Die Gartenlaube (1866)/Heft 20
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
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Immer schadet’s. Wie sehr, sieht man am Ende des Wegs.
Goethe, Vier Jahreszeiten.
Ich sehe ihn noch vor mir, den blonden Lockenkopf mit seinem Lebensmuth und seiner Lebenslust! Kein Pferd war ihm zu wild, kein Sprung zu hoch, kein Stückchen an Barren und Reck unmöglich, keine Waffe unbekannt, auch leider – kein Becher zu groß. Ein sprudelndes Herz, eine Fülle von Liebenswürdigkeit! Genie, was er auch angriff! Er war Aller Schoßkind, der Liebling aller Männer, der Günstling aller Frauen, der Stolz der „Couleur“. Nie wieder habe ich eine so wunderbar strahlende und hinreißende Erscheinung getroffen.
Unser Turn war, wie gesagt, der Begünstigte der Schönen und bei seinem leichten Blut und feurigen Sinn entzog er sich keineswegs ihren Huldigungen, sondern genoß mit vollen Zügen, was ihm geboten ward. Noch als Gymnasiast gewann er die Neigung von Cornelie Günther, deren Vater, ein sehr wohlhabender Mann, sein Vormund war und ihn bei sich erzogen hatte. Für ihn selbst blieb das Verhältniß eine unterhaltende Tändelei, denn die Universität stand ihm bevor und im Angesicht ihrer Herrlichkeiten besaß er nicht Ernst genug, um sich der Liebe mit voller Seele zuzuwenden; auch fiel es ihm keinen Augenblick ein, sich schon jetzt ehrbarlich zu binden, wo sich ihm nach seinen Begriffen die Pforten der Freiheit und des Jubels aufthaten. Cornelie nahm die Sache ernster. Ich selbst habe das Mädchen nicht kennen gelernt, aber sie wurde mir von allen Seiten übereinstimmend höchst günstig geschildert. Nicht eben als eine hervorragende regelmäßige Schönheit, doch als eine zarte Gestalt, fein von Gesicht, blond und blauäugig, innerlich und tief, still nach Außen, keusch und sanft, streng erzogen. Nicht das, was einen angehenden Studenten fesselt, wohl aber das, worauf das Auge des fertigen Mannes freudig ruht. Sie also nahm, ihrer Natur gemäß, die Sache ernster, und als Freund Turn nach Jena wanderte, war es bei ihr, obgleich keine Erklärungen erfolgten, beschlossen, daß sie ihn im Herzen bewahren wolle, bis er sie dereinst heimführen könne.
Turn besaß nur ein kleines Vermögen, gegen zweitausend Thaler. Der Vormund hatte es gewissenhaft verwaltet und, ohne den Erziehungsaufwand zu berechnen, durch die Zinsen um ein Kleines vergrößert. Als der Mündel zur Universität abging, war er fast volljährig; Günther, mit den Gefahren wohlbekannt, die das Universitätsleben mit sich bringt und die gerade seinen leichtblütigen Zögling besonders bedrohten, zeigte ihm, daß ein so geringfügiges Vermögen kaum für die Studienkosten auslange, ermahnte ihn väterlich, dasselbe zu schonen, und machte ihm, um seine Hand über dem Zögling zu halten, den Vorschlag, ihm auch nach Eintritt der Volljährigkeit erst nach und nach auszuzahlen, was er brauchen werde. Der gute Turn hatte nichts dagegen und zog davon, um Jura zu studiren. Die Aussichten standen damals in seinem Land für Juristen sehr günstig, so günstig, daß er fast unmittelbar nach Vollendung der Studien eine Anstellung erwarten konnte. Aber er studirte nicht zu eifrig, sondern beeiferte sich nur, ein echter Student zu sein. Dazu gehörte auch Gleichgültigkeit für den Mammon, und diese besaß Turn von Natur her hinlänglich, um sie nicht erst lernen zu müssen, und den Werth des Geldes zu erkennen hatte ihn seines Vormundes freigebige Fürsorge nicht genöthigt. So von Herzen gern splendid, meinte er, sich als Student erst recht nicht lumpen lassen zu dürfen, und „ponirte“ und „verpumpte“ flott darauf los. Wir hielten ihn für reich, denn man sah ihm an, daß er gewohnt war, auf großem Fuße zu leben; Manche – es fehlt ja niemals, auch unter der Jugend, an gemeinen Seelen – benützten seine Freigebigkeit und halfen ihm vom Gelde. Der Vormund mahnte und mahnte zur Sparsamkeit und die Mahnungen machten anfangs Eindruck, denn Turn liebte und verehrte ihn, und dann war er ein paar Tage fleißig und häuslich. Aber bald kamen die lustigen Brüder – sie vermißten ihn ja überall – rückten ihm vor’s Quartier, verhöhnten seine Solidität und seinen „Katzenjammer“ und „moralischen“, entfalteten die kostbarsten Pläne zu wilden Streichen vor seinen Augen, und wenn es dergleichen gab, da konnte er der Versuchung nicht widerstehen. Die Pedelle wußten das prächtig; waren einmal Fenster eingeworfen oder Läden abgehoben und der Saale übergeben worden, er mußte es gethan haben, und da er wieder zu leichtsinnig war, um sich gehörig zu vertheidigen, und eher noch einen Trumpf darauf setzte, als den Unschuldigen spielte, so wurde er für eigene und fremde Streiche nicht selten verdonnert und in’s [306] Carcer gesperrt – und dort wird bekanntlich mit den übrigen Insassen und den nie fehlenden Besuchern aller Unsinn ausgeheckt, den Studenten erfinden können – da mußte er also wieder dabei sein. Der beste Schläger und der beste Secundant war er zudem, eine Paukerei ohne ihn war undenkbar. Ergo es half ihm nichts, höchstens zwei Tage hielt er’s aus, solid zu sein, dann ging’s wieder toller als vorher. Um sich nicht neue Ermahnungen von Günther zuzuziehen, der auch in der wohlgemeinten Absicht, die Verschwendung zu erschweren, mit Zahlungen zurückhielt, wurde versetzt und gepumpt, und doch mußten dann die Schulden wieder bezahlt werden, um neuen Credit zu erhalten. Endlich drohte Günther, er werde sich nicht weiter um ihn bekümmern, den Rest des Vermögens habe er, um sich unnützen Aerger zu ersparen, einem Bankier übergeben; wenn Freund Turn sich noch zu bessern vermöge, so solle er diesen Rest wenigstens sich erhalten. Der gute Turn faßte natürlich die besten Vorsätze und vergaß sie natürlich, nachdem er sie wunderbarer Weise volle acht Tage gehalten hatte, und nach zwei Monaten befand sich das Restchen in den sichersten Händen; er ließ es sich zwar nicht selbst auszahlen, aber er verschrieb es einem „Philister“, der ihm geliehen hatte.
Damals gab es noch einen besonderen Anlaß, daß er seinen Vorsätzen ungetreu wurde. Er mußte nämlich einen Besuch in L. machen, um „Gastrollen“ zu geben, die er auf der Rudelsburg zugesagt hatte. Dort befand sich in jener Zeit eine Truppe von Kunstreitern, Akrobaten und andern dergleichen Künstlern, und Fräulein Julie, wie sie der Zettel benamste, war keine verächtliche Erscheinung. Ich kann das aus eigener Anschauung berichten. Untadelhafter Wuchs, mäßige Fülle und Gestalt, eine fast antike Gesichtsbildung, eine freie offene Stirn mit einem Rahmen herrlicher dunkelbrauner Locken, glänzende schwarze Augen mit langen Wimpern und kühnen Brauen – das Alles machte sie zur vollendeten Schönheit. Diese Schönheit war mit einem gewissen Adel der Haltung verbunden und wurde durch die Tracht der Tänzerin, die kurzen seidenen Röckchen mit den Stickereien in Gold und Silber, offen am Hals und an den Armen, reiche Haarnetze und Diademe und kostbaren, wenigstens kostbar scheinenden Schmuck, nicht wenig gehoben, und – auch der Neid konnte nicht dagegen streiten – das Mädchen trug sich mit Geschmack! Dazu kam noch, wie ein Schimmer der Sonne Poesie, ein gewisses melancholisches Wesen, eine Art Verachtung des Beifalls, ein Schein des Unbefriedigtseins in dieser äußerlich glänzenden Umgebung. Man glaubte, sie zuweilen seufzen zu hören.
Die ganze Stadt war von ihr bezaubert, die Damenwelt voll Neid; wie manche Schöne hätte eine wallende Robe um das kurze Röckchen gegeben! Junge Männer und alte Herren schwammen gleichermaßen in Entzücken, und in der That wüßte ich kaum, wo eine schöne Frau sich schöner ausnehmen könnte, als auf dem Rücken des Pferdes stehend; wie nach allen Seiten frei zeigt sich da ihre ganze Gestalt, wie tritt da jede schöne Linie hervor! Und wie regt sich in fühlenden Herzen die zarte Theilnahme, die ohnehin eine schöne Frau so leicht findet; wie regt sich die Theilnahme, wenn man eine solche Frau ganz anders als sonst das schwache Geschlecht, allein und ohne den Schutz des Mannes auftreten und Gefahren suchen und überwinden sieht! Aber trotz alles Beifalls und aller Huldigungen wurde die Kunstreiterin allgemein für gänzlich unempfindlich gehalten und man erzählte sich, ein Prinz So-und-so – ein Prinz ist immer für diese edle Welt der Inbegriff aller Liebenswürdigkeit – habe umsonst Gold und Ehre, freilich zweifelhafte Ehre, geboten und sei ganz verwundert gewesen, solchem Widerstande zu begegnen. Daraus wob sich dann noch ein förmlicher Heiligenschein um Fräulein Julie. Es hieß, ihr Wandel sei so tadellos wie ihr Wuchs, sie stamme aus guter, ja vornehmer Familie und sei unter die Truppe gegangen – aus unglücklicher Liebe; nicht wahr, höchst romantisch? Unser Turn war, da er sie sah, sogleich Feuer und Flamme und ließ sich im Vertrauen auf sein oft erprobtes Glück nicht abhalten, eine Annäherung zu versuchen. Um das Mittel dazu brauchte er nicht verlegen zu sein; es fehlte ihm niemals an der liebenswürdigen Unverschämtheit, deren auch der schönste Mann bedarf, um Glück bei den Frauen zu machen. Seine Uebung in allen körperlichen Fertigkeiten bot ihm eine Gelegenheit, mit den Männern der Truppe anzuknüpfen; seine Kraft und Gewandtheit waren so groß, daß er mit jedem Jongleur wetteifern, sich mit jedem Hercules messen konnte, im Reiten that er’s dem besten Jockey gleich. Nachdem er es mit den Starken der Truppe im Ringen, Springen und Reiten aufgenommen hatte, war er für sie der Held des Tages. Wenn er mit ihnen verkehrte, wußte er Fräulein Julie zu treffen, zu sprechen und mit richtigem Tact, nämlich nicht mit prunkenden Kostbarkeiten, sondern mit zarten, aber an sich unbedeutenden Gaben, mit Blumen, feinen Handschuhen, Wohlgerüchen und dergleichen zu beschenken. Um die Gesellschaft beim Guten zu erhalten, ließ er es nicht daran fehlen, die Kosten manches Abends aus seiner Tasche zu bezahlen. Und wieder ging ein gut Theil dessen darauf, was ihm noch übrig war.
Und Fräulein Julie – blieb nicht unempfänglich. Es verhielt sich mit ihr nicht ganz so, wie das Publicum glaubte, obschon das Gerücht auch nicht ganz die Unwahrheit sagte. Sie war von Jugend auf bei der Truppe gewesen und keineswegs in den Grundsätzen strenger Tugend erzogen, aber sie besaß einen klaren Verstand und ein frisches Herz. Nicht lange über die Kindheit hinaus, fand sie sich von Huldigungen umringt; der schönste, prächtigste, reichste, auch an Geist reichste ihrer ersten Anbeter war ein Rittmeister unter den Garde-Kürassieren, ein in der Stadt wohlbekannter Don Juan. Ihm konnte ihr unerfahrenes Herz nicht widerstehen; daß er, der vornehme Herr, sie, die Tänzerin der Arena, nicht heirathen durfte, daran zweifelte sie selbst nicht, sie vertraute auf die Betheuerungen inbrünstiger Liebe und die Schwüre ewiger Treue, welche ihm geläufig waren, ließ sich daran genügen und freute sich hingebungsvoll im Sonnenschein seiner Liebe. Aber der Herr Graf fand an ihr nur so lange Gefallen wie an anderen Schönen. Mit ihrer Hingebung kühlte sich seine Liebe ab, und er hätte ihr, auch wenn er kein Don Juan gewesen wäre, schwerlich seine Schwüre gehalten, denn die geringe Bildung der Tänzerin bot zu wenig sonstige Berührungspunkte und wechselnde Unterhaltung. Seine Aufmerksamkeiten und Besuche wurden seltener, es kam zu heftigen Scenen, bei denen die Leidenschaft der Tänzerin sich nicht in der schönsten Gestalt äußerte; ein paar Mal versöhnte man sich wieder, dann blieb der Liebhaber weg, um nicht zurückzukehren.
Sie ist nicht die Erste und wird nicht die Letzte sein, sagt Mephisto, und die Welt geht unbekümmert darüber hin, wie über alle zerrissenen Herzen und zerrütteten Körper, und schreitet trotzdem fort. Aber wen es trifft, dem ist das kein Trost; er empfindet es um so härter, je weniger die Welt an ihm Theil nimmt. Das erfuhr die Kunstreiterin an sich. Ihre wahre, leidenschaftliche Liebe mehr als unerwidert, getäuscht, ihre Hingebung durch Verrath belohnt, der Geliebte ihrer Seele, ihr Ideal und Auserwählter, ein treuloser Mann, sie selbst nur ein Spielzeug seiner Leidenschaft, dem nur ein Spielzeug, dem sie sich aufopferte! Ihr Herz krümmte sich in Schmerz und Grimm zusammen und kehrte sich verschlossen von den Huldigungen der Männer ab; mit Verachtung blickte sie auf die herab, deren Einer sie betrogen hatte, und stolz erhob sich ihre Seele über die verächtliche Welt. Der Stolz wurde die Tugend der Tänzerin; Bewunderung und Schmeicheleien ließen sie kalt, plumpe Werbungen widerten sie an, Geschenke wies sie stets zurück, wie sie auch ihrem ersten Liebhaber die Ringe, Bänder und Kleider zurückgegeben hatte, die sie ihm verdankte. Sie schien, darin log das Gerücht nicht, unempfindlich und sie hätte den edeln Prinzen So-und-so gewiß auch dann verworfen, wenn er nicht ein garstiger kleiner Knirps gewesen wäre. Aber die Tänzerin mußte dem hohen Adel und verehrungswürdigen Publicum ein freundliches Gesicht zeigen, sie mußte sich holdselig verneigen vor den Bewunderern, sie mußte nach Beifall streben, einem Beifall, den sie verachtete, sie mußte lieblich und reizend sein, Liebe darstellen und Scherz treiben vor den Augen der Menschen, mit Bitterkeit im Herzen, mit abgewandtem Sinne! Und aus solchen Contrasten der Gefühle mit dem äußern Treiben entspringt ein poetischer Hauch, ein Unbegreifliches, Unfaßbares, ein Adel des Unglücks. Das gab ihrer Erscheinung den höchsten Zauber jener träumerischen Vergessenheit, jenes eigenthümlich räthselhafte, wehmuthsvolle Wesen; dadurch ragte sie vor Anderen ihres Gleichen hervor.
Nun war aber seit dem Bruche mit ihrem Rittmeister geraume Zeit vergangen, als unser schöner Fritz ihre Bekanntschaft machte. Ihre Bitterkeit hatte sich gelindert. Sein frischer, gesunder Humor, seine liebenswürdige Tollheit entwaffneten ihren Stolz. Er trat ihr nicht wie ein Cavalier, mit Gönnermiene herabsehend, um Gunst zu erlangen, sondern auf gleichem Fuße entgegen, ganz nur ein verliebter Tollkopf. Sie begann seiner [307] männlichen Schönheit ihr Auge zuzuwenden; sie plauderte gern mit ihm, sie hing sich gern an seinen Arm, sie war liebenswürdig, selbst zärtlich gegen ihn, sie nahm seine Geschenke, Kostbarkeiten hätten sie verletzt – man merkt die Absicht und wird verstimmt – aber seine Kleinigkeiten schienen ihr wahre Beweise von Anhänglichkeit. Allein ihr Stolz oder vielmehr die Verschlossenheit ihres Herzens war doch noch groß genug, um ihm keine Vertraulichkeit zu gestatten. Kein Wunder, daß die Leidenschaft unseres Turn von Tag zu Tag zunahm und in’s Unbändige wuchs. Nicht blos die Schöne fesselte ihn, auch das freie Treiben der Truppe übte einige Anziehungskraft; Woche um Woche verlängerte er seinen Aufenthalt in L., endlich mußte er doch nach Jena zurück. Sein Erbe war aber bis auf ein Kleines verzehrt; wie sich herausstellte, konnte er die Studien nicht mehr fortsetzen. Das consilium abeundi hatte er bereits unterschreiben müssen, weil er die Collegien fast immer schwänzte, jetzt gab seine lange Abwesenheit wieder Veranlassung zu gerichtlichen Erörterungen, die Relegation drohte. Was beginnen? Es fuhr ein Gedanke durch seine Seele, er haftete darin, sein Leichtsinn kannte keine Bedenken, ein wichtiger Entschluß galt ihm nicht mehr als ein Abenteuer. Eines schönen Tags schrieb er an den Director der Truppe, ob er ihn für fähig halte, bei derselben mitzuwirken, und ihn als Mitglied annehmen wolle. Dem Director kam das Erbieten sehr gelegen: ein so schöner, gewandter und starker Mann konnte nur nützen und neue Anziehung üben, offenbar brauchte ihm, der eine Zukunft suchte, nur nothdürftig gezahlt zu werden. Unter allerlei Cautelen – damit er den Schein wahre, als thäte er’s aus bloßer Barmherzigkeit – erklärte sich der Director geneigt, den schönen Fritz bei der Gesellschaft anzunehmen. Sobald dieser die Nachricht erhielt, ging er von der Universität ab und vermied damit die Relegation.
Fräulein Julie sah in dem auffälligen Schritt einen neuen und starken Beweis von Liebe und empfing ihren Verehrer mit weniger Zurückhaltung als früher. Er wurde um so eifriger, er wich nicht von ihrer Seite. In der Arena war er ihr Beistand, außerhalb ihr Begleiter. Und wenn er mit dem schönen Mädchen in den Anlagen um die Stadt hinritt und die Spaziergänger das seltene Paar mit Bewunderung betrachteten, wenn er dann auf dem Felde vor der Stadt mit ihr davonjagte, über Gräben setzte, sie ihm entfloh und er sie einholte, wenn er zuletzt die von der Frische der Luft blühende und vom lebhaften Ritte glühende Gestalt vom Pferde heben durfte, dann hielt er sein Loos für beneidenswerth. Immer lebhafter drang er in sie und immer inniger schloß sie sich ihm an; das Bedürfniß der Liebe wachte wieder in ihr auf. Aber Dame Julie war doch theils in Folge der Erfahrung, die sie gemacht hatte, theils weil sie, dadurch gewitzigt, den leichten Sinn ihres Freundes beobachtet und erkannt hatte, in hohem Grade mißtrauisch und zeigte sich bedenklich. Einer zweiten Täuschung wollte sie sich nicht aussetzen. Von Heirath konnte nicht wohl die Rede sein, denn die zahlreichen Erfordernisse, die das Gesetz vorschreibt, um zu verhindern, daß – die Liebe sich auf ewig binde, die Heimath-, Impf- und sonstigen Scheine waren kaum herbei zu schaffen, die Unzuverlässigkeit der Liebesschwüre hatte die Tänzerin erprobt. Womit konnte sie den neuen Geliebten fesseln? Endlich faßte sie sich ein Herz, erzählte ihm, was ihr widerfahren war, und erklärte ihm auf’s Bestimmteste, sie verlange Treue für immer, Turn solle sich wohl bedenken, ob er ihr diese versprechen könne, sollte er später doch untreu werden, so würde sie ihn zu finden und Rache zu nehmen wissen. Unser Turn, durch die Erzählung nicht abgekühlt, im Gegentheil von der Gluth des Mädchens neu entflammt, dachte nicht an Untreue, und hätte er schon daran gedacht, so wäre ihm die Drohung nicht im Mindesten fürchterlich gewesen. Er verschloß ihr lachend den Mund mit Küssen und gelobte Treue auf ewig.
Von nun an war sie völlig die Seine, liebenswürdig, freundlich, aufopfernd ohne Rückhalt. In dem Beruf, den er gewählt hatte, fand er sich vermöge seines leichten Naturells bald zurecht, nachdem er sich anfangs in den Tricots und seidenen, goldenen und silberen Flittern sehr sonderbar vorgekommen; sein Glück mit der schönen Julie beherrschte und befriedigte ihn vollständig. Sie lebten so in Eintracht und Freude gegen ein Jahr. Dann aber wurde es allmählich anders.
In Freund Turn schlummerte trotz seines Leichtsinns ein tieferes Bedürfen; er war „verbummelt“, aber von besserem Stoffe, als daß er hätte in wüster Leerheit untergehen sollen. Seine neue Beschäftigung konnte er anfangs, so lange sie ihm neu war, unterhaltend finden, sein Leben in dem wunderlichen Komödiantentreiben wie eine Caprice des Schicksals, ja wie einen genialen Streich betrachten. Das mußte sich ändern, sobald er den Zwang dieses Lebens merkte. Sein Geschäft bestand im Ringkampf, zu dem er öffentliche Aufforderungen ergehen ließ, in verschiedenen Sprüngen, in Schwingübungen auf einem schlaffen Seil, endlich im Schulreiten; er hieß ‚Herr Friedrich‘, an Beifall fehlte es ihm nicht. Aber immer nur mit dem Körper arbeiten, nur in weibischem Flitter Manneskraft zeigen, nur zur Unterhaltung der Menschen dienen, die Kraft ohne höheren Zweck eitel zur Schau stellen, ohne einen solchen Zweck alltäglich das Leben auf’s Spiel setzen, den Ernst des Lebens in spielender Gaukelei finden, in alledem seinen Beruf erkennen, das ist demüthigend und entmuthigend. Der Beruf des Schauspielers ist ein ganz anderer, als der des Gauklers; jener stellt immer, wenn er auch zuweilen in schlechten Stücken spielt, geistige Ideen mit dem Organ der geistigen Vermittelung, der Sprache, dar und lebt für das Ideale; bei diesem erstirbt der Sinn für das Ideale und verwandelt sich in das Zerrbild der Waghalsigkeit. Dazu die Mitglieder der Bande, die Turn’s nächsten, fast seinen einzigen Umgang bildeten – denn er wagte sich nicht unter andere Menschen – zum Theil war’s verlaufenes Gesindel, bankerott wie er, zum andern Theil wenigstens ein Völkchen, welches das Leben nur von der leichtesten Seite nahm, im eitlen Glanze der Lampen des Circus und im Beifall des Publicums sein Ziel erblickte, ohne tiefere Bildung, Einer neidisch auf den Anderen, eines inneren Einklangs und gemüthlichen Zusammenlebens weder bedürfend noch fähig. Originelle und witzige Burschen gab es darunter, aber von jener leicht verständlichen Originalität und jenem leicht erschöpflichen Witz, die nach kurzer Bekanntschaft ihren Reiz verlieren. Unsern Turn, trotzdem er gerade nicht der Ordentlichste war, stieß bald schon der Mangel an Ordnung, der kaum versteckte Schmutz bei äußerer Eleganz, die wüste Wirthschaft, nach und nach der Mangel an Bildung zurück. Jemehr er sich aber von der übrigen Gesellschaft fern hielt, um so weniger zeigte sich diese ihm gewogen. Eine Zeit lang entschädigte ihn die Neigung der Primadonna, aber allmählich empfand er dasselbe wie sein ‚Vorgänger im Reich‘. Sie besaß Gefühl, sogar tiefes Gefühl, allein sie war im höchsten Grade unwissend, ohne ideale Interessen, im Treiben der Schaubühne aufgewachsen. Auch ihr fehlte der Sinn für Ordnung; der ideale Schimmer ihrer Schönheit schwand mehr und mehr mit dem Reize der Sinnlichkeit; die Berührung in geistigen Interessen mangelte. Er hätte sie vielleicht heranbilden können, aber dazu mangelte ihr zu sehr die Grundlage, ihm die geduldige Ausdauer und Beiden, wegen der bei ihrer Beschäftigung unerläßlichen ermüdenden körperlichen Uebungen, die Zeit und Spannkraft. Sie bemerkte sein Erkalten und verdoppelte ihre Zärtlichkeit; er wurde derselben umsomehr überdrüssig. Sie suchte seine Eifersucht zu reizen, indem sie sich scheinbar Anderen näherte, und mußte sehen, daß er gleichgültig dabei blieb.
Damals begann der Krieg mit Dänemark. Turn erfaßte die Gelegenheit; da war für seine Kraft ein würdiger Gebrauch gefunden, für seinen kühnen Muth ein weiter Schauplatz, da konnte er aus dem Zwang eines eiteln Lebens sich in einen Kampf für große Interessen stürzen und Theil nehmen an den Geschicken der Nation, vor welcher er jetzt gaukelte. Er theilte seiner Schönen den Plan mit – denn er setzte bei ihr eine ähnliche Abkühlung voraus, wie bei ihm selbst eingetreten war – und sprach vorsorglich blos von einer zeitweiligen Entfernung. Allein er traf einen unerwartet heftigen Widerstand. Fräulein Julie zürnte, daß er sie verlassen, daß auch er ihr untreu werden und feierliche Versprechungen brechen wolle, sie habe freilich seine Gleichgültigkeit schon lange beobachtet, aber sie lasse nicht von ihm. Sie drohte ihm in verschiedenen und sich seltsam widersprechenden Tonarten: sie werde sein Unterkommen im Heere verhindern, sie werde ihn seinen Cameraden als einen bankerotten Menschen, als einen Luftspringer und Athleten von der breternen Schaubühne schildern, sie werde ihm nachfolgen und nicht von ihm weichen, und sollten sie miteinander verhungern. Von solchen Drohungen ging sie zu der wirksameren Vertheidigungsmethode über, für welche das schöne Geschlecht von der gütigen Natur mit verschwenderischer Hand ausgestattet worden ist, zu Thränen, und diese kamen ihr [308] wirklich vom Herzen. Ob sie so ganz von Allen verlassen werden solle, die sie liebe? Ob sie so verworfen, so unerträglich sei, daß der Tod auf dem Blachfelde dem Leben mit ihr vorgezogen zu werden verdiene? Und er werde sterben oder schwere Wunden davon tragen und auf dem einsamen Schlachtplatz verzweifelnd mit wilden Schmerzen ringen! Sie schmiegte sich schluchzend an seine Brust, und unser weichherziger Fritz vermochte nicht sie in solcher Betrübniß zu sehen, sondern versprach ihr zu bleiben. Sie freute sich darüber wie ein Kind.
Aber Versprechen und Halten ist zweierlei, und das wußte sie sehr wohl. Als sie daher bemerkte, daß Herr Friedrich zuweilen Geschäfte hatte, von denen sie nichts wußte, argwöhnte sie vollkommen richtig, daß er im Stillen seinen Plan noch verfolge und hinter ihrem Rücken auf heimliche Entweichung sinne. Erfinderisch traf sie daher ihre Vorkehrungen, ohne ihm selbst entgegenzutreten; sie ließ gegen den Director Winke fallen, daß das wichtige Mitglied zu entrinnen suche, und schnell war Turn strenger beobachtet und enger umringt, als der unglückliche Lampe im geschlossenen Treiben der Jagd.
Der arme Gefangene ergab sich in ein Schicksal, dem zu entrinnen er einer Energie bedurft hätte, die ihm nicht gegeben war; aber er wurde ganz melancholisch und seine Liebe stärkte es nicht, daß ihm die Geliebte die Freiheit des Handelns verwehrte und mannhafte Thätigkeit unmöglich machte. Er „arbeitete“ – so nennt der Athlet seine Beschäftigung – in Sprüngen und Kraftstückchen fort, etwa wie der Bär an seiner Kette, mit innerlichem Ingrimm, aber mit staunenerregender Verachtung aller Gefahr, und war weit berühmt als der beste Akrobat und Springer. Ein Ruhm, der ihn nicht wenig ärgerte.
Das ging eine Zeit lang weiter; unser Leichtfuß wurde träger und stiller; die Primadonna hatte noch immer ein aufmerksames Auge auf sein Gelüste, war aber auch aufmerksam auf seine Wünsche und that das Ihrige, um nicht andere Begehren aufkommen zu lassen.
Damals traf ich ihn selbst und aus seinem eigenen Munde erfuhr ich Alles, was ich hier erzähle. Man hatte mir gesagt, ich müsse den Circus besuchen, der vor einem Thore der Stadt erbaut worden war; es würden staunenswerthe Dinge producirt, auch seien die Mitglieder, Männer und Frauen, zum Theil von auffallender Schönheit. Ich bin sonst kein Freund solcher Vergeudung der Kräfte, trotzdem kann ich jedoch nicht leugnen, daß ich Vorstellungen dieser Art, wenn sie sicher und elegant und von schönen Menschen ausgeführt werden, gern sehe, und man sprach hier so viel davon, daß ich neugierig wurde und mich von einigen Bekannten ohne großes Widerstreben dahin führen ließ. Der eine von ihnen war voll Entzücken über Fräulein Julie und hatte ihrethalben den Circus alltäglich besucht, aber – und das regte mein Interesse an – trotz seiner bekannten Virtuosität in Besiegung des schönen Geschlechts nur jene Freundlichkeiten errungen, die der stereotype Ausdruck einer Tänzerin sind.
Ich fand den Circus allerdings ungewöhnlich elegant, die Costüme wenigstens für die Abendbeleuchtung anscheinend kostbar, das Personal zahlreich und die Productionen stets präcis und graciös ausgeführt. Fräulein Julie war unter den Ersten, die auftraten; ich mußte ihre Schönheit und Anmuth anerkennen, es schien mir sogar ein Ausdruck des Geistigen darin zu liegen. Etwas später kam der Athlet an die Reihe. Es war eine prächtige Figur mit gewaltigen Muskeln und wunderbarer Leichtigkeit der Bewegung. Trotz des obligaten Lächelns, das er als einen Theil seiner Production zu betrachten schien, zeigte er ein eigenthümlich unwirsches, barsches Wesen; die Diener der Truppe gehorchten furchtsam auf seinen Wink, der Director durfte sich nicht in seine Nähe wagen; den Beifall des Publicums, der oft donnernd losbrach, erwiderte er kaum durch ein nachlässiges Nicken. Ich hatte ihn nicht gleich erkannt. Die eigenthümliche Tracht, die Schminke, der harte Ausdruck des Gesichts, das ich früher nicht anders als lachend sah, die seitdem ungemein entwickelte Muskulatur mußten mich daran hindern; aber der allgemeine Eindruck war doch der von etwas Bekanntem, so daß ich hin und her sann, wo ich vielleicht dem Manne begegnet sei. Ich kam darüber erst in’s Klare, als er einmal unmittelbar in meiner Nähe vorbeischlenderte, seine Augen den meinigen begegneten und seine Miene verrieth, daß auch er einen Bekannten gesehen hatte; doch ging er, ohne mich weiter zu beachten, vorbei. Man kann sich denken, daß die Sache nun ein ganz anderes Interesse für mich bekam; ich saß jetzt in der äußersten Spannung. Bald gewahrte ich, wie es zwischen unserem Freunde und der Tänzerin stand. Sie blieb bei allen seinen gefährlichen Productionen zugegen, begleitete ihn beständig mit ihren Blicken und verrieth ebensoviel Angst wie Stolz. Als er einmal in bedeutender Höhe einen enormen Sprung ausgeführt hatte, bei dem sein Fuß kaum mit der äußersten Spitze das entgegenstehende Podest berührte, und sich anschickte, diesen Sprung zu wiederholen, legte sie ihm auf eine Art, die das Publicum kaum wahrnehmen konnte, mit einem demüthig bittenden Blicke ihre Hand auf die Schulter und er unterließ das Wagniß. Ueberhaupt zeigte er sich gegen sie zwar keineswegs galant beflissen, wohl aber nachgiebig und gefügig, als würde er von ihrer sanften Demuth beherrscht. Ich konnte kaum den Schluß der Vorstellung erwarten, ich mußte Turn sprechen. Er war sofort abgetreten und verschwunden; ich erkundigte mich nach seiner Wohnung, es wurde mir ein kleiner Gasthof in der Vorstadt bezeichnet. Dort wies man mich nach einer Stube im obersten Stock. Ich klopfte an die Thür, es hörte Niemand, wahrscheinlich, weil es eben sehr geräuschvoll in dem leicht gebauten Hause zuging. Ich erlaubte mir, die Thür zu öffnen, – welcher Anblick!
Es war ein mäßig großes Zimmer, durch ein Talglicht matt erleuchtet, ordentlicher gehalten, als sonst die Wohnungen solcher Künstler aussehen; ein runder Tisch in der Mitte war mit kalten Speisen und einer Flasche Wein besetzt, die Speisen standen unberührt, ein Glas halb geleert. Vor diesem Tische saß in seiner Tricotkleidung mit einem Rocke darüber der arme Turn, beide Arme darauf gestemmt und mit der Stirn auf den Armen. Neben ihm stand Fräulein Julie, ihre Hand auf seiner Schulter, halb über ihn gebeugt, eine Thräne im Auge.
Ich fuhr zurück, aber das Mädchen hatte mich bemerkt, trat heraus und frug nach meinem Begehren. Zeh antwortete, daß ich den Herrn Friedrich sprechen wolle. Turn rief aus dem Zimmer: „Er soll gehen.“ Ich aber sagte zur Tänzerin: „Ich lasse mich nicht so abweisen; wolle er’s durchaus, so müsse er an mir seine Kraft erproben.“ Turn rief wieder: „Laß ihn herein!“ Mit verwunderter Miene öffnete sie die Thür. Turn war aufgestanden und reichte mir die Hand, aber kaum bot ich ihm die meine, so schlang er seinen Arm um meinen Hals und weinte bitterlich. Es war, wie ich nachher erfuhr, das erste Mal, daß er in seiner neuen Laufbahn mit einem Freunde aus alter Zeit zusammentraf. Im Gesicht der Tänzerin spiegelte sich theils Verwunderung, theils Bangigkeit; ich erwartete, ihr vorgestellt zu werden, statt dessen erfolgte ein kurzes „Laß uns allein.“ Es rührte mich, wie das Mädchen ihm, ehe es ging, demüthig bittend und zärtlich den Mund bot und frug, ob es zu Bett gehen dürfe; es lag darin ein Ausdruck tiefer, überwältigender Liebe, und tragisch däuchte mir die kalte Gelassenheit der Erwiderung.
Sie entfernte sich mit einer Verbeugung in das Nebenzimmer. Turn stand eine Zeit lang schweigend vor mir, dann sagte er, als antwortete er mir auf eine Frage: „Ja, das ist aus mir geworden, ein Athlet, ein Akrobat, ein Mensch, der unnütz auf der Welt herumläuft!“
Ich suchte ihn zu beschwichtigen und erfuhr nach und nach, was ich erzählt habe; die Mittheilung erleichterte sein Herz. Sein Verhältniß zu Julien schien ihn sehr zu beschäftigen; er befand sich in dieser Beziehung offenbar im Zwiespalt mit sich selber. Ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit bezauberten ihn noch immer, er schilderte mir mit glühenden Farben ihr erstes Bekanntwerden und sein erstes Glück. Auf meine Frage, ob sie ihm treu sei, antwortete er ohne Besinnen: „Wie Gold; ohne Zweifel, sie denkt an keinen Andern.“ Doch nach einigen Augenblicken setzte er hinzu: „Aber – sie ist eine Tänzerin der Schaubühne und ich bin um ihretwillen ein Athlet.“ Und dabei brach er in ein verzweifeltes Lachen aus. Es wurde mir klar, daß Beide, wenn sie in andern Verhältnissen gelebt hätten, das glücklichste Paar gewesen wären, daß Beide auf einander einen günstigen Einfluß übten, daß aber die Abgeschlossenheit von der übrigen Welt, von einer Welt höherer Bildung, und die Beschränkung auf den Umgang untereinander bei Freund Turn Ueberdruß und der Widerwille gegen den Beruf Widerwillen gegen die Genossin des Berufs hervorrief. Als ich sagte, er solle sich losmachen wie ein Mann, erwiderte er: „Und was beginnen? Aber es wäre ihr Tod!“ Die Aufforderung, mich zu besuchen, lehnte er düster ab; er gehöre
[309]nicht mehr in meine Welt. Mir selbst wehrte er nicht, wieder zu ihm zu kommen, und ich habe ihn darauf öfters gesehen, in der Regel in Gegenwart der schönen Julie, die ich dabei auch als liebenswürdige Gesellschafterin schätzen lernte. Manchmal bei einem guten Glase Wein gerieth er auch wohl in seine alte Laune, und dann sah man seiner Geliebten an, wie glücklich sie darüber war. Dann wurde er auch zärtlicher gegen sie und jede, selbst die geringste Zärtlichkeit, die er ihr erwies, fand ein dankbares Herz. Als die Truppe von dannen zog, nahm ich mit schmerzlichen Eindrücken von ihm Abschied. –
Etwa ein halbes Jahr mochte vergangen sein, als ich von Freund Turn einen Brief erhielt. Der Widerwille gegen seinen Beruf hatte sich mit der Zeit gesteigert und dazu war noch ein anderes Motiv getreten. Er schrieb darüber Folgendes:
Eines Abends gab er seine regelmäßigen Vorstellungen; ein gefährlicher Sprung mißglückte, wunderbarer Weise und zum Jubel der entsetzten Zuschauer ohne ihn zu beschädigen. Aber im Augenblick des Fehlspringens ertönte von einem der vorderen Plätze ein lauter Schrei; als Turn aufblickte, sah er eine Dame in Ohnmacht und erkannte – Cornelien, die der Zufall in jene Stadt geführt hatte. Im selben Moment stürzte Julie verstört hervor und verrieth dem Publicum den hohen Grad ihrer Theilnahme. Unter dem Vorwande, ein Gelenk verdehnt zu haben, zog er sich aus der Vorstellung zurück und begab sich nach dem Gasthof, wo er wohnte.
In den Gedanken, welche durch diese Begegnung angeregt worden waren, schritt er so langsam hin, daß ein Anderer, der den Circus gleichzeitig verließ, ihn bald einholte. Der Anruf: „Fritz!“ und eine auf seine Schulter gelegte Hand hemmten seinen Schritt und weckten ihn aus seinen Gedanken. Es war eine wohlbekannte Stimme, ihr Klang allein war eine Anklage. Turn hielt an wie erschüttert, kehrte sich um und sagte finster: „Ja, ich bin’s, Herr Günther.“
Dieser schwieg eine Weile, denn – er wußte nicht gleich das Gespräch fortzusetzen – Vorwürfe, sah er schnell, waren gegen den Mann, welchen das Schicksal gebeugt hatte, nicht am Platze; Beide standen sich, nach Worten suchend, gegenüber. Dann sagte Günther:
„Daß ich Dich so wiederfinde, Fritz!“
„Ja, es ist weit mit mir gekommen,“ antwortete Fritz in tiefstem Schmerze.
„So kehre um, es ist noch Zeit, die höchste Zeit,“ mahnte der Andere.
„Aber ich habe keinen Rückweg, es geht nicht,“ seufzte Fritz.
„Warum? Ich biete Dir meine Hand.“
Turn schwieg. Günther fuhr fort: „Fesseln Dich noch andere Bande? Bist Du Verpflichtungen gegen die Kunstreiterin eingegangen?“
Jener schwieg wieder. Günther drang lebhafter in ihn. „Cornelie hat Dich im Herzen behalten; sie sandte mich nach Dir, sie ist außer sich über Dein Schicksal. Willst Du sie sprechen?“
Er bat sich Bedenkzeit aus und erkundigte sich nach der Wohnung. Günther nahm Abschied, indem er nochmals zur Umkehr mahnte.
Einige Zeit nach ihrem Geliebten traf Julie in der gemeinschaftlichen Wohnung ein. Sie fand Jenen in einer Aufregung, die sie nicht seinem Sturze allein zuschreiben konnte; sie bot alle ihre Liebenswürdigkeit auf, den Unmuthigen zu besänftigen, er aber wies sie barsch von sich und erweckte damit ihren immer regern Verdacht.
Nach einer Nacht voll Unruhe gelangte unser Turn zu dem Entschlusse, Cornelien aufzusuchen. Es geschah am andern Abend, aber ihm folgte ein Beobachter. Er hatte seinen Entschluß mehr aus einem dunkeln Triebe, als aus klarer Ueberzeugung gefaßt: nur der Ekel an seinem nichtigen Berufe bewog ihn, nur das war ihm gewiß, daß er sein bisheriges Leben aufgeben müsse, wenn er nicht gänzlich verkommen solle. Erst unterwegs machte er sich darüber Gedanken, wie er Cornelien entgegentreten wolle, wie sie ihn empfangen werde, und seine Schritte zögerten und hielten an. Nach einem Stillstand setzte er jedoch den Weg fort.
Günther und seine Tochter wohnten im „englischen Hof“, einem Gasthaus ersten Ranges, in den glänzend ausgestatteten Zimmern eine Treppe hoch. Cornelie war von der Gemüthsbewegung angegriffen, verweint und blaß; tiefer Schmerz lag auf ihr, daß sie den schönen Freund ihrer Jugend seine Lebenskraft in nichtigen Schaustellungen, vielleicht in wüstem Treiben, verschleudern sah. Die schöne Kunstreiterin mit ihrer sichtlichen Theilnahme hatte eine eifersüchtige Regung in ihr hervorgerufen; ihre Seele war voll Angst, Kummer und Betrübniß. Als er gemeldet ward, meinte sie, ihn wie einen Verlorenen mit Wehmuth und Zurückhaltung empfangen zu müssen; sie stand nicht auf. Aber als er nun eintrat und ihr mit düsterer Scheu, als zweifelte er an ihrem Gegengruß, halblaut ein bescheidenes und schwermüthiges „Guten Tag, Cornelie,“ zusprach, da war’s mit ihrer Zurückhaltung vorbei. Sie sprang auf und hing weinend an seinem Halse.
Ich übergehe, was er mir weiter von diesem Wiedersehen schrieb, und berichte nur die Folgen. Nach langer Zeit war es das erste Mal, daß er wieder mit Leuten feinerer Bildung verkehrte, [310] er empfand seine Gesunkenheit mit tiefer Betrübniß; hätte es ihn auch nicht gerührt und erschüttert, daß Cornelie ihm, dem Flüchtigen, Leichtfertigen, Unwürdigen, ihr Herz so lange treu bewahrt hatte, das allem würde ihn zu ihr zurückgeführt haben, daß er das Bedürfniß eines feineren, besser gesitteten und höhergebildeten Umgangs, daß er das Bedürfniß der Rückkehr in die Welt der Bildung, in die Gemeinschaft mit Wissenschaft, mit Kunst und Poesie und dem Leben der Nation fühlte. Cornelie und ihr Vater boten ihm die Hand zur Rettung, und eben im Zusammensein mit ihnen wurde ihm recht fühlbar, wie viel er entbehrte. Da er aus alter Gewohnheit gern mehr brauchte, als er hatte, und seine Einnahme keine glänzende war, so befand er sich stets bei der Casse der Truppe in Vorschuß und man zahlte ihm gern diese Vorschüsse, um ihn an die Gesellschaft zu fesseln. Günther bot ihm Geldmittel, sich davon zu befreien, er stellte sie ihm auch zur Verfügung, falls er derselben bedürfen sollte, um sich von andern Verbindlichkeiten – er meinte das Verhältniß zu Julien – zu lösen.
An demselben Abend erfuhr diese, daß ihr Geliebter heimlich längere Zeit in einem großen Gasthof bei einem alten Herrn und einer jungen Dame verweilt hatte, welche in den besten Zimmern wohnten; sie stellte sich daraus ohne große Schwierigkeiten etwas zusammen, was dem Richtigen sehr nahe kam; ihre Vermuthungen befestigten sich, als Turn den Besuch wiederholte und darauf seinen Vorschuß zurückzahlte und als er sich gegen sie selbst immer verschlossener zeigte und mit einem Ungestüm benahm, welches allzudeutlich merken ließ, daß er gewissermaßen sein eigenes Gefühl oder Schuldbewußtsein damit zu unterdrücken suchte. Eine Kennerin, wie sie war, hütete sie sich wohl, ihre Vermuthungen zu äußern, bezwang das beleidigte Gefühl der Liebenden, schmiegte sich in die Launen und Unarten unseres Freundes und bewies eine Unterwürfigkeit, Geduld und Zärtlichkeit, die das kälteste Herz gerührt hätten. Aber Turn fühlte sich von dieser Liebenswürdigkeit nur noch beengter und gedrückter, denn er wollte und mußte sich ja den Verhältnissen entziehen, in denen er lebte, und es wurde ihm schwer genug, seiner Neigung zur schönen Julie für immer zu entsagen. Er wußte es ihr nicht Dank, daß sie es ihm durch ihre Freundlichkeit noch erschwerte. Nach ein paar Tagen quälender Unschlüssigkeit beschloß er, klar herauszusprechen, und kündigte ihr mit möglichster Schonung seine Absicht an, aus der Truppe zu scheiden. Er stellte ihr vor, wie er das Leben und den Beruf eines Gauklers verabscheue und nicht länger erträglich finde, sich einer andern, einer Geist und Gemüth beschäftigenden Thätigkeit zuwenden wolle und deshalb von der Gesellschaft und von ihr sich trennen müsse; die Trennung von ihr falle ihm sehr schwer, denn seine Liebe zu ihr sei nicht erloschen, aber es müsse geschieden sein, wenn er nicht der Verzweiflung verfallen solle.
Julie erschrak; es erneuerte sich der Auftritt, den ich vorhin geschildert habe, diesmal jedoch gewaltsamer, als damals. Es dünkte ihr unmöglich, von ihm getrennt zu leben; sie hatte sich wirklich nach und nach so ganz von ihm abhängig gemacht, daß sie den Gedanken gar nicht fassen konnte. Wie er an ihr einen Mangel feiner und tieferer Bildung störend empfand, so fühlte sie sich dagegen durch ihn und seine höhere Bildung gehoben und in ihrem besseren Wesen gefördert; für sie war die Liebe nicht blos wie bei jedem Weib eine innerliche Vertiefung, sondern auch ein Emporsteigen in der menschlichen Gesellschaft. Es half nichts, daß er ihr vorstellte, in’s Nothwendige müsse man sich fügen; sie sah auch das Bild einer Andern vor sich, um deren willen sie aufgegeben werde. Als er fest blieb, warf sie sich fassungslos zu seinen Füßen, umklammerte seine Kniee und bat ihn, er möge sie nicht unglücklich machen, sie könne nicht von ihm lassen; er solle sie mit sich nehmen, wohin es sei.
Da wurde es unserm guten Turn wieder zu tragisch, er schwankte; es stand zwar fest bei ihm, daß er sich von der Truppe trennen müsse, aber er wollte es auf einem andern Wege versuchen. Konnte er auf Günther’s Unterstützung noch einen Anspruch machen, wenn er die Tänzerin mit sich nahm? Da schrieb er mir, schilderte den Stand der Dinge und bat mich, ihm, wenn es mir irgend möglich, eine Stelle, so gering sie auch sein möge, und sei es nur ein Schreiberämtchen, zu verschaffen oder wenigstens nachzuweisen; aber es müsse schnell geschehen. Er wendete sich damit an Einen, dessen Können beim besten Wollen zu schwach war, denn mein Einfluß reichte nicht weit. Ich versuchte indessen alles Mögliche, ging zu Dem und Jenem, bei dem ich auf Bereitwilligkeit hoffte, höheren Staatsbeamten und Vertretern von Banken und größeren Instituten, stellte meinen Schützling in effigie vor und beschwor sie, einen fähigen Menschen vom Untergange zu retten. Aber Jeder, der eben ein Stellchen offen wußte, – die Meisten wiesen mich gleich ab, – verlangte Zeugnisse – und die besaß ich nicht – und die Bescheidensten und Gutmüthigsten wollten wenigstens, da ich keine Zeugnisse vorlegte, erfahren, wer und was der edle Mensch eigentlich sei, für den ich petitionire; wenn ich dann stammelte: ein – Künstler, so spannten sie hoch auf, und wenn ich mich weiter expliciren mußte: ein – Akrobat, ein Ringer und Springer, so lachten sie mich aus und schickten mich fort.
Nachdem ich auf diese Weise hinreichend kalten Angstschweiß vergossen hatte, antwortete ich dem armen Turn, daß ich trotz aller Anstrengungen seinen Wunsch nicht erfüllen könne.
Was nun geschah, kann ich nicht mit derselben Gewißheit hinstellen, als das, was ich bisher erzählte; denn es fehlen mir dafür eigene Mittheilungen unseres Freundes. Der schöne Fritz gerieth beim Empfange meines Briefes in die äußerste Bedrängniß. Was nun beginnen? Sollte er sich doch noch an Günther wenden? Unmöglich konnte er ihm zugleich die Sorge für seine Geliebte aufbürden. Sollte er Julien noch einmal sagen, wie es stand, und sich offen von ihr trennen?
Unser guter Fritz war schwach. Er fürchtete Thränen und Zärtlichkeiten von der einen Seite, wenn er das Wort der Trennung ausspräche, und Verletztheit, Zurückbeben und selbst Verachtung von der andern Seite, – wenn er sein Verhältniß zu Julien bekennte. Je länger sein Zwiespalt dauerte, je mehr er daran dachte, was er sein könnte und was er wirklich war, um so werthvoller und nothwendiger schien ihm das, was er entbehrte; die Sphäre feinerer Bildung wurde ihm zu einem Paradies des Zauberhaften, und in diesem Zauberlande trat die Gestalt der reinen und standhaften, durch und durch jungfräulichen Cornelie wie von Strahlenglanz umgeben vor seine Phantasie. Da beschloß er endlich, hinter Juliens Rücken Günther’s Hand zu ergreifen und heimlich zu entweichen.
Das mußte aber behutsam ausgeführt werden, denn er kannte den argwöhnischen Sinn und die scharfen Augen seiner Schönen. Das sicherste Mittel, ihre Aufmerksamkeit einzuschläfern, schien ihm zärtliche Beflissenheit und freundliche Heiterkeit, und so liebenswürdig wie jetzt hatte er sich noch kaum im Anfange seiner Bewerbung gezeigt.
Aber das war gerade das schlechteste Mittel, das er wählen konnte, denn Fräulein Julie besaß Verstand genug, diese Zärtlichkeit verdächtig zu finden und etwas Besonderes dahinter zu suchen. Ihr Verdacht nahm zu und wurde zur Gewißheit, als sie durch einen Zufall, welchen der Leichtsinn unseres Freundes möglich machte, eine Antwort Günther’s entdeckte, deren Inhalt Unterhandlungen bestätigte, und als ein Kundschafter ihr berichtete, daß Turn an der Post einen poste restante-Brief in Empfang genommen habe. Sie erfuhr eines Tags noch mehr: Günther war an einem anderen Platze offenbar verabredetermaßen mit unserm Freund zusammen getroffen und Günther’s letztes leises Wort war gewesen: „also übermorgen Mittag mit dem Schnellzuge.“
Sie zweifelte nicht daran, daß diese Heimlichkeiten einen wichtigen Zweck hätten. Sie machte einen Versuch, den Geliebten zur Offenheit zu bewegen, – ohne Erfolg, – sie warf ihm geradezu vor, er sinne auf Untreue; sie flehte mit leidenschaftlicher Inbrunst, er möge sie nicht verlassen; sie erinnerte jetzt daran, was sie ihm einst gesagt, sie stehe nicht für ihre Leidenschaft, sie werde furchtbare Rache nehmen; er suchte ihre Vorwürfe und Besorgnisse weg zu scherzen. Nun war sie gewiß, daß der Verrath beschlossen sei; zu ihrer Verzweiflung und dem Gefühle tiefster Kränkung kamen knirschende Erbitterung über die erheuchelte Zärtlichkeit des Verräthers und nagende Eifersucht. Jetzt erwog sie unter dem Anschein äußerer Ruhe fürchterliche Pläne. Welcher Art, das ruhte in ihrer Brust. Ob Verrath am Verräther? zugleich Rache an der Nebenbuhlerin? Oder nur die Flucht vereiteln, und Gewalt brauchen statt der Thränen? Ich weiß es nicht.
Sie hatte nicht viel Zeit dazu – nur noch einen Tag – dann war’s „übermorgen“; die Eile, deren es bedurfte, fügte zu den Plänen des Verraths die Hast des Entschlusses.
[311] Heute Abend sollte eine Vorstellung stattfinden, heute Abend zum letzten Male trat unser Freund auf. Das schlaffe Seil, auf dem er seine Schwingübungen producirte, war schadhaft gefunden und abgenommen worden; ein neues Seil, sorgfältig geprüft, lag bereit, um vor der Vorstellung aufgezogen zu werden. Julie hielt sich, wie später ermittelt wurde, zu einer Zeit, wo Niemand sonst im Circus war, darin auf; ein Mitglied der Truppe sah sie herauskommen. Sie zeigte später eine fieberhafte Unruhe. Der Director der Gesellschaft, den ich einige Zeit nachher einmal sprach, erzählte mir, sie sei bei ihrem eigenen Auftreten so zerstreut gewesen, daß er gefürchtet habe, sie werde ein Unglück nehmen, und daß sie, als unser Freund sich anschickte, das Seil zu besteigen, in der höchsten Spannung nach ihm geblickt und die Hand des Directors ergriffen habe: ihre Hand war eiskalt und zitterte, so daß er sich solche Angst nicht erklären konnte.
Das Seil hing mit der tiefsten Stelle zwanzig Fuß über dem Boden des Podestes; Turn begann sich auf und ab zu schwingen, jetzt machte er ein Kunststück, welches darin bestand, daß er bei einer Schwingung das Seil losließ und ein herunterhängendes Tau ergriff, an diesem allmählich hin und her schwingend sich nach einem andern hin bewegte und wieder dieses und so mehrere ergriff, zuletzt an einem der Taue nach dem obersten Träger emporkletterte und sich von da auf das schlaffe Tau herabstürzte, dasselbe im Fallen erfaßte und mit einem Umschwunge auf den Boden glitt. Natürlich mußte dabei die Wucht seines Falles besonders schwer auf das Tau drücken.
Er machte sein Manöver ganz geschickt und schon brach das Publicum in lauten Beifall aus, als er das Tau erfaßte. Da – riß dasselbe, Turn stürzte und schlug mit der furchtbaren Gewalt, die durch seinen Sturz auf das Seil hervorgerufen war, auf den Boden; sofort quoll das Blut aus seinem Munde hervor.
Der Beifall verstummte und verwandelte sich in ein Beben der Angst und einen Schrei des Entsetzens, aber alle Stimmen übertönte das herzzerreißende Kreischen, mit welchem Julie auf ihren am Boden stöhnenden und wimmernden und sich hin und her wälzenden Geliebten stürzte. Sie umarmte ihn vor den Augen der Zuschauer mit der Inbrunst der Verzweiflung, hob seinen Kopf auf ihre Kniee und wischte mit dem Shawl, den sie beim Reiten getragen, das beständig quellende Blut von seinen Lippen. Er lebte nur wenige Augenblicke. Zuletzt sah man ihn noch mit gewaltiger Anstrengung sich emporheben und seiner Freundin Hals umfassen; vielleicht wollte er ihr den Verrath abbitten, den er im Sinne gehabt hatte. Sie küßte ihn, aber die Anstrengung beförderte sein Ende; ein neuer Blutstrom brach hervor, sein Kopf sank zurück. Er war todt.
Die Hände ringend und zum Himmel hebend, dann das Gesicht darin verbergend, floh Julie aus dem Circus. In der Nacht fand man vor dem Thore der Stadt eine Wahnsinnige; das Irrenhaus nahm sie auf und beherbergte sie bis voriges Jahr, wo sie starb.
Wie eine Untersuchung ergab, war das Tau an der Stelle des Risses mit einem feinen Messer so zerschnitten worden, daß man äußerlich fast nichts bemerkte.
Im Frühjahr 1865 wurden Salerno und Umgebung, welche bis dahin nichts von den im Neapolitanischen ihr Unwesen treibenden Briganten zu leiden hatten, jählings aus ihrem Frieden aufgeschreckt durch das Erscheinen einer Brigantenbande, welche auf ein Mal in die sichere Gegend einbrach und am hellen Tage das etwa eine Stunde von Salerno gelegene Aguamena überfiel. Man denke sich das peinliche Gefühl der Unsicherheit und die Bestürzung der Bevölkerung, wenn es möglich war, daß Brigantenbanden es wagten, in der Nähe einer Stadt von dreiundzwanzigtausend Einwohnern und einer starken Garnison ein Dorf am hellen Tage zu überfallen! Noch höher stieg die Angst, als auf einmal die Kunde von einem geheimnißvollen Morde an einem Taubstummen laut wurde, begangen in unmittelbarer Nähe der Fabrikgebäude eines in der Nähe ansässigen Schweizer Hauses, der Herren Schläpfer, Wenner und Compagnie, und der Wohnungen der Fabrikbesitzer.
Aus dem später über diesen Mord geführten Proceß ergab sich, daß der Brigantenhauptmann Cicho Ciancio den Taubstummen ermordet hatte. Dieser Cicho Ciancio hatte sich nämlich mit einem andern Industriellen seines Schlages, mit dem Bandenchef Giardullo verbunden, um das Geschäft der Entführung eines Angehörigen des Wenner’schen Hauses in Compagnie zu betreiben. Giardullo gestand, ein Mal neun Tage lang sich in der Nähe der Fabrikgebäude aufgehalten zu haben, um die Sache abzuwickeln. Unglücklicher Weise traf nun der äußerst harmlose Taubstumme bei Nacht mit Cicho Ciancio zusammen, und als jener auf die Anfrage des Banditen keine Antwort gab, glaubte dieser einen Verräther vor sich zu haben, den er mit dem Dolche unschädlich machen müsse. Beide Bandenchefs wurden nebst einem andern Briganten zum Tode verurtheilt. Ein unzweideutiges Warnungszeichen erhielt die Familie Wenner endlich dadurch, daß Herr Gubler, ein Theilhaber am Fabrikgeschäft, der in der Nähe seine Wohnung hatte, eines Sonntags bei Nacht angehalten wurde und mehrere Unbekannte ihn bedeuteten, daß er dem sichern Tode verfallen sei, sofern er nicht in kürzester Frist die in der Nähe der Fabrikgebäude liegende Wohnung verlasse. Gubler ist ein junger, muthiger Mann in der Vollkraft seiner Jahre. Er mochte dem Gesindel unbequem sein.
So standen die Dinge um die Wenner’schen Fabriken in den Sommermonaten des Jahres 1865. –
Es war am 13. October – so erzählt uns Herr Lichtensteiger, einer der Angestellten der erwähnten Fabrik – als ich nach meiner Gewohnheit einen Freund in der Umgegend besuchte. Nach mancherlei Gesprächen kamen wir auch auf das Brigantenthum zu reden und auf die Unruhe, in welche die düstern Ereignisse der letzten Monate Salerno und Umgegend versetzt hatten. Sieben Uhr Abends war vorbei, als ich mich auf den Nachhauseweg machte. Die Nacht war pechschwarz und konnte in ihren dunkeln Falten der Briganten Viele verstecken. Doch äußerte ich durchaus keine Besorgniß. Friedrich Wenner Sohn und der Hauslehrer der Familie, Friedli geheißen, ließen es sich nicht nehmen, mich nach meiner Wohnung zu begleiten. Wir traten also zu drei durch das kleine Pförtchen der Ringmauer in die Nacht hinaus. Die Thür des Pförtchens ließ Herr Wenner offen, um dann wieder ungehindert zurückkehren zu können. Kaum waren wir aber auf die Straße hinausgetreten, so hörten wir, wie das Pförtchen sich schloß, und ehe wir recht unterscheiden konnten, ob nicht dunkle Umrisse von Männergestalten sich um uns bewegten, sahen wir uns sofort umringt, mit derber Faust gepackt unter dem halblauten Ausrufe: „Halt! Ihr seid vom Bandenchef Manzo gefangen!“ Ich hatte kaum Zeit, mir eine klare Vorstellung meiner Lage zu machen, als mir, unterstützt von einem in den Nacken gehaltenen Dolche, der zweite Befehl zugeherrscht wurde: „Geben Sie keinen Laut von sich, oder Sie sind des Todes!“ Wenn auch das stumme Gehorchen unter solchen Umständen nicht gerade meine starke Seite ist, so fühlte ich denn doch, daß Stillschweigen für den jetzigen Moment nicht blos äußerst rathsam, sondern, wie Salomo sagt, „Gold“ sei. Stumm und ohne Geräusch traten wir den Marsch an, und ebenso lautlos setzten wir ihn fort. Zur Beruhigung indessen theilte uns Einer aus der Bande mit, daß wir uns weder vor Mord noch Todtschlag zu fürchten hätten; es handle sich um [312] ein einfaches Geschäft, das mit Geld möglicherweise so schnell zu erledigen sei, daß wir vielleicht den kommenden Tag schon wieder frei wären. – Wir waren wenige Schritte gegangen, so führte uns das dunkle Schicksal, das sich in das düstere Gewand von Briganten gehüllt, einen vierten Reisegefährten zu. Es war R. Gubler, den die Räuber zur gleichen Zeit in einem nach seiner Wohnung führenden Sträßchen angetroffen hatten. Auch er mußte sich dem Zug anschließen, damit die Briganten ungestörter ihre Geschäfte verrichten könnten.
So zogen wir dahin, an meiner Wohnung vorbei und zwar keineswegs so still und geräuschlos wie anfänglich. Man denke sich meine Stimmung! Oben in meiner Wohnung sah ich Licht, sah im Geiste die besorgte Gattin meiner wartend, die nichts von meinem Schicksal ahnte. Und ich durfte keinen Laut von mir geben! Vorüber, vorüber! Der Weg führte uns durch eine Meierei, wo Friedli den tollkühnen Gedanken faßte, durch einen beherzten Sprung die Böschung hinab seine Freiheit zu suchen. Vielleicht wäre ihm die Flucht unter dem Schutze der tiefen Dunkelheit gelungen, wäre er nicht unglücklicher Weise in einen Graben gestürzt, der ihn aufhielt. Es währte nicht lange, so brachten sie ihn wieder zurück.
Ehe wir nun unsern Marsch fortsetzen, muß mir der Leser einige Schritte rückwärts folgen zum Hause meiner Gattin. Als Viertelstunde um Viertelstunde verronnen war und ich immer nicht heimkehren wollte, wurde meine Gattin unruhig. Verschiedene Gedanken und Befürchtungen bemächtigten sich ihrer, bis endlich die Ahnung immer mehr Gestalt annahm, ich möchte auf diesem allerdings nicht mehr ungewöhnlichen Wege in Geschäfte mit den Briganten verwickelt worden sein. Die Vermuthung wurde beinahe zur Gewißheit gesteigert durch die Aussage der Schwester meiner Frau. Sie hatte nämlich eine Gesellschaft von Männern – wahrscheinlich unsere Gesellschaft selbst – nahe am Hause vorbeigehen sehen. Da aber kein Ruf, kein Aufschrei und kein Waffengeräusch hörbar geworden, so hatte sie an nichts Arges gedacht.
Diese Andeutungen waren mehr denn genügend für meine Gattin, und sie eilte rasch entschlossen ganz allein in die Dunkelheit hinaus nach der Fabrik, um sich dort nach mir zu erkundigen. Man denke sich nun den Schrecken Aller, als man weder hier noch in der ganzen Nachbarschaft etwas von mir und meinen Begleitern wissen wollte, als die eifrigsten Nachforschungen kein Resultat ergaben und als nur noch die Annahme übrig blieb, daß wir sämmtlich durch Briganten gefangen genommen sein müßten!
Sofort wurde nun nach Salerno geschickt, Anzeige gemacht von dem Vorfalle, Militär aufgeboten und den Flüchtigen nachgesandt. Und nicht lange stand es an, daß man unzweideutige Spuren unserer Flucht und damit vollste Gewißheit von unserem Schicksale hatte. Allein bis dahin war eine verhältnißmäßig lange Zeit verstrichen. Es war Mitternacht und wir mit unserer anmuthigen Begleitung längst über alle Berge, obgleich die Bande sich gar nicht besonders beeilt hatte; sei es, daß Meister Manzo alle diese Umstände schon zum Voraus genau in Berechnung gezogen; sei es, daß er den Diensteifer und den Todesmuth der Truppen zu Salerno längst aus Erfahrung kannte.
Kehren wir nach dieser kurzen Abschweifung wieder zu unserem Marsche zurück. Jeder von uns hatte zu größerer Sicherheit einige dieser Industriellen als Schutzmänner bekommen, und so ging es, nachdem Manzo auf dem Wege noch einen Wasserwächter hatte mitgehen heißen, um einen Verrath unmöglich zu machen, in dunkler, feuchtkalter Nacht einem Bache entlang, den wir bald zu überschreiten hatten. Dann ging’s weiter bergunter und bergauf, auf ungebahnten Wegen, die nur kletternden Ziegen und ihren Hirten bekannt sind, durch düstere Waldreviere, grause Schluchten, an drohenden Abgründen im zerrissenen Gebirge, schweigsam, jeder seinen eigenen Betrachtungen überlassen, aus denen wir nur durch erst öfters sich wiederholendes rauhes „Vorwärts“, begleitet von wüsten Drohungen, aufgeschreckt wurden, wenn die ungewöhnte Anstrengung und die eintretende Müdigkeit sich unser bemächtigten. Es sind lange und bange Stunden gewesen, die wir, Jeder einen Briganten auf den Fersen, in dieser Nacht verlebten, todmüde und stets gehetzt von dem eilenden Gesindel, und es wird mir immer in Erinnerung bleiben, mit welchem Gefühle ich drüben im Osten den ersten Lichtstreifen, den Vorboten des jungen Tages, am Horizonte aufblitzen sah. Endlich, endlich wurde es Tag, und nicht weniger erstaunt mochte die junge Sonne auf unsere gemischte Gesellschaft herabsehen, als wir selber Einer dem Andern in’s Gesicht blickten. Ich weiß nicht, soll ich es Ueberraschung oder soll ich es Enttäuschung nennen, was sich meiner bemächtigte. Ich hatte wenigstens geglaubt, wahrhaftige Banditen, echte Räubergestalten vor mir zu sehen, wie man sie etwa in Rinaldo Rinaldini’s Lebensbeschreibung oder auf Lithographien in Bauern-Wirthshäusern zu sehen bekommt. Was fand ich aber? Ganz gewöhnliche Menschenkinder, meist dem ehrsamen Stande der italienischen Ziegenhirten angehörend, aus welcher Menschenclasse die Briganten sich zunächst recrutiren, Geißhirten, welche die Lust angewandelt hatte, sich einmal in ergiebigern Artikeln zu versuchen. Sie waren Alle ordentlich, fast möchte ich sagen, gut gekleidet, sodaß Jeder von ihnen als ganz unverdächtig taxirt worden wäre, hätte man ihn unter ehrliche Leute gesteckt.
Täuscht mich mein Gedächtniß nicht, so begegneten wir an diesem Tage einer Patrouille der Guardia Mobile (eine Streifwache von Landleuten), die aber weder das Bedürfniß, noch den Muth fühlten, einen Angriff auf die Bande zu wagen, zumal sie Meister Manzo und dessen Kühnheit wohl kannten. Einer dieser Helden von der mobilen Garde – so erzählte man uns später – habe seinem Chef hoch und theuer versichert, daß Manzo mit einem einzigen Schusse drei der Tapfersten niederstrecken werde. Was Wunder, wenn der Patrouillenchef wenig Lust hatte, mit den blauen Brigantenbohnen Bekanntschaft zu machen. Es mag am Platze sein, das hier anzureihen, was ich später über Manzo von einem seiner Verwandten erfuhr. Manzo war seines Zeichens ebenfalls Viehhirt und zwar von drei Brüdern der zweitälteste. Ihr Geburtsort ist Acerno. Die Härte, mit der ihn früher der Sindaco seines Ortes behandelt hatte, trieb ihn zur Rache. Mit seinem ältern Bruder erschoß er den grausamen Dorfregenten, rettete sich in die Wälder und war nun Brigant. Zu seinem Lobe muß ich beifügen, daß man behauptet, er habe sonst keinen Mord auf dem Gewissen und mache überhaupt eine vortheilhafte Ausnahme von Andern seines Gelichters.
Der größere Theil seiner Bande – sie war dreiundzwanzig Mann stark – ist ebenfalls aus der Gegend von Acerno, einem Dorfe in einer Gebirgsgegend, welche an Wildheit und Zerklüftung mit jeder Partie unserer Schweizer Kalkalpen wetteifert. Hier haust noch urgemüthlich der Wolf, und auf unserm Märsche sahen wir einst, wie zwei solcher Bestien auf einen etwas zurückgebliebenen Briganten zuschlichen zur Recognoscirung ihres Opfers. Die schnell herbeigeeilte Bande verhütete ein Unglück.
Hier, auf diesen zerrissenen Gebirgen, wo nur der schwindelfreie Ziegenhirt und seine leichtfüßige und leichtfertige Heerde eine Heimath finden, hier sind die sichern Schlupfwinkel des Räubers. Hier übersieht er die ganze Gegend, überschaut jede drohende Gefahr, der er dann mit Leichtigkeit ausweicht. Hier können die Ritter vom Stegreif auch leicht von ihren Helfershelfern mit Speise und Trank und den nöthigen Bedürfnissen versehen und vor Gefahren gewarnt werden; hier bewachen sie ungestört ihre Opfer und sehen mit aller Gemüthsruhe den etwa gegen sie unternommenen Verfolgungen entgegen. Diese Helfershelfer sind meist wohlhabende Grundbesitzer. Dies beweisen alle Processe gegen die Briganten, namentlich auch derjenige Giardullo’s, dessen Haupthehler der Baron Perotti war. Sogar Officiere der Nationalgarde machen nicht selten Geschäfte der Art, wobei ihnen namentlich der Umstand zu statten kommt, daß sie die Bewegung der Truppen den Briganten verrathen können.
Müde und matt bis in’s Herz, zerrissen an Kleidern und Schuhen, wurden wir von unseren Peinigern endlich auf den schrecklichsten Pfaden in ihren Schlupfwinkel im düstern, schweigsamen Walde gebracht. Rasch wurden einige Bäume gefällt und eine Blockhütte aufgeschlagen, welche nur nothdürftigen Schutz gegen die rauhe Herbstwitterung gewährte. Kaum waren wir untergebracht, als schon Manzo mit Papier, Tinte und Feder kam und Herrn Wenner aufforderte, zu schreiben. Der Inhalt des Briefes wurde kurz, aber inhaltsschwer, dahin präcisirt: „Sie schreiben Ihrem Vater, daß er für Sie 200,000 Ducati (850,000 Frcs.) zu erlegen habe!“ – „Ich schreibe dies nicht, war die entschiedene Antwort des jungen Wenner. – „So schreiben Sie 150,000,“ erwiderte Manzo erregt. – „Ich schreibe auch dies nicht,“ gab Wenner abermals zurück. Manzo beantwortete die abermalige Weigerung mit einigen Ohrfeigen, ich aber bemerkte Wenner, daß es sich einstweilen nur um das Schreiben, keineswegs aber schon um
[313]das Bezahlen dieser Summe handle, „denn diese Herren werden wohl mit sich markten lassen,“ setzte ich in deutscher Sprache hinzu. Genug, Wenner schrieb den verlangten Brief. Von mir verlangte Manzo 100,000 Ducati, obschon ich auf seine Frage, wieviel ich denn bezahlen wollte, nur tausend Francs anbot; „all’ mein Hab und Gut,“ fügte ich bei und versicherte ihm zugleich, daß ich nicht italienisch schreiben könnte. Dabei bemerkte ich noch, daß ich, als Angestellter der Fabrik, keineswegs über solche Summen zu verfügen im Stande sei. Die Briganten aber behaupteten, ich hätte eine reiche Fabrikantentochter geheirathet, sei Antheilhaber der Firma und dergl. Dazu kam noch ein Umstand, der mir beinahe hätte gefährlich werden können. Am Abend meiner Gefangennehmung trug ich zufällig das Paar Stiefeln, das ich mir zur Hochzeit hatte machen lassen. Der dienstfertige Schuhkünstler hatte in übergroßem Eifer zu Ehren des Tages auf den Sohlen eine Zeichnung, gebildet aus Messingstiften angebracht. Dieser unzeitigen Künstlerlaune meines Schusters verdankte ich es, daß die Banditen des festen Glaubens lebten, meine Stiefeln seien mit Gold beschlagen und deren Träger müsse nothwendig ein „Vollwichtiger“ sein.
Inzwischen hatte Wenner seinen Brief nach dem Dictat des Capitano fertig geschrieben. Manzo nahm ihn und gab denselben dem wohl zu diesem Zwecke mitgeschleppten Wasserwächter zur Ueberbringung an Herrn Wenner.
Nun wurde uns Essen gereicht. Ich bemerke hier, daß die Nahrung der Briganten durchweg aus geräuchertem Schweinefleisch, Speck, Käse und altbackenem Hausbrode bestand. Zuweilen gab’s auch frisches Fleisch und Macaroni. Mangel mußten wir selten leiden, daß aber von Leckerbissen für einen verwöhnten Gaumen keine Rede sein konnte, brauche ich kaum zu sagen. Bei unsern Mahlzeiten hatten wir weder Gabel noch Löffel, und bei der Zubereitung der Speisen ging es meist so urwüchsig zu, daß nur der allzeit beste Koch, der Hunger, zum Essen einzuladen vermochte. Mehrere Male brachten sie junge, lebende Ziegen in das Versteck und schlachteten sie hier. Wein wurde uns während der Gefangenschaft zwölf Mal gereicht. Einmal war ein solches Quantum vorhanden, daß beinahe alle Glieder der Bande benebelt waren.
Man kann sich kaum eine Vorstellung von der Stimmung der Unsrigen machen, als der verhängnißvolle, von Manzo abgeschickte Bote auf der Fremdencolonie in Salerno ankam. Diese Stimmung wurde noch gedrückter, als man auf jedem neapolitanischen Gesicht die ausgeprägteste Schadenfreude lesen konnte, obschon die Neapolitaner in den gesuchtesten und gewundensten Phrasen ihre Theilnahme heuchelten und sogar eine Art von Thränen vergossen, die wir an gewissen Reptilien des Nils bewundern.
Daß unsere Angehörigen nicht diejenigen Maßregeln getroffen, wie dies bei dem Engländer Moens geschehen ist, gereichte uns zu großem Vortheile. Es wurden uns eine Menge Strapazen erspart, die uns bei militärischer Verfolgung der Bande nothwendig hätten treffen müssen. Zudem wurden wir frischweg mit dem Tode bedroht, falls Truppen den Versuch machen sollten, uns zu befreien.
Der Brief Manzo’s hatte nicht blos die genannte Summe gefordert, sondern nebenbei auch eine Anzahl von Uhren, obgleich die Banditen uns unserer goldenen Uhren schon beraubt hatten. Ich konnte meine goldene Kette verstecken und sie blieb auch unentdeckt. Im Weitern waren Ohrringe verlangt worden, Revolver, eine genaue Karte von Neapel, selbst Hunde. Wir baten für uns um warme Kleider. Eine Abschlagszahlung nebst den übrigen Gegenständen, – mit Ausnahme der Hunde – wurden gesandt. Auch Kartenspiele wurden mitgegeben, um den Unglücklichen die tödtliche Langeweile erträglicher zu machen. Zum Sendboten an die Bande ward ein in der Fabrik angestellter Wächter gewählt, Namens Matteo, der früher ebenfalls Viehhirt gewesen war und deshalb die Gegend und die zur Uebergabe der Gelder bestimmten Orte ganz genau kannte. Wie und wo dieses geschah, haben wir nie in Erfahrung bringen können. Gewiß ist nur, daß Manzo meist das Ueberbrachte in Empfang nahm und ganz genaue Empfangsscheine über das Erhaltene ausstellte. Hieraus erkläre ich mir seine öftere Abwesenheit von der Bande. Im Uebrigen hielt die Familie Wenner Alles so geheim wie nur immer möglich, was gewiß äußerst klug war.
Die Bande war eines Tags gerade mit der Mahlzeit beschäftigt, als aus ganz geringer Entfernung plötzlich Trompetensignale an unser Ohr schlugen. Alles raffte sich auf, Manzo befahl einem Theil der Bande mit den Gefangenen so schnell als möglich zu fliehen, während er selbst mit dem Rest sich langsam zurückzog, Alles im Stiche lassend, was an Speisen, Kleidungsstücken etc. auf dem Boden herumlag. Manzo hatte die höchste Zeit gehabt. Nicht lange nachher konnte er durch sein Fernrohr ganz deutlich sehen, wie ein Truppendetachement sich eingefunden und wie eine Schildwache auf dem verlassenen Lagerplatze auf- und abging. Die von der Bande zurückgelassenen Gegenstände wurden nach Salerno geschickt, und unter diesen erkannte man die uns angehörenden Dinge. Doch für uns hatte die Stunde der Befreiung noch nicht geschlagen. –
Auf dem Marsche, den wir zur Aufsuchung eines neuen Versteckes nach dem erzählten Ueberfalle antreten mußten, hatten wir [314] das Vergnügen, einer anderen hübschen Gesellschaft verwandter Geschäftsfreunde zu begegnen, der Bande des Cicho Ciancio, mit der wir einen ganzen Tag marschirten. Sie schien mir die gleichen Reisezwecke zu verfolgen, denn auch sie war durch Geschaftsstörer in Uniform aus ihrem Frieden herausgeschreckt worden. Ich fand zwischen den Briganten Cicho Ciancio’s und derjenigen Manzo’s keinen großen Unterschied. Nur fiel mir gelegentlich einer kurzen Pause, die zum Ausruhen bewilligt wurde, ein blutjunger Brigant auf, der sofort mit Scheere und Nadel zu hantiren und Kleidungsstücke zu flicken begann. Ich selbst hatte die Dienste eines „Regimentsschneiders“ sehr nöthig, da ich den Abfall verschiedener Knöpfe zu beweinen hatte, und bat den Jungen, die Constitution meiner Bekleidung wieder zu befestigen, ohne jedoch zu merken, daß ich keinen Er, sondern eine Sie vor mir hatte, nämlich eine ziemlich hübsche Brigantessa. – In unserem neuen Verstecke angekommen, bemühten wir uns, auf der den Briganten geschickten Karte, die uns seltsamer Weise von ihnen überlassen wurde, die Lage unseres Gefängnisses ausfindig zu machen. Dies gelang uns ganz gut und zwar mit Hülfe eines gewiß eigenthümlichen Umstandes. Es ist buchstäblich wahr: die Bande lagerte mit uns einem Orte gegenüber, woher wir regelmäßig und ganz deutlich die Trommelsignale der dort stehenden Garnison vernahmen! Und trotz dieser naheliegenden Hülfe konnten wir nicht gefunden werden! Ich muß es dem freundlichen Leser selbst überlassen, hierüber seine Anmerkungen zu machen.
Mit der zweiten Geldsendung, welche Matteo überbrachte, kam auch das Lösegeld für mich, die Summe von viertausend Francs, mit der ganz entschiedenen schriftlichen Erklärung, daß für Lichtensteiger Nichts mehr gegeben werde. Manzo gab sich, wenn auch ungern, mit der Summe zufrieden, nicht aber die Bande, und ich mußte während der Abwesenheit Manzo’s oft die Drohung der Banditen hören, ich müsse noch „Schnee essen“, d. h. getödtet werden. Wie groß die Summe war, die Herr Wenner zahlte, weiß ich nicht genau, drang auch nicht darauf es zu erfahren. Man sagt, er sei durch Vermittelung Giardullo’s für die Summe von einhundertundsechszigtausend Francs mit Manzo übereingekommen.
Da nur für mich und Herrn Wenner ein Lösegeld gefordert wurde, für die Herren Gubler und Friedli dagegen nicht, so richteten die Briganten ihre Behandlungsweise der Gefangenen nach diesem Umstande ein. Während die zwei Erstgenannten als Galantnomini mit „Don“ betitelt und zu keinerlei Dienstleistung angehalten wurden, mußten unsere zwei Freunde tagtäglich Holz sammeln, Feuer anzünden, Schnee herbeischaffen und dergleichen. Auch wurden sie nie mit Don angeredet, sondern einfach bei ihrem Taufnamen gerufen.
Unsere Unterhaltungen mit der Brigantenbande wurden in italienischer Sprache geführt. Unter uns selbst durften wir deutsch sprechen. Wir hatten diesen Umstand schon von Anfang an dazu benutzt, jedem der Briganten einen beliebigen Namen beizulegen, um so ohne deren Wissen von Jedem sprechen zu können. So hatten wir einen „Alten“, einen „Schuhmacher“, einen „wilden Teufel“, einen „Büffel“ u. s. w. Freilich mochten die Räuber zuweilen ahnen, daß sie der Gegenstand unserer zärtlichen Unterhaltung waren. Sie fragten uns deßhalb hie und da, über was wir sprächen. Natürlich waren wir um eine passende Antwort nie verlegen. –
Einst begab es sich, daß die ganze Bande abwesend war mit Ausnahme zweier ehrenwerthen Mitglieder, welche zu unserer Bewachung zurückgeblieben waren und sich mit dem Ausweiden einer geschlachteten Ziege beschäftigten. Die Schießwaffen lagen am Boden, die Versuchung zur Flucht trat entsetzlich nahe. Bald waren meine drei Gefährten entschlossen, der Waffen sich zu bemächtigen, über die beiden Wächter herzufallen, sie zu tödten und die Flucht zu ergreifen. Aber was dann? Wie wollten sie sich zurechtfinden? wer zeigte ihnen die Spur durch die unbekannten Wälder? Wie leicht mußte es den Briganten werden uns wieder einzufangen! Und was dann? Die Rache einer Brigantenbande heraufzubeschwören? Und gerade in dem Zeitpunkte eine Flucht von höchst zweifelhaftem Erfolge und mit blutbefleckten Händen zu unternehmen, wo wir doch schon einigen Grund zu der Hoffnung hatten, in nicht zu ferner Zukunft freigelassen zu werden, da die Familie Wenner bereits den größten Theil der geforderten Summe an unsere Peiniger überschickt hatte! Diese Einwendungen machte ich geltend und hatte meine Freude zu sehen, daß meine Freunde von ihrem Vorhaben abstanden. Was unser gewartet hätte im Falle einer mißlungenen Flucht, sollten wir an einem der nächsten Tage schon erfahren. Wir waren an einem ziemlich steilen Abhange eingeschlafen und Einige von uns rutschten während des Schlafes ganz unfreiwillig eine kleine Strecke den Abhang hinunter und kamen so in die Nähe der Waffen. Die Schildwache bemerkte es und die Bande gerieth in eine so gefährliche Aufregung, daß wir den ganzen Tag mit unsäglicher Mühe und Anstrengung die Leute versichern mussten, daß wir durchaus keine Absicht hatten zu entweichen.
Eines Tages war Manzo, begleitet von nur einem seiner Leute, in Geschäften abwesend. Dieser Begleiter verließ plötzlich seinen Capitano und stellte sich freiwillig der Behörde. Manzo hatte nichts Eiligeres zu thun, als sofort zur Bande zurückzukehren, um sein Versteck abermals zu verlegen und zwar an einen Ort, der auch dem Entlaufenen unbekannt war. Um zehn Uhr Vormittags – es war ein Tag voll stürmischen und kalten Regenschauers – gab Manzo den Befehl zum Aufbruche. Und fort ging es auf Wegen, welche halsgefährlich an Abgründen hinführten, fort ohne Rast und Ruh mit einer Eile, die ein schlechtes Gewissen als Locomotive und den hänfenen Strick im Rücken als Conducteur hatte; fort ging’s rastlos bis des andern Tages Abends sechs Uhr, so daß wir, die wenigen Ruhepunkte abgerechnet, zweiundzwanzig volle Stunden zu marschiren hatten. Die Natur hat mich nicht mit einem starken Körper ausgestattet und meine Constitution ist der Art, daß ich mich vor jedem noch so unschuldigen Luftzuge ängstlich in Acht nehmen muß. Und nun denke man sich meine Lage auf diesem zweiundzwanzigstündigen Marsche! Ich glaube, daß ich den Dolch des Banditen einer nochmaligen Wiederholung der Leiden dieser zwei Tage vorziehen würde. Mit dankbarer Anerkennung gedenke ich hier der vielen Freundschaftsdienste Gubler’s, der seinen Humor während der ganzen Schreckenszeit nie verlor; immer und überall war er mit Rath und That zur Hand, er war auch der Liebling der Briganten geworden und zwar in dem Grade, daß sie ihn ausforderten, bei ihnen zu bleiben und sich geschäftlich mit ihnen zu verbinden. Dieses Schelmen-Vertrauen mochte darin wurzeln, daß sie seine Kraft, seinen Muth und seine rasche Entschlossenheit aus eigener Anschauung kennen gelernt hatten.
Daß der Mensch ein Kind der Gewohnheit ist, das bewiesen auch wir. Wer hätte geglaubt, daß es einem Menschen, der bei Nacht und Nebel auf offener Straße, ohne Wissen der lieben Angehörigen von Briganten geraubt und ein Vierteljahr lang von Schlupfwinkel zu Schlupfwinkel geschleppt wurde, daß es einem solchen Unglücklichen noch einfallen könnte, mitten unter Briganten zu singen! Und doch war es so. Wir sangen, wäre es auch nur gewesen – um „des Todes Bitterkeit zu vertreiben“. Wir sangen die einfachen Volkslieder unserer Heimath, die nicht nur unser Gemüth weicher stimmten, sondern selbst des Wohlgefallens der Briganten sich zu erfreuen hatten, so daß diese uns öfters zum Singen aufforderten, ja den Versuch machten mit einzustimmen, was freilich ein verzweifeltes Beginnen war. Es war besonders die einfache Weise des: „Ich hatt’ einen Cameraden“, welche die Briganten elektrisirte, und bald waren einige unter dem Volke, welche die Melodie auswendig konnten und häufig prakticirten.
Der Gesang sollte aber bei Gubler auch zum Disciplinarmittel gegenüber der Bande werden. Einige Briganten hatten ihn einmal erzürnt und er beschloß Rache zu nehmen. Des Nachts, als Alle im tiefsten Schlage lagen, fing er so laut und anhaltend an zu singen, daß selbst Kaiser Rothbart an seinem Marmeltische im Kyffhäuser aufgewacht wäre. Die Bitten und Drohungen der edlen Bruderschaft halfen nichts, und erst unsern Vorstellungen folgte der Sänger und beendete sein Concert aus Fra Diavolo.
Die Disciplin in der Bande Manzo’s war nicht weit her und es gelang dem Capitano nie, die Zügel straff zu halten, obgleich er ein Bursche von großer Intelligenz und Entschlossenheit ist. Ein gewisser Zug natürlicher Gutmüthigkeit war es, dem die laxe Zucht der Bande ihr Dasein verdankte. Der einzige mit der größten Leidenschaft gehegte Zeitvertreib der Leute war das Spiel und zwar das Spiel um hohe Summen. Manzo selbst spielte nicht mehr, obgleich er anfänglich einer der leidenschaftlichsten Spieler gewesen sein soll.
Sobald wieder eine Geldsendung angekommen und Jeder im Besitze seines Antheils war, so begann das Spiel nach dem Satze: [315] „Wie gewonnen, so zerronnen“, oder wie wir Schweizer sagen: „Ring (d. h. ohne Anstrengung) g’wunne, ring dure (durchgebracht)“. Die Einsätze betrugen zwanzig bis zweihundert Francs und das Spiel bestand darin, daß man einige Geldstücke in einen Hut warf, diesen schüttelte, dann umkehrte und „Kopf oder Nichtkopf“ rieth. Natürlich geht die Sache sehr rasch, und man kann in verhältnißmäßig kurzer Zeit bedeutende Geschäfte machen. Einer unter den Briganten soll zwanzigtausend Francs an Geldern, die er auf diese Weise gewann, besitzen. Diejenigen, welche ihre Baarschaft verloren hatten, fingen dann an um ihren Schmuck zu spielen, den diese Leute sehr lieben. So hatte z. B. derjenige, welchen wir „Affe“ titulirten, nicht weniger als zweiundzwanzig Ringe an seinen Fingern und einige goldene Ketten um den Hals. Ueberdies hatte er sich noch einige große Goldstücke gleich Ordenssternen an die Brust geheftet, als würdiger Ritter des Bomba-Ordens. War auch der Schmuck dahin, so ging es um den Antheil an der nächsten Geldsendung. Ja, es wurde um Summen gespielt, welche man von erst noch zu fangenden Personen zu erhalten hoffte. Das Spiel war immer mit Zank und Streit begleitet und Manzo konnte einmal die mit Dolch und Revolver aufeinander Dringenden nur dadurch beschwichtigen, daß er bestimmt erklärte, er werde den Ersten niederschießen, der sich noch ein einziges Wort erlaube. Das wirkte. Solche Momente sind die einzigen gewesen, welche an die Räuber-Romantik der „Böhmischen Wälder“ erinnerten. Zwei Dutzend Banditen in hitzigem Streite begriffen, Dolch und Revolver schwingend, beleuchtet vom röthlichen Scheine eines Feuers im düsteren Walde, die gespenstigen Schatten der umstehenden Bäume, mitten im Getümmel den handfesten Hauptmann mit gespanntem Revolver und dem Zeigefinger am Drücker, sein entschlossenes Gesicht, erhellt von der nächtlichen Flamme und glühend vor Zorn, ließen mich unwillkürlich an die Strophe denken:
„So machen wir uns Muth und Kraft
Und mit dem Schwarzen Brüderschaft,
Der in der Hölle bratet.“
Wenn auch Manzo in solchen Augenblicken als entschiedener Meister auftrat, so hinderte dies dennoch nicht, daß seine Untergebenen jede Gelegenheit benutzten, ihren Capitano zu beschimpfen. Dieser Umstand mochte auch dazu beitragen, daß in ihm der Entschluß reifte, sich nach Auslösung der Gefangenen freiwillig der Behörde zu stellen. Es war nur die eiserne Nothwendigkeit und der Mangel an eigener Intelligenz, was die Briganten zwang, seinen Befehlen sich zu fügen.
Um unsere tödtliche Langweile einigermaßen abzukürzen, suchten wir anfangs unser Heil in den überschickten Karten und spielten Piquet; als sich aber nach und nach auch die Briganten zum Spiele gesellten und dann regelmäßig Streit entstand, so sah sich Manzo genöthigt, die Karten wegzunehmen und zu zerreißen. Ich kam nun auf den Gedanken, einfache Schachfiguren zu schnitzen, aber meine Arbeit war eine vergebliche. Friedli, der nicht besonders stark war im Schach, zeigte durchaus keine Lust mitzuspielen, und so blieb mir nichts Anderes übrig, als die Figuren als theures Andenken aufzubewahren. Einen anderen Zeitvertreib fanden wir, bei gänzlichem Mangel an Taschenuhren, darin, daß wir die Stunden nach dem Stande der Sonne zu bestimmen suchten. Wir brachten es hierin zu einer ziemlichen Fertigkeit, allein es fehlte uns die Controle, der Maßstab, die Richtigkeit unserer Beobachtungen an einer guten Uhr selbst zu prüfen.
Unser Verhältniß zu Manzo, wurde nach und nach ein ganz erträgliches. Ja, wir besaßen eine Art Banditen-Vertrauens, das sich sogar einmal in der Weise kundgab, daß Manzo den Herrn Wenner aufforderte, ihm einen Liebesbrief an eine seiner weiblichen Bekanntschaften zu schreiben. Lachend erwiderte Wenner, daß er dies aus Mangel an Uebung durchaus nicht verstehe. Wiederholtes Drängen von Seite Manzo’s und die versprochene Beihülfe von uns Uebrigen, die wir vielleicht mehr Praxis in dieser Art Literatur hatten, vermochten endlich Wenner, die drollige Arbeit zu übernehmen. Sei es aber, daß Manzo, dem feurigen Liebhaber, die gewählten Ausdrücke zu gut italienisch, d. h. unverständlich blieben und überhaupt nicht in seinem Wörterbuche zu finden waren, sei es, daß das Product des prosaischen Schreibers dem edlen Jüngling und Brigantenchef allzu prosaisch war oder allzu sehr die platonische Liebe verherrlichte: genug, das seltsame Product eines Liebesbriefes kam erst nach vielfachen Erörterungen und nicht wenigen Correcturen zu Stande. Von der Wirkung des Schreibens auf das zart besaitete Gemüth der schönen, unbekannten Brigantessa erfuhren wir leider nie etwas.
Bei dieser guten Laune des Hauptmanns hofften wir jetzt auf baldige Erlösung und sollten darin nicht wieder getäuscht werden, wie dies allerdings schon einmal vor Neujahr der Fall gewesen.
Am 8. Februar brach die Bande in Abwesenheit des Capitano nach unserm neuen und letzten Versteck auf, einer geräumigen Hütte, zu welcher etwa zwanzig Bäume von sechs bis elf Zoll Durchmesser verwendet worden, und es ging endlich der heißersehnten, goldenen Freiheit entgegen. Obgleich wir wacker ausziehen mußten, spürten wir doch nichts von Müdigkeit. Bald stießen wir auf Manzo, der mit Matteo und dem Wasserwächter uns entgegenkam und wohl den letzten Empfangsschein ausgestellt hatte. Da man sich aus der Entfernung nicht erkennen konnte, so wäre es bald zu einem blutigen Zusammenstoß gekommen, denn schon hatte man gegenseitig die Gewehre erhoben und den Hahn gespannt. Glücklicherweise erkannte man sich endlich und wir langten Samstag den 10. Februar noch bei Tageshelle in einer Felsenschlucht an. Aus ihr führte ein schmaler Fußsteig und dieser war – Gott sei Lob und Dank! jubelte es in unserm Innern – unser Weg zur Freiheit.
Der Abschied von Seite der Briganten war uns etwas zu zärtlich. Sie küßten Einen nach dem Andern, drückten uns die Hände und wünschten uns glückliche Heimkehr. Die Spitzbuben! Manzo gab Jedem von uns achtzig Francs Reisegeld, und als er zu bemerken glaubte, daß wir mit der Summe nicht recht zufrieden seien, legte er Jedem noch zwanzig Francs hinzu. Ueberdies erhielten wir von den Banditen zum Andenken an die unfreiwillige, nichts weniger als gefahrlose und wohlfeile „Cameradschaft“ goldene Fingerringe. Ich empfing deren vier.
Endlich waren wir der Kerls los und unsern Führern übergeben. Die Trennung von der Bande wurde von dieser durch Abfeuern ihrer Revolver und Gewehre, durch Jauchzen und allerlei tolles Gebahren gefeiert. Endlich postirten sie sich gar noch auf eine Anhöhe und winkten mit Händen und Tüchern so lange, bis wir ihrem Auge entschwunden waren.
Es wird kaum nöthig sein, den Lesern zu versichern, daß wir mit Siebenmeilenstiefeln fürbaß zogen, noch weniger wird man eine Schilderung erwarten, mit welchen Gefühlen wir in Acerno einzogen. Hier angelangt, stellten wir uns in der Caserne dem Gensd’armerieposten vor und wurden mit anscheinend großer Freude empfangen. Sogleich wurden von hier aus Eilboten nach Salerno geschickt, welche unsern Familien die freudige Nachricht unserer Befreiung brachten. Sonntag, den 11. Februar, um halb ein Uhr, traf Herr Wenner mit seinen übrigen Söhnen in Acerno ein, um uns zu umarmen, nachdem wir einhundert und siebenzehn Tage unter Briganten gelebt, kein Bett gesehen, öfters im Schnee geschlafen, fürchterliche Strapazen überstanden und mehr als einmal in augenscheinlicher Todesgefahr geschwebt hatten.
Daß wir mit unsern langen Bärten und langen Haaren, mit unsern sonnenverbrannten Gesichtern, in den uns von den Briganten überlassenen Joppen und hohen Wasserstiefeln beinahe unkenntlich waren, darüber wird sich Niemand verwundern, vielleicht aber darüber, daß wir Alle gesund und wohlbehalten in unserer Heimath anlangten.
Wenn in unserm Falle weder Mord und Todtschlag, noch Ohren- und Fingerabschneiden oder ähnliche Barbareien vorgekommen sind, so haben wir dies vornehmlich dem Umstande zu verdanken, daß wir in Manzo’s Hände und nicht in diejenigen eines Giardullo gefallen sind. Und der Brigante, welcher bei unserer Gefangennehmung zu mir gesagt hatte: „Gott hat Euch wohlgewollt, daß Ihr in unsere Hände gefallen seid!“ hatte so unrecht nicht. Ein zweiter Umstand liegt darin, daß die Bande unsertwegen ziemlich in Ruhe gelassen wurde, was wir der Vorsicht und der sichern Vorausberechnung des alten Herrn Wenner zu verdanken hatten.
Es ist für die Malerei, wie es für die Poesie war, die höchste Zeit, von den untergehenden Volkseigenthümlichkeiten zur Kunde der Nachwelt zu retten, was bis heute dem Andrang des modernen Modeeinheitsstrebens widerstanden hat. Dichter, oder Forscher mit dichterischem Geiste waren es, welche zuerst in der Sprache des Volks einen Schatz selbstständigen geistigen Gepräges erkannten und mit allem Fleiße daran gingen, von unseren deutschen Mundarten und den in ihnen niedergelegten poetischen Schöpfungen das Gute zusammen zu tragen. Die gleiche Sorgfalt wurde den Volksliedern, den Volkssagen und Märchen, den Volksspielen bis zu den Kinderreimen gewidmet, und wo dies noch nicht geschehen, wird dazu angeregt nach Kräften. Dieselbe Liebe hat nun die bildende Kunst den von den Voreltern noch bewahrten Volkssitten und Gebräuchen, Volkswohnungen und Volkstrachten zu widmen. Auch an ihnen zehrt die Gleichmacherei unserer Tage. Je weiter der große Verkehr der Welt mit seinen Eisenbahnen und Kunststraßen sich ausbreitet und von ihnen aus die Zweige desselben abseits zu den bis jetzt in den Thälern und Schluchten der Gebirge wie in den weiten Ebenen vereinsamt gelegenen Menschengemeinschaften vordringen, desto rascher fällt das Alte und vom Alten das Schöne leider am raschesten. Es ist daher ein frommes Werk, so viele, als nur möglich, von den oft so labenden Bildern dieses vergehenden Volkswesens der Gegenwart vor das Auge zu führen und der Nachwelt zu erhalten.
Die Leser wissen, daß die Gartenlaube es längst zu einer ihrer Aufgaben gemacht hat, Kunstbestrebungen der bezeichneten Art nach Kräften zu unterstützen. Die Zahl der von ihr durch Holzschnitt veröffentlichten Bilder aus dem Volksleben ist schon jetzt keine geringe. Um so mehr freut es sie, heute auf ein neues das heimathliche Volksthum eines bereits anerkannten Meisters verherrlichendes Kunstwerk die allgemeine Theilnahme hinzulenken, und zwar ist dies eine oberhessische Dorfgeschichte in Bildern von Carl Engel.
Dieser Volksmaler „von der Rabenau“, wie er sich nach der Landschaft nennt, in welcher sein Geburtsort Londorf liegt, ist der Welt der Kunstfreunde schon durch manches gute Gemälde bekannt, das in öffentlichen oder Privatsammlungen seinen Platz gefunden. Sein Bildungsgang führte ihn über Darmstadt nach Düsseldorf und München, und sein übriges Leben nicht viel weiter, als nach Frankfurt und von da nach Rödelheim, wo er den Stab in die Erde steckte und seinen Heerd gründete. Gegenwärtig ist er ein Mann von neunundvierzig Jahren. – Hat somit die weite Welt seinen Blick nicht für die Herrlichkeiten der Fremde verlocken können, so blieb er um so treuer der Volks- und Kinderwelt zugewandt, für die auch außerhalb Oberhessens sein Herz sich am leichtesten erwärmte. Seine „zwei Münchener Mädchen“ (im Besitz des Grafen Arco) sind durch lithographische Vervielfältigung als Wandschmuck eine Freude manches Hauses geworden; rühmlich bekannt ist auch sein „Bildhauer-Atelier“, in welchem er eine Scene aus dem Künstlerleben seines Freundes Scholl ausführte, und sein einziges allegorisches Bild „der Sieg der Freiheit über den Absolutismus“. Das waren Ausflüge des Künstlers; daheim, das lehrt uns der erste Blick auf seine Werke, fühlt er sich nur im heimischen Kinder- und Familienkreise, wie uns dies die theils durch Stahlstich, theils durch Litho- oder Photographie weit verbreiteten Bilder „die Taufpathe“, „die betende Alte“ u. v. A. zeigen. Viele Erzeugnisse seines Volkshumors sind durch die Frankfurter Verlagshandlung von May und Wirsing in’s Publicum gekommen; mit einer Sammlung colorirter Lithographien nach Engel’schen Aquarellen trat zuerst der Heinrich Keller’sche Kunstverlag hervor, dem wir auch eine, und zwar dreifache,[3] photographische Veröffentlichung der Dorfgeschichte verdanken, die in sechs Blättern („Still und fleißig“ – „Herzig und treu“ – „Mein“ – „Dein“ – „Unser“ – „Juchhe!“) das darstellt, was wir einen „deutschen Bauern-Liebesfrühling“ nennen und von welchem die Gartenlaube ihrem Leserkreise vier Nummern im Holzschnitt vorzuführen berechtigt worden ist.
Wer viel allein auf Reisen war, der hat erfahren, daß es nicht immer gut ist, schöne Bilder, ob der Natur oder der Kunst, allein zu betrachten; da sehen vier Augen immer mehr. Nur darum mögen unsere Leser es nicht für zudringlich halten, wenn wir sie bei der Betrachtung selbst dieser anscheinlich so einfachen Bilder begleiten.
Gar alltäglich erscheint es, daß sich Zweie lieben, heirathen und ihres ersten Ehesegens sich erfreuen. Aber schön bleibt es ewig, und unermeßlich, wie das Reich der Liebe, sind die Variationen des beseligendsten Themas, das Gott seiner Welt geschenkt.
Beim Spinnrocken sucht der wackere Bursche sein stattliches [317] Mädchen heim, und die alte Mutter muß ihm gewogen sein, denn sie überläßt das junge Paar sich selbst, nur von Zeit zu Zeit, und nicht ohne Wohlbehagen, von der Arbeit und über die Brille weg zu ihm herüberblickend. Und wie ist’s so gemüthlich in dem reinlichen Stübchen! Das große Himmelbett ist sein werthvollster Schmuck, denn Alles daran, außer dem Holzwerk, ist unter den fleißigen Frauenhänden hervorgegangen und das beste Zeugniß ihrer Geschicklichkeit und Reinlichkeit. Das weiß auch der Stubenvogel, der frei herumfliegende Mückenfeind, der da droben seinen liebsten Sitz hat. Durch die Fenster mit den bleigefaßten Scheiben dringt die liebe Sonne in’s Stübchen und hat die Knospen des Nelkenstocks zur vollen Blüthe herausgelockt – zur selben Zeit, wo auch die Liebesblüthe der jungen Herzen ihre Entfaltung feierte. Denn nicht aus Ungeschick hat die Liebste den Faden reißen lassen; giebt die Volkssitte doch dem Burschen damit das Recht, sich des Rockens zu bemächtigen und ihn nicht anders zurückzugeben, als bis er durch den ersten Kuß ausgelöst ist. Wie lange mag sein verliebtes Auge auf diesen Augenblick gelauert haben, und nun ist er da, und der Bund der Liebe ist nun auch für die Außenwelt geschlossen. Im Kalender, der unter dem kleinen Spiegel neben dem Fenster hängt, wird dieser Tag wohl angemerkt werden. Früher stak hinter dem Spiegel eine Gerte; sie ist seit langer Zeit dem Mütterchen nicht mehr nöthig gewesen, aber nun ist’s doch möglich, daß die Tochter einmal wieder eine dahinter steckt. Wenn heut Abend das Mütterchen die Lampe anbrennt, die hinter ihr auf dem Fensterbret steht, wird sie beruhigter als je für die Zukunft ihres Kindes ihr Lager suchen. Der Bursche aber scheidet heute von der Liebsten Haus mit dem Jubelruf: Sie ist mein!
Wir verfolgen das glückliche Paar nicht, wie es der Künstler mit Recht gethan, auch zum Kirchweihtanz, wo es im Feierstaat des Dorfes prangt und dennoch gar bald abseits schleicht, um fern vom Lärm der Fröhlichen fröhlicher als Alle in seligem Aneinanderschmiegen „sich in’s Herz zu gucken“. Wir begleiten sie gleich zum Traualtar.
Nicht Gold und Perlen brauchen sie zum Schmuck, aber nach Blumen verlangt es die glücklichen Herzen an ihrem Ehrentag. Mit Laubgewinden ist das Kirchlein geschmückt, mit Blumengewinden und Blumensträußen der Altar, mit Blumen der Bräutigam, mit der Brautkrone die Braut, und mit Blumen auf den Köpfchen die jüngeren Geschwister. Und die Verwandten und Freunde umher, welch herzlich theilnehmende, frohe und fromme Gesichter! Selbst die lauschenden Kinder auf der Empore, die Liebesleutchen der Zukunft, sind für die Feier ein schöner Schmuck. Und wenn das glückliche Paar aus dem Kirchlein kommt und wenn es daheim den ersten Augenblick allein ist, wie wird die Braut dem Liebsten an’s Herz fallen – und was wird sie da anders sagen, als: Nun bin ich ganz Dein!
Wer sehnt sich nicht nach dem nächsten Bilde, wenn er das Paar bis hierher verfolgt hat? Des Pastors Wort: „Seid fruchtbar und mehret euch!“ hat Gott gesegnet. Da sitzt der junge Vater, seinen Stammhalter im Arm. Ei, wie der die kleine Lunge übt! Sie muß kräftig sein, denn der Vater greift verzweifelt nach dem Ohre, während doch sein ganzes Antlitz lacht. Das freundliche Mütterlein aber trägt soeben den besten Trost, die Schüssel voll dampfender Klöße, zur Küchenthür herein und lacht herzensfroh über Mann und Kind, denn der Mütter Ohren hören mit dem Herzen und kennen am Schreien des Kindes, ob es nur kräftigen, gesunden Hunger, oder die Klage des Schmerzes, den Jammer der Krankheit bedeutet. Und wie wohlig muß es dem jungen Ehepaar in seinem ‚Heim‘ sein! Da ist für Alles gesorgt, was das einfache, bescheidene Leben bedarf. Das große Himmelbett, der derbe Tisch sammt Stuhl und Bank, an der Wand tickt die gemüthliche Schwarzwälder Uhr und das Kätzchen schnurrt auf dem Stuhle; das Handtuch hängt an der Küchenthür, und über derselben, auf dem Sims, stehen Kannen und Fläschchen und Gläser, die man wohl selten anwendet, dort ist der Glasschrank des Bauern; aber neben ihnen die Hausbibliothek, die Bibel und die Gesangbücher, langt man oft herunter, und sicherlich liegt obendrauf der alte, gute Benjamin Schmolcke, mit dem noch heute Tausende von Familien den Morgen- und Abendsegen beten. Und das Alles, und vor Allem der Junge, – das sagen die Glücklichen sich jeden Tag – ist unser!
Endlich ist des Kindes Schreizeit vorüber, aus der jungen Pflanze, die bisher nur ein grüner Stengel war, entwickelt sich die Blume mit ihrem Duft, das Lächeln voll Verständniß, die erste Spur des Geistes. Nun beginnt erst recht die Lust, nun beginnt das Spiel und bei dem Spiele werden die Eltern wieder zu Kindern. Das ist ein Morgen, wie er schon Tausenden von Eltern in’s Herz gelacht hat, und doch werden wir seines Anblickes nie satt. Wer den jungen Vater sieht, wie er mit dem fröhlichen Knaben auf der Schulter im Stübchen herumtanzt, der kann das Auge so wenig davon lassen, wie die junge Mutter, die Bettmachen und Zuschauen zu vereinen weiß, und den drängt’s, mit Alt und Jung im Stübchen und in die Welt hinaus zu rufen: Juchhe!
Wer lauschte einst am trauten Herde
In Thüringens sangfrohem Bann?
Ein Dichter von der rothen Erde,
In dem der Jüngling ward zum Mann.
Das Lied, das dort das Volk gedichtet,
Daß heilig jede Liebe werde,
Das Lied: „O wie ist’s möglich dann?“
Wer Liebe suchte ohne Ende,
Und sie in Thüringen nicht fände,
Den Armen flieht sie ewiglich.
Dem Dichter Heil! Er hat sie funden,
Die Liebste hält sein Arm umwunden:
Auf die erhitzte Stirne sich.“
„So bin ich fromm, so bin ich stille,
So bin ich sanft, so bin ich gut!
Ich habe Dich, das ist die Fülle!
Dein Arm ist meiner Unrast Wiege
Und jeder Deiner Athemzüge –“
Haucht in der Herzen Zauberhülle
Der Liebe Mohn in süße Gluth.
Wie früh zerschmolz des Friedens Traum!
Du „Springer“, weil Du wardst ein Sprenger
Der Ketten an „der Menschheit Baum.“
Von Land bist Du zu Land gefahren
Und ach! die Fremde nur beut länger
Noch Deiner „Weihnachtstanne“ Raum.
Die erste sahn der Limmat Wogen,
Als Du der Freiheit Fahne fandst;
Hast Du sie leuchtend aufgepflanzt;
Dann wieder an des Rheines Borden –
Dann schlossen sich der Heimath Pforten –
Und fort bist singend Du gezogen:
So sang Dein Lied „der Liebe Dauer“,
Als Dich der Haß von dannen trieb, –
Doch sieh, des Volkes treue Trauer,
Sie sah Dir nach; Du gingst, sie blieb.
Geschmückt von Eurem Liebeslenze,
Ruft’s, trotz der starren Trennungsmauer,
Dir zu, daß Du ihm ewig lieb!
Sei denn von Euren Heimaththalen
Ein Eichenzweig Dir von Westphalen,
Und Ihr aus dem Thüringerland
Ein Tannenreis, daß sie die Aue
Der Jugendlieb’ im Geiste schaue –
Die preist Dein „brauner Foliant“.
„Der Liebe Dauer“ helf’ die Bürde,
Die der Verbannung Nord umweht,
Dir tragen, bis die Heimathhürde
Bis wir mit Gruß und Kuß Dir sagen:
Du hast als Held und Mann getragen
Die selbsterwählte „Doppelwürde
Als Tagelöhner und Poet.“
Für die Dein Kampfschwert Du geweiht,
Des Sieges heil’gen Kranz erwarben
In des Jahrhunderts schwerstem Streit,
Der Genius Deutschlands durch die Schwaden
Dann pflück’ er „zwischen Deinen Garben“
Den Strauß sich für die Ewigkeit.
- ↑ Die vorstehende Novelle ist einem größern Cyclus von Erzählungen („Nach siebenzehn Jahren. Ein Strauß Geschichten“) entnommen, in welchen der Verfasser eine Anzahl früherer Universitätsgenossen an einem bestimmten Tage in der alten Musenstadt an der Saale wieder zusammenkommen läßt, um gegenseitig zu erzählen, was Jeder in den seit seinem Studententhum verflossenen fünfzehn Jahren an Leid und Lust erlebt hat. Wenn wir später noch eine oder die andere dieser frischen und von wahrer Poesie durchwehten Novellen unsern Lesern mittheilen werden, so glauben wir sicher nur auf den Dank der letzteren rechnen zu dürfen.D. Red.
- ↑ Man erinnert sich vielleicht noch der während des letzten Herbstes auch durch die deutschen Zeitungen gehenden Nachricht, daß vier Schweizer von italienischen Briganten in der Nähe von Salerno im Neapolitanischen gefangen und in die Berge geschleppt worden seien, wie dies kurz vorher auch dem Engländer Moens passirt war, dessen Erlebnisse bei den Räubern die Gartenlaube schon früher (1866, Nr. 9) erzählt hat. Die Aufregung über die Schmach, welche unsern Landsleuten angethan, war groß in der Schweiz, ebenso die Besorgniß um das Schicksal der Gefangenen, wie nicht minder unsere freudige Theilnahme, als es hieß: „Sie sind frei und wohlbehalten bei den Ihrigen angelangt!“ Mit dem gleichen Interesse, wie die Leser die Erlebnisse des Engländers Moens verfolgten, werden sie gewiß auch die Mittheilungen über die viermonatliche Gefangenhaltung unserer Landsleute entgegennehmen. Die Notizen kommen von einem Thurgauer, welcher in den engsten, täglichen Beziehungen zu seinen vier Landsleuten in Salerno steht, und der sich behufs der Mittheilung für einen weitern Kreis alle Einzelnheiten von ihnen hat erzählen lassen. D. Verf.
- ↑ Preis in Carton Ausgabe I. 18 Thlr., Ausgabe II. 3 Thlr. 15 Sgr., Ausgabe III. 2 Thlr. Die Photographie trefflich von J. Schäfer ausgeführt.
- ↑ Zu seiner silbernen Hochzeit am 20. Mai.
Erin in New-York. (Originalcorrespondenz der Gartenlaube.) Die Leser der „Gartenlaube“ wissen jedenfalls, daß seit etlichen Monaten in Amerika eine irische Republik etablirt ist; daß diese nicht nur einen Präsidenten, sondern deren zwei hat; daß die grüne Fahne mit der goldenen Harfe triumphirend vom prachtvollen, splendid ausgerüsteten Executivgebäude am schönen Union Square, dem Marsfelde New-Yorks, flattert; daß besagte Republik ihren Congreß und ihre Beamten hat; daß sie Obligationen ausgiebt, denen es nicht an Abnehmern fehlt; daß sie Waffen und Munition sammelt; daß sie offen den festen Entschluß zu erkennen giebt, zu Lande und zu Wasser Krieg gegen England zu führen. Amerika sieht dem Allen ruhig zu, denn es kennt seine Pappenheimer. Was anderswo ganz unmöglich stattfinden könnte, gilt hier lediglich als von Presse und Publicum gut mitzunehmender Zwischenfall eines täglichen Treibens, dem es zu keiner Zeit an Großartigkeit fehlt. Dem europäischen Leser aber möchte eine kurze Skizzirung der Elemente, aus denen die irische Republik zusammengesetzt ist, nicht unlieb sein. Auch der europäische Continent hat seine Landplagen; aber wenigstens fehlt es ihm an Irländern, und dazu mag er sich gratuliren.
Die Irländer sind in jeder Beziehung anders, als gewöhnliche Menschen. Sie bringen das fertig, was Andern unmöglich ist, und sind zudem unfähig, was Andere können. Wer hinsichtlich dessen, was auf moralischem oder physischem Gebiet möglich oder unmöglich ist, Berechnungen anstellt, wird die Rechnung ohne den Wirth machen, wenn er mit Bezug auf Söhne und Töchter der grünen Insel gewöhnliche Naturgesetze als Norm annimmt.
Da, wo jetzt die Schiller-Statue über die reizenden Seen des Centralparks schaut, wo die Cascaden sprudeln, die kleinen Katarakte schäumen, wo sorgsam gehegte Blumen duften, der Luftballon des Professors Lowe mit der Brautgondel am Seil in die Höhe steigt, verliebte Pärchen durch den idyllischen Gang streifen und die Geldaristokratie in Tausenden glänzender Equipagen ihren Reichthum und ihre Eitelkeit zur Schau trägt, – war noch vor wenigen Jahren das Paradies der Irländer. Kein Fußbreit des Bodens, auf dem sie hausten, war ihr Eigenthum, aber wo es ihnen gefiel, da setzten sie sich fest und harrten dessen, der es wagen würde, sie zu vertreiben. Lange zögerte man damit, und als endlich die Zeit kam, war eine förmliche Armee von Gesetzesdienern erforderlich, um den nicht besonders passiven Widerstand der in ihren heiligsten Rechten Gekränkten zu brechen. Auch wichen sie nur Schritt für Schritt, und unmittelbar an der Grenze des Centralparks ragen noch jetzt ihre hölzernen Burgen empor. Hier eine Ordnung, Reinlichkeit, Aufsicht und Sicherheit, welche nicht leidet, daß das zarteste Hälmchen geknickt wird, und wenige Schritte davon ein Gebiet, welches die Polizei bei Tage nur mit äußerster Vorsicht und zur Nachtzeit nie betritt. Hier schwarze Fracks und goldene Uhren, Sammetmäntel und Diamanten, dort Lumpen, welche kaum die Blöße decken, und diese Contraste so nahe bei einander, daß der durch kleine Lumpenträger von der Schwelle der väterlichen Behausung geschleuderte Koth den Frack und Mantel erreicht.
Von dort zogen in den schrecklichen Julitagen des Jahres 1863 die Dämonen und Furien aus, um das Schicksalsrad der Militäraushebung zu zertrümmern, die Beamten zu zerreißen, Dutzende von Gebäuden in Flammen aufgehen zu lassen, Waffendepots zu plündern, Neger zu hängen, ein Waisenhaus für farbige Kinder einzuäschern und ein Schreckensregiment einzuführen, an welches New-York selbst heute nur noch mit Scham und Schauder zurückdenkt. Und dorthin wurde der Raub getragen, den Niemand den Räubern abzunehmen wagte, dort wurden heimlich von den Angehörigen die Leichen der im Straßenkampf Gefallenen eingescharrt, von denen man nur weiß, daß sich ihre Zahl auf Hunderte belief. Das ist eines von den Stadtvierteln der Irländer. Suchen wir aber den bevölkertsten Theil New-Yorks auf, so finden wir, daß die schmutzigsten, elendesten Quartiere ausschließlich von denen bewohnt werden, welche zur goldenen Harfe schwören, und blicken wir auf die Sümpfe von New Jersey, über deren Breiwege man nicht hinüber kann, ohne mehr mephitische Dünste einzuathmen, als mit der Gesundheit verträglich ist, so treffen wir dort die Pfahlbauten der Irländer, welche in der pestilenzialischen Atmosphäre wunderbar gedeihen. Die Zähigkeit dieser Menschen, sich’s gemüthlich zu machen, grenzt an’s Wunderbare. Auf einem wegen seines felsigen Charakters bis jetzt vacant gebliebenen Bergloch in einer sonst sehr anständigen Straße sah ich oft im Vorübergehen einen alten Eisenbahnwagen, der, von einer irländischen Familie käuflich erstanden, häuslich eingerichtet war und jetzt Eltern, Kinder und Kindeskinder beherbergte. Für keine häusliche Verrichtung fehlte es an Raum, und eines Tages sah ich sogar eine kleine rothe Fahne darüber flattern, zum Zeichen, daß eben Auction darin abgehalten werde.
Ich brauche mich wohl kaum gegen die Anschuldigung zu verwahren, als wollte ich alle Irländer unter eine Rubrik bringen; Thatsache aber ist es, daß so, wie ich’s hier angedeutet habe, nur die Irländer leben, und daß sie sich nur in dieser Richtung vorzugsweise kenntlich machen, während sie in respectabeln Kreisen nicht genug vertreten sind, um Aufmerksamkeit zu erregen. Auch abgesehen von der Wohnung, sind ihre Sitten ganz eigener Art. Bei der Procession am letzten St. Patrickstage sah ich zwei Söhne Erins, welche eine Meinungsdifferenz nach guter alter Weise durch die Kraft der Fäuste auszugleichen suchten. Sie waren, sich fest umklammernd, gestürzt und bearbeiteten einander mit Fäusten und Zähnen, worin weiter nichts Auffallendes lag. Das Sonderbare aber war, daß sie plötzlich, Beide blutend, aufstanden, einander freundschaftlich, mit dem verbindlichsten Lächeln die Hand schüttelten und sich zusammen wieder der Procession anschlossen. Während des Ringens hatte der beiderseitige Heldenmuth ihnen Respect eingeflößt; sie hatten einander in der Gosse als vollkommene Gentlemen kennen gelernt und waren jetzt die besten Freunde. Bemerkenswerth ist nebenbei die nur unter ihnen herrschende Gewohnheit des Nasenabbeißens.
Und dieses Element ist in New-York eine Macht. Es giebt bei den Wahlen den Ausschlag und will überall berücksichtigt sein. Am Patrickstage wurden durch Beschluß des Gemeinderaths die städtischen Bureaus geschlossen, und vom Stadthause herab, wie von privaten Gebäuden, wehten dieses Jahr ihm zu Ehren dieselben Fahnen, welche so oft die Siege der Republik verherrlichten. Dieser Anblick hat etwas Trauriges, Demüthigendes. Nie würde hier auf einen deutschen Ehrentag dieselbe Rücksicht genommen werden. Eine größere Rolle spielt in der Stadt der rohe Irländer als der gesittete Deutsche; mehr Respect hat man vor der brutalen Kraft als vor der Bildung; mächtiger ist die Furcht als die Achtung.
Das Motiv, welches die Irländer zu Allem bringen kann, ist der Negerhaß, welcher bei ihm keine Grenze kennt und einen wahrhaft fanatischen Charakter trägt. Wo die Einen dominiren, da dürfen die Andern sich nicht blicken lassen. Der Grund dieser eigenthümlichen Erscheinung liegt in dem Gefühl, daß der Irländer auf der niedrigsten Stufe der gesellschaftlichen Leiter stehen würde, wenn der Neger nicht noch tiefer stünde, und darum darf dieser sich nicht erheben. Es ist dem Sohne Erin’s ein Bedürfniß, etwas unter sich zu haben, und diesem Bedürfniß müssen die armen Schwarzen abhelfen. Allen Andern gegenüber fühlt er seine Unterordnung, und den Groll, welchen er darüber empfindet, lässt er am Afrikaner aus.
Und doch kann mit diesen Leuten, einzeln genommen, Niemand bekannt werden, ohne die dem Menschenfreund wohlthuende Ueberzeugung zu [319] gewinnen, daß in ihnen der Kern zu etwas Besserm verborgen liegt. Weiß man sie zu nehmen, so findet man sie gutmüthig und für Freundlichkeiten überaus empfänglich. Zu dem, was sie sind, haben die Verhältnisse sie gemacht, unter denen sie aufwuchsen; ihre sonderbaren Rechtsbegriffe sind das Product der fortwährenden Rechtsverletzungen, die an ihnen und den Ihrigen begangen wurden, und der systematischen Verwahrlosung. Aus dieser Generation ist allerdings wenig mehr zu machen; von der folgenden aber läßt sich schon etwas Besseres erwarten.
Eine höchst achtungswerthe Eigenschaft der Irländer ist ihre Arbeitslust. Die Faulheit ist unter ihnen nur sehr wenig vertreten, und zur Bettlerzunft liefert ihre Nationalität kein starkes Contingent. Für die materielle Entwicklung der Vereinigten Staaten sind sie deshalb auch von der größten Bedeutung, wenn sie gleich im Allgemeinen nur in den niedrigsten Arbeitsfächern zu verwenden sind. Es wäre doch merkwürdig, wenn der Segen der Arbeit sich an ihnen verleugnen sollte. Tritt bei der aufwachsenden Generation diesem Charakterzug der Unterricht und der veredelnde Einfluß eines freien, auf allgemeinen Wohlstand basirten gesellschaftlichen Lebens zur Seite, so wird Amerika sich seiner Bürger von irischer Abstammung nicht zu schämen haben. Nicht minder hoch aber stellt sie das Zusammenhalten unter einander und die aufrichtige, glühende Vaterlandsliebe, wie sie sich jetzt in der fenischen Bewegung offenbart.
Als hier die Nachricht von der Verkündung des Kriegsgesetzes auf der grünen Insel eintraf, da versammelten sich am Sonntag, trotz des strengen Verbots der Geistlichkeit, welche sonst so unbedingten Gehorsam findet, daß jeder echte Irländer sich ohne Murren auf seinen Volksfesten vom Priester prügeln läßt, über hunderttausend Söhne und Töchter jener Insel im großen Parke von John’s Wood. In feierlicher Procession zogen sie hinaus, Gestalten, welche selbst Bassermann sich in seinen schwärzesten Phantasieen nicht träumen ließ, aber dennoch Leute, die augenblicklich von den edelsten, achtungswerthesten Gefühlen beseelt waren. Es ist doch wohl keine Kleinigkeit, dem Vaterland zu Liebe selbst die ewige Verdammniß zu riskiren. Mit freudiger Bereitwilligkeit wurde dem Aufruf um Geldbeisteuern entsprochen, Prügeleien kamen diesmal gar nicht vor, was unter Irländern etwas sagen will, und jedenfalls befanden sich Zehntausende darunter, welche sich keinen Augenblick besonnen haben würden, sofort für das bedrängte Vaterland auf’s Schlachtfeld zu rücken. Der Fenianismus mag von Wahnsinn, seine Leiter mögen durchtriebene Schwindler sein; aber ist der Patriotismus eine Tugend, welche im Herzen des Menschen nicht vereinzelt steht, so liegt in dieser Bewegung die Bürgschaft dafür, daß das irische Element eines bessern Looses werth ist und einem edlern Dasein entgegengeht. Die Irländer werden von hier aus ihr Vaterland nicht befreien, aber zum ersten Mal nöthigen sie uns eine Achtung ab, welche nur durch den Schmerz über die Verkommenheit einer von Natur edlen Race getrübt wird.
New-York. Friedrich Lexow .
Pariser Wahrsagerei. Charakteristisch für die Franzosen ist es, daß in dieser bedrohlichen Zeit, die doch auch auf die französischen Zustände nicht ohne ernste Rückwirkung geblieben ist, nicht blos Theater und Vergnügungslocale ungeheuer besucht sind, sondern daß sie sich überhaupt die aufsteigenden Befürchtungen und Gefahren durch eine vermehrte Beschäftigung mit allerlei scherz- und ernsthaften Ueberflüssigkeiten hinwegzuscheuchen suchen.
Seitdem es mehr als ein bloßes Gerücht ist, daß eine hohe Person sehr viel auf Prophezeiungen giebt, und man besonders einen Wahrsager nennt, welcher sehr oft die Ehre haben soll, dieser hohen Person in die Hand zu schauen, um aus deren Lineamenten nicht nur das Schicksal der hohen Person, sondern auch die nächste Zukunft Frankreichs vorher zu verkünden, ist es natürlich Mode geworden, sich prophezeien zu lassen, und es giebt vielleicht hundert Personen, welche entweder als Hellseher oder als Kartenleger, Zinn-, Bleigießer und Propheten, die aus der Hand die Zukunft lesen zu können vorgeben, ihr Glück zu machen suchen.
Dieser Tage wandelte mich die Lust an, mir diese Propheten näher zu besehen, und ich erfragte bei einem Bekannten die Wohnung einer Kartenlegerin aus dem Boulevard des Italiens. Als ich die etwas dunklen drei Treppen hinaufgestiegen war, begegnete ich einem jungen Mädchen, welches mir auf meine Frage nach Madame nur sehr schnippisch zur Antwort gab, „Madame habe eben Besuch, können heut Niemand annehmen, wenn die Frau Baronin gegangen sind, kommen der Herr Graf, dann der Herr General, diese Herrschaften sind schon längst vorgemerkt.“
Namen nannte das Zöfchen nicht, aber es suchte mir mit Titeln zu imponiren. Da ich in Paris die Erfahrung gemacht habe, daß die Liebhaberei für Franken sehr groß ist, drückte ich dem Kammerkätzchen drei Franken in die Hand und sagte: „Es ist erst zwölf Uhr, wäre es denn nicht möglich, daß ich nach den Herrschaften an die Reihe käme? Ich reise morgen ab.“
„Ich will es versuchen, mit Madame zu sprechen,“ erwiderte sie, „warten Sie ein wenig.“
Nach zwei Minuten kam sie wieder und sagte: „Da Sie abreisen müssen, will Madame Sie sehen, allein Sie müssen Geduld haben.“
Mir lag weniger daran, mir von der Lenormand der Gegenwart mein Schicksal aus den Karten verkündigen zu lassen, da ich an diese Kunst nicht glaube, als die Leute zu sehen, welche daran glauben; ich fragte deshalb das Zöfchen, indem ich nochmals meine Börse hervorzog, ob es nicht möglich sei, die Personen zu sehen, welche sich bei der Prophetin befänden, ob ich nicht zu diesen in das Wartezimmer treten könnte, oder ungesehen dem Kartenlegen zuschauen dürfe; ich würde das tiefste Schweigen beobachten, kenne ja die anwesenden Herrschaften nicht, und reise übermorgen nach Deutschland. Ich sei, fuhr ich fort, ein Maler und wolle Studien zu einem Gemälde „die Kartenschlägerin“ machen.
Das Mädchen legte die Hand an die Stirn, dann sagte sie: „Ich hoffe, Madame wird mir verzeihen, kommen Sie, aber leise.“
Sie faßte mich bei der Hand und führte mich in ein dunkles Gemach, vor einer Portière blieb sie, den Finger auf den Mund gelegt, stehen, nahm die zwei Franken, welche ich noch opferte, und schob die Portière so, daß ich das helle Gemach neben dem dunklen ganz übersehen konnte.
In einem Fauteuil, in schwarzen Seidenstoff gekleidet, den Kopf mit einem bunten, phantastischen Turban geschmückt, saß die Kassandra, eine hagere Frau mit gelblichem Teint, stechenden, schwarzen Augen und blendend weißen Zähnen, die ich ihrer auffallenden Schönheit wegen für falsch hielt. Vor dieser Frau im Sopha hatte eine junge, schöne Frau Platz genommen, ihr reiches, blondes Haar, der Schnitt des Gesichts, das gespaltene Kinn, erinnerten mich lebhaft an Wilhelmine Schröder-Devrient. Der feine Anzug und die Haltung der Dame zeigten, daß sie den gebildeten Ständen angehöre und wohlhabend sei. Die Prophetin blickte mit großem Ernst auf die Karten, stieß einige Laute der Ueberraschung aus, endlich sagte sie in gebrochenem Französisch: „Es ist, wie ich Ihnen schon sagte, Sie werden ihn wiedersehen, wenn der Mond dreimal gewechselt hat, aber an der Seite einer Andern, welche er jetzt leidenschaftlich liebt.“
„Und wird er sich mit dieser Andern vermählen?“ fragte die Dame in sanftem, melancholischem Tone.
„Nein, er wird sich entweder gar nicht, oder nur mit Ihnen verbinden, wenn Sie das rechte Mittel anwenden, ihn zu fesseln.“
„Und das Mittel ist?“
„Das kann ich Ihnen erst sagen, wenn wir Vollmond haben, ich sagte Ihnen ja schon, mit Ihrem Schicksal ist stets der Vollmond in Verbindung,“ sprach die Prophetin etwas ungeduldig.
Die Dame sagte; „Ich soll also wiederkommen, Madame?“
„Wie Ihnen beliebt, Sie wissen, ich dringe Ihnen meinen Rath nicht auf.“
Die schöne Blondine erhob sich, legte einen Napoleon auf den Tisch und flüsterte: „Ich werde wiederkommen.“
Hierauf entfernte sie sich mit einer graziösen Verbeugung. Die braune Frau nahm das Goldstück, warf es in eine Vase, welche auf dem Kamine stand, setzte sich wieder hin und herein trat ein Mann von ungefähr vierzig Jahren mit einem intelligenten Gesicht und sagte: „Heute will ich Sie nicht lange aufhalten, ich wünsche nur zu wissen, ob Sie mir sagen können, ob wir Krieg oder Frieden zu erwarten haben.“
„Ob ich es sagen kann? Wenn Sie zweifeln, warum kommen Sie zu mir, Graf?“
„Nun, ich weiß nicht, ob Ihnen nicht von Seiten der geheimen Polizei verboten ist, auf politische Fragen zu antworten.“
„Wer sollte mir gebieten? Ein Befehl gegen mich, nicht mehr sprechen zu dürfen, was die Wahrheit ist, und ich gehe nach England.“
„Dort werden Sie schwerlich so gute Geschäfte machen, wie hier, denn die Engländer sind zu fromm, um sich die Karte legen zu lassen,“ sagte der Herr trocken. „Seien Sie nur so gut, mir zu sagen, ob wir Krieg zu erwarten haben, denn ich wünsche zu wissen, was ich thun soll.“
Die Frau nahm die Karten, mischte sie, hieß den Herrn zwölf Blätter herausziehen, legte sie vor sich hin und sprach: „Sie haben bereits Staatspapiere gekauft, Sie wollen noch mehr kaufen, so ist es.“
„Ja, das gebe ich zu.“
„Behalten Sie Ihre Oesterreicher, in wenig Jahren sind die Geldverhältnisse Oesterreichs geordnet, denn die Regierung wird die Klöster ausnehmen.“
„Das wird sie nur in der größten Noth thun, demnach sehen Sie Krieg.“
„Sobald noch nicht, erst nach der Weltausstellung, falls es Krieg geben sollte!“
„Gut, mehr wollte ich nicht wissen.“
Der Herr legte zwei kleine Goldstücke auf den Tisch und entfernte sich mit leichtem Gruße. Abermals öffnete sich die Thür und ein Officier in Generalsuniform erschien. Ohne Complimente forderte er die Frau auf, ihm die Karte zu legen. Sie sagte: „Erst muß ich Ihren Geburtstag wissen und in welchem Himmelszeichen Sie geboren sind.“
„Mein Geburtstag fällt auf den ersten Mai, welches Himmelszeichen damals im Kalender gestanden hat, als ich zuerst das Licht der Welt geschaut, weiß ich nicht.“
„Hm, da kann ich Ihnen nicht Alles sagen.“
„So sagen Sie, was Sie wissen, vor Allem, ob ich noch lange in Paris bleibe.“
Nachdem die Frau die Karten gemischt und aufgelegt hatte, sprach sie: „Ja, noch mehrere Jahre.“
„Wird mein Sohn auch hier bleiben?“
„Gewiß, noch länger!“
„Mehr wollte ich nicht wissen!“
Der General legte ein Geldstück auf den Tisch, die Frau schob es ihm hin und sagte: „Nehmen Sie es zurück, General.“
„Warum? Ich begehre nicht umsonst eine Probe Ihrer Kunst.“
„Ich nehme kein Silber, nur Gold oder gar nichts.“
Der General sagte: „So geben Sie das Silberstück Ihrer Kammerjungfer und nehmen Sie meinen verbindlichsten Dank.“
Er verbeugte sich sehr artig und entfernte sich ziemlich schnell. Sie nahm das Geldstück und murmelte: „Fünf Franken, schmutzig, indeß –“ und die Silbermünze wanderte in einen Kasten, der aber sofort zugedeckt wurde.
Jetzt erschien das Zöfchen wieder, nahm mich abermals bei der Hand und führte mich auf anderem Wege durch ein elegantes Vorzimmer in das Gemach der Dame. Auch ich ward mit Ausdrücken in einem Französisch empfangen, das die Ausländerin verrieth.
„Sie sind eine geborene Ungarin?“
„Oui, Monsieur.“
Nun bin ich eben nicht stark im Ungarischen, aber ich habe in Pesth gerade genug gelernt, um ein oberflächliches Gespräch führen zu können, auch machte sich mein verstorbener Freund, Dr. Franz Reissinger, der Herausgeber der Mittelrheinischen Zeitung, einmal den Spaß, mir, während [320] wir im Winter 1845 in Pesth am Ufer der Donau auf und ab wandelten, eine Menge ungarischer Flüche und Schimpfworte zu lehren, um mir zu zeigen, wie reich die ungarische Sprache an solchen Ausdrücken ist. Ich sagte jetzt der Dame auf Ungarisch, daß ich entzückt sei, in ihr eine Ungarin zu begrüßen, und erhielt eine nur halbverständliche Antwort. Ich redete weiter, schimpfte und fluchte endlich nach Herzenslust und als ich bemerkte, daß die gute Frau nicht im Geringsten erzürnt darüber wurde, wußte ich, daß dieselbe keineswegs eine Ungarin sei, auch keine von dem aus Indien stammenden, umherwandernden Geschlecht der Zigeuner. Ich sprach hierauf Französisch und sie besaß Gewandtheit des Geistes genug, nur zu sagen: „Ich habe Ihre Rede verstanden, Herr, allein ich habe gelobt, nicht eher mit Ausländern Ungarisch zu sprechen, bis Ungarn Alles das haben wird, was ihm der Kaiser versprochen hat.“
„Da werden Sie es sobald nicht sprechen, Madame.“
Sie zuckte die Achseln und machte eine zornige Gebehrde, sehr gut für eine Komödiantin. Ich ließ mir hierauf die Karte legen, und hörte ihr ruhig zu. Sie sagte mir Einiges aus meiner Vergangenheit, was zufällig richtig war, dennoch fällt es mir nicht ein, deshalb zu glauben, daß das zur Wahrheit werden wird, was sie über meine Zukunft sagte. Da ich an das Zöfchen schon Geld gewandt hatte, wollte ich nicht noch viel ausgeben, ich hatte zufällig ein kleines goldenes Fünffrankenstück in meiner Tasche, und das legte ich der Dame hin, welche nur „Gold oder Nichts“ nahm. Indeß machte sie gute Miene zum bösen Spiel und sagte lächelnd:
„Merci, Monsieur, eigentlich bin ich Ihnen Dank schuldig, wieder einmal Ungarisch sprechen gehört zu haben, hier hört man es fast nie.“
Als ich durch das Vorgemach kam, saßen drei junge verschleierte Damen da und zwei Herren. Eines der Frauenzimmer war bleich, hager, dürftig gekleidet, hatte vielleicht einige Tage knapp gespeist, um die Prophetin bezahlen zu können.
Als ich Abends, d. h. um sechs Uhr im Hotel de Calais dinirte, traf ich einen jungen Pianisten aus Schweden. Er erzählte mir, daß er, um sich Ruf zu machen, gern Abends in den Salons spielen wolle, um zehn bis zwanzig Francs. Eine musikalische Autorität, welche ebenfalls da speiste, erzählte mir, der junge Mann sei ein vortrefflicher Pianist, aber um einige Stunden vorzügliche Tondichtungen gut vortragen zu hören, gäbe Niemand zehn Francs, wenn der Pianist nicht schon großen Ruf habe; wollte ein Dichter, und sei er der größte, sein Werk vorlesen, wer würde Eintrittsgeld bezahlen? Und wie viel große Talente, ja mitunter wohl gar ein Genie, muß hier im Dachstübchen bei dürftiger Kost sitzen, der Director irgend eines Theaters, welcher ein neues, geniales theatralisches Werk dringend nothwendig braucht, läßt das Genie doch im Vorzimmer stehen, oder empfängt es mit unhöflichen Abweisungen, ohne sein Werk nur anzusehen, dagegen „macht“, wie das Zöfchen der Kartenlegerin sich ausdrückte, diese Frau täglich zwanzig bis dreißig Francs, weil sie auf die Dummheit und Leichtgläubigkeit des Publicums speculirt. Und uns Deutsche nennen die Franzosen eine Nation von leichtgläubigen Träumern! In Paris nähren sich an zweihundert Personen vom Prophezeien! Wo ist nun der Verstand, der klare, gesunde? Wohnt er am Ufer des Elbstroms, der Donau, des Rheins oder an dem Strande der Seine?
Nächstens machen wir wieder eine Wanderung durch Paris, liebenswürdige Leser dieser Blätter, wenn es Ihnen gefällt, mich zu begleiten.
Lügen im Handel und Wandel. Wenn ich in Deutschland in einen Laden gehe und irgend einen Gegenstand kaufen will, so kann ich mich auch fest darauf verlassen, daß ich nichts finde, was – entweder der aufgedruckten Etikette, dem Stempel oder der Versicherung des Verkäufers nach – in Deutschland selber fabricirt ist. Merkwürdiger Weise kommt Alles von London oder Paris, und darnach sollte es fast scheinen, als ob in Deutschland gar keine oder nur eine ganz untergeordnete Industrie bestände, so daß die Leute wirklich genöthigt wären, ihren Bedarf von auswärts zu beziehen.
Es sind aber lauter Lügen, mit denen alberne Käufer geblendet werden sollen, weil sie nun einmal in echt deutscher Gemüthlichkeit nichts für gut und brauchbar halten, wenn es nicht wirklich importirt ist, oder wenigstens so heißt. Oft steckt allerdings nur hinter der Fälschung fremder Stempel und Adressen der gemeinste Betrug und Pfälzer Cigarren tragen nicht frecher eine Havanna-Etikette an der Stirn und lassen sich in Schilfblatt einrollen oder an der Spitze mit Goldschaum umkleben, wie Magdeburger Rothwein den damit Betrogenen unter dem Namen von Medoc und St. Julien vergiftet.
Weit in den meisten Fällen sind aber unsere deutschen Waaren gut und tüchtig und können sich getrost jedem ausländischen Fabrikat an die Seite stellen, ja übertreffen es nicht selten an sorgfältiger Arbeit und Güte des Materials: so die Solinger Stahl-, die Offenbacher Lederwaaren und unzählige andere. Und weshalb da die falschen Etiketten? Wir fabriciren in Deutschland so gute Seifen und Parfümerien, wie nur je ein Pariser Fabrikant geliefert hat, so feine Hüte, so treffliche Waffen, so gute Tuche und tausend andere Dinge, weshalb da so oft der falsche ausländische Name darauf, nur um der Unwissenheit einzelner Käufer zu schmeicheln? Viele sagen wohl: „Ja, der und der Gegenstand hat einmal einen Ruf unter der und der Firma, und wenn wir den Stempel nicht darauf drücken, setzen wir nichts davon ab.“
Wodurch hat er aber diesen Ruf bekommen? Wodurch ist er so allgemein bekannt geworden? Dadurch, daß der französische oder englische Fabrikant auf jedes seiner Fabrikate nicht allein den eigenen Stempel setzen, nein, sogar in Deutschland Massen von guten Waaren mit demselben anfertigen ließ und seinen eigenen Namen dadurch an alle Handelsplätze, in alle Welttheile trug. So gehen Revolver und andere Waffen mit englischem Stempel von Mehlis nach London und werden dort als englisches Fabrikat theuer bezahlt. So ging ein Auftrag der argentinischen Regierung für eine in Solingen gefertigte und mit englischem Stempel versehene Klinge nach England. So werden deutsche Nähnadeln unter englischer Etikette nach Frankreich und Amerika geschickt und Niemand verlangt nachher dort nach deutschen Nähnadeln, weil die englischen so gut befunden wurden. Die deutschen Fabrikate können mit allen ausländischen concurriren, aber sie werden und müssen diesen so lange nachgesetzt werden, bis deutsche Fabrikanten nicht selber so weit zur Vernunft kommen, auch ihre eigene Firma zu verbreiten, ja, jeden Auftrag zurückweisen, der sie dazu nöthigen soll, auf ihre Kosten den Ruf einer fremden Fabrik zu gründen.
Die Amerikaner verstehen gewiß, wie kaum eine andere Nation, ihr eigenes Interesse, aber keinem von ihnen würde es einfallen eine fremde Firma zu benutzen, und das wahrlich nicht aus Gewissenhaftigkeit. Nein, weil jeder weiß, daß er sich selber Schaden damit thut, denn je bekannter der Name eines guten Fabrikanten wird, auf desto größeren Absatz darf er mit Sicherheit rechnen. Wie aber kann er bekannt werden, wenn er sich immer hinter Anderen versteckt? Aber es ist nicht allein der materielle Schaden, den sich der Deutsche dadurch im Ausland und daheim zufügt; es ist auch der moralische Nachtheil, den es ihm in seinem eigenen Kreise bringt.
Ich spreche hier nicht von den gemeinen Fälschern wirklich guter ausländischer Fabrikate; das sind Diebe und Betrüger wie andere auch, nur daß ihnen die Gerichte nicht so leicht beikommen können; ich spreche hier vorzugsweise von denen, die nur, um ihrem sonst wirklich guten Erzeugniß in den Augen des Käufers – vielleicht auch in ihren eigenen – einen höheren Werth zu verleihen, falsche Etiketten und Stempel gebrauchen. Sie bedenken dabei nicht, daß sie sich vor ihren eigenen Leuten und Arbeitern, denen das doch kein Geheimniß bleiben kann, verächtlich machen, ja sie sanctioniren den Betrug in Kreisen, von denen sie selber Ehrlichkeit und Wahrheit verlangen, und das geht auf den Einzeln-Verkäufer über. Der Commis wie der Lehrling, der recht gut die Quelle kennt, aus welcher das falsch etikettirte Stück stammt, muß wegen jedes einzelnen, wegen des Verkaufs eines Artikels, an dem vielleicht wenige Groschen verdient werden, lügen, und zwar lügen vor dem ganzen Personal, und da ist es nicht zu verwundern, daß eben dieses Lügen und Hintergehen dann weiter reißt.
Besonders im sogenannten Kleinhandel hat es denn auch leider in Deutschland schon fast überhand genommen, und man bekommt bei zahllosen Materialisten z. B. fast keine Waare mehr, die möglicher Weise gefälscht werden kann und nicht gefälscht ist. Die jungen Leute sollen dabei ehrlich sein und ihren Principal um keinen Pfennig betrügen, aber täglich und stündlich im Interesse desselben und unter seinen Augen die Käufer hintergehen. Dadurch verlieren sie aber nicht allein die Achtung vor ihrem Lehrherrn – das wäre das Wenigste, denn er hat sie nicht verdient – nein, sie werden auch leider in nur zu vielen Fällen selber demoralisirt. Gründen sie einmal ihr eigenes Geschäft, so setzen sie das früher Gelernte auch auf eigene Hand fort und haben sich für die Entschuldigung solchen Betrugs schon ein eigenes Wort erfunden: „kleine Vortheile“.
Wir ändern freilich die Welt nicht, und solche eingefressene Schäden sind schwer zu beseitigen; aber es ist doch vielleicht nicht ganz zwecklos, allen denen, welche im Großen oder Kleinen betrügen, einen Spiegel vorzuhalten. Vielleicht schämen sie sich dann doch vor ihren eigenen Leuten, wenn auch nicht vor sich selber, und unterlassen es entweder, oder vergiften wenigstens nicht das Herz ihrer Lehrlinge durch ihr schlechtes Beispiel.
Die Köstritzer Heil- und Badeanstalt, welche im Elsterthale, in der Nähe einer Soolquelle, an der Zeitz-Gera-Eisenbahn, ganz reizend auf einer Anhöhe zwischen Wald, Park, berühmten Blumen- (besonders Rosen- und Georginen-) Gärten und Wiesen ihre Lage hat, soll sich, nach meinem Wunsche, dadurch vor andern Bädern auszeichnen, daß sie nicht ein bestimmtes Heilmittel gegen bestimmte Leiden, sondern alle diejenigen äußeren und inneren, vorzugsweise diätetischen Heilhülfsmittel (besonders auch warme Sandbäder, nervenberuhigende Ruhe in Hängematten und schmackhafte nahrhafte Kost) darbietet, welche zur naturgemäßen Heilung oder Besserung der verschiedenartigsten Krankheiten erforderlich sind.
Dies meine Antwort auf die vielen Anfragen nach diesem, von mir empfohlenen Badeorte.
Nachdruck. Der Buchhändler Friedrich Gerhard in New-York giebt seit dem Ersten dieses Monats in halbmonatlichen Heften heraus: „J. D. H. Temme’s Erzählungen, Novellen und Criminalgeschichten“. Ich erkläre, daß diese Sammlung ein frecher Nachdruck ist; ich habe mit dem Manne niemals in irgend einer Verbindung gestanden. Alle ehrliebenden Journale Deutschlands bitte ich um Verbreitung dieser Erklärung, damit sie auch den Deutschen in Amerika bekannt werde.
Zürich, am 25. April 1866.
K. B–e in W–n. Wir wissen recht wohl, daß Nassau schon am 1. September 1814 eine landständische Verfassung erhielt. Da aber erst nach dem Aussterben der Linie Nassau-Usingen (im J. 1816) von einem nunmehr unter dem Hause Nassau-Weilburg vereinigten eigentlichen Herzogthum Nassau die Rede sein kann und diesem 1817 von Herzog Wilhelm eine ganz neue Verfassung ertheilt wurde, so muß nach wie vor die Verfassung Sachsen-Weimars als die erste in Deutschland gelten.
J. S. in B. Eine „Geschichte der Strickkunst“ gehört doch mehr in den „Bazar“ oder die „Modenwelt“ oder ähnliche hauptsächlich vom weiblichen Geschlechte gelesene Blätter. Nach der Gartenlaube greifen zu viele Hände, denen das edle Stricken zeitlebens eine wohl hochgehaltene und bewunderte, doch unbegriffene Kunst bleibt.
A. Br. in H. Selbstverständlich, bedarf es gar keiner Erinnerung. Sollte es zum Kriege kommen, so werden Sie sich überzeugen, daß die Gartenlaube bereits umfassende Veranstaltungen getroffen hat, durch Text und Illustration den Lauf der Ereignisse zu begleiten.
Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.