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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1867
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[1]

No. 1.   1867.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr.    Monatshefte à 5 Ngr.



An unsere Freunde.


Wir begrüßen zum fünfzehnten Jahrgang der Gartenlaube unsere Freunde mit der Nachricht, daß dieses von ihnen mit so ehrender Treue bevorzugte Familienblatt von heute ab in einer Auflage von

210,000 Exemplaren

erscheint. Wir danken diesen auf der ganzen Erde unerreichten Erfolg der in Deutschland immer heimischer werdenden Bildungsfreude, deren Segen für das Gemeinwohl und den nationalen Aufschwung unseres schönen Vaterlandes nicht ausbleiben kann. Uns aber legt die großartige Anerkennung, die in dem Erfolge selbst sich ausspricht, die Verpflichtung auf, unser Familienblatt solcher Auszeichnung immer und in jeder Weise würdig zu erhalten.

Leipzig, am Weihnachtsfeste 1866. Die Redaction. 



Die Brautschau.

Ein Bild aus den oberbairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
1.0 Die Sichelhenk.

Die Sonne hatte sich geneigt; wie ein Goldstrom fluthete es von der Ebene durch die breit sich öffnende Thalmündung herein in die traute Bergeinsamkeit, in welcher der Schliersee sich lieblich eingebettet hat. Am Fuße der Berge, in den Obsthainen des Dorfes und der zerstreuten Einzelhöfe dämmerte es schon stark, aber die höheren Halden zu beiden Seiten hinan waren noch hell genug, daß die herbstlich roth gefärbten Buchenwipfel wie mächtige Blumenbüschel aussahen, mit denen das Tannengrün der Wälder besteckt war. Die Gipfel der Berge, der breite Rücken der Rohn und der scharfe Zackengrat des Jägerkamms glänzten im letzten Strahl eines schon erlöschenden Alpenglühens; klar, duftig, hell und kühl wölbte sich der andunkelnde Abendhimmel darüber, mit manchem aufblitzenden Sternlein geziert, und all’ das Glühen und Dunkeln, das Licht und die Nacht, Höhe und Tiefe spiegelte sich wieder in der Fläche des Sees, gleich als wär’ er ein fühlend Menschenherz, das Erd und Himmel aufgenommen und in sich vereinigt habe.

Die Ruhe und Stille eines sanften Entschlummerns waltete über der ganzen Landschaft; nichts war zu vernehmen, als hier und da ein Ton, der sich anhörte wie ein im Beginn unterbrochenes oder halb verwehtes Glockenläuten. Er kam von der Anhöhe herab, wo aus dichten Obstbaumwipfeln sich Giebel und Altane eines stattlichen Bauernhauses emporhoben; vor demselben auf der Grad saß ein alter Mann, an dem dort überall angebrachten Steinwürfel, in welchem ein Stück Eisen eingelassen ist, um ihn als Ambos brauchbar zu machen. Der Alte hielt eine Sense über das Eisen und „dengelte“ sie mit kunstgerechten Hammerschlägen, ihr die bei der Arbeit abgenutzte Schärfe wiederzugeben.

Um das Haus herum und in ihm war es nicht minder still als in der Umgebung; alle häusliche und ländliche Arbeit schien gethan, wie am Vorabend eines Festtages, wo die Feierstunde wohl ein wenig früher zu schlagen pflegt; der mächtige Rauch, der aus dem Schornstein aufwirbelte, bestätigte die Vermuthung und schien anzudeuten, daß man auch in der Küche tüchtig daran war, zu etwas Ungewöhnlichem zu rüsten. Die Emsigkeit des Alten in der allgemeinen Ruhe hatte etwas Sonderbares, aber so eifrig er auch über seiner Sense her war, mochten seine Gedanken doch anderwärts umherwandern, denn es geschah wohl, daß die Hammerschläge zeitweise immer langsamer wurden. Dann ließ er den Hammer auch wohl völlig sinken, horchte forschend um sich und blickte nach der Richtung der Landstraße hin, die sich hell und schmal durch den Thalgrund heranschlängelte. Manchmal hielt er sogar die Hand über die Augen, als wäre das Blenden der Abendsonne daran schuld, daß er nichts sehe.

„Weit und breit keine Spur,“ murrte er dann grollend vor sich hin, „es ist schier nimmer zu machen mit dem Loder, dem nichtsnutzigen! Ich werd’ ihn einmal tüchtig in’s Gebet nehmen müssen.“

Dann griff er wieder zu, und als hätte er den Erwarteten schon vor sich, schwang er den klingenden Hammer tüchtig und ließ die Sense seinen Unmuth entgelten.

Der Mann mochte ein Sechsziger sein; wenn er arbeitete, sah er gebeugt aus und das vollständig weiße Haar ließ ihn älter erscheinen; richtete er sich aber auf, dann war nicht zu verkennen, daß in der hagern sehnigen Gestalt noch Kraft und Rührigkeit wohnte, und unter den etwas wirren buschigen Haaren und Brauen funkelten ein paar entschlossene Augen, als wäre der Mann an’s Befehlen gewöhnt und nicht recht wohl geartet, Widerspruch zu ertragen.

[2] Ueber dem Hämmern bemerkte er nicht, daß auf dem am Fuße der Anhöhe hinziehenden Fahrwege ein Bursche herangegangen kam; Rechen und Heugabel über seiner Schulter und der Wasserkrug in seiner Hand zeigten, daß er vom Felde kam und den Tag bei der Arbeit im Freien verbracht hatte. Er blieb stehen und sah eine Weile zu dem Alten hinauf.

„Mach’ Feierabend, Brunnhofer!“ rief er, als dieser über seiner Sense ihn nicht gewahr ward oder nicht gewahr werden wollte. „’Bet-Läuten ist schon vorbei, heut’ wirst Du’s auch nicht mehr erreißen und wenn Du noch so drauf los dengelst …“

„Geh’ Deine Weg’, Michel,“ brummte der Alte, „kümmer’ Dich nicht um andre Leut’; ein Jedes thut, wie’s ihm taugt.“

„Hoho,“ rief der Bursche lachend entgegen, „ist wieder einmal Sturm im Kalender? Man wird doch noch mit den Leuten reden und sich verwundern dürfen. Die Ernt’ ist vorbei, Rechen, Gabel und Sichel hat jetzt Ruh’ bis über’s Jahr, jetzt muß die Drischel her und Du haust auf Deine Sensen los, als wenn’s in aller Früh zum Haberschneiden geh’n sollt …“

Der Alte brummte etwas Unverständliches zwischen den Zähnen und hämmerte noch stärker.

„Ich geh’ schon,“ lachte der Bursche wieder, „will Dich nicht irr’ machen in Deiner Geschäftigkeit, ich wollt’ nur wissen, ob der Sylvest nicht am Abend in’s Dorf hinüber kommt zum Wirth! Morgen ist Sichelhenk’: die wollen wir antrinken, von der Schrannen muß er ja doch schon lang daheim sein …“

Die Worte des Burschen mußten den Alten an der wunden Stelle getroffen haben; er sprang auf, schleuderte die klirrende Sense vor sich auf den Boden, den Hammer nebenan in’s Gras und schien den unwillkommenen Frager in noch derberer Weise abfertigen zu wollen, aber er kam nicht dazu. Ein Zweiter, ein älterer Bauersmann war mit bestaubten Schuhen, den Bergstock in der Hand und den Zwerchsack auf dem Rücken, die Straße herangewandert und hatte die letzten Worte mit angehört.

„Wenn Ihr auf den Vestl warten wollt,“ sagte er, ebenfalls stehen bleibend, „dann dürft Ihr Euch die Weil’ nit lang werden lassen! Das kann hübsch spat werden, bis der kommt!“

„Warum?“ rief Brunnhofer und trat rasch an das Geländer vor, das den Abhang des Bauernhauses gegen die Straße hin eingrenzte. „Was ist’s mit dem Vestl, Grieshuber? Wo bleibt er so lang? Ist ihm ’was passirt etwa?“

„Passirt?“ erwiderte der Bauer. „Nein, so viel ich von der Sach’ versteh’, ist er ganz lustig und alert wie alleweil …“

„Aber, wo ist er denn? Wo bleibt er so lang’?“

„Na, na, brauchst Dich nit gleich zu sorgen und zu ängstigen,“ rief der Bauer mit einem schnellen Seitenblick auf den Burschen, den dieser mit spöttischem Lächeln des Einverständnisses erwiderte; es galt, den mürrischen Empfang des Alten durch eine derbe Neckerei zu vergelten. „Weiß wohl und sagt’s auch alle Welt, daß Du den Buben, Deines Bruders Sohn, gern hast und in ihn hineinschaust, wie in einen Spiegel, aber mußt Dich nit gleich kränken wegen seiner! Das Buberl ist doch nimmer so gar klein, daß er auf der Schrannen oder unterwegs verloren geh’n könnt’ mitsammt dem ’Treidwagen und den zwei Schweißfuchsen davor: Die Fuchsen sind wohlauf – in jedem Fall!“

Der griesgrämige Brunnhofer hätte für sein Leben gern mit einer Grobheit erwidert, die ihm schußfertig aus der Zunge saß, aber er hielt mit Anstrengung an sich, er wollte erfahren, welche Nachrichten der Mann von dem Erwarteten brachte.

„Meine Fuchsen,“ sagte er, „was ist’s mit denen?“

„Die Fuchsen, ja – die hab’ ich geseh’n,“ sagte der Bauer mit verschmitztem Zögern, „ich bin auch in Holzkirchen auf der Schrannen gewesen, hab’ ein Kalbel hingetrieben … aber es ist nichts zu machen mehr! Die Ernt’ ist heuer gut ausgefallen, es giebt Getreid’ in Ueberfluß, das Korn ist wieder heruntergegangen, der Bauer kann nichts verdienen mehr bei den schlechten Zeiten!“

„Aber der Vestl?“ drängte Brunnhofer. „Aber meine Fuchsen, will ich sagen …“

„Ja so – die hätt’ ich bald vergessen! Die hab’ ich übern Markt traben sehen – es ist ein schön’s Paar Schweißfuchsen, frisch und rund, es thät kein Tropfen Wasser drauf halten. Der Vestl muß sein ’Treid schon verkauft gehabt haben, denn er ist auf dem Wagen droben g’standen und hat die Ross’ tanzen lassen, daß die Leut’ nur so steh’n geblieben sind vor Verwunderung …“

In den Zügen des geschmeichelten Alten tauchte ein zufriedenes Schmunzeln auf; der Andere fuhr fort:

„Ich bin erst viel später fort von Holzkirchen, hab’ noch ein Geschäft abmachen müssen beim Seidlbräu, dann bin ich langsam meinen Weg heimgetappt, hab’ mich auch in Miesbach noch ein Bissel verhalten; es ist schier duster worden, wie ich vor den Markt herausgekommen bin. Und wie ich so dahin marschir’, seh’ ich auf einmal auf einem grünen Grasfleckl neben der Straß’ Roß und Wagen steh’n. Schau, hab’ ich mir ’denkt, das wäre bald ein Paar Rösseln, wie dem Brunnhofer seine Schweißfuchsen, und richtig, wie ich näher hinkomm’, sind sie’s auch wirklich gewesen …“

„Meine Fuchsen? Aber wo – wo?“

„No, no – es war kein gefährlicher Ort! Sie haben auf dem grün’ Fleckl gegras’t und haben sich’s wohl sein lassen!“

„Aber wo?“ rief der Alte ungeduldig. „Und ist kein Mensch dabei gewesen?“

„Keine sterbliche Seel’! Das hat’s auch nit nöthig gehabt; die Fuchsen sind ja lampelfromm … und was hätt’ ihnen denn auch passiren können? Du weißt ja das schöne grüne Grasfleckl an der Schlierach, wo der Weg hinauf geht nach Agatharied …“

„Was? Bei der Schenk? Bei dem Staudenhäusl?“

„Richtig! Wie Du Dich gut auskennst, Brunnhofer! … Schau’, hab ich mir da so ’denkt, wird doch dem Vestl nichts passirt sein, weil Roß und Wagen da so allein steht? Ueber dem – so geh’ ich in meinen Gedanken zu dem Staudenhäusl hin – da hab’ ich’s aber schon von Weitem gehört, daß es kein Unglück abgegeben hat und daß es lustig hergeht! Da hab’ ich Juchezen hören und Schleifen, wie wenn man tanzen thut, und ein Klankenett (Clarinette) hat ’pfiffen dazu, daß es nur so gehällt hat!“

„Hab’ ich mir’s nit denkt?“ murrte der Alte. „Der Musikanten-Hallunk ist wieder dabei!“

„Da bin ich zum Staudenhäusl hin und hab’ zum Fenster hineing’schaut, da ist der Klankenetten-Muckl auf der Bank g’sessen und hat aufgespielt, daß ihm die Backen hätten aufspringen mögen; der Vestl aber hat die Kellnerin um die Mitt’ g’habt und hat gejuchezt und gestampft und Langaus ’tanzt, daß der Staub davon g’flogen ist!“

Der alte Brunnhofer hatte sich, um seinen Verdruß zu verbergen, mit seiner Tabakspfeife zu schaffen gemacht, er schlug in Einem fort Feuer, aber so sehr Stahl und Stein knirschten, so munter die Funken blitzten – der Zunder schien naß geworden zu sein und wollte hartnäckig nicht brennen. „Stern-Sacra,“ rief er jetzt ärgerlich „bring’ ich denn heut kein Feuer zuwegen?“

„Zu was denn, Brunnhofer?“ sagte der Bauer, der sich mit dem Burschen zum Fortgehen wandte. „Kannst ja bei Dir selber anzünden, im obern Stock! Da brennt’s hellauf, was ich mein’! Na, gute Nacht, Brunnhofer, nix für ungut und laß Dir fein die Weil’ nit lang werden, mit’m Warten!“

Lachend gingen die Beiden ihrer Wege; der Alte sah ihnen nach, bis sie im Gebüsch an der Ecke verschwunden waren. Dann begann er in scheltenden Worten das Herz zu erleichtern. „Stern-Sacra,“ wetterte er in sich hinein, „ist das ein Kreuz mit dem Buben! Nicht genug, daß er ganzen Tag herumzigeunert, wie ein Scheerenschleifer, daß er nicht heimkommt zur rechten Zeit, daß er meine Prachtfuchsen auf der Straßen stehen laßt – auslachen muß man sich auch noch lassen von den Leuten! Wenn mir eins von den Rossen verschlagen thät oder steif werden, wo nehmet’ ich wieder ein solches Paarl her … aber jetzt soll’s aus einem andern Ton gehen! Jetzt will ich meinen Kopf aufsetzen und, wenn er heimkommt, einmal ein Wörtl mit ihm reden auf gut Deutsch!“

Einen Blick warf er noch in die immer mehr verdämmernde Landschaft, dann ging er langsam dem Hause zu; der offene Hausgang, an dessen Ende sich die Küche befand, war jetzt von dem Heerdfeuer beleuchtet und sah so wohnlich und gastlich aus, daß es den Vorübergehenden wohl anheimeln mochte, verweilend einen Blick hinein zu werfen oder wohl gar einzutreten in das bequeme behäbige Haus. Der Brunnhofer war zu unwillig, einen solchen Eindruck zu empfangen, auch hatte er kaum drei Schritte gethan, als ihm neuer Aerger entgegen kam. Am Heerde schlug plötzlich eine helle Lohe auf, eine Dampfwolke stieg empor und wälzte sich brenzlich in den Hausgang.

„Stern-Sacra,“ schrie er, durch den Qualm in die Küche [3] stürmend, „willst mir wohl das Haus überm Kopf anzünden, Schwagerin? Kannst nit besser umgeh’n mit der Sach’? Meinst wohl, das Schmalz kost’ nichts, weil Du’s nur herausstechen darfst aus dem Hafen?“

„No, no,“ entgegnete die Hauserin, eine stattliche Frau mit freundlich gerundetem, geröthetem Angesicht. „Ich hab’ schon die letzte Lag’ Küchel in der Pfann’; wegen dem Bröckel Schmalz, das mir unversehens von der Gabel gefallen ist, wird dem Faß der Boden noch nicht aus sein! Der Schwager macht halt aus jeder Mucken einen Elephanten!“

Der Brunnhofer hatte einen Spahn ergriffen und endlich die Pfeife in Brand gesetzt. „Hab’ ich etwa nicht Ursach’ dazu?“ rief er paffend und dampfend. „Wegen dem Bröckel Schmalz kann der ganze Hof in Rauch aufgehen! Und nachher – das ist ja ein ganzer Berg von Kücheln, die da gebacken werden! Will mich die Schwägerin auf die Gant bringen, daß sie so in den Tag hinein haust?“

Die Frau ließ sich durch das Schelten nicht irre machen und fuhr ruhig fort, die Pfanne über dem Feuer zu schütteln, worin das letzte ‚Richt‘ des schneeweißen Gebäcks sich verlockend zu bräunen begann. „Es ist nicht um ein Stück mehr, als allemal gebacken worden sind!“ sagte sie ruhig. „Wenn’s dem Schwager zu viel ist, hätt’ er’s nur sagen brauchen … ich hab’s nit wissen können, daß es dem reichen Brunnhofer die Küchel nimmer leid’t zu der Sichelhenk!“

„Willst mich noch foppen auch zu all’ mein’ Verdruß?“ rief der Bauer. „Und ich sag’ der Schwagerin, es muß anders werden; es ist nirgends keine Ordnung im Haus und nirgends kein Respect!“

Die Schwägerin sah ihn einen Augenblick seitwärts an, als wolle sie eine gereizte Antwort geben, dann wandte sie sich achselzuckend ab und fuhr fort, die Küchel auf der zweizinkigen Gabel abtropfen zu lassen und zu dem schon aufgethürmten Berge zu häufen. „Dann thät’ ich’s halt ändern, wenn ich der Schwager wär’!“ sagte sie kaltblütig. „Ich mein’, ich hätt’ ihm die zehn Jahr’ her, seit die Schwester todt ist, Haus und Hof wohl zusammen gehalten – wenn’s dem Schwager aber nimmer taugt, darf er’s nur sagen; ich kann alle Stund’ geh’n und weiß wohin! Und wenn man keinen Respect vor’m Schwager hat, wird’s wohl sein, weil er sich kein’ verschaffen kann!“

„Oho, ich werd’ mir ihn schon verschaffen! Ich werd’! Es ist nur, weil ich zu gut bin gegen Euch Alle miteinander und besonders gegen den Lumpazi, den Vestl!“

„Aha, blast der Wind wieder einmal aus dem Eck? Hätt’ mir’s einbilden können! Der verflixte Bub’, was hat er denn schon wieder ’than?“

„Gethan?“ rief der Brunnhofer und dampfte wie unsinnig. „Das ist ja eben das Kreuz, daß er nichts thut! Nichts als auf d’ Jagd laufen und auf alle Scheibenschießen ’rumfahren!“

„Weil er halt der beste Schütz ist weit und breit und weil ihn der Forstner überall dabei haben will!“

„Oder gar mit dem Stutzen herum spazieren geh’n und den Officier spielen!“

„Weil er der sauberste Bursch’ ist von Allen und weil ihn die Bergschützen halt durchaus als Corporal gewollt haben …“

„Bei Tag und Nacht nit heimgeh’n …“

„Aber d’ Arbeit ist doch allemal gescheh’n, wann’s sein muß und wie sich’s gehört.“

„Nichts als Händel anfangen! Aufbegehr’n, wenn ihm Einer eine schiefe Red’ giebt, und noch gar d’reinschlagen!“

„Ja, das ist wahr,“ sagte die Hauserin beistimmend, „das hat er erst neulich wieder gethan, wie’s auf den Schwager Trutzg’sangeln g’sungen haben!“

„Was? Trutzg’sangeln auf mich? Wer hat das ’than? Wo ist das gewesen?“

„Wo wird’s gewesen sein? Am Lienhardi-Tag, drinnen im Neuhaus bei’m Bocksteffel! Da waren Marbacher Burschen an dem einen Tisch und der Vestl, der just vom Josesphsthal herauskommen ist, am andern … Da haben sie ang’fangen Trutzliedeln auf einander zu singen und haben über einen gewissen Bauern g’spöttelt, der im Frühjahr auch einmal mit’gangen ist auf die Jagd und hat einen Baumstamm für einen Rehbock ang’schaut. …“

„Stern-Sacra!“ murrte Brunnhofer und biß auf seine Pfeife.

„Der Vestl aber,“ fuhr die Hauserin fort, „hat’s nit gelitten und hat’s den Burschen abgeboten … die haben ihn ausgelacht, weil sie die Mehreren gewesen sind, ihrer Sieben oder Acht über Einen. Der aber ist nit faul gewesen und hat frisch angepackt. ‚Wer mein’ Vettern schimpft, der schimpft mich,‘ hat er g’rufen, und in fünf Minuten ist die Stuben ausg’räumt g’wesen und die Marbacher sind draußen g’legen, als wenn s’ ihrer Lebtag nit g’standen wär’n!“

Der Alte erwiderte nichts; er dampfte gemächlicher und stopfte mit dem Finger die Gluth in der Pfeife nieder. Er war sichtlich geschmeichelt und innerlich erfreut über des Burschen Kraft und Entschlossenheit und daß er so entschieden für ihn eingestanden, allein der Unmuth war noch zu groß, als daß er vermocht hätte, es zu gestehen.

„Da haben wir’s ja!“ polterte er, aber merklich milder. „Das ist ja, was ich sag’! Ihrer Sieben oder Acht über Einen! Wie leicht hätt’ das ein Unglück abgeben können! Aber es muß anders werden, hab’ ich g’sagt und ich halt’s!“

Die Hauserin hatte indeß ihr Geschäft beendet, das Feuer gelöscht und war eben daran, die mächtige Eisenpfanne wieder blank zu scheuern. „Mein, mein!“ rief sie dazwischen. „Es hat keine so große Gefahr mit dem Vestl! Und wenn nit Alles wär’, wie’s sein sollt’, wer wär’ daran schuld, als der Schwager selber? Er hat den Buben in’s Haus g’nommen und hat ihn verzogen und verwöhnt und in ihn hineingeschaut, wie in ein’ Spiegel!“

„Was hätt’ ich denn sonst thun sollen, Schwagerin? Ist er nit das Kind von meinem Bruder und ein armer Narr gewesen dazu? Ich bin ein alter einschichtiger Mann, ich hab’ keine andern Blutsfreund’ – Deine Schwester, mein braves Weib, ist auch schon lang heim’gangen.“

„ … Tröst’s Gott …“ sagte die Hauserin und faltete die Hände.

„D’rum,“ fuhr der Alte fort, „und weil unser Herrgott mir keine Kinder vermeint hat, haben wir den Buben bei uns behalten und ich hab’ mir vorgesetzt, er sollt’ einmal Brunnhofer werden, sollt’ Alles haben und mir einmal die Augen zudrücken, als ein richtiger Bauer und als ein braver, ordentlicher Mensch … Aber wenn’s so fort geht und er kommt auf den Hof, so kommt sein Camerad, der Musikant, der Clarinetten-Muckl, mit ihm und die Jager alle und die Schützen, da geht das Loderleben erst recht an und eh’ ein paar Jahrl’n vergeh’n, ist der ganze prächtige Hof verblasen und verschossen und verjubilirt und der Lump ist fertig oder der Bettelmann!“

„So arg wird’s auch nit werden, Schwager!“ erwiderte begütigend die Hauserin. „Mit den Jahren kommt der Verstand … das wird halt im Blut stecken! Das wird er von seinem Vater haben! Der ist ja auch auf und davon und hat den schönen Hof hinten gelassen, blos von wegen dem lustigen Leben beim Militari …“

„Still, Schwagerin,“ unterbrach sie der Alte und blickte um sich, als sei ein gefährliches Wort gesprochen worden und als wolle er sich überzeugen, daß Niemand zugegen, der es belauscht haben könnte … „still! Keine solche Red’ mehr – wann sie wüßt, wie sehr sie dem Todten damit Unrecht thut, sie thät ihrer Lebtag das Maul nimmer so weit aufmachen … Aber ich kann’s der Schwagerin jetzt wohl sagen! Jetzt ist’s besser, sie erfahrt, was ich die Zeit her alleweil bei mir behalten hab’ … vielleicht ist sie nachher meiner Meinung und hilft mir …“

„Da bin ich doch neugierig!“ sagte die Hauserin, nahm einen mächtigen Wollstrumpf zur Hand und machte sich zum Zuhören und Stricken bereit.

„Die Schwagerin weiß wohl,“ begann der Alte, „es sind unser zwei Brüder gewesen auf dem Brunnhof – der Andrä, das war der Aeltere, der einmal den Hof hätte kriegen sollen – und ich. Es sind schwere Kriegszeiten gewesen dazumal – die Leut’ waren rar und die Güter wohlfeil und der Brunnhof war heruntergekommen; es hat für mich nit viel Andres herausgeschaut, als meiner Lebtag als Bauernknecht herumdienen oder auch Soldat werden. Wär’ auch schier so gekommen! Der Vater ist alt gewesen und hat in die Ruh’ verlangt und wollt’ dem Andrä den Hof übergeben. Der hat sich eine Heirath aussuchen sollen und das ist ihm nit schwer g’fall’n, er hat ja schon lang einen Schatz g’habt – ein saubres braves Dirndl, aber auch ein bissel von der armen Seiten … Das wär’ Alles noch gar nit schlimm gewesen – aber da ist das Unglück kommen: das Madel ist [4] weggestorben Knall und Fall und mitten im Brautstand und hat den Bruder allein zurückgelassen mit einem verschuld’ten Hof und – mit ein’ Kind ohne Mutter …“

Die Hauserin sah vor sich hin; die Nadeln standen still – sie ließ vergangene Tage innerlich an sich vorüber ziehen.

„Ich denk’s noch wohl,“ sagte sie dann nickend, „es war um dieselbe Zeit, wo der Schwager mit der Nothburg, der Schwester selig, angebandelt hat … O du heiliges Kreuz, was hab’ ich Verdruß und Herzleid aussteh’n müssen wegen Euch Zwei!“

„Ja, ja – eine betrübte Zeit!“ sagte Brunnhofer. „Aber schön ist’s doch gewesen … was gäb’ ich d’rum, wenn ich die gute Nothburg aus der Gruben holen könnt’ …“

Die Pfeife war ihm ausgegangen; er legte sie neben sich auf die Bank, neigte sich leise vor und faltete nachsinnend die Hände über den Knieen. „Ist mir auch, als wär’s gestern, daß ich das erste Mal mit ihr getanzt hab’ auf dem Miesbacher Kirchweih’, und als wär’s gar nit wahr, daß sie gestorben ist, und sie müßt’ jeden Augenblick herein kommen bei der Thür und mich anlachen, wie dazumal … Nachher,“ fuhr er nach kurzem Innehalten erzählend fort, „nachher ist ein Befehl heraus’kommen vom König, es hat neue Mannschaft fort müssen in den Krieg und das hat mich auch getroffen – denn es ist nimmer erlaubt worden, daß man sich einen Mann stellen darf, und ich hätt’ auch das viele Geld nit gehabt dazu! – So bin ich halt noch hinüber zu meiner Seligen und hab’ ihr B’hüt Gott sagen wollen für die Ewigkeit, denn an ein Wiederkommen war nicht zu denken und wenn auch – für mich wär’ doch keine Aussicht gewesen bei der reichen Bauerntochter …“

„Ja, ja, dasselb’ ist schon wahr,“ nickte die Schwägerin, „der Vater hätt’s niemals zu’geben, niemals nit!“

„Das haben wir auch eing’seh’n, ich und die Nothburg, und haben Abschied genommen voneinander, an einem Waldspitz vor einer kleinen Feldcapellen, und haben geflennt, daß sich ein Stein hätt’ erbarmen können. Wie wir dann auseinander sind, bin ich in meiner Betrübniß noch eine Weil’ sitzen geblieben – da ist auf einmal der Bruder, der Andrä, hinter mir gestanden, der ist in der Capellen drin’ gewesen und hat gebet’t und hat drüber Alles mit angehört … .‚Steffel,‘ hat er gesagt, ‚ich weiß jetzt, wie’s bestellt ist mit Dir – versprich mir’s als Bruder, daß Du Dich um meinen Buben, den Vestl, annehmen und daß Du ihn halten willst wie Dein leibliches Kind – nachher will ich Dir helfen, Dir und der Nothburg …‘ Ich hab’ ihn groß und klein angeschaut vor lauter Verwunderung und hab’ mir nit gleich einbilden können, was er meinen könnt’, aber ich hab’ ihm versprochen, was er verlangt hat, mit Herz und Hand – d’rauf ist er fortgewesen, wie er ’kommen ist … und Tags d’rauf war er in der Stadt und hat sich statt meiner gestellt und ist Soldat worden für mich … Dem Vater hat er gesagt, er wollt’ den Brunnhof nit, er wär’ ihm verleidt – er wollt’ sich trösten und einen braven Soldaten abgeben für den König und für’s Land; das Gut sollt’ er mir übergeben, damit ich die Nothburg sollt’ heirathen können, und sollt’ mir besser geh’n, als es ihm gegangen …“

Der Hauserin waren Thränen in die Augen gekommen. „Das ist freilich ein and’res Korn,“ sagte sie und drückte ihren Strumpf vor’s Gesicht … „der gute der arme Mensch! …“

„Ich bin noch einmal hinein in die Stadt,“ begann der Bauer wieder, „den Tag bevor sie ausmarschirt sind nach Rußland … ich hab’ ihm noch einmal B’hüt’ Gott gesagt und hab’ ihm noch einmal meine Hand gegeben und mein Versprechen; d’rauf haben sie angefangen zu blasen und zu trommeln und sind fort, ganz lustig und alert, als wenn’s zu einer Lustbarkeit ginge. – Ich bin dann heim und hab’ Alles zurecht gemacht wegen der Uebernahm’ und wegen der Hochzeit, und an dem Tag’, wo wir das erste Mal verkündt worden sind, da ist die Botschaft kommen von der großen Schlacht, wo so viele Tausende zu Grund ’gangen sind in dem grauslichen Winter, und daß den Andrä eine Kugel ’troffen hat und daß sie ihn eingescharrt haben in dem russischen Schnee, der nit eher zergeht, als am jüngsten Tag … Nachher seh’n wir uns wohl wieder, ich und der Andrä, und das ist mein Trost, daß ich ihm dann mit Rechten sagen kann, daß ich mein Wort so redlich g’halten hab’ wie er das seine …“

„Das hat der Schwager gethan – wahrhaftig und redlich …“ schluchzte die gerührte Hauserin.

„Drum will ich’s auch zu Ende bringen,“ sagte Brunnhofer, wieder in den frühern Ton einlenkend. „Ich will’s nit leiden, daß mir der Bub zu guter Letzt’ Alles zernicht’, daß ich einmal vor meinem Bruder dasteh’n müßt wie ein Lugenbeutel … Ich will dem wilden Heinssen (Füllen) einen Zaum auflegen, der ihn bändigen kann! Gut thun muß er und geht’s an Gattern oder Zaun, – anders muß es werden, das sag’ ich und dabei bleib’ ich …“

Er war im besten Zuge, sich wieder in den alten Aerger hineinzureden, als im dunklen Hofraume draußen der Hund laut bellend anschlug und an seiner Kette hin und wider rasselte. „Stern-Sacra!“ rief er aufspringend. „Was giebt’s denn schon wieder? Was hat denn der Sultan, daß er so rebellt?“

„Was wird er haben!“ erwiderte gleichmüthig die Schwägerin. „Vielleicht ist die Katz über’n Hof g’laufen oder er hört einen andern Hund bellen oder es ist eine Kuh los’ worden im Stall … will gleich nachschaun …“

„Eine Kuh los’ worden im Stall?“ polterte der Alte. „Wie kann das sein, wenn sie richtig angehenkt sind? Ich sag’s ja – es geht Alles drunter und drüber! Es ist keine Ordnung im Haus.“

Während dieser Worte hatte er eine Stalllaterne von der Wand heruntergerissen, angezündet und war scheltend den Hausgang entlang dahin gerannt; kopfschüttelnd sah ihm die Hauserin nach und öffnete die hintere Küchenthür. „Alte grantige Zuwider-Wurz!“ murmelte sie, „bis er den Umweg um’s Haus macht, bin ich dreimal im Stall und das ganze Unglück ist wieder gehoben …“

(Fortsetzung folgt.)




Ein Quartett bei Goethe.

Erinnerung aus Weimars großer Zeit. Von Prof. J. C. Lobe.


Es war Anfangs November, im Jahre 1821, als drei Mitglieder der weimarischen Hof-Capelle, darunter auch der Schreiber dieser Zeilen, zu dem Herrn Geheimerath von Goethe bestellt, von dem Diener in das bekannte Zimmer, vorn heraus nach dem sogenannten Plan liegend, eingeführt wurden. Drei Pulte standen an der Seite des geöffneten Flügels für uns bereit. Auf demselben lag ein Convolut geschriebener Notenhefte. Neugierig, wie ich in Sachen der Musik immer war und noch bin, blätterte ich darin und las: Studien im doppelten Contrapunkt; ein anderes Heft war überschrieben: Fugen; ein drittes: Kanons. Dann kam: Quartett für Clavier mit Begleitung von Violine, Viola und Cello. Auf allen Heften stand der Name: Felix Mendelssohn-Bartholdy. Die Noten waren mit fester zierlicher Hand geschrieben, und soviel ich bei schnellem Ueberblick bemerken konnte, zeigte die Mache einen tüchtig ausgebildeten Künstler. Der Name Mendelssohn als Musiker war uns unbekannt.

Während wir unsere Instrumente in die Hand nahmen und vorläufig in Stimmung mit dem Clavier setzten, trat ein langer Mann herein, den man seiner militärisch straffen Haltung nach wohl für einen ehemaligen Wachtmeister hätte halten können. Mir war er indeß nicht fremd, ich hatte ihn das Jahr vorher in Berlin besucht, – es war der Professor Zelter, der bekannte Director der Berliner Singakademie, Goethe’s treuer Freund und Duzbruder.

Er begrüßte uns freundlich und mich als „alten Bekannten“. „Ich bin voraus gegangen, meine Herren,“ begann er dann, „um vorläufig eine Bitte an Sie zu stellen. Sie werden einen zwölfjährigen Knaben kennen lernen, meinen Schüler, Felix Mendelssohn-Bartholdy. Seine Fertigkeit als Clavierspieler, mehr wohl noch sein Compositionstalent werden Sie wahrscheinlich in einigen Enthusiasmus versetzen. Nun ist aber der Junge eine eigene Natur. Alles Dilettantengejauchze um ihn herum berührt ihn nicht; auf das Urtheil der Musiker aber lauscht er begierig und

[5]

Der junge Mendelssohn-Bartholdy bei Goethe.
Originalzeichnung von C. Döpler.

[6] nimmt jedes für blanke echte Münze; denn der junge Kiekindiewelt ist natürlich noch zu unerfahren, um wohlwollende Aufmunterung von verdienter Anerkennung immer gehörig unterscheiden zu können. Darum, meine Herren, wenn Sie zu einem Lobgesang angeregt werden sollten, was ich immer zugleich wünsche und fürchte, so führen Sie ihn in mäßigem Tempo, nicht zu geräuschvoll instrumentirt, und in C-dur, der ungefärbtesten Tonart, auf. Bisher habe ich ihn vor Eitelkeit und Selbstüberschätzung bewahrt, diesen vermaledeiten Feinden alles künstlerischen Fortschreitens.“

Ehe wir noch etwas auf diese einigermaßen sonderbare Anrede erwidern konnten, kam er herein gesprungen, der Felix. Ein schöner, blühender Knabe, mit entschieden jüdischem Typus, schlank und gelenk; reiches, schwarzes Lockenhaar floß ihm bis in den Nacken herab. Geist und Leben sprühten aus seinen Augen. – Er sah uns einen Augenblick neugierig an, dann trat er auf uns zu und gab jedem freundlich zutraulich die Hand, wie alten Bekannten.

Mit Felix war auch Goethe eingetreten, der unsre ehrfurchtsvolle Verbeugung freundlich grüßend erwiderte. „Mein Freund,“ sagte er, auf Zelter deutend, „hat da einen kleinen Berliner mitgebracht, der uns dieser Tage große Ueberraschung als Virtuose bereitete. Nun sollen wir ihn auch noch als Componisten kennen lernen, wozu ich Ihre Beihülfe erbitte. So laß uns denn hören, mein Kind, was Dein junger Kopf producirt hat.“ Bei diesen Worten strich Goethe dem Knaben über die langen Locken.

Allsobald lief dieser zu den Noten, legte die Stimmen für uns auf die Pulte, die Principalstimme auf den Flügel, und nahm eilig Platz auf dem Sessel. Zelter stellte sich hinter Felix zum Umwenden, Goethe einige Schritte seitwärts, die Hand auf den Rücken; der kleine Componist warf einen feurigen Blick auf uns, wir legten die Bogen an, eine Bewegung von ihm mit dem Lockenhaupt und das Spiel begann.

Dies ist der Moment, den der Künstler aufgefaßt und, sowohl in Bezug auf die Scene selbst als auf alle Einzelheiten des Gemachs, auf’s Treueste dargestellt hat. Goethe hörte alle Sätze mit der gespanntesten Aufmerksamkeit an, ohne besondere Bemerkungen zu machen, als etwa nach dem einen Satz ein „Gut“, nach dem andern ein „Brav“, welches er mit einem freundlich beifälligen Nicken begleitete. Zelter’s Ermahnung eingedenk, zeigten auch wir dem Knaben, dessen Antlitz im Verfolg des Vortrags sich immer höher röthete, unsern Beifall nur durch erfreute Mienen.

Als der letzte Satz zu Ende, sprang Felix von seinem Sitz auf und blickte Alle der Reihe nach mit fragendem Blick an. Er mochte nun etwas über sein Werk hören wollen. Goethe aber nahm, wahrscheinlich von Zelter gestimmt, das Wort und sagte zu Felix: „Recht brav, mein Sohn! Die Mienen dieser Herren“ – auf uns deutend – „sprechen deutlich genug aus, daß ihnen Dein Product recht gut gefallen hat. Nun geh’ hinunter in den Garten, man erwartet Dich, und erhole und kühle Dich ab, denn Du brennst ja lichterloh.“

Ohne Weiteres sprang der Knabe zur Thür hinaus.

Als wir unsere Blicke fragend auf Goethe richteten, ob wir entlassen seien, sagte er: „Verweilen Sie noch ein wenig, meine Herren; mein Freund und ich wünschen Ihre Ansicht über des Knaben Composition zu vernehmen.“

Es entspann sich nun eine längere Unterhaltung, deren speciellen Gang ich freilich nach so vielen Jahren nicht mehr anzugeben vermag, weil ich leider in meinen Tagebüchern nichts darüber aufgezeichnet finde. Manche Aeußerung ist mir jedoch im Gedächtniß geblieben, da mein späteres näheres Verhältniß zu Mendelssohn mir öfter Anlaß gab, mich jenes ersten Zusammentreffens mit ihm wieder zu erinnern.

Goethe bedauerte, daß wir den Kleinen heute nur im Quartettspiel kennen gelernt hätten. „Die musikalischen Wunderkinder,“ sagte er, „sind zwar hinsichtlich der technischen Fertigkeit heutzutage keine so große Seltenheit mehr; was aber dieser kleine Mann im Phantasiren und Primavistaspielen vermag, das grenzt an’s Wunderbare und ich habe es bei so jungen Jahren nicht für möglich gehalten!“

„Und Du hast doch den Mozart in seinem siebenten Jahre in Frankfurt mit angehört!“ sagte Zelter.

„Ja,“ erwiderte Goethe, „damals zählte ich selbst erst zwölf Jahre und war allerdings, wie alle Welt, höchlich erstaunt über die außerordentliche Fertigkeit desselben. Was aber Dein Schüler jetzt schon leistet, mag sich zum damaligen Mozart verhalten, wie die ausgebildete Sprache eines Erwachsenen zu dem Lallen eines Kindes.“

„Allerdings,“ sagte Zelter lächelnd, „was das Fingergeschlecht betrifft, so spielt der Felix die Concerte, mit denen Mozart seiner Zeit die Welt in Erstaunen versetzte, als leichte Spielerei frisch vom Blatte weg, ohne eine einzige Note sitzen zu lassen. Aber das können jetzt viele Andere noch. Bei mir handelt sich’s um das schaffende Talent des Knaben, und“ – sich an uns wendend, – „was meinen nun die Herren zu seiner Quartett-Composition?“

Es wurde von unserer Seite mit voller Ueberzeugung ausgesprochen, daß Felix viel selbstständigere Gedanken producire, als Mozart in denselben Jahren, der damals noch nichts anderes als gewandte Nachahmungen des Vorhandenen geliefert habe. Hiernach sollte man schließen dürfen, daß die Welt mit diesem Knaben einen zweiten Mozart in verbesserter Auflage erhalten werde, und um so sicherer, als er von blühender Gesundheit strotze und alle äußeren Umstände ihm so günstig wären.

„Möchte es so sein,“ sagte Goethe. „Wer aber kann sagen, wie ein Geist sich in der Folge entwickeln mag? Wir haben schon so manches vielversprechende Talent falsche Wege einschlagen und unsere großen Erwartungen täuschen sehen. Indeß davor wird diesen jungen Geist der Lehrer bewahren, den ihm das gute Glück in Zelter zugeführt hat.“

„Ich nehme es wohl ernst mit dem Jungen und halte ihn neben seinen eigenen freien Arbeiten immer bei der Stange der strengen contrapunktischen Studien. Allem wie lange kann das noch dauern, so entläuft er meiner Zucht – ich kann ihn ja eigentlich jetzt schon nichts Wesentliches mehr lehren – und einmal frei, wird sich’s erst zeigen, wohin seine eigentliche Richtung geht.“

„Ja, und überhaupt,“ sagte Goethe, „ist es mit dem Einfluß des Lehrers eine problematische Sache. Das, was den Künstler groß und eigenthümlich macht, kann er nur aus sich selbst schaffen. Welchen Lehrern danken denn Raphael, Michel Angelo, Haydn, Mozart und alle ausgezeichneten Meister ihre unsterblichen Schöpfungen?“

„Freilich,“ bemerkte Zelter, „es haben Viele angefangen wie Mozart, aber noch ist ihm Keiner nachgekommen. (Beethoven wurde nicht erwähnt und so nannten auch wir seinen Namen nicht.) „Der Felix hat Phantasie, Gefühl und tüchtige Technik, Alles in eminentem Grade; er hat überall gute, zuweilen charmante, nichts weniger als Knabengedanken, aber vor der Hand ist es doch nur erst hübsche Musik, die noch auf der Erde herumkriecht, die Sprache des Genius weht noch nicht darin, darüber täusche ich mich nicht. – Meinen Sie nicht so, meine Herren“ – Da er es selbst aussprach, konnten wir ihm wohl beistimmen. Doch fügte ich hinzu: „Auch in Mozart’s Knabencompositionen war diese Sprache noch nicht zu vernehmen.“

Hier erlaubte ich mir die Frage, „ob dieses Quartett auch ganz, wie wir es gehört, von dem Kleinen herrühre.“ „Ja, ja,“ erwiderte Zelter, „alles eigenhändig und – eigengeistig, ich sage, auch ganz eigengeistig. Was Sie gehört haben, bringt er jetzt fertig, ohne jegliche Beihülfe. Ich weiß wohl, wie’s die meisten Lehrer machen. Um ihre Lehrkunst zu apotheosiren, überschmieren sie die Arbeiten ihrer Schüler so lange, bis von den Gedanken der letzteren wenig oder nichts übrig bleibt, und geben’s dann für die Arbeit der Scholaren aus. Das ist eine niederträchtige Schwindelei und Charlatanerie. Sie täuschen nicht allein die Angehörigen und das Publicum, sondern auch die Schüler selbst, die sich bald einbilden, Alles selbst gemacht zu haben. Es ist ein Uebel, das schon manches wirklich schöne Talent verdorben und in seiner höhern Ausbildung gehemmt hat. Den da lasse ich gewähren, lasse ihn jetzt machen, was er jetzt machen kann; da bleibt die Schaffenslust stets frisch, weil er mit dem jedesmal Gemachten zufrieden ist und ihm die Freude am Gelungenen nicht durch die Kritik vergällt wird. Die kommt bald von selbst. Die Einsicht wächst und damit der Trieb zum Neu- und Bessermachen. Darum hat dieser zwölfjährige Bube schon mehr geschrieben, als mancher Dreißigjährige; mag’s sein, wie’s will, es ist da, als nöthige Stufe, die Keiner, auch das höchste Genie nicht, zu überspringen vermag. Behüte uns der Himmel die seltene Pflanze vor allen störenden Einflüssen, so wird sie sich gewiß als ein Prachtexemplar entfalten.“

Dies waren ungefähr die Aeußerungen, deren ich mich noch erinnere. –

[7] Siebenzehn Jahre später. Der Knabe war zum Manne erwachsen. Ich hatte seinen steigenden Ruf und Ruhm mit Interesse verfolgt, mich an seinen fortwährend erscheinenden, immer bedeutender herausgearbeiteten Werken mit steigender Theilnahme erfreut, ihn aber während siebenzehn Jahren persönlich nicht wieder gesehen. Jetzt war er der berühmte Dirigent der Leipziger Gewandhausconcerte, die durch seinen Geist auf ihren Höhepunkt gebracht worden waren. Von allen Seiten wurden die Leistungen dieses Orchesters unter Mendelssohn’s Commandostab als das Vortrefflichste gerühmt, was man an exactem, geistvollem, energischem und fein ausgearbeitetem musikalischem Ensemblespiel wahrnehmen könne. Was Wunder, daß ich dieses Genusses einmal theilhaftig zu werden wünschte. Und so setzte ich mich hin, schrieb ein Tonbild für großes Orchester, und wandte mich, als es fertig, brieflich mit der Bitte an Mendelssohn, es im Gewandhaus zur Aufführung bringen zu dürfen. Ich sprach von keiner pecuniären Vergütung dafür und nur den Wunsch aus, mein Werk selbst einstudiren und dirigiren zu dürfen.

Bald darauf erhielt ich einen freundlichen Brief von Mendelssohn, worin er mir meldete, daß man der Aufführung meines Tonbildes mit Vergnügen entgegensehe und es der Direction auch sehr angenehm sein werde, wenn ich es dem Publicum selbst vorführen wolle. Ich erwähne dieses Briefes vorzüglich einer Stelle wegen, die sein edles, liebevolles, zugleich zartes, gegen Künstler vornehmlich immer nach Möglichkeit hülfreiches Gemüth charakterisirt. Er schrieb nämlich: „Es schien mir auch wünschenswerth, daß Ihnen, zu Deckung eines Theils der Reisekosten wenigstens, ein Honorar angeboten würde, obgleich Sie nichts davon erwähnten; unsere Mittel sind freilich sehr beschränkt, indeß dachte ich doch, es möchte Ihnen nicht unwillkommen sein, und auch hierauf höre ich, daß die Herren Directoren eingegangen sind.“ Das war im November 1838.

Bald darauf kam ich mit meinem Opus nach Leipzig. Mendelssohn empfing mich auf’s Freundlichste, Herzlichste, war in den Proben eifrig beiräthig, um die Ausführung so vollkommen wie möglich zu machen, und als er an dem verhängnißvollen Abende zu mir auf das Orchester kam und meine nervöse Stimmung bemerkte, sagte er: „Sie scheinen Angst zu haben?“ – „Ach, sehr starke!“ erwiderte ich. – „Ah, bah!“ sagte er darauf, „das haben Sie nicht nöthig. Ihr Werk ist gut, das wissen und müssen Sie wissen. Wie es das Publicum heute aufnimmt, was kommt darauf an! Wollen wir’s besser verlangen, als es den größten Meistern von jeher so oft gerade mit ihren besten Sachen ergangen ist?“

Die Composition erhielt, wie die Leipziger Kritik schrieb, einen succès d’estime. Ich war auf’s Tiefste niedergeschlagen und sagte von der Zeit an der Composition die Freundschaft auf. Ich erwähne dieses Umstandes auch nur, weil es der Anlaß zu einem freundschaftlichen Verhältniß zu Mendelssohn wurde, der in meiner Musik doch etwas mehr als das Publicum gefunden haben mochte, denn er hat mir von da an stets eine große Theilnahme bewiesen und erhalten.

Zum Beweise theile ich einen späteren Brief von ihm aus dem Jahre 1843 hier vollständig mit. Meines Wunsches, der darin berührt ist, kann ich mich nicht mehr entsinnen. Es liegt auch nichts daran.

     „Lieber Herr Lobe!

Wie gern ich jeden Ihrer Wünsche erfüllen möchte, wissen Sie wohl. Aber ich bin im Augenblick nicht im Stande Ihnen die gewünschten Themas und Durchführungen aufzuschreiben, weil mich eine Menge Arbeiten und Geschäfte gar zu sehr in Anspruch nehmen, und besonders weil ich glaube, daß es von Ihnen selbst gemacht sein muß, wenn es gerade für Ihren Zweck recht passen soll. Ich lege daher diesen Zeilen die Partitur eines Quartetts und die meiner neuen Symphonie bei, und bitte Sie dieselben zum Andenken an mich zu behalten. Vielleicht finden Sie darin, was Sie brauchen; wo nicht, so wird Ihnen eine dortige Musikalienhandlung gewiß die Partituren meiner vier übrigen Quartetten, die jetzt alle bei Breitkopf und Härtel erschienen sind, zur Ansicht leihweise schicken, und wenn sie Umstände machen sollten, so will ich mit Breitkopf und Härtel reden, daß die es thun. Ich hoffe (oder fürchte?) aber, Sie werden an den beiden Sachen, die ich beifolgend schicke, übergenug haben. Die Symphonie hätte ich Ihnen ohnedies über kurz oder lang geschickt, oder bei einer Durchreise selbst gebracht; denn sie ist mir lieb, und Sie wissen, wie viel mir daran gelegen ist, wenn einem Musiker, wie Sie, ein Stück recht ist, das mir selbst recht ist.

Vollenden Sie nur Ihre Oper bald, daran fehlt es doch jetzt an allen Ecken und Enden. Und gebe Gott, daß unsre Verhältnisse sich hier günstig gestalteten, daß wir im Stande wären, Sie hier zu fesseln, ohne die Sorge, daß Sie es später bereuen möchten, uns ein Opfer gebracht zu haben. Ich gebe die Hoffnung nicht verloren, daß dies in den nächsten Jahren wohl noch einmal so weit kommen könnte, aber freilich möchte ich am liebsten, es wäre gleich! Wann es aber auch sei, kein Mensch wird sich mehr darüber freuen und mit mehr Lust auf die Erfüllung einer solchen Aussicht hinarbeiten als Ihr stets aufrichtig

Ihnen ergebner     
Felix Mendelssohn-Bartholdy.“

Von dieser Zeit an habe ich manche glückliche Stunde mit dem geliebten Meister verlebt. Er kam mehrmals nach Weimar, und dann spielte er uns, und einigen ihm besonders genehmen Personen, entweder bei mir oder bei dem damaligen Musiklehrer Montag seine neuesten Compositionen vor. Größere Gesellschaft aber verbat er sich stets bei solchen Gelegenheiten. „Lassen Sie uns heut Abend Musik machen,“ sagte er gewöhnlich, „aber ganz unter uns. Wir müssen im Nothfall die Röcke ausziehen und in Hemdärmeln spielen können.“ Eines Abends kam ich erst nach zehn Uhr aus einer Opernprobe nach Hause. Freudigen Angesichts kam meine Frau mir entgegen mit der Frage: „Wer, denkst Du, ist hier gewesen? Mendelssohn! Er war auf der Durchreise begriffen (wenn mir recht ist, auf seiner Brautfahrt nach Frankfurt) und bedauerte sehr, Dich nicht anzutreffen. ‚Wissen Sie was, liebe Frau Lobe,‘ sagte er, ‚ich werde die paar Stunden, die ich hier auf den Abgang der Post warten muß, bei Ihnen bleiben und, wenn Sie wollen, Ihnen etwas vorspielen.‘ Und darauf setzte er sich an den Flügel und hat wohl zwei Stunden fast ununterbrochen mir allein die schönsten Sachen vorgetragen, und göttlich phantasirt.“ Daß meine Frau diesen Abend nicht vergißt und stolz darauf ist, kann man sich denken. Ein anderes Mal wurde Musik bei Montag gemacht. Mendelssohn spielte sein D-moll-Trio. Dann wurde ein Streichquintett von meiner Composition vorgenommen, dazu spielte er die zweite Viole sehr sicher und gewandt. Wo sich aber Gelegenheit fand, suchte er mir auch auf andere Weise gefällig oder nützlich zu sein. So z. B. hatte er sich über genanntes Quintett sehr günstig gegen meine edle Gönnerin und vielfache Wohlthäterin, die Frau Großherzogin Maria Pawlowna, ausgesprochen, worauf mir „in Folge einer ehrenvollen Anerkennung meines künstlerischen Strebens durch Herrn Dr. Mendelssohn-Bartholdy“, wie es hieß, ein sehr ansehnliches Geschenk von der hohen Frau übermacht wurde.



Sechsundzwanzig Jahre später. Wenigen möchte es bekannt geworden sein, daß der kräftige, gesunde, überaus lebhafte, immer heitere, in allen Beziehungen glückliche und sein Glück erkennende Mann zuweilen von Ahnungen eines frühzeitigen Todes befallen wurde. Als er seinen „Paulus“ in der Weimarischen Stadtkirche aufführte, wir nach einer Probe desselben Beide allein auf seinem Zimmer im „Erbprinz“ saßen und ich – damals ein arger Hypochonder – bemerkte, daß ich von seinen späteren Schöpfungen wenig genießen würde, erwiderte er: „O, mein Lieber, Sie werden mich lange überleben!“

Ich wollte über seine Aeußerung scherzen, er aber fiel mir mit der ganz bestimmten Versicherung in’s Wort: „Ich werde nicht alt!“ – Dann aber, als bereue er diese Aeußerung, nahmen seine Züge den heitersten Ausdruck an; er ging zu Besprechung der eben beendeten Probe über, wobei er vorzüglich die Freundlichkeit und Willigkeit hervorhob, mit der ihm alle Mitwirkenden entgegengekommen wären.

Wie hätte ich in jener Stunde, da der schöne, in Fülle der Gesundheit vor mir sitzende Mann erst ein beginnender Dreißiger war, denken mögen, daß wenige Jahre nachher schon seine Prophezeiung in Erfüllung gehen werde! Ich war 1846 nach Leipzig übergesiedelt, traf ihn frisch, munter, nach allen Seiten hin ununterbrochen thätig, hatte mich mancher geistreichen und belehrenden Unterhaltung mit ihm noch zu erfreuen, eine davon habe ich in [8] meinen „Fliegenden Blättern für Musik“ aufgezeichnet, und — ein Jahr nachher, 1847, in seinem achtunddreißigsten Jahre schon — sechsundzwanzig Jahre nach der ersten Begegnung mit dem schönen, genialen Knaben bei Goethe, wie ihn das Bild darstellt, trugen sie den großen Tonkünstler aus seiner Wohnung in der Königsstraße nach der Pauliner-Kirche. Neben seinem Sarge wandelte unter den unzähligen Leidtragenden auch der Schreiber dieser Zeilen.





Die erste Wochensuppe.


„Die Barke wendet rasch zum Strand!“
Den Schiffer zieht von trauter Stätte
Die froh’ste Botschaft an das Land:
Ein Knäblein schmückt sein Ehebette!

5
O wie das Meer sich heute dehnt,

Wie träge sich die Segel bauchen –
Und die beglückte Mutter sehnt
Sich nach des Gatten treuen Augen!

Da endlich ist das Haus –

10
Die Thür – das Himmelbett im Stübchen:

Zwei Arme strecken stolz sich aus
Und halten hoch ihm hin sein Bübchen.
Was er zuerst geküßt, geherzt?
Das Weib? das Kind? Wer kann es wissen!

15
Er herzt und küßt und weint und scherzt;

Vom Sturm der Wonne hingerissen.

Und nun der liebsten Augen zu
In der Genesung Schlummer fielen,
Wie wacht er über ihre Ruh’,

20
Wie leis’ berührt sein Fuß die Dielen!

Da blüht noch einmal auf die Zeit
Und all' die Lust der Flitterwochen,
Da wird’s dem Mann zur Seligkeit,
Das Wochensüppchen selbst zu kochen.

25
Und wenn zum ersten Male dann

Sanft ruhend in des Lehnstuhls Kissen
Die Gattin den geliebten Mann
Belauscht so frauendienstbeflissen:
Wie selig lächeln Beide doch –

30
Und Jedes möcht’ es gern verhalten –

Die Gattin über ihren Koch,
Der Gatte über all sein Walten!

Kein Augenblick ist freudenleer,
Wo ließ ein solches Glück sich nieder:

35
Die Blicke scherzen hin und her

Und finden stets beim Kind sich wieder.
Und ruht im Arm ihm Weib und Knab’,
Wird ein Gebet sein Herz bewegen:
„O Gott, vom Himmel gieß herab

40
In meinen Himmel deinen Segen!“
Friedrich Hofmann.




Aus der Geschichte der Väter Jesu.
Von Alfred Meißner.


Die Prager Universitätsbibliothek enthält unter ihren handschriftlichen Schätzen ein kleines, aber nicht unwerthvolles Manuscript ihres seit Jahren verstorbenen Custos Fischer. Der Mann interessirte sich ganz besonders für Ganganelli und trug mit großer Emsigkeit Alles zusammen, was über das Ende des freisinnigen Papstes bekannt wurde, auf welchem noch immer der Schleier des Geheimnisses ruht. Ohne seine eigene Meinung kundzugeben, ohne sich für eine oder die andere Ansicht auszusprechen, sammelte der alte Bücherfreund und hat damit, wie mir scheint, nichts Unverdienstliches gethan.

Zu einer Zeit, in welcher das Zuströmen von Jesuiten nach Oesterreich, die instinctive Renitenz der Bevölkerung gegen diese und der besondere Schutz, den eine durch den Gang der Ereignisse unbeirrbare Regierung der Gesellschaft zukommen läßt, Jeden auffordern, sich mit der Geschichte des Ordens näher bekannt zu machen, habe ich auch diese Handschrift aufmerksam durchgesehen. Selbst eine Specialgeschichte, wie die einer Ordenskörperschaft, übt nämlich auf mich immer nur den Eindruck einer Landkarte aus, die ich wegen der Uebersichtlichkeit des Zusammengehörigen in Ehren halte, die mich aber immer auffordert, den oder jenen Gebirgszug, dieses oder jenes Flußthal selbst zu bereisen und die Pfade durch’s Gestrüpp selbst aufzuspüren. Ich finde das Interesse nur im Detail. Ueber eine Reihe von Ereignissen so entschieden geheimnißvollen und criminalistischen oder eigentlich tragischen Charakters, wie die sind, welche den Tod Clemens des Vierzehnten begleiten, hatte ich längst schon den Wunsch, mich näher zu unterrichten, und da war mir das besagte Manuscript ein gar willkommener Fund. Es leistete mir dieselben Dienste, wie dem Wanderer auf einer Fußtour das Notizbuch eines Vorgängers. Ich erfuhr, besser als irgendwo anders, wo die Quellen fließen, konnte ihnen nachgehen und will nun versuchen, aus ihnen das kurzgefaßte Bild einer Kette von Ereignissen zu entwerfen, die vor etwas weniger als hundert Jahren die ganze gebildete Welt mit Bestürzung erfüllten.

Es war am 10. August 1773, an welchem Clemens der Vierzehnte das Breve: dominus ac redemptor noster erließ, durch welches der Orden Jesu für ewige Zeiten aufgehoben wurde.

Diese Maßregel hatte, wie die Macht der Jesuiten damals stand, die Bedeutung eines Staatsstreichs. Der Orden zählte in seinen Klöstern über achttausend Mitglieder. In Rom wohnte der Ordensgeneral Ricci, der, als der Papst in ihn drang, die Gesellschaft Jesu zu reformiren, das stolze Wort: sint ut sunt, aut non sint! (sie sollen sein wie sie sind oder sie sollen gar nicht sein) gesprochen; er war eines Anhangs in den unteren Classen gewiß. Während alle Jesuitenhäuser Roms militärisch besetzt wurden – man hatte deren Insassen die Wahl gelassen, in Gemeinschaft, aber unter Aufsicht eines Weltgeistlichen weiter zu leben, doch ohne Verrichtung geistlicher Handlungen, oder das Ordenskleid abzulegen und bei den Bischöfen geistliche Verrichtungen zu übernehmen, in beiden Fällen wurde ihnen ein Jahrgehalt zugesagt – und während die Bevölkerung, von der an den Ecken angeschlagenen Proclamation aufgeregt, sich bis tief in die Nacht auf den Straßen umherbewegte, blieb Ganganelli wach im Vatican. Ohne geschlafen zu haben, begab er sich am anderen Morgen nach Castel Gandolfo.

Wiewohl bereits achtundsechszig Jahre alt, stand Ganganelli in voller, rüstigster Kraft da. Seine Gesundheit war, wie Cardinal Bernis in einem Brief vom 3. November 1773 sagt, nie blühender gewesen.

Ganganelli war ein klarer, erleuchteter, freidenkender Kopf, dem es nicht an Energie und Festigkeit fehlte, aber er war kein gewaltsamer Charakter und von jedem Fanatismus frei. Er hatte vier Jahre damit zugebracht, die Frage der Auflösung des Jesuitenordens zu discutiren. Von allen Seiten drängten ihn die Monarchen, er konnte kaum ausweichen, wenn er das freundschaftliche Verhältniß mit den großen Höfen, welches sein Vorgänger in Frage gestellt, wieder herstellen wollte. Aber nachdem er lange die Sache hingehalten und mit sich selbst über die Verderblichkeit dieses Ordens einig geworden war, verstand er sich mit ruhiger Entschiedenheit zu dessen Aufhebung. Doch sagte er nach Unterzeichnung des Breves, die Feder weglegend: questa supressione me darà la morte! (Diese Aufhebung wird mir den Tod geben.)

Schon von dem Zeitpunkt an, wo die Aufhebung des Ordens

[9]

Die erste Wochensuppe.
Originalgemälde von Rudolf Jordan.


in Erwägung gezogen wurde, hatten die Jesuiten, ihrer Gewohnheit gemäß, durch provocirte Prophezeiungen auf die Gemüther zu wirken angefangen, 1770 hatten die Weissagungen einer gewissen Bernardina Beruzzi aus dem Dorfe Valentano begonnen. Sie sagte unter anderm, die Gesellschaft werde nicht aufgelös’t werden, es würde vielmehr ein in großem Ansehen stehender Jesuit von Clemens den Purpur erhalten. Die Prophezeiungen behielten diesen gemäßigten Charakter, so lange die Jesuiten noch hofften. Als sie sich des Schlimmsten versahen, weissagte die Beruzzi, der Papst werde am 24. März todt sein.

Nach geschehener Publication kannte die Wuth der Jesuiten keine Grenzen; ja sie gingen soweit, die Wahl Clemens des Vierzehnten für erschlichen und ungültig und ihn selbst als den Antichrist zu erklären.

Mit diesen Anfeindungen gingen die Prophezeiungen Hand in Hand. Im Kloster zu Montefiascone lebten zwei Nonnen, Bernardina Ranzi und Maria Poli. Die letztere war stigmatisirt; sie bot jene Erscheinung der blutenden Wundmale an Händen und Füßen dar, von denen die Heiligenlegende so viel erzählt, die aber die exacte Medicin nie zu sehen Gelegenheit fand. Sie prophezeite: die Gesellschaft Jesu werde wieder aufleben, die Priester würden in ihre Provinzen zurückkehren, aber die himmlische Rache werde nicht ausbleiben. Der Papst und die Fürsten, welche die Unterdrückung veranlaßt, würden sterben. Und zwar werden sich diesmal keine Gläubigen finden, die der Gewohnheit gemäß dem sterbenden Papst die Füße küssen.

Die Weissagungen dieser beiden Nonnen wurden, wie in der später angeregten gerichtlichen Verhandlung zu Tage kam, durch deren Beichtväter, die Jesuiten Coltraro und Veniza, in Briefen an Ordensmitglieder verbreitet. Coltraro schrieb an seinen Freund: „Pflanze die Gerüchte fort, damit ein System in die Sache komme“, und hat damit auf’s Naivste eine Probe seines Ordens ausgesprochen.

Zu diesen Todankündigungen scheint mir noch das Erscheinen eines Kupferstichs zu gehören, der unmittelbar nach der Aufhebung der Jesuiten in den deutschen Ländern verbreitet wurde. Die Prager Universitätsbibliothek besitzt ihn in zwei von einander wenig verschiedenen Ausgaben. Man sieht auf diesen Kupfern den Tod, ein Geripp in einen Mantel gehüllt, den Schädel mit Lorbeer gekrönt, wie nach einer Heldenthat. Er hält eine Fahne in der Hand. Vor ihm steht ein Exjesuit, als Weltpriester gekleidet, in Mantel mit kleinem Collet, den dreispitzigen Hut in der Hand. Er scheint heiter und guter Dinge. Im Hintergrunde in der rechten Ecke steht eine Art von Tabernakel, an welchem die abgelegten Insignien der Jesuiten hängen. Ober dem Bilde sieht man das bekannte Symbolum der Jesuiten, rund herum die Worte: „Freuet Euch, Eure Namen stehen im Himmel.“

Unter dem Bilde liest man auf dem einen der Kupfer: „Sic finis erit!“ (So wird das Ende sein!) und die Worte: quod bonum est in oculis suis, faciat(I. Sam. 3. 18.) Was gut ist in seinen Augen, wird er thun (der Exjesuit?).

Bei allen diesen Androhungen baldigen Todes blieb Ganganelli gesund und munter und unternahm die weiteren Schritte, die zur Durchführung der Aufhebungspublication nothwendig geworden. Am 24. September wurde der General Ricci mit seinen fünf Assistenten und noch drei anderen Jesuiten verhaftet, in die Engelsburg gebracht und wegen der Ordensgeheimnisse, besonders wegen der vermutheten großen Ordensschätze, inquirirt. Doch man entdeckte weder die einen noch die andern, da Ricci Zeit gehabt, sowohl Geld als Papiere in Sicherheit zu bringen.

So kam das Jahr 1774 heran.

Der Papst erhielt nun von vielen Seiten Winke, sich vorzusehen. Der Vicar von Padua meldete der Congregation de rebus Jesuitarum, daß ein Jesuit in seiner Gegenwart in den [10] heftigsten Ausdrücken gegen Clemens gesprochen und ihm den Tod im nächsten Herbst angekündigt habe.

An einem Tage der heiligen Woche 1774 empfand der Papst nach dem Mittagsessen plötzlich eine Bewegung im Magen und im Unterleib, wie von einer großen inneren Kälte. Er schrieb dies aber blos dem Zufall zu und heiterte sich nach und nach auf. Man bemerkte aber bald, daß er die Stimme ganz verloren. Er bekam eine „ungewöhnliche Art von Katarrh“. Man beschloß daher, da er am Osterfeste die Messe in einer Capelle der Peterskirche zu lesen hatte, solche Maßregeln zu ergreifen, daß er vor Zugluft geschützt sei.

Der Papst fing nun an, an Entzündungen des Mundes und des Schlundes zu leiden. Er hatte wunde Stellen, welche ihn sehr beunruhigten und ihm einen außerordentlichen Ekel zuzogen. Man bemerkte, sagt der Bericht seines Leibarztes Saliceti, dem wir hier folgen, daß er den Mund immer sperrangelweit aufhalte. Es erfolgte hierauf ununterbrochenes Erbrechen und eine große Schwäche der Füße. Er war oft schläfrig. Hierauf kamen Schmerzen im Unterleib, Zurückhaltung des Harns. Der Papst sprach immerfort davon, daß man ihm Gift gegeben, er wurde sehr kleinmüthig, man hörte ihn oft rufen: compulsus feci! (Ich that es gezwungen.) Er nahm Pillen zu sich, die man ihm als Gegengift bezeichnete.

So währte es die Monate Mai, Juni, Juli. Die Entzündungen in der Mund- und Rachenhöhle dauerten fort. Die Kräfte des Patienten nahmen fortwährend ab. Im Juli fing er an, ein „Blutreinigungswasser“ zu trinken, dessen er sich alle Jahre bedient hatte. Das Halsweh, die Entzündung des Rachens, die Schwäche und der außerordentliche Schweiß hörten nicht auf.

Wohl mochte der arme kranke Ganganelli wissen, wie er daran sei! Wem konnte er trauen? Auf welchen Arzt und welchen Koch sich verlassen? Wir werden später sehen, wie geheime Hände bis in sein Bureau zu langen und Papiere hineinzuschmuggeln verstanden …

Ende August begann der Papst den Ministern wieder Audienz zu ertheilen. Er hatte seine natürliche Frische und Leutseligkeit verloren, war sehr reizbar und wurde leicht zornig.

Schon seit Monaten fand man auf in’s Auge fallenden Mauern der Häuser die Buchstaben

I. S. S. S. V.

Man wußte nicht, was das zu bedeuten habe. Die visionäre Nonne von Valentano gab aber bald die Aufklärung. Es habe zu bedeuten:

In settembre sarà sede vacante.
Im September wird der Stuhl vacant sein.

Nach allen diesen Ereignissen bekam Clemens am 10. Septbr. ein Fieber mit Ohnmachten und einer so gänzlichen Entkräftung, daß man seinen Tod täglich erwartete. In dieser Zeit schrieb Cosmas Schmalfuß, Augustiner und Assistent seines Ordensgenerals, an diesen in einem noch vorhandenen Briefe: moritur cum gravissima de propinato veneno suspicione; er stirbt unter größtem Verdacht der Vergiftung. Man ließ Ganganelli zur Ader – etwa zehn Unzen Blut – fand aber kein Zeichen von Entzündung darin. Das Blut hatte sein gehöriges Serum. Am 11. verlor sich das Fieber, der folgende Tag war gut. Die Kräfte erholten sich, der Papst sprach davon, seine gewohnten Spaziergänge zu machen und nach Castelgandolfo zu gehen.

Am 15. kam die Schwäche wieder, mit einem Tag und Nacht anhaltenden Schlafe. Nur in der Nacht des 18. wachte er etwas. Als er am 19. über eine Entzündung des Unterleibes mit Harnverhaltung klagte, öffnete man ihm abermals die Ader. Der Unterleib zeigte beim Druck keine Schmerzen, die Brust war frei.

Am 20. schien es besser zu gehen, aber die Nacht wurde sehr unruhig; er klagte über unbeschreiblich große Schmerzen und verfiel in wilde Delirien. Am 21. wieder ein Aderlaß. Der Unterleib war sehr geschwollen, er konnte nicht harnen. Man gab ihm die letzte Oelung. Am 22. gegen dreizehn Uhr römischer Zeit gab er den Geist auf.

Er hatte die Publication der Aufhebungsacte ein Jahr, einen Monat und sechs Tage überlebt. Gerade vierundzwanzig Stunden später wurde die Oeffnung der Leiche zum Zweck der Einbalsamirung vorgenommen. Das Gesicht des Todten war blaß, Lippen und Nägel schwarz (soll wohl blau heißen?), der Rücken schwärzlich, der Unterleib sehr aufgedunsen.

„Bei der Oeffnung der Leiche,“ sagt Saliceti, „fand man die linke Lunge an der Brustwand angeheftet, entzündet. Beide Lappen waren voll geronnenen Blutes. Das Herz war ganz klein und gar kein Wasser im Herzbeutel. Unter dem Zwerchfell sah man Magen und Gedärme mit Luft gefüllt, sie waren ‚krebsartig degenerirt‘. Als man die Speiseröhre aufschnitt und bis zum Magen und den kleinen Gedärmen fortschritt, fand man den ganzen innern Theil der Speiseröhre krebsartig, ebenso den obern und untern Theil des Magens. Dieser und die Gedärme waren mit atrabiliarischer Flüssigkeit (kaffeesatzähnlicher Masse) bedeckt. Die Leber war sehr klein, die Gallenblase groß, mit einer ähnlichen Flüssigkeit angefüllt, wie die, welche die Magenwände bedeckte. In der Bauchhöhle war viel Wasser.“

So Saliceti. Man legte die Eingeweide in ein Gefäß. Es zersprang in der Nacht und füllte das Zimmer mit einem schrecklichen Gestank. Am 24. mußte man die Professoren wieder rufen lassen, da auch der Leichnam einen gar zu unerträglichen Gestank von sich gab. Das Gesicht war aufgelaufen, ganz schwarz, ebenso die Hände, auf der äußeren Fläche derselben zeigten sich mehrere, zwei Querfinger hohe, mit Wasser angefüllte Blasen, als ob man siedendes Wasser auf die Hände gegossen. Eine große Menge Flüssigkeit floß aus dem Bette ab und über den Boden. Die Professoren konnten das nicht begreifen, da sie doch die Einbalsamirung mit größter Sorgfalt vorgenommen. Man wollte den Leichnam in einen Sarg bringen und verschließen, enthielt sich aber dessen, weil der Monsignor Maggiordomo besorgte, es könne dies eine üble Wirkung beim Publicum hervorbringen. Als man nun dem Leichnam die päpstlichen Kleider abzog, ging ein großer Theil der Oberhaut mit, die Nägel sonderten sich ab, ebenso blieben die Haare auf dem Kopfkissen liegen. Auf dem Rücken fand man die Haut abgelöst.

Diese auffälligen Erscheinungen an der Leiche riefen große Bestürzung hervor. In Rom war nur eine Stimme darüber, der Papst sei vergiftet worden, man wollte wissen, er habe die Aqua tofana erhalten. Als Saliceti, der päpstliche Leibarzt, in einem Bericht die Krankheit des Papstes als Scorbut bezeichnete, glaubte dies Niemand.

Diese Erscheinungen an der Leiche waren es besonders, welche die Zeitgenossen glauben ließen, Ganganelli sei an Gift gestorben; allein sie haben gar keine Bedeutung. Die schwärzliche Färbung des aufgedunsenen Gesichts, die Blasen auf den Händen, das Sichablösen der Oberhaut und das Abfallen der Haare sind lauter Fäulnißerscheinungen, deren Grund in keinem dem Verstorbenen gereichten Gift zu liegen braucht. Unbegreiflich ist es nur, daß die Professoren behaupteten, die Einbalsamirung nach aller Kunst vollzogen zu haben. Bei gelungener Einbalsamirung sind diese Erscheinungen unmöglich. Doch schon das so feste Zubinden des die Eingeweide enthaltenden Gefäßes zeigt, was für Pfuscher da thätig waren.

Aber etwas Anderes ist bedenklich. Der Sectionsbefund und die Krankheitsgeschichte sind nicht miteinander in Einklang zu bringen. Wir sehen die Krankheit, den constatirtesten Berichten gemäß, mitten bei vollem Wohlsein nach einer Mahlzeit beginnen. Heiserkeit stellt sich ein, also Entzündung der Stimmbänder; Ganganelli glaubt einen Katarrh zu haben. Nun beginnt eine heftige Entzündung der Rachenhöhle und des Schlundes; es ist, als hätten wiederholte Versuche, ihm eine sehr ätzende, corrosive Flüssigkeit beizubringen, stattgefunden. Die sogenannte krebsige Entartung der Speiseröhre und des Magens muß aber sehr bezweifelt werden, und war jedenfalls nicht krebsiger Art.

Uebrigens fühlten auch die Jesuiten und deren Anhänger, daß dieser Krankheits- und Todesfall gar zu exceptionell sei, um medicinisch erklärt werden zu können, und da das kein natürlicher Tod sein konnte, mußte es ein übernatürlicher sein. Es war ein göttliches Strafgericht. Ein göttliches Strafgericht ist souverain und braucht sich nicht an die für alle Wochentage und alle andern Erdenkinder geltende Pathologie zu halten. Höchst interessant ist in dieser Hinsicht die Aeußerung des französischen Hofpredigers, des Abbé Bonaventura Proyart, wie er sie in seinem Buche „Louis XVI détrôné avant d’être roi“ darlegt.

„Der Tod Ganganelli’s,“ sagt er, „trug den Stempel der göttlichen Rache klar an sich. Umstände, welche sichtlich aus dem Kreis der natürlichen Ordnung der Dinge heraustreten, begleiteten ihn. So wurden die Prophezeiungen erfüllt. Bernhardine Ranzi [11] hatte zu Montefiascone verkündigt, daß die Gläubigen diesmal die Füße des heiligen Vaters nicht küssen würden. Diese Verheißung war sehr kühn! Doch ging sie in Erfüllung, da der Papst schon bei lebendigem Leibe zu verfaulen schien.“

Auf die Beschreibung der Krankheit des Papstes übergehend, spricht Proyart wie folgt:

„Gewissensbisse verfolgten ihn seit der Unterdrückung des Ordens Jesu und ließen ihn nicht mehr los. Gegen sein sonstiges Naturell von einer finstern Melancholie erfüllt, trat er aus dieser nur heraus, um sich Ausbrüchen der Wuth zu überlassen. Er beleidigt, zankt, droht, steigt dann wieder zu Entschuldigungen und einer unziemlichen Familiarität herab. Er verbringt die Tage in Unruhe, die Nächte schlaflos. Er wacht plötzlich auf, ruft die Wachen und läßt sechs Wochen lang Niemand vor. Sein Kopf ist offenbar wirr (weil er die Jesuiten beschuldigt?), er glaubt sich verfolgt von den frömmsten der Menschen! Dieser Geist der Unruhe, dieser verfolgende Dämon, der erste Richter strafbarer Herzen, macht ihn blind und verläßt ihn selbst im Tode nicht.“

So Proyart, mit echt jesuitischer oder vielmehr teuflischer Kniffigkeit. Die hülflose Verzweiflung des gemarterten Opfers, welches fühlt, wie es wiederholter Giftdarreichung unterliegt, das unbestimmte Mißtrauen, der sichere Verdacht des Unglücklichen, dann wieder die Reue des edlen Herzens, das vermeint, Dem oder Jenem Unrecht gethan zu haben – das Alles wird gegen das Opfer selbst gewendet. Und die Reue, die der Henker empfinden sollte, wird dem Opfer zugeschoben!

Es wäre seltsam zugegangen, wenn die Hände, welche Clemens dem Vierzehnten Speise und Trunk mischten, nicht auch dafür gesorgt hätten, daß sich nach seinem Hingang ein Papier finde, in welchem Ganganelli seine Reue über die Maßregel der Aufhebung kundgethan. Dies war auch wirklich der Fall. Es zeigte sich, daß der Todte, der jetzt freilich nichts mehr desavouiren konnte, in den Händen seines Beichtvaters einen bestimmten und motivirten Widerruf des Breves vom 16. August 1773 niedergelegt, in welchem er erklärte, daß er das Breve nur gezwungen erlassen.[1] Es ist wirklich merkwürdig, wie oft sich schon im Laufe der Zeiten Documente, besonders Testamente und Schenkungsbriefe fanden, welche dem Orden der frommen Väter zu statten kamen. In solchen Dingen hatten sie von jeher ein ganz besonderes Glück gehabt.…

Das ist die Geschichte vom Ende Clemens’ des Vierzehnten. Bei der Mangelhaftigkeit der vorhandenen Krankheitsberichte und der Unvollständigkeit des Sectionsbefundes ist aus ihr ein juridischer Beweis des Giftmordes nicht zu liefern. Der stärkste Grund des Verdachts wird aber stets in der Ueberzeugung Ganganelli’s selbst und seiner Umgebung zu finden sein. Wer, muß man fragen, hatte die Prophezeiungen in Scene gesetzt? Wer konnte sich einen Nutzen von seinem Tode versprechen als die, welche von seinem Nachfolger die Aufhebung des Breves hoffen konnten? Wenn man früher meinte: Ereignisse treten ein, weil sie prophezeit wurden, so sagt man jetzt: Ereignisse wurden prophezeit, weil sie eintreffen sollten und es für gerathen galt, die Gemüther darauf vorzubereiten. An ein göttliches Strafgericht, welches so schnell bei der Hand ist, wenn man einer Gesellschaft nahe tritt, welche in religiösen Gewändern politische Zwecke verfolgt, glaubt jetzt Niemand, und so wird man denn wohl die Ueberzeugung gelten lassen müssen, daß Clemens des Vierzehnten Ende ein gewaltsames war und von den Vätern der Gesellschaft Jesu, die eine so unheilvolle Rolle in der Geschichte gespielt haben, oder ihren Helfershelfern herbeigeführt wurde.




Vom alten Pfuel.
Charakterzüge aus dem Leben eines Veteranen. Nacherzählt von Franz Wallner.


      „Sie haben
Einen braven Mann begraben,
Und mir war er mehr.“


Es sind jetzt ungefähr zehn Jahre her, da ließ sich in meiner Wohnung eines Tages der „General von Pfuel“ anmelden. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß mir dieser hochverdienstvolle Name des ehemaligen preußischen Ministerpräsidenten und Kriegsministers noch ganz fremd an’s Ohr schlug, obgleich ich hätte wissen müssen, welche Bedeutung Ernst von Pfuel für Preußen besaß. Mein Lebelang hatte ich mich mehr um die Helden der Bühne, als um die der europäischen Kriegsschauplätze und Cabinete bekümmert, daher wußte ich nicht, daß der mir gemeldete Besucher bei der Schlacht von Belle-Aliance Oberst in Blücher’s Hauptquartier gewesen und nach dem zweiten Einzuge der Verbündeten in Paris Commandant der französischen Hauptstadt war, um nachmals Gouverneur von Neuchâtel und später von Berlin zu werden. Ja, ich wußte sogar nicht, wie volksthümlich den alten Pfuel die Errichtung seiner Schwimmschule gemacht hatte und welche wichtige Rolle ihm im Jahre 1848 zugefallen war, wo er als Kriegsminister und Ministerpräsident das Ruder des preußischen Staates in die Hand nahm, bis er den Verhältnissen und dem Ministerium Brandenburg-Manteuffel weichen mußte und sich nun in die Stille des Privatlebens zurückzog.

Es war damals eine peinliche Zeit für mich. Ich war dem Verpächter der Concession, auf welche hin ich in Berlin Vorstellungen gab, in dem vorher ganz werthlosen, vollständig bankerotten Geschäft zu sehr gewachsen; er hatte damals schon die Absicht, das jetzige Victoriatheater zu bauen; eine Concurrenz, selbst in dem winzigen, aber von der Gunst der Berliner getragenen Hause, das ich bereits gekauft hatte und in welchem ich waltete, wäre ihm sehr unbequem gewesen, und so wollte er mit mir keinen neuen Contract in Bezug auf das Concessionsrecht abschließen, obgleich ihm derselbe die ganz annehmbare Summe von ungefähr dreitausend Thalern pro Jahr einbrachte. Eine neue selbstständige Concession zu geben, weigerte sich der Oberpräsident der Provinz Brandenburg, der in Potsdam residirte, die Theater nie besuchte und dem die Bühnenverhältnisse Berlins vollständig unbekannt geblieben. Man wollte dem künftigen Erbauer eines neuen, Berlin zur Zierde gereichenden Theatergebäudes nicht wehe thun, lieber sollte ich mit Sack und Pack Berlin verlassen. Darauf war ich denn auch vollständig gefaßt, obgleich mein Vermögen in dem Hause steckte, welches ohne Concession für mich ganz werthlos geworden wäre. Man wird also begreifen, daß meine Situation damals nicht zu den beneidenswerthesten gehörte; die Früchte jahrelanger, rastloser Bemühung sollten im Winde zerstieben, weil mir eine Unterschrift fehlte, die mir die Erlaubniß gab, meine Saat reifen zu lassen und meine Ernte einzuheimsen!

Ich bin diesmal genöthigt von mir selbst zu sprechen und muß das oben Erwähnte als Einleitung meiner Bekanntschaft mit dem „alten Pfuel“ vorausschicken, denn ich war damals nicht wenig erstaunt, als mir der Diener meldete: „Se. Excellenz General von Pfuel wünsche mich in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen.“

Der Mann hatte nichts Kriegerisches in seiner äußeren Erscheinung; auf einem schmächtigen Körper saß einer jener Charakterköpfe, die in ihrer Aehnlichkeit mit Rauch, Oehlenschläger, Thorwaldsen uns sofort für sie einnehmen und gewinnen. Ein Wald von langem, blüthenweißem Haar umrahmte das schmale, intelligente Gesicht. Gutmüthige, geistreiche Augen blickten uns freundlich entgegen, diese Augen pflegte aber Pfuel, ob aus Schwäche oder Gewohnheit, im Gespräche meistens halb zu schließen, und nur, wenn die Debatte lebhaft wurde, schossen dieselben lebhaftes Wetterleuchten in die Umgebung. Er trug ein einfaches schwarzes Kleid, von allen Orden und Auszeichnungen nur das eiserne Kreuz. So fand ich ihn am ersten Tag unserer Bekanntschaft, bis wenige Tage vor seinem Tode, unverändert, liebenswürdig, ein treuer Freund meines Hauses, eine durch und durch noble Natur, offen, stets mit Rath und That bei der Hand, im Umgang mehr als bescheiden, anregend und belehrend.

[12] „Man will Ihnen, wie ich von Varnhagen höre, keine Concession geben und Sie sollen Ihr Theater schließen? Ist das wahr?“

Mit diesen Worten trat der „alte Pfuel“ bei mir ein, polternd, wie ein gutmüthiger Alter in der Komödie, indem er sich, als sei er mein jahrelanger Gast, in den Lehnstuhl niederließ.

„Leider, Euer Excellenz, ist dies die Wahrheit.“

„Dummheit! Was werden Sie anfangen?“

„Das weiß ich noch nicht gewiß. Ich habe eine Offerte zur Führung eines größeren Hoftheaters, da ich aber mein Vermögen in dem Geschäft stecken habe, so kann ich mich nicht so schnell von Berlin losreißen.“

„Dummheit! Sie müssen in Berlin bleiben! Ihre hübsche Schöpfung darf nicht zerrissen werden. Wollen lachen, die Berliner, ohnehin wenig Veranlassung dazu. Auch Varnhagen ist derselben Ansicht. Hat mir da einen Brief für Sie an den Oberpräsidenten mitgegeben, worin er ihm die Sachlage auseinandersetzt. Wird wirken! Der Oberpräsident ist ein Schulcamerad und alter Freund von Varnhagen. Die Empfehlung dringend. Uebergeben Sie selbe persönlich.“

Bei diesen Worten legte er ein zierliches Briefchen, dessen Adresse die überaus elegante Handschrift Varnhagen’s trug, vor mich hin. Ich glaubte zu träumen: zwei einflußreiche Gönner erwuchsen mir in einem Augenblick, wo ich fast im Begriff stand, die Flinte in’s Korn zu werfen. Zwar hatte ich mich an die Gnade des Prinzregenten gewendet, da aber alle diese Immediatgesuche den Instanzenweg gehen mußten, so hing der günstige Erfolg desselben doch größtentheils wieder von dem Entschluß und Bericht des Oberpräsidenten ab.

Ohne Weitläufigkeit will ich nur noch berichten, daß mein Gnadengesuch an unseren jetzigen König und mein Briefchen Varnhagen’s an den Oberpräsidenten die günstigste Wirkung für mich hatten und daß in kurzer Zeit die Cabinetsordre für eine neue selbstständige Theaterconcession in Berlin in meinen Händen lag, welche meinem und meiner Familie Schicksal eine sichere Basis gab und mich nicht mehr abhängig machte von den Launen meines Vorgängers. Von da ab datirt das „Wallnertheater“ in Berlin.

Von dem Tag an, als ich dem braven Pfuel meinen Dank aussprach für seine Güte für mich, war ich bei ihm, war er bei mir ein gern gesehener Gast, dem ich wohl auch oft in anderen befreundeten Cirkeln, am meisten aber in dem gastlichen Hause der Frau Professorin Mundt begegnete, deren erfolgreiche Wirksamkeit als deutsche Schriftstellerin (Louise Mühlbach) es ihr möglich macht, ihrem Hang zur liebenswürdigsten Gastfreundschaft in ausgedehntester Weise zu genügen. Was ich daher in den nachstehenden Zeilen erzählen werde, habe ich theils von Augenzeugen, theils aus dem Munde Pfuel’s selber, obwohl letzterer sehr schwer und nur in den seltensten Fällen zu bewegen war, über sich selbst zu sprechen.

Pfuel, ein Mann der Wissenschaft, war namentlich in seinen jüngeren Jahren mit vielen literarischen Größen befreundet, unter andern auch mit Heinrich von Kleist, mit dem er einst in Thun in einem Hause wohnte. Abends kam Kleist gewöhnlich mit mehreren Cameraden bei Pfuel zum frugalen Abendbrod zusammen. Eines Tages warteten die Freunde stundenlang vergebens auf Kleist, erst, als die Gesellschaft schon im Begriffe war auseinanderzugehen, trat der Dichter stumm und sichtlich verstört ein. Nach langem Andringen endlich nahm er des theilnehmenden Pfuel Hand in seine beiden, drückte sie krampfhaft, ein Strom von Thränen entstürzte Kleist’s Augen, und mit bebender Stimme würgte er schluchzend die Worte heraus: „Sie ist todt!“ Entsetzt sprangen Alle in die Höhe, um zu erfahren, wem die Schreckenskunde gelte, und waren nicht wenig enttäuscht, als sie erfuhren, das; die „sie“, welche gerade gestorben war, die Heldin des heute vollendeten Trauerspiels „Penthesilea“ sei, von welchem Kleist soeben die letzten Scenen geschrieben hatte. Das brüllende Gelächter, welches dieser Mittheilung folgte, verletzte den Dichter so tief, daß er sich längere Zeit nicht mehr im Freundeskreis sehen ließ.

Zur Zeit des ersten Kaiserreichs lebte Pfuel ein halbes Jahr lang auch in Paris mit Kleist zusammen. Schon damals trug sich letzterer mit Selbstmordgedanken, und machte Pfuel eines Tages allen Ernstes den Vorschlag: „ob er sich mit ihm zusammen tödten wolle?“ Mit seinem gewohnten Phlegma meinte dieser: „Nun, wir können uns die Sache ja überlegen, bis wir nach Berlin zurückkommen.“ In Dresden besuchte Pfuel mit Kleist die Vorstellungen einer Somnambulen. Der sie begleitende Magnetiseur erklärte, daß selbe gegen alle Berührung mit Metallen einen unüberwindlichen Abscheu habe. Nach einer Weile flüsterte Kleist seinem Freunde zu, daß er den Nacken der Hellseherin mit seinem Schlüssel heimlich berührt habe, ohne daß sie irgend Abscheu geäußert. „Nun,“ meinte Pfuel, „so drücke ihr einen harten Thaler in die Hand, dagegen wird sie wohl noch weniger Aversion haben.“

General Pfuel war noch im höchsten Alter der ausdauerndste, kühnste Schwimmer, den man finden konnte. Ich erinnere mich noch meiner Angst, als er – damals hatte er schon zweiundachtzig Sommer hinter sich – in Ostende einst vor mir in die Wellen stürzte, sein Wald von weißen Haaren zuerst wie ein abgezogener Scalp auf dem Wasser trieb, dann untertauchte und lange Zeit jede Spur des alten Herrn verschwand. Als meine Frau, ein Unglück befürchtend, zitternd seinen Namen rief, tauchte in weiter, weiter Ferne ein dürrer, musculöser Fuß grüßend aus den Wellen in die Höhe. Ich fand diese Art, mit den Beinen zu salutiren, ungeheuer komisch. Noch jetzt bewähren sich übrigens die nach seinem System im ganzen preußischen Staat eingerichteten Schwimmanstalten, so wie die von Pfuel erfundenen künstlichen Wellenbäder als mustergültig in ganz Europa.

Als Hauptmann in Coblenz hatte sich unser ritterlicher Pfuel in eine junge, schöne Bäckerstochter verliebt, die lange Zeit seinen heißen Bewerbungen widerstand. Ernst ging der junge Krieger in voller Uniform mit seiner Flamme lustwandelnd an den Ufern des Rheins. Lebhafter als je klangen seine Liebesworte, kälter als früher wurden sie erwidert. Leidenschaftlich gab Pfuel sein Ehrenwort, er wolle sich jetzt vor ihren Augen in die Fluthen des Stromes stürzen, wenn ihn das Mädchen nicht erhöre. Ein spöttisches Lächeln, mit den höhnischen Worten: „Das werden Sie wohl bleiben lassen,“ war die Antwort. Wer beschreibt aber das Entsetzen der Maid, als ihr Begleiter lautlos, „mit Sack und Pack“ in den Rhein stürzte und in den um ihn zusammenschlagenden Wogen verschwand! Schreiend und schluchzend lief sie am Ufer entlang: „Pfuel hat sich in’s Wasser gestürzt,“ rief sie verzweiflungsvoll, „um meinetwillen! – Rettet – rettet!“

Rasch waren eine Menge Menschen versammelt, die Unglücksnachricht ging von Mund zu Munde, einige Officiere machten einen Kahn los, um die Leiche des Selbstmörders zu suchen, als dieser, frisch und wohlgemuth am anderen Ufer auftauchend, an’s Land stieg, sich wie ein nasser Pudel schüttelnd, und seine besten Grüße herüber sandte. Die stolze Schöne aber soll, von dieser Heldenthat gerührt, ein gut Theil ihrer Sprödigkeit verloren haben. Später soll Pfuel, nahe am Greisenalter, als heiße Liebesflammen unter dem Schnee seines Hauptes glühten, diese Leanderfahrt über den Rhein, unter sehr ernsten Verhältnissen, noch oft wiederholt haben.

Pfuel gehörte in den Augen Blücher’s zu den sogenannten „gelehrten Officieren“, gegen welche dieser eine Antipathie hatte, da Gelehrsamkeit kein Fehler war, der den alten “Vorwärts“ drückte. Vor Lützen erging er sich in bitteren Stichreden, die offenbar dem seinem Generalstabe zugetheilten Pfuel galten, „über die gelehrten Soldaten, denen es in der Regel, wenn es gälte, an persönlichem Muthe fehle; er möge diese Sorte nicht leiden und mache kein Hehl daraus.“ Als die Schlacht ihren Höhepunkt erreicht hatte, hielt Pfuel auf seinem Schimmel in der nächsten Nähe des Heerführers, der sich tollkühn jeder Gefahr aussetzte. Da stürzte eine Granate gerade vor das Pferd Pfuel’s. Alles rief ihm entsetzt zu, sich zu retten, während dieser, wie aus Erz gegossen, ruhig stehen blieb. Jetzt explodirte die Granate; der Gaul stürzte tödtlich getroffen zu Boden, seinen Reiter unter sich begrabend. Mit Mühe wurde dieser unter dem verendenden Thiere hervorgezogen. Blücher sprang von seinem Gaul herab; sein Auge suchte in überquellender Rührung das seines wackeren Officiers, er streckte ihm die Rechte entgegen und rief mit schallender Stimme: „Pfuel, die Hand: Sie sind ein braver Kerl!“

Während der Barricadenkämpfe in den Märztagen des Jahres 1848 sah man einen Greis mit Gefahr seines Lebens im dicksten Kugelregen die verwundeten Soldaten in Sicherheit bringen, während er selbst, vom erbitterten Pöbel bedroht, nur durch die Bemühungen des Abgeordneten Jung gerettet wurde. Der silberlockige Greis war Pfuel.

[13] Eine kleine Geschichte, die unsern Lesern im Allgemeinen vielleicht schon bekannt ist, finde, da ihre Einzelnheiten meist unrichtig erzählt werden, hier noch einen Platz:

Während Pfuel Gouverneur von Paris war, besuchte ihn einst ein französischer Officier, als ersterer eben im Begriff stand, das Haus zu verlassen. Die Beiden trafen sich auf der Treppe. Der Officier trug ihm sein Anliegen vor. Pfuel, sehr pressirt, ersucht ihn artig, in einigen Stunden wieder zu kommen. Dieser wird zudringlich und besteht in brutaler, ungezogener Weise darauf, gleich abgefertigt zu werden. Pfuel, dem das Blut zu Kopfe steigt, schlägt dem Franzosen den Hut vom Kopf, mit dem dieser bedeckt geblieben, und macht ihn aufmerksam, daß er als Bittender vor dem „Gouverneur von Paris“ stehe. „Das wagen Eure Excellenz nur,“ entgegnete ihm der Geschlagene, „weil Sie wissen, daß Sie mir in Ihrer Stellung keine Satisfaction zu geben brauchen.“ „Meinen Sie?“ entgegnete Pfuel, rasch den Degen ziehend, „kommen Sie in den Hof. Ziehen Sie!“ – Vergebens alles Widerreden, Pfuel dringt auf ihn ein, der Franzose vertheidigt sich, aber der Deutsche, ein gewandter Fechter, schlägt ihm nach einigen Gängen die Klinge aus der Hand, worauf sich der Entwaffnete schnell hinter ein großes, im Hofe stehendes Wassergefäß retirirt. Mit dem Worte „Lâche!“ (Feigling) steckt Pfuel den Degen ein, dreht dem Gegner achselzuckend den Rücken und verläßt das Haus.

Und dieser Mann, in jeglicher Gefahr ein Held, hatte ein Gemüth wie ein Kind, jeder weichen Empfindung zugänglich. Die Schriftstellerin Mühlbach, von der oben die Rede war, hatte ein paar indische Vögelchen, von denen das Weibchen eines Tages todt im Käfig lag. Pfuel kam eben dazu, als Frau Mühlbach vergebens Versuche anstellte, das niedliche Thierchen wieder zu beleben. Während der Zeit flatterte das Männchen mit ängstlichem Gekreisch unruhig im Bauer hin und her, und als die betrübte Professorin die kleine Leiche vor ihm hin legte, stürzte das arme Thier, wie vom Blitz getroffen, todt neben dem Weibchen hin. Die beiden Zeugen dieses rührenden Stückes Seelenleben der Thierwelt konnten sich der Thränen nicht erwehren, und nie erzählte der alte General diese von ihm oft wiederholte Geschichte eines „treuen Ehepaares“, ohne Wasser in den Augen zu haben. Oft blieb er vor den ausgestopften Lieblingen der Hausfrau stehen, um einige Worte des Lobes zu Ehren des „braven Ehepaares“ vor sich hin zu murmeln. Auf seinem Gute wurden zahllose zahme Kanarienvögelchen gepflegt, die, im Sommer in den Park frei gelassen, beim Einbruch der rauhen Witterung größtentheils in die schützenden Räume des Schlosses zurückkehrten. Alle Thiere fanden an Pfuel einen warmen Freund und treuen Beschützer.

Eine rührende Eigenschaft des alten Kriegsmannes war sein felsenfestes Gottvertrauen und sein unverbrüchlicher Glaube an ein Fortbestehen nach dem Tode. Stundenlang konnte er an diesem Thema festhalten und es mit allen Gründen des Glaubens

Die kranke Kuh.
Originalzeichnung von Ernst Bosch.

[14] und der Philosophie vertheidigen. Mit tiefem Unwillen wandte er sich von jedem Spötter ab, wenn er es nicht vorzog, denselben mit soldatischer Derbheit recht tüchtig abzukanzeln.

In Kellner’s Hotel in der Taubenstraße, welches er in seine besondere Protection genommen und das er bis an sein Ende bewohnte, pflegte er von Zeit zu Zeit auf seinen Zimmern kleine ausgesuchte, mit allem Comfort ausgestattete Herrendiners zu geben. Selten über acht, meistens nur sechs Personen, noch seltener einer der Geladenen unter siebenzig Jahren. Ich figurirte in diesen kleinen Cirkeln als „der junge Herr“. Hofrath Förster, der künftige Biograph Pfuel’s, war stehender Gast. Es gehören diese kleinen Diners zu meinen frohesten, lehrreichsten Erinnerungen.[2] Manchmal kam ich mir unter den alten Herren wirklich vor, als säße ich im Kyffhäuser und längst begrabene Menschen und Dinge würden vor meinen Augen lebendig. Wenn z. B. der geistreiche Fürst Pückler-Muskau, dem der heiße Wüstensand in Afrika das Herz eben so wenig verdorrt hat, wie das Eis der Beresina das des alten Pfuel zu erstarren vermochte, wenn da die beiden Greise mit jugendlichem Feuer ihre Erlebnisse mit dem alten Napoleon erzählten, oder der Letztere vom alten Fritz Geschichten vorbrachte, die er mit angesehen; wenn beide Herren in eine lebhafte Debatte über die Vermählung oder Krönung des großen Corsen geriethen, der sie beigewohnt: da horchte ich, „der junge Herr“, hoch auf; die Stunden bekamen Flügel, die aufgetragenen feinen Schüsseln wurden Schaugerichte, denn Ohr und Gemüth nahmen den ganzen Menschen so in Anspruch, daß die ausgesuchteste Naturalverpflegung vollständig zur Nebensache wurde.

Im Sommer pflegte Pfuel regelmäßig seine weitern Ausflüge zu machen; er verschwand da alljährlich von Berlin, und man begegnete ihm in London, in Paris, in Ostende, in Italien oder in der Schweiz. Während der Ausstellung in London traf ich ihn ganz zufällig, wo er mit unermüdlicher Rüstigkeit gleichen Schritt mit mir hielt, früh Morgens bis Mitternacht rastlos auf dem Straßenpflaster, in den Theatern, der Ausstellung, im Krystallpalast, kurz, wo es Merkwürdiges zu bewundern gab.

Während seiner letzten Abwesenheit von Berlin ereilten ihn doppelte Schreckensnachrichten; ein Sohn, bereits General, war an der Cholera gestorben, der Andere, schlimmer als todt, als Betrüger steckbrieflich verfolgt. Wir zitterten vor dem Augenblick, wo wir ihn wiedersehen würden, zerschmettert, gebrochen, unter dem Eindruck der furchtbaren Familien-Ereignisse. Er kam zurück – in gehobener Stimmung, äußerlich wenigstens. Die große Zeit, welche für Preußen herangebrochen sei, die Glorie des Vaterlandes, die über alle Begriffe großartigen Erfolge desselben müßten auf jeden guten Patrioten einen so überwältigenden Strom des Glückes ausgießen, daß alle Familien-Misère des Einzelnen nicht in Betracht kommen könne. Er wollte es nicht zur Schau tragen, wie tief und heimlich der Schmerz an seinem gebrochenen Herzen sich fressend eingewühlt; gewaltsam übertäubte er sich selbst, das Vaterland, den Ruhm desselben hatte er an Kindes Statt adoptirt. Aber im Stillen nagte der Wurm, im Stillen bezahlte er den Schaden, der den Betrogenen durch die Handlungsweise seines ungerathenen Sohnes erwachsen, im Stillen grämte er sich zu Tode. Ein anfangs unbedeutendes Uebel breitete sich mit ungeahnter Schnelle aus; trotz der aufmerksamsten Sorgfalt seines tüchtigen, vieljährigen Arztes war der alte Herr in wenigen Tagen eine Leiche. Auf dem Tische des Verblichenen lag ein offener Brief mit der Nachricht von der steckbrieflichen Verfolgung seines Sohnes! Friede seiner Asche! Segen seinem Andenken! –




Ein Atelier im Irrenhause.


Heut’ erhielt ich einen Brief aus Dresden, ein kleines Blatt, die Buchstaben groß und unsicher, denn die einst so hellen Augen, die über diesen Schriftzügen hingen, sind trübe und müde geworden. Und eine Stelle dieses Briefes war es, die mich so tief ergriff; sie lautete:

„Mein armer unglücklicher Bruder, August Richter, für den Sie sich so warm interessiren[3], lebt noch immer auf unserer Landesirrenanstalt, dem Sonnenstein. Jahre sind vergangen, seit ich, seine arme Schwester, zu Ihnen von seinem Geschick gesprochen. Aber er ist jetzt ruhiger geworden, er zeichnet wieder, ohne das Vollendete zu zerstören. Man hat ihm ein besseres Zimmer gegeben und sogar noch ein Dachstübchen zur Verfügung gestellt, wo er sich eine Art Atelier eingerichtet. Der gütige Professor L … zeigte mir wunderbare Blätter von ihm, Entwürfe voller Kraft und Schönheit, römische Erinnerungen, Klosterhöfe, Refectorien, Mönche, dazwischen wieder Schlachtenscenen, großartige Gruppirungen, gefangene Griechen von Türken geführt, Alles gewaltig und kühn, wie in seiner besten Zeit. Und darüber der arme Kopf und die Stirn mit dem Schatten des Wahnsinns, die zerstörte Schönheit und – ein Atelier auf dem Sonnenstein!“

Ein tiefes Dunkel ruht auf der Ursache des Wahnsinns dieser wunderbar begabten Künstlernatur. Vor vielen, vielen Jahren, so erzählte man mir, 182*, zog ein junger Zeichner, dessen auffallendes Talent ihm ein Reisestipendium verschafft, von Dresden nach Rom. Die damaligen Professoren der Akademie entsetzen sich mehr vor dieser sich ihnen enthüllenden Titanenkraft, als daß sie sich ihrer freuten, und waren im Grunde froh, den August Richter, dem die königliche Huld eine Stelle als Zeichenlehrer in Aussicht gestellt, los zu werden auf ein Jahr. Vielleicht kam er nicht zurück, vielleicht ließ er sich anderswo halten, zwölf Monate sind eine lange Zeit. Ein junger Maler, der Alles anders machte, als sie selber es seit Jahren lehrten und ausführten, war ein gefährliches Beispiel für folgsame Schüler. Man nahm ihm heimlich das Versprechen ab, künftighin genau nach den alten vorgeschriebenen Regeln Unterricht zu ertheilen, und ließ ihn ziehen. So ging er denn, den Kopf voller Ideale, das Herz voller Seligkeit den „schlimmen Weg“ – er pilgerte nach Rom.

Seine Ankunft dort fiel in die letzte Zeit des Aufenthalts Thorwaldsen’s daselbst. Der Adlerblick des großen Meisters erkannte sofort das eminente Talent jenes jungen Deutschen, der ihm bescheiden und doch voll edlen Künstlerbewußtseins allerlei Blätter vorlegte, Köpfe, Kindergruppen, Erntezüge, Cartons in mächtigen Zügen hingeworfen: Es war etwas in diesen Zeichnungen, das an die Hand Michel Angelo’s erinnerte, jene Hand die mit dem Hammer an das Knie des steinernen Moses schlug, während er, der Schöpfer der eben vollendeten Riesenstatue, in die Worte ausbrach: „Nun sprich!“ Thorwaldsen soll damals über August Richter geäußert haben: „In ihm steckt mehr als ein Maler!“ Der junge Künstler begann auch mit Eifer und Erfolg in der Werkstatt des nordischen Meisters zu arbeiten, und wer weiß, ob nicht die Blume dieses seltenen Talents in solcher Atmosphäre sich leuchtend entfaltet haben würde, wenn Thorwaldsen damals nicht von Rom geschieden wäre. Das war ein schmerzlicher Abschied, wenn auch voll Wiedersehenshoffnung. August Richter hatte sich in voller Begeisterung nur diesem Einen, Größten angeschlossen, und alle anderen Künstler waren ihm fremd und fern geblieben. Nun sah er sich ohne Halt und Führer. Dies erregbare Herz, diese empfängliche Seele erschrak plötzlich vor der Fluth von Eindrücken, wie sie in Rom heranrollt und aufschwillt wie ein Meer.

So stand er denn fortan einsam in aller Kunst- und Schönheitsfülle der ewigen Stadt, einsam vor der Wunderkuppel des St. Petersdomes, einsam vor der Götterschönheit, wie sie die Statuen des Alterthums enthüllen, einsam in der Sixtinischen Capelle vor der Majestät der Gestalten Michel Angelo’s, wandelte einsam in den Zaubergärten der Villen Ludovisi und Borghese. Da arbeitete er dann, wie Andere vielleicht ein Tagebuch schreiben, um das Erlebte oder Geschaute zu fixiren, oft halbe Tage lang ohne aufzuschauen, und am Abend streifte er umher, bis tief in die Nacht hinein; das Rom im Mondlicht war doch erst das eigentliche Wunder-Rom.

Länger als ein Jahr blieb August Richter in Rom, aber über der letzten Hälfte seines römischen Lebens hängt ein undurchdringlicher [15] Schleier. Seine Briefe an die treue Schwester waren anfangs voll trunkener Freude, die Künstlerseele schwelgte in dem Reichthum der Schätze, die ihm alle gewissermaßen gehörten; dazwischen freilich kamen oft Ausbrüche von jener Schwermuth, die das wahre Talent so oft beschleicht, wenn es sich den unvergänglichen Meisterwerken des Genius gegenüber sieht. Später schlich sich ein fremder Farbenton in diese Blätter, ein flammendes Roth, ein glühendes Licht, es stieg wie betäubender Orangenblüthenduft auf aus den seltsam räthselhaften, abgerissenen Zeilen, der das zärtliche Schwesterherz beängstigte. „Frage nicht,“ schrieb er einmal, „warte geduldig, bis ich komme um Dir zu erzählen und Dich mitzunehmen nach Rom. Hier nur ist der Himmel blau, hier nur blühen die Rosen, weiße und rothe, aber die rothen sind doch die schönsten!“

Was bedeuteten diese Worte? War ihm ein Götterglück geworden, von dem zu reden den Tod brachte? Hatte die Venus von Milo warme Menschengestalt angenommen, um ihn in ihre Arme zu ziehen? Wer weiß es?!

Es flogen nun lange, lange keine Briefblätter nach Deutschland mehr, aber der deutsche Maler selbst trat an einem Winterabend in das stille Stübchen der Schwester. Sie schrie auf, als sie ihn sah, und warf sich an seine Brust. Wie verändert er erschien, wie bleich und abgezehrt und doch wie hastig und unruhig in allen seinen Bewegungen! Die Augen glühten wie im Fieber und die Wangen waren eingefallen. Die Freude der Schwester, die bei seinem unerwarteten Erscheinen so hell ausgeflammt, sank rasch zusammen. Sie sah, der Bruder war krank, sehr krank.

„Ich muß rasch an die Arbeit, um Geld zu verdienen für Dich und mich,“ sagte er, „denn ich will im Herbst zurück nach Rom. Nur den ersten Cursus will ich abhalten, dann gehe ich fort. Aber frage mich nicht, frage erst, wenn wir Beide zusammen auf dem Wege sind.“

Und die treue Schwester fragte nicht, ob ihr auch schier das Herz brach vor Weh, wohl aber umsorgte sie ihn mit unermüdlicher Geduld und Liebe. Von seinen Arbeiten hatte er nichts mitgebracht, als ein Skizzenbuch voll loser Blätter, die andern waren verweht und zerstreut, wohin, sagte er nicht. Ueberall aber hatte er Rosen hingezeichnet, jedes Eckchen war verziert mit Knospen und Blumen oder verschlungenen Guirlanden. Keine anderen Blüthen – nur Rosen, nichts als Rosen mit ihren Blättern und Dornen. Der Arzt schüttelte den Kopf über ihn, die Herren Professoren der Akademie flüsterten miteinander über sein seltsames Wesen, aber als er sich zur Stelle eines Unterlehrers meldete, wagten sie nicht, ihr Versprechen zurückzunehmen; es stand etwas so Drohendes, Furchtbares in den einst so wunderschönen, schwärmerischen Augen. „Schnell! schnell!“ murmelte er oft, mit sich selber redend, sich selber antreibend, und dabei saß er doch müßig da, die blassen Hände lässig ineinander gefügt, den starren Blick in die Ferne gerichtet. „Glaubst Du wohl, daß wir genug Geld haben zur Reise?“ fragte er zuweilen unruhig.

Unter den Schülern wurde er lebendiger. Sie staunten ihn an, fürchteten sich aber nicht vor ihm, er war mild und geduldig mit ihnen. Nur daß er zuweilen ruhig sagte: „Raphael selbst hat mich’s so gelehrt, also müssen Sie es auch so machen,“ oder: „diese Verkürzung hat Giulio Romano mir gezeigt,“ oder: „Michel Angelo würde diese Linie mir nicht erlaubt haben, also kann ich sie Ihnen auch nicht erlauben.“

Zuweilen erzählte er ihnen, völlig klar, doch mit dem Ausdruck höchster Begeisterung, von Rom, von den Wundern des Colosseums, von dem Vatican, von dem Palast Farnese und der Farnesina des Chigi mit den Raphaelischen Fresken zu der Geschichte des Amor und der Psyche, von dem Garten der Villa Belrespiro und der Wiese der Anemonen, von feinen Feigen- und Orangenbäumen und dem Blick auf Rom und die sanften Linien des Sabinergebirges. Nur wenn er die Gluth der Farben schilderte, wie sie über den Bergen hing und vom Himmel strömte und auf der Erde zitterte, dann verwirrten sich seine Gedanken und Worte plötzlich, er fuhr mit der Hand über die Stirn – „es kann sie Keiner mehr festhalten,“ sagte er und brach ab.

Daheim aber hörte ihn die Schwester wieder und immer wieder murmeln: „Schnell! schnell!“ An einem Sommertage war es, als sie leise in sein Zimmer trat und ihm einen Strauß weißer Rosen brachte. Aber sein Gesicht wandelte sich in so erschreckender Weise bei diesem Anblick, daß das Herz der Schwester still stand vor Angst. Hastig griffen seine Hände nach dem Strauß, im ersten Augenblick war es, als wolle er die Blumen zerreißen und zertreten, dann aber preßten sich die feinen Lippen zusammen, die blasse Stirn neigte sich über die Blumen, in langen, tiefen Athemzügen sog er ihren Duft ein. Der Kampf löste sich, die Züge wurden mild, schwere Thränentropfen fielen auf die weißen Rosen.

„Woran denkst Du, Theurer?“

„An das Fest in der Kirche Maria Maggiore, das schönste Rosenfest der Erde.“

„Willst Du mir davon erzählen?“

„Ich will mich besinnen.“

Und halblaut, wie im Traum, mit der einen Hand den Strauß fest umschließend, die andere in die Schwesterhände versenkend, erzählte er, als ob er von einem Fremden redete:

„Es war auch an einem Sommertage, als der deutsche Maler wieder einmal, wie so oft, das Grab des Salvator Rosa besuchte in der Kirche des Michel Angelo bei den Thermen des Diocletian, die man Maria degli Angeli nennt. Dort sann er am liebsten nach über das Geheimniß der Farbe und wie der Meister es wohl angefangen, daß er sie mit seinem Pinsel so fest gehalten und warum es dem armen Deutschen nicht gelingen sollte. Und die Mönche des Karthäuserklosters neben der Kirche grüßten freundlich herüber, denn sie kannten den Fremden und hatten ihm erlaubt, ihren schönen Hof mit den dorischen Säulen und den Cypressen, die Michel Angelo’s Hand gepflanzt, zu zeichnen. An der Mauer des Klostergartens rankten weiße Rosen empor, und solch’ eine weiße Blume in der Hand und sein Skizzenbuch unter dem Arm, ging er an dem Tage des fünften August fort aus seinem Friedensversteck, mit dem Vorsatz, einmal eine Osteria zu besuchen und ein Glas feurigen Orvieto’s zu trinken. Als er aber an der Fontana de’ Termini vorüber kam, schnitten ihm die steinernen Fratzen des Prosper da Brescia allerlei seltsame Gesichter und streckten ihre Riesenarme aus, ihn festzuhalten. Er eilte jedoch nur um so schneller vorwärts, der lieblichen Kirche Maria Maggiore zu, deren Pforten eine Schaar Frauen und Männer eben belagerte. Immer mehr Menschen strömten herzu, und der junge Maler fragte endlich einen Mönch, der eben daher schritt, ob man dort ein Fest feiere. Die Antwort lautete: ‚Man begeht heut das Fest ad nives, – das Schneefest der Maria!‘ Aber Schnee im hohen Sommer, Schnee in Rom?! Der Deutsche vergaß seinen Orvieto und trat in die heiligen Hallen. Weihrauchduft wallte ihm entgegen, eine süße Dämmerung füllte die drei Schiffe, nur die Marmorsäulen schimmerten in blendender Weiße. Am Altar leuchteten aber zahllose Kerzen neben der Gestalt der Himmelskönigin und die reiche Decke des San Gallo mit den Arabesken des Giotto hing wie ein golddurchwirkter Schleier über ihm. Er trat an die herrliche Capelle der Sforza, die fast im Dunkeln lag, kaum unterschieden seine Augen die Umrisse einer Frauengestalt, die vor dem Seitenaltar kniete. Ein greiser Priester erzählte eben der andachtsvollen Menge die Entstehung der Kirche Maria Maggiore in schlichter Rede.

‚Ein reicher Patricier Rom’s, dessen einzige wunderschöne fromme Tochter von einer gefährlichen Krankheit erstanden war, auf besondere Fürbitte des Papstes Liberius, bat die Gebenedeite von ihm ein Opfer zu verlangen, zum Dank für die Errettung seines Kindes. Und ein ähnliches Gebet schickte zu derselben Stunde Liberius zum Himmel, er dankte unserer lieben Frau, daß sie seine Fürbitte angenommen und erhört, und flehte sie an, ihm ein Zeichen zu geben, welches Dankopfer ihr wohlgefällig. Beiden Betern aber erschien die Mutter Jesu in strahlendem Glanze im Traum und befahl ihnen eine Kirche zu errichten auf jener Stelle, wo sie am Morgen den ersten Schnee finden würden. Sie begegneten einander an einem großen Platze, woselbst der Wind in vergangener Nacht von dem Gemäuer rings umher die Blätter weißer Rosen in dichten Massen zusammengeweht, daß sie fußhoch den Boden bedeckten. Und die Kirche Maria Maggiore wurde genau dort errichtet durch die reichen Gaben eines dankbaren Vaters und eines frommen Papstes, und sie erstand in nie gesehener Pracht. An einem fünften Augustustage wurde sie eingeweiht und alljährlich fällt von der Decke herab auf die Menge der Gläubigen der Schnee aus der Hand unserer lieben Frau.‘

So redete der Priester, und als er verstummte, rieselten aus der Höhe der Kirche tausend und aber tausend weiße Rosenblätter auf die Schaar der Beter nieder. Alles war im Nu bedeckt von [16] dem Schnee der Maria, und ein wundersüßer Duft strömte berauschend durch die Kirche. Wie im Traum fühlte der deutsche Maler die Blätter niedergleiten an seinen Wangen, er fühlte ihre Kühle an seiner Stirn und sank auf seine Kniee nieder. Wie lange er so lag, wußte er nicht – er schrak empor, als eine Frauengestalt aus der Capelle der Sforza schritt und langsam aus der Dämmerung in den Glanz der Kerzen trat. Die schwarze Mantille, die sie nach der Art der spanischen Frauen trug, war zurückgefallen, der Kopf trat frei aus der Umhüllung hervor wie ein Stern aus einer Wolke. Das Antlitz zeigte die göttlichen Linien der Venus von Milo, aber Colorit und Ausdruck war der einer Sibylle des Dominichino. Einzelne weiße Rosenblätter hingen in ihren schwarzen Haaren. Wie ein Blitz traf ihn plötzlich der volle Strahl ihrer Augen. Ihre Hände umschlossen einen Strauß rother Rosen. Warum rothe – und keine weißen Blumen, wie sie zum Feste ad nives paßten? Ein Diener stand hinter ihr – der deutsche Maler war bald an ihrer Seite und verließ mit ihr den Klosterhof. Seitdem habe ich die weißen Rosen vergessen – ich sah nur rothe – sie liebte die andern nicht – ich pflückte nur rothe – aber frage nicht, wo sie blühten.“

August Richter’s Wahnsinn, der sich täglich steigerte, blieb bald kein Geheimniß mehr; er trat heftig und immer heftiger auf. Man entsetzte ihn seines Lehreramts „bis zu seiner Genesung“, wie die Form lautete. Seit dieser Mittheilung beschäftigte er sich meist damit, Geld zu zählen, ob es wohl zur Reise nach Rom reiche, bald versuchte er seine Sachen zusammenzupacken, und ermahnte dabei seine Schwester dringend ein Gleiches zu thun. Dazwischen saß er wieder tagelang in dumpfem Hinbrüten nur dann und wann jenes schreckliche, angstvolle „Schnell! schnell!“ murmelnd. Er zeichnete wieder Rosen, Guirlanden, Kronen, Arabesken, aber immer nur Rosen. Man brachte ihn endlich nach dem Sonnenstein, wo königliche Gnade und mitleidige Freunde für den Unglücklichen die Kosten eines Stilllebens im Irrenhause bezahlten und – bis zur Stunde bezahlen. Jahrelang tobte der arme Gefangene und versuchte seinen Wächtern zu entfliehen – dann wurde er ruhig, mischte blaue Farbe und strich blau an, was ihm unter die Hände kam. Später formte er wieder großartige Modelle aus Gyps und bat und flehte immer und immer wieder um Marmor, damit er sie „lebendig“ machen könne, und da kein Marmor kam, zerschlug er seine Formen. Jetzt endlich hat er, wie die arme treue Schwester schreibt, in einem Dachstübchen sich wieder ein Atelier errichtet und zeichnet, und liebevolle Hände bringen die werthvollen Skizzenblätter in Sicherheit. Der Hof des friedvollen Karthäuserklosters in Rom mit dem Brunnen und den Cypressen des Michel Angelo ist vielleicht wieder aufgetaucht unter seinem Stift – aber Rosen zeichnet er nicht mehr – nie mehr.
E. P.     

Blätter und Blüthen.

Explodirende Briefcouverts. Eine neue, nicht eben ungefährliche Spielerei droht in diesem Augenblick wieder von Paris aus die ganze civilisirte (doch in dieser Beziehung unglaublich einfältige) Welt zu überschwemmen. Es ist ein sehr plumper Scherz, der in Folgendem besteht. In einer Gesellschaft wird Jemandem ein Brief überbracht mit der Aufschrift: „Eilig!“, „Per expreß“ und dergleichen und der Bitte um schleunige Antwort. Und wenn er nun schnell das Couvert aufreißt, so explodirt dasselbe „zum Vergnügen“ der damit noch unbekannten Gesellschaft, aber auch wohl zum Erschrecken kränklicher, nervenschwacher Damen. Die Erklärung liegt sehr einfach darin, daß das Couvert mit einer der in den Knallbonbons befindlichen ähnlichen Masse versehen ist, und die Idee ist deshalb eine sehr alltägliche, abgesehen davon, daß wohl in zahlreichen Fällen der Witz dadurch in’s Wasser fallen dürfte, daß der Empfänger den Brief mit Messer oder Scheere am Rande aufschneidet, anstatt ihn aufzureißen.

Viel geistreicher würde die Idee sich folgendermaßen verwirklichen: Eine liebende junge Dame, ein verliebter Geck oder sonst irgend ein neugieriges, leicht erregtes Menschenkind empfängt ein zierliches Briefchen, erbricht es mit zitternder Hand – und der feurige, sprühende Inhalt verwandelt im selben Moment den ganzen Brief in eine lodernde Flamme, aus der nichts zurückbleibt, als ein zierlich kräuselndes Rauchwölkchen und der süße Duft eines köstlichen Parfums. Die Theorie würde einfach in einem zarten, gleich dem bekannten „Düppelpapier“ nach Art der Schießbaumwolle präparirten Briefbogen liegen, welcher durch die ebenfalls explodirende Zündmasse der Oblate zur Flamme entfacht würde. Wir stellen die Ausführung dieser Idee den derartigen Fabrikanten anheim, machen sie zugleich aber dringend darauf aufmerksam, daß sie, um nicht gar schwere Verantwortung auf ihre Schultern zu laden, jetzt vor Allem dafür sorgen müssen, sämmtliche leichte Frauenkleiderstoffe zunächst das chemische Kunststück des Unverbrennlichmachens passiren zu lassen. Denn nicht blos die letztgedachten lodernden Liebes-Vexirbriefe, sondern auch die explodirenden Briefcouverts, die Teufelsthränen und andere dergleichen chemische Spielereien bedrohen unsere Frauenwelt in leichten, unpräparirten Kleidern nur zu sehr mit der grausigen Gefahr, lebendig verbrannt zu werden! K. R.     


Der Prophet gilt nichts im Vaterlande. An einem schönen Frühlingstage des Jahres 1843 war es, als eine kleine Hochzeitsgesellschaft die Mairie einer Gemeinde im Umkreise der Pariser Bannmeile betrat, um den Heirathscontract des jungen Paares daselbst zu unterschreiben. So klein diese Gesellschaft aber auch sein mochte, so auserlesen war sie; der Bräutigam war ein talentvoller junger Maler, der sich heute eines bedeutenden Rufs erfreut, und seine Trauzeugen hießen Ingres und Paul Delaroche, zwei Meister der französischen Schule. Die hübsche Braut hatte zwei Freunde ihres verstorbenen Vaters zu Trauzeugen gewählt, ihre Namen waren Victor Hugo und Alexander Dumas. Nachdem der Beamte umständlich Namen, Vornamen und Stand des Brautpaares niedergeschrieben hatte, ging er nunmehr zu den Zeugen über und wendete sich zuerst an Victor Hugo mit der Frage nach seinem Namen.

„Hugo?“ wiederholte er dann unentschlossen. „Wie wird das geschrieben? Steht am Ende vielleicht ein t?“

Der Dichter dictirte Buchstaben für Buchstaben; dann richtete der Beamte mit erhöhter Würde die zweite Frage an ihn:

„Was betreiben Sie für ein Gewerbe?“

„Gar keines,“ erwiderte Victor Hugo lachend.

„So, gar kein Gewerbe?“ Aber schreiben können Sie doch wenigstens, damit Sie Ihren Namen hier unterschreiben können?“

Dies wurde unter vieler Heiterkeit bejaht, dann kamen die anderen Zeugen daran. Als Ingres und Delaroche antworteten, sie seien Maler, maß sie der Municipalbeamte mit ziemlich geringschätzigen Blicken über seine Brille und sagte: „Stuben- oder Firmenmaler?“ Das Lachen der ganzen Gesellschaft verdroß ihn sehr und er brummte verdrießlich etwas von „unanständigem Benehmen“ vor sich hin, während Ingres ihm antwortete: „Schreiben Sie nur ganz einfach: Maler.“

Alexander Dumas wußte sich vortheilhafter aus der Affaire zu ziehen, indem er angab, er sei Rentier, was ihn in der Achtung des Mairiebeamten sehr hoch über seine Begleiter stellte, der von nun an ihm allein das Wort gönnte und die Honneurs machte. Alle diese Männer waren damals im Zenith ihrer Berühmtheit, und dennoch waren ihre Namen dicht bei Paris so unbekannt und unbeachtet geblieben, während sie überall im Auslande genannt und geschätzt wurden.


Die kranke Kuh. (S. S. 13.) Dem Bauer gehört sein Vieh zur Familie; ein lahmer Gaul, eine Kuh, die „verschlagen“ hat, machen ihm oft nicht minder Sorge als die Krankheit von Weib oder Kind. Für unser Gefühl hat dies allerdings etwas Verletzendes; wenn wir uns aber veranschaulichen, wie eng die Existenz des Landmannes, sein tägliches Leben, sein Gedeihen und Emporkommen mit Wohl und Wehe seines Viehstandes verknüpft sind, so wird unser Urtheil sich mildern müssen; wir werden dann begreifen, wie ängstlich das alte Mütterchen auf unserm Bilde dem herbeigerufenen Curschmied und Thierarzte die Gebresten ihrer Kuh, wahrscheinlich ihrer einzigen, vorklagt; wie genau und haarklein sie alle Krankheitserscheinungen der Leidenden aufzählt, wie gespannt sie sammt ihrem Buben dem Ausspruche des dörflichen Heilkünstlers entgegenharrt, welcher – der Fall muß ein ernster sein – sich wohl zu bedenken scheint, ehe er sein Verdict abgiebt.

Alle Gestalten des Bildes sind so recht aus dem Leben gegriffen und der Maler, wiederum einer aus der Düsseldorfer Kunstgenossenschaft, Ernst Bosch, hat es trefflich verstanden, unser Interesse für das an sich so einfache Motiv zu erwecken. Ein geborener Crefelder, bildete sich Bosch zuerst in Wesel zum Maler aus, um später in Düsseldorf sich den Schülern W. von Schadow’s anzureihen. Erst ein angehender Dreißiger, gehört er, durch die Verhältnisse begünstigt, bereits zu der nicht kleinen Anzahl von Düsseldorfer Künstlern, die sich auch äußerlich ein beneidenswerthes Loos zu erringen gewußt haben.


„Für Sieger und Besiegte!“ So lautet die Bestimmung der ansehnlichen Gabe, welche brave Deutsche jenseits des Oceans, in der deutschen Kolonie zu San Francisco in Californien, für die Verwundeten und die Hinterbliebenen der Gefallenen im letzten blutigen deutschen Kriege mit einem Briefe vom 8. November des vorigen Jahres mir zugesandt haben. Diese Männer, welche abermals ein erhebendes Beispiel dafür geben, daß das deutsche Herz in den entferntesten Winkeln der weiten Welt treu und warm für das alte Vaterland fortschlägt, haben durch ein Concert, zu welchem zwei Vereine, der dramatische Verein „Thalia“ und der Gesangverein „San Francisco Harmonie“, zusammenwirkten, die Summe von über 208 Pfund Sterling oder 1019 Thaler Gold (etwa 1400 Thaler pr. C.) aufgebracht. Die deutsche Gesinnung in San Francisco ist uns längst bekannt. Aeußert sich doch durch vielfache Zeichen der rührige, für deutsche Bildung rastlos thätige Geist jener Deutschen. Um so mehr erfreut uns diese neue Bethätigung desselben, und um so gewissenhafter werde ich, und ganz im Sinne der edlen Geber, mit ihrer patriotischen Gabe walten.
Ernst Keil.     



Inhalt: Die Brautschau. Von Herman Schmid. – Ein Quartett bei Göthe. Von Prof. J. C. Lobe. Mit Illustration von E. Döpler. – Die erste Wochensuppe. Von Friedrich Hofmann. Mit Abbildung. – Aus der Geschichte der Väter Jesu. Von Alfred Meißner. – Vom alten Pfuel. Von Franz Wallner. – Ein Atelier im Irrenhause. Von E. P. – Blätter und Blüthen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Der angebliche Widerruf datirt vom 29. Juni, dem Feste St. Peter’s 1774, lateinisch abgefaßt, findet sich in Wolf’s Geschichte der Jesuiten. Zürich 1791. 3. Theil. S. 296.
  2. Die Memoiren, die Pfuel der Nachwelt hinterlassen wollte, sind bei einer Feuersbrunst zu Grunde gegangen. Vergl. Gartenl. 1865, Nr. 48.
  3. S. meine Erzählung: Ein Vergessener. Leipzig.