sie fort war, nahm Clotilde eine kleine Karte aus ihrem Taschenbuch und schrieb ihrem Oheim einen Abschiedsgruß:

„Ich fühle mich so krank, daß mich die Sehnsucht nach der Pflege meiner treuen Hanna heimwärts treibt. Verzeih mir das abschiedslose Davongehen, theurer Onkel! Die Stunde drängt. Bald mehr von Deiner Clotilde.“

Mit einem Geldstück gewann sie die freundliche Frau, daß sie dieses Lebenszeichen ihrem Oheim überbringe, während sie sich ohne Säumen zum Dresdener Bahnhof begab. – –

Als der Morgen graute, stand sie bebend vor ihrer stillen Behausung und klopfte mit schwachen Fingern an das Fenster ihrer Hanna. Die Alte schaute mit verschlafenen Augen durch die Scheiben und schlug vor Schreck die Hände zusammen.

„Herr du meines Lebens!“ rief sie, als sie noch im Nachtgewand die Hausthür öffnete, „was hat das zu bedeuten?“

„Ich erkläre Dir Alles, Hanna, ein ander Mal. Hilf mir jetzt schnell in’s Bett! Mir ist zum Sterben elend.“

„O du mein Himmel, du mein Himmel, was haben sie dort aus meiner Herzens-Frau gemacht!“ jammerte die Alte, während sie mit sanfter, geschickter Hand die im Fieberfrost zitternde junge Frau zur Ruhe brachte.

Die Sorgfalt ihrer treuen Pflegerin that Clotilden unsäglich wohl. Die Erstarrung begann sich zu lösen, und ein heißer Thränenstrom befreite ihre Brust. Aber ihre Lippen blieben geschlossen, und keine Menschenseele ahnte, was dieses edle Herz so tief verwundet hatte.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Das öffentliche Vortragswesen gewinnt gegenwärtig in unserem Vaterlande immer mehr an Ausdehnung und Bedeutung; die Pflege desselben lassen sich vorzüglich die Bildungsvereine, unter denen die ganz Deutschland umfassende „Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung“ obenan steht, und die kaufmännischen Vereine angelegen sein. In unseren Tagen der plattesten Nützlichkeits-Religion, wo die heilige Scheu vor dem Unerforschlichen, die Achtung vor dem Erforschten, vor den großen Errungenschaften des menschlichen Geistes tiefer und tiefer sinkt, wo Egoismus und Nihilismus nach der obersten Führung der Gesellschaft streben, wird es zur doppelten Pflicht, den auf das Höhere gerichteten Sinn wahren Menschenthums zu stützen. Dazu kommt etwas Anderes. Es bleibt bei dem jetzigen hohen Stande unserer Schulen geradezu unbegreiflich, welche Unkenntniß betreffs der einfachsten Dinge auch in den sogenannten „gebildeten Kreisen“ herrscht. Man frage nur einmal nach den täglich erschauten Vorgängen in der Natur, nach großen geschichtlichen Ereignissen, selbst den kaum vergangenen, miterlebten, und man wird über die Unwissenheit und die auf ihr basirende Oberflächlichkeit des Urtheils erstaunen. Dieser Gegensatz zu den vermehrten und für die Jugend sorgsam gepflegten Bildungsmitteln erhält nur dadurch eine Erklärung, daß das Berufsgeschäft, das Streben nach materiellem Gewinn die Thätigkeit des Einzelnen völlig absorbirt und ihm keine Zeit oder keinen Trieb mehr läßt, sich mit dem zu befassen, was ihm in seiner „Branche nichts nützt“. In beiderlei Hinsicht können die öffentlichen Vorträge, wenn sie richtig gehandhabt werden, Abhülfe schaffen. Aber die passenden Redner für diese Vorträge sind auch in der Gelehrten- und Künstlerwelt nicht allzu häufig, und die Aufgabe, welche den verschiedenen Vereinen erwächst, die nothwendigen oratorischen Kräfte in genügender Anzahl und rechtzeitig zu beschaffen, ist darum keine eben leichte. Zur bequemeren Lösung dieser Aufgabe beginnen jetzt die Vereine sich zu verbinden; es wird ihnen dadurch möglich, den Rednern einen größeren Cyclus zu garantiren und sich selbst durch die Aneinanderreihung der Vorträge von Stadt zu Stadt die Reisespesen zu verringern. So haben in den Städten der Rheinlande und Westfalens (Bonn, Köln, Crefeld, Dortmund, Elberfeld etc.) die „Vereine für wissenschaftliche Vorlesungen“ sich zu einem Verbande zusammengethan und zeigen sich durch die Resultate ihrer vereinten Bemühungen sehr zufriedengestellt.

Ein anderer Verband, in der Art des vorgenannten, „für Mitteldeutschland“ ward vor einigen Jahren gegründet und hat, Dank vor Allem der rastlosen und aufopfernden Thätigkeit des Verbandsvorsitzenden Edmund Lotz in Kassel, in der kurzen Zeit seines Bestehens eine solche Ausdehnung gewonnen, daß er gegenwärtig allein dreiundzwanzig kaufmännische Vereine umfaßt. Am 22. Juni dieses Jahres hält dieser „Mitteldeutsche Verband von Vereinen für öffentliche Vorträge“ auf der Veste Coburg seinen dritten Verbandstag ab, und sind zu letzterem zahlreiche Einladungen an andere Vereine ergangen. Auf der Conferenz sollen neben dem ständigen Programm noch die Fragen der Erweiterung des Verbands zu einem „Deutschen Verband“, eventuell unter Centralisirung des Stellenvermittelungswesens, sowie die Errichtung einer Altersversorgungscasse für Mitglieder von Verbandsvereinen berathen werden, Tedenzen, welchen wir unsererseits nur gute Erfolge wünschen können.




In der Kirche. (Vergleiche das Bild auf Seite 381) Der Frühling ist die holdeste, aber er ist zugleich die für das menschliche Leben gefährlichste Jahreszeit. Wie häufig fällt der Ausspruch: der – oder die – wird das nächste Frühjahr nicht überleben, namentlich im Hinblick auf jene Hoffnungslosen mit den Rosen des Todes auf den Wangen, in deren sich verzehrendem Organismus der Hauch des erwachenden Naturlebens die fressende Flamme zu rascherer Vernichtung aufstürmt! Wie manches einst beglückte Frauenbild mag der eben erwachte Frühling in die dunklen Farben der Trauer gekleidet haben, wie das junge, blühende Weib in der stillen, versteckten Kirchenecke auf unserem Bilde sie trägt, deren ernste Züge das Helldunkel so reizvoll verklärt. Das Leben ist voller Gegensätze: hier der Tod, dort eine Welt voll springender Knospen; hier der Schmerz und dort die Frühlingslust; hier eine kühle, ernste, verhüllende Kirche, dort die weite lachende Natur, in der Alles quillt und zum Licht drängt. Ob ohne diese Gegensätze das Dasein begehrenswerther wäre? Eine dunkle Frage, die Niemand gelöst hat und Niemand lösen wird.


Kleiner Briefkasten.

M. D. in St. Natürlich eine Unachtsamkeit! General von Goeben ist nicht commandirender General des siebenten, wie es in dem Artikel „Das Sommerheim der Kaiserin“ in unserer Nr. 20 heißt, sondern des achten Armeecorps. Daß dem Pavillon irrthümlich Einrichtungen der Trinkhalle zugeschoben sind, verschuldete eine Unklarheit im Manuscript.

R. Westphalen. Ungeeignet! Verfügen Sie über das Manuscript!

D–i L. K–n. Als nicht verwendbar dem Papierkorb übergeben.

A. N. in E. Geben Sie gütigst die gewünschten Hefte und Nummern der betreffenden Jahrgänge an!

D. F. in München. Ungeeignet.

Th. St. in Ulm. Dr. E. Rey, Naturalienhandlung in Leipzig.

W. G. und E. O. in Bremen. B. J. in Berlin. Wie wir bereits nachgewiesen, ist das bewußte Heilverfahren nichts als eine schamlose Speculation auf die Leichtgläubigkeit der leidenden Menschheit. Also, wenn wir rathen dürfen: keinesfalls!


Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.